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Kitabı oku: «Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band.», sayfa 12

von Adlersfeld-Ballestrem Eufemia
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»Ei, wie poetisch,« lächelte Doktor Ruß.

»Sie sahen die Gestalt natürlich um Mitternacht,« spottete Dolores.

»Nein, es war bei Sonnenuntergang, drunten im Dorfe läuteten sie das Ave, und in den Glockenklang hinein sang die Erscheinung ein seltsames, halb trauriges, halb verklärtes Lied.«

»Und dieses Lied hat es dir natürlich angethan, wie es im Volkston heißt?« sagte Doktor Ruß, der den Sinn in dem Abenteuer seines Stiefsohnes nicht recht ergründen konnte, indes Dolores sich bückte, ein paar schillernde Steinchen aufzuheben – es blitzte dabei verständnisvoll in ihren Augen auf.

»Ja, das Lied hat es mir angethan,« wiederholte Falkner fast träumerisch.

Da hob die Turmuhr im Falkenhof aus und schlug mit tiefem Klange Mitternacht. Dolores schreckte empor, warf die aufgelesenen Steinchen weit von sich und reichte Doktor Ruß die Hand.

»Gute Nacht,« sagte sie, »ich bin heut' so müde. Gute Nacht, Baron!«

»Ei, warum stets so förmlich?« fragte der Doktor, ihre Hand festhaltend. »Alfred ist Ihr rechter Cousin, und Vettern tituliert man doch nicht so steif!«

»Cela dépends,« erwiderte sie leicht. »Aber,« setzte sie spöttisch hinzu, »vielleicht wächst nach unserem heutigen Mondscheinspaziergang par ordre de Moufti unsere gegenseitige Zuneigung dermaßen, daß wir uns nach hundert Jahren unbezwinglich gedrängt fühlen, uns per Cousin und Cousine anzureden. Man darf die erschütterndsten Weltereignisse nicht für unmöglich halten.«

»Sie können noch weiter gehen und sagen: Vielleicht heiraten sich dereinst unsere Enkel,« sagte Falkner kalt, aber ein seltsamer Blick schoß dabei aus seinen Augen.

Dolores lachte hell auf, mit dem alten, klingenden Lachen vergangener Tage.

»Das wäre lustig,« rief sie. »Bis dahin sind Sie Minister, und dann tanzen Großpapa Excellenz und Großmama Satanella ein Menuett miteinander!«

Noch ein spöttisches, leises Auflachen, und sie war im Hause verschwunden.

Der Heimweg nach Monrepos wurde Falkner kurz durch die Gedanken, die sich ihm im Kopfe kreuzten, und durch diese Gedanken klang immerzu jenes Lachen.

Satanella! Mit diesem einen Worte hatte sie die von ihm selbst errichtete Grenzscheide zwischen sich und ihr als wie mit eisernen Klammern befestigt.

»Sie ist doch herzlos und ohne Gefühl,« sagte er sich erbittert. »Habe ich mich darum vor ihr gedemütigt und abgebeten wie ein Kind, damit sie mich verspottet?«

»Satanella! Satanella!« rauschte es in den Zweigen, und ein Kauz, der über seinem Haupte mit schwerem Flügelschlag und im Dunklen glühenden Augen hinwegflog, schrie mit schrillem Tone: »Satanella! Satanella!«

Da klang es plötzlich vor seinem inneren Ohr wie Glockenläuten, und er hörte eine süße Stimme ein einfach Lied singen vom Abendglockenklang.

»Sie hat recht, mir mit Spott zu begegnen,« sagte er weich. »Ich habe nichts anderes um sie verdient! Dreifach blinder Thor, der ich war, stolzverblendet mir selbst Trotz bietend, daß ich den warmen Herzschlag nicht durch das rote Kleid der Satanella hören wollte!«

So wirbelten und jagten sich ihm die Gedanken unaufhörlich, und der Schlaf floh ihn so hartnäckig, daß er endlich, dem bösen Mondschein ein Paroli zu bieten, sein Lager verließ, Licht anmachte und ein Buch hervorholte.

»Geibels Gedichte,« las er auf dem Titel. »Meinetwegen! Vielleicht dämpft die Poesie etwas das Fieber in meinen Adern.«

Er schlug das Buch, das er zum Vorlesen drunten im Salon erst gestern aus der Stadt erhalten hatte, aufs Geratewohl auf und las auf der ersten Seite, auf die sein Auge fiel, die Übertragung von Coppées Gedicht:

 
Ich sprach zur Taube: Flieg' und bring' im Schnabel
Das Kraut mir heim, das Liebesmacht verleiht,
Am Ganges blüht's im alten Land der Fabel,
 

»Das ist ein Wort für mich,« sagte er sich leise, und dann las er die vierte Zeile dieser Strophe:

 
Die Taube sprach: Es ist zu weit!
 

»Zu weit,« wiederholte er und warf das Buch hin. Dann trat er an das offene Fenster und sah hinaus, bis der Mond hinter den Bäumen versank und ein opalbleiches Licht sich über die stille Welt verbreitete, bis ein siegender Strahl im Osten den Anbruch des jungen Tages verkündete.

Da überfiel ihn endlich die Müdigkeit, er schloß das Fenster und legte sich zur Ruhe.

»Satanella, Satanella!« hörte er draußen noch die eben erwachte Spottdrossel pfeifen. Dann träumte er, er flöge auf Taubenschwingen über Land und Meere, und von fern sah er am Ganges wundersame Blumen blühen, weiß und rosig, und in ihren Kelchen wiegten sich nebelhafte Liebesgötter. Da spannte er all seine Kräfte an, sie zu erreichen, aber die Fernen, die ihn noch trennten von der Erreichung seines Wunsches, wurden immer weiter und weiter – eine tödliche Ohnmacht überfiel ihn – er stürzte ins Meer hinab –

»Es ist zu weit –!« sagte er, auffahrend von dem bösen Traume.

»Viel zu weit!« girrte eine Taube dicht an seinem Fenster.

II

 
Ich sprach zum Adler: Spanne dein Gefieder,
Und für das Herz, das kalt sich mir entzog
Hol' einen Funken Glut vom Himmel nieder.
Der Adler sprach: Es ist zu hoch!
 
E. Geibel nach François Coppée.

Ein glühend heißer Junitag. Wolkenlos spannt der tiefblaue Himmel seine grandiose Kuppel über die liebliche Landschaft des Falkenhofes, kein Luftzug bewegt die Blätter und Zweige der mächtigen Bäume des Parkes. In der Luft schwirren nur die bunten Insekten des Sommers oder eine rastlose Schwalbe, denn die Singvögel sitzen tief in den Zweigen und zwitschern dort leise ihre Lieder – sie empfinden wie der Mensch die bleischwere Schwüle in der Luft und bangen vor dem Sturm und Wetter, das die Nacht vielleicht bringen wird.

Der Nachmittag war schon weiter dem Abend zugeschritten, als Dolores den Falkenhof verließ, um Kühlung im Parke zu suchen. Sie fühlte sich unbehaglich und verstimmt durch ein Gespräch mit Doktor Ruß, der gekommen war, beim Arrangement der Bildergalerie zu helfen.

Die Mitte dieses Raumes nahm jetzt ein mächtiger Tisch, bedeckt mit Prachtwerken aller Art ein, und um ihn standen einladende, goldstoffbezogene Fauteuils. In den Ecken waren Palmgruppen angebracht, in denen weiße Büsten schimmerten, und an den roten Samtwänden hatte Dolores mit Hilfe des der Familiengeschichte kundigen Doktor Ruß die Porträts in zusammenhängenden Gruppen geordnet, wie dasselbe Jahrhundert sie zusammenbrachte. Die Mitte der Gruppe des siebzehnten Jahrhunderts nahm das schöne Bild der »bösen Freifrau« ein, und Dolores hatte es noch außerdem durch einen der Zeit entsprechenden kostbaren Rahmen ausgezeichnet.

Als alles fertig war und die helfenden Leute Leitern und Handwerkszeug hinausgeschafft hatten, sagte Doktor Ruß:

»So, das wäre geschehen – es ist nun wohl alles zum Empfang Ihrer fürstlichen Gäste bereit, liebe Dolores.«

»Ja,« nickte sie, »aber es war nicht dieser Gedanke, der mich leitete, als ich diese Neugestaltung der Bildergalerie plante. Es ist meine Absicht, das ganze Haus in dieser Weise einem kommenden Geschlechte herzurichten, und ich rechne dabei sehr auf Ihren Rat!«

»Wenn er Ihnen in der That von Nutzen sein kann, so gebe ich ihn nur zu gern,« sagte der Doktor, bescheiden die Augen niederschlagend. »Aber Sie sprachen mit soviel Sicherheit von einem kommenden Geschlecht und wissen doch, daß das Geschlecht der Falkner nur noch vier Augen zählt!« –

»Ja, ich weiß es,« entgegnete sie, immer noch mit der Musterung ihrer Wände beschäftigt, »aber man kann doch nur auf zwei Augen zählen – die meinigen gelten nichts, denn wenn sie sich schließen, so ist das von keinem Einfluß auf den Stammbaum.«

»Wer weiß,« bemerkte Ruß mit besonderer Betonung.

»Nein, gar nicht,« erwiderte Dolores ruhig, »ich beschließe das Geschlecht ja nicht, und Baron Alfred wünsche ich, daß er es den Traditionen entsprechend weiterführt. Ich bin als ganz unerwarteter Eindringling in der Erbfolge erschienen, und da eine Ablehnung derselben mir nichts helfen konnte, so will ich den Falkenhof so instand setzen, daß meine Nachfolger nicht über die Zeit meiner Lehnsherrschaft klagen sollen.«

Doktor Ruß sah sein Visavis prüfend an.

»Sie sprechen, als hätten Sie große Eile mit dieser Instandsetzung,« sagte er lächelnd.

»Gewiß, denn ich weiß ja den Tag und die Stunde nicht, wenn ich sterben werde,« erwiderte sie ruhig.

Der Doktor wiegte sinnend den Kopf hin und her.

»Nein, nein, wir wissen es nicht,« flüsterte er mehr als er sprach. »Aber nach menschlicher Berechnung ist der Tag noch fern. Nun, es ist ja aber immer gut, sein Haus zu bestellen!« –

»Ja, und das ist die Freude, die ich an dem Besitz des Falkenhofes habe,« rief Dolores lebhaft. »Es soll alles in dem lieben alten Haus schön werden und bewohnbar!«

»Werden aber dazu die Revenüen ausreichen?« fragte Ruß lächelnd mit lauerndem Blick.

Sie errötete über die undelikate Frage und wollte erst darüber hinweggehen, aber dann besann sie sich eines anderen.

»Die Renovationen werden aus meinen Mitteln bestritten, und die Revenüen, die ich niemals berühren werde, lasse ich in Papieren anlegen,« sagte sie kühl mit dem langsam und nicht ohne Bitterkeit gesprochenen Nachsatz: »Es soll niemand sagen dürfen, daß ich auch nur einen Groschen verschwendet hätte.«

»O wie edel gedacht!« rief Ruß bewegt. »Aber, beste Dolores, wem würde es einfallen, eine solche Anklage zu erheben? Ein jeder Erbe des Falkenhofes ist berechtigt, die Revenüen zu verbrauchen, wie es ihm beliebt. Und besonders in Ihrem Falle sind solche Gedanken nicht am Orte, da es ja doch zu erwarten steht, daß nach dem in dem Testament des seligen Barons ausgesprochenen zarten Wunsche und dem von Alfreds Mutter, nicht erst zu reden von dem meinigen, der letzte Falkner und die Lehnsherrin vom Falkenhof eins werden am Traualtar, und –«

»Genug!« unterbrach ihn Dolores gebieterisch. Sie war aufgesprungen und stand jetzt ernst und bleich vor dem Doktor. »Ich hatte Ihnen mehr Zartgefühl zugetraut, und gehofft, daß niemand mehr jenen Passus in dem Testament vor mir erwähnen würde. Ihre sowie Ihrer Gemahlin Wünsche haben keinen Einfluß auf meine Entschlüsse, und zum Glück auch nur einen verneinenden auf die des Baron Alfred. Er oder seine Kinder werden dereinst das Erbe antreten, um dessentwillen ich manche bittere Stunde gehabt habe –«

»Aber beste Dolores, Sie werden doch nicht glauben, daß wir Ihnen dasselbe nicht gönnen?« rief der Doktor im Tone gekränkter Unschuld. »Bedenken Sie doch auch nur, wie natürlich unsere Hoffnungen sind. Und wissen Sie, daß es eigentlich Ihre heilige Pflicht ist, dem Wunsch des Verstorbenen zu entsprechen, daß –«

»Ich wünsche keine Vorlesung über meine Pflichten von Ihnen,« unterbrach sie ihn kalt. »Und wenn Ihnen daran liegt, daß wir Freunde bleiben, so berühren Sie dies Thema nicht wieder – ich will es nicht. Streichen Sie dasselbe ein für allemal von Ihrem Wunschzettel und erinnern Sie sich gefälligst daran, daß ich Sie nicht zu meinem Gewissensrat ernannt oder gewünscht habe. Ich hoffe, wir verstehen einander jetzt!«

»Vollkommen! Ihre Wünsche lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig,« sagte Doktor Ruß sanft und mit gesenktem Blick. »Aufrichtigkeit ist die Basis der Freundschaft, liebe Dolores, und ich sehe zu meiner Freude, daß diese Theorie ein Grundzug Ihres Charakters ist. Halt – rief meine Frau drunten nicht nach mir?«

Wirklich klang es in scharfen Tönen: »Ruß! Ruß, wo bist du?« von unten herauf, und der Doktor benutzte diesen höchst willkommenen Grund seiner Entfernung zu einer gloriosen Retraite. Er ergriff Dolores' Rechte und küßte sie chevaleresk.

»Gestatten Sie mir diesen Zoll meiner Bewunderung,« sagte er schmelzend und ohne es bemerken zu wollen, daß sie ihm ihre Hand heftig entzog. »Wahrhaft feste Charaktere, die den Wahlspruch: »L'état c'est moi« zu dem ihrigen gemacht haben, sind selten geworden in unseren Tagen! Leben Sie wohl, teure Freundin!«

Dolores wandte sich, mit Mühe ihren Zorn beherrschend, ab, und Doktor Ruß verschwand. Hätte sie draußen sein Gesicht sehen können, wie es sich momentan verzerrte, wie die bebrillten Augen den Blick eines gereizten Panthers zurückschossen – es wäre ihr vielleicht bange geworden vor dem Gedanken, mit diesem Manne unter gleichem Dach zu wohnen.

Aber ein Mann wie Ruß gestattet sich kein Verweilen bei Gefühlsausbrüchen – sein Antlitz ward sofort wieder wie ehedem – sanft und freundlich.

»Ruhe, Ruhe,« gelobte er sich selbst. »Adelheid darf nichts davon erfahren – sie würde den Falkenhof sofort verlassen wollen. Aber ich will es nicht und werde schon die Kraft finden, weitere Insolenzen dieser Donna Dolores zu ertragen, denn sie hat die Macht und die Mittel, und ich stehe vis-à-vis de rien, ein armer Teufel! Wie sie auf mich herabsah – ich sollte mich wahrscheinlich vor den sprühenden, schwarzen Augen fürchten! Nein, mein Goldfasanchen, du hebst mich nicht aus dem Sattel! Wir wissen jetzt, was wir wissen wollen, und im übrigen stehst du in meiner Macht.«

Es ist schon so viel darüber gesagt worden, und wir armen, kurzsichtigen Menschenkinder haben schon so oft Grund gehabt, der Vorsehung dafür zu danken, daß sie den Schleier der Zukunft vor uns nicht lüftet, und doch, könnten wir manchmal anderen ins Herz schauen, so würde uns das Rätsel der Zukunft vielleicht leichter zu lösen sein und uns vor Ungerechtigkeit, Mißtrauen und – Unheil bewahren. Denn trügerischer als das Meer, das dich heut' auf sanfter Welle wiegt, um dich morgen zu begraben, tückischer als die hölzerne Brücke, die über den Abgrund führt und innen morsch und verfault nur des Fußes harrt, dessen Schritt sie zerbricht, und den Wanderer in schauerliche Tiefen stürzt, kränker als die blühende Rose, der tief im Kelche der Wurm nagt, und veränderlicher als Aprilwetter ist das Menschenherz.

Hätte Dolores in das Herz des Mannes sehen können, dem sie Gastfreundschaft gewährte, es wäre vieles anders geworden, vieles Leid wäre ihr erspart geblieben. So aber sah sie in seiner Indiskretion nichts als Neugierde und den natürlichen Drang, eine Ehe zu stiften, die von Vorteil für ihn und die Seinen war. Er hatte geglaubt, nunmehr genug Macht über sie zu besitzen, um mit ihr über das heikle Thema reden zu können, aber er hatte sich geirrt. In dieser letzteren Annahme täuschte sich Dolores nicht – Doktor Ruß hatte in der That geglaubt, einen geistigen Einfluß auf die Herrin des Falkenhofes auszuüben und durch seine Beredsamkeit auf sie wirken zu können.

»Er hat sehr recht: l'état c'est moi!« dachte Dolores mit stolzem Aufwerfen des Kopfes. »Denn wenn er meinte, allmählich das Regiment auf dem Falkenhof an sich reißen zu können, indem er mich dominierte, so war das ein Irrtum dieses Mannes.«

Übrigens empfand Dolores bei dem Gedanken, mit Ruß und seiner Frau fernerhin zusammen wohnen zu müssen, kein Behagen, aber was war dagegen zu thun? Sie konnte ihre Gäste nicht gehen heißen, und von selbst gingen sie eben nicht, trotzdem Falkner, wie sie wohl wußte, ihr Bleiben nicht billigte, und eine impulsiv erwiesene Freundlichkeit, zu der sie sich verpflichtet gefühlt, zog Konsequenzen nach sich, die sich gar nicht berechnen ließen und deren Ungeheuerlichkeiten niemand träumen konnte.

So kam es, daß Dolores verstimmt das düstere Haus verließ, um Sammlung unter den rauschenden Bäumen ihres Parkes zu suchen.

Unterwegs begegnete ihr Engels mit Knieper, dem Dächsel, der freudebellend auf sie einstürmte und das Übermaß seiner Gefühle in einem rasenden Rundlauf kundthat.

»Wie das kluge Tier Ihnen gut ist!« rief der alte Inspektor mit Bewunderung.

»Ja,« sagte Dolores mehr traurig als bitter, »es ist das einzige Geschöpf auf dem Falkenhof, das mir freundlich wegen meiner selbst begegnet, das in mir nicht den Eindringling und den Usurpator sieht.«

»So? thue ich das etwa?« fragte Engels entrüstet in seiner derben Weise.

»Nein, nein! Sie sind ja mein einziger Freund hier!« rief Dolores, ihm die Hand reichend.

»Na, und Doktor Ruß, was ist der?« sondierte der Inspektor.

»Ach Engels, ich wollte, der wäre erst fort von hier!« seufzte sie mit einem Blick nach rückwärts.

»Hahaha, weht der Wind jetzt so?« sagte Engels und lachte, daß er sich schüttelte. »Na, Fräulein Dolores, ich unterschreibe ihm heut' noch gern den Reisepaß. Wir beide, er und ich nämlich, wir waren einander nie sehr grün, wissen Sie! Na, seien Sie unbesorgt – ich werde ihm schon einmal mit dem Zaunpfahl winken!«

»Um Gottes willen, Engels! Er bleibt ja immer mein Gast, bedenken Sie das!«

»Ach, Papperlapapp, Fräulein Dolores,« rief der alte Inspektor verächtlich. »Sehen Sie, feine Winke versteht der Doktor Schlauberger ebensogut wie grobe, denn er ist mit allen Hunden gehetzt, der Blutegel der, aber feine Winke will er nicht verstehen. Für solche Leute ist der Zaunpfahl das einzige Mittel!«

»Nein, nein!« sagte Dolores abwehrend. »Ich möchte nicht, daß Baron Alfred in seinem Stiefvater beleidigt würde.«

»Baron Alfred? Der weiß ganz genau, was er von dem hochgelahrten Ästhetiker zu halten hat, darauf können Sie sich verlassen. Übrigens nehme ich alle Folgen auf mich!«

Damit trennten sie sich. Dolores ging weiter hinein in den Park, Engels umschritt den Falkenhof und traf richtig auf Ruß und seine Frau, die im kühlen Schatten des Nordflügels saßen – sie strickend, er lesend.

»Guten Tag, mein lieber Engels,« rief Ruß herablassend, als die Hünengestalt des Inspektors vor ihm stand.

»Guten Tag, Frau Doktorin,« sagte letzterer, die Anrede des auf seinem Sitz verbleibenden Doktors ignorierend.

»Guten Tag,« gab Frau Ruß zurück. »Wollen Sie nicht Platz nehmen?«

»Auf einen Augenblick,« sagte Engels sich setzend. »Ah,« setzte er mit affektiertem Staunen hinzu, »da sind Sie ja auch, teuerstes Doktorchen!«

»Gewiß, ich hatte bereits die Ehre, Sie zu begrüßen,« flötete Ruß zuckersüß.

»Sehen Sie mal an! Heißer Tag heut', nicht wahr?«

»Sehr,« stimmte Ruß bei, seine weißen Hände betrachtend.

»Es wird heuer eine reiche Ernte geben, wenn das Wetter so bleibt,« bemerkte Frau Ruß.

»Höchst wahrscheinlich,« sagte Engels. »Werden Sie zum Erntefest noch hier sein?«

»Höchst wahrscheinlich,« erwiderte Ruß nicht ohne einen Anflug von Nachäffung, »insoweit ich als Mensch die Zukunft bestimmen kann!«

»I du aalglatter Heuchler,« dachte Engels, und setzte möglichst harmlos hinzu: »Da werden Sie wohl so um den Herbst herum abreisen?«

Ruß wechselte mit seiner Frau einen raschen Blick, und letztere wurde blutrot.

»Sind Sie von Dolores beauftragt worden, danach zu fragen?« rief sie scharf und mißtrauisch.

»Im Gegenteil,« erwiderte Engels ruhig. »Ich dächte, Sie müßten Ihre Gastgeberin nun schon insoweit kennen, um ihr eine solche Kommission überhaupt nicht zuzumuten!«

»Also entsprang die freundliche Frage Ihren eignen Gefühlen?« flötete Ruß honigsüß. »Du hättest dir denken können, teure Adelheid, daß unsere liebe Dolores nach der Abreise ihrer Gäste zu fragen außer stande ist.«

»Das weiß der Himmel,« brach Engels los, »wenn Sie darauf warten wollen, so können Sie Ihr Leben hier in Ruhe beschließen!«

»Das wollen wir auch, denn eine Ablehnung ihrer Gastfreundschaft würde unsere süße Dolores nur beleidigen, und das liegt uns fern, nicht wahr, teures Weib?« sagte Ruß mit Salbung.

Engels erhob sich heftig.

»Meine Zeit ist um,« sagte er. »Komm, Knieper! Adieu allerseits!«

Und damit ging er, gefolgt von seinem Hunde, der im Gehen seinem alten Feinde Ruß noch einmal die Zähne zeigte.

»Fehlgeschossen!« räsonnierte Engels innerlich zornentbrannt. »Es ist dem alten Schleicher weder zart noch grob beizukommen. Na wart', ich graule dich schon noch hinaus!«

In Unwissenheit über die sofortige Attacke ihres Getreuen, setzte Dolores ihren Weg fort, aber das Gleichgewicht in ihrem Innern wollte nicht so schnell kommen, als sie gewünscht hätte. Zu der Erregung infolge des eben stattgehabten Gespräches trat außerdem noch der sie nicht verlassende Gedanke und die Erinnerung an jene Nacht, da sie an Falkners Seite von Monrepos nach dem Falkenhofe zurückging.

Was hatte er ihr gesagt? Er hatte sie gebeten zu vergeben, wo er sie gekränkt, aber hatte er das Bitterste zurückgenommen oder widerrufen? Nein, er hatte es nicht. Unter dem Gewande des Scherzes hatte sie ihm gesagt, was zwischen ihm und ihr stand, und die Kluft zwischen beiden war so tief als je. Sie hatten einander seit jener Nacht nicht wiedergesehen, wozu auch? Inzwischen waren Schingas dagewesen, ihren Besuch zu machen – der Graf hatte den Falkenhof in den kräftigsten Ausdrücken gelobt, die Gräfin hatte mit Entzücken den kostbaren Flügel probiert, und dann waren sie eben wieder fortgefahren, ohne bei Dolores ein wärmeres Gefühl zurückzulassen. Sie fühlte zwar eine gewisse Sympathie für die Frau, welche, an die Verfeinerungen des Lebens gewöhnt, ihr Dasein an der Seite dieses rohen und ungebildeten Mannes durchschleppen mußte, bis der Tod sie erlöste. Dann aber fiel Dolores das fragwürdige, saloppe Kostüm ein, in dem die Gräfin daheim ungeniert sich bewegte, und der Thermometer ihrer Gefühle für sie sank um mehrere Grade. So ist's aber in den meisten Fällen. Man muß die Menschen nicht beurteilen, wenn sie im Gewande des geselligen Verkehrs vor uns stehen, sondern man muß sie allein, bei sich selbst sehen, in ihren Gewohnheiten und Neigungen. Oder, wenn man sich seine Illusionen erhalten will, so muß man es nicht thun. Denn bekanntlich ist ein großer Mann nicht groß vor seinem – Kammerdiener, für den die physischen und moralischen Schlachten, die sein Herr gewann, zweierlei sind mit diesem selbst, für den der erkämpfte Lorbeer nichts ist als ein Blatt, das er als Saucengewürz schätzt. Das ist die Kehrseite der Medaille. Der Optimist läßt das schöne geprägte Stück auf samtner Folie vor sich glänzen und erfreut sich so sehr an dessen Schönheit, daß es ihm gar nicht einfällt zu schauen, was auf der anderen Seite ist. Der Pessimist läßt sich nicht blenden, er geht der Sache auf den Grund und wendet die Medaille um. Entdeckt er dort Schäden, Flecke und Unvollkommenheiten, dann ruft er Wehe über die ganze Welt und predigt ihre Verachtung, findet er die Rückseite aber eben so tadellos wie die Vorderseite, dann bemüht er sich, der letzteren Flecke beizubringen. Der Glücklichere bleibt also der Optimist, nur daß er oft unrecht hat. Er wird uns aber auslachen, wenn wir ihm das sagen.

Dolores hielt sich nicht lange mit Gedanken über die Gräfin Schinga auf. Mit den vergehenden Spuren der Räder ihres Wagens verging auch ihr Anteil an dem Geschick dieser Frau, denn sie hatte genug zu thun mit den Geschäften des Falkenhofes, der Pflege der Musik und – mit sich selbst.

In ihrer Verstimmung erschien es ihr fast wie eine Erlösung, als sie plötzlich menschliche Stimmen hörte und unter einer Gruppe mächtiger Eichen die beiden Prinzessinnen, den Erbprinzen, Falkner und Keppler gewahrte. Prinz Emil ging ihr sogleich entgegen und bat um Erlaubnis, den heißen Nachmittag auf diesem kühlen Plätzchen verträumen zu dürfen, indem er zugleich um den Vorzug ihrer Gesellschaft bat.

»Es ist gut, daß Sie kommen,« sagte Prinzeß Alexandra herzlich, »denn es sollte eben eine Deputation abgeschickt werden, Sie zu holen.«

»Wir schwelgen in Natur und Poesie,« erklärte Keppler und deutete auf das Buch, das Falkner in der Hand hielt.

»Ponche romaine oder Gefrornes von Walderdbeeren wäre mir lieber,« sagte Prinzeß Lolo mit echter Backfischmiene. Alle lachten.

»Pfui, Lolo, wie prosaisch,« rief der Erbprinz entrüstet, »an Gefrornes zu denken, während wir Heine und Scheffel lesen.«

»O, ich wette, ihr alle denkt auch daran, nur daß ihr's nicht sagt,« entgegnete die kleine Durchlaucht.

»Prinzeß haben einem vortrefflichen Gedanken Worte gegeben,« meinte Dolores, »und wenn die Herrschaften mir erlauben, mich für einige Minuten zurückziehen zu dürfen, so will ich den Waldgeistern unser allgemeines Bedürfnis nach Gefrornem vortragen!«

Damit verschwand sie und ging nach dem Falkenhof zurück, um dort dem Koch Befehle zu erteilen. Auf dem Rückwege blieb sie an der Laube stehen, in welcher das Rußsche Ehepaar saß – er lesend, sie strickend, als hätte nie ein Engels ihre idyllische Ruhe getrübt.

»Die Herrschaften von Monrepos sind im Park,« sagte sie einfach, »vielleicht macht es Ihnen Vergnügen, auch ein wenig unter die Eichen zu kommen.«

»Danke – ich bin nicht courfähig,« erwiderte Frau Ruß bitter.

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, uns aufzufordern,« sagte der Doktor süß. »Vielleicht mache ich davon Gebrauch und komme nach!«

»Wie es Ihnen beliebt,« entgegnete Dolores und ging.

»Du wirst nicht gehen, Ruß,« rief die Doktorin heftig, als Dolores außer Gehörweite war.

»Doch, mein Engel – ich bin dazu entschlossen,« erwiderte er sehr sanft.

»Wie?« rief sie erregt und immer schneller strickend, »wie, du willst eine Gesellschaft aufsuchen, die mich ignoriert, mich, Alfreds Mutter? Bin ich in ihren Augen nicht hoffähig, so bist du's lange nicht.«

»Sehr richtig bemerkt von deinem Standpunkt aus, mein Herzchen,« sagte Ruß und schloß sorgsam sein Buch. »Ich von meinem point de vue aus bilde mir ein, daß die Herrschaften von Monrepos erst deine persönliche Bekanntschaft zu machen wünschen, ehe sie von dir Notiz nehmen können. Vielleicht ist deine Anschauung die richtige, aber ich werde so frei sein, nach der meinigen zu handeln!«

Auf diese Weise behielt der Doktor immer recht, ohne doch seiner Gattin unrecht zu geben.

Unter den Eichen hatte sich der kleine Kreis indes behaglich gruppiert, und Falkner nahm seine Lektüre wieder auf. Er hatte ein klangvolles, tiefes Organ und las mit Geschmack, und man lauschte aufmerksam dem waldesduftigen, hochpoetischen und mit köstlichem Humor wie mit einem frischen Hauch durchzogenen Gesange vom Trompeter von Säckingen.

Dolores hatte die Hände im Schoß gefaltet und den Blick gesenkt, sie war so tief in ihre Gedanken versunken, daß Jung Werners und Margaretas Geschichte fast ungehört an ihr Ohr klang. Und so sah sie's nicht, daß aller Blicke sich mit verschiedenem Ausdruck auf sie richteten. Zurückgelehnt in ihren niederen, tiefen Gartenstuhl und so placiert, daß man ihr niedliches Füßchen im Goldkäferschuh mit himmelhohen Talons bewundern konnte, saß Prinzeß Lolo und ließ ihre Augen mit seltsam forschendem Ausdruck von Falkner zu Dolores und zurück wandern. Neben ihr saß Prinz Emil, dessen Augen mit träumerischer Bewunderung immer wieder auf die Gestalt der Schloßherrin vom Falkenhof zurückkehrten, indes der wohlwollende Blick der Prinzeß Alexandra in ihren bleichen Zügen zu lesen suchte. Besorgnis und Liebe sprach aus den Augen Kepplers, dem kein Wechseln des Ausdruckes in den Zügen von Dolores entging, und jedesmal, wenn er eine Seite des Buches umwendete, suchte Falkners Blick das schöne, marmorgleiche Profil, das sich scharf von dem grünen Hintergrund der Blätter abhob.

Die Lektüre ward endlich durch das Nahen der Diener unterbrochen, die den Tisch unter den Eichen mit atlasschimmerndem Damasttuch deckten und ihn mit allem besetzten, was man gern an heißen Tagen genießt – Gefrornes, Erdbeeren aus Wald und Garten, Kirschen, die des Gärtners Stolz waren, kühle, dicke Sahne und für die Herren ponche romaine in kleinen Kelchgläsern.

»Nein, Baronin, wie glücklich sind Sie doch, alles das jeden Augenblick haben zu können! Bei uns giebt's nichts außer der Zeit,« sagte Prinzeß Lolo naiv, und zwängte eine dicke Gartenerdbeere mit Rahm übergossen in ihr kleines Mündchen.

Alle lachten.

»Durchlaucht sind also sehr leicht glücklich zu machen,« bemerkte Falkner.

Sie warf ihm einen bedeutsamen Blick zu.

»Es kommt darauf an, von wem!« sagte sie errötend.

»Nun natürlich nur von einem, der neben Gefrornem an Sommernachmittagen auch Diamanten und Perlen auf Ihren Lebenspfad streuen kann,« erwiderte Falkner leicht.

»Die Begriffe über Glück sind in der That verschieden,« meinte der Erbprinz lächelnd.

»Sehr,« sagte Dolores ebenso, »und der Mensch weiß es oft gar nicht, daß er glücklich ist. Prinzeß Eleonore hat mir mein Glück überhaupt erst klar gemacht.«

 
»Willst du in die Ferne schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah!
Lerne nur das Glück ergreifen,
Denn das Glück ist immer da!«
 

citierte Prinzeß Alexandra halb ernst, halb scherzend, und reichte dabei Dolores eine Schale mit Fruchteis.

»Es ist da, aber inkognito,« erwiderte Dolores. »Wie soll man es da erkennen, Durchlaucht?«

»Nichts leichter als das – bei Ihnen nennt es sich der Falkenhof,« rief Prinzeß Lolo und setzte in ihrer naiven Art hinzu: »Ach du lieber Himmel, was wäre ich selig, wenn ich solch' einen Besitz mein nennen könnte!«

»Man sehnt sich oft nach dem, was der andere hat,« bemerkte der Erbprinz.

»Und andere beneiden Durchlaucht wieder um Ihren Rang,« setzte Keppler hinzu.

»Ach, da ist etwas Rechtes zu beneiden,« rief die kleine Prinzeß verächtlich. »Ich weiß gar nicht, was die Leute Großes daran finden, wenn man eine apanagierte Prinzeß ist, die vielleicht einen apanagierten Prinzen findet und im besten Falle ihr Leben als Äbtissin eines gräßlichen Damenstiftes beschließt!«

»Nun, das brauchen Durchlaucht nicht zu fürchten,« sagte Keppler bedeutsam, während die anderen amüsiert lachten.

»Ich würde auch lieber einen Steineklopfer heiraten,« rief Prinzeß Lolo trotzig.

In diesem Augenblick kam Doktor Ruß wie en passant um eine Baumgruppe geschlendert, that einen Moment wie überrascht und zog dann mit Grazie den Hut zum Gruß. Daß sein Erscheinen im geeigneten Moment erfolgte, das hatte er wohl berechnet, und das Fernrohr, durch das er alle Bewegungen des Kreises unter den Eichen beobachtet hatte, verbarg sich jetzt wohlweislich in seiner Rocktasche.

Die Gegrüßten dankten, und der Erbprinz sagte zu Falkner gewendet:

»Doktor Ruß, vermutlich. Wollen Sie die Vorstellung übernehmen?«

Falkner kam mit nicht ganz freundlichem Gesicht dieser Aufforderung nach, und daß er es überhaupt mit guter Miene that, geschah nur seiner Mutter wegen, deren gesellschaftliche Stellung er durch nichts erschüttert sehen wollte.

Was Ruß lange gewünscht, war ihm jetzt endlich erfüllt – er saß inmitten des exklusiven Kreises von Monrepos und war sich wohl bewußt, daß seine stattliche, vornehme Persönlichkeit und seine feinen, weltmännischen Allüren den besten Eindruck nicht verfehlen konnten.

»Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Doktor,« sagte der Erbprinz lebhaft. »Ihre gediegene wissenschaftliche Bildung, und besonders das on dit, daß meine eigenen Studien bereits Ihr Interesse erregten, machten mir eine persönliche Begegnung besonders wünschenswert.«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 mayıs 2017
Hacim:
270 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band.
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Die Falkner vom Falkenhof. Zweiter Band.
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