Kitabı oku: «Affektivität und Mehrsprachigkeit», sayfa 2
Jenseits von langue und parole: Für eine Pragmatik der Mehrsprachigkeit
Besonders eindringlich hat Jacques DerridaDerrida, Jacques die Vorstellung einer einheitlichen Sprache zurückgewiesen und in seinem Essay Le monolingualisme de l’autre ou la prothèse d’origine (1996) die These vertreten, dass die Muttersprache niemals zum eigenen Besitz werden könne, weil sie immer eine Spur des Anderen, des Fremden in sich trage: „Ich habe nur eine Sprache, und die ist nicht die meinige / die gehört nicht mir.“1 DerridaDerrida, Jacques verbindet mit der Muttersprache divergierende affektive Qualitäten wie Geborgenheit und Vertrautheit, aber auch Kultiviertheit und guten Geschmack, die die Ambivalenz im Fremdwerden der Muttersprache hervorheben. Dass die Muttersprache gleichsam zur Sprache der Mutter wird,2 dass sie aus vielfachen Gründen zu einer fremden Sprache wird, kann für literarische Mehrsprachigkeit als charakteristisch gelten.3 Das individuelle Fremdwerden der Muttersprache aus historischen und politischen Gründen, wie es in den folgenden Beiträgen anhand verschiedener Beispiele analysiert wird, ist jedenfalls systematisch vom nationalen Diskurs über die Muttersprache um 1800 abzugrenzen; ihre jeweiligen affektiven Besetzungen wären noch weiter zu untersuchen.
An dieser Stelle zeigt sich besonders deutlich, dass vom Diskurs über Sprache nicht umstandslos auf die soziale Praxis des Sprechens und Schreibens geschlossen werden kann.4 Umgekehrt gilt, dass einsprachige Praktiken die Konzeption von Mehrsprachigkeit bereichern können, indem sie das der Alltagswelt enthobene System der langue auf zweifache Weise neu perspektivieren. Weder Einsprachigkeit und Mehrsprachigkeit noch Diskurs und alltägliche Redevielfalt stehen einander einfach gegenüber; es kommt vielmehr darauf an, die ‚Anderssprachigkeit‘ (Arndt/Naguschewski/Stockhammer) der Mehrsprachigkeit hervorzuheben, die in der Differenz zur Einsprachigkeit nicht aufgeht, sondern in ihrer Pluralität gedacht werden muss.
Vor diesem Hintergrund erscheint es daher auch verfehlt, dem einheitlichen Sprachsystem und seinen Normen die Vorstellung einer anarchischen, regellosen und in jedem Falle subversiven Redevielfalt der Alltagswelt gegenüberzustellen. Damit würde die abstrakte Ebene der langue wieder nur mit der pragmatischen Ebene der parole kontrastiert und letztlich der Monolingualismus befördert: Das erkenntnistheoretische Privileg käme dann immer noch dem geschlossenen Systemcharakter der Sprache zu, während Mehrsprachigkeit als Abweichung von der Norm erschiene, wenn auch als eine Abweichung, die politisch oder ästhetisch prämiert wird. Eine solche Gegenüberstellung trägt zur Verklärung der Mehrsprachigkeit und einem einseitigen ‚Hype um Hybridität‘ bei, während sie soziale Differenzen weitgehend ausblendet.5 Dass beispielsweise die potentielle Erlernbarkeit einer allgemeinen, verbindlichen Norm eine Voraussetzung für demokratische Teilhabe ist und dass sprachliche Standardisierung Gleichheit ermöglichen kann, droht bei der bloßen Gegenüberstellung von Monolingualismus und Mehrsprachigkeit aus dem Blick zu geraten.
Um solchen Vereinfachungen entgegenzuwirken, ist es hilfreich, diejenigen Dimensionen der Sprache zum Ausgangspunkt zu machen, die quer zu Monolingualismus und Mehrsprachigkeit verlaufen. Die Betonung der Pragmatik in der Mehrsprachigkeitsphilologie geht in diese Richtung: Dass Sprache vollzogen wird, notwendig verkörpert und sozial ist, gilt nämlich sowohl für die monolinguale Norm als auch für Mehrsprachigkeit. Als soziale Praktiken können sie auf einer Ebene begriffen werden, ohne dass dabei Machteffekte nivelliert werden: Praktiken der Standardisierung, mit BachtinBachtin, Michail: die „zentripetalen Kräfte der Sprache“6, stehen mit mehrsprachigen Praktiken, den „zentrifugalen Kräften“7, in einem spannungsvollen, zuweilen hierarchischen Verhältnis – sprach- und sozialtheoretisch sind sie aber nicht auf zwei völlig verschiedenen Ebenen angesiedelt, wie der Gegensatz von langue und parole suggeriert.8 Eine ähnlich transversale Perspektive auf Sprache wird auch durch den Begriff der Affektivität befördert. Dass Sprache sinnlich und sozial ist und notwendigerweise auf irgendeine Weise verkörpert wird, kurz: dass sie eine eminent affektive Dimension hat, gilt für ihre mehrsprachige ebenso wie für einsprachige Artikulation. Der folgende Abschnitt ist dieser Dimension und ihrer theoretischen Konzeptualisierung gewidmet.
2 Die Perspektive der Affektivität
Sprache bringt Gefühle zum Ausdruck und ruft ebensolche hervor. Diese Feststellung ist keineswegs trivial, denn die „mitunter babylonisch anmutende diskursive Vielfalt“1 des historischen Affekt- und Emotionsdenkens stellt die Literaturwissenschaft vor erhebliche Herausforderungen, die die methodische und theoretische Heterogenität ihrer multidisziplinären Forschungsansätze noch verstärkt. Da sich der Emotionsbegriff Martin von Koppenfels und Cornelia Zumbusch zufolge gegenüber dem historisch älteren Begriff des Affekts durchgesetzt hat,2 firmiert das seit den 1990er Jahren (wieder-)erwachte Interesse der Literaturwissenschaft an Gefühlen, ihrer sprachlichen Thematisierung und Präsentation, Produktion und Rezeption, unter dem Schlagwort eines emotional turn.3
Emotional turn
Gegenüber den älteren, autorzentrierten Verfahren der hermeneutischen Einfühlung war es Konsens der literaturwissenschaftlichen Theoriebildung im Zeichen von Strukturalismus und Poststrukturalismus, dass sich Gefühle stets vermittelt artikulieren und historisch geprägt sind. So ist die Aufwertung des emotiven Gehalts der Literatur durch diskursanalytische Ansätze allererst ermöglicht worden, indem sie einen intersubjektiv nachvollziehbaren Zugang zu literarischen Konstruktionen von Gefühlen und Emotionen eröffnet haben. Gleichzeitig wurden in der literaturwissenschaftlichen Emotionsforschung zunehmend empirisch orientierte, psychologische und neurowissenschaftliche Ansätze relevant.1 Die wirkungsmächtigen Entwicklungen der neuro- und kognitionswissenschaftlichen Forschungen haben nicht nur in einer ganzen Reihe von Disziplinen, sondern auch in der breiteren Öffentlichkeit zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema der Emotionen beigetragen und eine Infragestellung der Dichotomie von Rationalität und Gefühl unterstützt.2 Als neue Leitdisziplinen der Emotionsforschung haben sie aber auch von verschiedenen Seiten Widerspruch hervorgerufen.3
Sigrid Weigel hat sich mit der „Renaissance der Gefühle in den gegenwärtigen Neurowissenschaften“ befasst und dabei aus kulturwissenschaftlicher Sicht bedenkenswerte Einwände formuliert, die insbesondere der Sprach- und Geschichtsvergessenheit der Neurowissenschaften gelten.4 Die Frage, um was es sich bei der „Entdeckung der Gefühle“ durch die Hirnforschung eigentlich handele, stellt sich ihr geradezu als ein Problem der Mehrsprachigkeit, sprich: „der Termini und ihrer Übersetzungen zwischen verschiedenen Registern (Fachsprachen und Nationalsprachen), als Problem der Begriffs- und Wissenschaftsgeschichte dessen, was dabei mit dem Wort Gefühl benannt wird, aber auch als Frage nach der Rolle der Sprache für die Gefühle, genauer für die Übersetzung psycho-physischer Vorgänge in kulturell codierte und symbolische Bedeutungen, oder anders gesagt, der Schwelle zwischen soma und sema.“5
Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive ist der Rekurs auf neurowissenschaftliche Ansätze auch deshalb problematisch, weil damit zumeist die Vorstellung verknüpft ist, Emotionen seien universale, kulturübergreifende, anthropologische Konstanten. Gerade mit Blick auf die mehrsprachige (Gegenwarts-)Literatur ist jedoch deren soziokulturelle Bedingtheit und historische Variabilität hervorzuheben. Exemplarisch für diese kulturwissenschaftliche Perspektive halten Daniela Hammer-Tugendhat und Christina Lutter grundlegend fest: „Emotionen sind immer nur über Sprache und andere Formen kultureller Repräsentationen ausdrückbar und vermittelbar […], wie sie ihrerseits durch Sprache und Repräsentationen (Codes) geformt werden. […] Emotionen sind immer nur näherungsweise bzw. ‚übersetzt‘ zugänglich und können nicht von ihrer kulturell geformten Vermittlung abgelöst werden.“6 Für die germanistische Literaturwissenschaft ist besonders die Studie von Simone Winko hervorzuheben, die Emotionen als einen „eigenständigen Kode“ begreift, der „zugleich selbst kulturell kodiert ist“7. Winko unterscheidet in ihrer Analyse lyrischer und poetologischer Texte um 1900 zwischen der Thematisierung von Emotionen und der Präsentation von impliziten Emotionen: Mit dem Begriff der Thematisierung werden Propositionen in einem Text bezeichnet, „die sich auf Emotionen beziehen und die meist explizit formuliert, oftmals aber auch nur umschrieben werden“8. Unter Präsentation hingegen versteht Winko die „sprachliche Gestaltung von Emotionen“, also sprachliche Bezugnahmen auf Emotionen, die „keine Propositionen über Emotionen, sondern die Emotionen selbst“9 vermitteln. Mit ihrer Ausarbeitung eines systematischen Beschreibungs- und Analyseinstrumentariums hat Winko für die literaturwissenschaftliche Emotionsforschung Ähnliches geleistet wie RadaelliRadaelli, Giulia für die Mehrsprachigkeitsforschung.10
Wie diese kurzen Schlaglichter deutlich machen sollten, hat sich die germanistische und kulturwissenschaftliche Forschung im deutschsprachigen Raum mit dem Thema Emotionen in den letzten Jahren intensiv befasst. Diese Auseinandersetzung stand – zusätzlich motiviert durch die neurowissenschaftliche Konjunktur des Themas – in einem zeichentheoretischen Rahmen: Sie zielt vornehmlich auf die historische Genese sowie die Vermitteltheit von Emotionen und ihre Kontingenz.
Affective turn
Der Begriff der Affektivität, wie er im Titel des vorliegenden Bands auftaucht, ist gegenüber dieser Forschungslinie durchaus anders konturiert: Inspiriert von den englischsprachigen affect studies, die in der Germanistik bislang kaum rezipiert wurden, soll mit ihm eine spezifische Perspektive auf Gefühle, Emotionen und Affekte zum Ausdruck gebracht werden, die über den kultursemiotischen Zugang hinausweist. Für die Unterscheidung von Emotions- und Affektforschung heißt das: Nicht der Text- und Zeichencharakter von Emotionen steht im Vordergrund der Analysen, sondern die Affektivität der Zeichen und Texte selbst, die sich in sprachlichen Bildern, im Klang, in der Schrift oder im Satzbau zeigen. In Abgrenzung zum heute geläufigen Begriff von Affekt als „Bezeichnung für starke Regungen“, mit einer „klare[n] Bedeutungstendenz in Richtung des emotional Negativen“1, geht diese Perspektive auf ein grundlegend relationales Verständnis von Affekten und Emotionen zurück.
Eingeleitet wurde diese neuere Diskussion des Affektbegriffs durch zwei programmatische Aufsätze aus dem Jahr 1995: Zum einen „Shame in the Cybernetic Fold“2 von Eve Kosofsky SedgwickSedgwick, Eve Kosofsky und Adam FrankFrank, Adam sowie zum anderen „The Autonomy of Affect“3 von Brian MassumiMassumi, Brian. Während erstere das Anliegen verfolgen, die Affekttheorie des amerikanischen Psychologen Silvan TomkinsTomkins, Silvan in die humanities einzuführen und sich dabei dezidiert gegen deren habitualisierten Anti-Biologismus richten, greift letzterer auf eine durch SpinozaSpinoza, Baruch de und DeleuzeDeleuze, Gilles inspirierte Denktradition zurück, um ‚Affekt‘ von ‚Emotion‘ zu unterscheiden. In Massumis Vorstellung folgen Affekte und Emotionen „different logics and pertain to different orders“4. MassumiMassumi, Brian begreift den Affekt als präreflexive, vor- oder über-individuelle, nicht-sprachlich strukturierte („not semantically or semiotically ordered“5) Intensität, die eine gewisse Autonomie besitzt und nie restlos in kulturellen Codes und Bedeutungen aufgehen kann. Emotionen sind MassumiMassumi, Brian zufolge als „unvollständige[r] Ausdruck eines Affekts“6 zu verstehen. Das heißt, Emotionen sind Affekten stets nachgelagert. Die Emotion ist das Ergebnis einer Transformation: Sie ist gewissermaßen der Affekt im Aggregatzustand seiner Bändigung („capture“).
Als ein weiterer Schritt in der Formierung des Feldes kann The Affect Theory Reader gelten, der 2010 von Gregory J. SeigworthSeigworth, Gregory J. und Melissa GreggGregg, Melissa herausgegeben wurde und wichtige Vertreterinnen und Vertreter dieser neuen Forschungsrichtung versammelt: Sara AhmedAhmed, Sara, Lauren BerlantBerlant, Lauren, Patricia T. CloughClough, Patricia T., Anna GibbsGibbs, Anna, Lawrence GrossbergGrossberg, Lawrence, Kathleen StewartStewart, Kathleen, Nigel ThriftThrift, Nigel – um nur einige zu nennen. Seigworth und Gregg versuchen in ihrer eher essayistischen Einleitung ihr Anliegen zu formulieren. In Form einer Aufzählung rekapitulieren sie die immense Bandbreite des schillernden Affekt-Begriffs und seiner verschiedenen Bestimmungen als „excess, as autonomous, as impersonal, as the ineffable, as the ongoingness of process, as pedagogic-aesthetic, as virtual, as shareable (mimetic), as sticky, as collective, as contingency, as threshold or conversion point, as immanence of potential (futurity), as the open, as a vibrant incoherence that circulates about zones of cliché and convention, as the gathering place of accumulative dispositions“7. Die Liste verdeutlicht, dass sich unter der Bezeichnung affect studies heterogene Konzepte versammeln, die kein kohärentes Gesamtbild erzeugen. Welches „Versprechen“8, um im emphatischen Duktus des Affect Theory Readers zu bleiben, hält der Affekt-Begriff also für die Literaturwissenschaft bereit?
Autorinnen wie Sara AhmedAhmed, Sara oder Lauren BerlantBerlant, Lauren unterziehen in ihren Studien die Idee des Glücks oder des sogenannten ‚guten Lebens‘ einer kulturwissenschaftlichen Analyse und erhellen ihre Verwobenheit mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen und heteronormativen Strukturen.9 Ann CvetkovichCvetkovich, Ann befasst sich mit Emotionen wie Depression und „feeling bad“ und macht dabei das Politische im vermeintlich Privaten sichtbar.10 Dem transformativen Potenzial affektiver Dissonanz geht das Konzept der „affektiven Solidarität“ (affective solidarity) von Clare Hemmings nach.11 Das Konzept des belonging thematisiert die emotionale Dimension von Zugehörigkeiten im Kontext von transkultureller Mobilität und globalen Migrationsprozessen.12 Eine ganze Reihe von Untersuchungen widmet sich der Rolle von Emotionen und Affekten in der Arbeitswelt des gegenwärtigen Kapitalismus: angefangen vom Konzept der affective labour, wie es Michael HardtHardt, Michael und Antonio NegriNegri, Antonio entworfen haben, über Melissa GreggsGregg, Melissa Buch Work’s Intimacy (2011) und die Studie Affektives Kapital (2016) von Otto Penz und Birgit Sauer bis hin zu Rainer Mühlhoffs Dissertationsschrift Immersive Macht (2018).13 Diese Beispiele illustrieren die gesellschaftskritische Reichweite des Affekt-Begriffs und sie zeigen zudem, dass weite Teile der affect studies aus der feministischen Theoriebildung hervorgegangen sind.14 Vor dem Hintergrund der poststrukturalistisch dominierten Debatte um die primär diskursive Konstruktion von Geschlecht bietet der Affektbegriff eine neue Perspektive, die die soziale und historische Bedingtheit von Geschlecht (wieder) mit Fragen nach seiner Materialität und Körperlichkeit verbinden kann. Die von DeleuzeDeleuze, Gilles und MassumiMassumi, Brian geprägte Unterscheidung von unmittelbarem Affekt und diskursiven Emotionen wird in diesem Kontext daher häufig hinterfragt oder gänzlich zurückgewiesen. So unterscheidet Ahmed etwa bewusst nicht zwischen beiden Begriffen, sondern geht im Anschluss an postkoloniale Theorie und Phänomenologie von einem kontinuierlichen Verhältnis aus. Affekt versteht sie als eine Dynamik, die Körper auf bestimmte Weise orientiert und den historischen Macht- und Herrschaftsverhältnissen entsprechend ungleich wirksam ist; stets werden „some bodies more than others“15 affiziert.
Die Schlaglichter auf die neuere Affektforschung verdeutlichen aber auch, dass nur wenige Arbeiten aus dem Bereich der affect studies explizit der Frage sprachlicher bzw. literarischer Affektivität nachgehen. Fokussiert wird vielmehr auf jene Dimensionen des Sozialen, die sich sprachlicher Repräsentation entziehen. Zumindest in ihren Anfängen haben die affect studies Sprache und Affekt als Gegensätze konzeptualisiert und sich damit gegen die dominante Vorstellung der rein diskursiven Konstruktion von Identität und Kultur gewandt. Affekte, so die Behauptung, „do not operate through the structures of language, discourse and meaning“16. Mit ihr ging allerdings eine erhebliche Vereinfachung einher, denn im ‚Jenseits der Sprache’ wurde affect nicht selten zu einem „magical term“17, der aus dem ‚postmodernen Zeichenwald‘ herausführen sollte und – maßgeblich an Gilles DeleuzeDeleuze, Gilles und Félix GuattariGuattari, Félix anschließend – die Produktivität von Intensitäten und forces of encounter betonte. Sprache läuft demgegenüber immer Gefahr, auf ihre zeichenhaften und semantisch bedeutenden Aspekte reduziert zu werden. Die problematische Annahme einer „Sprachunabhängigkeit der Affekte“18, deren historischer Genese Weigel nachgeht, wird damit von den affect studies teilweise selbst fortgeschrieben. Dies gilt auch für den performativ selbstwidersprüchlichen, rhetorischen Topos der Unsagbarkeit: Affektstudien kommunizieren (angeblich) Nicht-Kommunizierbares, versuchen aber im Medium der Sprache, Nicht-, Vor- oder Außersprachliches zu vermitteln.19
Affect Studies und germanistische Emotionsforschung: Für ein Denken in Relationen
Affekttheoretische Ansätze und germanistische Emotionsforschung scheinen vor diesem Hintergrund zunächst schwer vereinbar zu sein: Ein erster Grund hierfür liegt in der Aufmerksamkeit der affect studies für Phänomene jenseits der Reichweite des linguistic turns. Die Betonung der Materialität und Körperlichkeit von Affektivität ist eine Herausforderung, für die die poststrukturalistisch-semiotisch geprägte Germanistik nicht gut ausgerüstet ist.
Ein zweiter Grund resultiert aus der Sprachskepsis seitens der affect studies, deren Entstehung vor dem Hintergrund des Überdrusses an „theories of signification“1 zu sehen ist und damit gewissermaßen selbst affektiv motiviert ist. Dass Sprache relational ist, dass sie auch in ihrer Repräsentationsfunktion affektive Bewegungen vollzieht und in Gestalt von Klang und Schrift2 über eine ihr eigene Materialität und Körperlichkeit verfügt, rückt damit aus dem theoretischen Horizont der Debatte. In diesem Kontext ist auch die Unterscheidung zwischen Affekt und Emotion in den affect studies zu situieren. Auf der einen Seite wird mit dem Affekt die Dynamik, Intensität und Unvorhersehbarkeit des Augenblicks gefasst, der sich der Versprachlichung entzieht. Dem ist die Emotion entgegengesetzt, die eine Überführung dieser Intensität in geregelte, normierte diskursive Bahnen bedeutet. Dass eine solche Konzeptualisierung die Literaturwissenschaft vor methodologische Schwierigkeiten stellt und den Weg zu ihrem sprachlich konstituierten Gegenstand eher verstellt als ebnet, kann kaum verwundern. Es handelt sich um eine wechselseitige Rezeptionssperre, die dazu geführt hat, dass eine größere Auseinandersetzung mit den affect studies in der Germanistik bislang ausgeblieben ist. Die Frage nach dem Verhältnis von Affektivität und Sprache bzw. Mehrsprachigkeit überhaupt zu stellen, bedeutet vor diesem Hintergrund eine zweifache Herausforderung: Weder soll Affektivität als vor-diskursives Geschehen, als ein, wie kritische Stimmen monieren, „homogenisierte[s] Auffanglager für alles Nicht-Sagbare begriffen werden“3, noch ist es wünschenswert, hinter die Einsichten in die kulturelle und soziale Prägung, Codierung und mediale Vermitteltheit von Emotionen und Gefühlen zurückzufallen.
Vielmehr soll zum einen der Impuls aufgenommen und nach der Affektivität und Materialität sprachlicher Vollzüge gefragt werden. In diesem Sinne meint der Begriff der Affektivität eine fundamentale Dimension der Sprache. Damit vollzieht er durchaus eine ähnliche Denkbewegung wie der oben skizzierte Mehrsprachigkeitsbegriff: Affektivität und Mehrsprachigkeit fokussieren nicht so sehr distinkte, isolierbare Affekte oder Sprachen, sondern das relationale und immer schon plurale Sprachgeschehen selbst. Zum anderen gilt es, für die historische Bedingtheit und Strukturiertheit dieser Vollzüge sensibel zu bleiben und das Projekt einer literaturwissenschaftlichen Geschichte der Gefühle voranzutreiben. Vor diesem Hintergrund können auch einzelne Affekte und Emotionen wie beispielsweise Hass oder Schmerz als Verdichtungen und Konkretisierungen eines notorisch diffusen Geschehens begriffen werden, die spezifische Formen der mehrsprachigen Artikulation involvieren.4
Im Sinne einer solchen Verbindung von affect studies und literaturgeschichtlich orientierter Emotionsforschung soll abschließend ein gemeinsamer Grundzug herausgestellt werden, der weitere Theorie- und Forschungsperspektiven eröffnen könnte: das Denken in Relationen, d.h. das Denken von dynamischen Wechselverhältnissen. Ihm zufolge werden Materialitäten und Zeichen durch ihre vielfachen Beziehungen allererst hervorgebracht, statt ihnen vorauszugehen.
So steht die Relationalität der Zeichen im Zentrum der diskurswissenschaftlichen Methode; ihr anti-essentialistischer Impetus erlaubt es, Gefühle und Emotionen jenseits der Einfühlungshermeneutik auf einer überindividuellen Ebene zu untersuchen. Auch die affect studies verorten Emotionen und Affekte nicht im Inneren eines Individuums. Sie begreifen Emotionen und Affekte weder als Zuständlichkeit oder Befindlichkeit noch als Besitz oder Eigenschaft eines Subjekts, sondern als ein Geschehen, das sich in sozialen Räumen zwischen „Körpern jeglicher Art“5 abspielt und sie mithervorbringt. Damit verlagert sich der Akzent von der Betonung der zeichentheoretischen Differenz zur Betonung von materiell-körperlichen Wechsel- und Wirkverhältnissen.
Sprache ist davon nicht ausgeschlossen, im Gegenteil: Im „gesellschaftlichen Leben des Wortes“, so lässt sich im Anschluss an BachtinsBachtin, Michail Überlegungen zur Redevielfalt und gegen die sprachskeptischen Teile der affect studies argumentieren, affizieren Wörter einander gegenseitig und bilden dabei Obertöne und Resonanzen. In diesem relationalen Kräftefeld gewinnen sie ihre Bedeutung und Kontur. Die Rede ebenso wie das einzelne Wort steht damit immer in einer Pluralität von Beziehungen; auch das einzelne Wort ist konstitutiv mehrstimmig.
Wie im Abschnitt zur Mehrsprachigkeit bereits angedeutet, präfiguriert BachtinBachtin, Michail damit einen Perspektivwechsel, der für die Philologie der Mehrsprachigkeit zentral ist: Mehrsprachigkeit und Mehrstimmigkeit werden nicht als Abweichung, sondern die einsprachige Norm als eine historisch besonders wirkmächtige Konfiguration begriffen; allerdings eine, die neben und im Widerstreit mit anderen steht und damit selbst Teil einer pluralen Sprachwirklichkeit ist. Im Lichte der affect studies lässt sich Bachtin als ein Theoretiker der affektiven Relationalität der Literatur neu lesen. Jenseits des Stichworts der Intertextualität rückt die agonale Beziehungsdynamik der Sprache, die seiner Theorie zugrunde liegt, in den Fokus – und damit auch die klangliche und sinnlich-materielle Dimension literarischer Sprache. Bachtin kann sich in diesem Sinne als ein Schlüssel unter anderen erweisen, um die vielfältigen Formen und Ausgestaltungen des Verhältnisses von Affektivität und Mehrsprachigkeit zu untersuchen.