Kitabı oku: «Affektivität und Mehrsprachigkeit», sayfa 5

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2 Exkurs: Die Kulturpolitik der langue-Linguistik

Spätestens an dieser Stelle ist ein Einspruch fällig. Denn wenn es in der derzeitigen Forschung zur literarischen Mehrsprachigkeit eine Art „transzendentales Abschlusssignifikat“ (Georg Stanitzek) gibt, auf das alle Deutungen zulaufen, dann ist es immer die Behauptung, die jeweils behandelten Beispiele stellten eine Subversion des Einsprachigkeitsparadigmas dar.1 Ich möchte dafür plädieren, hier genauer hinzusehen. Denn es macht nicht nur einen gewaltigen Unterschied, wer wann und wo das Einsprachigkeitsparadigma zu unterlaufen versucht, sondern auch, wie genau dies geschieht. Es gibt sehr viele Formen literarischer Mehrsprachigkeit, und sie stehen in sehr vielen unterschiedlichen Verhältnissen zu den kulturpolitischen Programmen, denen die Texte, in denen man sie findet, womöglich folgen. Um diese Vielfalt in den Blick zu bekommen, muss man umstellen – und zwar von Einzelsprachphilologie, die davon ausgeht, dass Texte normalerweise in einer Sprache geschrieben sind, auf Mehrsprachigkeitsphilologie, die im Gegenteil davon ausgeht, dass es in jedem Text eine gewisse Bandbreite sprachlicher Vielfalt zu entdecken und zu deuten gibt. Nur dann kann man erkennen, dass literarische Mehrsprachigkeit sich keineswegs gleichbleibt.2

Ich werde das mögliche Vorgehen einer solchen Mehrsprachigkeitsphilologie im Folgenden am Umgang mit einigen der eher mehrsprachigen Texte des Zürcher Dada illustrieren. Bevor ich dies tue, möchte ich aber zur Schärfung des Arguments noch etwas mehr Kontext bieten – eben dazu dient mein Seitenblick auf das Geschehen in Genf. Denn auch SaussureSaussure, Ferdinand des Unternehmen verhält sich ambivalent zur Semantik von Mutter- und Nationalsprache. Dabei besteht ein charakteristischer Unterschied zwischen der Argumentation, die man aus SaussureSaussure, Ferdinand des Notizen rekonstruieren kann, und derjenigen, welche die Herausgeber des Cours aus Vorlesungsmitschriften fabriziert haben.3

Die Notizen und den Cours eint die Ablehnung eines organologischen Modells von Sprache.4 Hatte die sprachhistorische Tradition des 19. Jahrhunderts die Einzelsprachen als Quasi-Organismen bestimmt, deren Wandel sich ebenso problemlos wie unmittelbar beschreiben ließ, so sahen SaussureSaussure, Ferdinand de und seine Erben ein, dass die ‚Tatsachen‘ der Sprache niemals schlicht gegeben sind und dass jede Analogie zu organischen Vorgängen verfehlt ist.5 Aus dieser Einsicht aber schlussfolgerten sie, wie insbesondere Ludwig Jäger nicht müde geworden ist zu betonen, sehr unterschiedliche Dinge.

SaussureSaussure, Ferdinand des Notizen drehen sich zu einem großen Teil um die Frage, wie Sprache überhaupt beschrieben werden kann. Problematisch erscheint ihm unter anderem, dass zwar einerseits der Sprachwandel, dem sich der Großteil der Sprachforschung des 19. Jahrhunderts gewidmet hatte, erklären kann, woraus sich gegebene Sprachstrukturen entwickelt haben; dass andererseits aber diese ‚Erklärung‘ nichts darüber aussagt, wie wirkliche Sprecher mit ‚ihrer‘ Sprache umgehen.6 Die Beschreibung des Zustands (status) der Sprache hat so betrachtet mit der Beschreibung der Geschichte der Sprache (motus) nichts zu tun, obwohl die Möglichkeitsbedingungen des Sprechens, die im status zu suchen sind, und die Sprachgeschichte zugleich wechselseitig aufeinander bezogen sind.7 Wenn SaussureSaussure, Ferdinand de betont, in historischer Perspektive sei keinesfalls ein wie auch immer natürliches Wachstum, sondern in erster Linie der schiere Zufall die treibende Kraft, so liegt das daran, dass er gerade das Sprechen (parole) in seiner jeweiligen situativen Spezifik für den Sprachwandel verantwortlich macht:8 Das Sprechen greift zwar auf la langue als Bedingung seiner Möglichkeit zurück, ist aber zugleich selbst Bedingung der Möglichkeit für deren Reproduktion9 und kann sie jederzeit verändern – ohne dass die Sprecher dies wiederum jemals planen könnten.10 Die Einheit der Sprache erweist sich damit als paradoxe Gleichzeitigkeit von Kontinuität und Diskontinuität:11 Weil man immer weiter spricht, verändert sich die Sprache. Sprache ist zu ihrer Fortsetzung dauernd auf „Identitätsurteil[e]“12 der Sprecherinnen angewiesen, die (synchron) auf ein Gegebenes verweisen, das sie zugleich (diachron) womöglich modifizieren.

Der Cours hat diese Argumentation – laut Jäger: in grober Verfälschung des ‚echten‘ SaussureSaussure, Ferdinand de – in ein äußerst erfolgreiches Beschreibungsmodell von Sprache umgebaut.13 Ist es in den Notizen eine Eigenschaft der Sprache selbst, dass sie an jeder Stelle zugleich auf die diachrone und die synchrone Dimension bezogen ist – es heißt etwa, die „Natur der Sprache“ sei „von Grund auf doppelt“14 –, werden diese beiden Dimensionen im Cours zu bloßen Perspektiven, die der Sprachforscher auf seinen Gegenstand werfen kann.15 Natürlich findet sich auch in den Notizen die Behauptung, die Sprachwissenschaft zerfalle notwendig in zwei Disziplinen;16 für den SaussureSaussure, Ferdinand de der Notizen geht es aber eher darum, dass aus Einsichten in die Synchronie nichts für die Diachronie folgen darf – und vor allem nicht umgekehrt. Der SaussureSaussure, Ferdinand de der Notizen ist sich durchgängig bewusst, dass die unterschiedliche Bestimmung der sprachlichen Tatsachen nach synchroner bzw. diachroner Perspektive ein „Nachdenken über eine Grundlage“17 erforderlich macht. Das heißt: Man darf nicht davon ausgehen, dass der ‚eine‘ Gegenstand langue unproblematisch aus zwei Perspektiven betrachtet werden könne, wie es die auf den Cours zurückgehende Linguistik tut – wäre dies möglich, so der SaussureSaussure, Ferdinand de der Notizen, so wäre die Linguistik „eine ziemlich einfache Wissenschaft“18. Dennoch konstituieren diese beiden Perspektiven aber auch nicht schlicht zwei unterschiedliche Gegenstände. Die langue bleibt eine durch und durch paradoxale Bezugsgröße.

Entsprechend ist für den SaussureSaussure, Ferdinand de der Notizen la langue als Gegenstand der synchronen Sprachwissenschaft keinesfalls einfach zu beobachten: Sie hat als soziale Tatsache keinen festen Ort, an dem sie auffindbar wäre.19 Sie muss zwar durchgängig als konkret wirksam, als soziale Tatsache vorgestellt werden, ist aber dennoch nur durch die Herauslösung aus dem sozialen Zusammenhang zu erschließen.20 Diese Einsicht SaussureSaussure, Ferdinand des wird in der Bearbeitung der Vorlesungsmitschriften durch Bally und Sechehaye überdeckt. Vor allem aber hat die auf dem Cours aufbauende Linguistik das Problem, das sich daraus ergibt, weitgehend ausgeblendet, indem sie den Begriff der langue in erster Linie auf Einzelsprachen bezogen und diese wiederum als ‚abgelöst‘ von jeder soziokulturellen und historischen Bindung betrachtet hat. Der SaussureSaussure, Ferdinand de der Notizen spricht aber nicht zufällig durchgängig von la langue – und eben nicht von une langue oder von langues im Plural.21 Er denkt keinesfalls daran, der synchronen Sprachwissenschaft die Aufgabe zu geben, auf der Grundlage entweder von Korpusanalysen oder von muttersprachlicher Introspektion die unterschiedlichen langues jeweils ‚an und für sich‘ zu rekonstruieren, die Sprecherinnen benutzen, um einzelsprachige parole zu produzieren.22 Eher hätte la langue, auf SaussureSaussure, Ferdinand des Notizen aufbauend, auch als etwas Nicht-Einsprachiges gedacht werden können, etwa so, wie sich Jacques DerridaDerrida, Jacques die „Einsprachigkeit des Anderen“ vorstellt – als singuläre, aber in sich vielgestaltige Sprachfähigkeit des Einzelnen (in diesem Sinne: „Einsprachigkeit …“), die zugleich vollständig auf die Einflussnahme der sehr unterschiedlichen Sprechweisen vieler anderer Sprecher zurückgeht (in diesem Sinne: „… des Anderen“23).

SaussureSaussure, Ferdinand des skrupulöses Nachdenken über die Doppelstruktur der Sprache fällt im Cours dem Willen zur Etablierung der Disziplin zum Opfer. Die Einsicht in die unhintergehbare Komplexität des jederzeit wandelbaren, sich selbst stabilisierenden Geschehens ‚Sprache‘ führt zwar zur Verabschiedung des organologischen Modells der vormaligen historischen Sprachwissenschaft, nicht aber zur Verabschiedung des Narrativs Muttersprache. Im Gegenteil: Die Muttersprache ist der feste Grund, auf den sich die langue-Linguistik problemlos beziehen zu können glaubt – gleich, ob dies durch die Beobachtung von Sprechern oder durch die Introspektion muttersprachlicher Linguisten selbst geschieht. Das heißt aber: Ihren Status als Wissenschaft erkauft sich die langue-Linguistik durch das Absehen von der dada-Muttersprache, also der im Ausprobieren von Identitätsurteilen stets neu Bedeutung produzierenden sozialen Tatsache ‚Sprache‘. Sie vollzieht damit einen Akt der Ausblendung, der demjenigen stark ähnelt, auf dem die Semantik der Muttersprache aufruht. Die langue-Linguistik ist, sprachpolitisch betrachtet, ganz wesentlich Disziplinierung: Sie legt die Völker auf ihre Sprachen fest und ist damit in einem basalen Sinn ein koloniales Projekt.24 Der originale SaussureSaussure, Ferdinand de hingegen steht fasziniert vor dem von der langue-Linguistik ausgeblendeten vor-sprachigen Geschehen und möchte es, als die eigentliche Quelle sprachlicher Kreativität, sichtbar machen und begreifen.25 Er ist damit eine Art unbewusster und unerkannter theoretischer Wegbereiter von Dada – denn Dada geht es darum, diese Quelle sprudeln zu lassen.

3 Dada als mehr Sprachigkeit

Nun also endlich zu diesen Quellen. Meine Auswahl trifft drei relative bekannte Gedichte, die allesamt der Anfangsphase von Dada Zürich entstammen. Und ich beginne mit dem Simultangedicht „L’amiral cherche une maison à louer“1 („Der Admiral sucht ein Haus zur Miete“) von Richard HuelsenbeckHuelsenbeck, Richard, Marcel JancoJanco, Marcel und Tristan TzaraTzara, Tristan, das für den gleichzeitigen Vortrag in drei Sprachen, Deutsch, Englisch und Französisch, geschrieben wurde und am 31. März 1916 seine Uraufführung erlebte. Die ‚Partitur‘ des Gedichts wurde in der Zeitschrift Cabaret Voltaire vom Juni 1916 abgedruckt:2


Abb. 1

Etwas leichter zu lesen ist der Text, wenn man ihn nach Einzelstimmen umschreibt (wobei im Folgenden das „intermède rythmique“ („rhythmisches Zwischenspiel“) weggelassen ist):

HUELSENBECKHuelsenbeck, Richard Ahoi ahoi Des Admirals gewirktes Beinkleid schnell zerfällt Teerpappe macht Rawagen in der Nacht und der Conciergenbäuche Klapperschlangengrün sind milde ach verzerrt in der Natur chrza prrrza chrrrza prrrza chrrrza prrrza Wer suchet dem wird aufgetan Der Ceylonlöwe ist kein Schwan Wer Wasser braucht find […] im Kloset zumeistens was er nötig hätt ahoi iuché ahoi iuché Find was er nötig hätt O süss gequollnes Stelldichein des Admirals im Abendschein uru uru uro uru uru uro uru uru uru uro pataclan patablan pataplan uri uri uro Der Affe brüllt die Seekuh bellt im Lindenbaum der Schräg zerschellt taratata taratata tatatata in Joschiwara dröhnt der Brand und knallt mit schnellen Peitschen um die Lenden Im Schlafsack gröhlt der alte Oberpriester und zeigt der Schenkel volle Tastatur L’amiral a rien trouvé

JANCOJanco, Marcel, chant Where the honny suckle wine twines itself arround the door a swetheart mine is waiting patiently for me I can hear the weopour will arround arround the hill my great room is mine admirabily confortably Grandmother said I love the ladies […] I love the ladies I love to be among the girls and when it’s five o’clock and tea is set I like to have my tea with some brunet shai shai shai shai shai shai shai shai Every body is doing it doing it doing it Every body is doing it doing it see that ragtime coupple over there see that throw there shoulders in the air She said the raising her heart oh dwelling oh oh yes yes yes yes yes yes yes yes yes yes yes oh yes oh yes oh yes oh yes yes yes oh yes sir L’amiral a rien trouvé

TZARATzara, Tristan Boum boum boum Il déshabilla sa chair quand les grenouilles humides commencèrent a brûler j’ai mis le cheval dans l’âme du serpent à Bucarest on dépendera mes amis dorénavant et c’est très intéressant les griffes des morsures équatorial Dimanche: deux éléphants Journal de Genève au restaurant Le télégraphist assassine […] la concièrge qui m’a trompé ella a vendu l’appartement que j’avais loué Dans l’eglise après la messe le pécheur dit à la comtesse: Adieu Mathilde Le train traine la fumée comme la fuite de l’animal blessé aux intestins ecrasés Autour du phare tourne l’auréole des oiseaux bleuillis en moitiés de lumière visant la distance des batteaux Tandis que les archanges chient et les oiseaux tombent Oh! mon cher c’est si difficile La rue s’enfuit avec mon bagage à travers la ville Un métro mèle son cinéma la prore de je vous adore etait au casino du sycomore L’amiral a rien trouvé

Wie wird hier Mehrsprachigkeit genutzt, bzw. genauer: Was ist das kulturpolitische Programm dieses Gedichts? Es ist nicht ganz einfach, das abzuschätzen, man muss, angesichts der fehlenden offenkundigen Kohärenz der Darstellung, auf Spurensuche gehen. Sowohl der Titel als auch die von allen drei Sprechern zugleich und auf Französisch ausgesprochene Schlussformel „L’amiral a rien trouvé“ („Der Admiral hat nichts gefunden“) weisen darauf hin, dass es durchaus so etwas wie eine Geschichte gibt: Der Admiral sucht ein Haus zur Miete, hat aber bis zum Schluss nichts gefunden. Den Grund teilt womöglich die französische Stimme mit: „Le télégraphist assassine la concièrge qui m’a trompé ella a vendu l’appartement que j’avais loué“ („Der Telegraphist hat die Concièrge umgebracht, die mich betrogen hatte; sie hat die Wohnung verkauft, die ich gemietet hatte“). Dabei bleibt unklar, was genau den Telegraphisten zum Mord an der verräterischen Concierge bewegt hat – vielleicht ein Befehl des Admirals? Ansonsten sind diejenigen Teile des Gedichts, die aus gebräuchlichen Worten des Deutschen, Englischen und Französischen bestehen, nur lose an das Geschehen um den Admiral gebunden. Dennoch gibt es weitere Hinweise: Die deutsche Stimme spricht vom „Stelldichein des Admirals im Abendschein“, die englische Stimme, auch wenn sie den Admiral nicht erwähnt, handelt überwiegend von der Liebe des Sprechers zu den Frauen, die ihn allerorten erwarten („a swetheart mine is waiting patiently for me“), und die französische Stimme berichtet vom Abschied eines Sünders (pécheur), der zumindest im gesprochenen Französisch auch ein Fischer (pêcheur) sein könnte und berufsbezogen in eine gewisse Nähe zum Admiral rückte, von einer Frau: „Adieu Mathilde“. Es gibt zahlreiche Anspielungen auf die Seefahrt bzw. auf nur Seefahrern erreichbare exotische Länder, und auch auf ein ausschweifendes Leben, wie man es Seefahrern vielleicht gerne nachsagt: Exotische Tiere werden erwähnt – ein „Ceylonlöwe“, eine „Sehkuh“, zwei Elefanten („deux éléphants“) und ein „Affe“ – sowie, mit weniger maritimen oder exotischeren Assoziationen behaftet, Frösche („grenouilles“), ein Pferd („cheval“), das in die Seele einer Schlange („serpent“) gesteckt wurde; die Perspektive öffnet sich auf ein Lokal, in dem „ragtime“ getanzt wird sowie auf „Joschiwara“, das damalige Rotlichtviertel von Tokyo; es ist die Rede von Äquatorialgegenden („équatorial“) und etwas wird als ‚Bug‘ (fr. „prore“) bezeichnet. Ein längerer Satz der französischen Stimme gegen den Schluss des Gedichts spricht dann auch explizit von Schiffen und von einem Leuchtturm: „Autour du phare tourne l’auréole des oiseaux bleuillis en moitiés de lumière visant la distance des batteaux“ („Um den Leuchtturm dreht sich der Heiligenschein der Vögel, die zur Hälfte von dem Licht gebläut sind, das die Entfernung der Schiffe anpeilt“). Ebenfalls im französischen Text gibt es einige Hinweise auf Gewalt – neben dem mordenden Telegraphisten ist von „les griffes des morsures“ die Rede, also von den ‚Krallen der Bisse‘, von „Brand“ und „Peitschen“ sowie von fallenden Vögeln („Tandis que les archanges chient et les oiseaux tombent“ – „Während die Erzengel scheißen und die Vögel fallen“); in einem gewagten Vergleich wird der Rauch, den ein Zug hinter sich herzieht, verglichen mit dem „Zerlaufen des verletzten Tiers in zermalmte Gedärme“ („Le train traine la fumée comme la fuite de l’animal blessé aux intestins ecrasés“). Neben Japan, Ceylon und allgemein den Äquatorialgegenden wird noch Bukarest erwähnt, und im französischen Text ist abschließend die Rede von verlorenem Gepäck (bzw. Gepäck, das die Straße selbst dem Sprecher wegnimmt). Alles in allem ein Assoziationsraum, der die Hauptperson in ein Geschehen von triebhafter Unterhaltung und mehr oder weniger latenter Gewalt versetzt. Insofern ist es vielleicht auch kein Wunder, dass in allen drei Sprachen – und vor allem im „intermède rythmique“ – die semantisierten Ausdrücke immer wieder nicht semantisierten (oder zumindest nur sehr schwach semantisierten) Lautfolgen weichen, sei es in der Wiedergabe von teils maritim assoziierten Ausrufen („Ahoi ahoi“ bzw. „ahoi iuché ahoi iuché“, später „Oh!“ und „oh oh yes yes“ usw.), sei es lautmalerisch, mit militärischen und/oder musikalischen („Boum boum boum“ bzw. „Yabomm“, „taratata taratata tatatata“) oder auch mit eher leiblich-animalischen Assoziationen („chrza prrrza chrrrza prrrza chrrrza prrrza“ bzw. „uru uru uro uru uru uro uru uru uru uro pataclan patablan pataplan uri uri uro“, vielleicht auch „shai shai shai shai shai shai shai shai“). Alles in allem passt auch dies zum Bild des verdorbenen Abenteurers auf Wohnungssuche.3

Auf der Ebene der Lautlichkeit, auf die sich die Aufmerksamkeit nicht nur angesichts dieser lautmalerischen Elemente richtet, sondern auch deshalb, weil zu vermuten steht, dass sie beim tatsächlichen Vortrag des Textes schnell in den Vordergrund treten würde, weil man die Worte nicht mehr versteht, lassen sich weitere Strukturen ausmachen. So tendiert die Stimme von HuelsenbeckHuelsenbeck, Richard dazu, in mehr oder weniger alberne Paarreime zu verfallen, etwa: „Wer Wasser braucht find […] im Kloset zumeistens was er nötig hätt“ – eine Sprechweise, die aber auch die anderen Stimmen teils übernehmen: „and when it’s five o’clock and tea is set I like to have my tea with some brunet“, heißt es bei JancoJanco, Marcel, und TzaraTzara, Tristan reimt: „Dans l’eglise après la messe le pécheur dit à la comtesse“ („In der Kirche nach der Messe sagt der Sünder zu der Comtesse“). Darüber hinaus finden sich aber auch lautliche Interferenzen zwischen den unterschiedlichen Stimmen, und zwar erstens durch die Überblendung einzelner einander ähnlicher Laute, die zugleich oder leicht zeitversetzt ausgesprochen bzw. gesungen werden, zweitens durch die Überlagerung lautlich ähnlicher Silben und drittens durch stark zeitversetzten Reim. So häufen sich in der Überlagerung von „Klapperschlangengrün“, „arround“ und „dépendra“ r-Laute, oder es werden in „taratata taratata“, „see that throw“ und „visant la“ ein deutsches t, ein englisches th und ein französisches s parallel gesetzt. So erklingt zugleich mit „Beinkleid“ auf Englisch „wine twines“ und (fast) zugleich mit „schnellen“ das englische „dwelling“. In der Interaktion zwischen der deutschen und der englischen Stimme findet sich auch die bereits zitierte, weit auseinandergezogene sprachübergreifende Reimfolge: „Kloset“, „hätt“, „set“ und „brunet“. Darüber hinaus finden sich an mehreren Stellen ‚eye rhymes‘, also identische Buchstabenfolgen, die aber unterschiedlich ausgesprochen werden (engl. „me“ / fr. „l’ame“, dt. „Seekuh“ / engl. „see“).

Es ist klar, dass nicht zuletzt in diesen Interferenzen – es lassen sich noch viel mehr davon finden – der Reiz des Simultangedichts liegt. Entsprechend heißt es in TzaraTzara, Tristans dem Gedicht beigegebener „Note pour les bourgeois“ („Notiz für die Bürger“), das Prinzip des Gedichts liege „dans la possibilité que je donne à chaque écoutant de lier les associations convenables. Il retient les élément caractéristiques pour sa personalité […], restant toujour dans la direction que l’auteur a canalisé“4 („in der Möglichkeit, die ich jedem Hörer gebe, die ihm angemessenen Assoziationen herzustellen. Jeder nimmt sich die Elemente heraus, die seiner Persönlichkeit entsprechen […], bleibt dabei aber im Rahmen der Pfade, die der Autor vorgezeichnet hat“). Es geht also programmatisch um die Aktivierung einer sprachlichen Kreativität, die sich aus der lautlichen Überschneidung unterschiedlicher Formen von Sprachigkeit speist, der aber sowohl durch das angedeutete Geschehen als auch durch die konkreten lautlichen Verbindungen zwischen den drei Stimmen und Sprachen eine Richtung (ein ‚Kanal‘) vorgegeben ist. Deshalb kann man in dem Gedicht eine konkretere kulturpolitische Strategie erahnen: Dass während des U-Boot-Kriegs in den Sprachen dreier Kriegsparteien das verdorbene Leben eines Admirals evoziert wird, lässt zumindest vermuten, dass die potentiell zu erreichende Affizierung der Rezipienten tatsächlich jene auch in der Muttersprachlichkeit begründete strukturelle Ausblendung triebhafter und schmerzlicher, selbstregulierter Lebensprozesse aufheben soll, die wiederum für die zweckrationale Herstellung von Kriegsbereitschaft entscheidend ist. Es wird ein Blick hinter die Oberfläche von Admiralsuniform und Einsprachigkeit geboten, der diese untergründigen Triebkräfte an die Oberfläche zurückholt und die auf dem Gegensatz der Sprachigkeiten aufruhende Zweckrationalität scheinhaft werden lässt. Gerade der gedruckte Text des Simultangedichts,5 der, anders als der Vortrag, mobil genug war, um die Schweiz zu verlassen und in die Territorien der Kriegsparteien einzudringen, kann so womöglich als subtiler, aber doch sehr konkreter Versuch zur Untergrabung der Kriegsmoral gewertet werden.

Richard HuelsenbeckHuelsenbeck, Richards bruitistisches Gedicht „Ebene“, das erste der 1916 publizierten Phantastischen Gebete des Autors, nimmt gleichfalls auf den Krieg Bezug, ist allerdings auf eine ganz andere Art und Weise mehrsprachig als das Simultangedicht, wobei mit dem Hinweis darauf, dass hier unterschiedliche Sprachen in einer Stimme miteinander abwechseln, analytisch gesehen noch relativ wenig gewonnen ist.6

Ebene

Schweinsblase Kesselpauke Zinnober cru cru cru

Theosophia pneumatica

die große Geistkunst = poème bruitiste aufgeführt

zum erstenmal durch Richard HuelsenbeckHuelsenbeck, Richard DaDa

oder oder birribum birribum saust der Ochs im Kreis herum oder

Bohraufträge für leichte Wurfminen-Rohlinge 7,6 cm Chauceur

Beteiligung Soda calc. 98/100 %

Vorstehund damo birridamo holla di funga qualla di mango damai da

dai umbala damo

brrs pffi commencer Abrr Kpppi commence Anfang Anfang

sei hei fe da heim gefragt

Arbeit

Arbeit

brä brä brä brä brä brä brä brä brä

sokobauno sokobauno sokobauno

Schikaneder Schikaneder Schikaneder

dick werden die Ascheneimer sokobauno sokobauno

die Toten steigen daraus Kränze von Fackeln um den Kopf

sehet die Pferde wie sie gebückt sind über die Regentonnen

sehet die Paraffinflüsse fallen aus den Hörnern des Monds

sehet den See Orizunde wie er die Zeitung liest und das Beefsteak

verspeist

sehet den Knochenfraß sokobauno sokobauno

sehet den Mutterkuchen wie er schreiet in den Schmetterlingsnetzen

der Gymnasiasten

sokobauno sokobauno

es schließet der Pfarrer den Hó-osenlatz rataplan rataplan den Hó-

osenlatz und das Haar steht ihm au-aus den Ohren

vom Himmel fä-ällt das Bockskatapult das Bockskatapult und die

Großmutter lüpfet den Busen

wir blasen das Mehl von der Zunge und schrein und es wandert der

Kopf auf dem Giebel

es schließet der Pfarrer den Hó-osenlatz rataplan rataplan den Hó-

osenlatz und das Haar steht ihm au-aus den Ohren

vom Himmel fällt das Bockskatapult das Bockskatapult und die Groß-

mutter lüpfet den Busen

wir blasen das Mehl von der Zunge und schrein und es wandert der

Kopf auf dem Giebel

Dratkopfgametot ibn ben zakalupp wauwoi zakalupp Steißbein knall-

Blasen

verschwitzt hat o Pfaffengekrös Himmelseverin Geschwür im Gelenk

balu blau immer blau Blumenpoet vergilbt das Geweih Bier bar obibor

baumabor botschon ortitschell seviglia

o ca sa ca ca sa ca ca sa ca ca sa ca ca sa ca ca sa

Schierling in Haut gepurpur schwillt auf Würmlein und Affe hat Hand

und Gesäß

O tscha tschipulala o ta Mpota Mengen

Mengulala mengulala kulilibulala

Bamboscha bambosch

es schließet der Pfarrer den Hó-osenlatz rataplan rataplan den Hó-

osenlatz und das Haar steht ihm au-aus den

Ohren

Tschupurawanta burruh pupaganda burruh

Ischarimunga burruh den Hó-osenlatz den Hó-osenlatz

kampampa kamo den Hó-osenlatz den Hó-osenlatz

katapena kamo katapena kara

Tschuwuparanta da umba da umba da do

da umba da umba da umba hihi

den Hó-osenlatz den Hó-osenlatz

Mpala das Glas der Eckzahn trara

katapena kara der Dichter der Dichter katapena tafu

Mfunga Mpala Mfunga Koel

Dytiramba toro und der Ochs und der Ochs und die Zehe voll

Grünspan am Ofen

Mpala tanó mpala tanó mpala tanó mpala tanó ojoho mpala tanó

mpala tanó ja tanó ja tanó ja tanó o den Hó-osenlatz

Mpala Zufanga Mfischa Daboscha Karamba juboscha daba eloé

Grob lässt sich das Gedicht in drei Teile einteilen, die eine je spezifische Form des Umgangs mit Sprachvielfalt zeigen. Der erste Teil (Vers 1 bis 10) ist eine Art programmatische Einleitung. Es wird Auskunft darüber gegeben, womit man es zu tun hat: mit „Theosophia pneumatica“, „große[r] Geistkunst“, einem „poème bruitiste“ („Kesselpauke“!) vom Dada HuelsenbeckHuelsenbeck, Richard, das sich in das Zeichen von Fasnacht („Schweinsblase“, Utensil der badisch-alemannischen Fasnacht) und rohem Unsinn („Zinnober cru cru cru“) stellt und dabei das Kriegsgeschehen bzw. die Kriegsindustrie (und ihre Gewinne) als Hintergrund aufruft – es ist von „Bohraufträge[n]“ für die Wurfminenproduktion, von einer „Beteiligung“ und von einem Stoff die Rede, der im Ersten Weltkrieg für die Dekontamination nach Giftgasangriffen benutzt wurde.7 Bevor diese Passage in die auf Deutsch und Französisch geäußerte Aufforderung (?) anzufangen mündet, moduliert sie die Sprachigkeit der Wörter, aus denen sie zusammengesetzt ist. Der lautmalerische Anteil des Kinderreims „birribum birribum saust der Ochs im Kreis herum“ wird romanisiert zu „birridamo“ und leitet in eine Abfolge romanisch klingender Wörter über, deren Sinn sich nicht recht zu verfestigen scheint. Damit wird im Bereich des nicht-semantisierten Lautmaterials eine Art graduelle oder auch ambivalente Sprachigkeit erzeugt – eine Gradation, die den krassen Gegensatz zwischen den durch die involvierten Sprachen konnotierten Kriegsparteien konterkariert.8

Der zweite Teil des Gedichts (Vers 11 bis 38) arbeitet größtenteils mit deutschsprachigem Material, das teils in den Bereich der nicht oder nur schwach semantisierten Klanglichkeit überführt wird („brä brä…“, „sokobauno“). Einzige Ausnahmen sind hier das englische, aber im Deutschen eingebürgerte „Beefsteak“ und die französische Onomatopöie „rataplan“. Mit Emanuel Schikaneder wird der Autor des Librettos zu Mozarts Zauberflöte aufgerufen – vielleicht motiviert durch die Tatsache, dass sich Schikaneder als Theatermacher mit spektakulären, auf Effekt wie Affekt zielende Produktionen einen Namen machte, bevor er kurz vor seinem Tod geisteskrank wurde. Sodann evoziert die fünffach wiederholte Aufforderung „sehet“ Krieg und körperliche Versehrtheit (Tote mit „Kränze[n] von Fackeln um den Kopf“, „Knochenfraß“), Weltuntergang („Paraffinflüsse“, die „aus den Hörnern des Monds“ fallen), den irritierend-verstörenden Umgang mit menschlicher Körperlichkeit („sehet den Mutterkuchen wie er schreitet in den Schmetterlingsnetzen / der Gymnasiasten“), eine schwer kategorisierbare Naturkonstellation (der zeitunglesende See) – und mit den trinkenden Pferden eine völlig alltägliche Szene. Man hat es meines Erachtens mit einer Art Kontrafaktur expressionistischer Verfahren zur Ästhetisierung von Krieg und Apokalypse zu tun, wie sie sich besonders prominent bei Georg Heym, August Stramm oder Georg Trakl finden, genauer: einer Reflexion auf die dort betriebene oder zumindest beschriebene (an‑)ästhetische Überhöhung des Geschehens ins Kosmische: Die Wahrnehmung der körperlichen Konkretion von „Knochenfraß“ und „Mutterkuchen“ scheint so gedämpft, dass sie dem Anschein nach völlig unproblematisch in poetische Bildlichkeit (Zauberflöte!) integriert werden kann. Die (an-)ästhetisch ausgeblendete Differenz zwischen gewalt- und triebhaftem, körperlichem Geschehen einerseits und dessen kulturpolitischer Überhöhung andererseits wird allerdings im Folgenden ihrerseits zum Gegenstand der Betrachtung – hier wird gewissermaßen der Gestus der vorangehenden Verse selbst unterlaufen. Dies geschieht mittels einer mehrfach wiederholten Szene, die sich aus einem Pfarrer, einem „Bockskatapult“, einer Großmutter und einem schreienden Wir zusammensetzt. Der Pfarrer erscheint in einer durch die im Text angezeigte Vortragsweise besonders hervorgekehrten Körperlichkeit („Hó-osenlatz“9, „Haar […] a-aus den Ohren“), deren Kontrast zu seiner vorgeblichen Würde ein Klappern verursacht („rataplan rataplan“); an Stelle einer Wurfmine befördert das Bockskatapult sich selbst durch die Luft; die ebenfalls vormals immer ehrwürdige Großmutter wird nur noch mit ihrem Busen in Verbindung gebracht; und das Schreien des Wir wie auch die surreale Tätigkeit des Kopfs (er „wandert […] auf dem Giebel“) sind vielleicht nur die Reaktion auf dieses Auseinanderfallens von kultivierter, in die zweckrationale Organisation der Gesellschaft eingefügter Fassade und dem Triebleben im Hintergrund.10

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Yaş sınırı:
0+
Hacim:
484 s. 8 illüstrasyon
ISBN:
9783772000935
Telif hakkı:
Bookwire
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