Kitabı oku: «Begleiten statt erobern», sayfa 2
a) Vorbereitung auf den Chaco
1990 gab uns der Theologe und Pastor René Padilla die Chance, unter seiner Mentorenschaft für zunächst ein Jahr nach Argentinien zu kommen. Gemeinsam mit seiner Frau Catalina Feser öffnete er uns die Augen für die örtliche lateinamerikanische, soziale und kirchliche Situation. Beide ermöglichten uns wertvolle Einblicke und die Mitarbeit in einer jungen sozial-missionarischen Jugendarbeit in einem Stadtviertel im Armutsgürtel um Buenos Aires.
Damals waren wir ein junges Ehepaar mit zwei kleinen Kindern. Es fehlte uns nicht am Mut, mitanzupacken, sehr wohl aber an Erfahrung im Zusammenleben mit Menschen so andersartiger Lebensweise. Nach einem Jahr der Annäherung und regelmäßiger Besuche lud uns die örtliche Gruppe, bestehend aus älteren Jugendlichen und einigen wenigen Erwachsenen mit Kindern, ein, in ihr Stadtviertel zu ziehen. Sie baten uns um Mitarbeit bei der Gründung ihrer Kirche.
Die folgenden vier Jahre wurden zu einer Lebensschule für uns: Wir lernten die unglaublichen Fähigkeiten der Slum-Bewohner kennen, ihre junge Kirche und nachbarschaftliche Gemeinschaft selbst zu organisieren. Sie zeigten dabei langen Atem inmitten großer materieller Nöte. Die Kraft des Evangeliums erneuerte manche ihrer Ehen und Familien.
Wir verstanden uns als ihre Mitarbeiter, brachten aber doch nicht wenige eigene Vorstellungen und Gewohnheiten aus unserer Kultur mit. Trotz guter Vorsätze bereitete es uns einige Mühe, uns als Gäste einzuordnen. Dem guten Selbstwertgefühl der örtlichen Leiter ist es zu verdanken, dass wir immer wieder an die Rolle erinnert wurden, die sie sich von uns wünschten. Wir sollten nicht die Entscheidungen für sie treffen, sondern den Aufbau ihrer Kirche nach eigenen Vorstellungen unterstützend begleiten. Als Zeichen dafür baten sie Frank zwar um Mitarbeit im pastoralen Team, jedoch nicht als Pastor. Konsequenterweise sollte er es den anderen beiden Mitgliedern im Gemeindeleitungsteam gleich tun und einer bezahlten Arbeit außerhalb des Stadtviertels nachgehen.
Gerne waren wir bereit, uns einzuordnen, aber im Rückblick können wir erkennen, wie schwer es uns fiel, unsere gewohnte deutsche Art und Weise nicht als die bessere zu empfinden. Deshalb denken wir auch mit viel Dankbarkeit an diese ersten Jahre in Argentinien zurück. Die Christen in Fe y Vida (»Glaube und Leben«, so heißt die Kirche) gingen großzügig mit uns um. Sie öffneten ihre Häuser für uns, boten uns ihre Freundschaft an und teilten mit uns Glauben und Alltag.
Damals ahnten wir nicht, dass diese Erfahrungen eine gute Vorbereitung für die Herausforderungen im Chaco sein würden.
Als 1994 unsere vereinbarte Mitarbeit in Buenos Aires zu Ende ging, erhielten wir die Einladung vom »Mennonitenteam«, das im Norden Argentiniens die unabhängigen indianischen Kirchen begleitet.
Wir lebten von 1995 bis 2008 im argentinischen Chaco und arbeiteten im Mennonitenteam mit. In diesen Jahren der Zusammenarbeit mit den indigenen Völkern und ihren Kirchen ging es besonders darum, uns nicht für, sondern mit ihnen einzusetzen und die Initiative dabei stets ihnen zu überlassen.
b) Der Chaco und seine Menschen
Der Gran Chaco liegt im Herzen des südamerikanischen Kontinents und erstreckt sich über ein Gebiet von ca. 250 000 Quadratkilometern. Heute gehören Teile seiner Fläche zu drei verschiedenen Ländern: Argentinien, Paraguay und Bolivien. Auf argentinischer Seite sind es vor allem die Provinzen Chaco, Formosa und Santiago del Estero. Man vermutet, dass es sich bei den riesigen, von mächtigen Flüssen eingerahmten Ebenen um urzeitliche, später ausgetrocknete Salzseen handeln. Heute noch ist das Grundwasser im Chaco an vielen Stellen salzig oder sogar arsenhaltig. Das Gebiet war ursprünglich vollständig mit dornigem Buschwald bedeckt. Heute sind zwar große Teile zu land- und forstwirtschaftlichen Zwecken abgeholzt, aber dort, wo der Wald noch steht, zeigt sich die überaus reiche Flora und Fauna, die der Trockenheit und Kargheit der Landschaft trotzt. Von Südosten bis Nordwesten nimmt der Niederschlag ab. In der kalten Jahreszeit kann der Regen für sechs bis acht Monate ganz ausbleiben. Die Versorgung mit Trinkwasser für Mensch und Tier stellt ein großes Problem dar.
Im subtropischen Klima gedeihen große Bäume mit tiefen Wurzeln, beispielsweise Quebracho, Johannesbrotbäume, dornige Itin. Nahe der Lagunen bedecken ausgedehnte Palmenwälder die Flächen. Im Frühling ernähren die Baumblüten eine große Vielfalt von Bienenarten. Riesige Insektenschwärme erschweren Mensch und Tier das Leben, sind aber ihrerseits Nahrungsquelle für Amphibien, Vögel und exotische Säugetiere wie Ameisenbären und Fledermäuse. Giftige Schlangen und Riesenboas, Kaimane, Pirañas, gefährliche Spinnen und Skorpione, auch Pumas prägen nach wie vor das unwirtliche Gesicht des Chaco.
Was von den europäischen Einwanderern »grüne Hölle« genannt wurde, war seit Tausenden von Jahren heimatlicher Lebensraum für verschiedene indigene Völker. Lange nachdem sich die Eroberer über den südamerikanischen Kontinent ausgebreitet hatten, bot der dornige, undurchdringliche Wald noch Schutz- und Rückzugsraum für die Urbevölkerung. Erst relativ spät im 18. Jahrhundert konnten sie den europäischen Invasoren nicht mehr ausweichen, als diese die Wasserstraßen sowohl als Durchfahrtwege in die vermuteteten Reichtümer der Anden als auch als militärische Straßen zu nutzen begannen und ihre Städte an den Ufern des Paraná und des Rio Salado errichteten. Die Gefahr nahm zu, als die Armeen der von Spanien unabhängig gewordenen Staaten im 19. Jahrhundert gezielt gegen die Indios vorgingen. Noch vor rund einhundert Jahren führten argentinische Generäle Vernichtungsfeldzüge gegen die verbleibenden indigenen Völker – mit verherenden Folgen. Selbst 1924 und 1947 hat es in Nordargentinien Massaker der staatlichen Sicherheitskräfte in den indianischen Kolonien Napalpí und Rincón La Bomba gegeben, ohne dass sie juristisch jemals untersucht worden wären.
Die ursprüngliche Lebens- und Wirtschaftsform der indigenen Völker war an den Chaco-Wald angepasst: Seit jeher waren sie Jäger und Sammler. Alles, was sie zum Leben brauchten, bezogen sie aus dem aviaq (toba: Urwald): Nahrung (Fleisch, Wurzeln, Honig, Schoten, Früchte), Brenn- und Baumaterial, Heilpflanzen, Waffen, Kleidung. Als Halbnomaden zogen sie in sogenannten Streifgruppen, also größeren Familienklans, umher. Zu bestimmten Jahreszeiten versammelte man sich zu großen Festen mit anderen Gruppen.
Nicht Vorrats-, sondern Subsistenzwirtschaft prägte ihr Leben. Nach ihrem Verständnis gehört der Wald dem Schöpfer und seinen unsichtbaren Verwaltern, denen Respekt gebührt. Wer jagen geht, muss um Erlaubnis bitten.
Die europäischen Einwanderer, die als Nachhut der Militärs nach und nach den Lebensraum der Ureinwohner besiedelten, kamen mit völlig anderen Vorstellungen. Sie wollten sich ein bestimmtes Stück Land aneignen und es vor fremden Interessen schützen. Dazu stellte man ihnen von der argentinischen Landverteilungsbehörde entsprechende Dokumente aus, ohne auch nur im geringsten die Rechte der indigenen Völker zu beachten. Die hatten keine schriftlichen Nachweise. Übertrug man größere Landstriche an einen neuen Besitzer, wurden die darin lebenden Indianer sozusagen mit übergeben.
Die indigenen Völker im Chaco nahmen das nicht kampflos hin; ihre tapferen Führer nahmen es mit den Soldaten auf. Aber gegen die Übermacht der Feuerwaffen konnten sie nicht lange standhalten. Wann immer es den »Weißen« möglich war, wurden sie außerdem Opfer von Betrug und Scheinabkommen.
Nach und nach zogen die Einwanderer Zäune um ihr Land, zwangen die Indianer zu Sklavenarbeit, bemächtigten sich ihrer Frauen und Kinder und brachten Krankheiten mit, gegen die sie keine Abwehrkräfte besaßen. Die Indianer wurden als Feinde angesehen und waren damit praktisch vogelfrei.
Heute leben in den argentinischen Teilen des Gran Chaco die Nachkommen von mehr als zehn indigenen Völkern. Die größten davon sind die Toba/Qom (ca. 60 000) und die Wichí (ca. 80 000). Die Toba/Qom gehören zusammen mit den Mocoví und den Pilagá zur Sprachgruppe der Guaycurú. Im Mennonitenteam begleiten wir diese drei Völker.
Die Situation der Toba/Qom, Mocoví und der Pilagá (siehe die Karten auf Seite 16/17) ist nach wie vor prekär. Sie gehören zu den Ärmsten und sind im Land und in der Provinz eine ungeliebte Minderheit. Nur zur Zeit der Wahlen werden sie als Wählerstimmen sehr interessant, da Wahlpflicht besteht. Dann versuchen die örtlichen Handlanger der großen Parteien sie durch Geschenke und Versprechungen für ihre Zwecke »einzukaufen«. Die hohe Korruption, Günstlingswirtschaft und ungenügende Gewaltenteilung in Argentinien machen die indianische Bevölkerung zum Spielball verschiedenster Machtinteressen. Die Umsetzung der ihnen national und international zustehenden Rechte gelingt nur sehr schleppend. Es gibt keinen erkennbaren politischen Willen zur Wiedergutmachung für die an ihnen verübten Untaten, nicht einmal für die aus dem 20. Jahrhundert.
Sie werden in den Gefängnissen geprügelt, in den Verwaltungen diskriminiert, auf der Straße offen beschimpft. Indio de mierda (Scheiß-Indianer) ist immer noch ein gängiges Schimpfwort. Die Argentinier erwarten selbstverständlich von ihnen, sich anzupassen, und meinen damit, dass sie ihre fremdartigen Gewohnheiten ablegen.
In der staatlichen Schulbildung extrem benachteiligt, erreichen nach wie vor nur wenige einen höheren Schulabschluss und nur einige Hand voll eine Fachschulausbildung (siehe Seite 117).
Die sanitäre und gesundheitliche Situation ist katastrophal. Armuts- und ernährungsbedingte Krankheiten sind häufig: Tuberkulose, Nierensteine, Bluthochdruck, Chagas-Krankheit, Diabetes; Zahnausfall kommt schon bei Jugendlichen vor. Es gibt so gut wie keine indianischen Krankenpfleger oder -schwestern (siehe Seite 116).
Wenn sie vom Land in die Städte ziehen, leben sie dort meist in ärmlichen Ghettos (siehe Seite 122).
Die meisten Indianer sind Gelegenheitsarbeiter, wie die übrige arme Bevölkerung Argentiniens. Dazu gehören Erntearbeit, einfache Hilfsarbeiten, schwere körperliche Arbeiten im Forstbetrieb, Holzkohleherstellung. Viele beherrschen noch alte Kunsthandwerktechniken, Schnitzkunst und Töpferei, womit sie sich einen Nebenerwerb erwirtschaften können.
Wo sie eigenes Land besitzen, gehen die Männer durchaus noch auf die Jagd oder zum Fischen.
Viele Familien sind von staatlicher Armenhilfe abhängig, die zusätzlich oft an parteipolitische Bedingungen geknüpft ist. Die ausgeteilten Lebensmittelpakete werden zwar gerne genommen, verstärken aber die ohnehin höchst einseitige Ernährung: Sie enthalten nur Kohlehydrate, Fett und Industriezucker.
Trotz dieser katastrophalen Lage ist nach unserer Einschätzung in den letzten zehn Jahren ein wachsendes Selbstbewusstsein bei den indigenen Völkern in Argentinien zu beobachten. Erfreulicherweise sind auch in den unabhängigen Kirchen viele junge indianische Leiter herangereift, die mittlerweile in wichtigen Positionen dafür kämpfen, dass ihr Volk nicht weiter unterdrückt wird. Als Beispiel dafür kann ein monatelanger friedlicher Aufstand gelten, der 2005 im zentralen Park der Provinzhauptstadt direkt vor dem Regierungsgebäude organisiert wurde. Viele Hundert Männer, Frauen und Kinder reisten aus der ganzen Provinz an, zelteten unter Plastikplanen bei winterlichen Temperaturen über vier Monate mitten in der Stadt, um auf Missstände aufmerksam zu machen und lange verschleppte Maßnahmen zu erzwingen. Jeden Tag wurden Gottesdienste gefeiert, gesungen und gebetet. Obwohl die Ergebnisse nicht unbedingt den Hoffnungen entsprachen, entwickelte sich doch eine große innere Kraft aus dieser Aktion, die von Regierung und Bevölkerung deutlich wahrgenommen wurde.
c) Das Eqipo Menonita – die Geschichte eines Missionsprojektes
Das Mennonitenteam ist eine Gemeinschaft von Nachfolgern Jesu, die einen speziellen Auftrag im argentinischen Chaco haben: sie wollen den indigenen Völkern der Toba/Qom, Mocoví und Pilagá als geschwisterliche Begleiter mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Die Mitglieder des Mennonitenteams verstehen sich als Botschafter von Jesus Christus und als Gäste unter den Menschen im Chaco. Sie möchten ihnen Gottes Nähe und Wirken bezeugen. Wenn sie mit den Indianern gemeinsam die Bibel lesen, dann geht es ihnen nicht darum, die Lebensweise der Menschen der Bibel zu kopieren, sondern darum, einen fruchtbaren Dialog mit der Lebenserfahrung der Indianer zu ermöglichen.
Um glaubwürdig als Christen bei ihnen zu leben, beziehen sie bewusst sowohl die Herausforderungen der heutigen argentinischen und der globalen Gesellschaft als auch die fatalen Folgen der europäischen Eroberung für die Indianer in ihr Handeln ein. Mit ihnen gemeinsam hoffen und arbeiten sie darauf hin, dass Gott mit der Welt und mit jedem einzelnen seiner Völker zu seinem Ziel kommt.
Im Vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes setzen sie sich an der Seite der indianischen Gemeinschaften dafür ein, dass die Lebensräume und Lebensformen ihrer Kultur respektiert werden. In allen Bereichen geht es dabei um deren Eigeninitiative.
Aus geschichtlichen Gründen heißt die Arbeitsgruppe immer noch »Mennonitenteam«, auch wenn heute nur die Hälfte der Mitarbeiter zu nordamerikanischen mennonitischen Kirchen gehört.
Das Mennonitenteam möchte indigene Völker und ihre Kirchen unterstützen, ohne durch Spendengelder (Projekte) Abhängigkeiten zu schaffen oder eigene konfessionelle Gemeinden zu gründen.
Dazu gehört,
• die indianische Kultur und ihre eigene Lebensform wertzuschätzen und zu respektieren.
• die Entwicklung einer authentisch-indianischen Kirche zu fördern.
• die indigenen Völker darin zu stärken, selbstbewusst im Kontext der argentinischen Gesellschaft zu leben und einen eigenverantworteten Weg in ihre Zukunft zu gehen.
• sie darin zu unterstützen, ihre Rechte zu kennen und einzufordern.
• die Einheit der Christen zu fördern.
• dass die Missionare immer wieder ihre eigene Glaubensprägung kritisch beleuchten und im Dialog mit den indianischen Christen korrigieren und vertiefen.
Konkrete Einsatzbereiche sind
• die Mitarbeit bei der Übersetzung der Bibel in indianische Sprachen.
• die Bibel verbreiten und mit indianischen Christen gemeinsam lesen.
• die Herausgabe der Quartalszeitschrift Qad‘aqtaxanaxanec (»Unser Botschafter«, seit 1955).
• Besuche in indianischen Gemeinschaft und Kirchen und die Beteiligung an ihren Gottesdiensten.
• Hausbesuche.
• die Aufzeichnung von persönlichen Lebensberichten und mündlich überlieferter Geschichte.
• die Beratung beim Kampf um Landrechte.
• die Mitarbeit bei der Alphabetisierung in indianischen Sprachen.
• die Zusammenarbeit im Netzwerk mit anderen Organisationen im Chaco.
2. Evangelisation im Kolonialstil: Ein fundamentales Missverständnis
Wer in einer fremden Kultur lebt, ist zunächst einmal ein Gast und nicht der Hausherr. Im Mennonitenteam respektieren wir ihre Hausordnung und sind »geschwisterliche Mitarbeiter« der indianischen Christen und damit ihre Gäste; nicht Leiter, Chefs oder Direktoren. Wir teilen ihr Leben. Mit der Zeit lernen wir ihre Gewohnheiten, Weisheiten und Fähigkeiten kennen und versuchen, uns so zu verhalten, dass wir keine Probleme oder Spaltungen hervorrufen.
Wir bedauern es, dass in Veranstaltungen christlicher Kirchen in Südamerika die Mission, mit der Jesus uns Christen beauftragt hat, oft als »Eroberung der Welt« dargestellt wird. Jugendlichen Christen wird nach wie vor nahe gelegt, eine »neue Generation von Eroberern« zu werden. Dabei bezieht man sich auf die Eroberungsfeldzüge des Volkes Israel im Alten Testament und überträgt sie (zu Unrecht, wie wir finden) auf die Verkündigung des Evangeliums. In Predigten und Liedern, die von dieser Theologie geprägt sind, finden sich viele militärische Begriffe, die darauf Bezug nehmen: »Besitz ergreifen«, »die Welt für Jesus erobern«, »Kreuzzug«, »die Schlacht gewinnen«, »Soldaten Jesu« und andere.
Im südamerikanischen Kontext springt die damit verbundene mangelnde historische Sensibilität besonders ins Auge. Wer würde, wenn er den Begriff conquista (Eroberung) hört, nicht an die gewaltsame Besetzung eines ganzen Kontinents denken, die seit dem 16. Jahrhundert für alle Völker in Südamerika Tod, Vertreibung, Zwangsarbeit und Zwangschristianisierung mit sich brachte? Über die letzten fünf Jahrhunderte kamen mindestens 50 Millionen Menschen der indianischen Bevölkerung durch Krieg, Versklavung, Zwangsarbeit in Minen und eingeschleppte Krankheiten ums Leben. Ebenso wie der Begriff »Kreuzzug«, kann der Begriff conquista für die missionarische Arbeit nicht verwendet werden, ohne dass völlig falsche Assoziationen entstünden.
Im argentinischen Chaco ist die Mentalität der Immigranten in Bezug auf die indianische Bevölkerung nach wie vor vom Kolonialismus geprägt. Auch viele Christen, die zum Helfen und Missionieren in die indianischen Gemeinschaften kommen, richten durch ihre vermeintliche Hilfe oft eher Schaden und Spaltungen an.
Das folgende Beispiel wurde im Jahr 2006 von einem unserer Teamkollegen berichtet:
»Als wir die indianische Gemeinschaft besuchten, die wir schon viele Jahre kennen, erzählte man uns, eine Gruppe von ›weißen‹ Christen sei vor einiger Zeit bei ihnen aufgetaucht. Sie hätten von der Vision gesprochen, ›ein indianisches Volk zu finden und ihm zu helfen‹. Die örtlichen indianischen Christen sagten uns, die Gruppe sei aus Buenos Aires gekommen, betreibe dort eine Bibelschule.
Schon beim ersten Besuch hätten die Besucher den Indianern finanzielle Hilfe angeboten, um das kleine alte Kirchengebäude aus Holz und Lehm durch ein ›würdiges Gotteshaus‹ zu ersetzen. Die Mitglieder der örtlichen Kirche hatten dieses vor Jahren selbst erbaut.
Die weit gereisten Besucher schlugen vor, Gottesdienste und Veranstaltungen mit biblischer Unterweisung einzurichten. Offensichtlich war es ihnen entgangen, dass es seit fast einem halben Jahrhundert eine unabhängige indianische Kirche an diesem Ort gibt und dass das Neue Testament bereits seit vielen Jahren in der indianischen Sprache existierte.
Später luden die Besucher den Sohn des indianischen Pastors nach Buenos Aires ein, damit er dort in ihrer Bibelschule eine ›angemessene Ausbildung‹ erhielte. Er sollte nach ihrer Vorstellung der zukünftige neue Pastor werden. Uns erzählten die Gemeindemitglieder, dieser junge Mann hielte sich nicht einmal zur Gemeinde und habe sogar seine Frau verlassen, um nach Buenos Aires zu reisen.
Bei zwei weiteren Besuchen der Gruppe aus Buenos Aires hätte man zwei Wochen lang über die Bibel gelehrt. Wer den vollständigen Kurs absolvierte hätte, dem waren schriftliche Zeugnisse versprochen worden. Ihre Lehre besagte, ›eine richtige Kirche habe auch die richtigen schriftlichen Unterlagen und ihre Pastoren einen angemessenen Abschluss an einer anerkannten Einrichtung‹.
Die Besucher begannen zudem, die Tochter des indianischen Pastors dafür zu bezahlen, sonntags eine ›Sonntagsschule‹ für die Kinder zu leiten. Dazu sollte sie Anwesenheitslisten für die Kirchenleitung in der Hauptstadt führen, in denen sowohl die Namen als auch die dazugehörigen Personalausweisnummern der Kinder vermerkt seien. Einige Gemeindemitglieder erzählten uns im Vertrauen, die Sonntagsschule würde zwar nicht immer stattfinden, aber die junge Frau würde die Listen dennoch ausfüllen.
Weiterhin wurde uns erzählt, ein anderer junger Mann habe ein Fernstudium für Pastoren begonnen, was allerdings an die Bedingung einer Heirat geknüpft war. Die aus der Hauptstadt haben das Fleisch für die Hochzeitsfeier bezahlt: zwei Kühe wurden geschlachtet. Als Gäste aus der benachbarten Gemeinde zum Fest kamen, wurden sie nicht eingelassen, weil sie keine Einladungskarte hatten. Das war für die Indianer ein unglaublicher Schock!
Der alte, indianische Pastor wollte auch nach Buenos Aires auf die Bibelschule gehen, wurde aber mit der Begründung abgewiesen, er hätte seine Familie zu versorgen. So war er enttäuscht wieder nach Hause gefahren.
Trotz gegenteiliger Beteuerungen (›Wir werden eure Kultur und eure Traditionen respektieren‹), mischten sich die Christen aus Buenos Aires in den Ablauf der Gottesdienste ein. Für eine Taufe hatten die Gemeindemitglieder schon alle Vorbereitungen getroffen, die Wasserstelle gereinigt und sich zum Taufgottesdienst versammelt. Aber als der Gottesdienst begann, übernahm der fremde Besucher, ohne zu fragen, die Leitung, füllte eine Schüssel mit Wasser und besprengte die Täuflinge. Die Gemeindemitglieder und der örtliche Pastor standen erstarrt daneben. In ihren Taufzeremonien werden die Täuflinge untergetaucht. Sie interpretierten das Verhalten des Besuchers so, dass ihn wohl ihre Wasserstelle angeekelt hätte. Das empfanden sie als große Demütigung.
Durch die Anwesenheit der Fremden verunsichert, fühlten sich die indianischen Christen nicht mehr frei, in ihren Gottesdiensten ihrer Freude durch Tanz Ausdruck zu verleihen. Der Pastor sagte uns: ›Wenn ich nicht tanze, ist es mir, als ob ich geistlich vertrocknen muss.‹ Er nahm die Invasion der Besucher aus Buenos Aires aber dennoch hin, weil ihm den Bau eines neuen Kirchengebäudes versprochen worden war. Dafür nahm er sogar die Demütigung vor den eigenen Leuten in Kauf, als die Fremden wortwörtlich sagten: ›Der Pastor und die Ältesten eurer Gemeinde haben keinen offiziellen theologischen Abschluss, sie können euch gar nichts beibringen.‹
Für die indianischen Christen war es nicht die erste Erfahrung, dass materielle Hilfe von außen an Bedingungen geknüpft war. In diesem Fall machten es die ungebetenen Spender des neuen Kirchengebäudes zur Bedingung, die Gestalt der indianischen christlichen Gemeinschaft ihren eigenen kulturellen Vorstellungen anzupassen. Damit gelang es ihnen, die örtlichen Christen unter Druck zu setzen.
Der alte Pastor meinte allerdings zu uns: »Wir warten jetzt erst mal ab, bis wir mit ihrer Hilfe das Gebäude fertiggestellt haben. Dann versammeln wir uns, um zu entscheiden, wie es mit denen aus Buenos Aires weitergehen soll.«
Leider zeigt dieses Beispiel, wie gut gemeinte christliche Mission unter den Chaco-Indianern interne Konflikte auslösen kann. Diese Art von Mission kann sich nach unserem Verständnis nicht einmal eine »frohe Botschaft« nennen, da sie die örtlichen Leiter tief verunsichert, als unwissend und ungebildet, wenn nicht sogar als »sündig« degradiert.
In diesem Fall führte sie außerdem dazu, dass die Gemeindemitglieder, die keine materiellen Zuwendungen bekamen, der Kirche fernblieben, um etwaigen Verpflichtungen, die damit verbunden sein könnten, zu entgehen.
Auch mit »geistlicher« Motivation und guten Absichten richteten die Besucher aus Buenos Aires großen Schaden an. Sie setzten die Bibel als Machtmittel ein. Ihre finanzielle Überlegenheit benutzten sie dazu, sich der örtlichen Christen zu bemächtigen und sie zu kontrollieren. Ihre offen geübte Kritik an den bestehenden Gemeindeformen war nichts anderes als (geistlicher) Hochmut und ausgeprägter Ethnozentrismus.
Einer der alten weisen indianischen Christen aus der besagten Gemeinschaft konnte sich trotz der Eindringlinge ein klares Empfinden und eine tiefe Verwurzelung im Glauben an Jesus Christus erhalten:
»Seit ich vor 64 Jahren von Jesus gelernt habe, höre ich jeden Morgen Seine Stimme. Wenn ich aufstehe, höre ich Ihn. Als der junge Mann mir sagte: ›Du, Alter, weißt doch gar nichts‹, da war ich einfach still und hörte zu. Ich sagte nichts. Es kann sein, dass dieser junge Mann etwas weiß, aber ich kenne Gott.«