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Zwölftes Kapitel Ordnungsrecht
Zwölftes Kapitel Ordnungsrecht
Inhaltsverzeichnis
§ 68 Europäisches Sicherheitsrecht
§ 69 Polizei- und Ordnungsrecht
§ 70 Versammlungsrecht
§ 71 Katastrophenschutzrecht
§ 72 Ausländerrecht
§ 73 Asylrecht
§ 74 Wehr- und Zivilverteidigungsrecht
Zwölftes Kapitel Ordnungsrecht › § 68 Europäisches Sicherheitsrecht
Bettina Schöndorf-Haubold[1]
§ 68 Europäisches Sicherheitsrecht
A.Die Europäisierung und Internationalisierung der Gefahrenabwehr1 – 15
I.Sicherheits- und Polizeirecht in der Europäischen Union4 – 9
II.Internationale Gewährleistung innerer Sicherheit10 – 15
B.Sicherheitsgewährleistung im Europäischen Verwaltungsverbund16 – 108
I.Souveränität und Sicherheit: Die Kompetenzverteilung im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts17 – 20
1.Souveränitätsvorbehalt im Bereich der nationalen Sicherheit18
2.Bestehende Unions-Kompetenzen19
3.Entwicklungspotential unionaler Sicherheitsgewährleistung20
II.Regelungsbereiche unionaler Sicherheitsgewährleistung21 – 51
1.Polizei- und Sicherheitsrecht im Bereich Grenzschutz, Asyl und Einwanderung23 – 25
2.Recht der polizeilichen Zusammenarbeit26 – 29
3.Harmonisierung und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen30 – 37
a)Verfahrensrechtliche Regelungen31
b)Materiellrechtliche Regelungen32, 33
c)Regelungen zur Europäischen Staatsanwaltschaft34
d)Sanktionen im Bereich der Terrorismusbekämpfung35
e)Weitere strafrechtlich relevante Regelungen36, 37
4.Polizeiinformations- und -datenschutzrecht38 – 51
a)Harmonisierung des mitgliedstaatlichen Polizeiinformationsrechts durch die sog. JI-Richtlinie40 – 42
b)Polizeiinformationsrecht der EU-Agenturen und EU-Datenbanken43, 44
c)Sachbezogene Spezialregelungen45 – 49
d)Regelungen zur Schaffung eines übergreifenden Informationsraums50, 51
III.Agenturen als zentrale Akteure der europäischen Sicherheitsarchitektur52 – 108
1.Europol56 – 63
a)Aufgaben des Amtes57 – 60
b)Verwaltungs- und Kontrollstrukturen61 – 63
2.Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex)64 – 93
a)Zielsetzung der Verordnung und Aufgabe der Agentur67 – 75
b)Aufgaben: Unterstützung, operative Einsätze und Informationsverwaltung76 – 79
c)Institutionelle Besonderheit: Strukturen der Verbundaufsicht und operative Kooperation in Teams80 – 83
d)Grundrechtsschutz84 – 89
e)Bewertung90 – 93
3.Informationsagenturen und -systeme am Beispiel von eu-LISA und ETIAS94 – 108
a)eu-LISA96 – 100
b)Das Reiseinformationssystem ETIAS101 – 108
C.Ausprägungen des europäischen Sicherheitsrechts109 – 142
I.Ausgangspunkt: Sicherheitsrecht als Kooperationsrecht111, 112
II.Sicherheitsrechtliches Informationsrecht113 – 122
1.Informationskooperation114, 115
2.Institutionalisierung und Emanzipation: Informationssysteme116, 117
3.Sicherheitsrechtliche Datenräume: Interoperabilität und Interkonnektivität118 – 120
4.Materielles Sicherheitsinformations- und Datenschutzrecht121, 122
III.Sicherheitsrechtliches Einsatzrecht am Beispiel gemeinsamer Grenzschutz-Teams123 – 137
1.Gemeinsame Teams als spezifische supranationale Einsatzformen126 – 130
2.Einsatzmodalitäten gemeinsamer Teams131 – 133
3.Rechtliche Charakterisierung der gemeinsamen Teams zwischen Organleihe, Selbsteintritt und supranationaler Polizei134 – 137
IV.Ausblick und Auftrag: (Grund-)Rechts- und Datenschutz138 – 142
Schrifttum
(Auswahl): Aden, Europäische Rechtsgrundlagen und Institutionen des Polizeihandelns, in: Lisken/Denninger (Hg.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, N; ders., Police Cooperation in the European Union under the Treaty of Lisbon, 2015; Bergström/Jonsson Cornell (Hg.), European Police and Criminal Law Cooperation, 2014; Böse (Hg.), Europäisches Strafrecht mit polizeilicher Zusammenarbeit, Enzyklopädie Europarecht, Bd. 9, 2013; Fijnaut, A Peaceful Revolution: The Development of Police an Judicial Cooperation in the European Union, 2019; Fink, Frontex and Human Rights, 2018; Fletcher/Herlin-Karnell/Matera (Hg.), The European Union as an Area of Freedom, Security and Justice, 2017; Krämer, Europäische Sicherheitsarchitektur: Ambivalenzen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: Brings-Wiesen/Ferreau (Hg.), 40 Jahre „Deutscher Herbst“, Baden-Baden 2019, S. 39 ff.; Kugelmann, Europäische Polizeiliche Kooperation, in: Böse (Hg.), Europäisches Strafrecht mit polizeilicher Zusammenarbeit, Enzyklopädie Europarecht, Bd. 9, 2013, § 17; Möstl, Grundfragen Europäischer Polizeilicher Kooperation, in: Kugelmann (Hg.), Migration, Datenübermittlung und Cybersicherheit, 2016, S. 9 ff.; Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, 2013; dies., Trans- und supranational: Grenzpolizeiliche Zusammenarbeit im Mehrebenensystem, SächsVBl 2015, 77 ff.; Mutschler, Der Vertrag von Prüm, 2010; Peers, EU Justice and Home Affairs Law, Bd. II, 4. Aufl., 2016; Priebe, Europol – neue Regeln für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung, EuZW 2016, 894 ff.; ders., Innere Sicherheit – eine europäische Aufgabe?, in: Becker/Hatje/Potacs/Wunderlich (Hg.), Verfassung und Verwaltung in Europa, FS für Schwarze, 2014, S. 394 ff.; Schober, Europäische Polizeizusammenarbeit zwischen TREVI und Prüm, 2017; Schöndorf-Haubold, Europäisches Polizei- und Sicherheitsrecht, in: Terhechte (Hg.), Verwaltungsrecht der Europäischen Union, 2. Aufl., 2020, § 35 (i.E.); dies., Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, 2010; Würtenberger/Gusy/Lange (Hg.), Innere Sicherheit im europäischen Vergleich, 2012.
Zwölftes Kapitel Ordnungsrecht › § 68 Europäisches Sicherheitsrecht › A. Die Europäisierung und Internationalisierung der Gefahrenabwehr
A. Die Europäisierung und Internationalisierung der Gefahrenabwehr
1
Die Gewährleistung innerer Sicherheit gehört zu den Grundfunktionen nationaler Staatlichkeit; ihre verfassungsgemäße Disziplinierung bildet den Ausgangspunkt eines rechtsstaatlichen Polizei- und Verwaltungsrechts[2]. Gefahren für eine solchermaßen national verstandene innere Sicherheit lassen sich allerdings nur zu Teilen territorial begrenzen. Die staatlichen Sicherheitsbehörden kommen daher seit langem auch in inter- und supranationalen Kontexten zum Einsatz, etwa um grenzüberschreitenden und territorial entgrenzten Bedrohungen wie dem internationalen Terrorismus, international agierender organisierter Kriminalität oder durch Cyberattacken zu begegnen. Traditionell kooperieren Polizeikräfte in internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen oder Interpol sowie im Rahmen bilateraler Polizeiverträge; auch die sich kontinuierlich verdichtende polizeiliche Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union hat bereits eine lange Tradition[3]. Sie baut auf der je einzelstaatlichen Grundzuständigkeit für die Gefahrenabwehr auf und entwickelt die Sicherheitsgewährleistung in unterschiedlichen Formen horizontaler und vertikaler Kooperation zu einem wichtigen und zunehmend eigenständigeren Bereich unionaler Politikgestaltung.
2
Die einzelstaatlichen Behörden sind damit Teile übergreifender Polizeiverbünde, in denen nationale Kräfte – zum Teil mit bzw. in überstaatlichen Polizeibehörden – Informationen austauschen, Erfahrungswissen generieren und gemeinsame Einsätze ausführen. Durch die explizite Aufnahme in die innerstaatlichen Polizeigesetze und die Anwendung des unmittelbar geltenden unionalen Sicherheits- und Polizeirechts sind Teile dieser überstaatlichen Tätigkeit zu einem festen Bestandteil polizeilicher Aufgabenwahrnehmung geworden.
3
Überstaatliche Gefahrenabwehr erschöpft sich aber nicht in der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit. Im internationalen und mehr noch im unionalen Kontext hat sich der Bezugsrahmen für die Gewährleistung „innerer“ Sicherheit gewandelt. So ist Sicherheit etwa namensgebende Aufgabe im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Damit nimmt die Sicherheitsgewährleistung auch unabhängig von außenpolitischen Verteidigungszielen größere Territorien zum Ausgangspunkt, Räume, die eine Mehrzahl bzw. im Rahmen der Vereinten Nationen eine Vielzahl staatlicher Hoheitsgebiete zusammenschließen. Sicherheitsgewährleistung ist und wird damit als solche supra- und international, bedarf und bedient sich jenseits der staatlichen Sicherheitsbehörden mehr und mehr eigener Organe, Handlungsformen und Befugnisse. Die rechtsstaatlichen Sicherungen und grundrechtlichen Gewährleistungen halten mit diesen Entwicklungen nicht notwendig Schritt und müssen nicht nur auf den unterschiedlichen nationalen, sondern auch auf den jeweiligen überstaatlichen Handlungsebenen identifiziert und normativ belastbar verankert werden[4].
I. Sicherheits- und Polizeirecht in der Europäischen Union
4
Sicherheit im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bildet den Oberbegriff für die innere Sicherheit einerseits der Mitgliedstaaten und andererseits übergreifend der Europäischen Union als eigenständigem Rechtsraum[5]. Innerhalb der Europäischen Union erhält innere Sicherheit eine genuin europäische Dimension[6]. Das nach Art 67 Abs. 3 AEUV zu gewährende hohe Maß an europäischer Sicherheit steht dabei in einem Spannungsverhältnis zur grundsätzlich den Mitgliedstaaten verbleibenden Erstzuständigkeit[7]. Zur Wahrung der nationalen Souveränität und als deklaratorische Kompetenzgarantie bekräftigt Art. 72 AEUV, dass die Regelungen zum Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts „die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ nicht berühren[8]. Die Union trägt daher vor allem durch die Unterstützung der mitgliedstaatlichen Kooperation zur Sicherheitsgewährleistung bei.
5
Maßgeblich geht es um den Rechtsgüterschutz innerhalb des EU-Territoriums und um den Schutz der in diesem Raum lebenden Menschen vor schwerwiegenden grenzüberschreitenden Bedrohungen[9]. Nicht erst mit dem massiven Zustrom Flüchtender im Jahr 2015, sondern bereits mit dem Wegfall der Binnengrenzen ist der Grenzschutz als eine gemeinsame, auch polizeiliche Aufgabe hinzugekommen, für die angesichts der aktuellen politischen wie auch tatsächlichen Lage in einer Europäischen Union, die sich mit der Bewältigung des anhaltenden Zustroms Schutz suchender Menschen insbesondere an den südlichen Grenzen schwer tut, Belange der Sicherheitsgewährleistung und der Freiheitssicherung immer wieder in Einklang gebracht werden müssen.
6
Ungeachtet der bestehenden Souveränitätsvorbehalte der Mitgliedstaaten im Bereich der inneren Sicherheit entwickelt sich das unionale Sicherheits- und Polizeirecht zu einem Referenzgebiet des Rechts der Europäischen Verbundverwaltung[10]. In ihm lassen sich typische Entwicklungsprozesse nachzeichnen: von der intergouvernementalen Zusammenarbeit zum supranationalen Rechtsregime, von losen Netzwerken zu institutionalisierten Agenturen, von bloßen Unterstützungs- zu operativen Eingriffsbefugnissen. Probleme des Grundrechts- und des gerichtlichen Rechtsschutzes lassen sich ebenso wie Fragen des Datenschutzes aufzeigen. Nicht immer findet das durch die Zusammenarbeit der Sicherheitsakteure geprägte supranationale Recht hierauf rechtsstaatlich zufriedenstellende Antworten.
7
Die Gewährleistung innerer Sicherheit in der Europäischen Union basiert zunächst auf der horizontalen Zusammenarbeit nationaler Sicherheitsbehörden, sowohl auf informationeller als auch auf operativer Basis. Die Union unterstützt diese Kooperation und stellt in Gestalt von Agenturen und Informationsnetzen die institutionelle Infrastruktur zur Verfügung. Insbesondere Europol und Frontex als unionalen Sicherheitsbehörden kommen zentrale Aufgaben der Koordination und der Ermöglichung effektiver mitgliedstaatlicher Kooperation zu. Beide Agenturen sehen explizit auch die Bildung gemeinsamer Teams für operative Einsätze vor. Durch die horizontalen und vertikalen Verflechtungen fügen sich die Sicherheitsbehörden in der Europäischen Union zu einer Europäischen Sicherheitsarchitektur zusammen, in der die Behörden der unterschiedlichen Ebenen Sicherheitsgewährleistung nicht mehr nur als staatliche Aufgabe, sondern gemeinsam mit den supranationalen Behörden auch als übergreifendes Ziel verfolgen.
8
Die rechtliche Entwicklung führt dabei im Unterschied zur politischen Entwicklung, die derzeit eher durch eine intergouvernementale Konfliktstellung der Mitgliedstaaten in der Bewältigung der sog. Flüchtlingskrise geprägt ist, zu einer supranationalen Verdichtung, die sowohl in der Institutionalisierung in Agenturen, Informationssystemen und Einsatzmechanismen als auch in der (bislang nur punktuellen) Ablösung vom nationalen Einsatzrecht und der Ausbildung eigener hoheitlicher Polizeibefugnisse etwa im Grenzschutz zum Ausdruck kommt. Jede Verstetigung intergouvernementaler horizontaler Kooperationsbeziehungen in einer supranationalen Struktur verstärkt die Ebene unionaler Sicherheitsgewährleistung, indem ursprünglich horizontale Beziehungen damit jedenfalls partiell in ein vertikales Verhältnis überführt werden[11].
9
Europäisches Polizei- und Sicherheitsrecht emanzipiert sich damit durch die zunehmende Supranationalisierung der bestehenden Zusammenarbeit trotz der verbleibenden nationalen Grundzuständigkeit schrittweise von der einzelstaatlichen Ebene.
II. Internationale Gewährleistung innerer Sicherheit
10
Entgrenzte Gefahren lassen die Staaten auch jenseits des europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zum Schutz ihrer inneren Sicherheit zusammenarbeiten[12].
Mit den Mitteln des Völkerrechts geschieht dies zum einen innerhalb der Vereinten Nationen durch sog. Smart Sanctions zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus[13]. Die Finanzsanktionen gegenüber Terrorverdächtigen stellen ein grundrechtlich nicht unumstrittenes Beispiel des Durchgriffs internationaler Verwaltung auf den Einzelnen dar[14]. Als Instrument einer präventiven Sicherheitsgewährleistung bedürfen sie einer prozeduralen rechtsstaatlichen Einhegung und wirksamer Kontroll- und Rechtsschutzgarantien. Ansatzpunkte hierfür bieten eine „völkerverfassungsrechtlich“ nicht zwingend vorgegebene rule of law, völkervertragsrechtliche Menschenrechtsgewährleistungen und jedenfalls subsidiär unions- und verfassungsrechtliche Grundrechtsgarantien.
11
Völkerrechtlich schwächer legitimiert ist die global umfassende praktische Zusammenarbeit von Polizei- und Sicherheitsbehörden in Interpol, das als internationales Behördennetzwerk eine Plattform für den behördlichen Informationsaustausch darstellt und insbesondere ein gestuftes Mitteilungssystem für zwischenstaatliche Fahndungsersuchen zur Verfügung stellt, die jenseits verbindlicher rechtlicher Grundlagen in ihren grundrechtlichen Konsequenzen erhebliche Rechtsfragen aufwerfen[15] und deren Rückwirkungen auf die polizeiliche Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union noch nicht hinreichend geklärt sind[16].
12
Polizeilicher Austausch und Kooperation finden darüber hinaus im Rahmen der klassischen Instrumente des Völkerrechts zur bi- und multilateralen Zusammenarbeit statt, wie etwa im Falle grenznachbarlicher Polizeiverträge[17] oder Abkommen zum Austausch bestimmter sicherheitsrelevanter Informationen[18].
13
Neben den einzelnen Staaten ist auch die Europäische Union eine Akteurin auf der internationalen Ebene[19]. Die Sicherheitsgewährleistung durch die Europäische Union weist damit auch eine Außendimension auf. Die Union selbst oder aber ihre Einrichtungen und Agenturen binden sich vielfältig durch Abkommen und Verträge mit Drittstaaten und internationalen Organisationen insbesondere zum Informationsaustausch oder zur gegenseitigen Amts- und Rechtshilfe. Eine wichtige Rolle spielen dabei die durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs und Sekundärrecht präzisierten datenschutzrechtlichen Anforderungen an die Informationsübermittlung außerhalb der Europäischen Union. Darüber hinaus agiert die Europäische Union im Rahmen der Vereinten Nationen, indem etwa die in den Sanktionskomitees des Sicherheitsrates beschlossenen Individualsanktionen mit den Mitteln des Unionsrechts umgesetzt werden[20].
14
Ein weiteres internationales Einsatzfeld unionaler Sicherheitsgewährleistung stellen die Durchführung von oder die Beteiligung an internationalen operativen Polizeieinsätzen in den unterschiedlichsten Krisengebieten der Welt im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nach Art. 42 und 43 EUV dar[21].
15
Deutsche Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte nehmen ggf. nach Abordnung an die Bundespolizei auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 65 Abs. 2 BPolG an eigenen sowie an unional oder regelmäßig unter dem Dach der Vereinten Nationen international geführten Auslandseinsätzen teil[22]. Nach § 8 Abs. 1 S. 3 und 4 BPolG entscheidet die Bundesregierung über die Verwendung der Bundespolizei im Ausland; der zu unterrichtende Bundestag kann durch Beschluss verlangen, dass die Verwendung beendet wird. Bund und Länder koordinieren ihre jeweilige Beteiligung in der Bund-Länder Arbeitsgruppe „Internationale Polizeimissionen“ (AG IPM) im Rahmen der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, die „Leitlinien für die gemeinsame Beteiligung des Bundes und der Länder an internationalen Polizeimissionen“ ausgearbeitet hat[23].
Zwölftes Kapitel Ordnungsrecht › § 68 Europäisches Sicherheitsrecht › B. Sicherheitsgewährleistung im Europäischen Verwaltungsverbund
B. Sicherheitsgewährleistung im Europäischen Verwaltungsverbund
16
Europäische Sicherheitsgewährleistung im Wege der Zusammenarbeit nationaler und supranationaler Sicherheitsbehörden fügt sich in die Strukturen des Europäischen Verwaltungsverbunds ein, der die Verdichtung des unionalen Verwaltungsraums in normativer, prozeduraler und institutioneller Hinsicht umschreibt[24]. Die zunehmende Supranationalisierung der Verwaltung durch eine Harmonisierung einzelner, insbesondere kooperativer Verwaltungsaktivitäten verbunden mit der institutionellen Verstetigung vormals loser Netzwerke in unionalen Agenturen sind typische Entwicklungen in diesem Verwaltungsverbund, die sich gerade im europäischen Polizei- und Sicherheitsrecht nachzeichnen lassen. Die mit der punktuellen Ausbildung operativer Eingriffsbefugnisse verbundenen und nur teilweise gelösten Rechtsfragen hinreichender Grundrechtsgewährleistung, transparenter Zurechnung und Verantwortung sowie effektiven Rechtsschutzes erinnern an die Anfänge des rechtsstaatlichen nationalen Verwaltungsrechts im 19. Jahrhundert[25]. Auch wenn dieses und die gemeinsamen Grundsätze der europäischen Verwaltungen Grundstock und Ausgangspunkt eines Europäischen Verwaltungsrechts bilden, stehen gerade die mit europäischem Polizei- und Sicherheitsrecht umschriebenen Rechtsregime für Bereiche klassisch staatlichen Hoheitshandelns, für das auch auf der europäischen Ebene rechtsstaatliche Lösungen gefunden werden müssen.
I. Souveränität und Sicherheit: Die Kompetenzverteilung im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
17
Besonderheiten ergeben sich aus der Kompetenzverteilung innerhalb der Europäischen Union, die im Bereich der Sicherheitsgewährleistung jenseits des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung Souveränitätsvorbehalte formuliert und die Reservatskompetenz der Mitgliedstaaten an zahlreichen Stellen bekräftigt. Einer Harmonisierung des nationalen Gefahrenabwehrrechts steht sie entgegen. Die supranationale Begründung und Steuerung kooperativer Mechanismen und Instrumente der Unterstützung schließt sie jedoch nicht aus, so dass intergouvernementale Verständigungen, die häufig den Ausgangspunkt gemeinsamer Sicherheitsgewährleistung bilden, in Formen supranationaler Kooperation unter dem Dach der Europäischen Union münden[26].