Kitabı oku: «Christlich-soziale Signaturen», sayfa 8
Hohe Steuer- und Abgabenquoten für Normalverdiener
Gegen die Rentenreform gab es aus dem Lager der liberal-konservativen Ökonomen scharfe Kritik. Wilhelm Röpke etwa, der ein wichtiger Berater Erhards war, wertete die absehbare Ausweitung des Sozialstaats als schleichende Gefahr für die bürgerlich-freiheitliche Gesellschaft, die auf Eigenverantwortung und Selbstvorsorge baut. Der Wohlfahrtsstaat und die Massengesellschaft unterminierten bürgerliche Tugenden.
In drastischen Worten warnte Röpke vor einem immer weiteren Aufbau eines umverteilenden, egalisierenden Sozialstaats als „Pumpmaschine des Leviathan“, bei dem am Ende alle Mitglieder der Gesellschaft abhängig werden von Sozialleistungen, die sie mit hohen Steuern und Abgaben selbst finanzieren. Die „Pumpmaschine“, bei der Geld von der linken in die rechte Tasche transferiert wird, bei entsprechenden Reibungsverlusten, werde schließlich zur Täuschung aller, zu einem Selbstzweck, der nur noch einer großen Sozialstaatsbürokratie diene.15 Mit dem weiteren Ausbau des Sozialstaats in den 1970er-Jahren kam man diesem Zustand tatsächlich näher.
Die Steuer- und Abgabenquote stieg deutlich, was vor allem an den Sozialabgaben lag. Lag die Quote in den 1950er-Jahren noch bei 30 Prozent, bewegte sie sich in den 1970er-Jahren in Richtung 40 Prozent. Die jährlichen Gesamtausgaben des Staates für Soziales haben in Deutschland inzwischen die Marke von 1.000 Milliarden Euro überschritten. Damit wird etwa jeder dritte Euro in Deutschland für Soziales ausgegeben.
Der umverteilende Sozialstaat bewirkt eine deutliche Dämpfung der Ungleichheit, wie man an den Gini-Koeffizienten der Einkommensverteilung ablesen kann, die im internationalen Vergleich in Deutschland und Österreich eher niedrig sind (mehr dazu gleich). Der ausgebaute Sozialstaat hat aber einen Preis in Form relativ hoher Steuern und Abgaben. Die jährlichen Überblicke der Industrieländerorganisation OECD zeigen, dass Deutschland und Österreich zur Spitzengruppe mit der höchsten Belastung von Durchschnittsverdienern durch Steuern und Abgaben (inklusive der vom Arbeitgeber abgeführten Sozialabgaben) zählen.
Für einen alleinstehenden Arbeiter oder Angestellten mit durchschnittlichem Gehalt betrug der sogenannte „Steuer-Keil“ laut OECD-Zahlen im Jahr 2018 in Deutschland 49,5 Prozent, in Österreich 47,6 Prozent. In Deutschland gibt es damit die zweithöchste Netto-Belastung (hinter Belgien auf Platz eins), dann kommen Italien und Frankreich, anschließend Österreich mit der fünfthöchsten Belastung für Singles. Für Familien mit Kindern sind die Zahlen niedriger, weil die familienbezogenen Sozialleistungen gegengerechnet werden. Eine Familie mit zwei Kindern hat laut OECD in Deutschland eine Steuer- und Abgabenbelastung von 34,4 Prozent (Rang 9), in Österreich 37,4 Prozent (Rang 8).16 Ein steigender Teil dieser Abgaben geht auf das Konto der Rentenversicherung, die mit der Alterung der Gesellschaft immer stärker beansprucht wird.
Eigentum, Ungleichheit und Chancen für den Aufstieg
Aus Sicht der Gründer und Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft ist bei solchen Zahlen das Maß des Erträglichen bei Weitem überschritten. Hart arbeitende Bürger sollen genug Mittel behalten dürfen, um größtenteils selbstständig Vorsorge etwa für ihr Alter zu treffen, durch Ersparnisse und Vermögensaufbau. Ökonomen wie Röpke und sein Freund Alexander Rüstow sahen den Erwerb von Eigentum als wichtigen Faktor für eine vitale bürgerliche Gesellschaft. Ihre Ziele waren eine „Entproletarisierung“, die Wieder-Verwurzelung der Menschen und ein breiter Mittelstand.
Wenn Bürger eine eigene Immobilie erwerben und bewohnen, bewirkt dies eine soziale und auch mentale Veränderung, sie fühlen sich als Eigentümer dem Ort und der Gesellschaft mehr verbunden. Interessanterweise (und bedauerlicherweise) liegen Deutschland und Österreich bei der Eigenheimbesitzerquote im EU-Vergleich an letzter Stelle. Nur 44 beziehungsweise 46 Prozent sind Immobilienbesitzer, während in anderen Ländern wie Italien mehr als 70 Prozent der Haushalte Eigentümer ihres Hauptwohnsitzes sind. Diese großen Unterschiede beim Immobilienvermögen sind auch ein wichtiger Grund für die unterschiedlichen Vermögenspositionen, wie die Bundesbank hervorhebt.17
Anders als das Klischee von den reichen Deutschen, die in Europa weit vorne lägen, suggeriert, sind die privaten Nettovermögen gar nicht so hoch. Laut Befragungsdaten von 2017 im Auftrag der Bundesbank kam das Haushaltsnettovermögen – nach Abzug aller Schulden – in Deutschland im Mittel (Median) auf eher bescheidene 70.800 Euro, im Durchschnitt (arithmetisches Mittel) sind es 232.800 Euro. Der Median teilt die Bevölkerung in zwei Hälften: Eine ist reicher, die andere ärmer. Der deutlich höhere Durchschnitt wird durch große Vermögen an der Spitze nach oben gezogen. Die Grenze zum obersten Zehntel der Bevölkerung liegt bei einem Haushaltsnettovermögen von mehr als einer halben Million Euro. Die Ungleichheit ist auch stark regional geprägt, mit deutlich geringeren Vermögen im Osten als im Westen und besonders im Süden.18 Entgegen der Wahrnehmung, die in der Euro-Krise oft strapaziert wurde – von „reichen Deutschen“ und „armen Südländern“ – liegen die privaten Nettovermögen in Italien höher – bei 126.000 Euro. Das liegt am dort weiter verbreiteteren Immobilienbesitz.
Die österreichischen Vermögenswerte liegen leicht über den bundesdeutschen Zahlen.19 Das Median-Nettovermögen pro Haushalt beträgt laut der letzten Befragung 83.000 Euro, das Durchschnittsvermögen 250.000 Euro. Auch in Österreich sind die Vermögen ungleicher verteilt als die Einkommen. Allerdings ist die Ungleichheit des Reichtums in Mitteleuropa noch klein, im Vergleich etwa mit den USA. Dort liegt der Medianwert bei 97.000 Dollar und der Mittelwert bei fast 700.000 Dollar, was eine sehr große Ungleichheit und Ballung der Vermögen an der Spitze widerspiegelt. Die gestiegene Vermögenskonzentration wurde besonders in dem Werk des französischen Verteilungsforschers Thomas Piketty dokumentiert und angeprangert.20
Der Gini-Koeffizient, ein statistisches Maß für Ungleichheit, liegt in den USA beim Vermögen laut OECD bei 0,76 Punkten (1 wäre totale Ungleichheit, 0 totale Gleichverteilung), Österreich liegt etwas über 0,60, also recht weit oben, Deutschland knapp unter 0,60 und Frankreich und Großbritannien im OECD-Mittelfeld bei 0,50 oder darunter.
Ein Grund für die in den Statistiken mit fast null ausgewiesenen Nettovermögen der unteren Hälfte der Bevölkerung liegt darin, dass Rentenansprüche aus dem umlagefinanzierten gesetzlichen Rentensystem nicht mitgezählt werden. Renten- und Pensionsansprüche werden – auch wegen methodischer Schwierigkeiten – nicht gewertet. Das verzerrt den Vermögensvergleich von vielen Angestellten mit den Ersparnissen von Selbstständigen und Unternehmern.
Was die Einkommen angeht, gab es auch in Deutschland seit den 1990er-Jahren eine Zunahme der Ungleichheit, doch ist sie seit etwa 2005 gestoppt worden. In Österreich liegt der Gini-Koeffizient der Einkommen in den vergangenen zwei Jahrzehnten nahezu konstant. Der Gini-Wert der Markteinkommen (brutto) schwankt zwischen 0,46 und 0,48. Nach Steuern und einschließlich Sozialtransfers sind die verfügbaren Einkommen aber gleicher verteilt. Der Gini-Wert nach Umverteilung beträgt 0,28 in Österreich und 0,29 in Deutschland – damit liegen beide Länder im OECD-Vergleich im unteren Mittelfeld, mit eher geringer Ungleichheit. In Frankreich, Kanada, Japan, Italien, Großbritannien und den USA gibt es eine höhere Ungleichheit bei den verfügbaren Einkommen.
Obwohl es in den vergangenen Jahren einige polemische Debatten über zunehmende Ungleichheit gab und in Deutschland behauptet wurde, dass „die Soziale Marktwirtschaft tot“ sei, so die Worte der Chefs des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, belegen die Zahlen, dass die Ungleichheit nicht exorbitant zugenommen hat. „Insgesamt zeigt sich, dass die wirtschaftliche Ungleichheit in Deutschland eher moderat ausfällt“, urteilt Clemens Fuest, der Präsident des ifo Instituts, vor allem mit Blick auf die Gini-Koeffizienten.21 Auch in Österreich ist die wirtschaftliche Ungleichheit im internationalen Vergleich moderat.
Wichtig ist, mehr Chancen für den sozialen Aufstieg zu schaffen – durch ein gutes Schul-, Hochschul- und Ausbildungssystem. Das Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft lag nicht darin, eine möglichst egalisierte Einkommensverteilung zu erreichen, sondern Chancen für den Aufstieg und die Verbesserung der Lebenslage aus eigener Kraft für jeden zu ermöglichen. Eine zu hohe finanzielle Umverteilung durch den Staat kann kontraproduktiv sein, wenn sie Leistungsanreize mindert und die Fleißigen und Erfolgreichen bestraft.
Umgekehrt kann eine Kürzung von Sozialleistungen sozial sein, wenn sie die Anreize zur Arbeitsaufnahme verstärkt und zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit führt. Das war der Grundgedanke der in Deutschland nach 2003 umgesetzten „Agenda 2010“. Seitdem ist die zuvor hartnäckige Massenarbeitslosigkeit stark gesunken. Im Jahr 2005, als Hartz IV in Kraft trat und das niedrigere Arbeitslosengeld II die alte Arbeitslosenhilfe ablöste, waren mehr als elf Prozent arbeitslos, heute sind es weniger als sechs Prozent. Ökonometrische Untersuchungen führen dies zu einem Großteil auf die Reformen zurück: Mehr als die Hälfte des Rückgangs sind Ergebnis der Liberalisierung des Arbeitsmarkts.22 Inzwischen gibt es in Deutschland wie auch in Österreich weitgehend Vollbeschäftigung. Viele Unternehmen klagen darüber, dass qualifizierte Bewerber nur noch schwer gefunden und einige Stellen kaum besetzt werden können.
Zentrale Herausforderungen: Demografischer Wandel und Massenmigration
Für die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft lassen sich mehrere zentrale Herausforderungen ausmachen, die auf unterschiedliche Weise die Grundlagen berühren.
Der demografische Wandel mit der Alterung der Gesellschaften und dem Kindermangel setzt die sozialen Sicherungssysteme unter Stress und verschärft die Finanzprobleme und Verteilungskonflikte. Als Adenauer in den 1950er-Jahren den Umstieg auf ein umlagefinanziertes Rentensystem durchsetzt, das auf einem „Generationenvertrag“ beruht, erwidert er auf kritische Fragen, ob auch in Zukunft ausreichend Einzahler vorhanden sein würden, mit dem legendären Spruch „Kinder bekommen die Leute immer“.
Seit Mitte der 1960er-Jahre sind aber die Geburtenraten drastisch zurückgegangen. Die Geburtenraten sind von mehr als zwei auf etwa 1,4 Kinder pro Frau gesunken, das ist um rund ein drittel weniger als das „bestandserhaltende“ Niveau. Auf dem Höhepunkt des „Babybooms“ 1964 kamen in Deutschland (West und Ost zusammengenommen) 1,35 Millionen Kinder zur Welt, heute bewegen sich die Zahlen nur noch bei etwa der Hälfte pro Jahr. Der deutsche Wirtschafts- und Sozialstatistiker Walter Krämer spricht nicht von einem „demografischen Wandel“, sondern drastisch von einer „demographischen Zeitbombe“ beziehungsweise einer „demographischen Implosion“.23 Ausgeglichen wurde und wird die demografische Lücke vor allem durch massive Zuwanderung, teils auch von außereuropäischen Migranten aus der Türkei, dem Nahen Osten und Nordafrika. Das hat in einigen Städten zu großen Integrationsproblemen bis hin zur Bildung von (muslimischen) Parallelgesellschaften geführt.
Wenn im kommenden Jahrzehnt die „Babyboomer“ nach und nach in Rente gehen, wird die Knappheit auf dem Arbeitsmarkt drastisch verschärft und die finanziellen Belastungen der Rentenkassen werden schlagartig steigen. Um das Jahr 2030 dürfte der Höhepunkt erreicht sein, dann ist die demografische Falle zugeschnappt. Um dem zu entgehen, spricht der deutsche Sachverständigenrat der „Wirtschaftsweisen“ von „dringendem Handlungsbedarf“24. Auch in Österreich dürfte dieser bestehen. Wenn nichts getan wird, müssen die Sozialabgaben stark steigen oder das Rentenniveau muss sinken.
Der Anstieg der Sozialausgaben, sowohl in absoluten Zahlen als auch als Anteil am staatlichen Gesamtbudget, ist in vielen Ländern in den vergangenen Jahren vor allem durch die Alterung der Gesellschaften getrieben, zeigen Ludger Schuknecht und Holger Zemanek in einer aktuellen ökonometrischen Studie. Ihre Befürchtung ist, dass dieser Trend politisch kaum noch oder nur zu sehr hohen politischen Kosten aufzuhalten sein wird. Zudem ist zu befürchten, dass es zu einer „sozialen Dominanz“ im Budget kommt – andere notwendige Ausgaben werden zunehmend vernachlässigt.25 An anderer stellt hat Schuknecht in einer internationalen Vergleichsuntersuchung gezeigt, dass immer höhere Ausgaben für Umverteilungsprogramme das Vertrauen der Bürger in den Staat nicht erhöhen, dieses steigt aber bei einer zufriedenstellenden Erfüllung der Kernaufgaben, vor allem innere und äußere Sicherheit und eine funktionierende Infrastruktur.26 Die Erfahrung eines „Kontrollverlusts“ bis hin zu einem „Staatsversagen“ in der Flüchtlings- und Migrationskrise war Gift für das Vertrauen der Bürger in ihr politisches und staatliches System.
Um die Finanzen des Rentensystems künftig zu stabilisieren, gibt es theoretisch fünf Möglichkeiten: eine Erhöhung der Beiträge der Einzahler, sinkende Rentenzahlungen an die Senioren, eine längere Lebensarbeitszeit durch ein späteres Renteneintrittsalter, höhere Geburtenraten (was aber erst mittel- bis langfristig das System stabilisiert, wenn die Kinder zu Erwerbstätigen werden) und mehr Zuwanderung. Bei der Zuwanderung, die gerade von Wirtschaftsverbänden oftmals gefordert wird, sind auch kulturelle Aspekte zu bedenken, die eine Integration bestimmter Zuwanderergruppen in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt erschweren.
Tendenziell liegen muslimische Immigranten sowohl bei der Arbeitsmarktintegration als auch bei der Bildung und der Zahl der interethischen Kontakte hinter allen anderen Einwanderergruppen, wie der Migrationsforscher und Soziologe Ruud Koopmans in einer großen empirischen Studie nachgewiesen hat.27 Datenbasis für die Berechnungen war eine Befragung im Rahmen des EURISLAM-Projekts in sechs westeuropäischen Ländern, darunter Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die Niederlande, mit mehr als 7.000 Teilnehmern. Befragt wurden Immigranten aus der Türkei, Marokko, Pakistan und dem früheren Jugoslawien. Als Vergleichsgruppe dienten die westeuropäischen Einheimischen. Das Ergebnis zeigt: Je größer die Wertedistanz der Einwanderer zur Aufnahmegesellschaft, desto schwieriger wird es.
Außerdem gibt es verschiedene empirische und experimentelle Untersuchungen, die zeigen, dass bei zu stark zunehmender Diversität in den Gesellschaften die Basis für Kooperation brüchiger wird und ebenso die Bereitschaft abnimmt, für den Sozialstaat zu zahlen.28 In extrem diversen Gesellschaften steigt der Widerstand gegen Umverteilung. Die Massenmigration kann damit die öffentliche Unterstützung für den Sozialstaat unterminieren. Dabei geht es nicht nur um subjektive Einschätzungen, sondern es geht auch um hohe tatsächliche finanzielle Belastungen. Gerade die im Zuge der jüngsten Asylzuwanderung gekommenen Migranten beziehen über die Jahre hohe Leistungen des Sozialstaats. Die Belastung des deutschen Sozialstaats über die Jahrzehnte dürfte in mittlerer dreistelliger Milliardenhöhe liegen.29 Ungesteuerte Zuwanderung in die Sozialsysteme dürfte zum Zerfall derselben sowie zu schwerer politischer Destabilisierung führen.
Absehbar wird es einen hohen Migrationsdruck aus Afrika geben, aufgrund der extrem hohen Bevölkerungszunahme dort. Die UN-Prognosen sagen eine Verdoppelung der Bevölkerung Afrikas von derzeit 1,25 Milliarden auf 2,5 Milliarden bis zum Jahr 2050 voraus; schon heute ist mehr als ein Drittel der jungen Menschen dort arbeitslos oder unterbeschäftigt.30 Bei steigendem Wohlstand in den ärmsten Ländern nimmt der Migrationsdruck nicht ab, sondern zu, weil mehr Menschen die finanziellen Mittel zur Auswanderung bekommen. Der Glaube, mit Entwicklungshilfe, die eine Verbesserung der materiellen Lage bewirken würde, könnte man den Migrationsdruck senken, ist also trügerisch, zeigen Migrationsforscher wie Michael Clemens und Axel Dreher.31 Daher müssen die europäischen (Sozial-)Staaten neben besseren Entwicklungshilfekonzepten auch eine effektive Bremsung und Eindämmung der unerwünschten Zuwanderung durchsetzen, wenn sie ihre Zukunft nicht aufs Spiel setzen wollen.
Globalisierung, Digitalisierung und Wandel der Arbeitsgesellschaft
Die zweite Herausforderung von größter geopolitischer Dimension liegt in der fortschreitenden Globalisierung und dem Aufstieg Chinas als neue Großmacht. Diese neue wirtschaftliche Konkurrenz, die auch eine Systemkonkurrenz ist, setzt die bisher dominierenden westlichen Wirtschaftsmächte unter Druck. In den USA hat die Öffnung des Handels mit China, das seine billigen Exportwaren auf den Markt wirft, nach dem WTO-Beitritt 2001 zu einem schockartigen Verlust von etwa zwei Millionen Arbeitsplätzen, vor allem im ehemaligen Industriegürtel im Nordwesten, geführt, wie der MIT-Ökonom David Autor belegt hat.32 Aus dem „Steel Belt“ ist der „Rust Belt“ geworden.
Im Gegensatz dazu hat Deutschland von der Globalisierung insgesamt profitiert, weil die deutschen industriellen Spezialitäten wie Maschinen und Autos weltweit stark nachgefragt werden, vor allem auf dem riesigen Markt in China, aber auch in Osteuropa. Die Öffnung hat also mehr genützt als geschadet. Zwar gibt es auch in Deutschland Verliererregionen und Verliererbranchen, doch sind unter dem Strich mehr neue Jobs geschaffen worden als alte verlorengegangen sind.33 Auch Österreich hat von der Öffnung nach Osteuropa profitiert. Obwohl einige alte Branchen unter verschärften Druck kamen, hat die Wirtschaft insgesamt einen Aufschwung genommen, und die Beschäftigung ist hoch. Worauf es in Zukunft jedoch ankommt, ist eine hohe Flexibilität der Unternehmen und ein besonders guter Ausbildungsgrad der arbeitenden Bevölkerung, um sich den schneller wandelnden Verhältnissen besser anzupassen.
Das gilt besonders mit Blick auf die Digitalisierung, die den Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren tiefgreifend verändern wird. Computer und Roboter können Teile der heutigen Aufgaben von menschlichen Arbeitskräften übernehmen. Einige Studien sagen daher extrem hohe Beschäftigungsverluste voraus. Die berühmt-berüchtigte Prognose der Oxford-Forscher Carl Frey und Michael Osborne auf Basis der Befragung von Computer-und Robotik-Fachleuten, wonach 47 Prozent aller Jobs in Amerika ersetzbar und damit in den nächsten zehn bis 20 Jahren gefährdet sein könnten34, ist wohl viel zu hoch gegriffen. Eine differenziertere Analyse verschiedener Berufsbilder durch Ökonomen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigt, dass etwas mehr als ein Zehntel aller Jobs ersetzbar ist durch Maschinen. Und dem müssen die neu geschaffenen Arbeitsplätze etwa in der Programmierung, Entwicklung, Bedienung und Wartung der Maschinen gegengerechnet werden. Unter dem Strich könnte der Nettoverlust klein sein, es ist sogar ein Nettogewinn denkbar.35
Zu bedenken ist aber auch der Effekt der Digitalisierung auf die Marktstrukturen. Aufgrund von Größenvorteilen und Netzwerkeffekten haben sich – vor allem im Silicon Valley – gigantische Tech-Unternehmen gebildet, die kleinere Wettbewerber aus dem Feld drängen. Namen wie Google, Amazon und Facebook stehen für Tech-Giganten, die sich im Wettbewerb als extrem innovativ erwiesen haben, aber möglicherweise künftig zu Blockaden für den Wettbewerb werden. Sie haben es geschafft, sich einen kaum noch einholbaren technischen Vorsprung zu erarbeiten. Die Google-Suchmaschine hält in vielen Ländern einen 90-Prozent-Marktanteil. Apple ist technologischer Marktführer, Facebook ist ein Netzwerk mit zwei Milliarden Nutzern, Microsoft hat bei vielen Software-Programmen fast eine Monopolstellung inne.
Das von den Ordoliberalen seit den 1930er-Jahren diskutierte Problem der Marktmacht präsentiert sich nun mit verschärfter Aktualität. Marktmacht bedeutet, dass Konzerne höhere Preise durchsetzen können. Die deutsche Monopolkommission weist darauf hin, dass die Preisaufschläge in den vergangenen Jahren einen Aufwärtstrend aufweisen.36 Der IWF schreibt in seinem jüngsten „World Economic Outlook“ in einem eigenen Kapitel auf Basis einer Untersuchung der Gewinn- und Umsatzdaten von fast einer Million Unternehmen in 27 Ländern, dass die Marktmacht – gemessen an den „Markups“ (Preisaufschläge über den Grenzkosten) – in einigen Bereichen deutlich zugenommen haben; in Amerika im obersten Zehntel der Unternehmen wohl um 30 Prozent – besonders in den Digitalbranchen.37 Die Wettbewerbspolitik muss im Zeitalter der Digitalisierung neue Strategien entwickeln, um den Wettbewerb zu erhalten, wenn wir nicht in eine Welt der „vermachteten“ Großkonzerne rutschen wollen.
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