Kitabı oku: «Das geistige Straßburg im 18. und 19. Jahrhundert», sayfa 3
Pancratz Der eingefleischte Polter-Geist – Ein anonymes Straßburger Volksstück aus dem Jahr 1722
Sikander Singh, Saarbrücken
I.
Dem zweiten Band der Deutschen Schaubühne, der bekanntlich vor dem ersten veröffentlicht worden ist, hat Johann Christoph Gottsched ein „Verzeichniß aller Theatralischen Gedichte, so in deutscher Sprache herausgekommen“ vorangestellt. Unter der Rubrik „Deutsche Schauspiele, von 1700 bis 1740“ findet sich der Hinweis: „Pancratz eingefleischter Polter-Geist“; als Erscheinungsjahr des Schauspiels wird 1727 genannt; versehen ist der bibliographische Eintrag mit dem Vermerk: „in ungebundener Rede“.1 Die falsche Datierung des Werkes zeigt an, dass der Leipziger Professor den 151 Seiten im Oktavformat umfassenden Band nicht autopsiert, sondern eine bibliographische Angabe aus anderer (bislang unbekannter) Quelle übernommen hat, denn der Band, der ohne Angabe eines Verfassers, eines Verlegers, eines Druckers oder Druckortes erschien, ist wie auf dem Innentitel ausgewiesen 1722, somit fünf Jahre früher als Gottsched behauptet, publiziert worden.
In dem Nöthigen Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst, mit dem der Leipziger Professor im Jahr 1757 den großen Bestand „von Schauspielen vor Augen“ zu legen beabsichtigte, wie er in der Vorrede vermerkt, „den Deutschland seit zweyen und mehr Jahrhunderten hervorgebracht, und in offenem Drucke dargeleget hat“,2 in diesem Verzeichniß aller Deutschen Trauer- Lust- und Sing-Spiele, die im Druck erschienen von 1450 bis zur Hälfte des jetzigen Jahrhunderts, wird dieser Fehler korrigiert. Hier findet sich im vierten Abschnitt der Hinweis auf das im Jahr 1722 in Straßburg veröffentlichte Bühnenstück Pancratz Der eingefleischte Polter-Geist: Tragico-Comödie Oder vermischtes Traur und Lust-Spiel.3 Auf welcher Grundlage Gottsched seinen Irrtum korrigiert hat, ist aufgrund fehlender Quellen nicht zu bestimmen.
Das seltene Buch hat sich in der Gegenwart in nur wenigen deutschen Bibliotheken erhalten; so besitzt die Studienbibliothek Dillingen an der Donau zwei Exemplare,4 die Universitätsbibliothek Leipzig,5 die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar,6 die Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover7 und die Staatsbibliothek zu Berlin8 verwahren jeweils ein Exemplar. Die letztgenannte Bibliothek stellt das ihre auch in digitalisierter Form zur Verfügung.9
Ebenfalls verzeichnet Curt von Faber du Faur das Schauspiel unter den seltenen Drucken seiner Sammlung, die sich nunmehr im Besitz der Yale University Library befindet.10 Schließlich charakterisieren, vor dem Hintergrund seiner geringen Verbreitung, Hugo Hayn und Alfred N. Gotendorf, die das Werk ebenfalls verzeichnen, das Buch als „Sehr rar!“.11
II.
Das Bühnenwerk ist jedoch nicht nur aus bibliophiler oder buchwissenschaftlicher Perspektive, sondern auch im Hinblick auf Fragen nach seiner Einordnung in einen Traditionszusammenhang sowie einen entstehungsgeschichtlichen Kontext interessant. So weicht bereits seine Bauform von den hergebrachten drei- bzw. fünfaktigen Komödientypen ab: Das Stück gliedert sich in vier Akte, die „Handlungen“ genannt werden; sie sind ihrerseits in zehn bzw. neun Auftritte unterteilt. Es treten elf namentlich benannte Personen auf, sowie „[e]inige Geister“ und „[e]inige Musicanten“, die das vorangestellte Dramatis personae verzeichnet.1 Der „Schau-Platz ist zu Straßburg“;2 neben dem nicht weiter lokalisierten Haus des Spenglermeisters sowie Straßen und Plätzen in dessen Umgebung wird im zweiten Akt der „Baarfüsser Platz“ erwähnt.3 Seinen Namen verdankt dieser Platz einem anliegenden Franziskanerkloster, eine Umbenennung in „Waffenplatz“ erfolgte bereits im 17. Jahrhundert, im 19. Jahrhundert diejenige in „Kléberplatz“. Der „groß[e]“ aber „irregular[e]“ Platz, wie Johann Christian von Kölichen in einer Reisebeschreibung des Jahres 1723 herausstellt, behielt umgangssprachlich jedoch seine anfängliche Bezeichnung.4 Hier wurden im Verlauf der Jahrhunderte verschiedene Märkte abgehalten, so dass die in dem Stück gemachte Angabe „Gerümpel Marck“ durchaus den historischen Gegebenheiten entspricht.5 Der Begriff bezeichnet, wie das Wörterbuch der elsässischen Mundarten festhält, „unbrauchbare[n] od. sonst überflüssige[n] Hausrat, durcheinander geworfene Gegenstände oder Waren von geringem Werte“.6
Ebenfalls vorangestellt findet sich ein „Vorbericht“. Dieser Paratext behauptet, dass die nachfolgenden „Erzehlungen von dem vermeinten Polter-Geist in deß Spenglers Haus […] keine Erdichtung“ seien, „sondern eine wahrhafftige Geschicht“.7 Ob die dramatische Darstellung des Autors einer historischen Wahrheit entspricht oder ihrerseits eine Fiktion ist, welche die Funktion hat, dem Bühnengeschehen durch behauptete Authentizität Glaubwürdigkeit und Gewicht zu geben, muss unentschieden bleiben, da es bisher nicht gelungen ist, Dokumente aufzufinden, welche die Ereignisse als historisch belegen. Im „Vorbericht“ heißt es hierzu:
Diese Begebenheit hat sich Anno 1722. im Augusto und zu Anfang desß Septembris ereignet. Worauf man nach vorhergehenden Anzeigungen besagten N.N. eingezogen / welcher auch in der Hinwegführung auf eine curiöse Weise / wie hier erwehnet wird / seiner Wacht allerdings entwischet. Nach einer Zweymonatlichen zimlich harten Einhafftirung ist ihm das Urtheil gefället worden / daß er auf den Lasterstein / mit einem um den Hut geheffteten Zettel worauf dieser Titul böser Bub der den Geist agieret / geschrieben war / stehen / und er auf fünff Jahr auß dem Straßburgischen Territorio verwiesen seyn soll / welches auch Sambstags den 14. Novembris Nachmittag an ihm vollzogen worden.8
Der 14. November 1722 war tatsächlich ein Samstag. Ebenfalls gab es im Straßburg dieser Jahre einen Lasterstein, also einen „(erhöhte[n]) Stein, der zur Ausstellung und Züchtigung eines Rechtsbrechers dient[e]“; diese öffentliche Zurschaustellung wurde nach damaliger Rechtsauffassung „als milderes Strafmittel gegenüber dem Pranger angesehen“.9 Johann Andreas Silbermann, ein Spross der berühmten, elsässischen Orgelbauerfamilie, berichtet von der Lage und Funktion der Stätte in seiner historischen Darstellung der Stadt Straßburg:
Endlich ist noch des zu unsern Zeiten an der Münz gestandenen Laster-Steins zu gedenken, worauf die Verbrecher, durch die sogenannten Fausthämmer oder Gerichtsdiener gestellt wurden. Dieser Stein ist 1738, als das Münz-Gebäude abgebrochen worden, auch da weggekommen, und an dessen Statt an der Pfalz die unterste Staffel beym Hals-Eisen zu gebrauchen verordnet worden.10
Aber nicht nur der „Vorbericht“, auch der Titel des Werkes verdeutlicht, dass nicht die Geschichte eines tatsächlichen und „bösartige[n] Geist[es], welcher sich in dem Hause mit Poltern und Lärmen hören läßt“, erzählt wird, sondern von einer Täuschung und Irreführung berichtet werden soll, die von einer Figur in der Absicht herbeigeführt wird, an anderen Figuren einen Betrug zu begehen.11 So ist der Nennung der Titelfigur die Erläuterung „[d]er eingefleischte Polter-Geist“ nachgestellt. Das Partizipium ‚eingefleischt‘ war bereits im 18. Jahrhundert nur „in figürlicher Bedeutung üblich“, wie Johann Christoph Adelung erläutert: „Ein eingefleischter Teufel, ein Teufel in menschlicher Gestalt, ein Teufel der Boßheit nach; außer welcher Redensart dieses Wort nicht mehr vorkommt.“12 Daher weist der Titel zum einen das doppelte Spiel aus, das in dem Stück zur Darstellung kommt, und lässt zum anderen das Tückische und Hinterhältige hinter den aufgeführten Handlungen anklingen.
Die Titelei ist jedoch in anderer Hinsicht nicht so eindeutig, wie dies zunächst den Anschein hat: Einerseits kann im Werktitel eine Nominalphrase erkannt werden. In diesem Fall ist „Pancratz“ als Name einer Figur zu lesen, der um den erläuternden Zusatz „Der eingefleischte Polter-Geist“ erweitert ist. Dies ist die Lesart, die seit Gottscheds Nöthigem Vorrath verbreitet ist. Der Leipziger Aufklärer modifiziert die Schreibung des Titels daher konsequenterweise in „Pancratz, der eingefleischte Polter-Geist“, stellt dem Namen also ein Komma nach und schreibt das Relativpronomen „der“ klein.13
Andererseits ist der Name „Pancratz“ nicht in jener Frakturschrift gesetzt worden, die für den gesamten Band ansonsten Verwendung gefunden hat, sondern in einer Antiqua. Diese typographische Hervorhebung folgt zwar den Konventionen der Zeit, eröffnet aber zugleich die Möglichkeit, den Namen als (freilich pseudonyme) Verfasserangabe zu verstehen. Diese Lesart gewinnt durch die zweite Zeile der Titelei an Plausibilität, denn sie beginnt mit einer Majuskel („D“).
Dass Pancratz eine in dem Schauspiel auftretende Figur ist („deß Spenglers Gesell“, wie das Dramatis personae verzeichnet14), läuft dieser Deutung nicht notwendig zuwider. Vielmehr verleiht die Gleichsetzung des (seine Identität ohnehin verschleiernden) Verfassers mit der zentralen Figur des Stückes dem Bühnengeschehen eine größere Attraktivität. Die im Vorbericht behauptete Authentizität des Geschehens würde in diesem Fall durch die Kongruenz von Autor und Figur zusätzlich unterstrichen. Und dass der vorangestellte Paratext den Namen des Gesellen mit dem Hinweis „Nullum nomen“ („N. N.“15) verbirgt, erweckt die weitergehende Neugier des Lesers. Aufgrund fehlender Quellen, welche die Verfasserschaft des Werkes bezeugen könnten, ist im Hinblick auf diese dargelegten Sachverhalte jedoch keine abschließende Einordnung möglich.
Somit verdeutlichen bereits die Anlage des Titels und des Vorberichts, dass das Schauspiel nicht von einem Poltergeist handelt, sondern von einer Figur, welche die Existenz eines solchen Geistes behauptet und die Leichtgläubigkeit anderer für eigene Zwecke nutzt, um auf diese Weise Schaden anzurichten. Das Bühnengeschehen gewinnt seine Spannung (und Komik) also weniger aus der (wie denkbar: effektvollen) Darstellung einer Geistererscheinung, deren fiktionsimmanente Realität beteuert wird, sondern aus der Art und Weise, wie die Täuschung im Figurenspiel enthüllt wird.
III.
Dass das Stück das Lächerliche des Aberglaubens aufdeckt, zeigt sich ebenso in der Anlage der Figuren: Bis auf die beiden Studenten entstammen alle auftretenden Figuren der niederen Welt des Handwerks. Die Darstellung des beruflichen Lebens und alltäglichen Treibens dieser sogenannten einfachen Leute und ihres durchaus örtlichen Gepräges deutet bereits auf die Lokalkomödien Carlo Goldonis oder Ramón de la Cruz’ voraus, die im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts in ganz Europa Popularität erlangten.1
Den poetologischen Vorstellungen der Zeit entsprechend, erfolgt die Belehrung der Zuschauer über Fehler und Tugenden durch Kontraste: Dem (Aber)Glauben des Spenglers, der in dem sein Haus und seine Werkstatt heimsuchenden Lärm das Wirken eines Poltergeistes zu erkennen glaubt, werden Einschätzungen zweier „studirende[r] fremde[r] Cavalliers“ gegenübergestellt, die in ihren Gesprächen das Unwissen und die Naivität des Handwerksmeisters reflektieren und kommentieren. So wendet sich der Spengler Simplicius im dritten Auftritt des ersten Aktes mit der Klage an seine Lehrbuben:
Behüt uns … ihr lieben Kinder / ihr habt es ja selbst gesehen und gehöret und sehet uñ höret es noch stündlich / das der leidige abgesagte Feind deß menschlichen Geschlechts vor ein entsetzliches Wesen in meinem Hauß anstellet. Ich armer und darzu mit dem vermaldedeyten Podagra geplagter Handwercks Mann weiß mich nicht deß geringsten Verbrechens zu erinnern / dadurch ich mir den Himmel oder die Hölle so auffsässig solte gemacht haben. Betet ihr Bursch vielleicht nicht fleißig und richtig?2
Die Anrede offenbart neben der (falschen) Überzeugung des Handwerkers, dass die Störungen in seinem Haus von einer höheren Macht verursacht werden, die Glaubensgewissheit, dass die Erscheinungen eine Strafe für Fehlverhalten sind und somit durch Gebete und Sühneopfer wieder aufhören werden.
Das schlichte Gemüt des Spenglers, das auf diese Weise sichtbar wird, kommt auch in seinem Namen zum Ausdruck, der als Hinweis auf das Wesen seines Trägers zu lesen ist (und auf diese Weise zugleich die Tradition des Abentheuerlichen Simplicissimus Teutsch von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen aufruft). Diese Haltung wird mit derjenigen eines der Studenten konfrontiert, der nicht an überirdische Mächte glaubt, sondern eine strikt rationale Erklärung des „Schießens“, also des im Haus des Handwerkers auftretenden Lärms vertritt:
Die Zeit wird den Außgang bringen / und dieser die Wahrheit offenbahren. Ich finde bey diesem Schießen nichts / als was durch menschliche Geschicklichkeit kan zuwegen gebracht werden. Wann ich überwießen solte seyn / daß der Teuffel oder eine abgestorbene und noch vor ihrer letzten Ruh wieder zurück gewiesene Seel oder auch gar eine himmlische Gewalt diese Unordnung anrichtete / so müßte ich dergleichen geschossene Sachen sehen / die der gemeine Verstand nicht begreiffen könne; Zum Exempel / frembde Thiere / Vögel / Schlangen und dergleichen / wiewohl auch noch dieses durch abgefeimte und angestellte Betrüger zu erzwingen wäre.3
Ein nicht nur inhaltlich, sondern auch quantitativ bedeutender Aspekt des Stückes sind jene Dialoge, welche entweder das Unerklärliche der Erscheinungen betonen und somit auf überirdische Mächte als deren Urheber verweisen, oder darlegen, inwiefern menschliche Manipulationen als Ursachen der Geräusche und Zerstörungen in dem Haus des Handwerkers angesehen werden müssen und daher Appelle an die Vernunft der Zuschauer sind.
Das Straßburger Bühnenstück weist damit charakteristische Momente des Lust- oder Freudenspiels im Spannungsfeld von Barock und Frühaufklärung auf: Die Personen sind solche, um auf eine Wendung Georg Philipp Harsdörffers zurückzugreifen, „die in gemeinen Burgerlichen Leben zu finden“ sind,4 und die Belehrung des Zuschauers über richtiges (tugendhaftes) und falsches (lasterhaftes) Verhalten erfolgt, indem letzteres dem Gelächter preisgegeben und mit dem Vorbild des ersteren kontrastiert wird, wie Albrecht Christian Rotth in seinem Werk über die Poesie erläutert:
So ist demnach die neue bey uns itzo gebräuchliche Comödie nichts anders als ein solch Handelungs-Spiel / in welcher entweder eine lächerliche oder auch wohl löbliche Verrichtung einer Person / sie sey wer die wolle / sie sey erdichtet oder aus den Historien bekannt / mit vielen sinnreichen und lustigen Erfindungen auffgeführet und abgehandelt wird / daß entweder die Zuschauer die Fehler und Tugenden des gemeinen menschlichen Lebens gleichsam spielweise erkennen und sich bessern lernen / oder doch sonst zu einer Tugend auffgemuntert werden.5
IV.
In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass das Stück parallel zu der Geschichte des vermeintlichen Poltergeistes auch eine Liebesgeschichte erzählt und solchermaßen von dem Ineinander zweier Handlungsstränge strukturiert wird, die in dem Haus des Spenglers zusammenlaufen: Angelica, der Tochter des unglücklichen Meisters Simplicius, wird von einem namentlich nicht bezeichneten Architectus der Hof gemacht. Die Handlung setzt ein mit einem galanten Schreiben, in dem er ihr seine Liebe gesteht. Angelica wird zunächst von widerstreitenden Gefühlen bestimmt. Einerseits fühlt sie sich geschmeichelt, andererseits misstraut sie seiner Emphase. Im Verlauf der Handlung stellt sich heraus, dass der Architectus verschiedenen Frauen zugleich den Hof macht, so auch der Magd Angelicas. Letzteres geschieht in der Absicht, über die Neigung der Dienerin das Herz der Herrin zu gewinnen. Es parodiert damit eine alte, bereits in der Ars amatoria des römischen Dichters Ovid dargelegte persuasive Strategie.
Auch hier entsteht die komische Wirkung des Bühnengeschehens dadurch, dass den Zuschauern bereits zu Beginn der Handlung die Zusammenhänge und Motivationen der Figuren enthüllt werden. In diesem Fall sind dies die unredlichen Absichten des Architectus. So werden in seinem Monolog im zweiten Auftritt des ersten Aktes seine den moralischen Vorstellungen der Zeit entgegenlaufenden Haltungen und seine ebenso verwerfliche Selbstverliebtheit deutlich herausgestellt:
Courage! es ist mir schon ein mancher Liebes-Handel angegangen und muß mir dieser auch sein gewünschtes Ende erreichen. Was wolt ich zweiffeln? Ich bin wohl gemacht als wann mich der Dädalus selbst geschnitzelt hätte. Was fehlt der Beredsamkeit meines Mundes? […] Mein Verstand ist ein gemeiner Anlaß zum Discurs in der Stadt und auf dem Land gelte ich wie ein Orackel.1
In weiteren Verlauf des Selbstgespräches wird zudem auf eine ironisch-hintergründige Weise die „flüchtige und zugleich liebliche Untreu bey den Manns-Personen“ betont, so dass keinerlei Zweifel an der Unredlichkeit seiner Absichten bleiben.2 Dass Angelica sich nachfolgend von dem Werben zuerst rühren und endlich überzeugen lässt, erscheint vor diesem Hintergrund lächerlich. Aus dem Kontrast ihrer naiven Ernsthaftigkeit und seiner schönen Worte sowie seiner effektvollen, aber zugleich leeren Gesten erwächst jener Kontrast, welcher das Gelächter des Publikums bewirkt. Auch sind die komischen Effekte des Stückes voraussehbar: Diese Antizipation der komischen Zwischenfälle und Ereignisse seitens der Zuschauer ist ebenfalls ein charakteristisches Mittel, mit dem in der Komödie Gelächter erzeugt wird.
Sowohl der Architectus als auch Angelica sind aus sich selbst heraus komisch. Ihre Handlungen und Meinungen sind übertrieben; ihnen fehlt das Feingefühl für das, was semantisch, stilistisch, situativ angemessen ist (aptum). Sie wirken komisch durch einen Erwartungshorizont, der zunächst evoziert und dann in doppelter Hinsicht unterlaufen wird: Die Rhetorik seines Werbens rekurriert auf das Liebesideal der Tragödie und die zögernde Unsicherheit, mit der sie seinem Drängen schließlich nachgibt, korrespondiert ebenfalls mit jenem Verhalten weiblicher Figuren, das höhere literarische Stillagen vorhalten. Indem die solchermaßen „heroischen Ideal[e]“, um einen Gedanken von Hans Robert Jauß aufzunehmen, herabgesetzt werden, entsteht eine Gegenläufigkeit, die zum Anlass des Komischen wird.3
Zugleich kontrastiert das Werben des Architectus um Angelica mit seinem Werben um deren Magd. Während er bei der Tochter des Spenglers einen hohen Ton anschlägt, ist er bei der Magd mit schmeichlerischen Worten und materiellen Versprechungen erfolgreich, beispielsweise mit einem Paar der damals bei Frauen beliebten „Hamburger-Strümpffe“.4 (Diese sind in der Hansestadt erstmals „drey und vier drähtig gestrickt“ worden, woraus sich die bis in das 19. Jahrhundert gebräuchliche Qualitätsbezeichnung ableitet.5) Die manifesten Strukturen und damit verbundenen Konventionen der ständischen Gesellschaft im frühen 18. Jahrhundert werden somit auch im Figurenspiel abgebildet.
Interessant werden die Liebeshändel des Architectus an der Stelle, da Angelica das Unredliche seines Verhaltens entdeckt:
Ha! du falscher Hund! ich hab dir und meiner Neben-Buhlerin nicht länger mehr zuhöhren und zusehen können / und ich soll dir getreu verbleiben? Ich soll dich eintzig bis in das Grab lieben / du aber in meinem eignen Hauß hast das Hertz dasselbe zum Theater deines Muthwillens zu machen und ich soll dir getreu seyn? Du bist so unverschähmt mit der Magd der jenigen / die du zu deinem eintzigen Engels-Kind erwehlet zu haben vorgiebst / zu courtoisieren und ich soll dir nicht untreu seyn?6
Der weitere Verlauf der Handlung ist damit jedoch keineswegs vorgezeichnet; vielmehr vollzieht sich in den letzten beiden Auftritten eine unerwartbare und damit ironisch zu wertende Wendung. Der Architectus liebt „sie beyde gleich“, wie er zu Beginn des neunten Auftritts des vierten Aktes bekennt, und „beyde haben einen Eyd geschworen / keine Eyffersucht“ seinetwegen „gegeneinander zu empfinden oder zu hegen“.7 Diese veränderte Haltung, die sowohl den moralischen Vorstellungen wie den gesellschaftlichen Konventionen der Zeit widerspricht, wird nicht psychologisch begründet, weshalb das Unvermittelte dieses Schlusses die Provokation, mit der das Stück sein Publikum konfrontierte, betont. So kommentiert Angelica den Vorgang:
Wann ich alles recht erwege / so muß ich gestehen / daß die Ungleichheit deß Stands in der Liebe keinen Scrupel mache / also mag ich wohl leiden / daß Monsieur Architectus neben mir meine Magd gleichfalls karreßiere […].8
Und die Magd ergänzt: „Ich will meiner Jungfer gern die Oberhand lassen / wann aber Monsieur Architectus mich ein bißgen schätzen will / so kan ich es ihm ja nicht wehren.“9