Kitabı oku: «Der undankbare Kontinent?», sayfa 4

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Ich glaube, dass die jungen Menschen Afrikas ihr Land verlassen, weil sie wie alle jungen Menschen die Welt erobern wollen.

Wie alle jungen Menschen haben sie Lust auf das Abenteuer und Sehnsucht nach der weiten Welt.

Sie wollen selber sehen, wie man anderswo lebt, denkt, arbeitet, studiert.

Afrika wird seine Renaissance nicht verwirklichen, wenn es seiner Jugend die Flügel stutzt. Afrika braucht doch seine Jugend.

Afrikas Renaissance wird beginnen, sobald man die Jugend Afrikas lehrt, mit der Welt zu leben, statt sich ihr zu verweigern.

Die Jugend Afrikas muss das Gefühl bekommen, dass ihr die Welt ebenso gehört wie allen anderen jungen Menschen auf unserer Erde.

Die Jugend Afrikas muss das Gefühl bekommen, dass alles möglich wird, genauso wie den Menschen der Renaissance alles möglich schien.

Nun, ich weiß sehr gut, dass die Jugend Afrikas nicht als einzige in der Welt Hausarrest bekommen darf. Sie kann nicht als einzige in der Welt nur wählen dürfen zwischen illegaler Immigration und fatalem Rückzug auf sich selbst.

Es muss ihr möglich sein, außerhalb Afrikas die Kompetenz und die Bildung zu erwerben, die sie daheim nicht erwerben könnte.

Aber sie ist es der afrikanischen Erde auch schuldig, ihr die erworbenen Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen. Man soll nach Afrika wieder zurückkehren, um es aufzubauen. Man soll ihm Bildung, Kompetenz und Dynamik seiner führenden Köpfe bringen. Man soll der brutalen Ausdünnung der afrikanischen Eliten ein Ende setzen, weil Afrika diese Eliten für seine Entwicklung braucht.

Die Jugend Afrikas will nicht auf Gedeih und Verderb den skrupellosen Schlepperbanden ausgeliefert sein, denen euer Leben nichts bedeutet.

Die Jugend Afrikas will, dass ihre Würde gewahrt bleibt.

Sie möchte studieren, arbeiten, anständig leben können. Im Grunde will das ganz Afrika. Afrika will keine milde Gabe. Afrika will keine Hilfe. Afrika will keine Sonderbehandlung.

Afrika will und verdient Solidarität, Verständnis und Respekt.

Afrika will, dass man nicht an seiner Stelle die Zukunft plant, dass man nicht an seiner Stelle denkt und entscheidet.

Afrika will, was Frankreich will, nämlich: Kooperation und Zusammenschluss, Partnerschaft zwischen Nationen, die gleich an Rechten und Pflichten sind.

Jugend Afrikas! Wollt ihr Demokratie, wollt ihr Freiheit, wollt ihr Gerechtigkeit, wollt ihr das Recht? Es liegt nun an euch. Frankreich wird nicht für euch entscheiden. Aber wenn ihr euch für Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit und das Recht entscheidet, dann wird sich Frankreich mit euch zusammenschließen, um alle diese Werte zusammen mit euch zu errichten.

Ihr jungen Afrikaner, so wie die Globalisierung verläuft, gefällt sie euch nicht. Afrika hat schon einen zu hohen Preis für das Trugbild des Kollektivismus und des Progressivismus bezahlt, um sich nun auch dem Trugbild des Laisser-faire zu beugen.

Ihr jungen Afrikaner, ihr glaubt an die Vorteile des freien Handels, aber auch daran, dass er keine Religion sein darf. Ihr glaubt, dass die Konkurrenz Zweck, aber kein Selbstzweck ist. Ihr glaubt nicht an das Laisser-faire. Ihr wisst, dass ein zu naives Afrika leicht zur Beute der Raubtiere dieser Welt werden würde. Und das wollt ihr nicht. Was ihr wollt, ist eine andere Globalisierung, mit mehr Menschlichkeit, mehr Gerechtigkeit, mehr Regeln.

Ich bin gekommen euch zu sagen, dass auch Frankreich das will. Frankreich will kämpfen, Seite an Seite mit Europa, mit Afrika, mit all jenen in der Welt, die die Globalisierung umgestalten möchten. Wenn Afrika, Frankreich und Europa das gemeinsam wollen, dann wird es uns gelingen. Doch wir können nicht an eurer Stelle Wünsche äußern.

Ihr jungen Afrikaner, ihr wollt Entwicklung, ihr wollt Wachstum, ihr wollt die Anhebung des Lebensstandards.

Aber wollt ihr das wirklich? Wollt ihr, dass Willkür, Korruption und Gewalt ein Ende haben? Wollt ihr, dass Eigentum respektiert wird, dass Geld nicht abgezweigt, sondern investiert wird? Wollt ihr, dass der Staat wieder das tut, was er zu tun hat, dass er von erdrückender Bürokratie, von Schmarotzertum und Vetternwirtschaft befreit wird, dass seine Autorität wiederhergestellt wird, dass er sich gegen feudale Strukturen und Korporatismus durchsetzt? Wollt ihr, dass es überall verlässlich einen Rechtsstaat gibt, in dem jeder weiß, was er von den anderen erwarten darf?

Wenn ihr das wollt, stellt Frankreich sich mit Nachdruck an eure Seite, aber niemand kann das an eurer Stelle wollen.

Wollt ihr, dass es auf afrikanischem Boden keine Hungersnot mehr gibt? Wollt ihr, dass auf afrikanischem Boden nie mehr ein Kind an Hunger stirbt? Dann strebt die Autarkie im Lebensmittel­bereich an! Fördert Lebensmittelkulturen! Zuallererst muss Afrika selbst produzieren, um die Ernährung zu sichern. Wenn ihr das wollt, ihr jungen Afrikaner, dann haltet ihr die Zukunft Afrikas in euren Händen, und Frankreich wird mit euch zusammenarbeiten, um diese Zukunft zu errichten.

Ihr wollt gegen die Umweltverschmutzung kämpfen? Ihr wollt nachhaltige Entwicklung? Ihr wollt, dass jetzige Generationen nicht mehr zu Lasten der zukünftigen Generationen leben? Ihr wollt, dass jeder den wahren Preis für das bezahlt, was er verbraucht? Ihr wollt saubere Technologien entwickeln? Die Entscheidung liegt bei euch. Aber wenn ihr euch dafür entscheidet, wird Frankreich sich an eure Seite stellen.

Ihr wollt Frieden auf dem afrikanischen Kontinent? Ihr wollt kollektive Sicherheit? Ihr wollt die friedliche Regelung von Konflikten? Ihr wollt dem teuflischen Kreislauf von Rache und Hass ein Ende bereiten? Die Entscheidung liegt bei euch. Und wenn ihr euch dafür entscheidet, meine afrikanischen Freunde, wird Frankreich sich an eure Seite stellen wie ein durch nichts beirrbarer Freund, aber Frankreich kann nicht an eurer statt, an der Stelle von Afrikas Jugend wollen.

Ihr wollt die afrikanische Einheit? Das ist auch Frankreichs Wunsch.

Frankreich wünscht nämlich die Einheit Afrikas, da nur die Einheit Afrikas Afrika den Afrikanern zurückgeben wird.

Frankreich will mit Afrika gemeinsam der Wirklichkeit ins Auge sehen. Eine Politik der Realitäten und nicht mehr eine Politik der Mythen machen.

Frankreich will zusammen mit Afrika die gemeinsam verantwortete Entwicklung erreichen.

Frankreich will mit Afrika gemeinsame Projekte verwirklichen, gemeinsame Wettbewerbszentren, gemeinsame Universitäten, gemeinsame Forschungsstätten.

Frankreich will mit Afrika eine gemeinsame Strategie im großen Zusammenhang der Globalisierung erarbeiten.

Frankreich will zusammen mit Afrika eine Immigrationspolitik erreichen, die gemeinsam ausgehandelt und gemeinsam beschlossen wird, damit Afrikas Jugend in Frankreich und in ganz Europa in Würde respektvolle Aufnahme findet.

Frankreich will zusammen mit Afrika eine Allianz der französischen und der afrikanischen Jugend schaffen, damit die Welt von morgen eine bessere Welt wird.

Frankreich will zusammen mit Afrika Eurafrika vorbereiten, jene große gemeinsame Bestimmung, die Europa und Afrika bevorsteht.

Jenen, die dem großen Projekt der Mittelmeerunion, die Frankreich allen Mittelmeerländern vorgeschlagen hat, mit ­Misstrauen begegnen, möchte ich sagen, dass es keinesfalls das Bestreben Frankreichs ist, die afrikanischen Staaten südlich der Sahara auszuschließen, sondern dass es im Gegenteil darum geht, aus dieser Union den Angelpunkt für Eurafrika zu machen, eine erste Etappe des umfassenderen Traumes von Frieden und Wohlstand zu erreichen, jenes Traumes, den gemeinsam entstehen zu lassen Europäer und Afrikaner befähigt sind.

Dann und nur dann, meine lieben Freunde, wird der kleine Sohn Afrikas, der schwarze Junge, den Camara Laye besingt, in der Stille der afrikanischen Nacht kniend erfahren und begreifen, dass er den Kopf heben und vertrauensvoll der Zukunft ins Auge blicken darf. Dann wird dieser Junge Camara Layes die Versöhnung der beiden Teile seiner selbst in sich fühlen können. Und endlich wird er sich als Mensch unter allen Menschen der Menschheit fühlen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Übersetzt von Reinhart Hosch

Das Afrika des Nicolas Sarkozy
Achille Mbembe

Achille Mbembe ist 1957 in Kamerun geboren. Er hat an der Pariser Sorbonne ein Doktoratsstudium in Geschichte abgeschlossen. Am Institut d’Études Politiques in Paris absolvierte er ein D. E. A. (Diplôme d’Études approfondies). Von 1988 bis 1991 wirkte er als Assistant Professor für Geschichte an der Columbia University in New York. Er war Senior Research Fellow am Brookings Institute in Washington, D. C. (1991–1992), Associate Professor an der University of Pennsylvania (1992–1996) sowie Executive Director beim CODESRIA (Council for the Development of Social ­Science Research in Africa) von 1996 bis 2000. Als Gastprofessor wirkte er an der University of California, Berkeley (2001) und an der Yale University (2003). Heute unterrichtet er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Witwatersrand in Johannesburg und ist als Senior Researcher am Wits Institute for Social and Economic Research (WISER) tätig. Zu seinen zahlreichen Publikationen über afrikanische Geschichte und Politik zählt La naissance du maquis dans le Sud-Cameroun (Paris, Karthala, 1996). Für sein Buch De la postcolonie. Essai sur l’imagination politique dans l’Afrique contemporaine, das 2000 in Paris erschien und ein Jahr später unter dem Titel On the Postcolony bei der University of California Press herauskam, erhielt er 2006 den Bill Venter/Altron Award.

Hätten sie Gelegenheit dazu gehabt, die Mehrheit der frankophonen Afrikaner hätte anlässlich der letzten Präsidentschaftswahlen in Frankreich gegen Nicolas Sarkozy gestimmt.

Nicht etwa, dass seine damalige Konkurrentin oder die Sozialistische Partei (sie noch weniger) hinsichtlich ihrer Afrika­politik überzeugt hätten oder ihr Verhalten in der Vergangenheit irgend­einen Willen zur radikalen Neuordnung der Beziehungen zwischen Frankreich und seinen Ex-Kolonien erkennen ließ. Der neue Präsident von Frankreich hätte schlicht die Rechnung bezahlt für einen Umgang mit den Immigranten als Innenminister unter ­Jacques Chirac, seine angeblichen Kontakte zu den Rassisten von der extremen Rechten und seine Rolle in der Vorgeschichte der Aufstände von 2005 in Frankreichs Vorstädten.

Sprache als Vergewaltigung

Bei seiner ersten Rundreise in Afrika südlich der Sahara, als er in Dakar landete, ging ihm ein sehr schlechter Ruf voraus, nämlich der eines umtriebigen und gefährlichen Politikers, zynisch, brutal und machtgeil, der nicht zuhört, aber alles sagt, mehr, als gut ist, nicht zimperlich ist in der Wahl seiner Mittel und Afrika bzw. den Afrikanern gegenüber nur herablassend und verachtungsvoll agiert.

Aber dies war nicht alles. Viele waren auch bereit, ihm zuzuhören. Wenn es nicht seine politische Schläue war, die sie nachdenklich machte, so doch seine Durchschlagskraft bei der Umsetzung seines Wahlsieges. Überrascht von der Aufnahme einer Rachida Dati oder einer Rama Yade19 in die Regierung (auch wenn es während der Kolonialzeit mehr Minister afrikanischer Herkunft in den Kabinetten und den Nationalversammlungen der Republik gab als heute), wollten sie wissen, ob sich hinter den Machtspielen irgendein großes Konzept verbarg, etwa eine echte Anerkennung der Rassenvielfalt und des Kosmopolitismus in der Gesellschaft.

Es gab also gespannte Erwartung. Zu sagen, dass sie enttäuscht wurde, ist eine Untertreibung. Gewiss, das Syndikat der Satrapen (von Omar Bongo, Paul Biya, Sassou Nguesso bis Idris Déby, ­Eyadema junior und wie sie alle heißen) gratulierte sich zu der Deutlichkeit, mit der sich das Bekenntnis zur Kontinuität in der Frage von »Frankoafrika«20 abzeichnete, diesem System der wechselseitigen Korruption, das Frankreich seit dem Ende der kolonialen Besetzung mit seinen afrikanischen Mündeln verbindet.

Wenn man andererseits von den Reaktionen ausgeht, wie sie sich da und dort als Leitartikel, Leserbriefe, Wortmeldungen auf den Wellen privater Sender und in den Internet-Blogs manifestierten, so fand ein sehr großer Teil des frankophonen Afrika – angefangen bei der Jugend, an die sich Sarkozy wandte – diese Rede wahrhaft unglaublich, wenn nicht gar schockierend. Und dies mit gutem Grund. Wann immer eine der Parteien in einer Beziehung weniger frei und gleich ist als die andere, beginnt die Vergewaltigung häufig auf sprachlicher Ebene, als Rede, die sich unter dem Vorwand, nur die ureigenen Überzeugungen des Sprechers zum Ausdruck zu bringen, jede Freizügigkeit herausnimmt, ohne die Beweggründe klarzulegen, und so die eigene Position absichert, während das ganze Gewicht der Gewalt auf den Schultern des Schwächeren ­lastet.

Rückschritt

Wer jedoch Frankreich gegenüber keine Erwartungen hegt, empfindet den an der Universität von Dakar gehaltenen Vortrag als sehr aufschlussreich. Tatsächlich liefert die von dem Sonder­beauftragten Henri Guaino redigierte und von Nicolas Sarkozy in der senegalesischen Hauptstadt gehaltene Rede das überaus klare Bild der Schäden, welche eine paternalistisch-rückwärtsgewandte Haltung von Teilen der neuen französischen Eliten (rechtsstehend oder linksstehend, gleichviel) einem Kontinent gegenüber, der vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine radikale Veränderung nach der anderen erlebte, verursachen könnte. Während des kommenden Jahrzehnts könnten die Auswirkungen einer solchen Haltung – mag sie sich nun bewusst oder unbewusst manifestieren, aktiv oder passiv – verheerend sein.

In seiner großen »Offenheit« und »Aufrichtigkeit« enthüllt Nicolas Sarkozy, was bisher formal wie inhaltlich dem Bereich des Ungesagten zugehörte, nämlich das Faktum, dass das geistige Rüstzeug, auf dem die Afrikapolitik Frankreichs beruht, buchstäblich von Ende des 19. Jahrhunderts stammt. Trotz aller Basteleien handelt es sich um eine Politik, deren Strukturen von einem überholten, fast ein Jahrhundert alten Erbe herrühren.

Die Rede des neuen Präsidenten zeigt, wie die neuen Eliten an der Spitze Frankreichs im Zeichen einer oberflächlich-exotistischen Sichtweise das Bild einer Wirklichkeit entwerfen, die zu ihrer fixen Idee und ihrer Wahnvorstellung (Rasse!) geworden ist, von der sie aber in Wahrheit keine Ahnung haben. Wenn sich Henri Guaino an die »Elite der afrikanischen Jugend« wendet, begnügt er sich mit einer fast wörtlichen Wiedergabe des Kapitels, das Hegel in Die Vernunft in der Geschichte21 Afrika gewidmet hat. Nach vielen anderen Kritikern habe ich vor kurzem diesen Text in meinem Buch De la postcolonie (221–230)22 ausführlich beleuchtet. Laut Hegel ist Afrika in der Tat das Land der beharrenden Substanz und der Unordnung einer Schöpfung, die gleichzeitig faszinierend, glückselig und tragisch erscheint. So wie wir die Neger heute sehen, so waren sie zu allen Zeiten. Angesichts der ungeheuren Energie, mit der naturhafte Willkür sie beherrscht, haben bei ihnen weder der Sinn für Moral noch die Ideen der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Fortschritts irgendeinen Platz, irgendeinen Sonderstatus. Wer die scheußlichsten Ausprägungen der menschlichen Natur kennenlernen will, kann sie in Afrika finden. Dieser Teil der Welt hat im Grunde keine Geschichte. Was wir unter dem Namen Afrika erfassen, ist eine geschichtslose, unentwickelte Welt, versklavt vom Naturgeist und immer noch an der Schwelle der Weltgeschichte verharrend.

Von nichts anderem sind die neuen französischen Eliten überzeugt. Dieses hegelsche Vorurteil ist auch das ihre. Im Gegensatz zur Generation der Überväter (de Gaulle, Pompidou, Giscard d’Estaing, Mitterrand oder Chirac), die dasselbe Vorurteil stillschweigend pflegten, aber es vermieden, afrikanische Gesprächspartner vor den Kopf zu stoßen, meinen die »neuen Eliten« Frankreichs, dass jeder, der das Wort an so tief im Nächtlich-Kindlichen verwurzelte Gesellschaften richten will, sich gleichsam ungebremst, mit dem Nachdruck urtümlicher Energie ausdrücken muss. Genau dies haben sie im Sinn, wenn sie mit Seitenblick auf die Kolonial­geschichte heute ganz offen die Idee einer »Nation ohne Komplexe« propagieren.

Ihrer Meinung nach kann man von Afrika und zu Afrikanern nur sprechen, wenn man Verstand und Vernunft gegen den Strich bürstet. Was tut’s, wenn sich jedes geäußerte Wort in den Rahmen generellen Unwissens fügt. Es reicht, die Wörter mit Schwulst und Überschwang anzureichern, alles mit Bildern zu überschwemmen – genau so, wie es in Sarkozys Rede von Dakar geschieht. Dadurch wirkt sein Diskurs eigentümlich abgehackt und stammelnd.

Auch wenn ich alle Sorgfalt walten lasse – in dem langen Monolog von Dakar finde ich Einladungen zum Austausch und zum Dialog nur in Form purer Rhetorik. Was sich zwischen den Zeilen abzeichnet, das sind Forderungen, Vorschriften, Ordnungsrufe (darunter auch Zensurappelle), billige Provokationen, Beleidigungen verpackt in hohle Schmeicheleien – und dazu eine unerträgliche Selbstherrlichkeit, die man, wie ich meine, nur in Dakar, Yaoundé oder Libreville an den Tag legen kann, aber sicher nicht in Pretoria oder Luanda.

Der Präsident als Ethnophilosoph

Neben Hegel gibt es eine zweite Referenz, die von den »neuen Eliten Frankreichs« ohne jeden Skrupel aktualisiert wird. Gemeint ist ein Repertoire von Gemeinplätzen, welche die koloniale Ethnologie gegen Ende des 19. Jahrhunderts festgeschrieben hat. Von dieser Art Völkerkunde nährt sich ein großer Teil des Afrika-Diskurses und darüber hinaus ein Teil des Exotismus und der Gedanken­losigkeit, die dem Rassismus französischer Prägung seine bevorzugten Ausdrucksmittel liefern.

Lévy-Bruhl versuchte in seinen Erörterungen zur »primitiven« oder »prälogischen« Mentalität aus dieser Ansammlung von Vorurteilen ein System zu machen. In einer Serie von Essays über die »inferioren Gesellschaften« (Les fonctions mentales, 1910; La mentalité primitive, 1921) setzte er alles daran, die Unterscheidung zwischen dem vernunftbegabten »Menschen des Westens« und den nicht-westlichen, im Zyklus des Immer-Gleichen und der Zeit des Mythos eingeschlossenen Völkern bzw. Rassen pseudowissenschaftlich zu untermauern.

Leo Frobenius, den der Romancier Yambo Ouologuem in Le devoir de violence23 heftig angreift, hat sich, so wie es Brauch war, stets als »Freund« der Afrikaner präsentiert und zugleich eifrig zur Verbreitung von Lévy-Bruhls krausen Gedanken beigetragen, indem er den Begriff des afrikanischen »Vitalismus« prägte.24 Freilich, die »afrikanische Kultur« stellte für ihn mehr als ein Vorspiel zur Logik und zur Rationalität dar. Dennoch war der schwarze Mensch für ihn letztlich nur ein Kind. So wie sein Zeitgenosse Ludwig Klages (Verfasser von Schriften wie Vom kosmogonischen Eros, Mensch und Erde, Der Geist als Widersacher der Seele) meinte auch er, dass der Mensch des Westens sich durch den ordnenden Einsatz des Willens, dem er seine Herrschaft über die Natur verdankte, einen Verlust an Vitalität und damit einen Zug zum Abstrakten eingehandelt hatte. Der belgische Missionar ­Placide Tempels wiederum dozierte über die »Bantu-Philosophie«, zu deren Grundlagen in seinen Augen die Symbiose zwischen dem »afrikanischen Menschen« und der Natur gehörte.25 Nach Ansicht des guten Paters stellt die »Lebenskraft« das Wesen des Bantu dar. Sie entfaltet sich zwischen der Nullstufe (Tod) und dem höchsten Niveau – jenem des Mannes, der sich als »Häuptling« durchsetzt.

Auf solchen Grundlagen – zu denen auch das Werk von Pierre Teilhard de Chardin zu rechnen wäre – ruht das Denken von ­Senghor, den Henri Guaino ins Spiel bringen möchte, um die Äußerungen seines Präsidenten durch einen afrikanischen Gewährsmann abzusichern. Weiß er denn nicht, wie unendlich viel der senegalesische Dichter bei der Formulierung seines ­Négritude-Konzepts, oder als er seine Konzepte der Kultur, der Zivilisation und sogar sein Métissage-Prinzip entwickelte, den extremsten rassistischen, essenzialistischen und biologisierenden Theorien seiner Zeit verdankte?

Da ist aber nicht nur die koloniale Ethnologie, diese Pseudo­wissenschaft der Eroberer und all der anderen Konstrukteure eines imaginären Afrika, dem sie gern ein Anderssein andichten, um von ihrer hohen Warte herab exotische und unwandelbare Lebensformen, Manifestationen eines fremdartigen Menschseins, vorzuführen. Da sind auch Maurice Delafosse (L’âme nègre, 1921), Robert Delavignette (Les paysans noirs, 1931) und andere Demiur­gen der »afrikanischen Seele«, dieses blödsinnigen Begriffs, auf den die französischen Eliten so viel Wert legen. Da sind ferner die Erbschaft der Kolonialausstellungen, die Tradition der Menschenzoos, wie sie von Pascal Blanchard26 und seinen Kollegen analysiert wurde, sowie die Tradition der Reiseberichte, die einander an Phantastereien überbieten – von Du Chaillus Entdeckungsreisen in die Berge von Gabun bis zur Fahrt von Dakar nach Dschibuti von Marcel ­Griaule und Michel Leiris (L’Afrique fantôme), ganz zu schweigen von den sogenannten Entdeckern der »Negerkunst« (mit Pablo Picasso an der Spitze).

Von alledem wiederum nährt sich ein rassistischer Habitus, oft im Unterbewusstsein, der weitergetragen wird von der Massenkultur mit ihren Filmen, ihrer Werbung, ihren Comics, ihrer Malerei und Fotografie und – als logische Konsequenz – ihrer Politik auf dem Niveau von Klischees wie »Y’a bon Banania«27 oder »Mon z’ami toi quoi y’en a«.28 Durch solche Produkte der Massenkultur erzeugt man Einstellungen, die keineswegs ein echtes Bemühen um das Verständnis des Anderen fördern, sondern aus diesem Anderen ein austauschbares Objekt machen, das in dem Maße interessant erscheint, als es alle Arten von Schimären und Reflexen hervorzurufen vermag.

Der Sonderberater des französischen Staatschefs übernimmt sowohl diese Phrasenflut als auch den Kernbestand der von den Predigern der afrikanischen Ontologie aufgestellten Thesen (obgleich er vorgibt, sie zu widerlegen). Um sich selbst zu jenem Ethnophilosophen in Präsidentenfunktion zu machen, der er vielleicht werden möchte, schöpft Nicolas Sarkozy seine Hauptmotive genau aus der erwähnten Bibliothek des Kolonialismus und Rassismus. Hierauf argumentiert er gerade so, als wäre die schwammige und alles in allem bescheuerte Idee eines »afrikanischen Wesens«, einer »afrikanischen Seele«, die ihre lebende Verkörperung im »afrikanischen Menschen« fände, nicht längst zur Zielscheibe einer radikalen Kritik durch die besten afrikanischen Philosophen geworden – allen voran Fabien Eboussi Boulaga, dessen Buch La crise du Muntu durchaus als Klassiker zu werten ist.29

Man darf sich daher nicht wundern, wenn Guainos Definition des Kontinents und seiner Menschen total negativ ausfällt. In der Sicht unseres Ethnophilosophen und Präsidenten ist der »afrikanische Mensch« ja vor allem gekennzeichnet durch das, was er nicht besitzt, was er nicht ist oder was er nie schaffte (gemäß der Dialektik des Mangels und des Versagens), oder aber durch seinen Widerstand gegen den »modernen Menschen« (gemeint ist der Weiße) – ein Widerstand, der erklärt wird mit der irrationalen Verbundenheit mit dem dunklen Zauberreich der Kindheit, mit schlichten Freuden und einem Goldenen Zeitalter, das nie existiert hat.

Im Übrigen ist das Afrika der neuen französischen Machteliten im Wesentlichen ein ländliches Afrika, Märchenland zwischen Pastorale und Alptraum, von Bauern bevölkert, Gemeinschaft von Leidenden, die nichts gemein haben als die für alle gleiche Position am Rand der Geschichte, die da draußen hocken, dort wo es Hexer gibt, Griots, Masken und symbolträchtige Wälder, wo Fabelwesen die Quellen bewachen, mit den Flüssen singen und sich in den Bäumen verbergen, wo die Toten und die Vorfahren sprechen, und was es mehr gibt an Albernheiten rund um die angebliche »afrikanische Solidarität«, den »Gemeinsinn«, die »menschliche Wärme« und die Ehrfurcht vor den Alten und ­Oberen.

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22 aralık 2023
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9783867549608
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