Kitabı oku: «Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten», sayfa 2

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|1|Einleitung
I. Von der Rezeption bis zum Ausgang der Aufklärung

Das Recht ist so alt wie die menschlichen Gemeinschaften. Viel weniger weit zurück reichen unsere Möglichkeiten, das Wirken einzelner Persönlichkeiten im Dienste des Rechts, wie es dieses Buch für Deutschland im europäischen Kontext darstellen will, quellenmäßig einzufangen.

Das mittelalterliche Recht, seiner Natur nach ungeschriebenes, mündlich überliefertes Gewohnheitsrecht, allenfalls einmal in Statuten für einen örtlich und sachlich eng begrenzten Bereich festgelegt oder in Privilegien, d.h. subjektiven Vorrechten für Einzelpersonen oder Korporationen, sich niederschlagend, bot schon seiner Art nach kaum einen Ansatz zu schöpferischer Gestaltung. Erst als mit den Rechtsspiegeln die Brücke zum geschriebenen Recht geschlagen wird, vermag sich in diesen noch privaten Rechtsaufzeichnungen das Ingenium ihrer Autoren niederzuschlagen und Einfluß auf die Rechtsentwicklung zu gewinnen. Solche Aufzeichnungen des jeweiligen Landesrechts entstehen im 12. und 13. Jahrhundert an vielen Stellen in Europa. In Deutschland fixiert → Eike von RepgowEike von Repgow (zw. 1180 u. 1190 – nach 1232) im „Sachsenspiegel“ das Land- und Lehnrecht, in England stellen → GlanvilleGlanville, Ranulf de (1120/30–1190) und → BractonBracton, Henry de (1200/1210–1268) das „common law“ dar. Bahnbrechend für das kanonische Recht wird die Sammlung und Systematisierung der kirchlichen Rechtsquellen durch → GratianGratian (Ende 11. Jh. – um 1150).

Darüber hinaus schaffen die Wiederentdeckung der Digesten im 11. Jahrhundert und ein verändertes politisches und kulturelles Klima die Voraussetzungen für eine gemeineuropäische Rechtswissenschaft. Kurz nach 1100 beginnt in Bologna → IrneriusIrnerius (vor 1100–1125) mit Vorlesungen über die Digesten, das Kernstück des justinianischen „corpus iuris“. Einen Höhepunkt erreicht die von ihm begründete Schule der „Glossatoren“, die ihre Aufgabe darin sah, das römische Recht durch Worterklärungen, Verweise, Auflösung von Widersprüchen usw. glossierend zu erschließen, in → AzoAzo (vor 1190–1220), ihren Abschluß findet sie in der „Glossa ordinaria“ des → AccursiusAccursius (um 1185–1263). Auf dieser Grundlage wirkten die italienischen und mehr und mehr auch die französischen Juristen des 14. und 15. Jahrhunderts – früher als „Postglossatoren“, heute meistens (im Hinblick auf die von ihnen bevorzugte Literaturgattung) als „Kommentatoren“ bezeichnet – auch zunehmend auf die Praxis ein. Ihre bedeutendsten Vertreter sind → BartolusBartolus de Saxoferrato (1313/14–1357) und → BaldusBaldus de Ubaldis (1319/27–1400).

|2|Die Rezeption, die Aufnahme des römisch-kanonischen Rechts, die, im 12. Jahrhundert beginnend, im 15. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte, ermöglichte und erzwang dann auch in Deutschland eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Recht. An den seit dem 14. Jahrhundert (zuerst in Prag 1348) auch auf deutschem Reichsboden entstehenden Universitäten konnte zunächst kanonisches, seit dem 15. Jahrhundert auch römisches Recht studiert werden (in Köln seit 1388). Das einheimische Recht fand an diesen Universitäten noch keine Pflegestatt, und so ging die Bewältigung der Probleme, die sich aus dem oft unvereinbaren Nebeneinander der beiden Rechtsmassen des rezipierten und des einheimischen Rechts sowie aus der fehlenden juristischen Bildung des Rechtspflegepersonals für die Rechtspraxis ergaben, von anderer Seite aus.

Im 15. und 16. Jh. entsteht in Deutschland ein reiches populärwissenschaftliches Schrifttum. Es will die in der Rechtspflege tätigen Laien über das rezipierte Recht belehren und muß sich zu diesem Zweck der deutschen Sprache bedienen, → Sebastian BrantsBrant, Sebastian (1457–1521) Ausgabe des „Klagspiegels“ und → Ulrich TenglersTengler, Ulrich (um 1447 – um 1522) „Laienspiegel“ gelten als bedeutendste dieser Laienunterweisungen, die übrigens auch den Beitrag der Erfindung des Buchdrucks zur Förderung der juristischen Bildung unterstreichen.

Noch intensiver sind die legislatorischen Bemühungen, rezipiertes und einheimisches deutsches Recht zu harmonisieren. Die zunächst in bedeutenderen Städten und mehreren Territorien entstehenden Stadt- und Landrechtsreformationen zeigen sich zwar dem hergebrachten, einheimischen oder rezipierten Recht noch durchaus verpflichtet, erweisen sich aber zugleich wegen der Notwendigkeit des Ausgleichs der heterogenen Rechtsmassen als Mittel rechtlicher Gestaltung. Sie geben so dem schöpferischen Wirken bedeutender Juristenpersönlichkeiten Raum, unter denen der Freiburger → Ulrich ZasiusZasius, Ulrich (1461–1535), der Frankfurter → Johann FichardFichard, Johann (1512–1581), der zu den Schöpfern des württembergischen Landrechts gehörende → Johann SichardtSichardt, Johann (1499–1552) und → Melchior KlingKling, Melchior (1504–1571), der Bearbeiter des sächsischen Landrechts, hervorragen. Sie alle und daneben der Basler → Bonifacius AmerbachAmerbach, Bonifacius (1495–1562) sind hier zugleich als typische Vertreter der humanistischen Jurisprudenz und als Zeugen der Reformation, die auf ihr Leben und Werk tiefgreifenden Einfluß ausgeübt hat, aufgenommen. Das Zentrum der humanistischen Rechtswissenschaft im 16. Jahrhundert war freilich Frankreich seit dem Wirken von → AlciatusAlciatus, Andreas (1492–1550) in Avignon und Bourges und Budaeus in Paris, und die französischen humanistische Rechtswissenschaft erreicht im späten 16. Jahrhundert |3|mit → CujasCujas, Jacques (Cuiacius, Jacobus) (1520–1590) und → DonellusDonellus, Hugo (Doneau, Hugues) (1527–1591) zwei Gipfel, denen in Deutschland nichts Vergleichbares zur Seite steht. In der Folgezeit wird dann die antiquarisch-elegante gemeinrechtliche Jurisprudenz mit besonderem Erfolg in den Niederlanden gepflegt (→ HuberHuber, Zacharias (1669–1732); niederl. Jurist, → NoodtNoodt, Gerard (1647–1725), → BynkershoekBynkershoek, Cornelis van (1673–1743)). In Frankreich entsteht aber auch durch → Dionysius GothofredusGothofredus, Dionysius (Denis Godefroy) (1549–1622) die in Europa für lange Zeit maßgebliche Ausgabe der Digesten und des corpus iuris überhaupt.

Während das Reich keinen Anteil an der eigentlichen Rezeptionsgesetzgebung hatte, weil es kaum die notwendige politische Kraft, aber auch in Anbetracht der örtlich sehr unterschiedlichen Anpassungsprobleme die gesetzgeberischen Möglichkeiten hierzu nicht besaß, gelang ihm mit der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, dem Werk des fränkischen Edelmannes und Bambergischen Hofrichters → Johann v. SchwarzenbergSchwarzenberg, Johann v. (1465–1528), ein großer Wurf. Der Vorgang der mittelalterlichen Landfriedensgesetze, die Herleitung der Strafjustiz aus dem Blutbann des Kaisers und die von der Strafgerechtigkeit besonders dringlich geforderte Rechtseinheit waren wohl in gleicher Weise Veranlassung für die Strafrechtskodifikation von Reichs wegen, die durch feste Verfahrensformen die Verankerung des Schuldprinzips und deutliche Anweisungen an die Laienrichter Rechtssicherheit zu schaffen suchte. Vorbild vieler territorialer Strafgesetzgebungen und später als ergänzender Bestandteil des Corpus Juris Civilis angesehen, wurde die Carolina als erstes deutsches Gesetz Gegenstand wissenschaftlicher Bearbeitung, noch über den bedeutendsten Repräsentanten der gemeinen Strafrechtswissenschaft, → Benedikt CarpzovCarpzov, Benedikt (1595–1666), hinaus bis ins 18. Jahrhundert.

Das deutsche Staatsdenken der frühen Neuzeit erhielt theoretische Anregungen besonders von der Staats- und Völkerrechtslehre der spanischen Spätscholastiker (→ VitoriaVitoria, Francisco de (1480/1492–1546), → SuárezSuárez, Francisco (1548–1617)) und von → Jean BodinBodin, Jean (1529/30–1596). In der Sache mußte vor allem die neue staatsrechtliche Situation bewältigt werden, die durch die Reformation entstanden war. Sie leitete die Entwicklung einer spezifisch protestantischen Staatslehre ein, als deren Vertreter → Johann OldendorpOldendorp, Johann (um 1488–1567) und → Johannes AlthusiusAlthusius, Johannes (1557–1638) hier vorgestellt werden. Darüber hinaus verlangten einerseits die politischen Auseinandersetzungen zwischen den Religionsparteien, die die Ablösung der bisher einheitlichen religiösen Grundlage der Reichsverfassung durch den religiösen Dualismus anzeigten, andererseits die Provokation des Bodinschen Souveränitätsbegriffs und damit des neuen absolutistischen Staatsdenkens das Ringen um ein neues Verständnis der Reichsverfassung. Die Reichspublizistik, als deren |4|Be gründer → Dominicus ArumaeusArumaeus, Dominicus (1579–1637) gilt, erlebt während des 30jährigen Krieges, nicht zuletzt wegen ihrer Bedeutung für die politische Praxis, in → Johannes LimnäusLimnäus, Johannes (1592–1663), → Jacob LampadiusLampadius, Jacob (1593–1649), → Dietrich ReinkingkReinkingk, Dietrich (1590–1664), aber auch dem glänzenden Agitator in schwedischen Diensten → Bogislaus von ChemnitzChemnitz, Bogislaus Philipp v. (1605–1678) eine Blüte. Später wird die Nähe von wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Staatsrecht und politischer Tätigkeit noch einmal besonders fruchtbar bei → Johann Jacob MoserMoser, Johann Jacob (1701–1785), der zugleich die der Reichspublizistik allgemein zu dankende Modifikation des absolutistischen Souveränitätsdenkens personifiziert. Als zweite bedeutende Leistung ist der Reichspublizistik, hier vor allem durch → Christoph BesoldBesold, Christoph (1577–1638) und den bedeutenden Theoretiker und Universitätslehrer → Johann Stephan PütterPütter, Johann Stephan (1725–1807) repräsentiert, die Entwicklung des Bundesstaatsbegriffs zuzuschreiben, in dem besonders die Struktur des Heiligen Römischen Reiches für moderne Staatenorganisation fruchtbar geworden ist, eines Reiches, das → PufendorfsPufendorf, Samuel (1632–1694) berühmter Kritik als einem Monstrum ähnlich erschien.

Bis ins 17. Jahrhundert hinein wurde die Geltung des rezipierten römischen Rechts in Deutschland aus der „translatio imperii“, der Fortsetzung des römischen Kaisertums in der Kaiserwürde des Heiligen Römischen Reiches, hergeleitet. Mit dem Autoritätsverlust des Kaisertums infolge des Religionszwiespalts, der sich insbesondere aus der Zurechnung des habsburgischen Kaisers zur katholischen Religionspartei ergab, mußte auch die Geltungsbasis des rezipierten Rechts ins Schwanken geraten. So ging denn auch der Angriff gegen die bisherige Annahme einer legislativen Rezeption von dem reichsständisch gesinnten Protestanten → Hermann ConringConring, Hermann (1606–1681) aus, dem der Nachweis einer nur gewohnheitsrechtlichen Geltung des römischen Rechts in Deutschland gelang. Damit war einer freieren wissenschaftlichen Behandlung des der legislativen Autorität entkleideten rezipierten Rechts und einer stärkeren Berücksichtigung einheimischen Rechts gemäß den Bedürfnissen der Praxis im „usus modernus pandectarum“ der Weg geebnet.

Zu einem bedeutenden Einflußfaktor wurde dabei das neue, säkularisierte Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts. Nachdem → Hugo GrotiusGrotius, Hugo (Huig de Groot) (1583–1645) im „Ius belli ac pacis“ den Entwurf eines weltlichen Universalrechts vorgelegt und ausgesprochen hatte, daß sich das Naturrecht auch ohne Gott denken lasse, entwickelten in England → HobbesHobbes, Thomas (1588–1679) ein radikal absolutistisches und → LockeLocke, John (1632–1704) bereits ein bürgerlich-liberales Naturrecht. Liberale und altständische Züge zugleich trägt in Frankreich → MontesquieusMontesquieu, Charles de Secondat, Baron de la Brède et de M. (1689–1755) „Esprit des lois“. In Deutschland halten sich die |5|Naturrechtslehren → PufendorfsPufendorf, Samuel (1632–1694), → ThomasiusThomasius, Jakob (1622–1684); dt. Philosoph, → WolffsWolff, Christian (1679–1754) und Achenwalls politisch noch im Rahmen des Ständestaates oder bestenfalls eines aufgeklärten Absolutismus. Sie legen aber den Grund für ein liberales Privatrecht, das z.B. durch → Samuel StrykStryk, Samuel (1640–1710), → Justus Henning BöhmerBöhmer, Justus Henning (1674–1749) und → ThomasiusThomasius, Jakob (1622–1684); dt. Philosoph auch Eingang in die Rechtspraxis findet. Versuche mit naturrechtlich inspirierten Systemen des positiven Rechts findet man nun vielerorts in Europa, etwa in Frankreich bei → DomatDomat, Jean (1625–1696) (noch auf der Basis eines christlichen Naturrechts), in England bei → BlackstoneBlackstone, Sir William (1723–1780).

Freilich mußte die Ungewißheit über das im einzelnen geltende Recht letztlich den Gesetzgeber auf den Plan rufen. Seitdem in Deutschland der Westfälische Frieden die weitgehende Unabhängigkeit der Territorien vom Reich bestätigt hatte, wurde allenthalben der schon nach dem Augsburger Religionsfrieden auf der Grundlage des Religionsbestimmungsrechtes und des landesherrlichen Kirchenregiments einsetzende Ausbau des Absolutismus in den Territorien verstärkt fortgesetzt. Wollte sich die landesherrliche Macht unter Ausschaltung der ständischen und patrimonialen Zwischengewalten voll zur Geltung bringen, so verlangte dies in erster Linie eine Vereinheitlichung der Rechtsordnung und die strikte Bindung der Gerichte und sonstiger Behörden an die Gesetze. Die daher nun verstärkt einsetzende territoriale Gesetzgebung zeigt seit dem 18. Jahrhundert, daß die bisherige sakrale Basis der Rechtsordnung unter dem Einfluß des Religionszwiespalts, insbesondere aber der Entwicklung der Naturwissenschaften brüchig geworden ist. Die Säkularisierung der Rechtsordnung unter dem Einfluß der profan-naturrechtlichen Systeme schreitet zunächst auf dem Wege der Einzelgesetzgebung voran, während die großen Justizreformer der Jahrhundertmitte, → Samuel CoccejiCocceji, Samuel v. (1679–1755) in Preußen und → Wiguläus Xaverius Aloysius v. KreittmayrKreittmayr, Wiguläus Xaverius Aloysius v. (1705–1790) in Bayern, ihre Kodifikationen noch überwiegend am gemeinen Recht orientieren. Die großen Kodifikationen am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts jedoch zeigen sich – unter dem Einfluß von → MartiniMartini, Karl Anton Frhr. v. (1726–1800), → SonnenfelsSonnenfels, Josef v. (1733–1817) und → ZeillerZeiller, Franz v. (1751–1828) in Österreich, von → SvarezSvarez, Carl Gottlieb (1746–1798) in Preußen, → FeuerbachFeuerbach, Paul Johann Anselm (1775–1833) in Bayern und → PothierPothier, Robert-Joseph (1699–1772) und → PortalisPortalis, Jean-Etienne-Marie (1746–1807) in Frankreich, deutlich naturrechtlich und aufklärerisch-liberal geprägt. Wie stark sich dieses Denken auch ohne gesetzgeberische Vermittlung durchzusetzen vermochte, zeigte das Wirken → HommelsHommel, Karl Ferdinand (1722–1781) in Sachsen.

Nach dem Zusammenbruch des ancien regime und des Heiligen Römischen Reiches unter den Schlägen der französischen Revolutionsheere verbindet sich der Neuaufbau in Preußen mit dem Namen des |6|Freiherrn → Karl vom SteinStein, Karl Frhr. v.m (1757–1831), in Bayern dem des Grafen → von MontgelasMontgelas, Maximilian Josef Graf (1759–1838). Diese beiden Reformer, deren Wirken teilweise noch heute spürbar ist und damit jenseits der politischen auch ihre juristische Bedeutung bestätigt, werden hier als Repräsentanten unterschiedlicher Prinzipien staatlichen Neuaufbaus vorgestellt, wie sie den Frühkonstitutionalismus in Deutschland geprägt haben.

II. 19. und beginnendes 20. Jahrhundert

Zu Anfang des 19. Jahrhunderts wandelte sich auch, mindestens im „Selbstverständnis“ der Juristen, die Rolle der Rechtswissenschaft. In deutlicher Reaktion gegen den etatistischen Rechtsbegriff der französischen Revolution, der der Jurisprudenz nur eine bescheidene Aufgabe zuwies, entwickelte sich nun die Vorstellung von der schöpferischen Funktion der Rechtswissenschaft. Eindringlichster Theoretiker dieser Richtung war → SavignySavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861). Seine Gedanken von der gegenüber staatlicher Rechtssetzung selbständigen Bedeutung der Rechtswissenschaft sind über die sie begünstigende politische Zeitströmung (Restauration) und die mit ihr verbundene Rechtsquellenlehre hinaus bis in die Gegenwart wirksam geblieben, wie überhaupt die Wissenschafts- und Bildungsgläubigkeit des frühen 19. Jahrhunderts (Humboldt, Fichte, Schleiermacher). So erscheinen von nun an Wissenschafts-, Rechts- und politische Geschichte stärker als vorher gegeneinander verselbständigt; die Geschichte der Rechtswissenschaft seit Beginn des 19. Jahrhunderts läßt sich daher weitgehend in den auch für die anderen „Geisteswissenschaften“ geltenden Kategorien beschreiben. Sie bilden auch den gemeinsamen Bezugspunkt für die Rechtswissenschaft in den verschiedenen europäischen Ländern, deren gemeinsame Quellenbasis mit der Zurückdrängung des Naturrechts und der Ersetzung des römischen „ius commune“ durch die einzelstaatlichen Kodifikationen nun verloren gegangen war.

1. Historische Schule

Für die deutsche Privatrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert wurden die von → SavignySavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) aufgestellten Grundsätze der „historischen Schule“ maßgebend, nach denen das Recht historisch-systematisch, ohne Beimischung philosophischer, „naturrechtlicher“ Prinzipien bearbeitet werden sollte. Bei → SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) Nachfolgern verdrängte dann allmählich |7|das systematische Element ganz das historische, so schon bei → PuchtaPuchta, Wolfgang Heinrich (1769–1845); Justizamtmann, später Landrichter, noch entschiedener bei → JheringJhering, Rudolf von (1818–1892) (in seiner ersten Periode) und bei → WindscheidWindscheid, Bernhard (1817–1892), der diese Epoche abschließt und dessen Pandektenlehrbuch von großem Einfluß auf das deutsche BGB von 1896 war. Die historische Schule ist früher dem „Rechtspositivismus“ zugeordnet worden, aber zu Unrecht. Mit ihrer Vorstellung, daß das Recht ein organisches, vernünftiges und aus sich selbst heraus ergänzbares Ganzes ist, trägt sie idealistische Züge, die allerdings eine „formalistische“ Abschließung gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft begünstigten. – Wie die Bearbeiter des römischen Rechts standen auch die meisten Germanisten – entsprechend den verschiedenen Quellen des Zivilrechts blieb diese Unterscheidung bis zum BGB, das beide Rechtskreise verschmolz, bestehen – unter dem Einfluß → SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861). Das gilt vor allem für dessen Zeitgenossen → EichhornEichhorn, Karl Friedrich (1781–1854), aber auch für jüngere Deutschrechtler wie Albrecht und Homeyer. Etwa von der Mitte der dreißiger Jahre an setzte sich aber eine starke Gruppe gemäßigt (→ BeselerBeseler, Georg (1809–1888)) bis radikal (Reyscher) liberaler Germanisten von den Romanisten, die theoretisch und praktisch das nationalpolitische Anliegen nicht genügend zu vertreten schienen, ab. Ihre Bewegung mündete nach den Germanistenversammlungen von 1846 (Frankfurt) und 1847 (Lübeck) ziemlich gradlinig in der Paulskirchenversammlung, der u.a. → BeselerBeseler, Georg (1809–1888) (sehr einflußreich), → Jacob GrimmGrimm, Jacob (1785–1863) und → MittermaierMittermaier, Karl Josef Anton (1787–1867) angehörten. Zu einer wirklich neuen Rechtstheorie führten die Arbeiten dieser jüngeren Germanisten aber nicht, so daß sich auch noch ihr letzter bedeutender Vertreter, der 1841 geborene → Otto v. GierkeOtto (1815–1867); bayer. Prinz, König v. Griechenland, der Rechtslehre → SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) verbunden fühlen konnte.

Weitgehend unter dem Einfluß der historischen Schule standen auch die nun verstärkt einsetzenden Bemühungen um die partikularen Privatrechte. Am meisten gilt das für Wächters Bearbeitung des württembergischen Privatrechts (anders die Arbeit Reyschers), mit gewissen Einschränkungen auch für Falcks Darstellung des schleswig-holsteinischen und die des preußischen Privatrechts durch Bornemann, Koch und Dernburg. Am wenigsten von der historischen Schule beeinflußt blieb verständlicherweise das rheinische Recht (code civil, K.S. Zachariä, → DanielsDaniels, Heinrich Gottfried Wilhelm (1754–1827)).

Auch in Österreich und der Schweiz wurde die historische Schule bedeutsam. → BluntschliBluntschli, Johann Caspar (1808–1881), der Schöpfer des Zürcher Privatrechtsgesetzbuches von 1853–55, auf das noch → Eugen HubersHuber, Zacharias (1669–1732); niederl. Jurist schweizerisches Zivilgesetzbuch von 1907 zum Teil zurückgriff, war ein Schüler → SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861). Für Österreich hat man geradezu eine „Rezeption“ der |8|deutschen Pandektenwissenschaft durch → UngerUnger, Josef (1828–1913) gesehen, der das ABGB (→ ZeillerZeiller, Franz v. (1751–1828)) von 1811 „romanisierte“. Einflüsse der historischen Rechtsschule zeigen sich aber auch etwa in Dänemark (→ ØrstedØrsted, Anders Sandøe (1778–1860)) und Schweden (→ SchlyterSchlyter, Carl Johan (1795–1888)). Generell stellte in der europäischen Rechtswissenschaft des frühen 19. Jahrhunderts die historisch-systematische Richtung das „wissenschaftliche“ Gegengewicht zu den „exegetischen“ Schulen dar, die sich nach den Kodifikationen vor allem in Österreich und Frankreich gebildet hatten.

Schließlich waren auch den großen Darstellungen des Handelsrechts (Thöl, Levin Goldschmidt), durch die dieses Fachgebiet neben dem allgemeinen Zivilrecht selbständigen wissenschaftlichen Rang erhielt, die Prinzipien der historischen Schule zugrunde gelegt.

Gleichwohl läßt sich von einer völligen Herrschaft der historischen Schule im deutschen Sprachraum keineswegs sprechen. Auch abgesehen von den abtrünnigen Germanisten der vierziger Jahre gab es von Anfang an unterschiedliche, z.T. mehr praktisch (→ ThibautThibaut, Anton Friedrich Justus (1772–1840)), z.T. mehr philosophisch (die Hegelschule, vor allem Gans) akzentuierte Gegenströmungen.

Im Strafrecht ließ das an der Wende zum 19. Jahrhundert besonders heftig diskutierte Problem der philosophischen Grundlagen die Wendung zu einer historischen Betrachtungsweise nicht ohne weiteres zu. Immerhin hatte → FeuerbachFeuerbach, Paul Johann Anselm (1775–1833), der Schöpfer der aufklärerisch-liberalen „psychologischen Zwangstheorie“, in seiner zweiten Periode (etwa ab 1810) sehr starke empirische Interessen. Ganz in den Vordergrund traten diese bei seinem Schüler → MittermaierMittermaier, Karl Josef Anton (1787–1867). Gleichzeitig entwickelten sich jedoch, sehr viel stärker als im weniger ideologieanfälligen Zivilrecht, hegelianische Vorstellungen (Köstlin, Berner). Durch sie wurde gegenüber der → FeuerbachFeuerbach, Paul Johann Anselm (1775–1833)schen Generalpräventionstheorie die Vergeltungstheorie wieder herrschend; das Interesse an Aufklärung der tatsächlichen Voraussetzungen des Verbrechens und des Strafvollzugs trat zurück. Die Vergeltungstheorie wurde schließlich auch noch festgehalten, als ihre philosophische Begründung verblaßt und die Strafrechtslehre in eine rein positivistische Behandlung des StGB von 1871 eingeschwenkt war (→ BindingBinding, Karl (1841–1920)).

Die Staatsrechtswissenschaft stand nach dem Ende des alten Reichs und der Durchsetzung konstitutioneller Ordnungen in den Einzelstaaten vor einer völlig veränderten Aufgabe. Unter den Bearbeitungen der Partikularstaatsrechte ragt → MohlsMohl, Robert v. (1799–1875) gemäßigt liberales württembergisches Staatsrecht hervor. Es war noch unbeeinflußt vom Formalismus der historischen Schule, der, wesentlich später als im Zivilrecht, |9|(ver mittelt durch Gerber) auch für die Darstellung des Reichsstaatsrechts durch → LabandLaband, Paul (1838–1918) maßgeblich wurde und zu einer scharfen Trennung von Politik und Staatsrecht führte.

Ähnlich ist die Entwicklung in der erst im 19. Jahrhundert ausgebildeten Verwaltungsrechtswissenschaft. Auch hier stellte → MohlMohl, Robert v. (1799–1875) mit seiner „Polizeiwissenschaft“ (die ältere, von einem umfassenderen Polizeibegriff als die Gegenwart ausgehende, Bezeichnung) einen Anfang dar, der auch rechtspolitisch, durch seine Ansätze zu der dann von → GneistGneist, Rudolf v. (1816–1895) durchgesetzten Forderung nach einer selbständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit, von Bedeutung war. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich dann auch hier endgültig die juristisch-formalistische Betrachtungsweise mit dem „Klassiker“ → Otto MayerOtto (1815–1867); bayer. Prinz, König v. Griechenland durch, der gegenüber die mehr soziologische Erfassung der Verwaltung (im 19. Jahrhundert repräsentativ vor allem → L. v. SteinStein, Lorenz v. (1815–1890)) zurücktrat. Erst die moderne „Verwaltungslehre“, deren Wurzeln bis zu → SeckendorffSeckendorff, Veit Ludwig v. (1626–1692) zurückreichen, hat diese wieder belebt.

Auch das Kirchenrecht verdankt der historischen Schule eine wissenschaftliche Neubelebung. Zwei der bedeutendsten Anhänger der Schule (→ EichhornEichhorn, Karl Friedrich (1781–1854), → PuchtaPuchta, Wolfgang Heinrich (1769–1845); Justizamtmann, später Landrichter) verfaßten umfangreiche Darstellungen, und auch das erfolgreiche Werk Richters ist nach den Schulengrundsätzen gearbeitet. Das unvollendete „System“ → HinschiusHinschius, Paul (1835–1898)’ gehört gleichfalls noch in diesen Zusammenhang. Schwerer einzuordnen ist der grundlegende Neuansatz → SohmsSohm, Rudolf (1841–1917) am Jahrhundertende.