Kitabı oku: «Die Kraft des Miteinander», sayfa 6

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Der Familienrat als Chance, vorhandene Identitätsbilder neu auszurichten

In der phänomenologischen Netzwerktheorie von Harrison White (1992) begreift sich Identität als ein klar nach außen orientiertes Bewusstsein, das nicht ohne die anderen entstehen und fortbestehen kann. Hiermit arbeitet der Familienrat. Die wohl innigste und beständigste Identität liegt in den Menschen, mit denen täglich eine Beziehung besteht. Die Stärkung der anderen stärkt gleichzeitig auch das Individuum. Identität ist hier nicht statisch und in der Verinnerlichung vollendet, Identität ist wie ein temporäres Ergebnis aktueller Beziehungen, meist unbewusst, und manifestiert sich in sozialen Vorkommnissen wie Entscheidungsfindungen, bei denen verschiedene Akteure angesichts ihrer Identitäten divers und auch scheinbar gegensätzlich aufeinandertreffen.11 Im Rahmen von gemeinsamen Entscheidungsfindungen, die wegbereitend dafür sind, bestehende Identitäten der Betroffenen anzusprechen, ist eine Hilfeplanerstellung möglich, die das Potenzial in sich trägt, nachhaltig und langfristig zu wirken. Das soziale Ereignis der Entscheidungsfindung ist im Sinne dieser Theorie die Gelegenheit, nicht nur vorhandene Identitäten lebensweltnah aufzugreifen und anzusprechen, sondern diese auch neu oder anders auszurichten. Bei Familie Özgür ist es in der Informationsphase der Imam mit seinen religiösen Ausführungen zum Schura-Prinzip. Die Religiosität der Familie wird zum Bindeglied. Die muslimische Identität der Familie enthält einen identitätsbezogenen Zugang, die Lebenswelt zu erreichen und hierbei ihre Handlungsfähigkeit aufzuzeigen. Die religiöse Identität überwindet die in der Scheidungssituation erlebte Ohnmacht und spricht eine weiterhin verbindende Identität der Familie an.

Für das Zusammenstellen des Netzwerks geht es nicht nur um das Aufdecken vorhandener Verbindungen der Betroffenen, sondern auch darum, wer mit am Tisch sitzen muss, um geeignete Lösungsideen mit hineinzugeben, und welches Wissen geeignet ist, um die Lebenswelt zu erreichen. In Kindeswohlangelegenheiten, die die Gesundheit betreffen, kann daher auch das Einladen externer Fachkräfte wie beispielsweise Fachärzte sinnvoll sein, um das entsprechende Wissen verfügbar zu machen.

Schlussbetrachtung

Der Familienrat als instrumentelles Paradigma zur Würdigung und Nutzbarmachung von Familien- und Netzwerkbeziehungen eröffnet und erweitert Möglichkeiten, relationale Zusammenhänge für Experten in der konkreten Praxis zugänglicher zu machen. Der Familienrat versteht sich dabei insgesamt als ein Verfahren, das in Anerkennung des Menschen als sozialem Wesen und unter Berücksichtigung kultureller Identitäten nachhaltige Hilfeplanung durch Partizipation und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit gewährleistet.

6mātua whāngai wird ins Deutsche mit Adoptiv-/Pflege-Elternschaft übersetzt.

7Das Wort Whānau bedeutet in der Sprache der Maori »erweiterte Familie«, bezieht also Familienangehörige mit ein.

8Der/dem Sorgenden steht es prinzipiell frei, zurückzukehren. In diesem Fall kam die Jugendamtsmitarbeiterin nicht wieder zurück und ließ sich lediglich das erstellte Protokoll der Familie zuschicken.

9Koordinatoren und Koordinatorinnen für Familienräte können sich hinsichtlich ihres beruflichen Hintergrundes unterscheiden. So gibt es ausgebildete Koordinatoren aus der sozialpädagogischen Fachwelt, wie auch das Modell von Bürgerkoordinatoren, deren Ausbildung zum Familienratskoordinator unabhängig von einer sozialpädagogischen Expertise jedem Bürger zugänglich gemacht wird.

10Hier lässt sich hervorragend an die Kritik der Sozialraumorientierung nach Hinte u. Treeß (2007) anknüpfen, die der einzelfallorientierten Hilfe des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) vorwirft, alles andere als orientierend am Individuum zu helfen, sondern Familien vorbestimmte Hilfen eher »überzustülpen«. Budde u. Früchtel (2009) skizzieren mithilfe von Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns (1982) und der folgenreichen Kolonialisierung der Lebenswelt eben dieses »Überstülpen« und entfalten am Beispiel des Familienrats eine Alternative dazu.

11Iris Clemens (2016) führt in einem diametralen Verständnis zur Semantik der Identität in der klassischen Pädagogik die netzwerktheoretische Analyse Whites zur Identitätsbildung und deren Konsequenz für die Disziplin vertiefend aus.

4»Bring das Dorf in die Klinik!« – »Neue Autorität« als Hilfe für Eltern

Idan Amiel

Gemeinschaftliches Handeln im Beichtstuhl des Therapeuten

Mein Urgroßvater war Rabbiner. Im Rahmen seiner Arbeit kamen Menschen zu ihm, um sich mit ihm zu beraten, wenn sie in Schwierigkeiten waren oder unter einem Konflikt litten. Er sprach mit ihnen, manchmal gab er Ratschläge, manches andere Mal griff er in den Lauf der Dinge ein. Von Zeit zu Zeit, wenn die Dinge wirklich kompliziert waren, mochte er sagen: »Gott fordert uns auf geheimnisvollen Wegen heraus«, dann öffnete er die Bibel und gab den Ratsuchenden ein Amulett, das sie nachts unter ihr Kopfkissen legen konnten. Einige der Menschen, die ihn um Hilfe baten, erlebten wirklich eine Veränderung zum Besseren.

Mehr als hundert Jahre später mache ich als Therapeut fast das Gleiche: Menschen kommen zu mir, um mit mir zu sprechen, wenn sie in Schwierigkeiten sind oder leiden. Aber wenn die Fälle kompliziert sind, suche ich nicht in der Bibel nach Antworten, sondern in der akademischen Forschung. Wir glauben nicht mehr an Gott – die Zeiten ändern sich und damit auch unser Glaube und unser Handeln.

Dieser Artikel wurde während des COVID-19-Angriffs auf unser globales Dorf in unserer Schönen neuen Welt geschrieben. In unserer Schönen neuen Welt kann das Denken in Wendungen wie »Gott fordert uns auf geheimnisvollen Wegen heraus« genauso »besorgniserregend« sein, wie unseren Patienten oder Klienten ein Amulett zu geben.

Wenn ich heute bei meinen Klienten sitze, habe ich wahrscheinlich einen Vorteil gegenüber meinem Urgroßvater. Wir sind der festen Überzeugung, dass Wissenschaft, Technik und Medizin unsere Fähigkeit, unseren Klienten in vielerlei Hinsicht auf vielfältige Weise zu helfen, verbessert haben. Zweifellos hat sich unsere westliche Kultur sehr viel stärker professionalisiert. In guten wie in schlechten Zeiten. Aber mein Urgroßvater hatte einen großen Vorteil in seiner Arbeit: Samstags hielt er sich in der Synagoge auf! Wenn er dort war, sprach er neben den Gebeten wohl mit einigen Menschen, sah sie an und ermunterte sie manchmal zum Handeln »im Namen Gottes«. Ich glaube fest daran, dass er seine Ratschläge besser auf seine Klienten bzw. Gläubigen abstimmen konnte, weil er Teil der Gemeinschaft war. Ich glaube selbst nicht an Gott, und die meisten meiner Klienten gehen nicht mehr in die Synagoge. Hinzu kommt noch: Als klinischer Psychologe wurde ich dazu ausgebildet, mit meinen Klienten in einem intim-geschlossenen Raum zu bleiben. Mir wurde der Glaube vermittelt, dass »es die Beziehung ist, die heilt«, und dass es die Verschwiegenheit und die Vertraulichkeit des Sprechzimmers ist, die meinen Klienten hilft, ihre Leiden (und Sünden) mitzuteilen und zu überwinden. Ganz wie im Beichtstuhl. Aber damals in der Vergangenheit konnten der Priester, der Kadi oder der Rabbiner im Beichtstuhl einerseits Intimität und Geheimhaltung zusichern und andererseits tatkräftig in ihrer Gemeinschaft mitwirken, wenn sie es so wünschten.

Können wir als Therapeuten so handeln, dass die Privatsphäre und Intimität eines Beichtstuhls gewahrt bleibt, aber dennoch wenn möglich die Gemeinschaft zum Handeln und Helfen auffordern? Mit anderen Worten: Kann in unserem professionalisierten globalen Dorf ein klinischer Psychologe als Sozialarbeiter tätig sein? Meiner Ansicht nach kann er es nicht nur, es ist ein Muss! Vor allem dann, wenn Fachkräfte für psychische Gesundheit mit Eltern und Kindern arbeiten. Meine Absicht in diesem Beitrag ist es aufzuzeigen, warum und wie unser Team unseren »geschlossenen Therapieraum« für die Gemeinschaft »geöffnet« hat. Man könnte es auch eine Gemeinschaftsintervention nennen, die im Beichtstuhl eines Therapeuten stattfindet.

Der kulturelle Wandel von der Religion zur Wissenschaft in der Kindererziehung

Im Schneider-Kinderkrankenhaus in Israel arbeiten wir mit Eltern zusammen und konzentrieren uns auf ihre Bedürfnisse. Eltern in unserer WEIRD-Kultur12 zeigen sich einsam, schwach und in vielen Fällen verwirrt und gelähmt. Warum?

Zu Zeiten meines Urgroßvaters wurden die Eltern unterstützt, jederzeit unterstützt. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern beruhte auf der Annahme, dass Erwachsene sich um die Kinder kümmern, diese ernähren und beschützen sollen. Im Gegenzug sollten die Kinder ihren Eltern gehorchen und sich um sie kümmern, wenn sie alt würden. Die alte Autorität in Bezug auf Beziehungen war die Religion, und ihr Grundsatz der Kindererziehung stand klar in den 10 Geboten: »Du sollst Vater und Mutter ehren.« Die Zeit verging, und Wissenschaft und Psychologie wurden unsere neue Autorität für den Umgang mit Kindern. Der wichtigste Grundsatz, den uns Forschung, Wissenschaft und Psychologie gelehrt haben, ist, dass Kinder psychische Bedürfnisse haben. Die Hauptaufgabe der Eltern besteht heute darin, dafür zu sorgen, dass ihr Kind mit Selbstvertrauen und einem positiven Selbstbild aufwächst. Der »alte Generationenvertrag« ist abgelaufen, und wenn ein Elternteil die psychologischen Bedürfnisse seines Kindes nicht »gut genug« versteht, kann ein Spezialist ihm beibringen, sich besser anzupassen. Ich gelte übrigens auch als einer dieser Spezialisten.

Aber was genau sind die psychologischen Bedürfnisse des Kindes? Was sagen uns unsere Experten, gestützt durch die Forschung, darüber, was wir zu tun haben, damit Kinder Selbstvertrauen und ein positives Selbstbild entwickeln? Nun, das hängt in der Regel von der jeweiligen Forschung ab, die Sie gerade lesen, oder von den Elternratgebern, die Sie zufällig in der Hand halten. Einige Bücher bringen Eltern bei, wie sie Kindern Liebe, Präsenz und »Sanftheit« entgegenbringen bzw. sich sogar in das Kind hineinversetzen sollen, ehe sie sich ihrem Kind gegenüber auf eine Weise verhalten. In anderen Büchern wird erklärt, dass Eltern Grenzen setzen und »streng« zu Kindern sein sollten. Seien Sie sicher, dass die meisten Bücher im einleitenden Kapitel erklären werden, dass sie beide Ansätze miteinander verbinden … Die Tragödie der WEIRD-Eltern ist nun, dass die verschwommenen, weit gezogenen Grenzen der »psychologischen Bedürfnisse« des Kindes unklar sind. Wenn ich ehrlich sein darf, gilt dies selbst für Eltern-Experten.

Eltern lieben ihre Kinder.13 Sie lieben ihr Kind, wie Gott einst die Menschen geliebt hat – auf »geheimnisvollen Wegen«. Wenn es also zu Hause heiß hergeht, wenden sich die Eltern an uns – die Fachleute für psychische Gesundheit (oder sie werden an uns verwiesen). Die nächste Generation von Priestern, Kadis und Rabbinern, die den Eltern helfen können, ihre »Sünden« einzugestehen und neue Wege zu finden, »die psychischen Bedürfnisse deines Kindes zu ehren«. Viele »Sünden«, die Eltern beim Heranwachsen ihrer Kinder begehen, haben ebenso viele Gründe wie es Familien in unserer Welt oder psychologische Theorien über die Entwicklung von Kindern gibt. Aber was uns als Fachleuten helfen kann, Eltern beizustehen, sich innerhalb dieser verschwommenen weiten »Grenze« der »psychologischen Bedürfnisse« des Kindes besser zu bewegen, ist meiner Ansicht nach eine völlig andere Wissensquelle. Es ist die afrikanische Weisheit: »Es braucht ein ganzes Dorf, damit ein Kind sich gut entwickelt.«

Der afrikanische Kompass für WEIRD-Eltern

Diese afrikanische Weisheit ist mehr als eine Aussage, es ist eine grundlegende Haltung. Die Wahrheit ist, dass sich noch nie in der Geschichte Eltern so allein um die Entwicklung ihrer Kinder kümmern mussten. Unsere professionalisierte, individualistische WEIRD-Gesellschaft hat sowohl Eltern als auch Kinder einsamer denn je zurückgelassen. Kein Wunder, dass wir stark steigende Raten von Ängsten und Depressionen bei Kindern beobachten. Obwohl von Zeit zu Zeit Ratschläge aus dem »Beichtstuhl des Therapeuten« Familien helfen könnten, bin ich der festen Überzeugung, dass die wichtigste Handlung für das Wohlergehen unserer Kinder darin bestehen sollte, das Dorf wieder in ihr Leben zurückzubringen. Meiner Ansicht nach sollte es uns als Kompass dienen, wenn wir mit den Familien in den weiten Grauzonen psychologischer Bedürfnisse der Kinder umherreisen.

Mehr noch, das Wort Dorf passt besser als Gemeinschaft, nicht nur, weil es eine ständige Erinnerung an unseren afrikanischen Kompass ist, sondern auch, weil sich Gemeinschaft gewöhnlich auf etwas bezieht, was einer Gruppe von Menschen gemeinsam ist, wie zum Beispiel Normen, Bräuche, Religion und Werte. Wie wir später sehen werden, suchen wir in unserem Programm eher nach Menschen, die leibhaftig da sind, greifbar, unabhängig von ihren Einstellungen, Normen und Werten. Das Dorf war nie eine Gruppe lauter netter, liebevoller Menschen mit einem gemeinsamen Ziel. Gewöhnlich »klebten« die Menschen aneinander, und manche Dinge kann man halt nicht ändern.

Mein Wunsch in diesem Artikel ist es, aufzuzeigen, wie wir ein »neues aktives Dorf« für Kinder schaffen können, auch wenn die Menschen nicht mehr in die Moschee, in die Kirche oder in die Synagoge gehen. Anhand eines Fallbeispiels werde ich einige wichtige Punkte des »Bring-das-Dorf-in-die-Klinik«-Ansatzes aufzeigen und die Möglichkeit der Schaffung eines »aktiven virtuellen Dorfes« durch eine WhatsApp-Gruppe demonstrieren. In diesem Buch finden Sie auch den Beitrag von Tal Maimon und mir über unsere Arbeit in Schulen (siehe S. 203). Aus unserer Sicht ist eine Schule schon wie ein Dorf, wenn auch auf organisierte Weise. Hier zeige ich, wie wir ein solches Dorf im therapeutischen Raum schaffen und aktivieren können, sodass jeder es auch außerhalb der Kernfamilie erleben kann.

»Bring das Dorf in die Klinik!« – Vier Schritte der Intervention

Eines der wirkungsvollsten Instrumente, die wir in unserem Programm mit Eltern einsetzen, ist ein »Unterstützertreffen« oder, wie ich es lieber definiere, »wir bringen das Dorf in den Therapieraum«. Es ist eine wirkungsvolle Maßnahme, die normalerweise nach 2–4 Treffen mit den Eltern durchgeführt wird. Wir bitten die Eltern, eine Gruppe von Personen aus ihrer Familie, von Freunden oder von ihrem Arbeitsplatz einzuladen. Mit anderen Worten, da ich (und die meisten meiner Klienten) nicht mehr in die Synagoge gehe, bringe ich die Synagoge in die Klinik. Gewöhnlich für ein Treffen/Gebet, das es einem »neuen Dorf« hoffentlich ermöglicht, sich stärker am Leben eines Kindes zu beteiligen.

1. Der Vorschlag an die Eltern

Die Eltern sind sehr überrascht über den Vorschlag des Therapeuten, mehr Menschen in eine Sitzung mitzubringen. In einigen Fällen werden sie zustimmen und sich sogar erleichtert fühlen, aber in den meisten Fällen wird es schwierig für sie sein; einige werden sich stark dagegen wehren. Es gibt mehrere Gründe für den Widerstand, in erster Linie ist es Scham. Die Eltern schämen sich, um Hilfe zu bitten, und deshalb sollte das Gespräch über mögliche Unterstützung schon beim ersten Treffen beginnen. Während der Aufnahme, nachdem wir die Eltern gefragt haben, warum sie gekommen sind, und nachdem wir von ihren Schwierigkeiten erfahren haben, könnten wir ihnen so etwas sagen wie: »Ihr Kind fordert Sie in vielerlei Hinsicht heraus, in der Vergangenheit gab es ein Sprichwort: Es braucht ein ganzes Dorf, damit ein Kind sich gut entwickelt, und es sieht so aus, als ob dieses Sprichwort wirklich zu Ihrem Kind passte. Erfahren Sie eigentlich in irgendeiner Form Unterstützung von anderen?« An diesem Punkt wird es leichter sein, den Grad der Scham der Eltern und auch ihre Bereitschaft, um Hilfe zu bitten, einzuschätzen. Abgesehen von der Scham befürchten die Eltern auch, dass sie von den Unterstützern mit Vorwürfen konfrontiert werden, oder dass das Kind ihnen durch die Unterstützer entzogen werden könnte oder dass das Kind sich weigert, mit den Unterstützern zu sprechen. Wie überwinden wir diese »Widerstände«? Genauso, wie wir in der Therapie andere Probleme oder irrige Ansichten anpacken. Wir betrachten sie nicht als Widerstände, sondern als Ausdruck der Angst, die die Eltern lähmt. Wir arbeiten langsam daran, ihre Ängste zu überwinden und sie zu Motivationen für Handlungen zu verwandeln.

Ein weiteres Hindernis ist ebenfalls beachtenswert – manchmal haben Eltern kein Netzwerk (z. B. Immigranten, Alleinerziehende usw.). In der Schneider-Kinderklinik bitten wir Eltern, die die Therapie bei uns beendet haben, anderen Eltern zu helfen, die sonst keine Unterstützung erfahren. In einfachen Worten ausgedrückt, haben wir jetzt falls nötig ein »fertiges Dorf« bereit. Das Denken in Gemeinschaft hilft ihnen, kreativ zu sein und Gemeinschaften zu schaffen, auch virtuelle, wie wir später im Fallbeispiel sehen werden.

2. Wer kann dem »Dorf« beitreten?

Um eine klare Antwort zu geben – jede und jeder kann beitreten und das tun, was ihrer Meinung nach getan werden sollte. Wir suchen nicht nach einer Gemeinschaft mit gemeinsamen Idealen zu der Frage, »wie wir mit Kindern umgehen sollten«. Wir suchen vielmehr nach einem Dorf, und die »Dorfbewohner« haben schon immer unterschiedliche Einstellungen, Überzeugungen und sogar völlig unterschiedliche Arten zu lieben (und Paarbeziehungen einzugehen) mitgebracht. Wenn Eltern uns also fragen, wer an der »Dorfversammlung« teilnehmen kann, stellen wir fest, dass unser Slogan lautet: »Je mehr, desto fröhlicher«. Was wir anstreben, ist, so viele Menschen wie möglich einzubinden, auch wenn die Eltern (und der Therapeut) nicht der Meinung sind, dass sie hilfreich sein könnten.

3. Gestaltung des Unterstützertreffens – Schutz der Familie und Aktivierung des Dorfes

In der Regel umfasst ein Unterstützertreffen 5–10 Teilnehmer und dauert etwa 2 Stunden. Es ist eine sehr wirksame, komplexe Intervention, selbst für erfahrene Gruppentherapeuten. Wie einer unserer Lehrgangsteilnehmer bezeugte:

»Ich war erschrocken über die Heftigkeit dieser Sitzung. Ich dachte, alles würde mir leichtfallen, ich fühle mich in der Gruppentherapie eigentlich immer wohl, aber die Intensität und Komplexität war hier ganz anders. Es war, als würde man ein familiäres Schlachtfeld betreten, das von Emotionen aufgeheizt wird.«

Dabei sollte man bedenken, dass Gruppentherapie normalerweise ein längerer Prozess ist, während wir hier nur eine einzige, intensive Sitzung bestreiten.

Der schwierigste Teil der Maßnahme besteht darin, die Teilnehmenden zu bitten, ihre Einschätzung der Familiensituation und ihr mögliches Hilfsangebot mitzuteilen. Hier hat die Therapeutin eine doppelte Aufgabe – erstens die Eltern und das Kind bei Bedarf zu schützen und zweitens »das Dorf zu aktivieren«. Wie zu erwarten und wie in unserer Kultur auch vorgeprägt, pendeln sich die meisten Reaktionen zwischen den beiden Polen »sei sanft und fürsorglich« bzw. »sei hart und setze Grenzen« ein. Beginnen wir mit der Diagnose der »nicht ausreichend fürsorglichen Haltung«, die durch die liebevolle Großmutter so vorgetragen wird:

»Das Problem ist nicht das Verhalten meines Enkels; das Problem ist, dass seine Mutter ihn nicht genug liebt. Er braucht mehr Liebe und Zuwendung, und sie ist zu beschäftigt mit ihrer Karriere und trifft sich ständig mit ihren Freundinnen. Ich hab’s ihm ja immer gesagt (jetzt zeigt sie auf den Vater), dass er sie nicht heiraten sollte.«

Wie kann der Therapeut jetzt reagieren? Eine mögliche Aussage unseres Therapeuten würde so aussehen:

»Liebe Großmutter, ich arbeite schon eine Weile mit den Eltern zusammen und ich kann Ihnen versichern, dass die beiden die besten Eltern für Ihren Enkel sind. Seine Mutter hat sich nicht nur 9 Monate lang in ihrem Körper um ihn gekümmert, ich bin mir sicher, dass sie ihn auch sehr lieb hat, auch wenn es für Sie manchmal nicht so aussieht. Ich kann Ihren Wunsch verstehen, dass Ihr Enkel mehr Liebe und Präsenz der Erwachsenen in seinem Leben haben sollte. Ich glaube auch, dass Ihre Anwesenheit durchaus hilfreich sein könnte. Wäre es möglich, dass er von Zeit zu Zeit bei Ihnen bleibt? Vielleicht für einen Nachmittag oder, wenn Sie weit weg wohnen, vielleicht für ein Wochenende?«

Zweierlei ist an der Reaktion des Therapeuten bedeutsam: erstens die Anerkennung der Liebe der Mutter zu ihrem Sohn und zweitens der Versuch, die Großmutter zu aktivieren.

Nun teilt Claus (der Nachbar) seine »unbestimmten Gefühle« mit:

»Ich glaube nicht, dass die Mutter das Problem ist. Das Problem ist, dass der Junge seine Eltern nicht respektiert. Er sollte endlich seinem Vater gehorchen. Wenn nicht, sollte er die Konsequenzen tragen. Glauben Sie mir, Herr Seelenklempner, ich weiß, wie es gemacht werden sollte.«

Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir als Therapeut/Seelenklempner wünschen würde, dass er genauer sagt, was die Konsequenzen seiner Diagnose bedeuten. Was wir uns jedoch auch in diesem Fall wünschen, ist Schutz und Aktivierung von Menschen. Hier lautet eine mögliche Antwort des Therapeuten:

»Ich glaube, es wird von entscheidender Bedeutung sein, dass der Junge Ihre Meinung über sein Verhalten hört. Was ich befürchte, ist, dass die Dinge eskalieren könnten, wenn Sie mit ihm sprechen, und ich möchte Sie und den Jungen schützen. Ich möchte nicht, dass die Polizei eingeschaltet wird, und wie Sie heutzutage wissen, kann er leicht die Polizei anrufen, und das könnte auch für Sie einige Schwierigkeiten geben. Wäre es möglich, dass Sie einfach mit ihm reden? Ich glaube, er braucht auch Ihre Anwesenheit.«

Wir werden Claus später in unserem Fallbeispiel wiederbegegnen.

Natürlich kann es unter Umständen vorkommen, dass eine Therapeutin nach der Sitzung die Eltern bittet, einen der Unterstützer nicht einzubeziehen. Denken Sie einfach daran, dass das Dorf nie ein Dorf netter, kooperativer, liebevoller Menschen gewesen ist – es war immer ein vielfältiges, durcheinanderwimmelndes, hektisches und manchmal (in verschiedenen Formen) aggressives Dorf gegenüber anderen. Dennoch gilt unser Grundsatz: Je mehr, desto fröhlicher! Mehr Menschen bringen mehr Handlungsoptionen ein und begünstigen den Wandel.

4. Nach dem Treffen der Unterstützer

Wollen wir während des Treffens der Unterstützer einen Handlungsplan skizzieren? Ja, natürlich wollen wir das. Aber selbst wenn wir einen Plan entwerfen, sind die Chancen, dass die Menschen so handeln, wie wir es wünschen, in den meisten Fällen außerordentlich gering. Wie wir später sehen werden, kann selbst dann, wenn die Menschen sich engagieren und an das glauben, was sie tun sollten, etwas völlig anderes geschehen, wenn sie tatsächlich handeln. Das ist sowohl die Gefahr wie auch das Schöne daran, ein Dorf zu aktivieren. Wie in der Therapie – man weiß zwar, wo und wann man den Weg beginnt, aber nie weiß man, wohin er einen führt. Also, stürzen wir uns jetzt direkt in eine Intervention bei einem konkreten Fall!

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