Kitabı oku: «Gestalt-Traumatherapie», sayfa 3

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»An der Kontaktgrenze gibt es diese beiden Prozesse zur Bewältigung von Notfallsituationen: Auslöschen und Halluzinieren. (Es handelt sich … um gesunde temporäre Reaktionen in einem komplizierten Organismus-Umweltfeld« (PHG, 67).

Trauma als unerledigte Situation

PHG führen als Beispiel das Erleben eines kindlichen Frustrationstraumas an: »Der Einfachheit halber denken wir an einen einzigen dramatischen Augenblick, ein ›Trauma‹. Der Wunsch wurde frustriert: Seine Befriedigung war gefährlich, und die durch die Frustration ausgelöste Spannung war unerträglich. Dann unterdrückte man den Wunsch und die Bewusstheit des Wunsches absichtlich, um nicht zu leiden und die Gefahr abzuwehren. Der ganze Komplex von Gefühl, Ausdruck, Geste und sinnlichem Eindruck, der besonders tief geht, weil er auf wesentliche Weise unerledigt bleibt, ist außer Funktion; beträchtliche Energie wird ständig darauf verwendet, ihn in der jeweiligen Gegenwart außer Funktion zu halten. Wie kommt es nun zur Wiedererinnerung? Nehmen wir an, die gegenwärtige absichtliche Unterdrückung wird gelockert, beispielsweise durch Übungen mit den Augenmuskeln und dem Umherschauen …« »Plötzlich kommen die immer gegenwärtigen, aber latenten Gefühle und Gesten zum Ausdruck, und mit ihnen taucht die alte Szene bildhaft wieder auf. Nicht das alte Bild hat also das Gefühl ausgelöst, sondern die Lockerung der gegenwärtigen Unterdrückung. Die alte Szene wird wiederbelebt, weil sie zufällig der letzte freie Ausdruck des Gefühls und der Geste in der Sinnenwelt war bei dem Versuch, die unerledigte Situation zu einem Abschluss zu bringen.« (PHG, 108, 109).

Sicherheitsventile

Die Reaktionsformen auf Traumata, das Halluzinieren, Träumen, Totstellen, Auslöschen, Verzerren, Isolieren, (zwanghafte) Wiederholen oder panikartige Flucht werden von PHG als gesunde »Sicherheitsventile zum Schutze der Kontaktgrenze bezeichnet« (PHG, 129f).

Identifikation mit dem Aggressor, Auslöschung des Selbst und Introjekte


Abb. 1: Trauma-Kontakt-Schema

Ein traumatischer Prozess kann gestalttherapeutisch als das Scheitern der Integrationsleistungen des Selbst gesehen werden, so wie der neurotische Prozess selbst auch. Der Zusammenhang zwischen einem traumatischen Erlebnis und einem posttraumatischen Folgeprozess wird klar dargelegt in der Beschreibung der Selbstunterdrückung. »Wenn weder Flucht noch Vernichten möglich sind, nimmt der Organismus zum Auslöschen der eigenen Bewusstheit Zuflucht« (PHG, 171). »Im Augenblick des Höhepunktes eines Konfliktes und der Verzweiflung reagiert der Organismus, indem er sich auslöscht – im spektakulären Fall, indem er bewusstlos wird, häufiger aber durch Taubheitsgefühle, Lähmung oder eine andere Form der zeitweisen Verdrängung« (PHG, 196). »Es gibt einen leeren Raum in der Figur, denn der allgemeine Kontext des Bedürfnisses, der Gelegenheit, der Schwierigkeit usw. bleibt gleich; die Selbstbehauptung, die den zentralen Platz im Konflikt einnahm, fehlt jetzt nämlich. Dieser leere Raum wird jetzt durch die Identifikation mit einer anderen Person gefüllt, nämlich der Person, die den Konflikt hat unerträglich werden lassen … jetzt wird diese Person zu einem selbst« (196f). »… die Introjekte müssen bewusst werden, damit sie zerstört werden können; der Kontakt zu den isolierten sexuellen, sozialen Interessen muss wieder aufgenommen werden« (PHG, 204)

Gestalttherapeutische Traumakompetenzen

Serok (1985) betont die Eignung der Gestalttherapie für traumatisierte Menschen und kennzeichnet ein Trauma als ein unfinished business, also eine offene, unabgeschlossene Gestalt. Wolf (1999) stellt eine integrative gestalttherapeutische Traumatherapie vor. Strümpfel (2006) nennt in seiner Metaanalyse die Studie von Paivio & Nieuwendhuis (2001, zit. nach Strümpfel 2006, 194) mit Emotionsfokussierter Therapie bei in ihrer Kindheit sexuell missbrauchten Erwachsenen sowie die Metaanalyse von Greenberg (2004, zit. nach Strümpfel 2006, 244) als Belege für die Wirksamkeit prozess-erfahrungsorientierter Therapie. Psychische Störungen im gestalttherapeutischen Sinne werden als eine Art eingefrorene und festgefahrene Notfallreaktion angesehen, bzw. als das, was von der Notfallreaktion in der Selbst-Struktur übrig geblieben ist. In diesem Sinn geht die gestalttherapeutische Traumatheorie von der Begegnung mit einem Ereignis aus, welches die aktuell verfügbare Selbst-Integrationsfähigkeit und Selbstunterstützung (self support im Sinn von Lore Perls) übersteigt. Die Notfallreaktion führte zum Zeitpunkt ihres Entstehens zu Unterbrechungen und Schutzreaktionen, die das Individuum in seinem Erleben des Schreckens, der Ohnmacht und Hilflosigkeit herunterfahren sollen. Diese Unterbrechungen der Kontaktfunktionen sind der zentrale Arbeitsfokus gestalttherapeutischer Therapie. Dabei wird versucht die alten, festgefahrenen Reaktionen auf bestimmte Ereignisse wieder aus ihrer Erstarrung zu befreien, sie aufzulösen und ihre Angemessenheit für die aktuelle Lebenslage zu prüfen. Hardie (2002) kommt in einem Übersichtsartikel zu Gestalttherapie und Sozialarbeit im Zusammenhang mit dem 11. September zu dem Schluss, dass Gestalttherapie für die Behandlung von PTSD geeignet ist. Sie ist der Meinung, dass es kaum Literaturbeiträge der Gestalttherapie zu den Themen Trauma und PTBS gibt (Hardie 2002, 7). Cohen (2002) beschreibt in der gleichen Ausgabe von Gestalt! (2002) Gestalttherapie als wirksames Verfahren für PTBS.

Phänomenologische Grundhaltung

Die Gestalttherapie ist von einer relativ strikt phänomenologisch orientierten Haltung geprägt, bei der das aktuell gezeigte Verhalten des Individuums genau untersucht wird. Durch die Unterstützung der explorierenden Phänomenwahrnehmung mit Aufmerksamkeit, Konzentration, sozialer Zeugenschaft und Beziehung wird ein unspezifisches supportives Feld geschaffen, das genau auf die aktuelle Befindlichkeit des Klienten ausgerichtet ist. Dadurch können die jeweiligen Erstarrungsmomente genau erfahrbar gemacht werden und gelangen wieder in den Erlebens- und Zugriffbereich des Individuums.

Körperbewusstheit

Eine weitere ideal an den heutigen Stand der Traumaforschung angepasste Herangehensweise ist der fortwährende Einschluss (Einbezug) des Körpers in die Bewusstseinsbildung über die Unterbrechungsreaktionen.

Gleichberechtigung als Ziel

Die dritte gestalttherapeutische Spezialität ist die permanente bewusste Gestaltung und Reflexion der Beziehung auf einer versuchsweise gleichberechtigten Ebene. Dies ist durch Machtgefälle aufgrund der Definitionsmacht des Therapeuten, sowie des Wissensgefälles innerhalb einer Psychotherapie nur bedingt möglich (Hutterer-Krisch 2001; Portele 1994), doch ist dieser Anspruch ausschlaggebend für eine therapeutische Grundhaltung, welche für traumatisierte Menschen mit massiven Ohnmachtserfahrungen sehr heilsam erscheint.

Feldeinflüsse

Die vierte gestalttherapeutische Traumakompetenz ist die Bewusstheit der Organismus-Umweltbedingtheit, d.h. der Feldabhängigkeit individuellen Erlebens. Das Feld beeinflusst das Erleben, Verarbeiten und die Bewältigung des Traumas in eminenter Weise mit. Dies drückt sich auch in Anleihen und der Verbindung mit noch deutlicher ganzheitlich orientierten Herangehensweisen wie schamanistischen Heilmethoden oder (naturbezogenen) Ritualen aus.

Integration

Die fünfte gestalttherapeutische Traumakonzeption ist die Arbeit an der Integration der verschiedenen Erlebensteilstücke zu einem Ganzen. Hartmann-Kottek (2004, 94f) definiert: »Für die Gestalttherapie, deren Ziel die Integration ist, gehört die Qualität von Kohärenz als eine mögliche Integrationsform sinngemäß zum zentralen Fokus des Interesses. (…) Die Kohärenz ist eine notwendige Bedingung für das Gestalt-Erleben sowie für die integrierende Organisationsform einer Gestalt. Damit sei sowohl der subjektive wie der subjekt-unabhängige Pol einer Gestalt-Wahrnehmung angesprochen.« Der Kohärenzbegriff wurde besonders von Antonovsky (1997) in seinem salutogenetischen Konzept am Beispiel von KZ-überlebenden Frauen entwickelt. Die »Wiederherstellung der Kohärenz der betroffenen Persönlichkeit« ist nach Hartmann-Kottek Fernziel einer Traumatherapie. »Auf der neurobiologischen Ebene wird die Integration der traumatisch versprengten Erlebnissplitter gefördert, nachdem sie emotional weitgehend neutralisiert worden sind; auf der vorgeschalteten und flankierenden psychotherapeutischen Ebene wird das Kohärenzgefühl über liebevolle Selbstannahme, Fremd- und Selbstwertschätzung und durch Förderung von angemessener Vertrauensfähigkeit in den Rest der Welt gestärkt.« (ebd., 96)

Therapie der Gefühle

Als eine der wichtigsten gestalttherapeutischen Spezialitäten kann schließlich die direkte Bearbeitung von Gefühlen angesehen werden (Strümpfel 2006, Greenberg 2003). Gerade der Umgang mit therapeutisch häufig schwierig zu erfassenden Gefühlen wie Scham, aber auch Angst oder Leere haben eine langjährige und sehr effiziente Tradition innerhalb der Gestalttherapie. Die hemmenden Gefühle Scham und Angst behindern den Ausdruck und die Kontaktaufnahme. Ihre Phänomenologie ist gestalttherapeutisch genau untersucht worden (Dreitzel 2007, 141; Chu 1994; Yontef 1999, 353; Staemmler 2003) Daraus wurden entsprechende therapeutische Schritte entwickelt. Victor Chu stellt fest: Scham stellt eine individualisierte Form tabuisierter gesellschaftlicher Konflikte dar (Chu 1994, 7). Die Funktion der Scham benennt Chu »gerade für Menschen, die in ihrer Kindheit tief verwundet worden sind. Ihre Scham schützt sie vor den Erinnerungen an früher erfahrene Verletzungen.« (Chu 1994, 8) Nach Chu ist eine Folge von Schamprozessen starke Einsamkeit. »Wer in tiefe Scham versinkt, ist in diesem Moment der einsamste Mensch auf der Welt. Wenn ich mich schäme, falle ich aus der Geborgenheit der Gemeinschaft. Selbst wenn ich von Menschen umgeben bin, die sich liebevoll um mich bemühen – die Scham umgibt mich wie eine Glaswand, und die persönliche Kommunikation nach draußen ist jäh unterbrochen. Unsere Scham bricht die Brücken hinter uns ab, gerade dann, wenn der menschliche Halt uns vor der inneren Katastrophe retten könnte.« (Chu 1994, 10). Scham wirkt insbesondere auch durch die Tabuisierung von Traumata (Chu 1994, 18). Scham ist die Reaktion auf das Gefühl der Entblößung (Chu 1994, 34).

Hier-und-jetzt-Fokus

Dieser Fokus bildet den Bildschirm, die Abbildfläche, den Erscheinungsraum, das Ausdrucksfeld und den Anker gegenüber dem Sog des Vergangenen. Er ist gleichzeitig das Mikroskop in den Körper, der den Hier-und-jetzt-Prozess ständig erlebt. Das dissoziierende Bewusstsein kann hiermit wieder zurück in den gegenwärtigen Körper finden.

Selbstprozesse


Abb. 2: Normative nichttraumatische Reaktion bei einer Auswahl

– unterstützender Selbstsubprozesse

– einer sozialen Schutzbeziehung

Der gestalttherapeutische Selbstbegriff ist geprägt von der Goldsteinschen und Lewinschen Vorstellung des sich ständig selbst aktualisierenden und verändernden Organismus im Kontakt mit seiner Umwelt, mit der er ein gemeinsames Feld bildet. Das heißt »das Selbst ist die Kontaktgrenze in Bewegung« (Dreitzel 2004, 40f), »das Selbst ist das Integrierende; die synthetische Einheit« (PHG, 32). Das Selbst kann nach Isadore From (zit. nach Dreitzel, 42) in die drei Subsysteme Ich-Funktionen, Es-Funktionen, Persönlichkeits-Funktionen unterteilt werden. Nach Dreitzel (2004, 38f) geht es in der therapeutischen Arbeit immer nur um die Wiederbelebung der Ich-Funktionen. Die Ich-Funktionen sind zum einen die Motivation, die beginnt mit der Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse. Dreitzel nennt hier das Brauchen, das Wünschen, und das Wollen. Es sind ferner die Hand-lungskompetenzen, um diese Bedürfnisse zu befriedigen, und schließlich die Aufnahme- und Verdauungsfähigkeiten, um die »herbei gehandelten« Bedürfnisinhalte zu assimilieren. Butollo, Krüsmann & Hagl (1998, 95f) systematisieren gestörte Selbstprozesse als Folge traumatischer Erfahrungen. Sie sehen die Selbstantworten, die Phantasien, und Narrationen, also Geschichten, die man sich selbst über das Trauma erzählt, in hohem Maße mitverantwortlich für die Auswirkungen des Traumas. Selbstprozesse beinhalten dabei das Repräsentationssystem über die Welt (Weltbild) und uns (Selbstbild) sowie unserer Interaktionen und Antworten auf sie, also die Ich/ Du/Es-Beziehung zur Welt. Diese Symbolisierungen des Selbst werden selektiv aktiviert und konfigurieren und konstituieren laufend das Selbst. Diese Botschaften an das Selbst werden vor dem Hintergrund früherer Beziehungs- und Bindungserfahrungen gewichtet, aber auch durch die Intensität der gegenwärtigen Erlebnisse. Gute Sprach- und Handlungskompetenzen verbessern diese Selbstprozesse und helfen erklärende Selbstantworten und verstehende Differenzierungen schützend zu entwickeln. Die Gewichtung der Selbstprozesse verändert sich je nach Intensität des Traumas. Durch Selbstabspaltungen kommt es zum Verlust des dialogischen Selbst und dadurch unter Umständen zu starken Reduzierungen der Beziehungsfähigkeit. Die Anforderungen an eine Traumatherapie sind nach Butollo, Krüsmann & Hagl (1998, 100) daher erstens die Wiederherstellung einer Antwortbereitschaft, die möglichst viele Selbstanteile integriert, und zweitens die Mobilisierung von Ressourcen zum Eintreten in dialogische Beziehungen. Die Integration der dissoziierten, abgespaltenen Selbstteile ist dabei das eigentliche Ziel.


Abb. 3: Dysfunktionale Selbstprozesse bei fehlender Schutzbeziehung


Abb. 4: Beschädigtes Selbst

Greenberg, Rice & Elliot (2003) nehmen als Selbstprozess einen Syntheseprozess an. Anstelle des Organismus treten in Modulen organisierte kognitiv-affektive Schemaprozessoren, wodurch eine differenziertere und genauere Beschreibung der bei Dysfunktionen ablaufenden Vorgänge möglich wird. Nach Greenberg, Rice & Elliot (2003, 135, 139) tritt bei erlebtem Missbrauch in der Kindheit durch den erlebten Widerspruch von Fürsorge und Missbrauch bei ein und derselben Bezugsperson eine emotionale Spaltung auf, bei der zwei separate Schemata für jede der beiden Arten der Beziehung gebildet werden. Das Selbst wird somit in Beziehung zu dieser Person in zwei unterschiedliche Selbstorganisationen gespaltet. Durch diese Organisation in verschiedene »Teilselbste« entsteht eine dissoziative Störung. Durch unterschiedliche Hinweisreize können dann unterschiedliche Selbstorganisationen aktiviert werden. Dabei werden Gut und Böse strikt voneinander getrennt. Es können auch komplementäre Rollen wie die des Opfers und des Täters oder des Verführers und des Verführten entstehen und völlig unabhängig voneinander aktiviert werden, oder die Betreffenden dissoziieren ihre emotionale Erfahrung völlig. Greenberg, Rice & Elliott beschreiben sechs Verarbeitungsprobleme, wobei für Traumabetroffene insbesondere folgendes Schema relevant ist: »(…) die automatische Aktivierung von Schemata, die bei unaufgelösten und traumatischen Erfahrungen mit anderen Menschen eine Rolle gespielt haben, wodurch die betroffenen Klienten ständig von einem negativen Gefühl gegenüber einer wichtigen Bezugsperson begleitet werden« (ebd., 140).

Kontakt – Dialog

Die durch Bubers Einfluss geprägte dialogische Ausrichtung der Gestalttherapie ist eine essentielle traumatherapeutische Qualität. Erfahrungen werden in innere Dialoge, Beziehungs- und Kontaktfiguren geformt. Entstellte und deformierte Kontaktgestaltung und Kontakterfahrung sind die Folge von Traumata (Butollo, Krüsmann & Hagl, 117). Therapeutische Methoden der Stuhlarbeit und des Dialoges können helfen, die massiv geschädigte Kontaktgrenze und damit auch Selbstgrenze wieder zu flexibilisieren und den aktuellen Motiven und Handlungsmöglichkeiten der Person anzupassen.

Support

Das stete Bewusstsein der Notwendigkeit von support ist eine gestalttherapeutische Grundkomponente. Diese ressourcenorientierte Haltung begreift support in erster Linie als Selbstunterstützung, aber auch Fremdunterstützung. Lore Perls formulierte es so: »Unter ›Stützung‹ (support) verstehe ich nur zum geringsten Anteil die Fürsorge und Ermutigung, die durch meine Gegenwart und mein Interesse gewährleistet ist, sondern die Stützen, auf die der Patient (oder auch Therapeut!) sich in sich selbst verlassen kann oder die ihm fehlen. Stütze beginnt mit der primären Physiologie wie Atmung Blutkreislauf und Verdauung, schreitet fort mit der Entwicklung der Hirnrinde, dem Einschließen der Zähne, mit Sensitivität und Beweglichkeit, aufrechter Haltung, Sprache und Sprachgebrauch, Gewohnheiten und Sitten und sogar ganz besonders den Hemmungen und Blocks, die ursprünglich als Stützfunktion gebildet wurden.« (Perls 1989, 110)

Offene Gestalt, Figur/Hintergrund

Für viele traumatherapeutisch tätige Gestalttherapeuten bleibt bei traumatischen Erfahrungen eine offene Gestalt. Der Begriff der offenen Gestalt wurde durch die Lewinschülerin Zeigarnik im Rahmen willenspsychologischer Untersuchungen Lewins entwickelt. Er charakterisiert das Bestreben eine unterbrochene Handlungssequenz abzuschließen. Fritz Perls prägte diesen Begriff um als unfinished business für im aktuellen Geschehen wirksame Einflüsse unverarbeiteter vergangener Beziehungserfahrungen. Nach einem Trauma kann die Erfahrung, d.h. die Figurbildung nicht abgeschlossen werden. Die unabgeschlossene Figur resultiert aus dem (bislang) unzureichenden Grund, der die hinreichenden Prozesse, Strukturen und Erfahrungen zur Verarbeitung dieses Ereignisses im Moment seines Erlebens nicht zur Verfügung stellen konnte. Die Bereitstellung ausreichender äußerer und innerer Stützung ermöglicht es den Figurbildungsprozess abzuschließen.

Modell gestalttherapeutischer Traumaarbeit

Der gestalttherapeutische Umgang mit Konflikten ist aktiv und offensiv. Ziel ist, es den Konflikt so bewusst und offen durchleben zu können, dass er für das Selbst eine Wachstumsmöglichkeit bietet. Als pathologisch wird die Verdrängung, das Erstarren, die Unterdrückung des Konfliktes gesehen. Dies wurde für neurotische Konflikte am Beispiel der Ohnmacht eines Kindes gegenüber dem übermächtigen Erwachsenen beschrieben. Kann nun dieses Modell auch zur Bewältigung von posttraumatischen Belastungsstörungen herangezogen werden? Hier erscheint es ja gerade sinnvoll zu verdrängen, zu vergessen, nicht zu spüren. Hat hier das gestalttherapeutische Modell seine Grenzen gefunden? Es lässt sich dagegen einwenden, dass die klassische beschriebene Ohnmachtssituation auch die zu Grunde liegende Erfahrung einer traumatisierenden, PTSD auslösenden Situation ist. Der Unterschied ist nicht auszumachen; es ist letztlich die subjektive Erfahrung von überwältigender Ohnmacht oder Bewältigung, die darüber entscheidet, welche Erfahrung ein Trauma auslöst und welche nicht. Gewiss, es gibt eine Reihe von Erfahrungen, die bei den meisten Menschen PTSD-Reaktionen auslösen. Dazu gehört das Miterleben von Mord bei Angehörigen oder das Nicht-helfen-Können bei tödlichen Unglücken. Die Dauer von PTSD-Reaktionen ist wiederum sehr unterschiedlich. Sie kann als eine Folge und Kombination aus so genannten Vulnerabilitätsfaktoren, Risikofaktoren und Belastungsbedingungen einerseits und Protektivfaktoren und Ressourcen und Supportfaktoren anderseits gesehen werden. Dies zeigen beispielsweise die Untersuchungen von Antonovsky (1997), der daraus ein Bewältigungsmodell entwirft. Es ist also bei jeder Art von Traumaarbeit und gerade auch bei der gestalttherapeutischen Annäherung an traumatische Erfahrungen darauf zu achten, dass ein ausreichend supportives Feld geschaffen wird, in dem der Heilungsprozess sich entfalten kann. Das Wiedereröffnen des Konfliktes darf also nur in dem Maße geschehen, in dem ausreichende Kräfte zur Verfügung stehen, um dieses Mal den psychologischen und inneren Kampf zu gewinnen bzw. zu ertragen ohne zu zersplittern. Hartmann-Kottek (2004, 209) betont, dass bei Traumapatienten ähnlich wie bei Psychosepatienten zunächst eher mit potenzialentfaltenden Gestalttherapieformen und nicht mit konfliktlösendem Schwerpunkt gearbeitet werden soll, da sonst die Gefahr emotionaler Überflutung gegeben ist. Auch van Vugt (1990), Crump, (1984), Wolf (1999, 833) und Hille (2002, 132) warnen vor kathartischen Techniken bei Traumapatienten. Daraus ergibt sich ein behutsames, dem Tempo des Klienten folgendes Vorgehen. Die Annäherung an die traumatischen Themen voll achtsamen Spürens, voller Aufmerksamkeit und Bewusstheit kann jetzt mit der Freiheit erfolgen, selbst zu entscheiden, wie weit es gehen soll! Die genaue Exploration und langsame, klientenbestimmte Beschreibung des traumatischen Ereignisses beinhaltet also ein Vorgehen, das in der Expositionsmethodik der Verhaltenstherapie bzw. in der imaginativen Konfrontation der EMDR-Methode wieder aufgegriffen wurde: Das erneute innerliche Sich-Stellen und Aussetzen. Dabei geht es in erster Linie um die kreative Erschaffung von inneren Antworten, Möglichkeiten und Methoden, mit dem Entsetzen umzugehen. Das »Löschen« der Wucht der traumatischen Erinnerungen ist bei diesen Verfahren der äußerlich beschreibbare Vorgang. Die kreative innere Antwort ist nicht vorhersehbar, nicht plan- oder machbar – es ist eine höchst individuelle Leistung des integrativen Selbst, die sich aus ihm heraus vollzieht. Die Fokussierung auf Wachstum und Entwicklung stellt den Rahmen zur Überwindung der traumatischen Verletzung dar.

Ist nun die PTSD-Reaktion gleichartig, sodass eine spezifische, aber vergleichbare Behandlung notwendig würde? Einerseits erscheint die PTSD-Reaktion besonders in ihren Symptomen vergleichbar. Einerseits wird innerhalb der Traumaforschung darüber diskutiert, ob Traumata z.B. anhand ihrer Auslöser typisiert werden können, oder ob es eine allgemeine menschliche Reaktion auf Traumata gibt. Andererseits scheinen traumatische Erlebnisse eine Vielzahl von Reaktionsmöglichkeiten und Folgen nach sich ziehen zu können, z.B. Borderline-Erleben, Ängste, Sucht, Scham, Zwangsverhalten, Täterverhalten. Diese Reaktionsmöglichkeiten sind vermutlich sowohl auf die prämorbide Struktur der jeweiligen Person zurückzuführen, auf deren Umgangsmöglichkeiten mit Belastungen, bzw. deren Schwächen und Schwierigkeiten, als auch auf die Massivität der Traumatisierung. In gestalttherapeutischem Sinne sind der Umgang mit dem Trauma und die psychologischen Reaktionen darauf eine schöpferische Anpassungsleistungen im Moment der traumatischen Erfahrung. Darin fließen alle dem Individuum zur Verfügung stehenden und mit dem Ereignis in Bedeutungszusammenhang stehenden Stärken und Schwächen ein. Dieser Moment ist vergangen, doch für den betroffenen Menschen ist dies noch nicht Realität geworden. In seiner psychologischen Wirklichkeit besteht diese Situation weiter fort, bzw. kann jeden Moment wieder eintreten. Es ist also eine Fixierung, ein Verhaftet-Sein in einem vergangenen Augenblick, in einer vergangenen Zeitspanne. PHG (311f) benannten als Ziel für den allgemeinen therapeutischen Prozess: »… die erneute Aktivierung von Fixierungen zu Erlebniseinheiten. (…) Gegenwärtig ist das Verhalten des Patienten in der Therapie und anderswo eine schöpferische Anpassung, die weiterhin ein Problem mit chronischer Furcht und Frustration zu lösen versucht. Die Aufgabe besteht darin, ihm ein Problem anzubieten unter Bedingungen, in denen seine gewohnten (unabgeschlossenen) Lösungen nicht mehr die angemessensten Lösungen darstellen. Wenn er seine Augen benutzen muss und dies nicht tut, weil es nicht interessant und sicher für ihn ist, dann wird er jetzt seine Blindheit aufgeben und sich mit seinem Sehvermögen identifizieren; wenn er zugreifen muss, wird er sich jetzt seiner muskulären Aggression gegen das Zugreifen bewusst und kann sie loslassen usw.; dies geschieht nicht, weil Blindheit und Lähmung an sich »neurotisch« sind, sondern weil sie zu nichts mehr taugen: Deren Bedeutung hat sich von einer Technik zu einem Hindernis gewandelt.« (ebd., 312) Angewandte Gestalttherapie ist daher die Unterstützung für eine Person, sich in einer für sie aktuell erforderlichen Weise zu entwickeln, also eine Art Weiterentwicklung zu vollziehen. In diesem Sinne ist Gestalttherapie Entwicklungstherapie, und zwar insbesondere das Zur-Verfügung-Stellen eines geeigneten supportiven Feldes für einen Abschnitt einer lebenslangen Weiterentwicklung. Diese Entwicklung geht dabei einerseits von der Person selbst aus, von ihren Bedürfnissen, ihren Es-Funktionen (also ihrem Körper und seinen Impulsen), ihren Bewertungen (also ihren Ich-Funktionen), und ihrer Erfahrung (also ihren Persönlichkeitsfunktionen), und des Feldes in das sie eingewoben ist (vgl. Dreitzel 2004). Das Feld umfasst auch die Verbindung mit dem Umfeld, z.B. mit der Natur oder mit einem engen Raum und kann umgekehrt wieder Rückwirkungen auf den Organismus haben, die gerade bei Heilritualen wichtig werden, die das Naturfeld einbeziehen. Zum Feld zählen unter anderem die aktuellen Beziehungen zu anderen Menschen, die hier ergänzend als die Beziehungsfunktionen eingefügt werden können. Die Beziehungsfunktionen lassen das Verhalten einer Person immer als Antwort auf den Anruf und die Erschütterung durch den Anderen im Sinne Levinas’ (1995, 1999, 2005) bzw. als Wahl eines Beziehungsmodus im Sinne von Bubers Du vs. Es erscheinen. Das traumatische Erlebnis ist in seiner existenziellen Erschütterung daher eine »Selbsterfahrung« im Sinne einer Antwort auf die eigene Existenz und greift damit zutiefst in die Selbstprozesse der Person ein. Dies geschieht möglicherweise auf eine ähnliche Art wie bei Kindern, die in Abhängigkeit zu ihren Bezugspersonen deren Antworten und Reaktionen in den Aufbau ihrer Persönlichkeitsstruktur integrieren. Das heißt gegenüber dem Anruf durch das traumatisierende Gegenüber – sei es Mensch, Natur oder Gegenstand, (siehe Butollo 1998. 95f) – hat die Person keine Wahl und antwortet »zu schnell«, blitzartig, amygdaloid (van der Kolk 2000) und körperspeichernd. Ein therapeutisches Ziel ist daher die Wiederherstellung von Wahlmöglichkeiten der Reaktion (Butollo 1998). Eine Fülle methodisch-technischer Herangehensweisen der Gestalttherapie findet sich bei Hartmann-Kottek (2004).

Integrität und Polarität

Traumatische Erlebnisse bedrohen die erlebte Integrität auf verschiedenen Ebenen:

1. Auf der Ebene der Kontrolle, der Handhabbarkeit, können Ohnmacht und Überwältigung entstehen.

2. Auf der physiologischen Ebene geschieht eine Erstarrungsreaktion.

3. Auf der Ebene des erlebten Zusammenhanges, der Kontinuität und Kohärenz kommt es zu Abspaltungen des Erlebens, der Gefühle, Empfindungen und möglicherweise auch der Handlungen.

4. Auf der Ebene der Sicherheit kommt es zu Angst und Vermeidung.

5. Auf der Ebene der Bewertungen kann es zu massiven Selbstabwertungen kommen.

6. Auf der Ebene des Verstehens dessen, was vor sich geht, entsteht Verwirrung.

7. Auf der sozialen Ebene des Vertrauens zu anderen entstehen Gefühle der Scham.

Diese Ebenen können auch als gegensätzliche Polaritäten oder als ineinander verschränkte Reaktionen und Gegenreaktionen gesehen werden.


Tab. 1: Polaritäten bei Integritätsverlust durch Traumata

Mögliche und wichtige Kontaktstörungen traumatischer Erfahrungen werden in Tabelle 2 dargestellt. Dabei wurde die Dissoziation hinzugefügt.

So wie ein Kind die soziale Unterstützung und Zeugenschaft durch ein Elternteil braucht, so benötigt auch der durch ein psychisches Trauma Verletzte wieder das Gesehen-Werden von andern Menschen. Damit ist es ihm möglich, sich in seiner nun anderen Realität als wirklich erleben zu können, um diese Realität glauben zu können. Dadurch kann es gelingen, aus dem Bann der damaligen traumatisierenden Beziehung nun in eine neue Beziehung zu treten, von der aus gesehen das damalige traumatisierende Ereignis Vergangenheit ist. Es wird eine sehr schmerzliche Narbe bleiben, doch eben vergangen. Gleichfalls ist ein effektives und gelingendes Erleben von Unterstützung, sowie Kontrollierbarkeit des Lebens wichtig. Die Transformation und Abstraktion des Geschehenen kann gelingen, wenn es verstanden wird und wenn sich der Betroffene als Überlebender und Zeuge seines eigenen Lebens begreifen kann. Sichere und wertschätzende Beziehungen zu anderen Menschen sind die stärksten Schutzfaktoren gegenüber Traumata, und gleichzeitig auch die wichtigsten Heilungsfaktoren Traumatisierter.


Tab. 2: Kontaktstörungen, Therapieschritte, Polaritäten der Kontaktstörungen.

Gestalttherapie bei verschiedenen Traumaformen und Traumafolgen:

Butollo – Integrative Traumatherapie und Dialogische Exposition

Butollo und Mitarbeiter (1998, 2003) praktizieren und untersuchen die fruchtbare Integration von gestalttherapeutischen und verhaltenstherapeutischen Therapieelementen besonders in der Integrativen Traumatherapie mit Dialogischer Exposition (Butollo & Hagl 2003, 163f). Die verhaltenstherapeutischen Methoden werden dabei besonders in Behandlung der phobischen Anteile einer PTBS zur Überwindung dysfunktionalen Vermeidungsverhaltens herangezogen. Auch für den Aufbau fehlender Fähigkeiten und Fertigkeit werden Methoden der Verhaltenstherapie eingesetzt. Gestalttherapeutische Elemente werden in allen Behandlungsphasen eingesetzt. Die Integrative Traumatherapie entfaltet sich in vier aufeinander aufbauenden Phasen:

1. Sicherheit: Sicherheit wahrnehmen und verfestigen über Therapeutische Beziehung und therapeutisches Setting. Zur Ruhe kommen, die Wahrnehmung bestätigen, bekräftigen und stützen sind wichtige Elemente. Der Umgang mit den Symptomen und sozialen Ressourcen steht im Vordergrund.

2. Innere Stabilität: Unsicherheit erkennen und bewältigen über Selbstwahrnehmung und Beziehung, Ich-Grenzen aktivieren, Verbesserung von Selbstwahrnehmung und Selbstausdruck, Selbsterleben als kompetent, aktiv und konfliktfähig. Trauer und Dissoziation sind wichtige Themen

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Hacim:
399 s. 50 illüstrasyon
ISBN:
9783897975347
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