Kitabı oku: «Gestalttherapie in der klinischen Praxis», sayfa 21

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6. Schlussfolgerung

Die Nützlichkeit einer begründeten Kombination von Psychotherapie und medikamentöser Behandlung wird von der Erforschung genetischer und biologischer Auswirkungen von Psychotherapie bestätigt, die über die über dualistische Trennung von Körper und Geist hinausgeht (Wright / Hollifield 2006). Williams und Levitt (2007) kommen in ihren Forschungen ebenfalls zu diesem ganzheitlichen Ansatz und verabschieden sich von der »Biologie versus Psychologie«-Dichotomie. Der Schlüsselbegriff ist für sie die »agency« der PatientIn, d. h. die Fähigkeit, aktiv am psychotherapeutischen Prozess teilzunehmen und eigene Entscheidungen im Leben zu treffen. Die Psychotherapie hilft den PatientInnen, ihre Fähigkeit zur Mobilisierung dieser »agency« zu steigern und die Interventionen der TherapeutIn für die Selbstheilung zu nutzen. Medikamentöse Unterstützung ist sinnvoll, wenn sie der PatientIn hilft, ihre »agency« zu steigern und am psychotherapeutischen Prozess teilzunehmen (z. B. wenn sich die Stimmung der PatientIn dank der Medikamente stabilisiert und ihre Fähigkeit zu Reflexion steigt). Andererseits sind die Medikamente nicht nützlich, wenn sie die »agency« der PatientIn verringern (Williams / Levitt 2007). Als GestalttherapeutInnen wollen wir hinzufügen, dass die Medikamente auch dann sinnvoll sind, wenn sie den Kontakt zwischen PatientIn und TherapeutIn erleichtern.

Medikamente können im psychotherapeutischen Prozess nützlich sein, wenn sie – als eine der Unterstützungsquellen – helfen, das lähmende Ausmaß der Angst zu reduzieren (siehe auch Kapitel 2). Die Energie, die ursprünglich in exzessiver Angst gefangen ist, ist dann für die PatientIn als »Erregung« verfügbar, was einen spontanen und bedeutungsvollen Kontakt mit der Umwelt ermöglicht. An diesem Punkt ist die TherapeutIn da, als PartnerIn, die gewillt ist, eine Arbeitsbeziehung aufzubauen und sich für eine menschliche Begegnung zu öffnen.

Kommentar

Brigitte Lapeyronnie-Robine

Die beiden AutorInnen betreten mit diesem Kapitel ein Gebiet in der Literatur, das zu wenig erforscht ist: die Kombination von Psychopharmaka und einer Gestalttherapie. Diese beiden Behandlungsformen werden zumeist getrennt voneinander betrachtet und darum ist es den AutorInnen umso mehr zugute zu halten, dass sie sie gemeinsam behandeln: Die Einnahme der Medikamente ist also Teil der therapeutischen Situation.

Die AutorInnen beschreiben ganz deutlich verschiedene Themen, die bei der Kombination der beiden Behandlungsformen auftauchen können: der potenzielle Einfluss auf den psychotherapeutischen Prozess oder die medikamentöse Behandlung, die Art der Beziehung, die eine PatientIn während ihrer Psychotherapie zu ihrem Medikament aufbaut, die Art der Beziehung, die die GestalttherapeutIn zu Medikamenten erlebt.

Diese Themen stellen unsere Ansichten über Gesundheit und Krankheit infrage, unsere Ideologie zur Psychotherapie. Sie werden die LeserIn beim Nachdenken darüber bereichern. Auf die Grenzen der Effektivität einer Behandlung – Psychotherapie oder Medizin – wird im Text verwiesen. Hier hätte ich mir weiter fortführende Aussagen gewünscht: Was kann über die Grenzen der Psychotherapie gesagt werden, besonders über jene der Gestalttherapie? Da die Indikationen für eine medikamentöse Behandlung angeführt werden, hätte ich es geschätzt, wenn auch die Indikationen für eine Gestalttherapie Erwähnung gefunden hätten.

Verschiedene Arten von Medikamenten werden klar und präzise beschrieben; dies ist eine hervorragende Aufstellung als Grundwissen für GestalttherapeutInnen, die keine PsychiaterInnen sind. So sagen die AutorInnen zum Beispiel deutlich, dass die Verschreibung von Antidepressiva über das Verschwinden der depressiven Symptome hinaus fortgeführt werden muss (ich empfehle eine Einnahmedauer zwischen drei und sechs Monaten), was für GestalttherapeutInnen mit geringem informativem Hintergrund erstaunlich sein mag. Antidepressiva sind auch die erste Wahl bei der Medikation bei Panikattacken, während man denken könnte, dass Beruhigungsmittel am passendsten wären.

Roubal und Křivková präsentieren in ihrem Kapitel zwei originelle Metaphern für diese Kombination von medikamentöser Behandlung und Psychotherapie. Diese Metaphern können für die Praxis einer GestalttherapeutIn eine großartige Unterstützung sein. Sie belegen ihre Bemerkungen mit zwei klinischen Beispielen. Das erste beschreibt die depressive Phase einer PatientIn: Ihr Medikament stillte das Bedürfnis nach Schutz, »wie ein Mantel im Winter«. Das zweite beschreibt chronische psychotische Symptome einer Patientin, bei der die Langzeit-Behandlung mit Medikamenten »wie eine permanente Prothese« ist.

Wenn wir erwägen, dass eine medikamentöse Behandlung für jemanden momentan oder permanent notwendig ist, muss ich zugeben, dass es schwierig ist, beides zu sein, Psychiaterin und Gestalttherapeutin, auch wenn wir jede PatientIn als ein Ganzes und die Medikation als Teil der therapeutischen Situation betrachten.

So kann die Entscheidung, die Dosis an Anxiolytika zu erhöhen, wenn ich meine, dass meine PatientIn von ihrer Angst überwältigt wird, oder eine Behandlung mit Antidepressiva zu ändern, ein Versagen bei der Unterstützung des laufenden therapeutischen Prozesses darstellen. Es nicht zu tun, wäre jedoch vielleicht eine falsche psychiatrische Beurteilung und könnte das Leben der PatientIn gefährden. Keine GestalttherapeutIn-PsychiaterIn kann vergessen, dass sie zuallererst eine PsychiaterIn ist. Sie denkt in erster Linie medizinisch.

Ich stimme diesen AutorInnen jedoch zu, wenn sie sagen, dass es manchmal besser ist – für manche PatientInnen – beides zu sein, TherapeutIn und PsychiaterIn, um Spaltungen zu vermeiden. Das ist meiner Ansicht nach ein Thema bei PatientInnen mit Persönlichkeitsstörungen. Die Rollen als ExpertIn für die Verschreibung von Medikamenten und als ExpertIn für Gestalttherapie unterscheiden sich stark. Die erste vermittelt der PatientIn, dass die PsychiaterIn über Wissen verfügt und weiß, »was gut« für sie ist. Die zweite Rolle bietet Fachwissen im Erfahrungsprozess, ohne die TherapeutIn in eine autoritäre Position zu bringen.

In ihrer Schlussfolgerung verweisen die AutorInnen mit Bezugnahme auf andere AutorInnen auf das Konzept der »agency«, um die Biologie/Psychologie-Dichotomie zu überwinden. Hier werde ich, wie an ein paar anderen Punkten in diesem Kapitel, an das Buch von Perls, Hefferline und Goodman erinnert, und besonders an ihr Kapitel zum Übergang von Physiologie zu Psychologie (und umgekehrt) kommt mir als weitere Unterstützung zur Überwindung dieser Dichotomie in den Sinn (Kapitel 1.5; Kapitel 12, A.1). Das Buch Gestalttherapie betrachtet die Psychologie als Studium der kreativen Anpassungen. So können wir uns fragen, wann eine kreative Anpassung für eine PatientIn ohne Medikamente unmöglich ist. Diese Frage, die ein zentrales Thema für eine PsychiaterIn-GestalttherapeutIn ist, könnte auch von jeder GestalttherapeutIn angesprochen werden.

Teil II

8. Sozialer Kontext und Psychotherapie
Giovanni Salonia

In seinem Buch über Selbstmord machte Emile Durkheim (2007; 1973) soziale Einflüsse als zusätzliche Ursache für Suizid bei Depressionen aus und eröffnete damit neue Forschungshorizonte im Hinblick auf die Beziehung zwischen Individuen und Gesellschaft. Tatsächlich stellte er fest, dass Suizid – der immer als rein psychisches Phänomen betrachtet worden war – durch Faktoren wie soziales Chaos ausgelöst werden kann. Auch wenn in Durkheims Analyse dessen, was er als Chaos bezeichnet, offensichtlich auf einer konservativen Matrix beruht und nur grob auf die gegenwärtige Situation der sozialen Fragmentierung angewandt werden kann, bieten seine Ansichten einen nützlichen Ausgangspunkt für Überlegungen zu Verbindungen und Verknüpfungen zwischen kulturellen Kontexten und Psychotherapien.

Ähnlich verhält es sich mit der historischen Nosologie: Sie zeigt auf, dass unterschiedliche Pathologien in unterschiedlichen kulturellen Kontexten existieren. Die Pathologien, die Freud entdeckt hat (Hysterie, Phobien, Obsessionen und Depression) standen in Verbindung mit dem historischen und sozialen Kontext der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, während neue Pathologien (Narzissmus, Borderline) in der post-modernen Ära weit verbreitet sind.

Neue PatientInnen und das Wiederauftauchen von bekannten Pathologien (z. B. vermehrtes Auftreten von Suchterkrankungen) hängen mit spezifischen kulturellen Veränderungen zusammen (Gaddini 1984; Salonia 2005a). Folglich haben sich während des letzten Jahrhunderts nicht nur die existierenden Psychotherapieformen erheblich gewandelt, sondern es sind auch neue entstanden. In den Fünfziger-Jahren des letzten Jahrhunderts wurde z. B. Fritz und Laura Perls, zwei PsychoanalytikerInnen klar, dass sich die Menschen, die Freud studiert und behandelt hatte, weiterentwickelten. Sie versuchten zunächst, einige Aspekte der Psychoanalyse zu verändern, doch schließlich begründeten sie zusammen mit Paul Goodman, Isadore From, Elliot Shapiro, Paul Weiss und anderen (Rosenfeld 1987) eine neue Form der Psychotherapie, die Gestalttherapie (GT) (Perls / Hefferline / Goodman 2006).

Eine neue Art von Mensch tauchte am Horizont auf: Einer, der mehr an Selbstverwirklichung als an der Gemeinschaft interessiert war und eher am Pronomen »Ich« als am »Wir«. Einer, der sich der Suche nach der persönlichen Freiheit widmete und dazu neigte, Gesetze und Dogmen »durchzukauen«, statt sie zu »introjizieren«. Gut zwanzig Jahre später entwickelten andere PsychoanalytikerInnen, die diese Sichtweise erkannt hatten, neue Theorien (z. B. die der »Objektbeziehungen«), mit dem Ziel, die klassischen psychoanalytischen Modelle zu »aktualisieren«.

Selbst in der Sozialpsychologie wird man sich bewusst, dass jede Gesellschaft ein bestimmtes Persönlichkeitsmodell erschafft, zu dem eine Theorie über Gesundheit oder Pathologie in Beziehung zu setzen ist. Kardiners »Basispersönlichkeit« (1965) ist zweifellos die erfolgreichste Theorie, die aus diesen Forschungen entstanden ist.

Heute wird die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft als selbstverständlich vorausgesetzt: Sie findet sich im Zentrum eines vielfältigen Panoramas an Theorien (z. B. Institutionsanalyse, kritische marxistische Soziologie, beziehungsbezogene Soziologie, Psychosoziologie).1

1. Das Basis-Beziehungsmodell (Basic Relationship Model, BRM) als Schlüssel zum Verständnis der Beziehung zwischen kulturellen Kontexten und Psychotherapien

Wenn wir Beziehungen – in ihrer Deklination der Arten des Being-with – als Schlüssel für das Verständnis der Komplexität der Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft nehmen, wird es möglich, eine Art reductio ad unum anzuwenden, das viele Veränderungen und Verbindungen zwischen Individuum und Gesellschaft aus der Perspektive ihrer Ko-Existenz aufzeigt.

Das Basis-Beziehungsmodell (Basic Relationship Model, BRM) (Salonia 2005a) geht auf diese Bedürfnisse ein, es erschafft tatsächlich eine Art Ockhams Rasiermesser, das, während es grundlegende Komponenten der »Individuum-Gesellschaft«-Beziehung identifiziert, auch ihre Prozesse und Überschneidungen aufzeigt. Wenn wir Kardiners Theorie integrieren und darüber hinausgehen, können wir feststellen, dass in jeder Gesellschaft nicht nur eine »Basispersönlichkeit« existiert, sondern auch ein Basis-Beziehungsmodell. Es gründet auf der folgenden Idee: Um das eigene Überleben zu sichern, entscheidet jede Gesellschaft, wer Priorität hat, das Individuum oder die Gesellschaft. Je nach Kontext misst sie dem einen oder anderen Priorität bei.

1.1 Das BRM/Wir

In einer Phase der allgemeinen Angst (ausgelöst durch einen Krieg, eine Hungersnot oder Epidemie)2 oder einer Phase des status nascendi haben die Belange der Gesellschaft Vorrang. In diesen Zeiten kommen Ausdrücke wie »Wir stehen vereint …«, wenn Gefahr droht, oder »Wir sind die Besten« (im Kontext eines status nascendi) in den Vordergrund und das Individuum denkt spontan im Sinne des Gemeinwohls. Was Beziehungsschemata (oder Modelle des Being-with) anbelangt, so hat das »Wir« Priorität, und das Modell, das wir als BRM/Wir definieren, herrscht vor. In diesem Modell erscheint es natürlich, persönliche Interessen zugunsten der Gruppe aufzugeben: Es besteht nur wenig Interesse am Innenleben der Menschen (Biografien und Autobiografien füllen die Buchläden, Tagebücher sind dagegen kaum anzutreffen) und alles, was die Lehrer vermitteln, wird präzise und repetitiv gelernt, während Lehrern aufgrund ihrer Rolle immer Respekt gezollt wird. Die einzigen Aspekte des subjektiven Erlebens, die frei ausgedrückt und positiv gesehen werden können, sind die der FührerIn, der HeldIn und der unbekannten SoldatInnen (derjenigen, die ihr Leben für die Rettung der Gemeinschaft geopfert haben); auf einer negativen Ebene sind jene der VerräterInnen interessant, da in diesem Fall der Betrug der Nation schwerer wiegt als der Betrug zu Hause.

Die FührerIn, die erwählt wird, weil sie als potenzielle RetterIn der Gemeinschaft gilt oder eine charismatische Figur ist, hat die absolute Macht. Klare, entschiedene Machtausübung ohne die Einbeziehung der unteren Gesellschaftsschichten wird begrüßt. Man gehorcht ihr gern und verzeiht ihr viel, weil sie das Schicksal der monolithisch und autokratisch organisierten Gesellschaft in Händen hält.

Wie bereits erwähnt, herrscht die BRM/Wir-Variante vor, wenn eine als status nascendi (Alberoni 1977) beschriebene Situation eintritt, wenn also etwas Neues entsteht (auf sozialer Makro- und Mikro-Ebene, d. h. neue sozio-kulturelle Bewegungen, die Mutter-Kind-Beziehung, Verliebtheit). Durch die Übereinstimmung mit der FührerIn wird die Gruppe zum »Wir«, wobei die außergewöhnlichen Qualitäten und das Ansehen der FührerIn anerkannt und auf kollektiver Ebene gefühlsmäßig geteilt werden: »Wir sind großartig und außergewöhnlich, weil unsere FührerIn es ist.«

In diesem Kontext gibt es keinen Raum für Dialog, für Subjektivität, für die Selbsterforschung des einzelnen Individuums, weil die Mission Vorrang vor allem anderen hat. Es ist nicht von Nutzen, Unterschieden (die unterbewertet werden) Raum zu geben, aber es ist notwendig, Annäherungspunkte zu unterstützen (welche übertrieben werden).

In beiden Fällen (Situationen geteilter Angst und status nascendi) wird das »Wir« als die Grenze wahrgenommen, die uns von »ihnen« trennt, von anderen, die als Feinde oder als unwichtig wahrgenommen werden: ein »Wir gegen« in Zeiten der Gefahr und ein »Wir besser« in Zeiten eines status nascendi. Das »Wir« wird entweder durch den Feind erschaffen (Kavafis fragt sich, ob es möglich ist, ohne die Existenz von »Barbaren« geeint zu sein; Kavafis 1992) oder durch ein narzisstisches Zugehörigkeitsgefühl.

In diesen sozialen Kontexten werden Psychopathologien durch Angst in ihren mannigfaltigen Formen charakterisiert: ein Schuldgefühl, das in der Trennungsangst wurzelt, Phobien oder Obsessionen als Angst vor Gefühlen und Handeln (Salonia 2010a). Das Endergebnis ist eine Angst, aus der Gemeinschaft hervorzutreten, um man selbst zu sein, unabhängig zu werden (Rank 1932, 1949).

1.2 Das BRM/Ich

Wenn die allgemeine Quelle der Angst oder die erste Phase der Herrschaft der charismatischen FührerIn vorbei ist, dann erlebt die Gesellschaft-Gemeinschaft als erstes Komplexität (Morin 1993), gefolgt von einer Fragmentierung (Bauman 2000, 2003b; Beck 2003a): Subjektivität entsteht und verdeutlicht zunehmend das Bedürfnis, sich zu legitimieren und vollständige Selbstverwirklichung zu erreichen. Auf sozialer Ebene geht dieser Prozess langsam vonstatten und durchläuft bestimmte Phasen (Salonia 2011a), nämlich Rebellion, Narzissmus und schließlich Verwirrung.

In dieser Phase ist das BRM vom Pronomen »Ich« charakterisiert: BRM/Ich. In diesem Beziehungsschema reduziert sich das Interesse am Gemeinwohl erheblich, während persönlichen Ansichten viel Bedeutung beigemessen wird und die Menschen mehr mit ihren Rechten als mit ihren Pflichten beschäftigt sind (Bobbio 1990). Die FührerIn wird weder anerkannt noch akzeptiert, da sich jedes Individuum bereit fühlt, die Führungsrolle zu übernehmen. Die Menschen wollen ohne die damit verbundenen Anstrengungen und Fehler wachsen, und alles, was mit einer Demütigung enden könnte, wird vermieden. Was das Gesetz anbelangt, so lautet die Frage nicht, ob man gehorcht oder nicht, sondern ob der Gesetzgeber das Recht hat, überhaupt Gesetze zu erlassen.

Erfahrung – der Ausdruck von Subjektivität – ist der Ort, an dem sich das Lernen abspielt. Sie ist auch das Kriterium für Beurteilungen. Bezugspunkte verändern sich: »Epen« (Lyotard 2002) machen kleineren Erzählungen Platz, von Menschen »ohne Eigenschaften« (Musil 1956). Die Macht der Vernunft steht im Kontrast zur Schwäche der Gedanken (Vattimo 1984). Jede Diversität wird legitimiert und kann der Welt ohne vorherige ontologische Beurteilung präsentiert werden. Die Schwächung von Bindungen führt zu einer Fragilität des sozialen Zusammenlebens in der Polis und in der Oikos (und hier ist Giddens’ Analyse interessant) (Giddens 2000). Neue Berufsbilder entstehen: Experten für Mediation, die sich nicht als Richter sehen, sondern die Beweggründe der Parteien, die Schwierigkeiten mit dem Zusammenleben haben, anerkennen und sie dadurch ausdrücken. Dem Sich-selbst-Zuhören wird viel Raum gegeben, in kreativen Ausdrucksformen (die Zahl an TagebuchschreiberInnen, PoetInnen und SchriftstellerInnen nimmt zu) sowie im Wunsch nach Hilfe, die »begleitend« genannt wird (von TherapeutInnen, der Familienberatung, von PhilosophInnen oder in spirituellen Fragen). Kommunikative Effizienz und Kompetenz gewinnen an Bedeutung, wenn es um Beziehungen zwischen subjektiven Einheiten geht, die zunehmend auf sich selbst Bezug nehmen (Salonia 1999). Ungleiche Beziehungen werden auf ein Minimum reduziert und es ist in jedem Fall nicht die soziale Rolle, die Autorität stiftet, sondern das Individuum, das sie inspirieren muss. Zugehörigkeitsgefühl hat einen negativen Stellenwert, da es eine Einschränkung des individuellen Potenzials repräsentiert.

Trotz der Betonung der Subjektivität versuchen sich manche verängstigten Individuen von einer horizontalen und fragmentierten Gesellschaft zu befreien und suchen Zuflucht bei fundamentalistischen Gruppen, die von charismatischen FührerInnen geleitet werden, doch – wie Friedman (2002) scharfsinnig feststellt – selbst diese Option wird als Ergebnis einer eigenen Entscheidung im Sinne der Selbsterfüllung gesehen. Die einzigen Orte, an denen ein »Wir«-Beziehungsmodell akzeptiert wird – obwohl das Leben in einem Kontext stattfindet, der von BRM/Ich geprägt ist – sind Orte, an denen das eigene Leben in Gefahr ist: in einem Flugzeug, im Operationssaal usw. Hier fällt das Zusammenleben wieder in einen monolithischen und autokratischen Modus zurück: Sogar der selbstständigste Mensch erkennt die Macht des Chefpiloten an.

Lassen Sie uns diesen Exkurs mit einem aktuellen Beispiel beschließen, das wieder einmal gezeigt hat, dass es die Gesellschaft ist, die das Basis-Beziehungs-Modell bestimmt. Jeder, der in der Zeit nach dem 11. September 2001 in New York war, hat bemerkt, dass die New Yorker, wie viele Menschen im Westen, für eine lange Zeit plötzlich das »Wir« wiederentdeckt hatten. Die Aufschriften auf Autos verkündeten »United we stand« (wir stehen vereint). Die Menschen waren zu einem »Wir«-Denken zurückgekehrt, akzeptierten die Einschränkung ihrer Freiheiten und Rechte, um des Schutzes Willen. In einem Augenblick hatte die Gefahr das Beziehungsdenken revolutioniert. Ein Soziologe (Ackerman 2008) hat kürzlich geschrieben, dass wir eine bessere Art zu leben finden müssen, die nicht mit Situationen der Angst oder des Krieges verknüpft ist.

Kommunikation und Beziehungsmodelle haben jedoch keinen absoluten Wert, sondern dienen dem Überleben der Gruppe.

Formen der Psychopathologie im BRM/Ich werden einer radikalen Neubewertung unterzogen: Der Ausdruck »Psychopathologie« – der negativ konnotiert wird – wird infrage gestellt und der positive Wert der Krankheit als kreative Entscheidung und Überlebensstrategie in Situationen extremer Gefahr für das Subjekt wird hervorgehoben. Anstatt von Psychopathologie zu sprechen, werden bevorzugt Formulierungen wie »Dysfunktionen« oder »persönliche Funktionsstile« verwendet.

Die grundlegendste Form der Angst besteht in der Angst, von der Gemeinschaft »erstickt« zu werden, nicht man selbst sein und sein eigenes Potenzial nicht erfüllen zu können. Ohne das Erlebnis starker Bindungen wird es schwierig, die eigene Identität zu schaffen und signifikante Beziehungen einzugehen und aufrecht zu halten. Pathologien der Vergangenheit (Hysterie, Phobien, Essstörungen, etc.) bekommen neue Bedeutungen, während post-moderne Pathologien von Verwirrung (Borderline) über Identitätskrisen (Panikattacken) zu signifikanter Beziehungsphobie (Narzissmus) reichen. Depression, eine alte Krankheit, bekommt in BRM/Ich-Gesellschaften eine neue Bedeutung und bedingt, dass therapeutische Praktiken neu überdacht werden.

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