Kitabı oku: «Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen», sayfa 6

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Perls, Hefferline und Goodman – die Begründer der Gestalttherapie und ihre expliziten und impliziten entwicklungstheoretischen Überlegungen

Bei den Begründern der Gestalttherapie lassen sich grob zwei Motive von Entwicklungsgedanken herausarbeiten: Das Konzept des Hungertriebes und oralen Widerstandes. Und das Modell des Kontakts, der schöpferischen Anpassung und organismischen Selbstregulation.4 Beide Entwicklungstheorien wurden nicht explizit ausformuliert, sie sind eher fragmentarisch und implizit in ihren allgemeinen Theorien enthalten.

F. Perls grenzt sich in seinem erstmals 1947 veröffentlichten Buch »Das Ich, der Hunger und die Aggression«5 deutlich von der psychoanalytischen Triebtheorie ab. Er behält aber ein entwicklungspsychologisches Stufenmodell bei und diskutiert psychische Störungen im Erwachsenenalter mit kausalem Bezug auf Störungen und Widerstände in der Entwicklung der Nahrungsaufnahme. Der Hungertrieb wird in seinem Modell als Motor der Entwicklung konzeptualisiert. Im Kapitel »Geistig-seelischer Stoffwechsel« schreibt er:

»Die verschiedenen Entwicklungsstufen des Hungertriebes kann man als pränatale (vorgeburtliche), prädentale (Säuglings-), inzisorische (Beiß-) und molare (Beiß-und Kau-) Stufen klassifizieren.« (Perls 2007, S. 131)

Am Beispiel von Gier und Ungeduld erörtert er einen kausalen Zusammenhang mit der inzisorischen Stufe des Hungertriebes und möglichen Abwehrmechanismen (vgl. Perls 2007). Die Fähigkeit, etwas durchzuarbeiten, die Nahrung zu assimilieren, sei aufgrund oralen Widerstandes mangelhaft ausgebildet worden, wodurch diese Aggression sublimiert werden musste. Das bedeutet, wenn in dieser Phase Störungen und Hemmungen auftreten, dann kann dies in der weiteren Entwicklung zu neurotischen und psychotischen Symptomen führen (vgl. Perls 2007, S. 132). Demnach greift Perls mit seiner Theorie des »oralen Widerstands« in seiner Nosologie auf entwicklungspsychologisch begründete Abwehrmechanismen zurück.

Das zweite Entwicklungsmotiv, das überwiegend in dem 1951 veröff entlichten Standardwerk von Fritz Perls, Ralph Hefferline und Paul Goodman »Gestalttherapie«6 ausgearbeitet wurde, bezieht sich auf das Selbst, den Kontakt und die schöpferische Anpassung. Hier ist der Entwicklungsgedanke in die Theorie des Selbst und der schöpferischen Anpassung eingepflanzt, er wird »Wachstum« genannt.

»Die Kontaktgrenze (…) (ist) das Organ einer bestimmten Beziehung zwischen dem Organismus und seiner Umwelt. Diese besondere Beziehung ist Wachstum (…).« (PHG 2006, S. 24)7

Das Selbst wird hier nicht als unabhängige Entität beschrieben, sondern als Kontaktgeschehen. Dieses Kontaktgeschehen ist Wachstum per definitionem. Es ist ein Prozess, bei dem Entwicklung stattfindet.

»Als Aspekte des Selbst bei einer schlichten, spontanen Handlung entsprechen Ich, Es und Persönlichkeit den größeren Phasen der schöpferischen Anpassung: Das Es ist der vorhandene Hintergrund, der in seinen Möglichkeiten aufgelöst wird (…). Das Ich entspricht der fortschreitenden Identifizierung mit einigen und der Zurückweisung anderer Möglichkeiten (…). Die Persönlichkeit ist die geschaffene Figur, zu der das Selbst dann wird und die es in den Organismus assimiliert, wobei sie mit Ergebnissen vorherigen Wachstums vereint werden.« (PHG 2006, S.218 f.)

Während das Selbst als solches prozessual gedacht wird, entspricht die Persönlichkeit als Teil des Selbst am ehesten dem Element, welches einem strukturellen Wachstum gleicht. Mittels der Persönlichkeit, der geschaffenen Figur, können neue Erfahrungen mit bereits Gelerntem verglichen und integriert werden.

Der Motor der Entwicklung gleicht in diesem Ansatz einem Balanceakt, das organismische Gleichgewicht mittels Selbsterhaltung und Wachstum aufrecht zu erhalten.

»Selbsterhaltung und Wachsen sind Polaritäten, denn nur das, was sich erhält, kann auch durch Assimilation wachsen, und nur was kontinuierlich Neues assimiliert, kann sich erhalten, statt zu degenerieren. Die Stoffe und Energien für Wachstum sind also: der Versuch des Organismus zu bleiben, wie er ist; die neue Umwelt, die Zerstörung vorheriger partieller Gleichgewichtszustände und die Assimilation von etwas Neuem.« (PHG 2006, S. 211)

Weiterentwicklungen der gestalttherapeutischen Entwicklungstheorie – Wheeler, McConville und Salonia

Werfen wir nun einen Blick darauf, wie die ursprünglichen explizit und implizit formulierten Entwicklungstheorien im Gestaltansatz weiterentwickelt wurden. Hier lassen sich zwei Strömungen feststellen. Einige Autoren machen es sich zur Aufgabe, eine gestalttherapeutische Entwicklungstheorie im engeren Sinne zu beschreiben. Sie beziehen sich hierbei auf die Theorien der Vordenker und Begründer des Gestaltansatzes. Andere Autoren suchen Anleihe bei anderen Theorieschulen und versuchen diese in den Gestaltansatz zu integrieren bzw. den Gestaltansatz diesen Theorien anzupassen. In dieser Arbeit wird der Untersuchungsradius aus ökonomischen Gründen auf gestalttherapeutische Weiterentwicklungen im engeren Sinne begrenzt.8 Drei Autoren aus dem USamerikanischen und italienischen Sprachraum setzen in ihren Entwicklungstheorien direkt bei den Begründern und Vorläufern des Gestaltansatzes an.

Mark McConville und Gordon Wheeler beziehen sich in ihren Büchern über die Entwicklung im Kindes- und Jugendalter »The Heart of Development« (2001, 2002) auf das Lewinsche Konzept des sich entwickelnden Feldes.

In Anlehnung an Lewin, Koffka und die Begründer der Gestalttherapie formuliert Gordon Wheeler zwei Axiome, auf denen seine Entwicklungstheorie aufbaut:

1. Das Selbst ist im Feld

Anstelle des »kleinen Mannes in der Maschine« komme dem Selbst die Funktion zu, Erfahrungen an der Kontaktgrenze zu organisieren. Das Selbst ist dabei immer Teil des Feldes (vgl. Wheeler 2002, S. 46).

2. Das Selbst ist Akteur

Es gibt, so Wheeler, keine Wahrnehmung und Erfahrung ohne Bewertung und ohne höhere Organisation. Dem Selbst komme die Funktion zu, sinnvolle Ganzheiten zu bilden (vgl. Wheeler 2002). Wir können nicht »nicht Gestaltwahrnehmen«.

»Development, from this perspective, is the elaboration of successively more complex, more highly organized wholes of meaning.« (Wheeler 2002, S. 49)

Der Entwicklungsmotor, sinnvolle Gestalten, Ganzheiten, zu konstruieren, ist uns laut Wheeler genetisch mitgegeben. Entwicklungsprozesse werden in einem interpersonellen und intersubjektiven Feld organisiert. Die Feldperspektive führe dazu, dass Entwicklung immer Entwicklung des ganzen Feldes heißt. Die Umwelt, integraler Bestandteil des Entwicklungsprozesses des Kindes, muss sich demnach über die Zeit ebenso weiterentwickeln wie das Kind selbst (vgl. Wheeler 2002).

Wheeler fordert von der Gestaltperspektive, vorhandene Theorien mit den oben beschriebenen Axiomen zu kontextualisieren. Herkömmliche individualistische Theorien können von der Gestalttheorie profitieren und durch die Feldperspektive erweitert werden. Bestehende systemische Theorien, deren Fokus auf dem Feld liegen, können von der Theorie des funktionalen Selbst profitieren, das die Erfahrungen im Feld organisiert (vgl. Wheeler 2002).

In seinem Buch beschreibt Wheeler vier generelle Themen der Entwicklung unter der Feldperspektive und ihre Bedeutung für die Entwicklung über die Lebensspanne: Intersubjektivität und Intimität, Support und Shame, Gender und Identität, Voice und Narrative (vgl. Wheeler 2002, S. 59 ff.). Alle haben eine eigene Entwicklungslinie und unterstützen sich interagierend gegenseitig.9

Mark McConville verweist ebenso wie Wheeler auf die Wurzeln der Gestalttherapie. Er leitet seine Entwicklungstheorie des Jugendalters aus der Lewinschen Feldperspektive ab (McConville 2001).

Die meisten Theorien, so McConville, untersuchen Teile des Ganzen, während Lewin den Lebensraum als Feld und Subjekt der Entwicklung untersucht. Dieses Feld steht niemals still, es ist immer in Bewegung, in Veränderung begriffen, und daher ist die Feldtheorie implizit eine Entwicklungstheorie.

»In other words, because the psychological field is dynamic and evolving, a field approach to human behavior is by definition an implicit model of development.« (McConville 2001, S. 30)

Die Kernannahme ist, dass das Kind sich auf dem Weg in das Jugendalter aus der Eingebettetheit der Kindheit herauslöst (embedding-disembedding). Im weiteren Verlauf differenziert sich die Lebenswelt des Jugendlichen in Richtung eines reorganisierten integrierten Feldes. Was bei Lewin die zunehmende Organisation des Lebensraumes genannt wird, das wird in der gestalttherapeutischen Sprache zunehmende und reifere Kontaktfähigkeit genannt (vgl. McConville 2001). Die Entwicklungstheorie von McConville distanziert sich mit Lewin von Stufen- und Stadienmodellen. Entwicklung wird als Prozess eines sich rekursiv entfaltenden Feldes gesehen.

»This is development conceived as process rather than defined by content, defined by evolving organization rather than by developmental ›milestones‹.« (McConville 2001, S. 41)

Ebenso wird der Entwicklungsmotor im Feld verortet. McConville verweist auf Malcolm Parlett, der sich mit einer zeitgemäßen Feldtheorie für die Gestalttherapie auseinandersetzt.

»If personal and situational are not divided but seen together as one realm, then changes in one part of the field will automatically lead to changes in other parts of the field as well. New conditions foster developmental shifts.« (Parlett 1997 zit. in McConville 2001, S. 47 f.)

Neue Situationen und veränderte Feldbedingungen verlangen vom Individuum kreative Anpassung und fördern dadurch Entwicklungsschritte.

Auch der italienische Gestalttherapeut Giovanni Salonia beruft sich in seinem 1990 verfassten Artikel »Vom Wir zum Ich-Du. Ein Beitrag zu einer Entwicklungstheorie des Kontakts« auf Kernannahmen des Gestalttansatzes. Er verweist zwar in seiner Arbeit auch auf andere Entwicklungstheorien, allerdings steht die gestalttherapeutische Theorie des Kontakts im Zentrum, um das sich Entwicklungsmodelle von M. Mahler, D. Stern und K. Wilber gruppieren. Das theoretische Konzept des Kontakts und der Kontaktunterbrechungen wird von Salonia als Entwicklungsmodell konzipiert (Salonia 1990). Die Schritte zur vollen Kontaktfähigkeit werden als Entwicklungsschritte beschrieben und die Kontaktunterbrechungen Konfluenz, Introjektion, Projektion, Retroflexion und Egotismus sollen »in der kindlichen Entwicklung nicht als Kontakt-Unterbrechungen, sondern als Phasen im Entwicklungs-Prozeß zur Reifung und Vorbereitung auf die Kontaktfähigkeit angesehen werden« (Salonia 1990, S. 45). Kontaktunterbrechungen haben demnach in ihrer Entwicklung eine feste Abfolge und Funktionalität. Ihre entwicklungspsychologische Erklärung liefere außerdem einen Beitrag zu einer entwicklungspsychologisch begründeten Psychopathologie (vgl. Salonia 1990).

Salonia beschreibt in seinem Artikel sechs Phasen des Kontakts, die das Kind durchlaufen muss, um voll kontaktfähig zu werden.

»Erst im Erleben des Kontakts taucht die Bewußtheit des Selbst auf. Das bedeutet, daß das Kind zuerst das ›Wir‹ erlernt, dann das ›Du‹, dann das ›Ich sorge für mich selbst‹ und schließlich das ›Ich bin‹.« (Salonia 1990, S. 47)

Die Beziehung zur Mutter ist laut Salonia der Hintergrund und Entwicklungsmotor, durch den das Kind Kontaktfähigkeit erlernt. Gesunder Kontakt ist dadurch gekennzeichnet, dass die drei Phasen des Kontakts, De-Strukturierung, Re-Strukturierung und Assimilation, unaufhörlich aufeinander folgen. Ist die Erregung zu hoch, kann der Kontakt bewusst oder unbewusst angehalten werden oder auf Phasen regredieren, in denen es zu Entwicklungsverzögerungen oder -störungen gekommen ist (vgl. Salonia 1990).

»So werden Konfluenz, Introjektion, Projektion, Retroflexion und Egotismus zu ›Widerstandformen gegen den Kontakt‹.« (Salonia 1990, S. 52)

Eine Gegenüberstellung – Leitsätze der allgemeinen Entwicklungspsychologie und gestalttherapeutische Entwicklungstheorien

Die leitende Frage im folgenden Kapitel ist, ob die Theorien des Gestaltansatzes in ihrer Konzeption zeitgemäß sind.

Die Abbildung 1 stellt diese Gegenüberstellung komprimiert dar. Im anschließenden Text folgt eine detaillierte Beschreibung der Inhalte.


Abb. 1: Konzepte zur Entwicklungstheorie

Perls’ Konzept des »Hungertriebes« enthält in seinen Annahmen traditionelle Stufentheorien. Die Entwicklung ist auf die Kindheit beschränkt und universell konzipiert. Ein ökologischer Gedanke findet sich im Konzept des »oralen Widerstandes« implizit wieder. Damit es auf den einzelnen Stufen der dentalen Entwicklung zu Störungen kommt, bedarf es Reaktionen und Forderungen aus der Umwelt.

Im Gegensatz dazu enthält das Entwicklungsmodell »Selbst und Kontakt« von F. Perls, R. Hefferline und P. Goodman überwiegend moderne Annahmen. Bis auf den Leitsatz, dass Entwicklung immer Gewinn und Verlust darstellt, stimmt das Modell mit modernen Entwicklungskonzeptionen überein. Ihre Theorie fasst Entwicklung (Wachstum) als differenziell auf und ist mit dem Organismus-Umwelt-Konzept ökologisch orientiert. Eine lebenslange Entwicklung wird ebenso angenommen wie die Eingebettetheit der Entwicklung in einen Kontext. Traditionelle Annahmen enthält es insofern, als dass es von einer Entwicklung in Richtung eines höherwertigen Endzustandes ausgeht.

»Das Reifwerden ist die Entwicklung von der Unterstützung durch die Umwelt zur Unterstützung durch uns selbst (self-support).« (Perls 1992a, S. 93)

Ähnlich verhält es sich mit K. Koffka und K. Lewin. Beide beschreiben ein Modell von Entwicklung, dass durch Differenzialität, Ökologie und Kontextualismus gekennzeichnet ist. Gewinn und Verlust finden sich in ihren Modellen nicht wieder. Bei Lewin finden wir explizite Annahmen über eine lebenslange Entwicklung. Gedanken über Regression im Alter werden nur kurz angerissen.

Auch G. Wheeler, M. McConville und G. Salonia haben in ihren Weiterentwicklungen der gestalttherapeutischen Entwicklungstheorie eine große Schnittmenge mit der modernen Entwicklungspsychologie. Bis auf den Leitgedanken von »Gewinn und Verlust« bei Entwicklungsverläufen lassen sich alle modernen Leitsätze wiederfinden. Salonias Entwicklungskonzeption enthält auch noch Motive der traditionellen Entwicklungspsychologie. Er kehrt in seinem Modell zu traditionellen Stufenmodellen zurück und beschreibt die Kontaktunterbrechungen als entwicklungspsychologische Phänomene, die sich über die ersten drei Lebensjahre stufenförmig entwickeln.

Bei dem Blick auf die Abbildung 1 ist die große Schnittmenge aller gestaltpsychologischen und gestalttherapeutischen Entwicklungstheorien mit den Leitsätzen der modernen Entwicklungspsychologie auffallend. Bis auf wenige traditionelle Motive sind die Theorien des Gestaltansatzes in ihrer Konzeption zeitgemäß.

Zusammenfassung und Ausblick

Zu Beginn wurde die Frage gestellt, welche entwicklungstheoretischen Motive und Theorien im Gestaltansatz enthalten sind, wie sie weiterentwickelt wurden und wie sie im Vergleich zur aktuellen allgemeinen Entwicklungspsychologie angesiedelt sind. Dem aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, dass sich zwei Grundmotive aus dem gestalttherapeutischen Entwicklungstheoriekanon herausfiltern lassen: zum einen das Motiv vom Selbst und Kontaktprozess und zum anderen das feldtheoretische Konzept. Beiden immanent ist ein Entwicklungsgedanke. Der Kontaktprozess ist Entwicklung per definitionem und auch Veränderungen im Feld bewirken zwangläufig Entwicklung, so wie auch Entwicklung Veränderungen im Feld bewirkt. Außerdem wurde sichtbar, dass keines der Modelle eine explizit ausformulierte Lebensspanne-Perspektive einnimmt. So ist es nicht verwunderlich, dass sich auch das Axiom »Wachstum und Verlust« in keinem der Modelle wiederfinden lässt.

Eine positive Bilanz dieser Untersuchung ist, dass der Gestaltansatz zeitgemäße und moderne Konzeptionen von Entwicklung zur Verfügung stellt, obwohl diese fast ein Jahrhundert alt sind.

So stellen sich nach Ansicht des Autors zwei Aufgaben:

Erstens: Bestehende gestalttherapeutische Entwicklungstheorien der Vorläufer, Begründer und Weiterentwickler in eine einheitliche und konsistente Entwicklungstheorie zu überführen.

Zweitens: Diese vorliegenden Konzepte auf einen aktuellen Stand zu bringen und durch das Konzept der lebenslangen Entwicklung zu ergänzen.

Bei der Recherche vorhandener Theorien fiel vor allem eines auf: Es gibt wiederholt Anläufe, eine Entwicklungstheorie der Gestalttherapie zu entwerfen und zu beschreiben, allerdings stehen diese Versuche lose nebeneinander. Mit Ausnahme des Übersichtsartikels von Felicia Carroll (2001) lässt sich ein rekursiver Verweis der Autoren trotz gewissenhaften Studiums der Bibliografien nicht entdecken.

Abschließend sei an dieser Stelle eine These angeführt, die für eine explizite und ausformulierte Entwicklungstheorie in der Gestalttherapie spricht.

Wir alle haben implizite Theorien und Vorstellungen von Entwicklung. Diese Vorstellungen – sind sie bewusst oder unbewusst, implizit oder explizit – lenken unseren Kontakt. Sie leiten uns in unserem Umgang mit den Patienten. Einer gestalttherapeutischen Bewusstheit und Achtsamkeit (Awareness) bedarf es nach Ansicht des Autors nicht nur gegenüber dem Erleben, den Gefühlen und der Wahrnehmung, sondern auch gegenüber den eigenen Gedanken und (unbewusst) vorhandenen Theorien und Menschenbildern.

Gestalttherapeutische Behandlung von Kindern und Jugendlichen verschiedener Lebensalter

Agnes Salomon
Eltern – Säuglings-/Kleinkind – Therapie
Aspekte gestalttherapeutischer Behandlung bei prä-, peri- und postpartalen Belastungen

Mit einer Kindheit voll Liebe aber kann man ein halbes Leben hindurch für die kalte Welt haushalten.

(Jean Paul, 1763-1825)

Vor dem Hintergrund der wichtigsten Entwicklungstheorien zur frühen Kindheit, unter Hinweis auf die Relevanz der Bindungstheorie inklusive der Psychobiologie, werden verschiedene Themenbereiche der gestalttherapeutischen Arbeit im prä-, peri- und postpartalen Bereich vorgestellt. Neben der Bewusstmachung möglicher Traumata und Kontaktstörungen in diesen Zeiten wird näher auf Interventionsmöglichkeiten bei sogenannten Regulationsstörungen eingegangen. Eine Regulationsstörung bezeichnet die außergewöhnliche Schwierigkeit eines Säuglings, sein Verhalten in einem oder auch mehreren Interaktions- und regulativen Kontexten angemessen zu gestalten.

Auf die praktische gestalttherapeutische Anwendung wird in dreifacher Weise geblickt – je nachdem, ob Mutter, Vater, das Kind oder die Interaktion im Vordergrund steht. (Für einen besseren Lesefluss und weil ich auch praktisch häufiger mit Müttern arbeite, nenne ich meist nur die Mutter bezüglich der Interaktion mit dem Kind – ich möchte dabei aber die dyadische Beziehung zum Vater oder zu einer anderen primären Bezugsperson einbezogen wissen.)

Kurzer Überblick zu bedeutenden Entwicklungstheorien
Fritz und Laura Perls: Entwicklungspsychologie der Kindheit in der Gestalttherapie (GT)

Die Formulierung einer Entwicklungstheorie blieb in der Theorie der Gestalttherapie bis heute fragmentarisch, unklar und inkonsistent. Ein möglicher Grund dafür könnte zu Beginn die analytische Sichtweise von Fritz Perls gewesen sein. Seine Art des Denkens und der psychotherapeutische Zeitgeist der 40er und 50er Jahre waren so vorherrschend, dass weder er noch Paul Goodman eine zusammenhängende alternative Sichtweise zur Psychoanalyse entworfen haben (vgl. Fuhr 1999). Perls blieb bei der Erweiterung der oralen Entwicklung und konzentrierte sich auf die Analyse dieser. Im Buch »Gestalt Therapy« (1951) wird zwar eine Sichtweise der menschlichen Entwicklung geschildert, die sich von der psychoanalytischen unterscheidet, aber es wurde keine kohärente Entwicklungsperspektive ausformuliert. Ein weiterer Grund könnte im damaligen Interesse der Gestalttherapeuten liegen, die gesunde Funktionsweise von erwachsenen Klienten wiederherzustellen. Die Entwicklung und Aufrechterhaltung gesunder Funktionsweisen bei Kindern stand noch nicht im Vordergrund.

Die organismische Sichtweise der Gestalttherapie fordert, dass alle Existenz in wechselseitiger Beziehung und Abhängigkeit steht. Traditionellerweise wurde die kindliche Entwicklung erforscht, indem man getrennte Elemente der Entwicklung genauer betrachtete (wie physische, emotionale, kognitive und soziale Komponenten). Aus der Gestaltperspektive kann die kindliche Entwicklung aber nicht durch die isolierte Analyse nur einer dieser Entwicklungsaspekte erfolgen; das Kind soll nicht als Konglomerat von Entwicklungskategorien verstanden werden. Auch jegliche Umweltbedingungen, andere Persönlichkeiten, Wünsche, Bedürfnisse etc. sind Einflussfaktoren, mit denen ein Kind in Interaktion steht.

Frühe Ansätze (noch vor Anna Freud und Melanie Klein) kamen von Kurt Koffka und Laura Perls. Koffka (1925) betonte wegbereitend Gestaltthemen wie Kontakt, Wahrnehmung als aktiven Vorgang, Figur-Hintergrund-Beziehungen im mentalen Prozess und die Notwendigkeit, sich der Entwicklungsthematik aus der subjektiven Sicht des Kindes anzunähern. Der Gestalt-Ansatz sollte Probleme und Widersprüche zwischen der dynamisch/subjektiven (»inneren«) und der behavioristischen (»äußeren«) Schule auflösen und klären (vgl. Wheeler in: Baulig & Baulig 2002).

Laura Perls’ Ausführungen beruhen auf ihren eigenen Erfahrungen bei der Geburt ihres ersten Kindes Renate (geb. 1931) im Krankenhaus und auf ihrer Unzufriedenheit über die damals vorliegende Fachliteratur zum Säuglingsalter. Die Beobachtungen und Erfahrungen mit ihren eigenen Kindern (nach Renate kam ihr Sohn Stephan 1935 zur Welt) vor allem in Fütter- und Abstill-Situationen führten dann zur Analyse des ›Hungerinstinkts‹ und zur Erörterung ›oraler Widerstände‹. Die Grundlage der gestalttherapeutischen Theorie und Praxis geht auf ihre ursprüngliche Idee zur Entwicklung der Fähigkeit des Kindes, zu beißen und Erfahrungen zu verdauen, zurück. Im Buch »Das Ich, der Hunger und die Aggression« (Perls L. & Perls F. 1947) wurde dann die Idee vom oralen Widerstand zum Eckpfeiler ihrer Theorie und Methodologie.

Fritz und Laura Perls formulierten Entwicklungsstufen, die den Strukturen, Funktionsweisen und Beziehungen des Zahnwachstums entsprachen und sie erweiterten diese Ideen auf den Bereich des psychologischen und emotionalen Wachstums einer Person. Für sie war der Hungertrieb wegen seiner Bedeutung für das organismische Überleben primär für die Entwicklung (im Gegensatz zu Freuds Überzeugung von der Wichtigkeit des Sexualtriebs). Nur über das Stillen und Füttern nimmt das Kleinkind Kontakt zur Umwelt auf. Sie skizzierten Stufen oraler Entwicklung und Charakterfixierungen, die, beim Fehlen angemessener Funktionsweisen, auf jeder Stufe entstehen können. Biologische Prozesse des Ernährens, Verdauens und des Stoffwechsels wurden analog zu mentalen Prozessen begriff en.

Desweiteren bauten die Perls’ Prinzipien ein wie den als bekannt vorausgesetzten »Zyklus der Interdependenz«. Dieser repräsentiert auch den Prozess, durch den ein Kind Kontakt mit der Umwelt aufnimmt und deren Phänomenologie und Bedeutung konstruiert. Fritz und Laura Perls verstanden das Kind als aktiven Teilhaber an der Organisation seiner Erfahrungen. Sie waren mit dieser Sichtweise ihrer Zeit voraus, denn vorherrschend war bis dahin das Bild eines Säuglings als ein passives, ›autistisches‹ und schmerzunempfindliches Wesen. Der Geist im Sinne der Perls’ wird begriffen als Einheit von Kognition, Emotion und Aktion und ist von Anfang an aktiv – das Kind konstruiert und organisiert aktiv die Natur seiner Erfahrungen. Während sich ein Kind seiner genetischen Ausstattung gemäß entwickelt, werden diese Prozesse differenzierter und die Individualität des Kindes entfaltet sich.

Sie postulierten die Entwicklung eines Ideals geistig-seelischer Stoff wechselprozesse auf der Grundlage gesunden und ungesunden Funktionierens, die Begriffe Energie und Erregung als Basis der Emotionalität und der Ängste, und den Terminus Aggression als notwendige Energie für menschliche Funktionsweisen – nämlich um die Beziehung zum Umweltfeld aufzunehmen und um die Balance der organismischen Funktionsweise aufrecht zu erhalten.

Der Wert von Introjektion wird als grundlegender Mechanismus des Kontakts verstanden und orale Widerstände als primäre Unterbrechung organismischer Funktionsweisen. Als gesund wurde ein Kind beschrieben, wenn es spontan, lebhaft und in der Lage ist, Umweltressourcen zu nutzen und zu erhalten. Und wenn es zum Wohlergehen anderer beiträgt, indem es sich auf direkte Interaktionen einlässt.

In der Interpretation von Carroll arbeiteten Fritz und Laura Perls deswegen nicht an einer vollständigen Sicht der menschlichen Entwicklung weiter, da sie glaubten, dass ihre Ideen psychoanalytisch akzeptierte Darstellungen ausreichend ergänzen würden.

Im Folgenden soll hier nur sehr summarisch – und begrenzt auf das Kleinkindalter – Freuds psychoanalytische Sichtweise als Basis von Lore und Fritz Perls’ Überlegungen definiert werden.

Die weiteren angeführten Entwicklungstheorien (ebenfalls begrenzt auf das Kleinkindalter) sollen einen kurzen Überblick über nachfolgende und teils ergänzende Konzepte bieten.

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
707 s. 30 illüstrasyon
ISBN:
9783897975620
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