Kitabı oku: «Handbuch der Soziologie», sayfa 10

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1Die Objektive Hermeneutik ist am schwierigsten mit den anderen Ansätzen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Ulrich Oevermann hat daher im Jahr 2004 sogar die Zugehörigkeit der OH zum Bereich der qualitativen Methoden auf dem Podium des 32. Soziologiekongresses in München heftig bestritten (vgl. Strübing 2006: 153).
2Einen guten Überblick über die Entwicklungsphasen des Mixed-Methods-Research findet sich z. B. in Tashakkori/Teddlie 1998 und Creswell/Plano Clark 2011.
3Im vierten Kapitel ihres Lehrbuchs stellen Creswell und Clark Studien vor, die sich aufgrund ihres Vorgehens den hier aufgeführten Designvarianten zuordnen lassen (Creswell/Plano Clark 2011: 116 ff.).

[80][81]Teil II

Grundbegriffe und fundamentale Kontroversen der Soziologie

[82][83]Gesa Lindemann

Natur versus Kultur: Was ist der Gegenstand der Soziologie?

Die Termini Natur und Kultur sind nicht eindeutig und sie sind auch nicht eindeutig aufeinander bezogen. Das Verhältnis von Natur und Kultur lässt sich auf dreierlei Weise verstehen:


1.das normative Verständnis,
2.das zivilisatorische Verständnis,
3.das methodische Verständnis.

Ad 1: Die normative Position begreift Natur und Kultur als zwei voneinander getrennte Bereiche, die sich folgendermaßen voneinander unterscheiden: »Natur« sei rein deskriptiv bzw. kognitiv zu erfassen, und sie folgt einheitlichen Gesetzmäßigkeiten. Im Unterschied dazu ist »Kultur« als der Bereich der Werte bzw. der von Menschen frei gesetzten Zwecke zu begreifen. Kulturelle Ordnungen einschließlich ihrer Werte gelten als die Produkte menschlichen Handelns, die deshalb auch von Menschen verändert werden können. Wenn man die Bereiche derart strikt gegeneinander absetzt, folgt daraus, dass aus dem natürlichen Sein nicht abgeleitet werden kann, an welchen kulturell erzeugten Werten bzw. Normen sich das Handeln von Menschen orientieren sollte.

Ad 2: Dem zivilisatorischen Verständnis zufolge stehen Natur und Kultur in einem zeitlichen Verhältnis zueinander und sind zunehmend ineinander verflochten. Natur bezeichnet den Ausgangszustand menschlicher Entwicklung, welcher durch zivilisatorische Anstrengungen überwinden wird bzw. überwunden werden soll. Die Zivilisierung bezieht sich sowohl auf die Kultivierung der äußeren Natur (Ackerbau, Werkzeuge, Industrie) als auch auf die Kultivierung der Natur des Menschen durch gesellschaftliche Institutionen. Die Kultivierung der Natur kann dabei positiv im Sinne eines kontinuierlichen Fortschritts oder negativ im Sinne einer zerstörenden Verfügbarmachung begriffen werden.

Ad 3: Im Rahmen des methodischen Verständnisses werden Natur und Kultur nicht als zwei fest voneinander getrennte Bereiche aufgefasst, sondern als das Ergebnis unterschiedlicher methodischer Zugänge zur Welt. Wenn man die Welt als einen Zusammenhang begreift, der durch allgemeine Gesetzmäßigkeiten erklärt werden kann, erscheint sie als einheitliche Natur. Wenn man sich der Welt dagegen vermittels der Methode des Verstehens zuwendet, erscheint diese als Kultur, bzw. als differenziert in eine Vielzahl von Kulturen. Das Verstehen richtet sich auf die innere Struktur einzelner Kulturen bzw. auf die Unterschiede zwischen einzelnen Kulturen.

Die drei Verständnisse der Natur-Kultur-Unterscheidung lassen sich nicht exakt einzelnen Autoren zuordnen, denn die Differenz zwischen Natur und Kultur wird oft mehrdeutig verwendet. Umso wichtiger ist es, nachvollziehen zu können, in welchem Sinn ein Autor die Natur-Kultur-Unterscheidung jeweils versteht. Um dies genau herauszuarbeiten, ist es sinnvoll, sich zunächst der Philosophie Immanuel Kants zuzuwenden. Kant selbst hatte nicht zwischen Natur und Kultur unterschieden, er stellte vielmehr die Differenz zwischen Naturerkenntnis und Moralbegründung in den Mittelpunkt. Aber die Natur-Kultur-Unterscheidung, wie sie in den [84]Geistes- und Sozialwissenschaften (G-SW) bestimmend geworden ist, schließt an die kantische Unterscheidung zumindest implizit und oft auch explizit an. Aus diesem Grund soll zunächst Kants Unterscheidung zwischen Naturerkenntnis und Moralbegründung dargestellt werden; sodann werde ich herausarbeiten, wie sich die einzelnen Positionen der Natur-Kultur-Unterscheidung darauf beziehen.


1.Kant: Naturerkenntnis und Moralbegründung

Kant verfolgte ein doppeltes Problem. Zum einen ging es ihm darum, wie es möglich ist, dass Menschen eine geordnete Welt wahrnehmen, die rational, d. h. wissenschaftlich, erforscht werden kann. Zum anderen versuchte er nachzuweisen, dass es möglich ist, rational zu begründen, an welchen Werten wir uns als Vernunftwesen moralisch orientieren sollten. Die daraus resultierende Begründung von Moral erhebt den Anspruch für alle Menschen, d. h. universell, gültig zu sein.

Kants Analyse zufolge ist eine rationale Begründung wissenschaftlicher Naturerkenntnis nur dann möglich, wenn die subjektiven Bedingungen der Wahrnehmung der Natur in den Blick genommen werden. Dass Menschen eine geordnete Welt wahrnehmen, sei darauf zurückzuführen, dass das wahrnehmende Subjekt seine Sinneseindrücke anhand von Formen ordnet. Die Formen der Anschauung könnten nicht aus der sinnlichen Erfahrung gewonnen werden, sondern seien der Wahrnehmung vorgeordnet; sie sind apriorisch, wie Kant sagt. Wenn Menschen äußere Gegenstände als räumlich ausgedehnt wahrnehmen, wird eine Vielzahl sinnlicher Eindrücke in eine Form gebracht. Die sinnlichen Eindrücke werden dreidimensional als »Raum« geordnet. Gleiches gilt für die Zeit, durch diese werden die Sinneseindrücke in die Ordnung eines Nacheinander von Zeitpunkten gebracht (vgl. Kant 1787/1956: 66–83). Erst die Anwendung der Anschauungsformen von Raum und Zeit ermöglicht es, die eintreffenden Sinneseindrücke so zu strukturieren, dass man z. B. sagen kann, jetzt steht der Tisch neben der Wand. Wie das Verhältnis einzelner Gegenstände zueinander wahrgenommen wird bzw. wie wahrgenommen wird, dass Gegenstände aufeinander wirken, sei durch die Kategorien des wahrnehmenden Verstandes bestimmt. Zu diesen gehören etwa Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung). Insgesamt sei Wahrnehmung als Formung von Sinneseindrücken durch Anschauungsformen und Kategorien zu begreifen. Die Sinne (z. B. Augen und Ohren) werden durch äußere Reize erregt und die so empfangenden Sinneseindrücke werden gemäß den vorgeordneten Formen wie etwa Raum, Zeit und Kausalität in eine Ordnung gebracht. Die so geordnete Wahrnehmung erscheint als die äußere Natur. Am Beispiel einer rollenden Kugel lässt sich dies verdeutlichen: Eine Kugel rollt eine schräge Ebene hinunter, stößt an eine andere Kugel, bleibt liegen und die andere Kugel rollt in eine bestimmte Richtung. Dies ist zunächst nur eine Abfolge von Sinneseindrücken. Diese Sinneseindrücke werden räumlich und zeitlich geordnet: Die Kugel ist zum Zeitpunkt t-1 am Ort O-1 und an t-2 an O-2 usw., sie rollt bis zum Zeitpunkt t-9 und befindet sich an O-9. Die Ausdehnung von O-9 berührt die Ausdehnung von O-10; O-10 wird von einer zweiten Kugel ausgefüllt, diese rollt an einen anderen Ort. Wenn man das Kausalschema auf diese Abfolge anwendet, wird daraus die Aussage, dass die rollende Kugel die ruhende Kugel angestoßen und damit die Bewegung der zweiten Kugel bewirkt hat. Die Kategorien des Verstandes ermöglichen es, die Abfolge von sinnlichen Eindrücken, die von Zeitpunkt zu Zeitpunkt variieren, in eine sinnvolle Ordnung zu bringen. An dem Beispiel wird zugleich deutlich, dass die Anwendung des Kausalschemas eine zeitliche Ordnung beinhaltet: Die Ursache geht der Wirkung voraus.

Kants Argument hat eine wichtige Implikation. Die äußere Welt wird nicht so erkannt, wie sie selbst ist, sondern so, wie sie gemäß den subjektiven Erkenntnisbedingungen erkannt werden [85]kann. Eine andere als die menschliche Wahrnehmung, die z. B. nicht durch die Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität bestimmt wäre, würde die Sinneseindrücke in anderer Weise ordnen. Hieraus resultiert eine Differenz, die Kant mit der Unterscheidung zwischen Erscheinung für das Subjekt und »Ding an sich« zu fassen versucht. Das Ding an sich bleibt unerkennbar (vgl. Kant 1787/1956: 84–92). Die menschliche Wahrnehmung erfasst die Ordnung der sinnlichen Erscheinungen, sie erkennt aber nicht die Dinge, wie sie an sich sind. Aufgrund dieser Differenz ist jede Erkenntnis der Natur vorläufig. Denn was die Gegenstände der Natur selbst sind, bleibt offen.

Davon zu unterscheiden ist das Reich der Zwecksetzung aus Freiheit. Hier geht es Kant um die Analyse des Sollens: Ist es möglich, rational auszuweisen, dass Menschen unbedingt einer moralischen Forderung folgen sollen (für das folgende vgl. Kant 1785/1974: 35–41)? Kants Argument lautet, dass es nicht möglich, auf der Grundlage empirischer Forschung zu begründen, warum Menschen in einer bestimmten Weise handeln sollen. Eine empirische Forschung könne zeigen, wie ein Mensch gegenwärtig erscheint. Sie könne zeigen, dass aus dem Zustand X (= bestimmte Zusammensetzung der Magensäfte, die von einem Hungergefühl begleitet werden), die Handlung Y (ein Stück Fleisch braten und essen) folgt. Aus der beobachtbaren Abfolge von Zustand X und Handlung Y folgt aber nicht, dass ein Mensch in dieser Weise handeln soll. Wenn ein Mensch sich fragt, ob er dieses oder jenes tun soll, beinhaltet dies, dass er nicht vollständig durch seine empirischen Antriebe beherrscht wird. Wenn er sich fragt, ob er weiter Fleisch essen oder sich nur noch von Pflanzen ernähren soll, muss er sich die Freiheit zugestehen, selbst entscheiden zu können, wie er handelt. Er muss für sich in Anspruch nehmen, dass er die Freiheit hat, seine Handlung selbst zu bestimmen. Nur wenn es diese Freiheit gibt, ist es sinnvoll, davon zu sprechen, dass ein Mensch etwas tun soll. Nur wenn der Mensch frei ist, kann er sich also dazu entscheiden, der Verpflichtung zu folgen, die das Sollen ausdrückt.

Die inhaltliche Bestimmung des moralischen Sollens erfolgt bei Kant rein formal. Um herauszufinden, ob das Handeln an einem Wert orientiert sein soll, muss diese Wertorientierung so begründet werden, dass es alle einsehen können. Die Garantie dieser Einsicht ergibt sich, wenn die Orientierung an diesem Wert rational begründet werden kann. Um dies zu gewährleisten, schlägt Kant ein Reflexionsverfahren vor, das er als »kategorischen Imperativ« bezeichnet: Ein Mensch sei dann unbedingt genötigt, einem Wert zu folgen, wenn sich begründen lässt, dass alle Menschen dieser moralischen Forderung folgen sollten (Kant 1785/1974: 51f).

Menschen sind nicht rein vernunftgesteuert, sondern zugleich sinnliche Wesen, welche von ihren Bedürfnissen angetrieben werden. Aus diesem Grund folgen Menschen einer rational gewonnenen Einsicht nicht automatisch, vielmehr stellt das Sollen für Menschen eine Nötigung dar (Kant 1785/1974: 41f), der sie folgen können, aber nicht alternativlos folgen müssen. Der Mensch kann auch zulassen, dass ihn seine empirischen Antriebe oder seine Gewohnheiten bestimmen. Aber die Einsicht in das Ergebnis seines Reflexionsverfahrens nötigt ihn, anders zu handeln. Ob ein Mensch dieser Nötigung folgt, ist seine Entscheidung.


2.Das normative Verständnis der Natur-Kultur-Unterscheidung

Kant führt die Reflexion auf die subjektiven Bedingungen von Naturerkenntnis und Moralbegründung so durch, als handele es sich um eine individuelle Reflexion. Im Rahmen der Diskussion um das Verhältnis von Natur und Kultur wird die subjektive Reflexion als ein kommunikativer Prozess gedeutet. Karl-Otto Apel (1973) und Jürgen Habermas (1981/1995) schließen in diesem Sinn direkt an Kant an. Sie stellen die Einsicht in den Mittelpunkt, dass es unterschiedliche Subjekte gibt, die sich kommunikativ darüber verständigen müssen, wie die Welt wahrgenommen und [86]wie moralisch richtiges Handeln begründet werden kann. Das wesentliche Kennzeichen der Kommunikation besteht darin, dass sich die beteiligten Subjekte gegenseitig der Nötigung aussetzen, ihr Handeln rational zu begründen. Die Rationalität besteht darin, dass jeder der an Kommunikation Beteiligten akzeptiert, dass sein Handeln kritisiert werden kann und dass er sich gegenüber der Kritik zu rechtfertigen hat. Apel (1979) hebt hervor, dass in solchen kommunikativen Prozessen auch die Grundsätze bzw. die Verfahren der Naturerkenntnis entwickelt und begründet werden. In der durch wechselseitige Kritik gekennzeichneten Kommunikation werden auch die Normen formuliert, an denen sich Menschen orientieren sollten. Dass Apel und Habermas die Differenz der Subjekte einführen, hat eine wichtige Konsequenz. Kant konnte davon ausgehen, dass die Einsicht in die Bedingung von Naturerkenntnis und Moralbegründung unmittelbar für alle vernünftigen Wesen, d. h. für alle Menschen gilt. Wenn man die Differenz der Subjekte anerkennt, ist das nicht der Fall. Wenn es unterschiedliche Subjekte gibt, die in unterschiedlichen kommunikativen Kulturen leben, bedarf es eines historischen Lernprozesses, damit immer mehr Menschen rational einsehen können, wie Naturerkenntnis erfolgen und welche moralischen Orientierungen gelten sollten. Habermas legt dabei besonderen Wert darauf, dass eine dauerhafte Spannung zwischen dem Menschen als Naturwesen, das seinen eigenen Nutzen verfolgt, und der rationalen Aushandlung von Normen vorliegt. In seiner kommunikationstheoretischen Grundlegung der Sozialwissenschaften versucht er den Punkt zu bestimmen, an dem es für Individuen möglich wird, Normen rational einzusehen (Habermas 1981/1995, Bd. 2: Kap. 59ff).

Neben diesem direkten Anschluss an die kantische Theoriearchitektur ist das normative Verständnis der Natur-Kultur-Unterscheidung aber noch in einer indirekten Weise relevant geworden. Es gehört zu den zentralen impliziten theoretischen Annahmen soziologischer bzw. kulturwissenschaftlicher Forschung, dass aus der Natur bzw. natürlichen Vorgaben und Annahmen keine Konsequenzen für die normative Bewertung von Menschen bzw. für normative Ansprüche, die an Menschen gestellt werden, folgen sollen. Weil Menschen »so« sind, folge daraus nicht, dass sie moralisch minderwertig sind bzw. dass ein bestimmtes Verhalten normativ von ihnen zu fordern ist. Die paradigmatischen Fälle für die moralische Bewertung von Menschen aufgrund ihrer empirisch beobachtbaren Natur sind »Rassismus« und »Sexismus«. Hier werden Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer »Rasse« oder zu einem »Geschlecht« normativ bewertet und es werden normative Handlungsanforderungen an sie gestellt, die sich aus ihrer Natur ergeben sollen. Die Kritik etwa am Sexismus lautet: Aus der Tatsache, dass Frauen Kinder gebären und deren Erziehung hauptsächlich tragen, folgt nicht, dass dies die natürliche Aufgabe von Frauen ist. Aus der »Natur der Frau« lässt sich nicht das Gebot ableiten, dass sie im Haus zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern habe – denn eine solche Natur gibt es nicht (vgl. Beauvoir 1949/1968). Wenn eine derartige Festlegung in Form von normativ vorgegebenen Geschlechterrollen erfolge, handele es sich nicht um Natur, sondern um eine unzulässige Naturalisierung.1

[87]Gemäß dieser Denkfigur ist Natur in einem doppelten Sinn zu verstehen, einerseits als diejenige Natur, die in angemessener Weise erforscht wird und andererseits als diejenige Natur, die das Ergebnis von Naturalisierung darstellt. Letzteres bezeichnet eine moralisch aufgeladene Natur, die den Individuen vorschreibt, wie sie sich selbst moralisch zu verstehen haben und handeln sollen. Die moralisch aufgeladene naturalisierte Natur ist das Ergebnis von Kultur und sichert eine bestehende gesellschaftliche Ordnung. In dieser Weise sind weitgehend alle Aussagen über die Natur »der Frau« bzw. »des Mannes« durch Kritik aufgelöst worden. In der Perspektive der Naturalisierungskritik kann es fraglich werden, ob es überhaupt noch möglich ist, zwischen deskriptiv zu erfassender Natur und naturalisierter Natur zu unterscheiden. Damit wird die Unterscheidung zu einer solchen, die im Verschwinden begriffen ist, ohne verschwinden zu können. Vor allem in der Geschlechterforschung gibt es Autorinnen, die entsprechend argumentieren. Danach sei es sinnlos, zwischen biologischer Natur und kulturellen Handlungsanforderungen (Rollen) zu trennen. Denn bereits die Tatsache, dass zwischen den Geschlechtern unterschieden wird, würde diese in ein asymmetrisches Machtverhältnis bringen. Entsprechend wird »Natur« als ein Effekt von Herrschaftssicherung begriffen. Damit wird Natur als ein eigenständiger und unabhängig von Normen gemäß dem Kausalprinzip zu untersuchender Bereich tendenziell in die Analyse von Normbildung aufgelöst. Trotzdem hält man auch in dieser Diskussion an der Natur-Kultur-Unterscheidung fest. Wenn eine kulturelle Ordnung dadurch gestützt wird, dass sie als natürliche Ordnung »getarnt« ist, handelt es sich um einen Vorgang, den es kritisch aufzuklären gilt. Die Enttarnung der Natur als naturalisierte Natur ist nur dann ein sinnvolles Vorgehen, wenn die normative Natur-Kultur-Unterscheidung als Hintergrundannahme aufrechterhalten wird, die festlegt, dass es falsch ist, Kultur als Natur auszugegeben. Die Theorie reflexiver Modernisierung situiert diese besondere Variante der normativen Natur-Kultur-Unterscheidung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seit dieser Zeit würden gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten, die zuvor als durch Natur vorgegeben galten, zunehmend in die Kritik geraten. »Natur« wird nun als Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse begriffen, es würde also offensichtlich, dass es sich um naturalisierte Natur handelt (Lau/Keller 2001).

Die sich daraus ergebenden Probleme sind vor allem in der feministischen Diskussion auf sehr hohem Niveau verhandelt worden. Die Spannung zwischen Natur und naturalisierter Natur ist im Fall des Rassismus nahezu vollständig zugunsten der naturalisierten Natur aufgelöst worden. Niemand behauptet ernsthaft, dass es sinnvoll sei, rassenbezogene Unterschiede zwischen Menschen zu machen. Im Fall der Geschlechterunterscheidung liegt der Fall anders. Hier bleibt es eine offene Frage, ob Natur vollständig in naturalisierte Natur aufgelöst werden kann.2


3.Die zivilisatorische Bedeutung der Natur-Kultur-Unterscheidung

Das zivilisatorische Verständnis der Natur-Kultur-Unterscheidung geht zurück auf Gustav Klemm3 und wird zunächst in der Anthropologie über Edward B. Tylor vermittelt (Kroeber/Kluckholm 1952: 19) und später auch in der Soziologie prominent. Kultur wird hier als etwas Universelles zum Menschsein Gehöriges verstanden und bezeichnet den Grad der Kultivierung, den Menschen bzw. eine Gruppe von Menschen erreicht haben (Kroeber/Kluckholm 1952: 19). In diesem Verständnis [88]wird Kultur synonym mit Zivilisation verwandt und bezeichnet ein komplexes Ganzes. »Culture or Civilization, taken in its wide ethnographic sense is that complex whole which includes knowledge, belief, art, law, morals, custom, and any other capabilities and habits acquired by man as a member of society.« (Tylor 1871: 1) Kultur in diesem Verständnis sei eine kollektive Schöpfung des Menschen, »die einer fortschreitenden Bewegung zur Vervollkommnung unterliegt« (Descola 2011: 121). In dieser Perspektive werden Gesellschaften daraufhin untersucht, wie sie sich vom Naturzustand entfernen und inwiefern ihre jeweiligen kulturellen Institutionen eine zunehmende Vervollkommnung zeigen. Der Mensch und die natürliche Umwelt des Menschen werden nicht nur als gestaltbar verstanden, sondern sie entwickeln sich zu immer höheren und anspruchsvolleren Gestaltungen. Diese Konzeption prägt das Gesellschaftsverständnis der Anthropologie und der Soziologie im 19. und bis weit in das 20. Jahrhundert hinein.

Bereits Klemm hatte Kultur auch in einem materiellen Sinn verstanden, sie schließt nämlich die Kultivierung des Bodens, den Ackerbau und damit insgesamt dasjenige ein, was später als »materielle Kultur« (Braudel 1979/1990: 16) bezeichnet wird. Dieser Ansatz bestimmt im Grundsatz auch das Gesellschaftsverständnis von Marx und später von Durkheim. Beide beziehen explizit die materielle Infrastruktur der Vergesellschaftung ein (Durkheim 1895/1991: 113f, Marx 1890/1977: Kap. 13). Insofern unterlaufen sie die kantische Unterscheidung, denn Natur ist als zu kultivierende Natur bzw. als für Kultivierung offene Natur eng mit Kultur verbunden. Kulturelle Ordnungen werden getragen durch einen Prozess, den Marx als »Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur« bezeichnet (Marx 1890/1977: 57).

Wie eng Natur und Kultur als miteinander verbunden gedacht werden, zeigt sich auch daran, wie Durkheim Moral begreift. In seinen Schriften zur Moral schließt er direkt an die kantische Differenzierung zwischen dem Menschen als Naturwesen und als sittliches normorientiertes Wesen an. Die Existenz verbindlicher moralischer Regeln definiert Durkheim über zwei Momente, nämlich »das Gute und die Pflicht« (1924/1976: 85). Bezogen auf den Pflichtcharakter der moralischen Regel bezieht sich Durkheim explizit auf Kant, ergänzt dessen Auffassung aber dahingehend, dass eine moralische Regel auch dasjenige bestimme, was erstrebenswert ist. Dass moralische Regeln einen verpflichtenden Charakter hätten, führt Durkheim darauf zurück, dass sie Elemente des gesellschaftlichen Kollektivbewusstseins seien, das Letztere sei dem individuellen Bewusstsein äußerlich und wirke auf es wie eine externe nötigende Kraft. Das individuelle Bewusstsein sei dadurch gekennzeichnet, dass es seine individuellen egoistischen Interessen verfolge. Damit eine Gesellschaft Bestand habe, müsse auf das Individuum Zwang ausgeübt werden. Die Legitimität dieses Zwanges ergibt sich für Durkheim daraus, dass lediglich der Sachverhalt der Vergesellschaftung den Menschen zu einem denkenden (Durkheim 1912/1984: 586) und moralischen (Durkheim 1924/1976: 105) Wesen mache. Durch Vergesellschaftung erhebt sich der Mensch über den Naturzustand, er kultiviert sich selbst als gesellschaftliches Wesen.

Die Evolution der gesellschaftlichen Arbeitsteilung führe, so Durkheim, zu einer immer weitgehenderen Differenzierung der Gesellschaft. Es entstünden unterschiedliche Professionen, ausdifferenzierte gesellschaftliche Untergruppen, die auf je unterschiedliche Weise zur gesellschaftlichen Arbeit beitragen und damit voneinander abhängig werden (Durkheim 1930/1992: 238). Die Individuen gehörten in einer solchen Gesellschaft mehreren Untergruppen an. Er ist Vater, Arzt und gehört einer politischen Gruppierung an usw. In allen Handlungsfeldern muss er unterschiedlichen Handlungsanforderungen gerecht werden und sich an den jeweiligen bereichsspezifischen moralischen Normen orientieren.

Unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen komme dem Individuum die Aufgabe zu, selbstständig die verschiedenen moralischen Handlungsorientierungen zu vermitteln. Das Individuum [89]werde so zu einem strukturellen Knotenpunkt der Vermittlung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Deshalb würde das Individuum selbst zum Gegenstand eines Kults (Durkheim 1930/1992: 227). Je weiter die Arbeitsteilung sich entwickele, »desto größeres Gewicht erlangt die Würde der Person« (Durkheim 1950/1999: 84). Damit tritt der bei Durkheim angelegte Fortschrittsgedanke deutlich hervor. Die geschichtliche Entwicklung geht dahin, durch Kultivierung der Natur zunehmend die Würde der individuellen Person durchzusetzen.4

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