Kitabı oku: «Handbuch Deutsche Kreditmarkt-Standards», sayfa 4
IV. Praktische Ansätze
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Folgende Ansätze haben sich in der Praxis zur Implementierung der neuen EBA-Leitlinie als hilfreich erwiesen:
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Das aktuelle Spannungsfeld besteht darin, die wirtschaftlich-operative mit der aufsichtsrechtlichen Sicht zusammenzuführen. Das stellt Banken durch die notwendige Erweiterung der bisherigen Kreditprozesspraxis zwar, wie gezeigt, vor große Herausforderungen. Jedoch bieten die Leitlinien aber auch Chancen, die identifiziert und genutzt werden können. Man sollte sich bspw. vor Augen führen, dass durch die Harmonisierungsabsicht der Anforderungen sowie ihrem im Vergleich zur MaRisk höheren Detaillierungsgrad eine Standardisierung der Kreditvergabe begünstigt wird und es den Banken dadurch ermöglicht wird, Prozessautomatisierungen konsequenter voranzutreiben.
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Die notwendigen Datenerhebungen können zudem die ohnehin fortschreitende Digitalisierung von Informationen und damit einhergehend deren effizientere Verarbeitung fördern – auch mit Blick auf ESG-Faktoren. Diejenigen, die sich aus diesem breiteren Blickwinkel mit etwaigen Lösungsansätzen und einer Integration in bestehende Prozesse auseinandersetzen, werden es wesentlich leichter haben, auf bereits angekündigte Veröffentlichungen in den kommenden Jahren zu reagieren.
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Diejenigen Institute, denen es im Rahmen einer strukturierten Vorgehensweise zeitnah gelingt:
– Transparenz über den Status quo herzustellen (u.a. Daten-/Informationsbestand, IT-Infrastruktur, Entscheidungsprozesse, Kriterien der Kreditwürdigkeitsprüfung inkl. Anwendung/Ausgestaltung von Sensitivitätsanalysen, Sicherheitenbewertung, Pricing-Framework, Nachhaltigkeitsstrategie)
– Gaps zwischen Ist-Situation und Leitlinienanforderungen unter Berücksichtigung des Proportionalitätsprinzips zu identifizieren,
– erforderliche Maßnahmen abzuleiten und zu priorisieren (Änderungen der organisatorischen Prozesse im Zusammenhang mit der Kreditvergabe und -überwachung, Anpassung von IT-Systemen, Schulung von Personal etc.) sowie
– entsprechende Maßnahmen zu implementieren,
werden nach erfolgreicher Umsetzung schneller als die Wettbewerber mit einem effizienteren und nachhaltigeren Kreditbereich im Markt agieren können. Letztendlich kommt es auf die Umsetzbarkeit der Vorgaben auf Einzelinstitutsebene, d.h. „im eigenen Hause“, an. Über diese sollten sich die betroffenen Institute zeitnah Transparenz verschaffen, um die Notwendigkeit eines späteren Aufholprozesses an der Stelle zu vermeiden.
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Es bietet sich ein dreiteiliger Ansatz an, bestehend aus einem sog. Health Check (Vorstudie), der Implementierung und der Verzahnung. Die Ansätze bauen grundsätzlich aufeinander auf, können aber auch individualisiert und parallel angewendet werden.
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Zunächst wird der Health Check durchgeführt, eine Betroffenheitsanalyse auf Basis der bei den Banken zugrunde liegenden Dokumentation (bspw. der schriftlich fixierten Ordnung, „sfO“). In unserer Praxis hat sich der Einsatz eines hierfür entwickeltes GAPS Tool bewährt („Gap Analysis Profiling System“). In seinem Kern enthält es einen strukturierten Fragenkatalog, der auf Anforderungen der EBA-Leitlinie abstellt, und der es den Banken ermöglicht, Lücken zu identifizieren und zu evaluieren sowie insgesamt für die EBA-Leitlinie zu sensibilisieren. Als Ergebnis stellt das Tool eine Auswertung zur Verfügung, aus der der zu erwartende Aufwand und die notwendige Priorisierung ersichtlich werden.
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Im Rahmen einer solchen Vorstudie wird zudem das Ambitionsniveau gemeinsam mit der Bank erarbeitet, um zu sehen, wohin speziell für das jeweilige Institut die Reise gehen könnte. Anschließend erfolgt ein komplettes Assessment des Instituts unter Einbeziehung des Top Managements (wenige Ansprechpartner, top down Ansatz). Es werden dabei konkrete Handlungsfelder bestimmt, Detailpläne erarbeitet und für jedes Themengebietworkstreams gebildet unter Führung eines jeweiligen Bereichsleiters/ und oder Fachexperten für dieses Gebiet. In den workstreams wird dann anschließend der Handlungsbedarf erarbeitet, mit bereits vorhandenen Projekten und parallelen Initiativen kombiniert und in ein Grobkonzept gegossen (dies idealerweise in Zusammenarbeit mit der IT und bereits auch ggf. in begleitender Abstimmung mit der Aufsicht).
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Für die Festlegung des Ambitionsniveaus müssen zu jedem der 7 Themengebiete zunächst die bankspezifischen Sachverhalte diskutiert werden, insbesondere um ein gemeinsames Verständnis zur Ist- und Soll-Situation herzustellen, bspw. die Klärung, welche Kernprozesse bestehen, welche Bereiche und Produkte werden bedient, welche Ziele (strategisch und operativ) sollen künftig verfolgt werden, welche Aussagen trifft die bestehende Dokumentation im Hause hinsichtlich Kreditprozessen, auf welchen IT-Anwendungen wird aufgebaut etc.
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Anschließend kann dann das Ambitionsniveau festgelegt werden, bspw.
– beim Thema Governance von gering („Die Mindestanforderungen der EBA GLOM werden anteilig umgesetzt“) bis hin zu hoch („Die Organisation und Prozesse werden im höchsten Maße angepasst und u.a. agil ausgerichtet“) oder
– im Bereich ESG von gering („ESG wird nicht verfolgt. Es zählen andere Unternehmensziele“.) bis hin zu hoch („ESG wird als ein Top-Entwicklungsziel betrachtet. Strategie wird dahingehend ausgerichtet“).
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Damit kann dann im Grunde auch erst festgelegt werden, wo sich das Institut heute befindet und wo es sich künftig befinden möchte. Der Health Check bzw. die beschriebene Vorstudie ist der Dreh- und Angelpunkt für eine erfolgreiche Umsetzung der EBA GL.
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Auf dieser Basis erfolgt dann genauso schrittweise die Umsetzung der Konzepte bzw. die Implementierung der neuen Prozesse und ggfs. Anwendungen/IT-Releases. Insbesondere die Integration der Governance-Anforderungen bedarf dabei einiger empfindlicher Prozessanpassungen, quasi als „Operation am offenen Herzen“. Die Herausforderung ist dabei speziell die Verarbeitung und Umsetzung der vielen Anforderungen bei gleichzeitiger Identifikation von Optimierungspotenzial. Hinzu kommen die üblichen Hürden bei organisatorischen Veränderungen, was nicht selten zu diesem Zeitpunkt spätestens alle Bereichsleitungen, operativen Leitungen und die oberste Führungsebene parallel zu all den anderen Aufgaben an ihre Grenzen zu stoßen scheint.
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Zum Abschluss ist im Zusammenhang mit der Umsetzung der neuen EBA-Leitlinie ein wichtiges Stichwort die „Verzahnung“, da viele Themengebiete der Leitlinie nicht grundsätzlich neu sind. Hier liegt das Potenzial, entsprechende Synergien zu realisieren.
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Natürlich kommt es auf den Einzelfall an und es stellt sich die Frage, aus welchem Kontext das jeweilige Institut kommt, aus welcher Motivation heraus man sich der Guideline nähert. Aber aus unserer Erfahrung sind in aller Regel viele laufende – aber auch geplante – Projekte von der neuen EBA-Leitlinie direkt oder indirekt betroffen. Neben „bekannten“, länger laufenden Projekten (wie bspw. NPL oder BCBS 239, was als Reaktion auf die Finanzkrise im Jahr 2013 eingeführt wurde) sind auch Themen darunter, bei denen manche Banken noch am Anfang stehen oder sich auf „Neuland“ begeben. In den meisten Häusern fallen innovative Technologien (AI, Machine Learning) und/oder ESG hierunter. Auch vor dem Hintergrund der schwierigen Ertragssituation sowie von Kosteneinsparungen erscheint es mehr als sinnvoll, zu Beginn der Umsetzung der neuen Leitlinien ganz gezielt das Projektportfolio nach Synergie-Potenzial zu analysieren. Zu nennen sind beispielsweise:
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Data Governance (unter BCBS 239)/„Basler Ausschuss für Bankenaufsicht“,23 Risikofrüherkennung (im Zusammenhang mit Non-Performing Loans) sowie Geldwäscheprävention bzw. CTF-Projekte.
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Die betroffenen Institute sollten daher alle Aktivitäten nutzen, die sie an anderer Stelle schon entfaltet haben, um Synergie-Potenzial zu realisieren und bereits Bestehendes mit Neuem zu verzahnen.
23 Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 2013, Grundsätze für die effektive Aggregation von Risikodaten und die Risikoberichterstattung, ISBN 92-9197-346-7 (Online).
Kapitel 3 Entwicklung des Verbraucherschutzrechts am Beispiel der normierten Widerrufsbelehrung
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Die europäischen und deutschen Verbraucherschutzrechte haben in den vergangenen Jahren im Rechtsverkehr mit Verbrauchern zunehmend an Bedeutung gewonnen und sind in den vergangenen Jahren zahlreichen Änderungen ausgesetzt gewesen. Von dieser Entwicklung ist die Finanz- und Kreditwirtschaft nicht verschont geblieben, sondern sie wurde, insbesondere in den Folgejahren der Finanzkrise 2008/2009, mit diversen Gesetzesänderungen konfrontiert, die zum Teil mit gravierenden Änderungen für das gesamte Bankgeschäft mit Verbrauchern einhergingen. Der überwiegende Teil der Gesetzesänderungen ist auf die Überarbeitung existierender oder neu eingeführter Europäischer Richtlinien zurückzuführen, die in den vergangenen Jahren in nationales Recht überführt werden mussten. Parallel dazu nehmen Klageverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) und des Bundesgerichtshofs (BGH) zu, die sich vermehrt mit verbraucherschützenden Themen befassen. Dieser Beitrag stellt das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei Finanzdienstleistungen in den Mittelpunkt der Betrachtung, um anhand dieses Beispiels die Dynamik der neueren Entwicklung bei den Verbraucherschutzrechten aufzuzeigen.
I. EU-Verbraucherrechte-Richtlinie
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1. Die Grundidee der EU-Verbraucherrechte-Richtlinie vom 25.10.20111 waren die vollständige Harmonisierung der Informationspflichten gegenüber Verbrauchern im Fernabsatz oder bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und die Angleichung der seinerzeitigen nationalen Rechtsvorschriften zum Verbraucherschutz in den Mitgliedstaaten. Erleichtert werden sollten dabei die Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern sowohl in den nationalen Binnenmärkten als auch grenzüberschreitend innerhalb der Europäischen Union. Dazu gehörte auch die Belehrung über ein bestehendes Widerrufsrecht. Für Fernabsatz-Verträge und außerhalb von in Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen galt seitdem eine einheitliche EU-weite Widerrufsfrist von 14 Kalendertagen. Um den Widerruf für Verbraucher zu erleichtern, wurde ein Muster-Widerrufsformular eingeführt, dessen Nutzung jedoch optional ist. Mit Umsetzungsgesetz vom 20.9.20132 trat die Richtlinie mit Wirkung vom 13.4.2014 in Deutschland in Kraft. In anderen europäischen Ländern wurde die Umsetzung eher langsam angegangen, so dass zum Stichtag die Umsetzung nur in ganz wenigen europäischen Ländern erfolgt war.
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Die Verbraucherrechterichtlinie trat hinsichtlich des Vertriebs von Verträgen zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer über die Lieferung von Waren und Dienstleistungen im Fernabsatz neben die Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen und ergänzte den Schutz des Verbrauchers für alle Verbraucherverträge, soweit es sich nicht um Finanzdienstleistungen handelte. Gleichzeitig wurden neue Regelungen getroffen, die den Abschluss von Verbraucherverträgen über den Erwerb von Waren oder Dienstleistungen betrafen, bei denen die Verträge außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers geschlossen werden. Die Verbraucherrechterichtlinie trat somit an die Stelle der Richtlinie betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (sogenannte „Haustürgeschäfterichtlinie“)3 und löste diese mit ihrem Inkrafttreten ab. Die Verbraucherrechterichtlinie schließt in ihrem Anwendungsbereich Finanzdienstleistungen ausdrücklich aus, Art. 3 Abs. 3 Buchst. d) Verbraucherrechte-Richtlinie.4 Das hat den deutschen Gesetzgeber jedoch nicht davon abgehalten, bei der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie ins deutsche Recht die Finanzdienstleistungen mit einzubeziehen, weil nach Auffassung des Gesetzgebers der Verbraucher bei dem Abschluss von Finanzdienstleistungsverträgen außerhalb der Geschäftsräume des Finanzdienstleisters genauso schutzbedürftig sei wie bei dem Abschluss solcher Verträge in einer Fernabsatzsituation. Dieses hatte der Richtliniengeber anders gesehen, weil er den Verbraucher durch die bestehenden produktspezifischen Vorschriften, die sich aus diversen verbraucherschützenden Richtlinien, wie z.B. der Verbraucherkreditrichtlinie, der Zahlungsdienste-Richtlinien PSD I und II oder MiFID I, ergeben, hinreichend geschützt angesehen hat, wie es sich auch aus dem Erwägungsgrund 32 der Verbraucherrechte-Richtlinie ergibt.
1 2011/83/EU, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 304/64 – https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:304:0064:0088:de:PDF. 2 BGBl. I 2013, 3462 – https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl113s3642.pdf%27%5D__1629962257611. 3 85/577/EWG, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 372/31 – https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31985L0577:de:HTML. 4 2011/83/EU, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 304/64.
II. Widerrufsjoker im Verbraucherdarlehensrecht und bei Immobiliar-Kreditverträgen
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1. In Deutschland galt schon mit Inkrafttreten des OLG-Vertretungsänderungsgesetzes zum 1. August 20025 die Pflicht, den Verbraucher über das ihm zustehende Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehen nach § 495 BGB zu belehren. Ein Erlöschen des Widerrufsrechts sechs Monate nach Abschluss des Vertrags, wie es mit der Schuldrechtsreform zum 1.1.2002 in § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB (in der Fassung vom 1.1.2002 bis 31.7.2002)6 geregelt worden war, sah die Neuregelung infolge der Heininger Entscheidung des EuGH vom 13.12.20017 nicht mehr vor. Das Widerrufsrecht erlosch nicht, wenn der Verbraucher über sein Widerrufsrecht nicht ordnungsgemäß belehrt worden war (§ 355 Abs. 3 Satz 3 BGB i.d.F. vom 1.8.2002 bis 7.12.2004).8 Außerdem sah das neue Gesetz vor, dass der Verbraucher nunmehr auch dann ein Widerrufsrecht haben sollte, wenn er einen grundpfandrechtlich besicherten Darlehensvertrag abschloss, der zu den für derartige Darlehen üblichen Bedingungen gewährt wurde (sog. Immobiliardarlehensverträge, § 492 Abs. 1a BGB i.d.F. vom 1.8.2002 bis 7.12.2004). Bis zu diesem Zeitpunkt stand dem Verbraucherdarlehensnehmer bei diesen Darlehen kein Widerrufsrecht zu, und zwar auch dann nicht, wenn der Vertrag in einer Haustürsituation angebahnt oder abgeschlossen worden war. Mit diesen Änderungen schuf der Gesetzgeber ein quasi ewiges Widerrufsrecht, sofern die Widerrufsbelehrung fehlerhaft war. Denn noch Jahre nach vollständiger Abwicklung eines Vertrages konnte der Verbraucher diesen widerrufen. Die Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG) zum 11.6.2010 in das deutsche Recht9 brachte an dieser Stelle keine Änderung. Seit dem Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechte-Richtlinie (2011/83/EU) kann das Widerrufsrecht des Verbrauchers zwar grundsätzlich erlöschen (§ 355 Abs. 3 Satz 2 BGB), dieses gilt jedoch ausdrücklich nicht für Verträge für Finanzdienstleistungen (§ 355 Abs. 3 Satz 3 BGB).
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2. Damit wurde die Grundlage für den sogenannten Widerrufsjoker geschaffen, der vor allem Kreditinstitute im Zusammenhang mit Immobiliardarlehensverträgen trifft. So steht dem Darlehensnehmer für die im Zeitraum zwischen November 2002 bis März 2016 abgeschlossenen Verbraucherdarlehensverträge grundsätzlich ein unbefristetes Widerrufsrecht zu, wenn ihm eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung bzw. Widerrufsinformation erteilt wurde. Dieses Recht galt für alle Verbraucherdarlehen nach § 495 BGB in Verbindung mit § 355 BGB. Bis zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie (2014/17/EU) zum 21.3.201610 galt, dass bei allen Verbraucherdarlehen bei einer fehlerhaft erteilten Widerrufsbelehrung oder Widerrufsinformation (seit 11.6.2010) dem Verbraucher ein unbefristetes Widerrufsrecht zustand. Schließlich wurde mit dem Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie ein Erlöschen des Widerrufsrechts bei Immobiliardarlehensverträgen eingeführt, soweit diese Verträge zwischen dem 1.9.2002 und dem 10.6.2010 geschlossen worden waren. Das Widerrufsrecht erlosch endgültig spätestens drei Monate nach dem 21.3.2016, soweit es sich bei dem Vertrag nicht gleichzeitig um ein Haustürgeschäft handelt (Art. 229 § 38 Abs. 3 EGBGB). Hatte der Verbraucher seinen Widerruf nicht bis zum Ablauf des 21.6.2016 erklärt, wobei es auf die rechtzeitige Absendung bis zum Ablauf des 21.3.2016 ankam,11 war es endgültig erloschen.
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3. Darüber hinaus führte der Gesetzgeber für Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge (§ 491 Abs. 3 BGB) eine Befristung des Widerrufsrechts ein (§ 356b Abs. 2 Satz 4 BGB). Danach erlischt das Widerrufsrecht nach Ablauf eines Jahres und 14 Tage seit Abschluss des Darlehensvertrags selbst dann, wenn in dem Darlehensvertrag keine ordnungsgemäße Widerrufsinformation enthalten ist. Dem Verbraucher steht somit zwar ein verlängertes, aber kein ewiges Widerrufsrecht zu.
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Damit endete mit Ablauf des 21.3.2016 prinzipiell das ewige Widerrufsrecht für Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge und damit der Widerrufsjoker. Diese Änderungen gelten jedoch nur für Immobiliardarlehensverträge, die zwischen dem 1.9.2002 und 10.6.2010 geschlossen worden waren sowie für Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge, die seit dem 21.3.2016 geschlossen wurden. Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge können weiterhin zeitlich unbegrenzt widerrufen werden, wenn die Widerrufsbelehrung bzw. -information fehlerhaft war. Auch für Immobiliardarlehensverträge, die in dem Zeitraum zwischen 10.6.2010 und 21.3.2016 geschlossen wurden, besteht bei einer fehlerhaft erteilten Widerrufsinformation ein unbefristetes Widerrufsrecht.
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4. Auslöser für den Widerrufsjoker
Als der Gesetzgeber sich in Folge der EuGH – Entscheidung in Sachen Heininger – entschied, ein einheitliches Widerrufsrecht für Verbraucherdarlehen zu schaffen und dieses nicht situationsabhängig einzuräumen, fühlte er sich zur Sicherung des Rechtsfriedens aufgefordert, den Kreditinstituten eine Muster-Widerrufsbelehrung an die Hand zu geben, die diese zur Belehrung der Verbraucher verwenden konnten. Der Inhalt dieser Widerrufsbelehrung war von Anfang an umstritten, insbesondere wurde die Ordnungsmäßigkeit der in der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-Informationspflichten-Verordnung (BGB-InfoV) veröffentlichten Widerrufsbelehrung in Frage gestellt und teilweise in der rechtswissenschaftlichen Literatur von der Verwendung der veröffentlichten Muster-Widerrufsbelehrungen abgeraten.12 Insbesondere die in den ersten beiden Muster-Widerrufsbelehrungen verwendete Formulierung „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung...“ ohne den Beginn der Widerrufsfrist weiter zu konkretisieren, führte zu kontrovers geführten Diskussionen. In der Kreditwirtschaft wurden daher in den Muster-Widerrufsbelehrungen Anpassungen vorgenommen oder eigene Muster entwickelt, um das Risiko einer unwirksamen Widerrufsbelehrung möglichst zu vermeiden. Erst 2012 entschied der BGH,13 dass sich bei einer wortgleichen Verwendung der Muster-Widerrufsbelehrungen der Verwender auf die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 InfoV berufen kann. Bei Abweichungen vom Mustertext, die durch eine inhaltliche Bearbeitung der Texte herbeigeführt wurden, besteht nach der Rechtsprechung dieses Privileg jedoch nicht mehr. Nur, wenn die Textbearbeitung auf einem offenkundigen Schreibfehler beruhe oder die Verständlichkeit erhöhe, aber keine inhaltliche Bearbeitung des Mustertextes erfolgt sei, kann sich der Verwender auf die Gesetzlichkeitsfiktion weiterhin berufen.14
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Im Jahr 2009 entschied der BGH,15 dass eine Belehrung über den Beginn der Widerrufsfrist nur unzureichend informiere, wenn diese von einem unbefangenen Leser dahingehend verstanden werden kann, dass die Widerrufsfrist unabhängig von der Vertragserklärung des Verbrauchers durch den bloßen Zugang des von einer Widerrufsbelehrung begleiteten Vertragsangebots des Vertragspartners in Gang gesetzt werden kann. Mit dem Deutlichkeitsgebot des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB sei dies nicht zu vereinbaren. Diese Entscheidung fand lediglich in der Fachliteratur16 Aufmerksamkeit, ansonsten hatte sie keine weitreichenden oder spürbaren Folgen. Dies änderte sich erst, als sich zu Beginn der 2010er Jahre das niedrige Zinsniveau bei Immobiliardarlehensverträgen verfestigte und Darlehensnehmer über Verbraucherschutzverbände auf die Möglichkeit des „Widerrufsjokers“ aufmerksam wurden. Nach den damaligen Veröffentlichungen der Verbraucherschutzverbände17 waren Angaben gemäß bis zu 70 % der von der Kreditwirtschaft bei Immobiliardarlehensverträgen verwendeten Widerrufsbelehrungen fehlerhaft. Den Darlehensnehmern stünde somit ein jederzeitiges Widerrufsrecht zu und ermögliche ihnen das bestehende Darlehen in zinsgünstigere Darlehen umzuschulden, ohne eine Vorfälligkeitsentschädigung zahlen zu müssen. Die Berichterstattungen in den Medien führten zu vermehrten Widerrufen. Damit war der Widerrufsjoker geboren, für den der Gesetzgeber bereits im Jahr 2002 die Grundlage gelegt hatte. Gerade die Kreditinstitute versuchten, sich gegen den Widerrufsjoker zu wehren und führten entsprechende Klageverfahren durch. In den Folgejahren führte der Widerrufsjoker zu zahlreichen Rechtsstreitigkeiten bis zum BGH, in denen zahlreiche Rechtsfragen rund um das Widerrufsrecht zum Verbraucherdarlehensrecht beantwortet wurden. Grüneberg fasste die Rechtsprechung des BGH zusammen und ließ erkennen, dass damit die offenen Fragen zum Widerrufsrecht beantwortet seien. Befassten sich die Rechtsstreitigkeiten vor allem mit den formalen Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit einer Widerrufsbelehrung, gewann auch das Argument der Verwirkung oder Rechtsmissbräuchlichkeit mehr und mehr an Bedeutung. Den Argumenten der Kreditindustrie stand – und steht – eine Armada von selbst ernannten Verbraucherschutz-Rechtsanwälten gegenüber. Während die Instanzgerichte die Frage der Verwirkung bzw. des Rechtsmissbrauchs sehr unterschiedlich beurteilten, führte die verbraucherfreundliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zunächst zu einer Belebung des Widerrufsjokers. In den Fällen, in denen sich der Bundesgerichtshof zu den Themen Verwirkung und Rechtsmissbrauch geäußert hat, hat er diese abgelehnt. Ein immer wiederkehrendes Argument ist, dass der Unternehmer es durch eine ordnungsgemäße Belehrung oder eine Nachbelehrung selbst in der Hand habe, die Widerrufsfrist in Gang zu setzen. Insofern habe er auch die Nachteile hinzunehmen, die sich aus einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung ergäben. Der BGH hat jedoch die Verwirkung des Widerrufsrechts in keinem Urteil kategorisch ausgeschlossen. Wie jedes Recht, unterliegt auch ein Verbraucherwiderrufsrecht den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben und kann deshalb prinzipiell auch verwirken. Der BGH will dies jedoch nur im Einzelfall beurteilen. Mit Urteil vom 16. März 201618 stellte der Bundesgerichtshof fest, dass die Beweggründe des Verbrauchers für einen Widerruf bei der rechtlichen Betrachtung irrelevant seien. Eine Verwirkung sei deshalb nur ausnahmsweise anzunehmen. Im Juli 2016 entschied der BGH19 erstmals implizit zur Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit, um diese anschließend mit ausführlicher Begründung abzulehnen. In der Folgezeit hat der BGH aber die Rechtsmissbräuchlichkeit bzw. die Verwirkung des Widerrufsrechts anerkannt. So entschied er in einem Fall, in dem der Darlehensbetrag vollständig zurückgezahlt und die Sicherheiten zurückgewährt worden waren, dass bei der Beurteilung der Verwirkung und der Schaffung eines Vertrauenstatbestands sowohl der Zeitraum zwischen Beendigung des Darlehensvertrags und Erklärung des Widerrufs (Zeitmoment) als auch der Umstand der Sicherheitenfreigabe (Umstandsmoment) zu berücksichtigen seien.20
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5. Mit Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie stellte der Gesetzgeber eine Muster-Widerrufsinformation mit Gesetzesrang zur Verfügung, die der Gesetzlichkeitsfiktion nach Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB unterliegt. Allerdings darf auch dieses Muster nicht wesentlich abgeändert werden. Konzentrierten sich die ersten Rechtsstreitigkeiten auf die im Zeitraum 2002 und 2010 verwendeten Widerrufsbelehrungen, verlegte sich angesichts des weiter fortbestehenden niedrigen Zinsniveaus die Diskussion auf die Ordnungsmäßigkeit der Widerrufsinformation in der am 29.7.2010 veröffentlichten Fassung. In der Widerrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge wurde geregelt, dass die Widerrufsfrist mit Abschluss des Vertrags zu laufen beginnt, „aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z.B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat“.21 Streitpunkt war sehr bald die Frage, ob die beispielhafte Aufzählung von einzelnen Vertragsinhalten des Darlehensvertrags und der Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB (der wiederum auf Art 247 §§ 6 bis 13 EGBGB verweist), sog. Kaskadenverweis, mit den Anforderungen vereinbar ist, die die Verbraucherkreditrichtlinie an die Verständlichkeit und Klarheit einer Widerrufsbelehrung stellt (Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/48/EG). Der BGH22 hatte diese Frage stets bejaht und entschieden, dass mit der Verwendung der gesetzlichen Widerrufsinformation der Darlehensgeber den Darlehensnehmer klar und verständlich über das Bestehen des Widerrufsrechts und den Fristbeginn informiert habe. Eine Vorlage beim EuGH hat der BGH nicht für erforderlich gehalten.23
5 BGBl. 2002, 2850 – https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=//*%5B@attr_id=%27bgbl102s2850.pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl102s2850.pdf%27%5D__1629962926472. 6 https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl101s3138.pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl101s3138.pdf%27%5D__1629963024594. 7 EuGH v. 13.12.2001 – WM 2001, 2434, https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=46958&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1. 8 https://rsw.beck.de/cms/?toc=MMR.ARC.200208&docid=71939. 9 BGBl. I 2009, 2355, https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&start=//*%5b@attr_id=%27bgbl109s2355.pdf%27%5d#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl109s2355.pdf%27%5D__1629964394695. 10 https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/BGBL_Wohnimmobilienkreditrichtlinie.pdf;jsessionid=1538E98D898371ED1556A737F5EBDAB6.1_cid297?__blob=publicationFile&v=2. 11 BGH v. 16.1.2018 – WM 2018, 369. 12 Masuch, BB 2005, S. 344; ders., NJW 2008, S. 1700; Faustmann, VuR 2006, S. 384. 13 BGH v. 15.8.2012 – WM 2012, 1886, http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2012-8&nr=61586&linked=urt&Blank=1&file=dokument.pdf. 14 Grüneberg, BKR 2019, S. 1. 15 Urteil vom 10.3.2009 – XI ZR 33/08 – WM 2009, S. 932, https://openjur.de/u/74017.html. 16 Peters, WM 2009, S. 932. 17 Euro am Sonntag v. 13.9.2014 „Wechselfieber“; Stiftung Warentest in Finanztest 7/2012 „Widerrufsbelehrung bei Kreditverträgen“; Kropf, WM 2013, S. 2250, mit weiteren Fundstellen zu Veröffentlichungen zum Widerrufsjoker. 18 BGH v. 16.3.2016 – WM 2016, 1103, http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=74440&pos=0&anz=1. 19 BGH, Urt. v. 12.7.2016 = WM 2016, 1930, Rn. 43. 20 BGH v. 16.10.2018 – XI ZR 45/18, BKR 2019, 132; BGH v. 15.10.2019 – XI ZR 759/17, NJW 2020, 148; grundsätzlich zum rechtsmissbräuchlichen Widerruf eines Verbrauchervertrages siehe Hilgenhövel, BKR 2021, S. 337. 21 https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl110s0977.pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl110s0977.pdf%27%5D__1629968904292. 22 BGH v. 19.3.2019 – XI ZR 44/18 – WM 2019, 864, Rn. 15f. 23 Vgl. Ausführung in dem BGH-Beschluss v. 31.3.2020 – XI ZR 198/18, Rn. 15.