Kitabı oku: «IN 80 JAHREN UM DIE WELT», sayfa 2

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Jörg Weigand im Arbeitsmodus beim ZDF

Rainer Erler: Ein Gruß

Lieber Jörg Weigand,

kaum eine Anthologie, die Sie in all den Jahren herausgegeben haben, ohne eine meiner zahlreichen Geschichten, Erzählungen, SF-Storys – und dafür danke ich Ihnen ganz herzlich!

Nun zählen Sie in diesem Jahr zu den prominenten Jubilaren unserer eingeschworenen und engagierten Science-Fiction-Gemeinde.

Da wünsche ich Ihnen noch viele Jahre Schaffenskraft, Kreativität und Gesundheit – bleiben Sie uns bitte noch lange erhalten! Wir brauchen Sie!

Da ich nicht mehr schreibe, lasse ich einen Berufeneren zu Wort kommen: Hermann Hesse, der uns in unserem Alter doch Einiges zu sagen hat:

»… ich kann einige von den Gaben, die das Alter uns schenkt, dankbar mit Namen nennen. Die mir teuerste dieser Gaben ist der Schatz an Bildern, die man nach einem langen Leben im Gedächtnisägt. Liebe Menschen, viele, die schon nicht mehr auf der Erde, leben in uns weiter, gehören uns, leisten uns Gesellschaft, blicken uns aus lebenden Augen an. Häuser, Gärten, Städte, die inzwischen verschwunden oder völlig verändert sind, sehen wir unversehrt wie einst, ferne Gebirge und Küsten, finden wir frischfarbig in unserem Bilderbuch wieder.

Das Schauen, das Betrachten, die Kontemplation, wird immer mehr zuGewohnheit und unmerklich durchdringt die Stimmung desunser ganzes Verhalten.

Von Wünschen, Träumen, Begierden, Leidenschaften gejagt, sind wir durch die Jahre und Jahrzehnte unseres Lebens gestürmt, ungeduldig,, erwartungsvoll, voll von Erfüllungen oder Enttäuschungen heftig erregt und– heutewir uns darüber, wie schön und gut es sein kann, jener Jagd und Hetze entronnen und in die vita contemplativa gelangt zu sein.

Hier in diesem Garten des Alters blühen manche Blumen, wie die der Geduld, an deren Pflege wir früher kaum gedacht haben. So lassen wir unser Leben vorübergleiten, manchmal mit stillem Bedauern, manchmalheller Freude, ja mit Heiterkeit.«

In diesem Sinne – begehen Sie diesen Tag – und noch viele die diesem folgen werden – mit Heiterkeit und auch mit Stolz über das Œuvre, dass Sie – uns allen zur Freude – geschaffen haben.

Mit einem herzlichen Gruß, Ihr

Rainer Erler

Gisbert Haefs: Duftmarken

Aristide Montgomery »Mungo« Carteret saß auf der Terrasse, trank Kaffee mit Calvados, blickte aufs Meer, über dem jenseits von Alderney die Sonne sank, und dachte nach über die Unmeßbarkeit des Unwägbaren. Genauer: ob er sich mehr langweilte oder mehr sorgte.

Für beides gab es Gründe. Sein letzter Fall oder Auftrag hatte ihm ausreichend Geld eingebracht, so daß er keine öden Aufträge annehmen mußte, und interessante gab es zur Zeit nicht. Mit flüchtigem Grinsen dachte er an den Ausdruck von Entsagung, gemischt mit Erleichterung, auf dem Gesicht des Lustknaben einer Millionärin, der nicht entführt worden war, sondern sich in einem unzugänglichen Winkel der Mongolei versteckt hatte, um sich von der Dame und ihren Ansprüchen zu erholen.

Soviel zur Langeweile. Die Sorge betraf seine Kusine Pamela du Plessis. Sie hatte ihn vor einiger Zeit – dreißig Tage her – aus der Hauptstadt des Commonwealth angerufen und ihm erzählt, sie werde Atenoa vorübergehend verlassen, um auf einer Randwelt, fast schon im galaktischen Niemandsland, ein gerade erst entdecktes Archiv zu sichten: »Da hat’s ein Erdbeben gegeben, samt Erdrutsch, Mungito, und seit ein paar Jahrhunderten wußte niemand mehr, was da vorher gewesen war. Stell dir vor: eine Art Kloster der Frühen! Mit verschüttetem Archiv! Da muß ich doch hin, oder?«

Sie hatte versprochen, sich bald zu melden, spätestens in zehn Tagen, und ihm von Funden und aufregenden neuen alten Texten, Aphorismen, Lebenszeugnissen zu berichten.

Seitdem – nichts. Pamela, Dozentin für die Frühe Noastoa1 am Peripatio der Akademie Atenoa, war eigentlich zuverlässig. Unter normalen Umständen wäre längeres Schweigen ebenfalls normal gewesen; wenn es nichts zu berichten, keine neuen Witze oder alten Aphorismen zu übermitteln gab, konnten auch Monate zwischen den Anrufen liegen. Aber die Umstände waren nicht normal, Pamela befand sich auf einer entlegenen Welt und hatte versprochen, sich zu melden.

Er leerte seinen Becher, schnaubte und faßte einen Entschluß. Leise durch die Zähne pfeifend ging er ins Wohnzimmer. »Moloch«, sagte er.

»Edler Meister?« Die Stimme kam aus dem kleinen Lautsprecher zwischen den Zähnen des Totenschädels, der den kompakt barg.

»Neues von Pamela?«

»Würde ich dir denn Mitteilungen von hochdero inzestuöser Kusine vorenthalten?« Das Gerät klang beinahe vorwurfsvoll.

»Na schön.« Carteret überlegte einen Moment, in welcher Reihenfolge die nötigen Dinge, Anrufe, Anfragen, Buchungen vorzunehmen wären; dann gab er dem Universalrechner ein paar Anweisungen.

Auf dem langen Flug, bei dem er mehrmals umsteigen mußte, las Carteret ein paar neue Romane auf richtigem Papier, unterhielt sich mit seinem kompakt und überflog immer wieder die von diesem gespeicherten Informationen über den Planeten, in der Hoffnung, etwas zu finden, was Pamelas Verstummen erklären könnte.

Tahonka, las er, hätte eigentlich gar nicht besiedelt werden dürfen, weil es dort eine vermutlich halbintelligente indigene Spezies gab. Einer der frühen Siedler, Auswanderer von einer frankophonen Welt, hatte gesagt, die Kreaturen erinnerten ihn an einen nahezu schrankförmigen Verwandten, weshalb er sie Tontons nannte, »Onkel«. Man hatte sie zunächst für einfache Tiere oder ambulante Pflanzen gehalten; bis Xenologen aus dem Commonwealth ihnen eine mit Fragezeichen versehene Kollektivintelligenz zusprachen, waren die ersten Siedlungen bereits seit Jahrzehnten etabliert, und da es keine Konflikte gab, verzichteten die Behörden auf eine Zwangsräumung des Planeten. Es ergingen lediglich Anweisungen, die Tontons auf keinen Fall zu behelligen, zu vertreiben, physisch zu bedrängen oder zu beeinflussen.

Carteret betrachtete die Bilder, die den Artikeln allerdings nicht zu pittoreskem Reiz verhalfen. Die Geschöpfe waren grob kastenförmig, im Durchschnitt etwa 100 cm groß, 50 cm breit, 50 cm tief. Sie hatten zwei kleine Arme mit je zwei Fingern und bewegten sich notfalls rasend schnell auf drei Beinen (zwei seitliche »Stand-« oder »Balance-Beine« und ein zentrales »Sprungbein«). An der Oberkante des Kastens gab es eine Wölbung mit einer Mundöffnung, Augen auf beweglichen Stielen und borstige Fühler, die man für »Antennen« zur Aufnahme akustischer Signale hielt. Später stellte sich heraus, daß die Tontons nicht durch Schall-, sondern durch Druckwellen kommunizierten, und daß Gerüche eine wichtige Rolle spielten. All dies blieb aber weitestgehend Mutmaßung, weil es bis zu diesem Tag nicht gelungen war, irgendeine Form der Kommunikation mit ihnen zu finden. Man wußte nichts über ihre Fortpflanzung und konnte nur feststellen oder behaupten, sie seien ein reines Kollektiv.

Einem Verweis zufolge hatte eine Galadriel Pfung Der Termitenstaat der Tontons von Tahonka veröffentlicht, ein Werk, das wohl größtenteils aus Vermutungen und Fragen bestand. »Veröffentlicht« schien auch nicht das richtige Wort zu sein; es mußte sich um einen Privatdruck alter Art handeln, der hin und wieder erwähnt wurde, aber nirgendwo vorhanden war. In der knappen Zusammenfassung war zu lesen, die Autorin habe nach Konflikten mit den »örtlichen Fundamentalisten« Tahonka unter Zurücklassung aller Unterlagen verlassen müssen und sich bei der Abfassung der Studie allein auf ihr Gedächtnis stützen können. Ihre Feststellung, mit einem frühen Emotiotaster2 habe sie bei einer Gruppe Tontons deren Reaktionen auf bestimmte Wellen und Gerüche ermittelt, seien folglich substanzlos.

Die menschlichen Bewohner des Planeten nannten sich Tonks, wurden aber von anderen Bewohnern dieser Randregion Honks genannt – »angeblich ein altes Schimpfwort unklarer Herkunft und Bedeutung«. Mungo überging die Darlegung ihrer »neocalvinistischen Epignosis« ebenso wie die Erörterung diverser Schismen; er nahm lediglich zur Kenntnis, da das Leben ernste Arbeit mit den eigenen Händen sei, habe man weitgehende Ächtung jeglicher Kunst (die als frivole Spielerei galt) durchgesetzt und lasse eher abstrakte Dinge wie Verwaltung, Außenhandel etc. von Maschinen erledigen. Es bleibe abzuwarten, wie sich die »unbehagliche Koexistenz« jüngerer weltoffener Gruppen mit der orthodoxen Mehrheit entwickle.

Neun Tage nach dem Aufbruch verließ er das Shuttle, das ihn von der Orbitalstation zur Oberfläche von Tahonka gebracht hatte. Beim Anflug betrachtete er auf den Panoramaschirmen die hundert Grüntöne des Planeten – Felder, Wälder, Savannen, grüne Wasserflächen –, hier und da aufgelockert durch lila, rosa oder orangefarbene Flächen. Die drei anderen Passagiere, Tonks in dunkler Kleidung, hatten sich als nicht besonders gesprächig oder gar auskunftsfreudig erwiesen; er wußte lediglich, daß sie geschäftlich unterwegs gewesen waren und in der Hauptstadt mit dem einfallsreichen Namen Centro wohnten. Es gab nur diesen einen Raumhafen, eher eine staubige Landefläche mit einer Baracke, die als Tower diente, und ein paar Hangars oder Lagerhäuser. Eine Robotrikscha beförderte die Passagiere und ihr Gepäck zur Abfertigung, die ebenso menschenleer und automatisiert war wie die Orbitalstation. Ein Gerät las die Ausweischips, dann leuchtete ein grünes Licht auf. Carteret nahm den Ausweis wieder an sich, streifte den Getränkeautomaten, der in einer selten gereinigten Ecke der Halle stand, mit einem Blick und ging ins Freie, wo die anderen in eine von zwei Pferden gezogene Kutsche stiegen. Auch der Kutscher trug Schwarz und blickte ernst.

Ein kleiner korpulenter Mann mit Halbglatze, Sandalen und vergilbter Latzhose lehnte an einem antiken Vehikel. »Dom Carteret?«

Mungo betrachtete das Gesicht, das auf dem Visifonschirm weniger feist gewirkt hatte. »Dom Dulac, nehme ich an«, sagte er.

Der Dicke nickte; seine fleischigen Wangen verdoppelten die Bewegungen. »Kommen Sie.« Er klopfte auf das Dach des Vehikels.

»Was ist das? Bewegt es sich, wenn man sich etwas wünscht?«

»Na ja, ein paar Hebel und Knöpfe muß man schon berühren. Alt und zuverlässig.« Der Mann schnalzte. »Wasserstoff. Hier fahren auch noch ein paar Wagen mit Verbrennungsmotor. Das wär’s.«

Carteret verstaute sein Gepäck und kletterte auf den Beifahrersitz. Dulac zog an einem Hebel, schob einen anderen in die passende Vertiefung und löste eine Bremse.

»Sie vertreten also hier das Commonwealth?«

Dulac hob die Schultern. »Wenn Sie so wollen. Wir haben oben die Robotstation, hier die Robotabfertigung, einen robotgesteuerten Meiler, einen meistens defekten antiken Rechner als Stadtverwaltung, keine offizielle Filiale von SIC3 oder sonst was. Und an die zweihundertfünfzigtausend Menschen, fast alle Bauern und Jäger, die sich den Planeten mit den Tontons teilen. Was haben Sie denn erwartet?«

Der Wagen hatte Hartgummireifen, aber offenbar eine gute Federung; sie schluckte fast alle Löcher und Unebenheiten des Wegs – »Straße« wäre übertrieben. Carteret sah weiter entfernt ein paar einzelne Häuser und nahm an, daß es sich um Bauernhöfe handelte, da sie von den lila- und orangefarbenen Getreidefeldern der hiesigen Parahirse- und Schlemmweizenarten umgeben waren. Weiter weg ahnte er seltsam geformte Gewächse, vermutlich Bäume, und während sich der Wagen dem Stadtrand näherte, fragte er sich, was wohl Anlaß der Besiedlung vor Jahrhunderten gewesen sein mochte – und vor allem, was die Leute immer noch hier hielt.

»Sie fragen sich wahrscheinlich dies und das«, sagte Dulac.

»Vor allem das.«

»Haben Sie was über die hier gelesen?«

»Ja, aber es gibt nicht viel Material. Irgendein Fundamentalistenkult, angeblich eine Theophagensekte, was immer das sein soll; die Leute wollten einfach für sich leben und Subsistenzlandwirtschaft betreiben. Kaum Bodenschätze, soweit bekannt, ein paar nahrhafte Pflanzensorten, für die es inzwischen sogar Abnehmer in anderen Systemen gibt. Und aufmüpfige Jüngere. Sonst noch was?« Da Dulac nicht sofort antwortete, setzte Mungo hinzu: »Und wieso sagen Sie ›die hier‹? Sind Sie von woanders?«

»Mhm. Kleine Welt im Pleiaden-Sektor. Strafversetzt.«

»Ah. Was haben Sie da angestellt?«

Dulac spitzte den Mund. »Das wollen Sie nicht wissen. Falls Sie auf meine Mitarbeit zählen …«

Carteret schwieg, auch weil ein plötzlicher heftiger Regenschauer so laut auf das Wagendach prasselte, daß ein Gespräch nicht möglich gewesen wäre. Als der Regen nachließ, sagte Dulac, dies sei die übliche »Benetzung«, die zwei- bis dreimal pro Tag diese Region von Tahonka beglücke.

Ein paar Minuten später erreichten sie das Zentrum der Hauptstadt des Planeten: ein runder Platz mit einem Kranz aus flachen Gebäuden. Eines schien eine Art Hotel oder Gasthaus zu sein, die übrigen waren Werkstätten, Läden und Wohnhäuser. Dulac parkte den Wagen vor dem Hotel.

»Kommen Sie. Erst mal Unterkunft, dann, uh, Büro und Besprechung.«

Mungo folgte ihm ins Hotel. Dulac grunzte leise, begab sich hinter einen Tisch, der offenbar Rezeption spielte, nahm aus einer Schublade einen schweren Eisenschlüssel und legte ihn auf die Tischplatte.

»Bitte sehr. Zimmer eins mit Blick auf den Platz.« Er deutete auf eine Tür nicht weit rechts vom Tisch.

Carteret nahm sein karges Gepäck und den Schlüssel. Die Zimmertür war nicht abgeschlossen. Es gab ein breites Bett, ein paar Lampen, Tisch und Stühle, eine kleine Hygienekabine und vor dem Fenster einen weiteren Platz mit ausladenden Bäumen.

»Sie können abschließen«, sagte Dulac. Er hockte mit halbem Gesäß auf der Tischkante, als Mungo wieder zum »Empfang« kam. »Müssen Sie aber nicht.«

»Aha. Gibt’s in Ihrem Büro Kaffee?«

»Aber nicht viel mehr. Kommen Sie.« Dulac rutschte von der Tischkante, durchquerte die Halle und öffnete eine Tür, hinter der Carteret eine Gaststube vermutet hatte. In dem großen Raum gab es ein paar Funktionsmöbel – Stühle, Sessel, Schreibtisch, Regale und eine Art Sofa – und Geräte, darunter eine größere Hyperfunkkonsole und diverse Rechnerterminals.

Dulac deutete auf einen der Sessel und ging zur Kaffeemaschine. In diesem Moment wurden draußen, auf dem Platz, Stimmen laut; sie klangen mürrisch, aber eher resigniert als erbost, wenngleich Carteret kaum einzelne Wörter unterscheiden konnte.

Er ging zum halbgeöffneten Fenster und blickte hinaus. Ein paar Leute standen dort, redeten und blickten auf einen Punkt irgendwo über der Platzmitte; andere Bewohner der Metropole verließen eben ihre Häuser und kamen zu den Versammelten.

»Da sehen Sie die derzeitige Hauptattraktion«, sagte Dulac; auch er klang eher resigniert als erregt oder gar begeistert.

Mungo kniff die Augen zusammen und versuchte, die über dem Platz schwebenden Objekte zu identifizieren. Es handelte sich um Dinge, für die er zunächst keine Begriffe fand, wenn sie ihn auch an Bekanntes erinnerten.

Dann wurde ihm klar, daß es sich nicht um Gegenstände, sondern um wabernde Bilder handelte. Ein kleiner schwebender Kobold oder Gnom war dabei, der entfernt Ähnlichkeit mit einem Buddha hatte. Um ihn her huschten verzerrte Formen – eine Schattengazelle? Schlangenlinien, die sich zu einer unruhigen Spitzhacke vermählten? Ovale Koffer oder Kommoden?

Einige Schritte entfernt von den meist dunkelgekleideten mürrischen Betrachtern bildete sich eine kleine Gruppe jüngerer Leute in heller Kleidung. Sie blickten fröhlich drein; mehrere von ihnen applaudierten.

»Was bei allen Göttern der Galaxis …?«

»Yöröq«, sagte Dulac.

»Häh?«

»So heißt er. Yöröq. Hat sicher auch einen Vornamen, aber den kenne ich nicht.«

Die Schwebebilder fransten aus, zerfaserten, lösten sich auf und verschwanden. Die Leute draußen standen noch einen Moment herum, ehe sie sich wieder in ihre Häuser begaben.

Dulac kam mit zwei Kaffeebechern, Milch und Zucker zu dem kleinen Tisch und den Sesseln. »Da. Wohl bekomm’s.«

Carteret setzte sich, nippte an seinem Becher, goß Milch hinein, nahm zwei Löffel Zucker und rührte lautstark um. »Mögen Sie mich aufklären?«

»Langsam.« Dulac kaute auf der Unterlippe. »Wo soll ich anfangen?«

»Erstens – was sind Sie hier? Zweitens – was war das da eben? Drittens – was wissen Sie von Pamela du Plessis?« Dann gluckste er. »Die Punkte vier bis neunzehn verhandeln wir später.«

Dulac spreizte den Daumen der Rechten ab. »Raumhafenleiter, Verwaltung, Müllabfuhr, Bürgermeister, Polizei, Postamt, Hotelier«, sagte er. Der Zeigefinger gesellte sich zum Daumen. »Yöröq ist Musiker, Komponist, außerdem hat er eine obskure Psi-Fähigkeit – wenn er furchtbar konzentriert arbeitet, an seiner Phantomorgel, projiziert er das, was er bei seiner Musik empfindet, als Hologramme. Könnte man sagen.«

»Was muß man empfinden, um huschende Gazellen und Buddhafiguren zu projizieren? Ich meine, im Zusammenhang mit Musik?«

Dulac zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ist aber für seine Verhältnisse ziemlich hektisch; sonst kriegen wir eher Schlummerbäume4, Savannengräser oder melancholische Seelandschaften zu sehen. Drittens« – der Mittelfinger – »dam du Plessis ist bei ihm, oder in seinem Keller, in den Ruinen. Und sie kann da nicht weg.«

»Ich fürchte, Sie müssen mit mir reichlich Geduld haben, wenn Sie … Also, können Sie ein bißchen weiter ausholen?«

Yöröq, sagte Dulac, sei vor Jahren, lange vor ihm, hergekommen, um in »glorreicher Abgeschiedenheit« seine Kunst zu betreiben, ungestört von der profanen Umgebung seiner Heimatwelt. Und ohne diese seinerseits durch seine Musik und Projektionen zu stören. Anders als früher gebe es bei den Tonks inzwischen eine gewisse Toleranz für unaufdringliche Kunstformen. Die Bewohner von Centro hätten es aber nicht lange ertragen, daß zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten die von ihm projizierten Bilder durch ihre Häuser geisterten. Man habe ihn gezwungen, sich außerhalb des Orts niederzulassen – die Projektionen verlören sich normalerweise nach sechs oder sieben Kilometern, weiter reiche die Psi-Kraft nicht. Außer in Ausnahmefällen, und von denen gebe es in letzter Zeit einige; wahrscheinlich sei der Komponist extrem konzentriert oder erregt oder was auch immer. Er habe mit Hilfe einiger Leute (Junge, die ihm helfen, und Alte, die ihn loswerden wollten) etwa zehn Kilometer vom Ort auf einer kleinen Anhöhe ein Haus gebaut. Es habe dort Reste älterer Gebäude gegeben, die er als Fundament nutzen konnte. Vor ein paar Monate hätten heftige Unwetter mit Regengüssen sowie ein kleines Erdbeben einen Teil der überbauten Ruinen freigelegt.

Yöröq kam oft mit Pferd und Wagen in die Stadt, um Nahrung und alles Nötige zu beschaffen; dabei hatte er von den freigespülten Ruinen erzählt. Zu diesem Zeitpunkt machte gerade ein Kartographenschiff der Flotte Station auf Tahonka – »Landurlaub« zur Unterbrechung ihrer Mission, Erst- oder Neuerfassung entlegener Systeme an der Grenze zum galaktischen Niemandsland. Die zahlreichen verschiedenen Wissenschaftler der Besatzung hörten von den Ruinen und sahen sie sich an, gruben ein wenig und stellten fest, daß dort vor Jahrhunderten eine Exil-Kommune früher Noastoa-Denker gehaust, gegrübelt, geschwelgt und geschrieben hatte. Man fand Aufzeichnungen und Hinweise auf weitere verschüttete Räume. Die Akademie von Atenoa bereitete eine Forschungs- und Grabungsexpedition vor, aber Pamela du Plessis, Spezialistin für die Frühe Noastoa, wollte sich schon vorher umschauen, kam nach Tahonka und quartierte sich bei Yöröq ein. Zwei Tage nach ihrer Ankunft zerstörte ein weiteres kleines Erdbeben die Wasserleitung zum Haus. Danach war Yöröq noch zweimal in Centro gewesen, um Nahrung und Wasser zu holen. Als der Komponist sich dann nicht mehr blicken ließ, wollte Dulac zu ihm fahren, kam aber nicht näher als etwa hundert Meter an die Behausung heran, die von einer dichtgepackten Horde Tontons umlagert war. Man habe mit einer Reparatur der Leitung begonnen, komme aber auch damit nicht näher an Haus und Hügel.

»Die sitzen also ohne Wasser da, belagert von Tontons?« Carteret schüttelte den Kopf. »Warum?«

»Weiß keiner«, sagte Dulac. Er starrte in seinen leeren Kaffeebecher. »Und solange sie nicht in Lebensgefahr sind, kann ich nichts tun.«

»Was sagen sie denn selbst? Man kann doch bestimmt mit ihnen sprechen, oder?«

»Nein.«

»Wieso nicht?«

»Hier gibt’s keinen Funk, keine Verstärker, nichts. Die Orthodoxen und die Technik, wissen Sie. Ein paar von den Jungen haben angefangen, wie in grauer Vorzeit Leitungen zu legen und das Telefon neu zu erfinden, aber …«

»Das erklärt, wieso Pamela sich nicht mehr bei mir gemeldet hat.«

»Dazu hätte sie zu mir kommen müssen.« Dulac deutete auf die Geräte an der Längswand des Raums. »Oder zum Raumhafen.«

»Sind Sie denn sicher, daß sie nicht längst verdurstet sind?«

»Die haben Eimer aufgestellt, für die Regenschauer. Und …« Dulac hob ein eigroßes Gerät, richtete es auf eine der zahlreichen Konsolen an den Wänden und drückte winzige Bedienelemente. Ein Bildschirm erhellte sich und zeigte Aufnahmen, die ein Flugobjekt gemacht hatte: ein dichter Wall aus graugrünen Kästen, Tontons, ein Hügel mit einem Holzhaus zwischen eingesunkenen Steinmauern, die fast freigelegte Ostseite des Hügels mit weiteren, besser erhaltenen Mauern und einer Treppe, die in die Tiefe führte. Aus der Tiefe tauchte Pamela du Plessis auf, winkte mit einem Papierbündel und lächelte in die Kamera; sie wirkte keineswegs niedergeschlagen, allerdings ein wenig verwahrlost und …

»So schmutzig kenne ich sie gar nicht«, sagte Carteret.

»Na ja, ich schicke mit dem kleinen Schweber Nahrung und Trinkwasser hin, aber für Waschwasser und andere schwere Lasten ist das Gerät zu klein. Für Personen sowieso.«

Die Kamera schwenkte und erfaßte einen Mann, den Komponisten, der eben aus der Tür seines schiefen Holzhauses trat und sich bereitmachte, die karge Fracht des Schwebers entgegenzunehmen. Er hielt ein Blatt in der Hand und wäre beinahe über einen der zahlreichen Bottiche gestolpert.

»Wünsche für die nächste Lieferung«, sagte Dulac. »Mehr Wasser und vielleicht doch ein bißchen Seife. Aber wie gesagt, für große Wassermengen ist der Schweber zu klein.«

»Wollen die nicht vielleicht doch … befreit werden?«

Dulac seufzte. »Wollen Sie. Aber wie soll das gehen? Die Gesetze sind eindeutig. Ich darf die Tontons nicht anfassen, wegschubsen, plattbügeln. Von Waffeneinsatz nicht zu reden. Und wie macht man Wesen, mit denen man nicht kommunizieren kann, klar, daß sie aus dem Weg gehen sollen?«

»Man müßte die doch irgendwie verscheuchen können. Auf Gebärden reagieren die doch wohl. Ich habe was von ›halbintelligent‹ gelesen.«

»Ungefähr so intelligent wie die Libaster von Harap. Oder, da Sie von der Erde kommen, etwas intelligenter als irdische Pinguine.«

»Die müßten aber doch mal weggehen, zum Essen, Trinken, Schlafen.«

»Die schlafen im Stehen«, sagte Dulac. »Zum Trinken reichen die netten Schauer, die Benetzung, und essen? Die leben von Pollen, oder sogar von nahrhaften Gerüchen, und schnappen Fluginsekten oder Echsenvögel aus der Luft.«

»Gibt es denn keine Gleiter, mit denen man die beiden abholen könnte?«

»Nichts. Wenn jetzt irgendwer hier landet, ein Frachter, der ein Beiboot hat, dann könnte man. Aber da liegt nichts an, erst in zwei Wochen. Und solange keine unmittelbare Lebensgefahr besteht, muß ich als Vertreter des Commonwealth die Gesetze hüten. Und mich an sie halten.«

»Was sagen die Leute hier? Könnte man nicht, was weiß ich, so was wie eine Miliz aufstellen, die nachts, wenn Sie gerade nicht hinschauen, die beiden da rausholt?«

»Die Leute hier?« Dulac schnaufte. »Die Orthodoxen wollen nur, daß Yöröq weit genug weg ist und sie nicht mit seinen Projektionen nervt. Die Jüngeren genießen die Projektionen. Für sie ist er so was wie ein Botschafter des Fortschritts. Und eine Miliz aufstellen? Ha. Eher kriegen Sie ein paar Sträucher dazu, einen Aufstand gegen nachwachsendes Gras zu machen.«

»Ich habe gelesen, daß die hier nichts von einem Staat oder derlei halten.« Carteret kniff ein Auge zu. »Wie ist das denn für Sie persönlich, da Sie doch das Commonwealth vertreten, wenn man das so sagen kann?«

»Ich vertrete es nicht – ich bin es, soweit es die Tonks betrifft. Die Honks … Persönlich? Na ja, als Person werde ich mit irgendwas zwischen Gleichmut und Gleichgültigkeit behandelt. Als Amtsträger bin ich gewissermaßen nichtexistent. Ein paar von den Jungen wollen, daß ich ihnen bei einer … nennen wir es Revolution helfe; aber das darf ich nicht. Von Amts wegen – keine Einmischung, klar?«

»Sie sorgen also nur dafür, daß die Robotabfertigung läuft, die Robotfabriken, all das, und wenn es irgendwo hakt, dürfen Sie die verklemmte Maschine ölen?«

Dulac lachte; es klang aber nicht heiter. »So ähnlich. Die haben irgendwann mal die Maschinen auf Pump gekauft und langlaufende Verträge mit Abnehmern geschlossen. Raten und Steuern – von denen die natürlich nichts wissen wollen – werden automatisch abgezogen, einbehalten; der Rest wird verteilt. Die Anlagen sind längst abbezahlt. Wollen Sie wissen, wie die Tonks den Kosmos sehen?«

Mungo hob beide Hände. »Verschonen Sie mich. Ich habe was von neocalvinistischer Theophagensekte gelesen; das reicht mir. An allgemeinen oder speziellen Formen von Aberglauben bin ich nicht interessiert. Jedenfalls nicht, solange ich mich nicht dagegen wehren muß.«

»Kluge Einstellung.« Dulac schloß einen Moment die Augen. Als er weiterredete, klang er beinahe versonnen. »Anfangs habe ich versucht, mich mit ihnen vertraut zu machen, wenn man das so nennen will.« Er öffnete die Augen wieder und bleckte die Zähne. »Ungefähr so sinnvoll wie der Versuch, mit den Tontons zu kommunizieren. Womit wir wieder bei Ihrem Problem wären. Wie wollen Sie Ihre Kusine da rausholen?«

»Gibt es denn überhaupt nichts an Fluggeräten außer dem kleinen Schweber?«

Dulac schüttelte den Kopf. »Nur das Orbitshuttle; das kann aber da nicht landen.«

»Und die von Ihnen gehüteten Gesetze verbieten es, die Tontons anzufassen oder wegzuschieben?«

»So ist es. Sogar bei unmittelbarer Lebensgefahr wäre es nicht einfach. Die liegt aber nicht vor.«

Mungo runzelte die Stirn. »Gibt es denn hier keinen, der sich mit den Tontons auskennt? Oder sich wenigstens für sie interessiert?«

»Hm. Also. Na ja, auskennen kann man das nicht nennen, aber es gibt einen alten Fabrikarbeiter …«

»Arbeiter? Ich denke, die Fabriken sind komplett automatisch.«

»Im Prinzip ja, aber ein paar Leute sind doch immer nötig, um hin und wieder einen Knopf zu drücken oder ein neues Rezept auszuhecken. Die Früchte, wissen Sie; die werden natürlich in Tunken oder Säften oder Saucen konserviert und exportiert. Der Mann, den ich erwähnt habe, hat sich damit beschäftigt. Und ein bißchen getüftelt.«

»So was wie ein Lebensmittelchemiker?«

»Hilfe! Das setzt eine Ausbildung voraus. Nein, der hat einfach so rumgespielt. Heißt Fritz Benguëla. Der hat sich auch mal für die Druckwellen und Duftmarken der Tontons interessiert.«

»Wo finde ich den?«

»Der kommt eigentlich jeden Abend her, um ein paar Bier zu trinken.«

In seinem Zimmer machte Carteret sich ein wenig frisch und zog ein neues Hemd an. Danach wandte er sich an den kompakt, den er auf den Tisch des Raums gestellt hatte.

»Du bist vermutlich ebenso nutzlos wie ich, Moloch; oder hast du etwas beizutragen?«

»Nichts, was helfen könnte.«

»Geben die ganzen Daten, die du gespeichert hast, noch was zu den Düften und Wellen der Tontons her?«

»Nichts, was über das hinausginge, was du mir eben erzählt hast.«

Carteret seufzte. »Und Pamelas Noastoa-Aphorismen sind unerreichbar.«

Wie in alten Zeiten Leute in ihren jeweiligen heiligen Schriften den Spruch zum Tag oder einen Zufallstrost gesucht hatten, war Carteret oft durch zufällige und weitestgehend abstruse Zitate von Pamelas Noastoa-Denkern zu Lösungen schwieriger Fälle gelangt.

Der Schädel räusperte sich. »Irgendwer hat mal gesagt, der Sklave kenne den Herrn besser als der Herr den Sklaven.«

»Was soll das jetzt?«

»Als wir noch auf der Erde waren, habe ich doch in deinem Auftrag mehrmals mit den Geräten der inzestuösen Kusine gesprochen. Um zu hören, ob sie sich gemeldet hätte.«

»Und?«

»Pamelas Haushirn hat natürlich Zugriff auf die Sprüchesammlung. Und da ich mir ausrechnen konnte, daß du irgendwann Rat und Hilfe brauchen würdest, habe ich ihren Rechner drei Sätze zum Thema ›Finden‹ suchen lassen.«

Mungo klatschte in die Hände. »Ich glaub’s nicht! Dann laß mal hören.«

»Ist das etwa eine Art Lob? Dein Unglaube?«

»Eitle Blechdose! Doch, ja, ich bin beeindruckt und dankbar. Stolz auf dich. Reicht das?«

»Es mag gelten.«

»Dann erbaue und stärke mich durch abgestandene Weisheiten, Moloch.«

»Brauchst du genaue Quellen? Namen von Denkern?«

»O bitte nein, nur die Sentenzen.«

»Wohlan denn. ›Auf dem Weg zum Wissen sind manchmal die ohne Füße schneller als die mit Stiefeln.‹«

»Aha. Und zweitens?«

»›Wenn du den Ursprung eines Duftes suchst, könntest du den After einer rosenfressenden Hyäne finden.‹«

»Aua.«

»Ich habe fast angenommen, daß du so etwas sagen würdest. Dritter und vorletzter Spruch: ›Der Kosmos ist so eingerichtet, daß immer ein reicher Glatzkopf den goldenen Kamm findet.‹«

»Schmerzhafte Wahrheit. Aber wieso vorletzter Spruch? Wenn du drei hast suchen lassen, wo kommt dann der vierte her?«

»Eine Art Zugabe, zu der sich Pamelas Rechner nicht äußern wollte. ›In einer Nußschale magst du dich als Herrscher der Unendlichkeit fühlen, solange du keinen Purzelbaum versuchst.‹«

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