Kitabı oku: «IN 80 JAHREN UM DIE WELT», sayfa 3

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»Na ja. Wissen suchen ohne Füße, rosenfressende Hyänen, ein goldener Kamm und Purzelbäume in einer Nußschale … Ob mich das weiterbringt? Ich wage zu zweifeln.«

»Das ist kein Wagnis.«

Gegen Sonnenuntergang füllte sich die Gaststube des Hotels. Dulac zapfte Bier, goß Wein und Säfte ein; eine Frau mittleren Alters, mit der ihn den ausgetauschten Blicken nach mehr als nur der gemeinsame Kneipendienst zu verbinden schien, servierte die von der Robotküche verfertigten Speisen. Die Gäste im linken Teil des Raums mieden Carterets Nähe; fast alle trugen dunkle Kleidung und strenge Mienen, die wie zu diesem Zweck hervorgesucht wirkten. Und sie tranken keinerlei Alkohol.

Einige jüngere Leute mit bunter Kleidung hielten sich rechts in der Gaststube auf, wie durch eine unsichtbare Wand von den anderen getrennt. Sie musterten Carteret mit offener Neugier, luden ihn dann ein, mit ihnen zu trinken, und überschütteten ihn mit Fragen nach den Zuständen auf anderen Welten. Da der von Dulac angekündigte Fritz Benguëla noch nicht aufgetaucht war, ließ Mungo sich von den jungen Leuten ausquetschen. Dabei erfuhr er, daß die »Alten« oder Ultras die »Jungen« wegen ihrer Aufmüpfigkeit »Müpfer« nannten, was diese als Ehrenbezeichnung übernommen hatten. Zwischendurch baten sie ihn in einen anderen Raum des weitläufigen Gebäudes, in dem sie eine Art Galerie eingerichtet hatten. Dort standen Bilder, Skulpturen und Musikinstrumente herum.

»Alles, was bei euch eigentlich verboten ist, wie?«

Eine junge Frau lachte leise. »Als ob wir Müpfer uns das noch verbieten ließen … Das ist vorbei. Aber es ist schwierig, an Dinge von außerhalb zu kommen. Dulac hat uns den Raum hier überlassen; er hilft uns, so gut er kann. Und Yöröq auch. Wie gefällt Ihnen das da?« Sie deutete auf ein Bild, das an der Kopfwand des Raums hing. Es zeigte eine Szene auf einem Wüstenplaneten: Kamelreiter mit Raumanzügen unter einem Himmel mit mehreren Monden oder anderen Planeten; im Vordergrund hockte ein seltsamer Gnom oder Kobold auf einer Sanddüne.

Mungo trat näher heran, um die Signatur R. Enari und den Titel zu lesen: Die Träume der Tontons. »Meinen Sie, die träumen von so was?«

»Sollten sie. Uns von ihrem grünen Planeten wegträumen, damit sie ungestört leben können.«

Jemand berührte Carterets Schulter. Es war Dulac. »Er ist jetzt da. Der Mann mit den Wellen und Gerüchen.«

Mungo bat die junge Frau, ihn bei den anderen zu entschuldigen, und folgte Dulac in die Gaststube. Der Mann mit grauer Kleidung, grauen Haaren, grauer Haut und grauen Augen, den Dulac ihm als Fritz Benguëla vorstellte, war zunächst ebenso verschlossen wie die meisten anderen Tonks, wurde dann aber beinahe überschwenglich, als Mungo sich nach den Druckwellen und Gerüchen der Tontons erkundigte.

»Ah, da gibt es Köstlichkeiten und unsäglichen Ekel.« Er schmatzte. »Ich rede von den Düften, natürlich. Die Wellen, tja, das ist etwas anderes. Kaum zu beschreiben. Wir können sie hin und wieder mit der Haut registrieren, aber was sie bedeuten, habe ich nie wirklich rauskriegen können.«

»Aber bei den Düften oder dem Gestank, je nachdem, sind Sie … soll ich ›bewandert‹ sagen?«

Benguëla gluckste und leerte sein Bierglas. »Wie genau wollen Sie es wissen?«

»So genau wie möglich.«

»Sofort?«

»Warum nicht? Bier auf meine Kosten trinken können wir später auch noch.«

Benguëla stand auf. »Na, dann kommen Sie. Ich hätte nicht gedacht, daß sich tatsächlich mal jemand dafür interessiert.«

Sein Haus lag an einer Straße, die vom Platz eher wegzustreunen denn wegzuführen schien. Er führte Carteret in einen luftdichten – »riechfesten« – Kellerraum, in dem auf Tischen und Kommoden allerlei Flaschen, Krüge, Phiolen, Glasröhren, Tiegel und Töpfe standen.

»Setzen Sie sich.« Er schob ihm einen Block und einen Stift hin. »Am besten notieren Sie, was Ihnen bei den einzelnen Gerüchen durch den Kopf geht. Damit Sie so was wie einen Überblick, uh, Überruch behalten.«

»Was mir durch den Kopf geht? Nicht was ich rieche?«

»Ah ah ah. Die Nase erschließt das Gedächtnis, wissen Sie, und Erinnerungen oder Bildassoziationen können wir uns besser merken. ›Großmutters alte Socken‹ zu notieren ist außerdem leichter, als wenn Sie versuchen wollten, die Duftmischungen mit nasalen Adjektiven zu versehen.«

Carteret dachte noch über nasale Adjektive nach, als Benguëla ihm ein Objekt reichte, das eine Kombination aus Trichter und Gasmaske zu sein schien.

»Setzen Sie sich das auf die Nase«, sagte er. »Die Wirkung ist dann für Sie intensiver, ohne den ganzen Keller zu verseuchen.«

»Und wenn ich’s nicht mehr aushalte?«

»Dann nehmen Sie die Duftmaske einfach ab.«

»Erzählen Sie mir doch erst noch, woher Ihre Kenntnisse stammen. Und was all das hier bedeutet.«

Benguëla schien zu zögern. »Knapp oder ausführlich?«

»Nur so, daß ich besser mit meinen Zweifeln umgehen kann.«

»Hm. Also. Dulac hat Ihnen wohl erzählt, was ich gemacht habe, oder?«

»Fabrik, Lebensmittel, Konserven, Tunken?«

»Ja. Lassen wir das beiseite. Ich bin keiner von den Ultras, wissen Sie; als damals dieser Komponist hier aufgetaucht ist und die anderen ihn aus der Stadt jagen wollten, habe ich ihm ein bißchen geholfen. Wasserleitung legen, Haus bauen, Sie verstehen? Zusammen mit ein paar von den Jungen. Beim Bau von Yöröqs Haus mußten einige Ruinen beseitigt werden, unter denen sich weitere, ältere Ruinenteile fanden. Nämlich die, die jetzt freigespült worden sind und in denen Ihre Kusine wühlt. Die haben wir aber nicht angetastet, nur die oberen. Ich habe auch beim Buddeln mitgemacht, aus reiner Langeweile.«

»Oft ein vorzüglicher Beginn für etwas Aufregendes, so eine gepflegte Langeweile.«

»Ha ja ja. Dabei ist so einiges aufgetaucht. Wir haben Maschinenreste gefunden, alles kaputt, unbrauchbare Datenträger – und eine Metallkiste voller Papiere. Kann man gut verbrennen, sagen die Ultras, aber nicht mit einem Knopfdruck löschen.«

»Und dabei …«

»Genau. Die Kiste war mit Initialen versehen, G. P. Irgendwo in den Papieren stand dann auch der Name Galadriel Pfung. Die hat wohl mit etwas, was sie Emotiotaster oder an einer anderen Stelle Stimmungsanalytiker nennt, eine Gruppe Tontons untersucht. Oder mehrere. Und dabei einen langen Katalog von Gerüchen und Reaktionen erstellt. Samt Hinweisen, mit welchen Substanzen die Düfte hergestellt werden können. Hat sie wohl alles zurücklassen müssen, als sie dann von den Ultras verjagt wurde.«

»Und dann haben Sie …«

»Nicht allein; Yöröq hat mir sehr geholfen. Er macht ja nicht nur melancholische Musik; er hat auch Ahnung von allen möglichen Wissensgebieten, von denen wir hier am Rand des Universums nur träumen können. Er hat einen Katalog mit achtzig Basisdüften erarbeitet; wenn man Nuancen und Abwandlungen dazunimmt, sind es mehrere hundert.«

»Na schön; das reicht mir zuerst mal. Fangen Sie an.«

Benguëla begann, mit Löffelchen und Pipetten zu hantieren. Aus den zahlreichen Behältern nahm er jeweils ein paar Tropfen oder Stäubchen, trug sie auf kleine Wattebälle auf und steckte diese mit Hilfe einer Pinzette in die dafür vorgesehene Öffnung der Duftmaske.

»Nummer drei«, sagte er. »Eins und zwei lasse ich mal weg, die sind zu scheußlich.«

»Uh«, sagte Carteret schwach. Der Geruch, falls man es so nennen konnte, erinnerte ihn an einen frischen Misthaufen, dessen Dampf sich mit saurem Wein mischte.

»Was bedeutet der Gestank?«

Benguëla schnalzte leise. »Wenn Sie das schon als Gestank werten, bin ich gespannt, was Sie zu den Düften elf bis siebzehn sagen. Das hier, Nummer drei, ist bei den Tontons so etwas wie die Aufforderung, sich zu einer kleinen Gruppe zu gesellen.«

»Hah.«

»Nummer fünf: Einladung zu einem Ritualtanz.«

Carteret würgte leise und notierte »verwesende Nachgeburt eines Schafs«. Nummer sechs (gemeinsame Nahrungsaufnahme): »Windel eines kranken Säuglings.« Nummer sieben ließ ihn an Wind denken, der über Apfelblüten streicht – »Gefahr«; Nummer acht, Wolke aus dem Auspuff eines antiken Benzinwagens, war »Willkommensgruß für eine entfernte Sippengruppe«. Erinnerungen: ein Orangenhain in Andalusien; Tigerkot zwischen verrotteten Blättern in einem Dschungel in Assam; der Geifer eines baktrischen Kamels, das sich gegen den Packsattel sträubt; der Schoß einer Frau nach hitzigem Sex; das Zerschneiden einer erlegten Robbe vor einem Iglu; die eigene Achselhöhle nach langem Holzhacken; eine frische Bienenwabe, über der ausgestreckten Zunge der Gespielin ausgewrungen; zwei auf dem Fußboden zerbrochene Flakons in einer Parfümerie in Grasse; der große Maischbottich in einer irischen Brauerei; die von Pumas und einem Kondor zerfetzten Eingeweide eines Guanakos; wie ein Würgegriff an der Kehle der Hauch einer Bittersaline; Teeblätter auf einem Komposthaufen im Herbst; Windstille und Hitze zwischen zwei Dünen in Nordafrika; drei schwarze Rosen neben halbvollen Weingläsern; Tang und Salz in der Abendbrise am Strand von Nuzuarán; der Mund einer Frau nach dem Genuß eines Apfels; Schnee auf Zedern; schwarzer Kaffee und Rauchkringel aus einer karibischen Zigarre; Morgenverkehr im Zentrum von Atenoa mit einer E-Rikscha, in der sich ein Passagier erbrochen hat; Cidre, vergossen auf einem frischgewaschenen Tischtuch unter einem Pflaumenbaum; Kienäpfel und Fichtenzweige in einem Feuer; die Riechspuren eines Mähnenwolfs im Gehege; mürbe Füße und Schuhe dreier Wanderer auf einer Terrasse; Schichten von tierischer Angst und Gestank in einem Schlachthof; Sesam und Lilien; das Grauen der Ausdünstung eines namenlosen Ungeheuers in einer Höhle; eine Gerberei auf einem der Deneb-Planeten; gebratene Lammschulter und Rum; Metall, Plastik und altes Gemüse im Hangar eines Frachtsatelliten; Morgentau, Geißblatt und Flieder nach einer Liebesnacht; der Atem eines sterbenden Greises; ein Hauch von Nerz auf nackter Haut; Gerüche, die Lust oder Schmerz oder Einsamkeit bedeuteten, ohne wirklich Bilder zu liefern; und irgendwann nahm Mungo die Maske ab und stöhnte.

»Ich kann nicht mehr. Sind das ausnahmslos Mitteilungen? Syntax und Grammatik der Gerüche bei den Tontons?«

»Es gibt noch mehr.« Benguëla legte Pipetten, Pinzetten und Watte beiseite und verschloß die letzten offenen Phiolen. »Aber immerhin haben Sie jetzt einen Eindruck bekommen. Schön, nicht wahr?«

»Ich weiß nicht, ob ›schön‹ das richtige Wort ist. Also, die können all diese Geruchsinformationen aufnehmen und verarbeiten?«

»Und darauf reagieren, ja.«

»Bis in welche Entfernung riechen die Tontons denn?«

Benguëla rümpfte die Nase. »Weiß keiner genau, aber je nach Windrichtung und Windstärke mindestens zwanzig bis fünfundzwanzig Kilometer. Warum?«

Carteret schloß die Augen und rieb sich die Schläfen. »Mir ist da eben ein Gedanke gekommen …« Er öffnete die Augen wieder. »Ziemlich unmöglich, aber man wird sehen. Wie ich gelesen habe, brauchen die Tontons nicht viel Nahrung, oder? Sporen, Pollen, Flatterechsen, was so herumfliegt, dazu die … eure Benetzung, und damit können sie wochenlang auskommen – stimmt das?«

»Nach allem, was wir wissen, ja.«

»Die könnten also noch monatelang da stehen und diesen Belagerungsring bilden? Hm.« Mungo griff zu dem Papier, auf dem er Duftnummern und Impressionen notiert hatte. »Also«, sagte er halblaut, »Nummer dreiundzwanzig bedeutet ›unbedingt hierbleiben und auf einen wunderbaren Vorgang warten‹, ja?«

»So ungefähr.« Benguëla wackelte mit dem Kopf. »Da gibt es unerforschte Nuancen, aber im Prinzip kommt das hin.«

»Und die Nummer hundertsieben …«

»›Große Gefahr, fliehen‹? Was ist damit?«

»O der After einer rosenfressenden Hyäne«, sagte Carteret. »Haben Sie von dem Zeug genug, um größere Mengen Watte zu tränken?«

Bei einer letzten Besprechung, an der auch einige der Müpfer teilnahmen, sagte einer von ihnen, vielleicht sollte man zusätzlich auch Schwingungen oder Druckwellen bedenken.

»Wie meinen Sie das?«, sagte Carteret.

»Könnte doch sein, daß die von Yöröq mit seiner Phantomorgel erzeugten Schallwellen von den Tontons als angenehmer Druck empfunden werden und sie zusätzlich dort festhalten.«

Mit einer letzten Wasserlieferung übermittelten sie dem Komponisten die schriftliche Bitte, vorübergehend keine Musik zu machen. Als das kleine Fluggerät wieder vor dem Hotel gelandet war, beluden sie es mit Benguëlas Erzeugnissen.

Dulac übernahm die Fernsteuerung des Schwebers, dessen Kamera alle Vorgänge erfaßte. Sie starrten auf den großen Bildschirm im Büro. Als der Schweber gekippt wurde und die Hälfte der Ladung abwarf, hatte Carteret das Bedürfnis, sich die Nase zuzuhalten, ebenso beim Abwurf der Restladung jenseits des Hügels. Die kleinen Behälter aus dünnem Glas fielen auf den Wall aus Tontons und barsten. Mungo hoffte, daß dabei keines der seltsamen Wesen verletzt würde. Ein paar Echsenvögel flatterten von den Tontons auf, ebenso ein Schwarm von Insekten. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis im Wall Unruhe entstand und wellenförmig nach außen lief. Zehn Minuten nach dem Abwurf der ersten Ladung hatte sich an der der Stadt zugewandten Seite des Hügels eine Schneise gebildet, die sich schnell verbreiterte. Tontons zogen in Scharen ab, weg vom Hügel, hinaus in die Steppe, schienen zwischen Gesträuch und Baumgruppen zu versickern,

»Jetzt können wir sie abholen«, sagte Dulac.

»Manche Dinge sind dringend«, sagte Pamela, »andere mindestens ebenso.« Sie hatte gründlich geduscht und dabei wahrscheinlich den kompletten Wasservorrat des Hotels verbraucht. Dann war sie, halb abgetrocknet, zu ihm zwischen die Laken geschlüpft, um andere Dringlichkeiten zu erledigen. Mungo fühlte sich angenehm erschöpft und verschwitzt und genoß den Duft der beiden Körper.

Dann kicherte er. »Du wirst gleich wieder duschen müssen«, sagte er.

»Noch nicht.« Ihre Hand kroch über seinen Bauch.

»Hilfe; laß mich ein paar Momente verschnaufen.«

»Aber nur ein paar Momente. Stiefzwilling – wie bist du bloß darauf gekommen?«

»Ich habe bei einem bestimmten Duft, den Benguëla hergestellt hat, mit Wonne daran gedacht, wie du nach gründlichem Beilager riechst und schmeckst. Für die Tontons eine unwiderstehliche Verheißung von Nahrung im Überfluß und anderen wunderbaren Dingen. Du hattest da sehr viele napoleonische Verehrer, Marie-Louise.«

»Warum nennst du mich jetzt so? Und was hat das mit Napoleon zu tun?«

»Der war neben anderen Dingen auch ein spezieller Geschmäckler. Hat angeblich mal an die Kaiserin geschrieben, er werde bald eintreffen, sie solle sich nicht mehr waschen – ne vous lavez pas, j’arrive

»Ah.« Sie lachte leise und ließ die Hand abwärts wandern. »Das hat angefangen, als die Wasserleitung kaputt war und wir uns nicht mehr waschen konnten. Zwei Tage danach sind die Tontons aufgetaucht.«

»Stinken die eigentlich?«

»Die Tontons? Also, stinken wäre übertrieben, aber da war irgendwas ganz Dumpfes in der Luft.«

»Wahrscheinlich die Aufforderung an euch, weiter zu miefen. Wie hat denn der Komponist gerochen?«

»Yöröq? Der ist ziemlich geruchlos, hat sich bei der Wasserknappheit notfalls mit Wein gewaschen.«

»Wie originell. Und – hat sich deine Noastoa-Expedition gelohnt?«

»Muß ich erst noch auswerten, aber … nein, eigentlich nicht. Ziemlich dünnes Denkzeug, was die hier abgesondert haben. Dunk, gewissermaßen. Erinnert mich ein bißchen daran, daß frühe Kritiker die halblateinische Noastoa, nova stoa griechisch aufgefaßt haben – noa, dumm. Aber jetzt bist du hier, Mungito, insofern hat sich alles gelohnt. Also, danke für das scheußliche Streugut. Und jetzt laß uns …«

»Was?«

»Das.«

»Hussa.«

Für Jörg zum 21.12.2020

Die alte Rechtschreibung und die Zeichensetzung

begründen sich im ausdrücklichen Wunsch des Autors.

Anmerkungen

1 »Neue Stoa«: ursprünglich wohl aus einer Art »Heimweh nach gegliederter Unordnung« von oft bizarren Denkern gegen Ende der Wirren Jahrhunderte auf verschiedenen Weiten entwickelt; zunächst als »konfuzianisches Freistildenken«, »grecoromanische Chinoiserie« oder »Windbeutel-Stoa« bezeichnet. Später auf Gaia formalisiert und verbindlich gemacht durch Dorji Dyogen Bahadur (67–181 CT) und Ashme Zuvarov Chou (112–201), die ersten Modulatoren des der Großen Akademie von Atenoa angeschlossenen Peripatio. Für Karrieren in Staatsdienst, Diplomatie, Justiz etc. ist ein mit Diplom/Examen beendetes Studium der Noastoa obligatorisch.

2 Wegen zahlreicher schmerzhafter Fehlfunktionen damals auch »Emo-Toaster« genannt.

3 Servis Investigativo del Commonwealth, zentrale Ermittlungsbehörde mit Büros und Agenten auf den meisten Welten; im Zweifelsfall den örtlichen Polizeidiensten übergeordnet.

4 Hohe Gewächse mit schwarzem Laub, Nist- und Schlafplätze der Kelasker, großer Flugechsen, die hin und wieder Tontons jagen oder von diesen gegessen werden.

Mein Freund Jörg. Fröhliche Erinnerungen von Thomas Le Blanc

Wir haben uns in den späten 1970ern kennengelernt, in einem anderen Jahrhundert, in einer anderen Zeit.

Die Bundesregierung residierte noch in Bonn, die Mauer in Berlin stand noch, es gab noch zweierlei Deutschland. Im Fernsehen babbelte sich Heinz Schenk durch den Blauen Bock, die Bahn fuhr deutlich langsamer als heute, war dafür aber pünktlich, und das Standardlexikon hieß noch Brockhaus und stand schwer und zwanzigbändig im Bücherregal. Das Internet war noch nicht erfunden, Mobiltelefone waren backsteingroß und backsteinschwer, und für jede Form der Kommunikation war noch das Staatsunternehmen Deutsche Bundespost mit hoheitlichem Festnetz und ersten Experimenten in Richtung Btx zuständig. Von E-Mails träumte allein die Science-Fiction, und alle zukunftsgläubigen Science-Fiction-Autoren schrieben ihre Texte noch auf der Schreibmaschine und verschickten sie per Brief.

Der Heyne Verlag startete mit Wolfgang Jeschke als verantwortlichem Science-Fiction-Redakteur durch, Perry Rhodan war mit Willi Voltz als Exposéentwickler auf der Höhe seines Erfolgs, die deutsche Fantasy befand sich mit Michael Ende erst in ihren Anfängen, Wolfgang Hohlbein schrieb noch gar nicht, und Tolkien war gerade erst gestorben. Und das Genre Science-Fiction existierte, trotz seines stetig wachsenden Erfolgs bei den Lesern, unterhalb einer öffentlichen Wahrnehmungsschwelle, denn Literaturwissenschaft und Feuilleton begegneten ihm mit gleicher Ignoranz.

Doch da tauchten mit Jörg und mir ziemlich gleichzeitig zwei Freelancer auf, die sich in Tageszeitungen, allen voran in der WELT, wohlwollend kritisch und vor allem einführend mit Science-Fiction befassten und diesem Genre endlich seine verdiente Reputation vorbereiteten.

Jörg registrierte meinen Namen1, und ich las ebenso seinen Namen, und wir stellten fest, dass wir in denselben Medien dasselbe Thema behandelten. Also mussten wir uns kennenlernen, denn es ging um die Frage, ob wir als Konkurrenten oder als Freunde arbeiten wollten. Ich schrieb ihm am 10. September 1977 einen ersten Brief2, er antwortete bereits vier Tage später3, wir korrespondierten daraufhin mehrfach, telefonierten auch, und schließlich trafen wir uns am 23. Mai 1978 das erste Mal4 in Bonn, wo Jörg damals im ZDF-Hauptstadtstudio arbeitete. Als wir zwei Stunden miteinander geklönt und festgestellt hatten, dass wir durchgehend auf derselben Wellenlänge lagen, da wussten wir, dass wir Freunde werden würden.

Fortan stimmten wir unsere Arbeit aufeinander ab. Und als die linke Neidfraktion der Science Fiction Times, die publizistisch alles niedermachte, was nicht auf ihrer politischen Wellenlänge funkte oder wenigstens über ihre Agentur Utoprop vermittelt wurde, hämisch konstatierte, dass keine von Jörg Weigand herausgegebene Anthologie ohne einen Text von Thomas Le Blanc veröffentlicht wurde und umgekehrt kein von Thomas Le Blanc zusammengestelltes Buch ohne einen Beitrag von Jörg Weigand erschien, da beschlossen wir mit diebischer Freude, diese wechselseitige Reverenz zu unserem Markenzeichen zu machen. Das bedeutete allerdings nicht, dass wir kritiklos alles nahmen, was der andere anbot. Wir redigierten unsere Texte wechselseitig, wie wir das auch bei allen anderen Kollegen taten, stets die Idee und die literarische Qualität im Blick. Und es geschah sogar das Seltsame, dass ich die erste Story, die Jörg mir für eine Anthologie anbot, nämlich »Sonnensegel«, zunächst als zu flach ablehnte, weshalb er sie anderweitig publizierte5, und ich ihre Qualität erst später begriff6 und sie heute für seinen eindrucksvollsten Text halte.

Das Du bot mir Jörg bei einem verträumten Pils an einer spätnachmittäglichen Theke in Wetzlar an, die den Vorabend7 einer kleinen Tagung im August 1981 einleitete, zu der ich allerlei Journalisten, Schriftsteller, Verlagslektoren und Buchhändler eingeladen hatte und die zwei Jahre später rückwirkend zu den »1. Wetzlarer Tagen der Phantastik« erhoben wurde.

Fortan sahen wir uns regelmäßig, da ich mindestens einmal pro Quartal die Kulturredaktion der WELT in Bonn mit meiner Anwesenheit beglückte und mich dazu in meinen unverwüstlichen VW Polo setzte und dann via Limburg die A3 Richtung Köln nahm, Abfahrt Siebengebirge die Berge runter kurvend ins Rheintal, dann die Konrad-Adenauer-Brücke rüber in die Godesberger Allee, wo ich zunächst in der WELT und später auch im RHEINISCHEN MERKUR meine erledigten Aufträge ablieferte und neue akquirierte. Anschließend ging’s in die Rheinaue in den Langen Grabenweg, wo mich Jörg an der Pforte des ZDF-Studios abholte und in der Cafeteria dann eine lange Arbeitspause einlegte – die allerdings manchmal abgebrochen werden musste, denn auch im beschaulichen Bonn wurde gelegentlich Politik gemacht.

Da er beim ZDF sein Brot als politischer Redakteur verdiente, sah ich ihn damals auch alle paar Wochen in »heute« oder in einem Nachrichtenmagazin, allerdings nur mit seinem halb angeschnittenen Hinterkopf, wenn er mal wieder einem Regierungsmitglied oder einem anderweitig wichtigen Bonner Politiker für ein Statement ein Mikrophon unter die Nase hielt, sodass ich über viele Jahre hinweg verfolgen konnte, wie sein Haar auch am Hinterkopf schütter wurde.

1996 nahte dann der Abschied von Bonn; er ging in Pension, verließ nicht nur das ZDF, sondern zog gleich nach Südbaden, aus dem stickigen Bonner Kessel in den mediterranen Breisgau. Statt nun seine Pension genügsam zu verfuttern, startete er jetzt publizistisch richtig durch. Ein Buch folgte dem anderen, seine zahlreichen Reisen finanzierte er sich mit Gruselkrimis unter weiblichen Pseudonymen, und mit seiner zweiten Frau schrieb er fast um die Wette.

Unsere Treffen intensivierten sich im neuen Jahrtausend auf andere Weise. Jedes Mal, wenn er Urlaub auf Föhr macht8, unterbricht er seine Süd-Nord- oder Nord-Süd-Fahrt in Wetzlar für eine Nacht, und dann sitzen Jörg, Karla und ich abends im »Postreiter« und erfreuen uns an einer bürgerlichen Speisekarte, die von einem Koch verwaltet wird, der gerne auch auf Jörgs lukullische Wünsche eingeht und der uns beibrachte, wie Tonka-Eis schmeckt. Als kulinarischer Banause, der ich über die Bedienung meiner Mikrowelle nie hinausgekommen bin, lerne ich jedes Mal von ihm, was Essen eigentlich bedeutet – denn er erzählt regelmäßig von der zweiten Reiseunterbrechungsnacht, die er in Düsseldorf verbringt, wo er Monikas Küche okkupiert.

Und heute? Heute telefonieren wir meist einmal pro Woche; wir haben oftmals keinen Anlass, sondern nur den Grund, mit ein paar Worten unsere Freundschaft zu pflegen, und es ist mir stets eine Freude, seine Stimme zu hören. Mir ist es aufgrund meiner Reisefaulheit erst zweimal gelungen, ihn in Staufen zu besuchen; er dagegen nutzt die vielfältigen Angebote, die die Phantastische Bibliothek bietet, um nach Wetzlar zu kommen. Und obwohl die Science Fiction Times und ihre Genossen längst dem gnädigen Vergessen anheimgefallen sind, ist jeder von uns beiden immer noch in jeder Anthologie des anderen mit einer Story vertreten. Die gegenseitige Einladung sichert uns unsere Kreativität, mit der wir unsere Welt definieren. Jörg ist es auch gewesen, der eine singuläre Anthologie9, die als Begleitung der »31. Wetzlarer Tage der Phantastik« produziert wurde, zum Start einer erfolgreichen Serie erhob, der er auch mit »Phantastische Miniaturen« den aussagekräftigen Titel verpasste und die mittlerweile längst die 40 Bände überschritten hat. Ich unterziehe mich der Arbeit, für immer wieder neue verrückte Storys zu werben, mit unbändiger Freude, und ich danke ihm für die Idee.

Fazit: So schwer ich mich tue, Freunde fürs Leben zu finden, so darf er sich zu den engsten Freunden zählen, zu den Menschen, die mein Leben prägen.

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