Kitabı oku: «Jesus Christus», sayfa 5
Charakteristisch für den durchaus pluralen Jhwh-Monotheismus in der Zeit des Zweiten Tempels (520/515 v. Chr. – 70 n. Chr.) ist eine Integration angelologischer Elemente und die Entfaltung einer Angelologie und Dämonologie. So kann Jhwh in persischer und hellenistischer Zeit mit himmlischen Wesen umgeben werden, wodurch seine Majestät unterstrichen, seine Transzendenz hervorgehoben und – gegenüber einer wachsenden Zahl von bösen Engeln und Dämonen (vgl. 1Henoch 6–9) – seine Güte betont werden sollen (vgl. Tob 3,16; 12,15). Der Monotheismus bleibt gewahrt, erhält |46|aber leicht dualistische Züge (vgl. tendenziell Hi 1,6–12; Jubiläen zu Gen 22).
In diesem Milieu eines vielfältigen Glaubens an den einen und einzigen Gott, der als solcher auch der allein Gute ist (hebr. ṭôb, griech. ὀ ἀγαθός/ho agathos, vgl. Nah 1,7; Ps 119,68; 145,9; Klgl 3,25; Sir 45,25 [H]; Mk 10,18; Lk 18,19) und der gleichwohl von einer Schar himmlischer Mittlerwesen und Figuren unterschiedlicher Klassen umgeben wird (vgl. Hi 33,23, Tob 3,16; 12,12.15; 4Q400–407), tritt Jesus selbst auf (vgl. Mk 1,13; Mt 13,41; Joh 5,4) und entsprechend wird seine Person von den neutestamentlichen Autoren interpretiert (Collins/Yarbro Collins 2008).
Auch wenn die Anfänge des Jhwh-Monotheismus historisch ungewiss sind und der Jhwh-Monotheismus letztlich analogielos ist, so gilt dem Alten Testament als Ursprung der Alleinverehrung Jhwhs das Wesen dieses Gottes selbst: Jhwh ist der ʼel qannāʼ, ein um sein Ziel eifernder Gott (Ex 20,5–6; 34,14; Num 25,11–13; Dtn 4,24; 5,9; 6,15). Dabei bezieht sich Jhwhs Eifer auf die Absolutheit seiner Beziehung zu seinen Verehrern und Verehrerinnen und auf die Unbedingtheit seiner Anerkennung. Im Eifer Jhwhs drücken sich seine Liebe und Heiligkeit aus. Insofern Liebe und Heiligkeit aber durch Ausschließlichkeit, Einzigartigkeit und Personalität charakterisiert werden, ist in Jhwh selbst der Monotheismus angelegt. Im Licht der Eiferheiligkeit Jhwhs ist die vor allem von (spät-)deuteronomistischen Theologen vorgenommene Stilisierung einzelner prophetischer Gestalten, zumal Elias (1Kön 18; 2Kön 1,2–17) und Jeremias (Jer 11–20*), zu sehen, die sich bedingungslos für die Verehrung Jhwhs eingesetzt haben und die als solche das Vorbild für die Darstellung Jesu als um die Heiligkeit Jhwhs eiferndem Propheten lieferten (Mk 11,15–19 par.; Lk 13,34) (s.u. 4.6.2.).
Flankiert wird die Betonung der Einzigartigkeit Jhwhs durch die ambivalente Beurteilung älterer, auch in der Jhwh-Verehrung geübter Praktiken und zeitgenössischer nichtjahwistischer Kulte. Das Bilderverbot zeigt sich hier als ein Korrelat des Alleinverehrungsgebots (Jes 40,18–20; 44,9–11; 46,5–8) und ist Ausdruck der religiösen Abgrenzung und Identitätsbildung des Judentums der persischen und hellenistischen Zeit. Je weiter im antiken Judentum die Tora ins Zentrum des Glaubens tritt, desto stärker fällt die |47|Kritik an Kultbildern aus. Dabei nimmt die Tora als die nun autoritative Vergegenwärtigung Gottes selbst die Rolle eines Kultbildes an (1Makk 3,48). Begleitet wird diese Form des schriftbezogenen Kultes durch beißenden Spott an den Götterbildern der das Judentum umgebenden Religionen (Bar 6; SapSal 13–15; DanBel), was in hellenistisch-römischer Zeit einerseits Befremden bei den zeitgenössischen Kulten auslöst, andererseits auf gewisse Sympathie in paganen philosophischen Kreisen stößt (Hengel 1988: 475; 540; 555).
Als eine Verschärfung des alttestamentlichen Bilderverbots lässt sich die neutestamentliche Titulierung Jesu Christi als wahres Bild Gottes lesen, in der die Motive von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen (s.o. 4.2.) und der Weisheit als Abglanz der Herrlichkeit Gottes (SapSal 7,24–26; vgl. Hebr 1,3) zusammenfließen: Ist nach Gen 1,26 allein der Mensch ein legitimes Gottesbild, so ist nach Kol 1,15–16 allein Jesus Christus das wahre Gottesbild.
4.5. Gott als der Heilige oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Heiligkeitsvorstellungen
Die Mehrzahl der in die Komposition der Sinai-Perikope sukzessiv eingefügten Gesetze betrifft Fragen des Kultes (Ex 25–31; 34–40; Lev; Num 1–10 u.v.a.), thematisiert damit die Trennung zwischen heilig (sakral) und unheilig (profan), rein und unrein und berührt so die Vorstellung von Gott als dem schlechthin Heiligen. Insofern sich der Mensch aufgrund seiner Geschöpflichkeit und Sündhaftigkeit von dem heiligen Gott getrennt erfährt (Jes 6,5), ist der Kult Medium und Ort, in dem er die segensreiche Anwesenheit Gottes erfahren und Kontakt mit Gott aufnehmen kann.
Unabhängig von der Frage, ob es sich im Einzelfall der im Kontext der Erzählung vom Aufenthalt Israels am Sinai als sichtbare Artikulationen der Verehrung Jhwhs des Heiligen durch sein heiliges Volk Israel (Ex 19,6; Dtn 7,6) eingeführten Kultgesetze und Riten um tatsächlich ausgeführte oder virtuell erlebte handelt, beinhalten die alttestamentlichen Kultvorschriften ein umfangreiches Tableau von Motiven und Traditionen, die im Neuen Testament im Blick auf Jesus Christus rezipiert werden. In erster Linie betrifft dies Vorstellungen|48| vom Tempel, vom Priester, vom Opfer und von der Sühne, in zweiter Linie auch die Feste und die unterschiedlichen Formen des Gebets des Alten Testaments, vor allem im Psalter, insofern dieser im Judentum zur Zeit Jesu das wesentliche Gebet- und Meditationsbuch darstellte, Jesus selbst Psalmen betete und der Psalter das im Neuen Testament (nicht nur im Rahmen der Christologie) am häufigsten zitierte alttestamentliche Buch darstellt.
Für die israelitisch-jüdischen Vorstellungen vom Tempel ist grundsätzlich entscheidend, dass dieser als Platz der Verehrung Jhwhs und als irdische Wohnstätte (hebr. bayit/Haus bzw. hêkal/Palast) gilt. Im Tempel sind die heilvolle Nähe und der Segen Gottes erfahrbar, was metaphorisch als Leuchten des Angesichts Gottes (Num 6,24–26; Ps 95,6; 119,135; vgl. 2Kor 4,6) oder als Sein im Licht Gottes (Ps 27,1; 36,10; vgl. Joh 8,12) ausgedrückt werden kann.
Dabei entwickeln sich im Verlauf der israelitisch-jüdischen Literatur- und Religionsgeschichte vor allem vier tempeltheologische Konzeptionen, welche die Spannung zwischen der Vorstellung von Gottes Wohnen im Himmel und im Tempel auf der Erde zu lösen versuchen. Erstens kann der Tempel als der Ort verstanden werden, an dem sich dank Gottes unsichtbarer Gegenwart Himmel und Erde berühren (Jes 6,1) – der Tempel ist demgemäß der Fußschemel Jhwhs (Ez 43,7; Klgl 2,1; Ps 99,5). Zweitens kann der Wohnort Jhwhs nur im Himmel gesehen werden, während der Tempel das Himmelstor darstellt (Gen 28,10–22). Drittens kann, so vor allem von der Priesterschrift, die Anwesenheit Jhwhs als mittels seiner Herrlichkeit (hebr. kābôd, griech. δόξα/doxa) im Tempel präsent gedacht werden, wobei die Herrlichkeit als übersinnliche Lichtgestalt verstanden wird (Ex 40,34–35). Viertens findet sich die vor allem von deuteronomistischen Theologen entfaltete Vorstellung, dass Jhwh selbst im Himmel wohnt, aber sein Name (hebr. šem, griech. ὄνομα/onoma) als Ausstrahlung seiner Person im Tempel gegenwärtig ist (Dtn 12,5).
Noch während des Bestehens des Zweiten Tempels und neben dem dort geübten Kult vollzieht sich in hellenistischer Zeit – befördert durch die Diasporasituation, die Konkurrenzsituation verschiedener Jhwh-Heiligtümer in Jerusalem und Samaria, auf der Nilinsel Elephantine und ab etwa 170 v. Chr. im ägyptischen |49|Leontopolis (Tell el Yahudiya) sowie durch einen auch in der paganen Geistes- und Religionsgeschichte nachweisbaren Individualisierungsschub – eine vielfache Übertragung tempeltheologischer Konzeptionen: erstens auf die persönliche Frömmigkeit, was sich in den sogenannten »nachkultischen Psalmen« (vgl. Ps 73; Stolz 1983) niederschlägt, zweitens auf die Tora, die als eigentliches Heiligtum angesehen wird, so dass die Lektüre in ihr den am Tempel vollzogenen Kult ersetzen kann (vgl. Ps 1; 19; 119; 1QHa XIV,10–18; XVI; 4Q400–407), und drittens auf eine sich selbst als wahre Jhwh-Gemeinde verstehende Gruppe, die sich dann als Tempel bezeichnen kann (vgl. 1Kor 3,16–17; 6,19; 2Kor 6,16; 1QS VIII,5; IX,6; 1QSb III,25–26; 4Q174 Frag. 1 I,21,2,6). Letzteres findet seine radikale Zuspitzung in der Vorstellung, dass Jesus Christus selbst der neue Tempel ist (vgl. Mk 14,58). Zu deren Entfaltung haben literarisch auch eschatologische Motive eines neuen Heiligtums (Ez 40–48; Apk 21) und historisch die Erfahrung der (endgültigen) Zerstörung des Jerusalemer Jhwh-Tempels 70 n. Chr. beigetragen (Ego/Lange/Pilhofer 1999; Horn 2013).
Für die Ausübung des Kultes ist das Kultpersonal, die Priesterschaft, verantwortlich. In der israelitisch-judäischen Königszeit und in der Exilszeit bildete sich eine feste Jhwh-Priesterhierarchie mit abnehmender Heiligkeit heraus. Dabei war bis zur exilisch-nachexilischen Zeit die wesentliche Aufgabe der Priester weniger der Vollzug des Opfers als vielmehr die Erteilung von Orakeln und die Weisung (tôrāh), wie Heiliges zu behandeln und Unreines zu vermeiden sei. Das noch aus der späten Königszeit stammende deuteronomische Programm der Kultreinheit und der Kulteinheit (Dtn 12) wurde in der persischen und hellenistischen Zeit in der Priesterschrift und dem »Verfassungsentwurf« des Ezechiel (Ez 40–48) detailliert entfaltet: Danach gehört zum reinen Jhwh-Kult eine streng gegliederte Priesterschaft mit dem Hohepriester, der sein Ur- und Idealbild in Aaron hat, an der Spitze (vgl. Lev 8,1–13; 21; Sir 45,6–22; 50,1–21); dem Hohepriester zugeordnet sind Priester, die sich genealogisch von Aaron ableiten können und die wie dieser besonders strengen Reinheitsvorschriften unterliegen und keinen Landbesitz haben dürfen.
Spätestens in der Zeit des Zweiten Tempels gehört zu den wesentlichen|50| Aufgaben der Priester der Vollzug der Opfer. Das Alte Testament kennt keinen einheitlichen Opferbegriff, wohl aber verschiedene Opferarten. Aus diesen spricht jeweils ein bestimmtes Opferverständnis, sei es, dass das Opfer als Gabe an die Gottheit betrachtet wird, wobei sich hier nach dem Anlass des Opfers zwischen einem Bittopfer und einem Dankopfer differenzieren lässt, sei es, dass das Opfer als Mahl mit der Gottheit (communio/Gemeinschaft) oder als Sühne (Versöhnungsopfer) verstanden wird. Die Intention eines jeden Opfers besteht darin, die Beziehung zwischen dem Opfernden und der Gottheit, der etwas geopfert wird, zu beeinflussen. Als sanktionierte Opfermaterie erscheinen im Alten Testament pflanzliche und tierische Produkte sowie Tiere – nie Menschen, wenngleich das Erstgeburtsopfer als Ersatz für den Erstgeborenen einer Familie erscheint und religionsgeschichtlich in der Jhwh-Verehrung wie in der Umwelt des alten Israel Menschenopfer in absoluten Krisensituationen belegt sind (vgl. 2Kön 3,27).
Dementsprechend stellt die im Vierten Gottesknechtslied (Jes 52,13–53,12) angelegte und im Neuen Testament zur Deutung des Kreuzestodes Jesu aufgenommene Vorstellung vom Tod des Gerechten, der »sein Leben für viele gibt«, einerseits einen Archaismus dar, andererseits eine Radikalisierung der Vorstellung von der absoluten Heiligkeit Gottes, dessen Wille zur Gemeinschaft durch die Sünde des Menschen so stark tangiert ist, dass es des Opfers eines sündlosen Repräsentanten des Menschen bedarf (Hebr 7,26; 9,14; 1Petr 2,21–24). Die neutestamentlichen Beschreibungen Jesu als des einen sündlosen wahren Menschen (vgl. Psalmen Salomos 17,36) basieren auf diesem Denkmodell. Komplementär kommt der Sühnegedanke hinzu, der in der Zeit des Zweiten Tempels zunehmend nicht nur die Vorstellung der Opfer, sondern auch der Feste (vgl. Sir 50,5–21), des Fastens (vgl. Psalmen Salomos 3,8) und Almosengebens (vgl. Prov 16,6; Sir 3,30; Tob 12,9) prägt.
Entscheidend für das alttestamentliche Sühneverständnis ist, dass Gott selbst die Schuld des Menschen aufhebt und die Sühne des Menschen ermöglicht. Sühne ist also primär ein Heilshandeln Gottes. Realsymbolisch wird dies in einem Handaufstemmungsritus vergegenwärtigt, der unter anderem beim großen Versöhnungstag (jôm ha-kippûrîm) ausgeführt wird, in dessen Verlauf das Heiligtum, |51|die Priester und die Kultgemeinde von der Sünde eines vergangenen Jahres befreit werden, indem Aaron bzw. der Hohepriester die Sünde auf einen Bock überträgt, der dann stellvertretend in die Wüste geschickt wird (Lev 16,8.10.20–22: »Sündenbock«). Wenn der Hebräerbrief Jesus Christus als den wahren Hohepriester, der im Kult des Zweiten Tempels nur am großen Versöhnungstag das Allerheiligste betritt, bezeichnet (Hebr 2,17; 6,20) und wenn Paulus Jesus Christus als von Gott eingesetzte »Sühne« darstellt (Röm 3,25), dann ist jeweils die alttestamentliche Vorstellung vom Sühne schenkenden (versöhnenden) Gott fortgeschrieben (Dtn 21,8; 2Chr 30,18f.;1QHaXII, 37; 1Joh 2,2).
Mit dem Versöhnungstag, der in der Zeit des Zweiten Tempels im Zentrum des herbstlichen Laubhüttenfestes (Sukkot), eines ursprünglich anlässlich der Weinlese begangenen Festes, steht, ist ein alttestamentliches Fest angeklungen, das in seiner Sprach- und Bildwelt zur Interpretation von Leben und Werk Jesu Christi von überragender Bedeutung ist. Ähnliches gilt für das im Frühjahr begangene Passah-(Mazzot-)Fest, das ursprünglich ebenfalls eine Orientierung an der Natur hat, einerseits in Gestalt eines zu Beginn der Gerstenernte gefeierten Festes (vgl. Lev 23,6–10; Dtn 16,1), andererseits als ein von Hirten am Vollmond mit einem dämonenabwehrenden Blutritus gefeiertes Vollmondfest, und sekundär mit dem geschichtlichen Handeln Jhwhs im Exodus verbunden wurde (vgl. Ex 12). So dient das Passah-Mazzot-Fest nach seiner deuteronomistischen und priesterschriftlichen Deutung der Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten. In jedem Passah-Mazzot verwirklicht sich die Erfahrung der Freiheit, die sich zugleich zur Hoffnung auf eine endzeitliche Befreiung entwickeln kann, die im Bild eines neuen Exodus entfaltet wird (vgl. Jes 43,16–18).
Wenn im Neuen Testament das letzte Mahl Jesu als Passah-Mahl erscheint (vgl. Mk 14,12–26; Mt 26,17–30; Lk 22,7–23) oder Paulus Jesus Christus als Passah-Lamm bezeichnet (1Kor 5,7), dann wird die Passion Jesu zum neuen Exodus: Wie einst Israel aus Ägypten geführt wurde, so führt Jesus Christus aus der Knechtschaft der Sünde; wie Gott Israel einst aus der Sklaverei befreite, so befreite Gott Jesus Christus aus dem Tod. Damit ist die alttestamentliche Exodus-Typologie (s.o. 2.2.), die im Auszug aus Ägypten ein Vorbild |52|künftiger Erlösung Israels erblickt (vgl. Hos 2,17; 12,10; Mi 7,15; Jes 43,6), christologisch transformiert (vgl. Apk 15,3).
4.6. Gott als Lenker der Geschichte oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Geschichtstheologien
In den Ausführungen zu Gott als Schöpfer, als segnendem, verheißendem und bewahrendem Begleiter Abrahams, Isaaks, Jakobs und Josefs sowie als Befreier, Führer und Lehrer seines erwählten Volkes Israel ist bereits das theologische Motiv angeklungen, dass Gott der Herr der Geschichte und als ʼel ʽôlām der Herr von Zeit und Raum ist (Gen 21,33; Jes 40,28; vgl. Sir 36,22 [HB]). In den auf die Tora folgenden Büchern der Geschichte und der Prophetie liegt diese Denkfigur breit entfaltet und mit vielerlei Facetten vor. Sie, die alttestamentliche Geschichtstheologie, bildet den eigentlichen Wurzelgrund der alttestamentlichen Messiasvorstellungen.
Im Hintergrund der historiographischen Entwürfe des Alten Testaments, sei es der umfassenden narrativen Kompositionen im Bereich der deuteronomistisch redigierten Königsgeschichte in den Büchern 1Samuel bis 2Könige (mit dem literarischen späten Vorbau der auch deuteronomistisch geprägten Bücher Josua und Richter), sei es der großen, überwiegend poetisch gestalteten Prophetenbücher (Jesaja, Jeremia, Ezechiel und das ursprünglich auf einer Rolle geschriebene Zwölfprophetenbuch), stehen die tief in das kulturelle Gedächtnis Israels eingebrannten historischen Krisenerfahrungen des Zusammenbruchs des Königreichs Israel 722/720 v. Chr. im Schatten der Westexpansion des assyrischen Weltreichs sowie die Eroberung und Zerstörung Jerusalems 587 v. Chr. durch die Neubabylonier. In beiden Fällen bewirkte die Auflösung der politischen und kultischen Ordnungen des Staates, dessen offizieller Kult dem Staatsgott Jhwh galt, bei den geistigen Eliten Israels und Judas einerseits eine grundlegende Reflexion der Macht Jhwhs, die in der Vorstellung der universalen Geschichtsmächtigkeit Jhwhs, der die Mächte der Erde zur Erziehung seines Volkes Israels benutzt, mündete, andererseits eine Darstellung der Geschichte Israels als eines linearen, von Jhwh nach den Prinzipien von Schuld und Strafe gestalteten Geschehensverlaufs. Dieser Verlauf ist sowohl in |53|der Endgestalt der Geschichtsbücher als auch der Prophetenbücher eschatologisch, mitunter verhalten messianisch geprägt (vgl. Beck 2006; Schmitt 2001c; 2010; Collins/Yarbro Collins 2008: 25–47); in den Prophetenbüchern trägt er auch apokalyptische Züge, wenn mit einer radikalen Veränderung der Welt nicht mehr in der Zeit, sondern jenseits dieser gerechnet wird (vgl. Jes 24–27; Dan 7–12; 1Henoch). Die israelitisch-jüdischen Geschichtstheologien im Alten Testament und die sich aus diesen (wie aus bestimmten weisheitlichen Traditionen) entwickelnde Apokalyptik, wie sie sich in nicht kanonisch gewordenen frühjüdischen Apokalypsen niedergeschlagen hat (Collins 1998), bilden einen wesentlichen Vorstellungshintergrund für die neutestamentliche Interpretation Jesu Christi als Teil und Ziel des göttlichen Handelns in der Geschichte bzw. in Zeit und Ewigkeit.
Im Rahmen der Darstellung der Geschichte des Königtums (1Sam – 2Kön), wie ihn vor allem deuteronomistische Redaktoren im 7./6. Jahrhundert v. Chr. unter Verarbeitung älterer Erzählzyklen und Hofgeschichten geschaffen haben, und in den prophetischen Büchern kommt einzelnen Figuren als paradigmatischen Werkzeugen Jhwhs zur Durchsetzung und Deutung seines Geschichtsplans eine besondere Relevanz zu. Auf diesen soll hier, alternativ zu einem Ansatz, der an der historiographischen und eschatologischen Erzählstruktur der Geschichts- und der Prophetenbücher orientiert ist, der Schwerpunkt liegen.
4.6.1. An erster Stelle sind die Könige zu nennen, die im königszeitlichen Israel wie auch sonst im Alten Orient, als von Gott selbst eingesetzte Herrscher, irdische Repräsentanten der göttlichen Ordnung, höchste Priester und Garanten von Gerechtigkeit und Wohlergehen des Staats betrachtet wurden (Ps 72; Klgl 4,20; Witte 2012b: 46–52). Wie in Mesopotamien und Ägypten konnte in Israel/Juda der König als »Sohn Gottes« bezeichnet werden (Ps 2; 110), wenn auch nicht in einem biologischen, sondern in einem adoptianischen Sinn (s.o. 3.4.), und mit göttlichen Attributen versehen werden (Ps 45; vgl. Collins/Yarbro Collins 2008: 1–24).
Eine israelitische und judäische Besonderheit ist der wohl unter hethitischem oder westsemitisch-kanaanäischem Einfluss entstandene|54| Inaugurationsritus der Königssalbung, mittels dessen dem König symbolisch Macht, Kraft und Ehre übereignet wurde (vgl. 1Sam 10,1; 16,1–13; 2Sam 2,4; 1Kön 1,34; 2Kön 11,12; Ps 89,21). Aus diesem Ritus resultiert die Bezeichnung des Königs als des Messias/Christus/Gesalbten (1Sam 24,7; Ps 20,7; Klgl 4,20; s.o. 3.1.). Mit der Salbung des Königs zum Messias Jhwhs wird funktional dessen besondere Zugehörigkeit zu Gott ausgedrückt, was sich im Motiv der Verleihung des göttlichen Geistes an den Gesalbten widerspiegelt (1Sam 16,13; Feldmeier/Spieckermann 2011: 214–221). Die Funktionalität des Messias-Titels zeigt sich auch in der singulären Kennzeichnung eines nichtisraelitischen Herrschers, des Perserkönigs Kyros (II., etwa 590/580–530 v. Chr.), in Jes 45,1 – bezeichnenderweise in einem Text, der erst aus der Zeit nach dem Untergang des Königtums in Juda stammt (Schmid 2002: 186; 195).
Neben der Salbung der Könige kennt das Alte Testament vereinzelt auch die Salbung von Propheten (1Kön 19,16 Elisa als Nachfolger [Elias]; Jes 61,1, vgl. CD-A II,12; VI,1), wobei es sich hier nicht um einen historisch verifizierbaren Akt, sondern um eine theologische Qualifikation handelt, und – durchgehend in Texten aus nachmonarchischer Zeit – von Priestern, zumal des Hohepriesters (Ex 28,41; 29,1–3 bzw. Lev 4,3; 6,15; Num 35,25; Dan 9,25f.), der in der Zeit des Zweiten Tempels immer mehr die Rolle des früheren judäischen Königs übernimmt. Einmalig erscheinen in einem ebenfalls aus nachköniglicher Zeit stammenden Geschichtspsalm (Ps 105,9–15 par. 1Chr 16,16–22) die Erzväter als Gesalbte, was wie ihre Titulierung als Propheten (vgl. Gen 20,7) die besondere Zuordnung zu Jhwh ausdrücken soll und motivgeschichtlich eine späte Ausstaffierung mit einem religiösen Ehrentitel darstellt.
In der israelitisch-judäischen Königsideologie und ihrer Rede vom jüdischen König als dem (jeweils gegenwärtigen) Messias Jhwhs liegt die entscheidende Wurzel für die sogenannten Messiaserwartungen im Alten Testament und vor allem in der frühjüdischen Literatur. Diese richten sich an einen zukünftigen und endgültigen idealen König, einen »Sohn Davids«, der die voll realisierte Herrschaft Jhwhs auf Erden bringen wird.
Für die Herausbildung der Erwartung solch eines (königlichen) Messias im engeren oder eigentlichen Sinn sind religionsgeschichtlich|55| drei Faktoren verantwortlich: erstens die Grundstruktur der altorientalischen Königsideologie, die immer ein Moment des Zukünftigen, noch nicht Realisierten und Utopischen enthält (»präsentischer Messianismus«, Waschke 2001: 167), zweitens die reale Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit innerhalb des existierenden Königtums des 9./8. bis 6. Jahrhunderts v. Chr. und drittens die sukzessive Verklärung des Königtums Davids (ca. 1000–960 v. Chr.). Dieses mutiert, je größer der zeitliche Abstand wird, zu einer »goldenen Zeit«. Im Schatten der sogenannten Nathanweissagung (2Sam 7 par. 1Chr 17), in der David eine »ewige Dynastie« zugesagt wird, des (nachmonarchischen?) Motivs des Davidbundes (2Sam 23,5; Ps 89,4–5; 132,11–12), der Silisierung Davids zum exemplarischen von Gott Erwählten (Ps 78,20) und des endgültigen Zusammenbruchs des davidischen Königtums 587 v. Chr. entsteht zunächst die Hoffnung auf eine zeitnahe Restauration (vgl. Hag 2,23; Sach 4,6f. im Blick auf Serubbabel), dann die Vorstellung eines künftigen idealen Davididen bzw. eines David redivivus/wiedererstandenen Davids.
Wesentliche alttestamentliche Bezugspunkte dieser Vorstellungen sind prophetische Königsorakel bzw. Herrscherverheißungen (»messianische Weissagungen«). Ihr ursprünglicher Ort war die Inthronisation eines Königs. Erst im Kontext der Kritik am realen König, wie sie sich vor allem in den Prophetenbüchern findet, wurde sie auf einen in der Zukunft auftretenden Heilskönig aus der Dynastie Davids bezogen (Jes 7,10–17; 9,1–6; 11,1–8; 16,4b–5; 32,1–8; Jer 23,5–6; 30,8–9; 33,15–16; Ez 17,22–24; 34,23; 37,24; Hos 3,5; Mi 5,1–5; Sach 3,8; 4,1–14; 6,9–15; 9,9–10). Anfänge einer solchen Übertragung von Königsaussagen auf eine ideale Gestalt der nahen Zukunft finden sich wohl erstmals am Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr., zu ihrer vollen Entfaltung kommen sie aber erst in der königslosen Zeit des Zweiten Tempels, wo sie zur Vorstellung eines idealen Königs in der fernen Zukunft bzw. in der Endzeit weiter entwickelt werden (vgl. exemplarisch für das Jesajabuch Schmid 2002).
Bei diesen Herrscherverheißungen oder eigentlichen messianischen Weissagungen selbst, zu denen aufgrund ihres futurisch-messianischen Verständnisses im frühen Christentum, teilweise auch im römerzeitlichen Judentum, die eschatologisch transformierten Königspsalmen|56| (Ps 2; 20; 21; 45; 72; 89; 101; 110; 132; 144; Saur 2004), eschatologisierte Stammessprüche im Pentateuch (Gen 49,8–12*; Num 24,15–24) oder das sogenannte Protevangelium (Gen 3,15; vgl. Röm 16,20; Hebr 2,14) zählen, handelt es sich um literarisch vielschichtige Größen. In ihrer Mehrzahl stammen sie erst aus der Zeit nach dem Ende des judäischen Königtums. Sie spiegeln einen mehrfachen Fortschreibungs- und Aktualisierungsprozess wider und stellen unterschiedliche, historisch bedingte Konzeptualisierungen der Erwartung einer zukünftigen Heilsfigur dar, sind also Ausdruck eines bestimmten eschatologischen, messianischen Konzepts (Oegema 1998: 290–306). Sie gehören in den Zusammenhang weiterer eschatologischer Heilsvorstellungen im Alten Testament, zumal der Erwartung der kommenden Königsherrschaft Jhwhs (Fabry/Scholtissek 2002: 12), und entwickeln sich angesichts von negativen Erfahrungen, sei es mit dem bestehenden bzw. bisherigen Königshaus (Jes 11,1–9; Mi 5,1–3; Jer 23,5–6), sei es mit Krieg und Zerstörung (Sach 9,1–10) oder – in fortgeschrittener hellenistischer Zeit – mit der Jerusalemer Priesterschaft. Dabei sind partiell motivische Übernahmen aus dem hellenistischen Herrscherkult nicht ausgeschlossen (PsLXX 110; SachLXX 9,9–10; Collins/Yarbro Collins 2008, 48–54).
Gemeinsame Grundzüge der alttestamentlichen messianischen Weissagungen, in denen nie der Begriff »Messias«, sondern Ersatznamen (Jes 7,14; Jer 23,6; Sach 6,12; Ps 132,17) oder Umschreibungen (Jes 11,1; Jer 23,5; Ez 17,22) begegnen und die ihre Bezeichnung »messianisch« erst der expliziten messianischen relecture verdanken (Waschke 2001: 13–16; Fabry/Scholtissek 2002: 20), sind die Nähe der endzeitlichen Heilsfigur zu Jhwh und seiner Herrschaft, die (Geist-)Begabung und Beauftragung durch Jhwh, das Bringen von Frieden, Recht und Gerechtigkeit für das vereinigte Israel und die Herkunft aus der davidischen Dynastie; letzteres Element findet sich vor allem in mit einer Restitution des davidischen Königtums rechnenden Erwartungen (Jes 16,4b–5; Ez 37,24f.; Hos 3,5; Am 9,11f.; Hag 2,10–23). Ein einheitliches Messiasbild spiegeln diese Texte nicht: So kann neben einer machtvollen, mit Weisheit ausgestatteten Herrschergestalt (Jes 9,5f.; 11,5) auch ein erst durch Jhwh geretteter, armer und demütiger König (Sach 9,9 nach dem |57|hebräischen Text; vgl. Hab 3,13; Ps 20,7) stehen. Motivisch spielt in diese Stilisierung eine vor allem in nachexilischen Psalmen anzutreffende Bezeichnung der Frommen als (vor Gott) Arme und Demütige hinein (»Armutsideal/Armenfrömmigkeit«, vgl. Ps 22,27; 37,11; 69,33, aber auch Num 12,3).
Neben der Vorstellung eines individuellen endzeitlichen Heilsbringers und Herrschers taucht in alttestamentlichen Texten aus persisch-hellenistischer Zeit, gleichfalls als eine Reaktion auf den Untergang des realen Königtums, auch eine kollektive Messiasvorstellung auf (Jes 32,15–20; 55,1–5; Jer 33,16; Ps 89,51–52; 149). Hier nimmt Israel bzw. die ideale Gemeinde, möglicherweise auch der Zion als deren lokale Personifikation (Jes 61,1–3; Schmid 2002: 187–189), die Rolle des Messias ein. In dieser kollektiven Prägung der Messiaserwartung zeigt sich die Formel von Jhwh als dem Gott Israels und Israel als dem Volk Jhwhs (vgl. Ex 19,5–6; Dtn 7,6–8) in einer eschatologischen Farbe (Jes 32,15–18). Die Erwählung Israels zum Volk Jhwhs, die vorgeschichtlich im Exodusgeschehen und der Sinaioffenbarung gründet (Dtn 7,6–7) und die sich geschichtlich in der Gabe des Landes und der Staatlichkeit realisiert, findet ihre Fortsetzung in der eschatologischen Rolle Israels als Vermittler des Heils Jhwhs an die Völker (Sach 8,20–23; vgl. Joh 4,22).
Insgesamt spielen die Messiaserwartungen im Alten Testament weder literarisch noch theologisch eine zentrale Rolle. Sie sind ein Element der traditionsgeschichtlich und motivisch vielfältigen Eschatologie im Alten Testament. Allerdings stehen die eschatologischen Herrscherweissagungen in der Endgestalt der Prophetenbücher häufig betont am Schluss kleinerer oder größerer Texteinheiten (vgl. Jes 7*; 9*; 11*, 45*; 55*; 61*; Schmid 2002: 179; 183–195). Im Psalter finden sie sich an hervorgehobenen Stellen (vgl. Ps 2; 72; 89; Rösel 1999). Ebenso begegnen sie im Aufriss des Pentateuchs an den narrativen Nahtstellen eines Epochenübergangs (vgl. Gen 49,8–12*; Num 24,15–24*). Befördert durch eine zunächst gegen die Diadochenherrscher, später gegen die Hasmonäer, die Römer und schließlich die Herodianer gerichtete Einstellung jüdischer Kreise, in denen die heiligen Schriften Israels eschatologisch redigiert und eschatologisch ausgelegt wurden (s.o. 2.3.), verdanken die alttestamentlichen Messiasverheißungen ihre besondere theologische |58|Bedeutung zwei religions- und literaturgeschichtlichen Entwicklungen im hellenistisch-römischen Judentum:
erstens den vielfältigen Erwartungen endzeitlicher Heilsgestalten in unterschiedlichen eschatologisch orientierten jüdischen Gruppen des 2. Jahrhunderts v. Chr. – 1. Jahrhunderts n. Chr.; exemplarisch für diese sind die Psalmen Salomos 17–18, die das Motiv eines sündlosen Messias/Christus kennen (Psalmen Salomos 17,36), einzelne Texte aus Qumran, u.a. 1QSa II,11–21, wo nach gegenwärtigen Erkenntnissen erstmals die absolute Bezeichnung hammāsîaḥ/der Messias für eine endzeitliche Rettergestalt belegt ist; 1QSb V,20–23; 4Q174 Frag. 1 I,21,2,10–13; 4Q252 V,3, möglicherweise auch der sogenannte Gottes-Sohn-Text 4Q246, sowie die aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. stammenden Apokalypsen in den »Bilderreden/Parabeln« des Ersten Henochbuchs (Kap. 37–71; vgl. besonders 1Henoch 48,10; 52,4) und des Vierten Esrabuchs (vgl. 4Esra 7,28f.);
zweitens den sich aus den frühjüdischen messianischen Vorstellungen speisenden neutestamentlichen Rezeptionen und Interpretationen auf Jesus von Nazareth als dem erwarteten Messias (vgl. Jes 7,14 in Mt 1,23; Mi 5,1.3 in Mt 2,6; Sach 9,9 in Mt 21,5; Jes 61,1–2 in Lk 4,18–19): Über die Aufnahme »alttestamentlicher« Messiastraditionen und im Milieu der bunten frühjüdischen Messiasvorstellungen wurde aus Jesus der Christus und der in Bethlehem geborene Sohn Davids (Mt 1,1; 2,6; Mk 10,47), der im nachösterlichen Ausbau einer Vor- und Nachgeschichte weitere Elemente israelitisch-jüdischer und paganer hellenistischer Herrschermotivik, wie die Geburt aus der Jungfrau (vgl. Mt 1,23; JesLXX 7,14) oder das »Sitzen zur Rechten Gottes« (vgl. Apg 7,55f.; Röm 8,34; 1Petr 3,22; Heb 1,13–14 mit Ps 110,1), an sich ziehen konnte.