Kitabı oku: «Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext», sayfa 10
2 Tradition, Innovation und Mehrsprachigkeit
In Anlehnung an Boris GroysGroys, Boris muss als Erstes an der „Herrschaft des Neuen“ (Groys 1992: 9) gerüttelt werden. Groys exemplifiziert im Buch Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie (1992) die Regeln der „Schaffung des Neuen“, das Neue bestimme als „ökonomischer Zwang“ das Funktionieren von Kultur, denn „[d]ie Innovation besteht nicht darin, daß etwas zum Vorschein kommt, was verborgen war, sondern darin, daß der Wert dessen, was man immer schon gesehen und gekannt hat, umgewertet wird“ (ebd.: 14), weil es, so GroysGroys, Boris, „in gewissem Sinne nichts Traditionelleres als die Orientierung am Neuen“ gibt (ebd.: 9). Dem könnte man entgegenhalten, dass das Neue wiederum der Tradition bedarf, und sei es nur als der Folie, vor der es, sich abhebend, sichtbar wird. Im lateinischen Wortkern von Tradition (lat. tradere) steckt das Moment der Weitergabe, der Überlieferung – ohne Tradition ist GroysGroys, Boris zufolge keine kulturelle bzw. literarische Entwicklung, auch keine Innovation möglich. Fragen nach Innovation und Tradition sind schon seit der Renaissance Topoi literarischer Diskussionen (Simonis 2013: 757–759).
Die Voraussetzungen für die slowenische Literatur und Kultur im 20. Jahrhundert in Kärnten sind eng mit den historischen und politischen Entwicklungen zwischen 1918 und 1945 verbunden. Repressionen, Verfolgung und Vertreibung brachten die slowenische Literaturproduktion in Kärnten nahezu zum Erliegen. Nach 1945 fand eine literarische Sozialisation der slowenischsprachigen Bevölkerung im Sinne eines traditionellen Kulturprogramms statt. Dabei verfolgte man ein volksbildnerisches Konzept, das in einer traditionellen, für ein breites slowenisch lesendes Publikum angelegten Massenliteratur mit einer eigenen Gattung, den ‚večernice‘ mündete. Dabei handelt es sich um Kalendergeschichten mit „religiös und national erbaulichem, archaisierendem Grundzug mit didaktischer Tendenz“ (Strutz 2006: 370). In dieser Beziehung zur traditionellen, etablierten Literatur sind die Bestrebungen der Literaturzeitschrift mladje zu lesen. Deren Credo war eine Umwertung und Neuordnung der Literatur sowie eine dialektische Auseinandersetzung mit literarästhetischen und kulturpolitischen Fragen nach dem Verhältnis von Innovation und Tradition:
Für die Autoren des mladje ist die traditionelle Kultur nicht länger eine verbindliche Norm, sondern ein Fundus an vornehmlich sprachlichem Material, das man zitieren, verwenden, umformen, ausstellen, zerstören kann. Der Zugang zur Tradition und zur Überlieferung ist nicht ehrfürchtig bewahrend, sondern respektlos-experimentell. Die Situation einer ‚kleinen Literatur‘ bzw. der Literatur einer kleinen Gruppe wird ja generell von zwei einander scheinbar entgegengesetzten Tendenzen bestimmt: einerseits von dem Bestreben, Sprache und Kultur der Gruppe zu erhalten, andererseits von der Notwendigkeit zur Weiterentwicklung. Diese Kluft zwischen Bewahrung, auch um den Preis der Folklorisierung, und Innovation, um den Preis allgemeiner Verständlichkeit, ist in Kärnten in den 60er, 70er und auch noch in den 80er Jahren deutlich erkennbar. (Amann/StrutzStrutz, Johann 2000: 12–13)
Die Bestandsaufnahme der Kärntner slowenischen Literatur seit 1991 zeigt einen Wandel. Die literarische Produktion scheint an zwei Wahrheiten gebunden zu sein, an die Wahrheit des Ortes (Kärnten) und die Wahrheit der Sprache (Slowenisch). An Ort und Sprache gebundene Konzepte einer ‚Kärntner slowenischen Literatur‘ werden jedoch inkonsistent. Ihre Berechtigung sei hier nicht infrage gestellt, doch benötigt der Diskurs um ‚die‘ Kärntner slowenische Literatur eine Revision, die die realen Verhältnisse zwischen Realität und Repräsentation ins Bild rückt.
Die Literatur der Kärntner Slowenen ist seit jeher ein Hybrid. Sie scheint gegenwärtig ein letzter Rückzugsort ‚traditioneller‘ slowenischer Literaturproduktion zu sein. Zugleich ist sie ein Ort der Manifestation des ‚Neuen‛ als neue, neu zu denkende und zu rahmende literarische Praxis im Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Innovation, aber auch von Mehrsprachigkeit, Migration, neuen Medien und Technologien. StrutzStrutz, Johann (1998: 9) erhebt Zweisprachigkeit im Sinne der „Pluralität künstlerischer Sprachen und Ausdrucksformen“ zum wichtigsten Merkmal der modernen slowenischen Literatur in Kärnten. Till DembeckDembeck, Till und Rolf ParrParr, Rolf nennen im Handbuch Literatur und Mehrsprachigkeit als drei gute Gründe für eine literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit Phänomenen literarischer Mehrsprachigkeit: den Zugang zu Phänomenen sprachlicher, kultureller und sozialer Differenz; die Herausforderung für philologische Instrumente der Textanalyse und die Möglichkeit der Überwindung nationalphilologischer Sichtweisen (Dembeck/Parr 2017: 9).
Um Phänomene literarischer Ein- oder Mehrsprachigkeit adäquat zu beschreiben, sind vorderhand genaue Kenntnisse „des jeweiligen sozialen, politischen und kulturellen Rahmens unabdingbar“ (Gramling 2017: 35). Weiters hängt das Verständnis mehrsprachiger Literatur wesentlich davon ab, wie, wo und wann Sprache(n) „Medium der Integration oder […] der Desintegration sind“ (Roche 2017: 45).
Diese Aspekte sind mit Blick auf literarische Ein-, Zwei- und Mehrsprachigkeit in den Schreibpraxen etablierter wie jüngerer Kärntner slowenischer Autor_innen insbesondere im Zusammenhang mit der Klärung der Frage nach Sprachwahl und Sprachwechsel relevant. Darüber hinaus fokussiert die aktuelle Forschung zur Mehrsprachigkeit auf sprachlich-ästhetischen Verfahren, die Dembeck/Parr (2017: 125–232) in vier Basisverfahren gliedern: 1. Sprachwechsel/Sprachmischung, 2. Mehrsprachigkeit in der Figurenrede, 3. Zitat und Anderssprachigkeit, 4. Mehrschriftlichkeit. Dieser Ansatz soll im Folgenden für Autoren der neueren Generation der Literatur der Kärntner Slowenen fruchtbar gemacht werden.
3 Wie produziere ich als slowenischer Autor in Kärnten?
In seinem 1994 verfassten, erstmals 2000 veröffentlichten, programmatischen Manifest Zum literarischen Selbstverständnis und zur Perspektive: Wie produziere ich als slowenischer Autor in Kärnten? skizziert Florjan LipušLipuš, Florjan das fundamentale Dilemma literarischer Produktion von Kärntner Slowenen. In diesem Text fließen mehrere bedeutende Aspekte zusammen. LipušLipuš, Florjan, der die „ästhetischen Voraussetzungen für eine moderne Literatur“ (Strutz 1998: 30) in Kärnten schuf, erklärt die Frage nach dem literarischen Selbstverständnis vor allem zu einer fundamentalen Frage der Wahl der Sprache, in der geschrieben wird, aber auch der literarischen Qualität der Texte. Nicht der Inhalt bestimmt die Literatur, sondern die Sprache. Lipuš macht die (slowenische) Sprache zum Ausgangspunkt jeglicher Literaturproduktion; der Autor sollte es „auf die Sprache und auf sonst nichts abgesehen haben. Autoren sollen nichts verändern wollen, sondern einzig gute Texte produzieren“ (Lipuš 2000: 309).
LipušLipuš, Florjan’ Text steht modellhaft dafür, was ein Kärntner slowenischer Autor leisten muss. Kein anderer Kärntner slowenischer Autor hat die Verbindlichkeit dessen, was als Kärntner slowenische Literatur zu gelten hat, derart klar formuliert wie Lipuš. Der Duktus des Textes verweist darauf, dass sich der Autor schon von vornherein in einer hegemonialen Sprachsituation bewegt, in der sich die slowenische Sprache befindet und einen defizitären Stand aufweist. Die Geschichte der Kärntner Slowenen bildet in Lipuš’Lipuš, Florjan Werk einen „regionalen Prätext“ (Strutz 1998: 78), den Kontext, in dem gerade auch die Sprache zu verorten ist. Der Autor findet für die slowenische Sprache Attribute des Unsichtbaren: „Sprache einer klein gewordenen Volksgruppe“, als Attribut eines emphatischen, affirmativen Kulturauftrags im Sinne einer Tradition, eines national being, das die Geschichte der Kärntner Slowenen mit sich bringt: „Sprache eines Volkes, das jahrhundertelang seine Existenz auf Kultur, auf Schreibende, aufgebaut und mit Kultur überlebt hat“ (Lipuš 2000: 309).Lipuš, Florjan1 In diesem Rahmen werden jedoch nicht nur die Probleme literarischer Einsprachigkeit eines slowenisch schreibenden Autors in Kärnten aufgeworfen, sondern auch die Innovationspotentiale literarischer Mehrsprachigkeit:
Mit diesen Grunderkenntnissen und Gegebenheiten ausgestattet, steht der Schreibende vor dem Dilemma, daß sein Tun nichts bewirken wird. Nicht nur, daß der Mensch abgestumpft und des Lesens nicht mehr kundig ist, sondern die Literatur selbst stellt von Natur aus und durch Zutun der Autoren erhöhte Anforderungen, denen sich viele nicht mehr gewachsen fühlen. Wenn dies für große Kulturen zutrifft, so noch viel mehr für kleine, und ganz besonders für sprachliche Minderheiten, die a priori schlechtere Bedingungen vorfinden. Andererseits darf nicht unerwähnt bleiben, daß aus der Zwei- und Mehrsprachigkeit dem Schreibenden (und Lesenden) unermeßliche Vorteile erwachsen. (Lipuš 2000: 310)
Zwei Themen werden in diesem Manifest zusammengeführt: Der slowenisch schreibende Autor befinde sich, so LipušLipuš, Florjan, „global gesehen […] auf verlorenem Posten“:
Einerseits sind seine Texte nur durch Übersetzungen einem größeren Leserkreis zugänglich, andererseits ist die ‚Kulturpolitik‘ der slowenischen Volksgruppe immer darauf ausgerichtet gewesen und ist es heute noch, die Sprache als rein technisches Verständigungsmittel anzusehen, womit der Nivellierung nach unten keine Grenzen gesetzt werden. […] Somit produziert der slowenische Autor in Kärnten Texte, die sich von seinen Menschen abheben müssen, demnach nicht für sie geschrieben sein können, und auch nicht von ihnen gelesen werden können. […] So bleibt dem Autor nur noch die innere Emigration übrig. […] Die Tatsache, daß ich mich dem slowenischen Kulturkreis zugehörig fühle, hat keinen Einfluß auf mein Schreiben. (Lipuš 2000: 311)
Diese Vorstellungen von kultureller Identität sind zu verstehen als Reaktion auf die Zumutungen, die die Geschichte der Kärntner Slowenen und LipušLipuš, Florjan’ eigene Familiengeschichte mit sich bringt. Dennoch werden hier systemische Regeln festgelegt, in Kohärenz mit der von Lipuš definierten literarischen Praxis und den damit verbundenen Grenzen: Der slowenische Autor definiert sich durch den Gebrauch der Sprache (‚Slowenisch‘), ist determiniert durch seine Herkunft (‚Kärnten‘), ist einem spezifischen Kollektiv zugehörig (‚Minderheit‘) und befindet sich gerade dadurch in einer spezifischen systemischen Stellung („global gesehen auf verlorenem Posten“).
Der Text lässt sich aber auch als Traditionsstiftung lesen, im Wechselverhältnis zu innovatorischen Prozessen. Interessant an dieser Konstellation ist, dass LipušLipuš, Florjan mittlerweile zum Klassiker geworden ist; der Zögling Tjaž, von Peter HandkeHandke, Peter und Helga MračnikarMračnikar, Helga übersetzt, ist in der Reihe Österreichs Eigensinn vertreten – als Vertreter einer Tradition, sich gegen Traditionen bewusst aufzulehnen. Die Art und Weise, wie ein Kärntner slowenischer Autor heute produziert, folgt jedoch anderen Regeln. An die Stelle der klassischen Funktion sind Autoren getreten, die unabhängig vom System (inter-)agieren.
4 Talking ’bout my generation
Der Begriff der Generation ist in der Forschung in seiner Deutungspotenz oft bemüht und viel diskutiert worden. Eine narrative Beschwörung des Begriffs einer Einheit als „Erlebnis- oder Erfahrungsgemeinschaft“ (Parnes u.a. 2008: 12), als „zentraler Mechanismus der Sinnstiftung und Evidenzproduktion“ (ebd.: 10) hinsichtlich identitätsstiftender Prozesse ist stets zwischen „retrograden Selbstvergewisserungen“ und „generationeller Fortschrittsdynamik“ (ebd.: 12) gekoppelt. Auch im Zusammenhang mit der literarischen Produktion der Kärntner Slowenen ist versucht worden, dem kulturellen Geltungsbereich anhand des Generationen- bzw. Phasen-Modells beizukommen. Der slowenische Literaturwissenschafter und Autor David BandeljBandelj, David hat in Anlehnung an LebenLeben, Andreas (1995: 15–25) die bislang systematischste Gliederung der zeitgenössischen Literatur der Slowenen in Österreich vorgenommen. Leben hat rund um die Zeitschrift mladje das System in vier Entwicklungsphasen gegliedert (1. Phase 1960–1965, 2. Phase 1965–1972, 3. Phase 1972–1981, 4. Phase ab 1981, nach dem Erscheinen der letzten von LipušLipuš, Florjan redigierten Ausgabe), BandeljBandelj, David hat dieses Konzept um eine fünfte Phase, beginnend mit 1991, dem letzten Erscheinungsjahr von mladje, erweitert. Diese Phase sei durch eine Literatur gekennzeichnet, die sich von Fragen der Volkszugehörigkeit im Sinne einer affirmativen Literatur abwendet und dem rein ästhetischen Schaffen verschrieben habe (Bandelj 2014: 127). BandeljBandelj, David diagnostiziert anhand der Anthologie Besedolomnice (2006) für die Literatur der Kärntner Slowenen das Primat rein künstlerischen Schaffens über Engagement und politische Funktion von Kultur. Als Fallbeispiele für die „jüngere Generation“ nennt er stellvertretend Janko FerkFerk, Janko, Maja HaderlapHaderlap, Maja, Fabjan HafnerHafner, Fabjan, Jani OswaldOswald, Jani und Rezka KanzianKanzian, Rezka (ebd.: 126–127). Von diesen Autorinnen und Autoren möchte ich an dieser Stelle bewusst absehen, da ihr Schaffen und Beitrag zum Zwei- bzw. Mehrsprachigkeitsdiskurs u.a. bereits in den Profilen (Strutz 1998) und von WintersteinerWintersteiner, Werner (2006) beschrieben wurde.
Vor dem Hintergrund solcher Differenzierungen soll hier keinesfalls versucht werden, durch Umbesetzungen dem Konzept der Generation beizukommen, sondern es soll ein Aufriss aktueller Schreibpraxen gegeben werden. Zu der nach 1983 geborenen jüngeren Generation gehören in alphabetischer Reihenfolge Nikolaj EfendiEfendi, Nikolaj, Stefan FeinigFeinig, Stefan, Verena GotthardtGotthardt, Verena, Kvina HuttererHutterer, Kvina, Amina MajetićMajetić, Amina, Elena MessnerMessner, Elena, Aljaž PestotnikPestotnik, Aljaž, Dominik SriencSrienc, Dominik und Nina ZdoucZdouc, Nina. Nur einige wenige dieser Autorinnen und Autoren haben ihren Lebensmittelpunkt in Kärnten, die meisten schreiben auf Deutsch und/oder Slowenisch.
Es ist bezeichnend, dass seitens der zweisprachigen Verlage in Kärnten versucht wird, den neuen Namen im literarischen Feld eine organische Metapher im Sinne eines natürlichen Reproduktionsgeschehens überzustülpen. So nennt sich die im Wieser Verlag erscheinende Reihe junger Lyrik Popki literature (auf Deutsch mit ‚Knospen‘, aber auch mit ‚Bauchnabel der Literatur‘ übersetzbar). Semantisch schließt diese Reihe an mladje an (auf Deutsch ‚Jungholz‘), aber auch an die Literaturrevue Rastje (auf Deutsch mit ‚Bewuchs‘ übersetzbar) des slowenischen Schriftstellerverbandes in Kärnten. In die Reihe wurden bislang HuttererHutterer, Kvina, MajetićMajetić, Amina, PestotnikPestotnik, Aljaž und ZdoucZdouc, Nina aufgenommen, die Gewinner des Literaturwettbewerbs Pisana promlad der Volbank-Stiftung.1
5 Literatur in Bewegung
Im Gleichschritt mit der Entwicklung in der Literatur im Allgemeinen kennt auch die literarische Praxis der Kärntner Slowenen auf der Text,- Produktions- und Rezeptionsebene Formen der Intermedialität.1 Der derzeitige Forschungsstand zu diesem Feld lässt keine weitreichenden Schlüsse zu, klar ist jedoch, dass sich mit den neuen digitalen Kommunikationstechnologien die Literatur virtualisiert und von der Wahrheit des Ortes losgelöst hat. Ich möchte in diesem Zusammenhang von Transformationsprozessen einer ‚Literatur in Bewegung‘Erll, Astrid2 sprechen, welche sich in der „Bewegung von Menschen und Medien“ konstituieren und als spezifische Bewegung von Akteuren, Medien, Inhalten, Formen und Praktiken niederschlagen.
Die unmittelbare, interaktive Kommunikation hat neue Rahmenbedingungen für die Entstehung von Literatur geschaffen. Unter dem Stichwort Literatur im Netz firmieren literarische Texte auf sozialen Netzwerken, E-Mails, Blogs, Autorenhomepages, Facebookprofile und Twitterveröffentlichungen. In der gegenwärtigen literarischen Praxis finden sich diesbezüglich überraschenderweise nur wenige Beispiele. Ein Blick auf die virtuellen Plätze der Kärntner slowenischen Literatur zeigt, dass nur wenig außerhalb der sozialen Netzwerke geschieht. Ein solcher Ort sind die beiden Blogs der 1996 geborenen Kärntner slowenischen Lyrikerin Verena GotthardtGotthardt, Verena, die in Wien und Paris lebend, seit 2015 Fotografie an der Universität für angewandte Kunst in Wien studiert. Gotthardt veröffentlichte bislang vorrangig Lyrik auf Slowenisch und Deutsch sowie Kurzprosa in deutscher Sprache in österreichischen und slowenischen Literaturzeitschriften, 2016 gewann sie den Literaturpreis der Stadt Bleiburg und erhielt den Förderungspreis für Literatur des Landes Kärnten.
Der erste Blog ist im Zusammenhang mit dem Erscheinen ihres Lyrikdebüts in slowenischer Sprache Najdeni nič (Mohorjeva/Hermagoras 2013) erschienen.3 Das Buch ist mit einem QR-Code ausgestattet, der den Blog mit dem analogen Buch verbindet. Über den Code erhält man Zugang zu den Übersetzungen ins Deutsche. Die Autorin bewirbt dieses Buch in ihrem Blog als das erste digital-analoge zweisprachige Buch.
Am zweiten und derzeit aktuellen Blog von Verena GotthardtGotthardt, Verena mit dem Titel KAFFEEBILDER (Gotthardt 2018) lassen sich die Phänomene Mehrsprachigkeit, Tradition, Innovation aufgreifen. Der Blog war in seiner ursprünglichen Konzeption für die Kommunikation mit den Eltern anlässlich eines Au-pair-Aufenthalts der Autorin in Frankreich vorgesehen und hat sich zu einem mehrsprachigen literarischen Blog entwickelt. Die Autorin veröffentlicht Fotografien, Videos und Lyrik sowie Prosa vor allem in deutscher und slowenischer Sprache, aber auch einige Fragmente auf Französisch. Die Textfragmente rahmen dabei nicht nur die Fotografien, sondern stehen mit ihnen in einem Wechselverhältnis. Gotthardt spricht von der Tätigkeit des „Kuratierens“, der Arbeit am Blog, um ihr eigenes Schaffen zu dokumentieren. So wird auch das Projekt Draw me a line als Foto und als Video dokumentiert, welches 2017 auf der documenta 14 in Athen gezeigt wurde. Mithilfe eines losen, geformten Drahtes wird ein abstraktes, lineares Schriftbild auf eine Wand projiziert. Dieses Projekt, so die Auskunft GotthardtsGotthardt, Verena, markiere die Realisierung von „Zwei- und Mehrsprachigkeit ohne Worte“ (Srienc 2018). Draw me a line ist ein Beispiel für „Mehrschriftlichkeit“ als einem der Basisverfahren literarischer Mehrsprachigkeit (Schmitz-Emans 2017: 221). Mehrsprachigkeit äußert sich als gestisch erzeugte Spur zwischen bildlicher Figuration und Schriftzeichen, als Bewegungsspur eines literarisch-künstlerischen Experiments.Močilnik, KristijanSchönett, SimoneSchwinger, Harald4
Im Blog dokumentiert GotthardtGotthardt, Verena neben ihrem Alltagsleben und Lektüreerfahrungen auch ihre Reisetätigkeit, welche die Autorin über Frankreich und Island auch nach Klagenfurt geführt hat. Am 1. März 2017 veröffentlichte sie ein französisches Gedicht mit dem Titel L’ILLUSION D’ÊTRE: „le vide / chuchote / plutôt / qu’il crie // et / entre le temps / se retrouvent / la lune / et / sa sœur / pour / parler / de l’illusion/ d’être“.
Der Blog stellt die Frage nach dem Zusammenhang von literarischer Mehrsprachigkeit und Intermedialität für die literarische Praxis der Kärntner Slowenen neu, indem er sich in einem virtuellen Raum konstituiert, als Werkstattbericht einer neuen, digitalen literarischen Praxis, als Ort, an dem Formen literarischer Mehrsprachigkeit ihren Ausdruck in einem digitalen Medium finden. Nicht zuletzt stellen insbesondere Blogs die Frage nach dem Autobiographischen neu. Die chronotopischen Strukturen sozialer Netzwerke erinnern unwillkürlich an die Gattung Autobiographie, welche eine der zentralen Erzähltraditionen in der Literatur der Kärntner Slowenen darstellt. Die Lektüre autobiographischer Blogs und anderer Belege der Präsenz Kärntner slowenischer Autor_innen in sozialen Netzwerken wäre lohnend, um das mehrsprachige, autobiographische Subjekt in einem soziohistorischen Raum zu verorten und die Produktion von Kärntner slowenischer Literatur im Netz im Gleichschritt aktueller Literaturproduktion zu lesen.
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