Kitabı oku: «Mensch. Maschine. Kommunikation.», sayfa 10
3 Das Flirten in Apps
3.1 Übersicht
Die zweite grosse Welle in der Online-Dating-WeltDating fand statt, als im Jahr 2008 die ersten Dating-Apps verfügbar wurden (vgl. Aretz et al. 2017: 8). Die Mobile-Dating-Branche generierte daraufhin in nur drei Jahren einen Umsatz von 25 Millionen Euro (vgl. Nowroth 2014: 56). Dass etwa zeitgleich die ersten iPhones auf den Markt kamen und einen günstigen mobilen Internetzugang ermöglichten, vergrösserte die Beliebtheit und Nutzung solcher Apps exponentiell (vgl. Schmitz 2016: 1). Einhergehend mit dieser neuen Technologie stieg auch die prozentuale Anzahl der Paare, die sich im Internet kennengelernt haben, rapide an: Während es im Jahr 2005 noch lediglich 3 % waren, so gaben im Jahr 2009 bereits 22 % der Paare an, sich online kennengelernt zu haben, was das Online-DatingDating zur zweitbesten Möglichkeit (nach dem Kennenlernen über Freunde) machte, um einen Partner zu finden (vgl. Finkel et al. 2012: 12f.).
Die meisten dieser Online-Dating-AppOnline-Dating-Apps basieren auf LBRTD, was für «location-based real-time datingDating» (Birnholtz et al. 2014: 3) steht. Das bedeutet, dass man direkt und in ‹real time› sieht, wer jetzt gerade in der Nähe potenziell für ein Date verfügbar ist. Durch diese neue LBRTD-TechnikTechnik konnte plötzlich jederzeit und von überall aus gedatet werden. Gleichzeitig veränderte sich dadurch die ErwartungshaltungErwartungshaltung an das Online-DatingDating: Stand auf Seiten wie ParshipParship noch das Finden eines neuen Lebens(abschnitts)partners im Vordergrund (vgl. Aretz 2017: 54), so etablierte sich zusammen mit den neuen Apps wie Lovoo oder TinderTinder eine sogenannte ‹Abschleppkultur› (vgl. Garcia et al. 2012: 161; LeFebvre 2018: 1210). Obwohl diese Apps theoretisch auch für platonische Treffen gedacht wurden, sind vor allem Sex-Dates ohne weitere Verpflichtungen bei den Usern sehr beliebt (vgl. Brutscher et al. 2015: 10). Aus dieser neuen Erwartungshaltung und der veränderten Auffassung von online ‹daten› konstituiert sich der Begriff des <Mingles>: ein extrovertierter, junger <Single>, der gerne neue Leute kennenlernt und sich mit diesen ‹vermischt›.1
Nebst der neuen LBRTD-Technologie grenzen noch weitere Unterschiede DatingDating-Apps deutlich von den Online-Singlebörsen ab. An dieser Stelle wird lediglich auf die wichtigsten verwiesen: 1.) Gratis Mitgliedschaft: Dating-Apps sind in der Regel ‹gratis›; das heisst, die User bezahlen mit «ihren Daten und [ihrer] Privatsphäre» (Brutscher et al. 2015: 36), während auf Online-Partnervermittlungen meist ein monatlicher Beitrag entrichtet werden muss, um die Dienste der Webseite nutzen zu können (vgl. Dürscheid 2017: 51). 2.) Autorschaft über den Selektionsprozess: Während auf der Basis des ausgefüllten Fragebogens das System bei Seiten wie ParshipParship alle Partner, die damit nicht genügend übereinstimmen, kategorisch ausschliesst, überlassen die meisten Apps dem User selbst die Wahl, wer zu einem passt (vgl. Warda 2013: 14). 3.) Verringerter Aufwand: In Korrelation mit dem vorherigen Punkt fällt der Aufwand, den ein neuer NutzerNutzer*in betreiben muss, um sich auf einer DatingDating-AppApp zu registrieren, entsprechend kleiner aus als mit dem vergleichsweise aufwändig gestalteten Prozess einer SinglebörseSinglebörse mit Matchmaking-SystemMatching. Ein deutlich geringerer Aufwand besteht auch im Auswahlprozess, da meist lediglich in einem binären System (ja/nein) entschieden wird, ob Interesse an einem Profil besteht oder nicht (vgl. Aretz 2015: 42). 4.) Wechselseitige Attraktivitätsbekundung: Da es nur zum Kontakt kommt, wenn beide Partner den anderen positiv bewertet haben, gibt dies beiden Akteuren eine «Sicherheit in der Initiierung der Kommunikation» (Aretz 2015: 42), da beide davon ausgehen können, dass das Gegenüber sie ebenfalls als attraktiv bewertet hat.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Apps das Online-DatingDating durch die oben genannten Punkte dahingehend verändert haben, dass der Dating-Prozess zugleich spontaner und speditiver abläuft: Während Singles, die sich auf Singlebörsen kennenlernen, tendenziell einen ausführlicheren Schriftaustausch pflegen, bevor es zu einem ‹Offline-Treffen› kommt (vgl. Aretz et al. 2017: 20), treffen sich Singles, die sich auf Apps wie TinderTinder gefunden haben, häufig noch am selben Abend (vgl. Hahn et al. 2018: 5)AppParship.2
3.2 Wer sind die NutzerNutzer*in solcher Apps?
Die NutzerNutzer*in von Dating-AppsDating sind durchschnittlich jünger als die Nutzer von Singlebörsen; so sind 69 % der User von Apps wie TinderTinder und Co. gemäss Aretz zwischen 20 und 26 Jahren alt (vgl. Aretz 2015: 47). Wie bei den Singlebörsen existiert bei den Dating-Apps ebenfalls ein ‹Nischenmarkt›, der sich an ‹Dating-Minderheiten› bzw. Personen mit speziellen Vorlieben richtet (vgl. Ranzini et al. 2016: 17); meist ist aus den Namen ersichtlich, welche Präferenzen dort priorisiert werden, siehe beispielsweise ‹Vampire-Lovers› oder auch ‹DateHarvard› (vgl. Finkel et al. 2012: 11). Generische Dating-Apps wie Tinder oder Lovoo richten sich aber grundsätzlich an alle Singles, was heisst, dass die DatingDating-Apps sich auf keine spezifische, z.B. sexuelle, Präferenz festlegen, sondern eine breite Masse an Nutzern ansprechen (wollen). In solchen generischen Apps, wie auch bei den kommerziellen Singlebörsen, ist der überwiegende Anteil an Nutzern männlich. So beträgt er beispielsweise bei der Dating-AppApp Lovoo rund zwei Drittel (vgl. Nowroth 2014: 56). Abgesehen vom jüngeren Durchschnittsalter und einer höheren Bildung sind auch hier die ‹typischen User›, wie bei den Singlebörsen, «männlich und jünger» und «wohnen in städtischen Gebieten» (Schulz et al. 2008: 19).
3.3 Ablauf beim Online-DatingDating auf Apps
Da der Ablauf zwischen den verschiedenen Online-Dating-AppOnline-Dating-Apps, anders als bei den Online-Singlebörsen, nahezu bei allen Apps identisch ist, wird der gesamte Prozess hier an einer AppApp stellvertretend für alle aufgezeigt. Dabei handelt es sich um die derzeit beliebteste Dating-App der Welt: TinderTinder (vgl. Pantelić/Vladušić 2018: 26). Um Tinder nutzen zu können, benötigt der (künftige) User nur ein SmartphoneSmartphone und ein FacebookFacebook-Profil (vgl. Aretz 2015: 41). Das Tinder-Profil generiert sich sodann automatisch und importiert dabei Daten wie Alter und Gefällt-mir-Angaben sowie Bilder aus Facebook (vgl. Aretz 2015: 41). Der User kann diese Daten entweder anpassen oder direkt damit beginnen, potenzielle Dating-PartnerDating zu ‹bewerten›.
Das Bewerten basiert auf einer binären ‹Hot or Not›-Einteilung, bei der dem User ein Foto eines anderen Users angezeigt wird, welches er dann mit einem Wischen nach rechts (Hot) oder links (Not) bewertet. Von MatchmakingMatching ist hierbei keine Rede: Die Partner*innen werden nur grob vorselektioniert, nämlich nach 1) Geschlecht, 2) Alter und 3) Entfernung (vgl. Bömelburg 2015). Danach beginnt das ‹SwipenSwipen›: Eine Möglichkeit zur Kommunikation kommt erst dann zustande, wenn beide Partner*innen sich gegenseitig nach rechts (Hot) geswipetSwipen haben; dann heisst es in der AppApp: It’s a MatchMatching!
Interessant ist dabei besonders der unterschiedliche Stellenwert, der den Bildern nun neu bei Dating-AppsDating wie TinderTinder zukommt: Während bei der Kommunikation auf ParshipParship gezeigt werden konnte, dass die Schrift eine wesentliche Rolle beim Kennenlernprozess einnimmt, wird sie bei Tinder hingegen zu einer Marginalie – im wortwörtlichen Sinn: Nebst einem grossen Anzeigebild stehen dem User lediglich noch 240 bis 500 Zeichen zur Verfügung, um sein Gegenüber für sich einzunehmen (vgl. James 2015: 1; Warda 2013: 14). Eine Möglichkeit, auf die rund 36 % aller User freiwillig verzichten (vgl. Tyson et al. 2016: 465). Stattdessen wird vermehrt auf körperliche Attraktion – gezeigt durch Fotos – gesetzt, um potenzielle Partner*innen für sich zu gewinnen:
Die Fotos, die man auf Dating-PlattformenDating von sich zur Verfügung stellt, sind maßgeblich für den Erfolg oder Misserfolg der eigenen Partnersuche. […] Man beurteilt andere NutzerNutzer*in nur nach dem Aussehen […]. (Warda 2013: 12–14)
[…] the attractiveness of one’s photo is the sole, or at least the strongest, predictor of the appeal of one’s online datingDating profile. (Fiore et al. 2008: 2)
[…] physical attractiveness is commonly the first and most important factor in the selection process. (LeFebvre 2018: 1219)
Es findet also in der Hierarchie der interaktiven Mittel ein Wechsel von Schrift auf Bild statt: Überzeugen können zunächst die Personen, die dem äusseren Idealbild des Suchenden am nächsten kommen (vgl. James 2015: 2; Ranzini et al. 2016: 3). Somit erfährt das traditionelle Prinzip der ‹Liebe auf den ersten Blick› bei einer face-to-faceFace-to-Face-Gespräch Begegnung in der Offline-Welt eine Modernisierung und wird bei TinderTinder zur ‹Liebe auf den ersten Klick› – bzw. ‹Swipe›Swipen.
3.4 InteraktionInteraktion beim Online-DatingDating auf Apps
Anders als bei Singlebörsen wie ParshipParship, bei der die Kommunikationspartner «may chat for weeks before meeting face to face» (James 2015: 2), ist die ganze Kommunikation bei TinderTinder danach ausgerichtet, sich möglichst bald offline zu treffen (vgl. James 2015: 2). Durch die bereits angesprochene stärkere Gewichtung der Fotos auf DatingDating-Apps (vgl. Birnholtz 2014: 3; Fiore et al. 2008: 2) wird der Kommunikation damit deutlich weniger Wert beigemessen – oder anders: Es ist eine Verschiebung der Evaluationsparameter zu beobachten, nach denen User andere User beurteilen. Grammatik wird zweitrangig, ein ansprechendes Profilbild hingegen ‹match-entscheidend›Matching. So rangiert auch die ‹Intelligenz› bei den wünschenswerten Attributen von Frauen hinter der ‹körperlichen Attraktivität›, wie eine Untersuchung zu Tinder aus dem Jahr 2018 zeigt (vgl. Vitt 2018: 18).
Dass die Selektion nach dem Aussehen kein ausschliesslich männliches Phänomen ist, zeigt eine Studie von Appinio, bei welcher 75 % aller Befragten angaben, dass das ‹Aussehen› das entscheidende Selektionskriterium sei, wobei diesmal 43 % der Befragten weiblich waren (vgl. Appinio Study 2017). Von der AppApp zur Oberflächlichkeit gezwungen, geben User nicht nur offen zu, nur nach einem «specific type» (James 2015: 32) zu suchen, sondern auch, ihre eigenen Fotos zu verfälschen, d.h. sie so zu bearbeiten, dass sie attraktiver erscheinen (Vitt 2018: 53, Pidun 2016: 72, Ranzini et al. 2016: 7f.). Während es zur Selbstdarstellung und Attraktivitätskonstituierung auf TinderTinder bereits einiges an Forschungsliteratur gibt,1 besteht diesbezüglich bei der kommunikativen InteraktionInteraktion noch ein grosses Desiderat: Tyson et al. sprechen bei Tinder-Nachrichten von einer empirischen «black-box» (Tyson et al. 2016: 466). Mögliche Gründe, weshalb dem so ist, liegen in der privaten Natur solcher intimen Nachrichten (von Seiten der User) und den Gesetzen bezüglich Datenschutz und Verschwiegenheitspflicht (von Seiten der Betreiber solcher Apps). So ist es erklärbar, weshalb der Forschung bis anhin kein grösseres Korpus an solchen Nachrichten zur Verfügung steht (vgl. dazu auch Ranzini et al. 2016: 18).
Im World Wide Web hingegen gibt es zahlreiche Artikel und Seiten, die sich mit den (Arten von) Nachrichten auf TinderTinder beschäftigen. Diese lassen sich grob in zwei Teile gliedern: Ratgeber, wie man Frauen auf Tinder anspricht, und humoristische Seiten, die sogenannte ‹Fails› (dt. Reinfall/Scheitern) solcher Ansprechversuche zeigen. Allerdings haben diese Seiten kaum einen empirischen Anspruch, sondern sind, obwohl sie durchaus die Realität auf Tinder abbilden können, mehr zu Unterhaltungszwecken gedacht, wie Abb. 2. und Abb. 3. zeigen:
Abb. 2:
TinderTinder Fail
Abb. 3:
TinderTinder Fail
Diese beiden Abbildungen zeigen ‹gescheiterte Ansprechversuche› auf TinderTinder: Bei Abb. 2. folgte auf ein neutrales ‹How do you do› (dt. wie geht es dir) direkt eine sexuelle Obszönität, die in keinem Verhältnis zu der bisher (nicht) aufgebauten Nähe steht.
Einen Normverstoss begeht auch der User in Abb. 3., indem er Sarah weiterhin schreibt, auch wenn diese tagelang nicht antwortet und den Kontakt offenbar nicht fortführen möchte. Die Frage zum Schluss, ob man nun ‹Boyfriend and Girlfriend› sei, also eine Beziehung führe, kann humorhaft/ironisch gemeint sein oder ein Versuch, mit dieser Aussage Sarah wieder zu einer Reaktion zu bewegen. Ob ironisch gemeint oder nicht, der Ansprechversuch verlief ins Leere und ist deswegen ein ‹Fail›.
Abb. 4:
TinderTinder Nachricht
Abb. 4. zeigt eine häufig vorkommende TinderTinder-Nachricht: ein neutrales, wenn auch gleich etwas einfallsloses ‹Hey›. Dass diese Nachricht als ‹Fail› gewertet wird, liegt daran, dass sich daran kein Gespräch anknüpfen lässt, da die Nachricht keine Frage oder interessante Informationen beinhaltet. Das Gegenüber erfährt nichts über den Absender, der sich offenbar auch wenig Mühe mit seiner Erstnachricht gegeben hat – entsprechend bleiben viele Nachrichten, die lediglich aus einem ‹Hey› bestehen, unbeantwortet.
Zwar zeugen solche (Fail-)Artikel nicht von grosser Empirie, dennoch lassen sich daraus generelle Annahmen ableiten, welche sich dann auch in der Forschung bestätigt finden: Frauen erhalten auf TinderTinder generell viele MatchesMatching, während Männer seltener zurück ‹gematchet› werden, was zu etwas führt, das Tyson et al. einen «Feedback-Loop» nennen:
Men see that they are matchingMatching with few people, and therefore become less discerning; women, on the other hand, find that they match with most men, and become more discerning. (Tyson et al. 2016: 464)
Dies führt zu zweierlei Verhalten: erstens dazu, dass Männer wahllos Frauen liken, in der Hoffnung, so zumindest ein ‹Like› zurück zu erhalten, und zweitens dazu, dass die ‹Qualität›2 der Nachrichten, die sie senden, sinkt (siehe Abb. 4.), da es sich nicht zu lohnen scheint, ‹Mühe und Zeit zu investieren›, wenn noch nicht klar ist, ob überhaupt auf die Nachricht reagiert wird (vgl. Tyson et al. 2016: 464). Dadurch ergeben sich unterschiedliche Probleme für Männer und Frauen bei der Nutzung von TinderTinder: Männer benennen als die beiden grössten Probleme, dass viele ihre Nachrichten unbeantwortet bleiben und dass nur sehr wenige Frauen von sich aus Männer anschreiben, während Frauen sich darüber beklagen, auf Tinder «anstößige/sexuell explizite (29,0 %) oder langweilige Nachrichten [zu] bekommen (16,5 %)» (Kroon 2015: 41). Die ‹anstössigen/sexuell impliziten› Nachrichten sind dabei – wie oben bereits erwähnt – ein bekanntes Tinder-Phänomen (siehe Abb. 2. Tinder Fail), ikonisch für diese Art Nachricht ist dabei das berüchtigte ‹Dick-pic›3 (dt. ‹Schwanzfoto›).
Die ‹langweiligen Nachrichten›, welche bei Kroon genannt werden, scheinen dabei dem von Tyson et al. erwähnten ‹Feedback-Loop› geschuldet zu sein: Männer verschicken als Initial-Nachricht meist nur eine kurze, unspezifische Begrüssung wie ‹hey›, da diese für sie mit wenig Aufwand verbunden ist. Aus dieser Perspektive gesehen, verfahren Männer somit beim TinderTinder-DatingDating ökonomisch und verschwenden erst mal keine ‹Ressourcen› (in Form von längeren, individualisierten Nachrichten, welche mit mehr Aufwand verbunden sind), sondern warten erst ab, ob sich ein Kontakt mit einer gematchtenMatching Userin etabliert. Dass diese ‹Flirt-Strategie› nicht unbedingt erfolgsversprechend ist, sieht man an Kroons und Tysons Untersuchungen, in denen Frauen sich über diese Art von Nachrichten beklagen (vgl. Kroon 2015: 41) und häufig erst gar nicht auf solche antworten (vgl. Tyson et al. 2016: 464).
3.5 Eigenes Korpus
Um etwas mehr über die Art der sprachlichen InteraktionInteraktion auf TinderTinder aussagen zu können, wurde ein eigenes Korpus an Tinder-Nachrichten angelegt; die Auswertung von diesem wird im Folgenden kurz präsentiert. Dabei wurden 550 Erstnachrichten von Männern an fünf verschiedene Frauen untersucht und in folgende Kategorien eingeteilt:
Tab. 1:
Tabelle TinderTinder Erstnachrichten
Zur Darstellung: Bei allen 550 untersuchten Nachrichten handelt es sich um ‹Erstnachrichten›, also um die initiale Nachricht, die nach dem entstandenen MatchMatching verschickt wurde. Die horizontale Achse gibt Aufschluss darüber, wie viel Prozent dieser 550 Nachrichten den neun Kategorien auf der vertikalen Achse jeweils entsprechen. Zwei Kategorien sollen an dieser Stelle genauer erläutert werden, zum einen die Kategorie ‹Weitere› und zum anderen die Kategorie ‹Sonstige Fragen›. Erstere wurde gewählt, da die Nachrichten innerhalb dieser Kategorie inhaltlich so stark divergierten, dass sich keine einheitliche Überschrift finden liess: So erzählte ein NutzerNutzer*in ausführlich von seinen Hobbys, während ein anderer als Erstnachricht einen längeren Text verfasst hat, wie das perfekte Date mit der gematchtenMatching Userin in seiner Vorstellung aussah. Der Grund für die Entscheidung zu der Kategorie ‹Weitere› ist daher ein bewusstes Verzichten auf die Option von zu vielen einzelnen Kategorien mit jeweils sehr geringem Prozentsatz. Obwohl es sich bei der Kategorie ‹Frage nach einem Treffen› – streng genommen ebenfalls eine Frage handelt, wurde an dieser Stelle eine Unterscheidung und Abgrenzung zu ‹Sonstigen Fragen› wie ‹Wie geht es dir?› als wichtig erachtet, da die ‹Frage nach einem Treffen› den Kontakt, bzw. die InteraktionInteraktion, intensivieren und auf eine andere, persönlichere1 Ebene überführen möchte.2
Zur Interpretation: Es zeigt sich rasch, dass die ErwartungErwartungshaltung, dass Bilder auf TinderTinder einen grossen Stellenwert einnehmen, verifiziert werden konnte: Nach den Nachrichten mit kurzen Begrüssungen wie ‹Hallo› oder ‹Hey du› (20,2 %) und Frage-Nachrichten wie ‹Was machst du so?› oder ‹Wie geht es dir?› (37,7 %) sind Nachrichten, die spezifischen Bezug auf die Fotos im Profil nehmen, am häufigsten (17,5 %). Ebenfalls erwartungskonform gibt es sehr wenig längere Texte: 6,2 % verschicken als Erstnachricht sogar keinen Text, sondern nur ein EmojiEmoji; 20,2 % schreiben eine kurze Begrüssung mit weniger als 10 Zeichen und lediglich 6 % schreiben einen vergleichsweise ‹längeren› Text. Auch die Sonstige-Frage-Nachricht (37,3 %) und die Variante, in der eine Begrüssungsfloskel, die mit einem Kompliment verbunden wird (‹Hallo meine Schöne›), sind typischerweise eher kurze Texte.
Überraschend war bei diesem Korpus, dass nur sehr wenige sexuelle/obszöne Nachrichten verschickt wurden (1,8 %), obwohl dies bei Kroon als das grösste Problem von weiblichen TinderTinder-Userinnen benannt wurde (vgl. Kroon 2015: 41). Eine Erklärung dafür könnte sein, dass in dieser Untersuchung nur Erstnachrichten berücksichtigt wurden. Es ist davon auszugehen, dass Nachrichten mit sexuellem Inhalt bei einem längeren Austausch vermehrt erfolgt wären. Vergleichsweise niedrig fallen auch die Fragen nach einem persönlichen Treffen aus (2,7 %), was allerdings dem ungünstigen Zeitpunkt, in dem die Untersuchung stattfand, geschuldet sein könnte.3 Somit kann davon ausgegangen werden, dass diese Zahl zu einem anderen Zeitpunkt deutlich höher gewesen wäre. Unerwartet war, dass sich bei diesen 550 Erstnachrichten auch solche mit beleidigendem Inhalt (0,7 %) fanden (‹Du siehst arrogant aus!›). Solche Nachrichten erscheinen unsinnig, da der User, von dem diese Nachricht stammte, die ‹arrogant aussehende› Userin schliesslich zuvor nach ‹hot› geswipetSwipen hatte.
Insgesamt lässt sich sagen, dass der allgemeine Ton auf TinderTinder eher direkt ist, denn auch wenn nicht unmittelbar nach einem Treffen gefragt oder Nachrichten mit obszönem Inhalt verschickt werden, wird durch Fragen wie ‹Was suchst du hier?› oder gar Aussagen wie ‹Am besten spare ich uns beiden Zeit, indem ich dir gleich direkt sage, dass ich momentan nicht auf der Suche nach etwas Festem bin und einfach nur geniessen möchte› ersichtlich, dass Tinder eine AppApp ist, in der ein längerer Gedankenaustausch nicht unbedingt an erster Stelle steht, im Gegenteil: Die von Garcia et al. angesprochene <HookUp>-Kultur wird auf Tinder hochgehalten und – mal mehr, mal weniger direkt – auch angesprochen. So finden sich unter den Nachrichten von spracheloquenten Usern auch Mitteilungen wie: <Dein Profil hat mich sehr angesprochen, berührt und auch die restlichen Sinne stimuliert. Lass uns doch mal (Fi)lme gu(cken)!› (Privates Korpus).
Zur sprachlichen Form von TinderTinder-Nachrichten kann man festhalten, dass ein sehr lockerer, umgangssprachlicher Ton herrscht, Rechtschreibregeln wie Gross- und Kleinschreibung meist nicht eingehalten werden, auf Orthographie, im Sinne der Richtigschreibung eines Wortes, hingegen Wert gelegt wird. Die Art des Diskurses ist, obwohl schriftlich, von einer starken Mündlichkeit geprägt. Die Nachrichten simulieren eher ein persönliches Gespräch (bzw. ein Ansprechen auf der Strasse) als einen schriftlichen Austausch und sind somit wenn auch nicht medial, so doch konzeptionell auf der mündlichen Ebene. Die Mehrheit der Nachrichten enthält zudem Emojis und/oder GIFsGIF,4 welche den Texten einen spielerischen Touch geben und stellvertretend für paralinguistische Zeichen (Lächeln, Zwinkern) stehen. Die konzeptionelle Mündlichkeit, der lockere Umgang mit grammatikalischen Regeln, die Emojis sowie das ‹Du› vermitteln alle eine Nähe, die faktisch (noch) nicht zwischen den beiden Usern besteht. Somit bedient sich Tinder bzw. der Tinder-User denselben Strategien wie der User auf den Online-Singlebörsen zuvor.
Parallelen sind nicht nur bei den Strategien der User, sondern auch bei den Funktionen der App/WebseiteApp zu finden. So ist das ‹Flämmchen-EmojiEmoji›, das man auf TinderTinder verschicken kann, etwa äquivalent zu dem ‹Anlächeln› auf ParshipParship. Neu dazugekommen ist von der technischenTechnik Seite die LBRTD-Praxis und das binäre Hot/Not SwipingSwipen-Verfahren, was auf der Seite der User wiederum zu einer grösseren Oberflächlichkeit und (erzwungenen) stärkeren Gewichtung der optischen Werte führt.
Die verschärfte Selektion bei der Suche nach dem ‹perfekten Partner› könnte bereits heute den Weg für den künftigen Wunsch nach einem programmierbaren Partner geebnet haben. Für Zhou und Fischer hängt der Zeitpunkt dieses künstlichen Partners lediglich mit zwei Faktoren zusammen:
(a) the speed of research and development in sexual applications of artificial intelligence and (b) the speed of social adaption to these technologies. (Zhou/Fischer 2019: 181)
Betrachtet man die aktuelle Forschungslage und die starken Emotionen, die Menschen bereits heute MaschinenMaschine gegenüber zeigen,Roboterantropomorph5 so scheint dieser Zeitpunkt nicht mehr in allzu weiter Ferne zu liegen (vgl. Roos 2014).