Kitabı oku: «Menschen, die Geschichte schrieben», sayfa 6

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DER APOSTEL BEI DER FORMIERUNG DES CHRISTLICHEN SPANIEN

Damit waren aber zugleich zwei weitere Perspektiven eröffnet: eine, die sich eher auf Galicien und Spanien bezog, eine andere mit weiter gespannten Dimensionen. Beide Bereiche waren miteinander verflochten und entwickelten sich nicht nacheinander, sondern parallel, wenn auch unterschiedlich nach Rhythmus und Intensität. Vielleicht hilft es dabei, eine Unterscheidung zu treffen: Der Grabeskult in Compostela betraf besonders Galicien, prinzipiell aber alle Gläubigen, die Berichte über eine Missionstätigkeit des Apostels eher Spanien selbst.

Für das Bild von Jakobus wurde auf der Iberischen Halbinsel eine Facette bedeutend, die meist mit dem Landespatronat des Apostels verbunden wird. Die Entwicklung vollzog sich in mehreren Schritten. Ausgangspunkte waren hier weniger die Verehrung seines Grabes oder der Bericht über die Translation, sondern die seit dem 8. Jahrhundert kursierenden Erzählungen, dass Jakobus der Ältere auf der Iberischen Halbinsel gepredigt habe. Von dieser Argumentation her werden seit der Zeit der Kreuzzüge zunehmend auch Vorstellungen von Schutz und Hilfe des Apostels für die Anliegen der christlichen Hispania entwickelt. Eine Legende über die Eroberung von Coimbra (1064) mithilfe des Apostels Jakobus, die um 1100 aufgezeichnet wurde, ist das erste zentrale Zeugnis. Wichtiger wurde die Interpretation der legendären Schlacht von Clavijo im 12. Jahrhundert. Wiederum wurde eine Fälschung bzw. eine Fiktion entscheidend: das Privileg der „votos de Santiago“. Zwischen 1155 und 1172 brachte der Compostelaner Kleriker Pedro Marcio dieses Schriftstück in eine Form, die bis in die Neuzeit bedeutend blieb. Eine Abgabe vieler Bewohner der Iberischen Halbinsel an die Kirche des Apostels wurde auf die angebliche Schlacht von Clavijo (834 oder 844) zurückgeführt: Nach einer Niederlage der Christen habe Jakobus in einer Vision Hilfe angeboten, danach hätten die Truppen des Königs Ramiro gesiegt. Zum Dank hätte Ramiro die jährliche Zahlung an die Basilika des Apostels festgelegt, die jeder Christ in der ganzen Hispania entrichten müsse. Außerdem solle nach jedem Sieg über die Sarazenen ein Beuteanteil abgegeben werden.6 Der schon lange als Fälschung erwiesene Text7 ist aus der Situation des 12. Jahrhunderts zu erklären, knüpft jedoch an frühere Privilegien oder Schriften an8 und greift auch Elemente der Kreuzzugsidee auf.

Die Chronistik des 13. Jahrhunderts hat diese Version übernommen – denkt man an historiografische Entwürfe wie die von Rodrigo Jiménez de Rada (1247) oder die Primern Crónica general.9 Nicht hoch genug einzuschätzen für die Verankerung der Clavijo-Episode im historischen Wissen der Zeitgenossen und im Bewusstsein ihrer Nachfahren ist aber auch die Tatsache, dass durch die Forderung der „votos“-Abgaben fortwährend Bilder des Schlachtenhelfers Jakobus evoziert wurden. Damit hatte die Rolle des Apostels einen festen Platz in der spanischen Geschichtsschreibung, aber auch im „öffentlichen Bewusstsein“ und „kollektiven Gedächtnis“ erobert.10

Intensiviert wurde die Rolle eines für die Hispania wirkenden Jakobus in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts weiterhin durch die Förderung seiner Verehrung durch die Könige von León sowie durch die Gründung des Santiago-Ritterordens, der unter dem Schutz des heiligen Jakobus Krieg gegen die Muslime führte, aber gerade langfristig auch „national-hispanische Identität förderte.

APOSTELSITZ UND KIRCHLICHE ANSPRÜCHE

Bestand aber darin die einzige Weiterentwicklung der sogenannten frühesten spanischen Traditionen? Etwa gleichzeitig betrieben die Bischöfe und Erzbischöfe die Entwicklung Compostelas zu einem Apostelsitz, einer sedes apostolica, mit den entsprechenden Vorrechten. Es bedurfte reformerisch denkender Päpste im 11. Jahrhundert, die auch den Vorrang Roms stärker in den Vordergrund rückten, um diese Versuche Compostelas in ihre Schranken zu verweisen. So kritisierte Leo IX. 1049 auf dem Konzil in Reims, dass der Bischof von Compostela sich widerrechtlich „apostolischer“ Titel bediene.11 Diese Kritik führte Gregor VII. noch weiter. In einem Brief von 1074 an König Alfons VI. bemerkte er, Schüler der hl. Petrus und Paulus hätten die Iberische Halbinsel zum christlichen Glauben geführt12 – von Jakobus kein Sterbenswörtchen. Diese Position ordnet sich deutlich in die allgemeinen Bestrebungen Roms ein, die Missionierungen in der frühchristlichen Zeit Schülern des Petrus und Paulus zuzuschreiben und damit den Rombezug der jeweiligen Kirchen wie durch ein Netzwerk zu verstärken. Für Compostela, das die Reliquien eines Apostels beanspruchte, bedeutete dies eine Herausforderung: Vor allem der ehrgeizige Erzbischof Diego Gelmírez (1098/99–1140) konnte in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts durch Legationen, Argumentationen, aber auch mithilfe von Fälschungen seine Position als Vorsteher einer Kirche, die sich eines Apostelgrabes rühmte, ständig weiterverbessern, sodass Compostela schließlich auf abenteuerliche Weise 1124 Erzbistum wurde und seine hervorgehobene Position auch im Streit mit Toledo und Braga während des 12. und 13. Jahrhunderts weiter verteidigte.

„EUROPÄISIERUNG“ DURCH PILGERFAHRTEN UND PROPAGANDA

Bei dieser Rangerhöhung innerhalb der lateinisch-christlichen Kirche, die sich auch gegen Ansprüche Toledos richtete, kam dem Erzbischof von Compostela aber auch zugute, dass der galicische Ort inzwischen zu einem großen Pilgerzentrum geworden war, dessen Einzugsbereich längst europäische Dimensionen erlangt hatte. So argumentierte man nicht nur mit dem Hinweis auf den Besitz der Apostelreliquien und auf die Pilgerverehrung, sondern förderte die Bereitschaft des Papstes und seiner Umgebung zur Rangerhöhung durch reiche Geldgeschenke, die zumindest teilweise auf die außergewöhnlich großen Pilgergaben zurückgingen:13 So gehörten beispielsweise eine goldene Truhe, 211 Poiteviner Schillinge, sechzig Mailänder Münzen und 20 Tolosaner Schillinge zu den Gaben, die auf abenteuerliche Weise nach Südfrankreich in die Umgebung des Papstes gelangten.14

Damit leite ich zu einem zweiten Aspekt über: Wie groß war die Ausstrahlung des Jakobuskultes geworden und wie wirkte dies weiter? Allgemeine Tendenzen der Frömmigkeitsgeschichte, so die verschiedenen Motivationen, die das Pilgern im Mittelalter insgesamt so beliebt machten, die zunehmende Mobilität, der leichtere Austausch von Nachrichten über größere Distanzen und weitere Rahmenbedingungen können hier jedoch nur erwähnt, nicht weiter dargelegt werden.

Die Compostelaner Bistumsgeschichte aus der Mitte des 12. Jahrhunderts berichtet davon, dass im Jahre 1121 der muslimische Almoraviden-Emir Ali benYusuf (1106–1143) aus dem südlichen Spanien Boten zu der christlichen Königin Urraca (1109–1126) gesandt habe. Diese sahen in Navarra die Massen christlicher Pilger, die nach Santiago zogen.15

Deshalb fragten sie einen Mann namens Peter, der ihre Sprache beherrschte: „Wer ist dieser große Mann, den unzählige Christen von jenseits und diesseits der Pyrenäen aufsuchen, um ihn zu verehren? Die Menge der christlichen Pilger, die nach Compostela gehen und wieder zurückkommen, ist so groß, daß sie kaum den Weg nach Westen offen lassen.“ Da wurde ihnen geantwortet, es sei der hl. Jakobus, der Apostel ihres Herrn […], dessen Leichnam in Galicien begraben liege und den Gallien, England, Latium und Deutschland, alle christlichen Provinzen und besonders Spanien als ihren Patron verehren.

Gab es also Stau auf den Pilgerwegen? Die sicher nicht ganz unparteiische, weil in Compostela verzeichnete Notiz lässt zweierlei erkennen: Auch Muslimen wurde das Zentrum Compostela bekannt gemacht, es war auch schon in früherer Zeit in arabischen Quellen erwähnt worden. Und: Es werden hier vor allem Franzosen, Deutsche und Italiener, und weiterhin Engländer erwähnt. Das in der Mitte des 12. Jahrhunderts wohl in Compostela zusammengestellte Jakobsbuch, der Liber Sancti Jacobi, hebt ebenfalls besonders Deutsche, Franzosen und Italiener – wenn mir hier diese modernen Bezeichnungen erlaubt seien — hervor.16

Für unsere Fragestellung ist aber immer wieder der fünfte Teil dieses Jakobsbuches, ein Pilgerführer, herangezogen worden. Dieser Führer ist sicher nicht von Pilgern und Reisenden – so viel verrät die Überlieferung eindeutig – als praktische Handreichung verwendet worden. Er lässt eher propagandistische Absichten des Pilgerzentrums Compostela erkennen. Einige Forscher glauben, der Autor dieses Führers stamme aus Frankreich, aber dies ist keinesfalls sicher. Unterschieden werden in diesem Text vier Ausgangswege nach Santiago, die alle in Frankreich beginnen: in Tours, Vezelay, Le Puy und in Saint-Gilles. Damit hatte der Autor die bis heute in fast jedem Buch für Jakobspilger reproduzierten Wege gleichsam festgeschrieben und kanonisiert. Übertrieben könnte man von einer „Erfindung der Pilgerwege“ durch den Autor dieser Zeilen sprechen. Übersehen wird meist jedoch ein erstaunlich geschickter propagandistischer Coup, indem das für fast alle europäischen Regionen so weit entfernte Jakobusgrab herangeholt, ja gleichsam in das übrige Europa hereingeholt wurde. Wichtige konkurrierende Kultzentren in Frankreich ordnete der Autor dem spanischen Jakobusgrab unter, indem er in einem wichtigen Kapitel Orte wie Tours, Saint-Foy in Conques, Saint-Léonhard im Limousin oder Toulouse einfach als Heiligtümer auf dem Weg, als Stationen zum Zielort, weniger als eigenständige Zentren würdigte. So erschien der Weg als wichtiger Teil der Jakobusverehrung und das entfernte Compostela an der geografischen Peripherie rückte gleichsam ideell ins Zentrum. Dass das Ende der damals bekannten Welt, das Cap Finis terrae, später von Jakobspilgern mit aufgesucht wurde, verlieh der Pilgerfahrt eine weitere eschatologische Perspektive, denn dort blickte man nicht nur auf das Meer, sondern war vielleicht auch der Ewigkeit näher gerückt.

Trotz gewisser Vorbehalte gegenüber den bisher zitierten Quellen, die pro domo schrieben, verdeutlicht diese Propaganda im Pilgerführer des 12. Jahrhunderts zumindest Tendenzen in der Mitte des 12. Jahrhunderts, darunter den Versuch, gewisse Ansprüche Compostelas als großes überregionales Pilgerzentrum umzusetzen. Zu diesen eher offiziellen Stimmen trat die in Mirakelberichten greifbare Mundpropaganda, die deutlich machte, wo ein besonders mächtiger Heiliger mit großer Wunderwirkmacht anzutreffen sei.

Lässt sich mit weiteren Quellen der Kulteinzugsbereich des Apostelgrabes in Compostela genauer nachweisen? Für das Hochmittelalter betreffen überlieferte Nachrichten zu einzelnen Pilgern vor allem Angehörige des höheren Adels beziehungsweise des Klerus. Als erster namentlich belegter Pilger, der nicht aus der Nähe Compostelas kam, gilt Bischof Godeschalk von Le Puy im Jahre 950/51. Trägt man auf einer Karte alle von der Mitte des 10. Jahrhunderts bis Ende des 12. Jahrhunderts bezeugten Pilger ein,17 so geht aus dieser Übersicht eine klare Tendenz hervor: Der Einzugsbereich des Pilgerzentrums Santiago de Compostela liegt zu dieser Zeit in West- und Mitteleuropa, insbesondere in Frankreich, Katalonien, Deutschland und Italien. Allerdings reicht er vereinzelt schon weiter. Seit Ende des 11. Jahrhunderts sind die ersten englischen Pilger belegt,18 1180 der erste Schwede.

Dieser Eindruck lässt sich durch weitere Befunde für das Hochmittelalter stützen. Viele der Wundergeschichten, die als zweites Buch in den Liber Sancti Jacobi integriert wurden, beziehen sich auch auf die Pilgerfahrt nach Compostela. Wenn vielleicht auch Zweifel an den Wundergeschichten oder den Wundern selbst erlaubt sind, so dürften die geografischen Bezüge nicht frei erfunden worden sein. Die Herkunft der in diesen Mirakeln genannten Personen bestätigt im Wesentlichen das bereits gewonnene Bild: Frankreich, Deutschland und Italien erscheinen bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts als Kernräume der außerspanischen Jakobusverehrung.

Kanonisten zählen seit dem beginnenden 13. Jahrhundert den Besuch von Compostela neben Rom und Jerusalem zu den großen Pilgerfahrten, den peregrinationes maiores. Eine für den Einzugsbereich der Compostelafahrten im Spätmittelalter aussagekräftige Quellengattung sind die Geleitbriefe. In den Registern der aragonesischen Kanzlei ist eine Vielzahl der in der Regel für Einzelpersonen ausgestellten Geleitbriefe überliefert. Für die besonders reich dokumentierten Jahre 1378–1422 ergibt sich aus insgesamt 134 Geleitbriefen vor allem, dass nun Osteuropa erstmals nachweisbar zur Jakobspilgerschaft beitrug. Trotzdem blieb der Schwerpunkt in Frankreich, Deutschland und Italien. Mit diesen Geleitbriefen ist jedoch nur eine besonders aussagekräftige Quellenart genannt; für das Spätmittelalter verfügen wir über eine Vielzahl von Quellengattungen mit Belegen, die über das heutige Europa hinausreichen, bis hin nach Armenien.

Die Ausweitung des Einzugsbereichs ließe sich weiter – was eine eigene Darstellung wäre – an den Spuren des Kults außerhalb Galiciens und Spaniens ablesen. Denkt man an die Verbreitung der Texte, die Funde von Pilgermuscheln in Gräbern, an künstlerische Darstellungen des Apostels, der auch in Deutschland seit dem 13. Jahrhundert vor allem als Pilger, dann zuweilen unter dem Eindruck der Türkengefahr als Schlachtenhelfer dargestellt wird, so lässt sich eine zunehmende Verbreitung mit deutlichen regionalen Schwerpunkten ablesen. Betrachtet man zum Beispiel den polnischen Raum, so konzentrieren sich die bisher gesichteten Belege auf die Diözese Krakau und den Ostseeraum. Für Deutschland ist hervorzuheben, dass ganz bestimmte ikonografische Formen, wie die Segnung und Austeilung von Pilgerstäben und Pilgertaschen, die „Krönung“ der Pilger nach vollendeter Reise durch den Apostel oder die Darstellung eines Wunders, wie etwa ein unterwegs gehenkter Pilger von Jakobus gerettet wurde, seit dem 12./13. Jahrhundert immer mehr an Gewicht gewannen. Hinzu trat die Literatur, die das Pilgerthema, auch des Jakobsbruders, immer häufiger aufgriff, zuweilen kritisch persiflierte. Die Muschel, zunächst das Abzeichen, das Jakobspilger zum Beleg ihrer Fahrt zurückbrachten, wurde bald zum Zeichen der Pilger schlechthin.

DIE „ENTSTEHUNG EUROPAS“ AUF DEN PILGERWEGEN?

Wenn der Kult und die Pilgerbewegung im späten Mittelalter bis nach Polen und Ungarn, vereinzelt sogar bis in den Vorderen Orient ausstrahlten, so stellt sich vor dem Hintergrund des europäischen Leitmotivs die Frage, ob Jakobspilger europäische Gemeinschaft auch dadurch stifteten, dass sie andere Pilger trafen, fremde Völker und Gebräuche auf ihren Wegen wahrnahmen. Gab es so etwas wie eine Annäherung der Nationen auf den Pilgerwegen? Haben die Wege Europa zusammengeführt, wie Goethe sogar einmal gesagt haben soll19 und Politiker heute immer wieder mit unterschiedlichen Interessen hervorheben? Die überlieferten Pilgerführer und die Reiseberichte, die vor allem erst seit dem 15. Jahrhundert aufgezeichnet wurden, können hier zumindest einige Hinweise geben.

Wie werden Länder und Bewohner im schon genannten Pilgerführer nach Santiago de Compostela aus dem 12. Jahrhundert vorgestellt? Ein Kapitel über Landschaften und Bewohner zwischen Tours und Compostela ist aufschlussreich:20

[…] Die Poiteviner sind stark, gute Krieger; sie beherrschen Bogen, Pfeil und Lanze im Krieg vortrefflich, zeigen Mut in der Schlachtreihe, sind schnell im Lauf, elegant in der Kleidung, von Gesicht schön, gewandt im Wort, großzügig und gastfreundlich.

Weitere Gegenden werden weniger positiv hervorgehoben, so anschließend die Gascogne, zumindest was die Bewohner betrifft:

[…] sie sind schwatzhaft, spöttisch, lüstern, Wein und Essen zugeneigt, schlecht mit Kleidung sowie Schätzen und Schmuck ausgestattet, aber an den Krieg gewöhnt und in der Gastlichkeit gegenüber Armen zuvorkommend. Wenn sie am Feuer sitzen, essen sie gewöhnlich ohne Tisch und trinken gemeinsam aus einem Becher. […] sie schlafen alle zusammen auf wenig verfaultem Stroh, sogar das Gesinde mit Herr und Herrin. […]

Zum waldreichen Baskenland bemerkt der Autor zum Beispiel:

Die Zöllner in diesem Land, nahe des Cisapasses, in einem Ort namens Ostabat und in St-Jean und St-Michel-Pied-de-Port, sind schlecht und von Grund auf zu verdammen. […] Obwohl sie eigentlich nur von Leuten, die ausschließlich Handel treiben, einen Tribut verlangen dürfen, nehmen sie ebenso eine Abgabe von Pilgern und Durchreisenden […].

Die Bewohner Navarras ähneln den Basken weitgehend, haben angeblich nur eine hellere Haut:

Die Navarresen tragen schwarze Kleider, die so kurz sind, daß sie nach schottischer Art nur bis zum Knie reichen, sie haben Schuhe aus ungegerbtem, noch behaartem Leder, die sie lavarcas nennen. […] Wenn man sie essen sieht, glaubt man fressende Hunde oder Schweine vor sich zu haben. Wenn man sie reden hört, erinnert es an Hundegebell. Ihre Sprache wirkt durchaus fremd. Sie nennen Gott Urcia, die Gottesmutter Andrea Maria, das Brot orgui, den Wein ardum, das Fleisch aragui, den Fisch araign, das Haus echea […].

Schließlich heißt es gegen Ende dieses Kapitels:

Die Galicier ähneln unserem französischen Volk im Vergleich zu allen übrigen unkultivierten spanischen Völkern durch ihre Gebräuche am meisten, aber sie gelten als jähzornig und streitsüchtig.

Kulturelle Merkmale der beschriebenen Bewohner, Charaktereigenschaften, Gebräuche und Eigenheiten werden meist mit Hinweisen auf Essen und Trinken, zuweilen auf Bekleidungsformen, aber auch auf Sprache gekennzeichnet. Auffällig bleibt, welche Völker positiv, welche negativ beschrieben werden. Negativ werden vor allem Gascogner, Basken und Navarresen gekennzeichnet. Gute Noten erhalten die Poiteviner, aber auch die Galicier, weil sie der gens Gallica am ähnlichsten seien. Der Autor dieses Kapitels, wahrscheinlich aus Frankreich stammend, misst Völker und Gegenden offensichtlich an der eigenen Herkunft. Er zeichnete nicht nur Beobachtungen auf, doch bis zu welchem Grad er Klischees, Topoi, literarische Traditionen oder Vorurteile aufgriff, lässt sich nur annäherungsweise bestimmen.

Einen weniger propagandistischen, dafür stärker praxisbezogenen Hintergrund hat der gedruckte Pilgerführer des Servitenmönches Hermann Künig von Vach, wohl von 1495, der die sogenannte Ober- und Niederstraße nach Compostela beschreibt. Im Unterschied zu dem Pilgerführer des Liber Sancti Jacobi ist dieser Text sicher stärker rezipiert worden; dies legen allein die mehrfachen Druckausgaben nahe; die holprigen Reime dürften außerdem beim Memorieren geholfen haben.21

Beginnen ließ Hermann Künig seine Wegbeschreibung in Einsiedeln, weiter ging es über die Schweiz, Savoyen, das Rhônetal, Südfrankreich und dann den sogenannten „camino francés“ durch den Norden Spaniens.

Den Hinweg von Einsiedeln aus hat Hermann Künig die „Oberstraße“ genannt, auf dem Rückweg führt er den Leser über die sogenannte „Niederstraße“. Bis kurz vor den Pyrenäen bleiben Hin- und Rückweg weitgehend gleich, in Frankreich ging es über Bordeaux, Blaye, Saintes, Poitiers, Tours; von dort entweder nach Metz oder weiter über Paris, Valenciennes und Brüssel nach Aachen, wo der Verfasser seinen Reiseführer enden lässt. Insgesamt wird deutlich, dass die Pilger als Deutsche angesprochen werden. Schon zu Anfang will Künig die Gemeinheiten der Kapaune, ein Schimpfwort für böse Wirte, nicht unerwähnt lassen (Vers 9); später hebt er Nachstellungen warnend hervor: So sei ein Spitalmeister in Burgos den Deutschen nicht gewogen (Vers 207). Dafür werden Namen von deutschen Wirten empfohlen, die auch in der Fremde Hilfe böten, so in Genf (Vers 94). Ortsnamen sind germanisiert, verballhornt: Genf heißt „Senefaß“, das Armagnac „Armer Jacken Land“, Castrojeriz ist „Castelfritz“ und so fort.

Ein Pilgerlied, „Wer das elent bawen wel“, diene hier als weiteres Zeugnis. Es wurde etwa in der gleichen Zeit wie Künigs Führer aufgezeichnet, war aber vielleicht schon früher verbreitet. Die einzelnen Strophen beschreiben zunächst die Ausrüstung des Pilgers, weiterhin die üblichen Vorbereitungen und berichten dann strophenweise über die verschiedenen Landschaften am Weg, der grundsätzlich der „Oberstraße“, wie Hermann Künig sie nennt, folgt. Allerdings sind einige Orte vertauscht, werden einige Umwege beschrieben: Besonders Berg- und Passüberquerungen erscheinen so wichtig, dass sie in drei Strophen (10–12) eigens thematisiert werden.

Zu Burgos erzählen viele Strophen das Drama über die Untaten und die Bestrafung des Spitalmeisters (Strophe 13–23). Ein spanischer König ließ drei Spitäler erbauen: Als er von deutschen Pilgern erfuhr, dass in einem Spital 350 Pilger vergiftet worden seien, verkleidete sich der König selbst als Pilger, fand das Spital in Burgos verwahrlost vor und ließ den Spitalmeister, der sich zudem als Mörder verriet, gefangen nehmen und hinrichten. Eine solche Geschichte verdeutlicht, wie sehr das Lied Probleme der einfachen Pilger aufgriff. Erst die letzten drei Strophen lenken dann auf den restlichen Weg nach Compostela, den Abstecher zum nahe gelegenen Kap Finisterre zurück.

Das Lied gilt vielfach dem Pilgeralltag: Es geht um Ausstattung, Wegverlauf, Verpflegung und Unterbringung. Die verschiedenen Länder und Völker erhalten unterschiedliche Noten: „So ziehen wir durch Schweizerlant ein, sie haißen uns got welkum sein.“ Danach aber heißt es: die „welschen lant, die seint uns bruedern unbekant“ (Strophe 6). In Savoyen bekommt der Pilger weder Brot noch Wein, dafür aber in Pont-Saint-Esprit am Unterlauf der Rhône.


Titelholzschnitte des Pilgerführers von Hermann Künig von Vach

„Deutsch“ und „Welsch“ sind die Ordnungskriterien, die abgrenzen. Gleichzeitig subsumiert der Ausdruck „Welsch“ alles, was nicht Deutsch ist. „Kumt er in die welschen lant, er findt kein teutschen priester“, dem der Pilger seine Sünden beichten könne. Stirbt ein Pilger gar in „welschem lant“ (Strophe 4), dann wird er bei der Straße begraben. Und außerdem „ligen fünf berg im welschen lant“ (Strophe 10), die überquert werden müssen. Der letzte dieser Berge birgt so viele Gefahren, dass dort sogar viele tote Pilger aus deutschen Landen zu finden seien. Die Fremde wird durch empfangs- und weniger empfangsbereite Völker, durch Schwierigkeiten und Hilfen definiert, dabei wird fast alles auf Deutsch und Welsch bezogen.

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