Kitabı oku: «Methoden der Theaterwissenschaft», sayfa 2

Yazı tipi:

Praxis und künstlerische Forschung

Die wohl bedeutendste Neuakzentuierung des Fachs, die im vorliegenden Band dokumentiert wird, betrifft praxisbezogene bzw. künstlerische Forschung. Darunter lassen sich mehrere Ansätze subsummieren, die künstlerische Praxis sowohl als Bestandteil als auch als Ziel der Forschung definieren. Dieser manchmal als ‚praktische Wende‘ in der Theaterforschung betitelte Ansatz umfasst mehrere Methoden, die zwar verwandt sind, aber letztlich unterschieden werden müssen.1 Praxisbezogene Forschung basiert auf dem Prinzip, dass es Wissensformen gibt, die außerhalb der konventionalisierten Pfade wissenschaftlicher Forschung mit ihren Prinzipien von Subjekt-Objekt-Trennung, Datenerhebung und -validierung, und Falsifizierbarkeit liegen. Es handelt sich, Donald Schön zufolge, um ein Wissen, über das erfahrene Praktiker*innen verfügen. Praxis bedeutet, wie er in seinem Buch, The Reflective Practitioner (1983), ausführt, nicht nur die Anwendbarkeit von Wissen, sondern eine Wissensform sui generis.2 Die Trennung zwischen ‚reiner‘ Grundlagenforschung, die an Universitäten stattfindet, und angewandtem praktischem Wissen, das an Polytechniken, Fachhochschulen und Berufsakademien unterrichtet wird, spiegelt jedoch eine sehr klare Hierarchie wieder. An letzteren soll bereits Erforschtes vermittelt werden, muss aber selber keine Forschung durchführen. Nichtsdestotrotz hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Forschungsdiskussion herausgebildet, die diese epistemologische und institutionelle Dichotomie grundlegend in Frage stellt.

Dass Theaterpraxis Gegenstand theaterwissenschaftlicher Lehre seit den Anfängen war, zeichnet die Disziplin vor allem im angloamerikanischen Raum aus, wie Peter Boenisch in seinem Beitrag zeigt.3 Die ersten theaterwissenschaftlichen Seminare in den USA fanden vor dem Ersten Weltkrieg im Rahmen der Dramatiker-Werkstatt von George Pierce Baker an der Harvard University statt. Die ersten Gehversuche der studentischen Dramatiker*innen prägten nicht nur eine bekannte Lehrveranstaltung und die spätere Schriftenreihe „47 Workshop“, sondern führten den Begriff des Workshop als theatrale Versuchsanordnung in die englische und viele andere Sprachen ein.4 Eine weitere praktische Wende kam von Seiten der US-Amerikanischen Performance Studies, wo die Gründergeneration von Richard Schechner und Dwight Conquergood die Überwindung der Dichotomie von Forschung und künstlerischer Praxis als prägendes Merkmal der neuen Disziplin apostrophierte.5 Während Schechner seine eigenen Inszenierungen zum bevorzugten Forschungs- und Reflexionsgegenstand machte, näherte sich der promovierte Anglist Conquergood, der sich aber als Ethnologe verstand, der Praxis über seine Feldforschung.

Die entscheidende Wende nach David Whitton war nicht die Integration der Praxis an sich, sondern der während der 1990er Jahre immer wieder erhobene Anspruch, dass der schöpferische Prozess der Künstler-Forscher*innen und deren Ergebnisse (meistens Inszenierungen) als valide outputs analog zu peer-reviewed Fachartikeln oder Monographien zu werten seien.6 Einer der wichtigsten Protagonisten in Großbritannien, Baz Kershaw, hat wiederholt auf die Parallelität mit einem naturwissenschaftlichen Labor, wo die praktische Arbeit selbstverständlich in die Forschungsarbeit und die daraus resultierenden Publikationen einfließt, hingewiesen.7

Die Auf- bzw. Umwertung der künstlerischen Arbeit als Forschung lässt sich nicht nur wissenschaftstheoretisch im Sinne von Donald Schöns Reflective Practitioner erklären, sondern auch wissenschaftspolitisch als Reaktion auf massive institutionelle Veränderungen. Im ganzen westlichen Hochschulsystem kam es zu einer Fusion von Universitäten und eher praktisch ausgerichteten tertiären Einrichtungen. Dies führte einerseits zur Umbenennung von Polytechniken und Fachhochschulen in Universitäten, andererseits, und vor allem in Großbritannien, zur Assoziierung von Schauspielschulen und Theaterhochschulen mit oder deren Integration in Universitäten. In beiden Fällen wurden Lehrende, die bislang ihre berufliche Tätigkeit vornehmlich darin sahen, künstlerische Praxis und Erfahrung an Studierende zu vermitteln, vor die Aufgabe gestellt, nun zu ‚forschen‘, ohne allerdings über die formalen Qualifikationen oder das nötige methodisch-theoretische Rüstzeug zu verfügen. Im Falle der Theaterwissenschaft bildete sich eine besondere Konfiguration von Faktoren heraus, die zur Propagierung des practical turn führte: Anregungen aus der neuen Disziplin der Performance Studies, institutionelle Zwänge und eine schon länger existierende Berührung mit künstlerischer Praxis in Form von artistic residencies bewirkten eine offensive Befürwortung der künstlerischen Praxis als Forschung. Vor dem Hintergrund der seit den 2000ern weltweit eingeführten Forschungsevaluationsprogrammen gab es große und in vielen Teilen der englischsprachigen Welt erfolgreiche Anstrengungen, Practice as Research (PaR) als Forschungsoutputs anerkennen zu lassen.8 Am weitesten entwickelt sind wohl auch Promotionsordnungen, die ebenfalls in der anglophonen Welt praktisch-künstlerische Outputs zumindest als Teilerfüllung einer PaR-Dissertation anerkennen. In Australien gibt es an manchen Universitäten den Grad des Doctor of Creative Arts, der sich vor allem an Praktiker*innen richtet. In allen Fällen setzt sich die Forschungsleistung aus einer Kombination von künstlerischer Produktion (Inszenierung, Chorographie, Komposition usw.) und schriftlicher theoretischer Reflexion und Dokumentation zusammen. Damit erweist sich der praxeologische Ansatz weniger als eine klar definierbare Methode als als eine „expansion of the range of possibilities open to researchers“ und somit als ein weiteres Werkzeug im Spektrum der Methodenvielfalt.9

Im deutschsprachigen Raum hat sich die Theaterwissenschaft erheblich später der „praktischen Wende“ geöffnet, wie Peter Boenisch in seinem Beitrag konstatiert. Er verweist auf die Ursprünge in der Theaterpraxis selbst: die ‚Studios‘ des Moskauer Künstlertheaters, die er als „‚Urszene‘ von actor training“ bezeichnet sowie „die experimentelle laboratory research etwa von Jacques Lecoq, Jerzy Grotowski und Eugenio Barba.“ Für Boenisch, der sich mit der Regiearbeit Thomas Ostermeiers beschäftigt, geht es darum, Ostermeiers künstlerische Arbeit „als Beispiel zeitgenössischer künstlerischer practice as research zu verstehen.“ Er untersucht, wie Ostermeier Regiearbeit als künstlerische Forschung in der Tradition des Theaterlaboratoriums fortsetzt. Das unterscheidet Boenischs Ansatz von der angelsächsischen Tradition, wo in erster Linie die eigene künstlerische Arbeit Forschungsgegenstand ist.

Neben der Regie markiert die Dramaturgie ebenfalls ein Feld, wo Praxis und Theorie interagieren, wie Kati Röttger in ihrem Beitrag „Dramaturgie als Methode?“ zeigt; ja sie scheine geradezu prädestiniert zu sein, „über die klassischen dramaturgischen Bereiche von Theater(text)analyse hinaus einen allgemeineren methodischen Zugang zu angewandter künstlerischer Forschung zu bieten.“ Aber Röttger zufolge müsse man Dramaturgie jenseits von „Theater(text)analyse“ grundlegend neu denken, um interventionistischen, posthumanen, neuen postdramatischen oder dokumentarischen Theaterästhetiken gerecht zu werden. An Stelle von nur Arbeit am Text trete zunehmend ein „Verständnis einer dramaturgischen Praxis, die Handeln und Zuschauen in doppelter Weise aufeinander bezieht, nämlich als Arbeit an und als Reflexion auf (allen) Elementen, welche eine Aufführung konstituieren.“

Im deutschen Kontext spielt zweifelsohne das 1982 gegründete Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft eine zentrale Rolle, das Verhältnis von Theaterwissenschaft und Praxis neu zu kalibrieren. Wie Meike Wagner in ihrem Beitrag zeigt, verwendete Institutsgründer Andrzej Wirth in den 1980er Jahren programmatisch den Begriff der ‚Praxeologie‘, um seinen Ansatz zu beschreiben. Als Schüler des polnischen Philosophen Tadeusz Kotarbiński verfügte Wirth über einen direkten Bezug zu einem einflussreichen Vertreter praxeologischen Denkens, das Theorie und Praxis im Sinne einer ständigen Wechselbeziehung begriff.10 Es ist vielleicht kein Zufall, dass sich Absolvent*innen des Gießener Instituts sowohl in der künstlerischen Praxis als auch in der Theaterwissenschaft etabliert haben, manche sogar in Doppelfunktion, wo sie künstlerische Forschung fordern und fördern.

Meike Wagners eigener Beitrag „Theatergeschichte machen: Überlegungen zu einer praxeologischen Theaterhistoriographie“ postuliert, dass die Methoden und Prinzipen der gegenwartsbezogenen Aufführungsanalyse auch zur Erforschung historischer Theaterpraxen herangezogen werden können: „Ein kritisches und experimentelles Re-Inszenieren historischer Theaterwerke ermöglicht uns zwar nicht die Erfahrung von realer historischer Theaterpraxis, aber dennoch von historisch informierter Theaterpraxis.“ Im inzwischen ausdifferenzierten Feld der praxisbasierten Forschung situiert Wagner ihren Ansatz im Lager der praxisgeleiteten in Abgrenzung zu praxisbasierter Forschung. Bezieht sich letztere auf neues Wissen, das mit praktischen Mitteln, oft in Form von künstlerischen Produkten, produziert wird, gewinnt praxisgeleitete Forschung ihre Erkenntnisse aus einer experimentellen Praxis, wo der/die Forscher*in nicht zwangsläufig selber künstlerisch produktiv wird, sondern auch eine Beobachterrolle einnehmen kann. Im hier vorgestellten Fall handelt es sich um ein Forschungsprojekt, das sich mit den historischen Aufführungsbedingungen und -praktiken von Jean-Jacques Rousseaus Melodrama Pygmalion beschäftigt. Hier sollte ausdrücklich mit Begriffen wie ästhetisches Erleben, das normalerweise einer Ästhetik des Performativen vorbehalten ist, am rekonstruierten Beispiel unter Laborbedingungen gearbeitet werden.

Theaterhistoriographie

Wagners Artikel findet sich im vorliegenden Band unter der Rubrik „Theaterhistoriographie“ und markiert mit seinem praxeologischen Ansatz eine eher untypische Position unter der gegenwärtigen Theatergeschichtsschreibung. Als Gründungsdisziplin der Theaterwissenschaft bestimmten Fragen der Geschichtsschreibung maßgeblich das methodische Gerüst des Fachs bis in die 1970er Jahre, als mit dem Aufkommen der Semiotik und der Videotechnologie theoretische und technologische Innovationen erstmals ermöglichten, das Gegenwartstheater immer stärker in den Mittelpunkt des Fachs zu rücken. In ihrer Einführung in die Theaterhistoriographie (2012) definieren Jan Lazardzig, Viktoria Tkaczyk und Matthias Warstat neun „Perspektiven“ und fünf „Methoden“, die den gegenwärtigen Forschungsstand charakterisieren. Sind die Perspektiven und noch mehr die Gegenstände letztlich unbegrenzt, so sind die verwendeten Methoden doch überschaubar. Die Autor*innen zählen dazu Aufführungs- bzw. Inszenierungsgeschichte, Hermeneutik, Diskursanalyse, Vergleich/Transfer und Quantifizierung.1 Aufführungs- und Inszenierungsgeschichte bilden fachgeschichtlich die Gründungsmethode der Theaterwissenschaft im Zusammenhang mit der Rekonstruktion. Mit dem viel und kontrovers diskutierten Begriff der ‚Rekonstruktion‘ ist die Vorstellung verknüpft, Theaterhistoriker*innen könnten auf der Grundlage ausreichenden Quellenmaterials vergangene Inszenierungen in allen Einzelheiten so weit veranschaulichen, dass eine physische Rekonstruktion der Bühnenform und eine Durchführung von Aufführungen im historischen Stil möglich wären. Die grundsätzliche Frage nach dem Zweck einer solchen theaterhistorischen Rekonstruktion beantwortete Max Herrmann mit der Feststellung: „[D]as Ziel aller solcher Untersuchungen [ist] im wesentlichen die Herstellung verloren gegangener Leistungen, bis sie in der Anschaulichkeit eines unmittelbaren Abbildes vor uns stehen“.2 Auch wenn das Ziel letztlich unerreichbar blieb und die Inszenierungs-Rekonstruktion als Selbstzweck heute kaum mehr praktiziert wird, gilt die daraus entwickelte quellenkritische Methodik als wichtige Grundlage theaterhistorischer Forschung.3

Eine Auswertung der Quellen unterliegt bereits bei Herrmann einer hermeneutischen Vorgehensweise, die sich an etablierte Methoden der Geschichtsschreibung und der Texthermeneutik orientiert. Damit ist vor allem das Bestreben, vergangene Aufführungen, Textgattungen und Bühnenformen vor dem Horizont ihrer Zeit zu ‚verstehen‘ und zu kontextualisieren. Dieser Verstehens- und Interpretationsprozess ist letztlich unabschließbar und kann von jeder neuen Forscher*innengeneration überprüft und wieder in Gang gesetzt werden. Er zielt auf „ein tieferes Verständnis historischer Sinnzusammenhänge.“4 Auch wenn sich die Hermeneutik in den letzten Jahren immer wieder und vor allem ideologisch motivierter Kritik ausgesetzt sah, bilden Verstehens- und Interpretationsprozesse die methodische Grundlage beinahe jeder Form der Theatergeschichtsschreibung.

Dass die hermeneutischen Bemühungen der deutschsprachigen Theaterwissenschaft traditionell den Dramentext außer Acht ließen, kann man teilweise auch auf Max Herrmann zurückführen, der eine folgenreiche Position für das neue Fach definierte: „Das spezifisch Dichterische aber bleibt für uns ganz außer Betracht; das völlig unkünstlerische Theaterstück im engeren Sinne des Wortes ist für unsern Gesichtspunkt unter Umständen wichtiger als das größte dramatische Meisterwerk der Welt.“5 Mit diesem Erbe, das durch die Theatersemiotik noch weiter radikalisiert wurde, setzt sich Peter Marx in seinem Beitrag auseinander, der das Drama im Verhältnis zum Theater als eine „Urszene“ der deutschen Theaterwissenschaft betrachtet: „Lustvoll und doch traumatisch kehrt dieses Verhältnis immer wieder in den Forschungsdiskurs zurück.“ Marx zeigt auch, dass dieses Verhältnis, das als eine weit gefasste, bis heute grundlegende Wechselbeziehung zwischen Text und Aufführung bzw. script und performance aufzufassen sei.

Eine der wohl einflussreichsten und bis heute virulentesten Kritik an einer allzu naiven Annahme der Zugänglichkeit zu vergangenen historischen Epochen kommt von der Diskursanalyse Michel Foucaults. Sie ist sowohl eine Theorie als auch eine Methode. Sie beinhaltet eine radikale Historisierung aller Äußerungsformen, die nach Foucault bestimmen, wie und was wir über die Vergangenheit wissen können. Wenn sich Foucault zufolge Diskurse bündeln, bilden sie Episteme, ganze Wissensformationen, die eine Epoche prägen. Diskurse über ‚Bevölkerung‘, ‚Biologie‘, ‚Sexualität‘, den ‚Orient‘ usw. sind viel mehr als nur Wörter oder überzeitlich gültige Begriffe. Sie sind im Gegenteil im hohen Maße das Resultat historischer Prozesse, üben Macht aus und bestimmen und vor allem selektieren, was wiss- und sagbar ist. Deren Analyse besteht aus einer Kontextualisierung solcher Äußerungen in einer bestimmten Epoche oder über eine Untersuchung, wie sich ein Diskurs epochenübergreifend verändert.6

Während Hermeneutik und Diskursanalyse inzwischen zur methodologischen Grundausstattung der Theaterhistoriographie gehören, sind Vergleich und Transfer weniger prominent, aber dennoch wichtige Methoden, die vor allem länder- und kulturkomparatistische Forschung ermöglichen. Wenn ein Phänomen in verschiedenen historischen und/oder kulturellen Kontexten auftaucht, so ist der Vergleich ein legitimes Verfahren. Ebenso gibt es aber eine große Anzahl ‚illegitimer‘, d.h. willkürlicher Vergleiche (die Äpfel-und-Birnen-Problematik), die bisweilen die Methode des Vergleichs diskreditiert hat.7 Im Gegensatz dazu ermöglichen transfergeschichtliche Ansätze genauere Einblicke in die Prozesse, wie theatrale Praktiken ‚wandern‘ und durch Hybridisierung in anderen kulturellen Kontexten fruchtbar werden. Transfer im wortwörtlichen Sinne liegt dem Beitrag von Berenika Szymanski-Düll zugrunde, allerdings über sehr weite geokulturelle Räume. Ihr Aufsatz lässt sich in dem relativ neuen Feld der transnationalen Theatergeschichtsschreibung verorten.8 Obwohl der Schwerpunkt dieses Ansatzes eindeutig im 19. und frühen 20. Jahrhundert im Zeitalter einer global vernetzten Theaterindustrie vor dem Hintergrund imperialer und transnationaler Expansions-Politik und Modernisierung liegt, wird er auch in früheren Epochen, z.B. zur Erforschung der Wandertheater der Frühen Neuzeit, angewandt,9 wobei in diesem Fall terminologisch besser mit dem Begriff des transkulturellen operiert werden sollte. Grund dafür ist, dass transnationale Geschichte auf die Späte Neuzeit, also die Zeit, in der moderne Nationalstaaten im Denken und Handeln der Akteur*innen zu einem dominanten Faktor wurden, begrenzt ist.10 Während noch bis vor kurzem diese Kategorie der ‚Nation‘ in der Theatergeschichtsschreibung eine zentrale Rolle spielte, steigt aktuell das Interesse der Theaterwissenschaft an Phänomenen, die einen solchen engen nationalen Rahmen übersteigen und nach Verflechtungen, Interaktionen und Übersetzungen fragen. Damit wird auch methodisch eine Aussage getroffen: „Es geht darum, den nationalstaatlich (oder eben imperial) formatierten Untersuchungsrahmen zu überschreiten und das heißt methodisch: über im Kern internalistische Analysen hinauszugehen.“11 Wie untersucht man aber solche Phänomene? Da das Wandern kultureller Praktiken und ihre Hybridisierung in einem engen Zusammenhang zu sehen sind mit der Mobilität von Akteur*innen – denn es sind insbesondere einzelne Individuen, die bestimmte Praktiken und Werke auf Reisen nehmen und so transkulturellen Austausch und transnationale Zirkulation ermöglichen – zeigt Szymanski-Düll in ihrem Artikel den biographischen Zugang anhand von „Theatermigrant*innen“. Hierbei wird deutlich, dass historiographische Ansätze, die transnationalen Biographien auf die Spur gehen, nicht nur die Konsultation eines vielfältigen Quellenkorpus erfordern, sondern die Theaterhistoriker*innen auch vor sprachliche Herausforderungen stellen und in unterschiedliche Archivkulturen eintauchen lassen. Die technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte erleichtern diesen Arbeitsprozess ungemein und ermöglichen Forscher*innen durch Digitalisierung multilokales Archivmaterial vom ‚heimischen‘ Schreibtisch aufzuspüren. Dass der Digitalisierungsprozess vieler Theaterarchive und -sammlungen jedoch mühsam verläuft, oftmals an Grenzen stößt und auch Tücken mit sich bringt, dies thematisiert der Beitrag von Patrick Primavesi in diesem Band, der sich darüber hinaus mit der Frage nach Umgang und den Methoden des Archivs auseinandersetzt.

Die von Lazardzig, Tkaczyk und Warstat angesprochene Methode der Quantifizierung spielt, wie die Autor*innen konstatieren, eine untergeordnete Rolle in der theaterwissenschaftlichen Forschung, vor allem im Hinblick auf ästhetische Phänomene. Allerdings besteht das Theaterdispositiv zu allen Zeiten nie ausschließlich aus der Herstellung und Rezeption ästhetischer Erfahrungen. Theater organisiert sich in institutionellen Strukturen, die sich durchaus für eine quantifizierbare Erschließung eignen. Rechnungsbücher, Repertoireverzeichnisse, Ticketpreise, Theaterzettel liefern zahlreiche Daten, die sinnvollerweise über quantitative Methoden erfasst und ausgewertet werden können. Im vorliegenden Band wird der empirisch-quantitative Ansatz durch den Beitrag von Thomas Renz vertreten, der sich – vielleicht bezeichnenderweise – hauptsächlich mit dem Gegenwartstheater beschäftigt, da die Theater selbst und eine Reihe anderer Institutionen Daten und Statistiken produzieren, die sich ohne zeitaufwendige Aufbereitung auswerten lassen.12 Das ist in der historischen Theaterforschung anders, wo die Datengewinnung und -aufbereitung viel Zeit beanspruchen kann. Allerdings widmet Renz auch einen kurzen Abschnitt der historischen Forschung, der er eine ‚Sonderrolle‘ zubilligt. Nichtsdestotrotz ist eine solide Theatergeschichtsschreibung, die nicht nur die dramatischen Leuchtturme (Antike, Shakespeare, Französische Klassik, Lessing, Weimar und Avantgarde) beleuchten will, auch auf quantitative Methoden wie z.B. die Spielplanforschung oder die historische Publikumsforschung angewiesen.13

₺2.030,86