Kitabı oku: «Methoden der Theaterwissenschaft», sayfa 8

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2) Aushandlung zwischen Eigenem und Fremdem

Dennoch erschließen sich die Bedingungen und Produktionsmittel historischer Praxis nicht unmittelbar. Im praktischen Experimentieren, in Workshops, Proben, Theateraufführungen, wird man beständig gezwungen, das ‚Eigene‘ und das ‚Fremde‘ gegeneinander/miteinander auszuhandeln und auch die Differenzerfahrung auszuhalten. Wenn man sich mit philosophischen und ästhetischen Konzepten, die im Kunstdiskurs und in der Kunstpraxis des 18. Jahrhunderts eine große Rolle gespielt haben, befasst, dann fällt es im Denken erst einmal nicht schwer, die abstrakten Begriffe an eigenen Theoriekonzepten, am gängigen Diskurs der eigenen Zeit abzugleichen. Unsere akademische Ausbildung hat den Kritikmuskel trainiert und ausgedehnt, so dass wir uns leicht tun mit einer differenzierten Argumentation. Schwieriger ist es, die Aufführungserfahrung im historischen Gewand, die ‚historisierende Praxis‘, mit den inneren ästhetischen Gradmessern in Einklang zu bringen. Der ästhetische Lustgewinn stellt sich mal mehr, mal weniger ein. Auf den ersten Blick, im ersten Anhören, erschließen sich nicht alle Momente, alle Ebenen der Aufführung sofort. Manches erscheint sehr befremdend, hölzern, unpassend, eben unzugänglich und fremd.

In der historisierenden Aufführung von Pygmalion1, die das Forschungsprojekt Performing Premodernity experimentell erarbeitet und in mehreren öffentlichen Aufführungen zur Diskussion gestellt hat, ging es darum, die Passion des Künstlers mit historischen Aufführungsmitteln auszudrücken und dabei Jean-Jacques Rousseaus kunsttheoretische Vision des Melodramas im Werk selbst und der historisierenden Praxis aufzusuchen. Für mich funktionierte das ästhetische Erleben in den Projekt-Aufführungen nur eingeschränkt. In bestimmten kurzen Momenten, wenn die historisierende Deklamation des Akteurs (des Sängers João Luís Paixão als Pygmalion) einen musikalischen Flow erreichte und fast schon in Gesang überging, gelang es, mich ästhetisch anzurühren. Wenn aber zum Beispiel in der Musik ein Klopfen zu hören war und Pygmalion gleichzeitig den Hammer nahm und im gleichen Rhythmus schlug, dann konnte ich diese inszenatorische Redundanz schwer ohne Ironie hinnehmen. Es stellte sich jedoch heraus, dass ausgerechnet diese kleine Aktion in der Original-Partitur so von Rousseau verzeichnet und auch die Musikpassage von ihm selbst komponiert ist2. Wie geht man damit um?

Abb. 3:

Pygmalion von Jean-Jacques Rousseau, 2015, Schlosstheater Český Krumlov. João Luís Paixão als Pygmalion. Foto: Performing Premodernity.

Der Vorschlag wäre, diese Herausforderung anzunehmen und zu diskutieren, ob die von mir schlecht zu akzeptierende Doppelung des Hämmerns nicht doch anders wahrgenommen werden kann. Können wir vielleicht an den Punkt kommen, zu sagen: „Aha, hier ist eine Verbindung von Musik und Geste, die eigentlich genau im Zentrum von Rousseaus Denken ist.“3 Dann würde also die historische Quellenarbeit und Kritik die unmittelbare ästhetische Erfahrung anders konditionieren, die Analyseebene immer mitreflektierend.4 Wir könnten dann annehmen, dass Rousseau diesen Moment als Signifikant oder als Indizierung dieser Brücke verwenden wollte. Die Rückbesinnung auf die praxeologische Basis hilft hier zum einen, die eigene ästhetische Wahrnehmung als solche überhaupt zu markieren, und gleichzeitig zu einer Artikulation und Reflexion der fremdartigen ästhetischen Wahrnehmung zu kommen. Das Unbehagen und die Fremdartigkeit machen dann Sinn in der Abgleichung und Verhandlung mit bereits Gewusstem und Erfahrenem.

3) Theaterhistorisches Modell vs. Diversität der Szenischen Angebote

Wie bereits angesprochen, ist es nicht das Ziel einer praxeologischen Theaterhistoriographie Modelle von historischer Theaterpraxis zu erzeugen, vielmehr interagiert sie mit aktuell vollzogener Praxis als eine mögliche historische Deutung unter vielen. In Bezug auf heutige Kunst und Kultur erkennen wir eine große Bandbreite an szenischen Ereignissen als theatrale Praxen an. Wenn wir aber zurückschauen in die Geschichte, dann tendieren wir dazu, ein ideales Modell zu suchen. Wir stellen etwa fest, barocke Theaterpraxis hat diese und jene Aspekte und Elemente. Wenn man dann aber genauer in die Aufführungspraxis hineinschaut und auch in die überlieferten Partituren und Quellen, dann stellt man fest: Vieles passt in die geprägte historiographische Formel vom Barocktheater gar nicht hinein. Es wäre nun möglich, dies als historische Abweichung zu denunzieren, vielleicht sogar ganz aus dem Definitionsbereich von barockem Theater herauszunehmen, um das Modell zu retten. Oder man geht den umgekehrten Weg und erkennt an, dass das Modell sich notwendig bis zur Unkenntlichkeit ausdifferenzieren muss. Dies erscheint adäquat, zumal gerade das 18. Jahrhundert keineswegs mit einer fixierten literarischen Werkkategorie operierte.

Das praktische historisierende Theaterprojekt kann hier ein Angebot sein, mit der differenzierten historischen Praxis umzugehen und das Denken in Abweichung und Norm zugunsten von Vielfalt und Ausdifferenzierung abzulegen. Dennoch muss man sich bewusstmachen, dass auch die historisierende Aufführung in der Gefahr steht, wiederum ein Modell zu generieren. Die Theater-Produktion wird schnell als Modell aufgenommen und kommodifiziert. Das oben beschriebene Pygmalion-Projekt geht gerade diesen Weg. Die Produktion wird immer wieder als Lehrmittel und als Performance im Kontext von Studienprogrammen, Konferenzen, Early Music-Festivals u.ä. angefragt. Gerne sehen wir die Strahlkraft unserer Arbeit, die geteilte Faszination am historisierenden Experiment. Und dennoch dürfen wir nicht nachlassen, die diskursive Klammer zu setzen und dieses Produkt unserer praxeologischen Theaterhistoriographie durch Reflexion weiter permanent in Frage zu stellen und quasi durchzustreichen. Nur so kann eine Modell-Bildung unterlaufen werden.

Ausblick

Eine praxeologische Theaterhistoriographie kann in die Befragung historiographischen Textwissens investieren und durch praktische Workshops und Projekte die Zugangs-Möglichkeiten zu historischer Praxis erweitern. Die eigene Wissens- und Wissenschaftspraxis lässt sich mit performativen Formaten befragen und produktiv weiterentwickeln. Dabei handelt es sich jedoch nicht um die Rekonstruktion historischer Aufführungen, sondern um die kritische Konstruktion/Produktion differenzierender historischer Narrative. Das kreative Zusammenwirken akademischer und künstlerischer Forschung ist dabei die notwendige Voraussetzung, so wie es exemplarisch im Forschungsprojekt Performing Premodernity zur historischen Theaterpraxis im späten 18. Jahrhundert durchgeführt wurde. Die performative und erfahrungsbasierte Verhandlung zwischen dem, was als Theater damals und heute praktiziert wird und wurde, ist als Initial neuer historischer Erzählungen grundsätzlich wertvoll und lässt sich denkbar auf weite Bereiche und Momente der Theatergeschichte ausdehnen.

Transnationale Theatergeschichte(n): Der biographische Ansatz

Berenika Szymanski-Düll

Historisch betrachtet ist die Geschichte des professionellen Theaters auch eine Geschichte der Mobilität. Bereits seit der Antike ziehen Mimen, Gaukler, Artisten und Schauspieler1 mit ihrer Kunst von Ort zu Ort. Trotz der zunehmenden Etablierung ‚stabiler‘ bzw. ‚stehender‘ Bühnen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts blieb das Theater keineswegs ‚stehen‘; ganz im Gegenteil: Die Revolution auf dem Gebiet des Transportwesens und die Industrialisierung der Verkehrsmittel ermöglichten es Theaterschaffenden, insbesondere seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ihren einschränkten Radius auszuweiten: Zogen die Wandertruppen bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch mit Eseln, Pferden und Karren mühsam von Dorf zu Dorf und Stadt zu Stadt, so waren die Dimension als auch die Frequenz der Mobilität mit der Etablierung von Eisenbahnen und Dampfschiffen seit der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts eine andere. Sarah Bernhardt, Eleonora Duse, Tommaso Salvini – um einige prominente Beispiele zu nennen – spielten nicht nur in Europa, sie bereisten auch andere Kontinente und etablierten sich so zu weltweit gefeierten Stars. Doch auch solche Schauspieler, die nicht zu Stars aufstiegen, bereisten den Globus; so z.B. Daniel Bandmann, der in An Actor’s Tour or Seventy Thousand Miles with Shakespeare seine ausgedehnten Tourneen beschreibt, die ihn u.a. nach Singapur, Shanghai, Melbourne, Calcutta und Bombay führten.2 Mobilität kennzeichnete aber auch das Leben von Theatermenschen, die nicht direkt auf der Bühne standen: Theateragenten, Impresarios, Theaterdirektoren – auch sie waren oftmals in ständiger Bewegung, um neue Stars, spannende Produktionen oder angesagte Stücke aufzuspüren. Darüber hinaus muss in Betracht gezogen werden, dass im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Migration eine bis dato ungekannte Größenordnung annahm und im Vergleich zu den vorhergehenden Jahrhunderten mehrmals um das Zehnfache gestiegen war.3 Unter den zahlreichen Auswanderern, die innerhalb Europas migrierten oder in neue und ihnen fremde Kontinente aufbrachen, befanden sich auch viele Theaterschaffende.

Auch das 20. und das 21. Jahrhundert ist durch Phänomene des Mobilen gekennzeichnet. Und während das Studium theaterhistorischer Quellen zeigt, wie vielfältig und rege die Mobilität im Verlauf der Theatergeschichte ist, wie viele kulturelle Kontakte auf diese Weise einhergingen, wie viele den nationalen Rahmen übersteigende theatrale Netzwerke geknüpft wurden und regen Austausch, multidirektionale Transfers und diverse Übersetzungen nach sich zogen, so muss festgehalten werden, dass in wissenschaftlichen Publikationen die beschriebenen Phänomene nur rudimentär und punktuell aufgegriffen werden, sich vor allem an prominenten Akteuren oder erfolgreichen Dramen und ihren Inszenierungen entlang hangeln. Dies liegt zum einen an der zentralen Rolle der ‚Nation‘ für die Geschichtsschreibung: „Seit der Spätaufklärung wurde sie [die Nation] zum wichtigsten Untersuchungsgegenstand der Historiker“, wie Kiran Klaus Patel festhält, denn „die Geschichtsschreibung hatte selbst wesentlichen Anteil an der Konstituierung und Stabilisierung der Nation als imaginierte Gemeinschaft, als Utopie und appellative Instanz, aber auch als Erfahrungsraum und Handlungsgröße.“4 So stellte in diesem Zusammenhang beispielsweise Marvin Carlson sogar noch im Jahr 2013 fest, dass wichtige Standartwerke der Theatergeschichte oft zwar den Anspruch erheben, universal zu sein, trotzdem jedoch die nationale Perspektive des jeweiligen Autors kaum überschreiten.5 In der geschichts- und sozialwissenschaftlichen Forschung hat sich hierfür der Begriff des ‚methodologischen Nationalismus‘ etabliert, der eine kritische Position einnimmt gegenüber einer auf den Nationalstaat als abgegrenzte und relativ homogene Einheit fokussierten Forschungsperspektive.6

Zum anderen liegt die geringe Beschäftigung mit Phänomenen der Mobilität und ihren Auswirkungen auf das Theater an der Fokussierung der Sesshaftigkeit und dem damit einhergehenden Problem, dass die meisten Archive nach einem nationalstaatlich oder lokalstädtisch organisierten Prinzip strukturiert sind, weswegen mobile Akteure oftmals durchs Raster fallen bzw. selten umfassend erfasst werden. So hebt beispielsweise Peter Schmitt hervor, dass es nicht so sehr am fehlenden Material liege, dass mobile Künstler so selten von der Historiographie berücksichtigt werden, sondern vielmehr am „Selbstverständnis einer Theaterhistoriographie, die im theaterhistorischen Prozeß die Seßhaftigkeit des Darstellers zur zulässigen Norm erhoben hat.“7

Hinzu kommt auch das starke Interesse der Theaterwissenschaft für die Aufführungsgeschichte bzw. Inszenierungsanalyse, in deren Kontext bestimmte Fragestellungen und Aspekte – wie vor allem solche, die außerhalb des Bühnengeschehens liegen und nach Infrastruktur oder den Auswirkungen der Mobilität fragen – oftmals unberücksichtigt bleiben oder lediglich marginal berührt werden.

Da das Interesse der Theaterwissenschaft an kulturellen Verflechtungen und transnationalen Phänomenen in den letzten Jahren zunehmend steigt,8 möchte ich in dem vorliegenden Beitrag einen möglichen methodischen Zugriff thematisieren, der es erlaubt, die Mobilität und ihre Konsequenzen innerhalb der Theatergeschichte zu untersuchen und auf diese Weise transnationale Theatergeschichte(n) aufzudecken. Hierbei werde ich mich nicht auf Inszenierungen oder Theatertexte konzentrieren, sondern auf Individuen und ihre Aktivität selbst. Der von mir gewählte Zugang ist also ein biographischer.9 Hierbei geht es mir jedoch keineswegs um eine detailreiche und faktengesättigte Rekonstruktion von (professionellen) Lebensläufen. Vielmehr sei nach dem epistemologischen Mehrwert gefragt, den biographische Zugänge für eine transnationale Theatergeschichtsschreibung eröffnen. So konstatieren auch Desley Deacon, Penny Russell und Angela Woollacott:

If history is a chronicle of individuals and their communities, transnational history is no less so. Like other approaches to the past, the study of transnational history must be solidly grounded on specific individuals, their ideas, activities and the organizations they create.10

Denn gerade das Studium der Biographien von mobilen Theaterschaffenden, die grenzüberschreitende Lebenserfahrungen und Aktivitäten freilegen, so die Ausgangsthese, bieten eine Möglichkeit, den methodologischen Nationalismus zu überwinden. Das Rückverfolgen ihrer Reise- und Migrationswege, das Aufspüren ihrer Motivationen und Entscheidungen, das Rekonstruieren ihrer Aktivitäten – so z.B. Gründung von Theaterhäusern, Übersetzungstätigkeiten oder Vermittlung von Theaterstücken – erlauben es, transnationale Geschichte(n) aufzudecken: Sie zeigen uns eine Welt von Interaktionen, Verflechtungen und Zirkulationen jenseits nationaler Grenzen, sie zeigen aber auch eine Welt zahlreicher Aushandlungsprozesse; kurz: eine Welt, die verbunden und zugleich gespalten ist. Ein biographischer Ansatz ermöglicht zudem nach Hintergründen, Erfahrungen und der Infrastruktur dieser Prozesse zu fragen.

Im Folgenden möchte ich den biographischen Ansatz anhand von vier Aspekten fokussieren, die miteinander in Verbindung stehen, sich gegenseitig bedingen, und deren Betrachtung einen methodischen Rahmen erlaubt:

1 Mobilität

2 Verknüpfung und Vernetzung

3 Individuelle Perspektive

4 Aushandlung und Produktivität

Das Aufspüren mobiler Biographien in einem transnationalen Kontext, und damit auch die Fokussierung der vier genannten Aspekte, ist in einem vielfältigen Quellenkorpus manifestiert. Denn biographische Spuren und die damit einhergehende agency mobiler Theaterakteure sind in Autobiographien, Tagebüchern, Briefen, Telegrammen ebenso wie in Passeinträgen oder Passagierlisten zu finden. Auch sind Programmzettel, Verträge und vor allem Zeitschriften- und Zeitungsartikel hilfreiche Quellen, in denen sich Informationen über Aufenthaltsorte, Gastspiele, Engagements, Aufführungen und ihre Rezeption wie auch Hintergründe eruieren lassen. Eine der größten Herausforderungen ist hierbei – gemäß der geographischen Mobilität des jeweiligen Akteurs – die sprachliche Vielfalt der Quellen sowie ihre geographische Verteilung durch die Welt und auf verschiedene Archive, die vom Forschenden selbst eine beständige Mobilität verlangen wie auch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Archivkulturen erfordern. Dank zahlreicher Digitalisierungsprojekte der letzten Jahrzehnte ist eine große Vielfalt an Dokumenten, insbesondere aus dem Bereich der Druckerzeugnisse, online zugänglich gemacht worden, so dass Datenbanken wie Readex, ANNO oder ancestry.com Recherche und Studium diverser Quellenbestände von zuhause aus erlauben und den Arbeitsprozess enorm erleichtern. Einige dieser Datenbanken sind kostenfrei bzw. über erworbene Lizenzen der Universitäten zugänglich, andere wiederum kostenpflichtig.

Mobilität

Bei der Beschäftigung mit mobilen Theaterschaffenden kommt man nicht umhin ihre Mobilität selbst in den Fokus zu stellen. Hierbei rücken insbesondere die Art und Weise, die Dauer als auch der geographische Aspekt ins Zentrum. Dadurch lassen sich beispielsweise beliebte und praktische Transportmittel in Erfahrung bringen: So waren seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts insbesondere Züge wichtige Beförderungsmittel, die sowohl einzelnen Theaterschaffenden die Möglichkeit boten, schnell von A nach B zu kommen, als auch ganzen Truppen. In den Erinnerungen von P. Richards, der den Barnum & Bailey Zirkus begleiten durfte, können wir nachlesen, welches Ausmaß und welche Bedeutung ein solches Transportmittel für die Infrastruktur hatte:

Um einen Begriff von den Dimensionen zu geben, die hier in Frage kommen, erwähne ich, daß der Barnum & Bailey-Zirkus, den ich von New York bis San Franzisko begleitete, nicht weniger als drei Eisenbahnzüge mit je 35 bis 40 Waggons zu seinem Transport benötigt. Der erste Train befördert die Artisten und das Bureaupersonal, der zweite die Tiere mit ihren Wärtern, der dritte die Requisiten, Kostüme, Zelte u.dgl. So geht’s von Stadt zu Stadt, so rasch, aber auch so angenehm und bequem als möglich. John Ringlings Privatwagen, der gleichzeitig als Empfangsraum für Gäste und Zeitungsleute dient, ist beispielsweise der kostbarste und geschmackvollste Luxuswaggon, der je auf Eisenbahnschienen rollte. (Anschaffungskosten: über eine Viertel Million Mark!)1

In den USA handelten beispielsweise Eisenbahngesellschaften mit Theaterkünstlern besondere Sonderraten für die Beförderung aus und Theater-Eigner, die die Wichtigkeit dieser Transportmittel erkannten, siedelten ihre Spielhäuser entlang der Eisenbahnnetze an.2 Auch Schiffe gehörten in dieser Zeit, wie zahlreiche Quellen belegen, zu einem wichtigen Beförderungsmittel. Diesen Aspekt hebt Marlis Schweitzer in ihrem Transatlantic Broadway hervor, wo sie aufzeigt, dass durch den Einsatz von Dampfschiffen für viele Theaterschaffende nicht nur weite Distanzen in kurzer Zeit bewältigbar wurden, sondern, dass diese Art zu reisen auch mit erheblichen Kosten einherging; ein Aufenthalt über dem Atlantik rechnete sich für viele erst nach Monaten.3

Ein biographischer Ansatz, der die Mobilität fokussiert, eröffnet zudem die Möglichkeit, das Mobilitätsverhalten selbst zu untersuchen. Dies möchte ich anhand einiger Beobachtungen der Mobilitätsanalyse von Migranten aus dem Theaterbereich, im Folgenden ‚Theatermigranten‘ genannt, zeigen:4 Betrachten wir die basale Bedeutung des Terminus Mobilität, so lässt sich dieser als „displacement – the act of moving between locations“ oder auch „getting from point A to point B“ mit dem Geographen Tim Cresswell auf den Punkt bringen.5 So weist im klassischen Verständnis auch jeder Akt der Migration einen Ausgangs- und einen Endpunkt auf. Everett S. Lee konstatiert: „every act of migration involves an origin, [and] a destination.“6 Unter einem Migranten wird demzufolge eine Person verstanden, die von einem Land A auswandert und in ein Land B, das Zielland, einwandert und in dieses zunächst den Lebensmittelunkt verlagert. Somit rücken bei einem biographischen Ansatz zwei wichtige Mobilitätsmomente ins Visier: die Auswanderung und die Einwanderung; Momente also, die für die Theatergeschichtsschreibung bis dato keine besondere Rolle spielten. Bei der Auswertung der Biographien von Theatermigranten konnte ich feststellen, dass innerhalb des Theaterbusiness zwischen 1850 und 1914 Theatermigranten auszumachen sind, die in dieses eindimensionale Transitschema (von Land A nach Land B bzw. vom Herkunftsland in das Aufnahmeland) der klassischen Definition eingeordnet werden können. So sind beispielsweise die Shubert Brüder Samuel, Lee und Jacob als Kinder 1882 aus Litauen in die USA eingewandert,7 wo sie als Erwachsene eines der bedeutendsten Theaterimperien ihrer Zeit aufbauten. Auch wenn die Brüder berufsbedingt stets mobil waren, um Stars, Theaterstücke oder Inszenierungen für ihre Theaterhäuser aufzuspüren, blieb ihr Lebensmittelpunkt in den USA. Beim Studium der Mobilität von Theatermigranten fällt jedoch auch auf, dass das eindimensionale Transitschema weiter ausdifferenziert werden muss: Fokussieren wir die Ausreise und die Einreise von Theatermigranten, so fällt ein weiterer Aspekt in Hinblick auf das Mobilitätsverhalten auf: nämlich, dass Theaterschaffende in vielen Fällen nicht einfach im Einreiseland blieben; das Einreiseland war also oftmals nur ein Übergangsland – je nach Engagement, politischer oder familiärer Situation. Dies veranschaulicht z. B. die Migrationsgeschichte des Dramatikers und Theaterdirektors Heinrich Börnstein, der im Verlauf seines Lebens in verschiedenen Ländern lebte. Sein ‚Von Ort-zu-Ort-Reisen‘ ist einerseits familiär bedingt: Geboren 1805 in Hamburg wanderte er im Alter von 8 Jahren mit seiner Familie nach Lemberg aus. Andererseits hat seine Migration professionelle und politische Gründe: So führte ihn sein beruflicher Weg beispielsweise nach Österreich und dort nach Wien, St. Pölten und Linz. Nach kürzeren Stationen in Kroatien, Italien und Deutschland ging er 1842 über Straßburg nach Paris, wo er als Übersetzer, Dramatiker, Theaterdirektor und Herausgeber der Zeitschrift Vorwärts. Pariser Signale aus Kunst, Wissenschaft, Theater, Musik und geselligem Leben war. Da sich das Blatt zum Sprachrohr der radikalen deutschen Oppositionsbewegung mit revolutionär-demokratischer Ausrichtung und antipreußischen Tendenzen entwickelte, musste Börnstein nach der Niederschlagung der Februar Revolution Europa verlassen. Wie viele politische Exilanten dieser Zeit emigrierte er – gemeinsam mit seiner Familie – in die USA. Mit dem Dreimaster Espindola brach er am 4. Februar 1849 von Le Havre auf und erreichte nach 62 Tagen in New Orleans amerikanischen Boden. In den USA ließ er sich zuletzt in St. Louis nieder, wo er neben journalistischen Arbeiten seine Tätigkeit am Theater fortsetze und sich auch im Bürgerkrieg engagierte. Schließlich wurde er 1862 von Lincoln als Konsul nach Bremen geschickt, wo er allerdings nur ein paar Jahre blieb. 1869 zog er weiter nach Wien, wo er wieder am Theater zu arbeiten begann.8

Heinrich Börnsteins Lebensweg veranschaulicht ein ausgeprägtes Migrationsverhalten sowie unterschiedliche Motivationen für die Ortswechsel. Keinesfalls handelt es sich um einen Sonderfall. Aufgrund einer politisch turbulenten Zeit, aber auch der Strukturen und Arbeitsbedingungen am Theater, die einen häufigen Wechsel der Engagements erforderten, wurden viele Theaterschaffende dieser Zeit zu Migranten. Am Beispiel Börnsteins wird jedoch ein weiterer Aspekt sichtbar, nämlich der der Rückkehr. Für viele Emigranten, insbesondere politische Exilanten wie auch Arbeitsmigranten, beinhaltete die Auswanderung auch eine Option zur Rückkehr.9 Die Gründe waren vielfältig, so z.B., weil sich die politische Lage in der Heimat stabilisiert hatte, sie genügend Geld verdient oder weil sich ihre Vorstellungen nicht erfüllt hatten.

Ein biographischer Ansatz, der die jeweiligen Aufenthaltsstationen berücksichtigt und untersucht, erlaubt zudem beliebte und starkfrequentierte Reise-, Handels- und Migrationsrouten zu identifizieren. So konstatieren Christopher Balme und Nic Leonhardt:

The focus on ‚routes‘ directs our attention to connections between nodal points. […] these nodal points emanated from metropolitan centres, especially those that functioned as imperial capital cities. We know from research into shipping routes, submarine telegraph trajectories, and later telephone lines, that very specific lins of communication were established and maintained primarily to service either the lines themselves or colonial towns and cities. One working hypothesis is that the theatrical trade made use of these existing routes and provided a kind of cultural superstructure to enhance living conditions in what were often entirely commercial, administrative and military centres. But it is equally important to track less obvious trajectories and routes, which probably established themselves between colonial centres, and not just between the metropolitan centre and the periphery.10

Bei einer solchen Analyse der Routen sind Verfahren und Werkzeuge aus dem Bereich der Digital Humanites äußerst hilfreich. Einerseits um die Fülle an gesammelten Daten verwalten zu können, aber auch um diese in Relation zu bringen und die Ergebnisse mittels digitaler tools zu analysieren und zu visualisieren. Erste Schritte in diese Richtung veranschaulichen Projekte wie „Digital Yddish Theatre“ von Debra Caplan und Joel Berkowitz11, „Theatrescapes“ von Nic Leonhardt12 oder „Moving Bodies, Moving Culture“ von Kate Elswit13.

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