Kitabı oku: «Neue Theorien des Rechts», sayfa 2

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D. Didaktische Konzeption

Die in die genannten Schwerpunktbereiche eingeteilten Texte suchen einerseits, konzise und verständlich die jeweilige Logik des theoretischen Arguments nachvollziehbar zu machen. Andererseits sollen sich auch für Leserinnen und Leser, die mit dem Argument bereits vertraut sind, noch neue Einsichten für eine produktive Beschäftigung mit den vorzustellenden Texten ergeben können.

Der Aufbau der Beiträge folgt einem weitgehend einheitlichen Schema. In einer eher lexikalisch gehaltenen Einleitung werden sodann Genese, wichtigste Referenzpersonen und der Gegenstand der Abgrenzungsbewegung der einzelnen Konzeptionen kurz skizziert. Dies wird ergänzt durch Kurzinformationen zum ideengeschichtlichen Hintergrund der jeweiligen Theorieströmung. Im darstellenden Teil widmen sich die Texte der Rekonstruktion der Kernaussagen der |9|Theorien. Es wird die Behandlung des jeweiligen Schwerpunktthemas durch die Theoriemodelle aufgezeigt und dargestellt, wo die Kritik ansetzt. Durch Verweise auf andere Beiträge des Buches werden Querverbindungen sichtbar gemacht. Ergänzt werden die Beiträge durch gezielte Literaturhinweise, die den Zugang zu den jeweiligen Theoriekonzeptionen erleichtern sollen.

Die Autorinnen und Autoren haben sich bemüht, die Komplexität von Texten und Theorien angemessen so zu reduzieren, dass Ecken und Kanten der Referenztexte nicht nivelliert werden. Die Beiträge dieses Buches eignen sich daher sowohl für diejenigen, die sich einen ersten Überblick über neue Theoriebildungen im Recht verschaffen wollen, als auch als Grundlage einer vertieften Auseinandersetzung für diejenigen, die bereits auf Vorkenntnisse zurückgreifen können. Ob dieses Buch einen Unterschied machen wird, entscheidet sich darum nicht an den Idiosynkrasien und dem gutem Willen der Autorinnen und Autoren, auch nicht am Wissensstand der Adressatinnen und Adressaten, sondern daran, ob die Texte Leserinnen und Leser finden werden, die bereit sind, die Antworten der neuen Theorien des Rechts auf Grundfragen des Rechts der Weltgesellschaft kritisch nach- und gegenzudenken.

[Zum Inhalt]

|11|Erster Teil: Trennung und Verknüpfung von Recht und Politik
|13|Demokratischer Positivismus: HabermasHabermas, Jürgen und MausMaus, Ingeborg

Peter Niesen und Oliver Eberl

Jürgen HabermasHabermas, Jürgen und Ingeborg MausMaus, Ingeborg gehören zur zweiten Generation der Kritischen TheorieKritische Theorie der Frankfurter Schule. In Abgrenzung zur ersten Generation um Theodor W. AdornoAdorno, Theodor W. und Max HorkheimerHorkheimer, Max und Autoren der dritten Generation wie Christoph Menke wenden sich beide Autoren gegen die von MarxMarx, Karl und BenjaminBenjamin, Walter inspirierte Fundamentalkritik des modernen positiven Rechts, indem sie auf dessen freiheitsfreundliche und Demokratie-ermöglichende Eigenschaften verweisen. Im Kontrast auch zu den Theorien der Juristen Franz L. NeumannNeumann, Franz L. und Otto Kirchheimer, die einen rechtstheoretischen Brückenkopf der ersten Generation der Kritischen TheorieKritische Theorie bildeten, beziehen sich beide affirmativ auf das doppelte Autonomieideal der Aufklärung, insbesondere in den Theorien von Rousseau und Immanuel KantKant, Immanuel, und damit auf eine – zu radikalisierende – Tradition des liberaldemokratischen Rechtsstaats[19]. Beide Ansätze beanspruchen, eine stabile Balance zwischen Ansprüchen auf liberale Grundrechte und politische Teilhabe zu erreichen. Private und politische Autonomie (HabermasHabermas, Jürgen) oder Freiheitsrechte und VolkssouveränitätVolkssouveränität (MausMaus, Ingeborg), deren Entgegensetzung frühere Rechtstheorien dazu führte, private Freiheit auf Kosten von demokratischer Beteiligung zu privilegieren und umgekehrt, gehören nach diesen Interpretationen untrennbar zusammen. Die rechts- und demokratietheoretischen Hauptwerke Faktizität und Geltung (Habermas) sowie Zur Aufklärung der Demokratietheorie (Maus) sind beide im Jahr 1992 erschienen.

Die beiden Werke markieren so etwas wie den Höhe- und Wendepunkt einer rechtstheoretischen Epoche, für die Recht und demokratischer Staat intern aufeinander bezogen sind. Beide Theorien beanspruchen, einer Komplementarität von Recht und demokratischer Legitimität in rekonstruktiver Einstellung gerecht zu werden: Als notwendige Bedingung für die Legitimität des Rechts gilt seine demokratische Erzeugung; als notwendige Bedingung für die Realisierung der DemokratieDemokratie gilt ihre rechtsförmige Institutionalisierung. Es versteht sich von selbst, dass sich unter den Bedingungen ökonomischer und politischer Globalisierung und der damit verbundenen postdemokratischen Formen der Rechtserzeugung beide Theorien vor erhebliche Herausforderungen gestellt sehen.

Die behauptete interne Verknüpfung zwischen RechtsstaatRechtsstaat und DemokratieDemokratie erklärt, warum wir die Rechtstheorien von MausMaus, Ingeborg und HabermasHabermas, Jürgen als demokratischen PositivismusPositivismus einführen. Wenn wir die Positionen beider als Positivismus |14|bezeichnen, so stellt dies die etatismuskritische und anti-expertokratische Pointe beider Theorien in den Vordergrund. Unter Positivismus versteht man, dass zwischen dem Recht, wie es ist, und dem Recht, wie es sein soll, keine notwendige Beziehung besteht; das heißt, dass die rechtliche Geltung eines Gesetzes nicht davon abhängt, wie der Inhalt dieses Gesetzes ausfällt[20]. Für »demokratischen Positivismus« trifft dies, abgesehen von seiner Festlegung auf demokratische Rechtserzeugung, ebenfalls zu: Er motiviert den Respekt vor inhaltlich beliebigen rechtlichen Normen und Entscheidungen mit dem Respekt für eine nichtbeliebige Rechtsquelle. Die Funktion eines solchen Positivismus liegt nun nicht darin, die Begründungsbedürftigkeit oder Begründungsfähigkeit von Gesetzen abzuwehren. Vielmehr soll ausgeschlossen werden, dass bei der Anwendung von Gesetzen in Justiz und Verwaltung und beim Regierungshandeln Spielräume geltend gemacht werden, die mit einer demokratischen Programmierung der staatlichen Instanzen nicht verträglich sind. Der Trennung zwischen Recht, wie es ist, und Recht, wie es sein soll, liegt also selbst ein normatives Argument zugrunde.

A. DiskurstheorieDiskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats: HabermasHabermas, Jürgen

Für HabermasHabermas, Jürgen’ Rechts- und Demokratietheorie ist neben der Kritischen TheorieKritische Theorie und der politischen Theorie der Aufklärung die von HabermasHabermas, Jürgen entwickelte DiskurstheorieDiskurstheorie der dritte normative Bezugspunkt. Das Konzept des Diskurses übernimmt eine zentrale Funktion für die Rechtserzeugung. HabermasHabermas, Jürgen’ Demokratieprinzip besagt nämlich, dass »nur die juridischen Gesetze legitime Geltung beanspruchen dürfen, die in einem ihrerseits rechtlich verfassten diskursiven Rechtsetzungsprozess die Zustimmung aller Rechtsgenossen finden können«[21]. In diesen »rechtlich verfassten diskursiven« Prozess gehen pragmatisch-technische, ethische (d.h. auf das gute Leben gerichtete) und auch moralische Argumente ein. Dass ein Rechtsetzungsprozess »diskursiv« verläuft, impliziert auch, dass eine interne Hierarchie zwischen diesen Argumenttypen berücksichtigt wird und sich pragmatische von ethischen, ethische von moralischen Argumenten übertrumpfen lassen[22]Habermas, Jürgen. Mit der Logik von Diskursen wäre es unverträglich, dass gegenüber moralischen Bedenken gegen eine zu verabschiedende Norm auf die |15|gemeinsame ethische Identität einer Population gepocht würde[23]. Was es heißt, dass ein Rechtsetzungsprozess »rechtlich verfasst« abläuft, dafür formuliert HabermasHabermas, Jürgen’ »System der Rechte« notwendige Bedingungen. Das System der Rechte trägt die Beweislast dafür, dass Recht und DemokratieDemokratie einander nicht abstrakt entgegengesetzt, sondern aus einander entwickelt werden. Personen müssen in der Ausübung ihrer rechtsetzenden Tätigkeit selbst als Träger von Rechten vorgestellt werden. Dazu müssen sie HabermasHabermas, Jürgen zufolge über fünf Kategorien von Rechten verfügen, deren konkrete Ausgestaltung allerdings völlig offen und der demokratischen Interpretation überantwortet ist. Sie brauchen zunächst Grundrechte auf Handlungsfreiheiten, auf Mitgliedschaft in einer Rechtsgemeinschaft und auf Rechtsschutz. Die Erfüllung dieser drei Ansprüche ist die Voraussetzung dafür, dass ihnen in einem nächsten Schritt auch Bürgerrechte auf die Ausübung politischer Autonomie eingeräumt werden können. Schließlich stehen ihnen, soweit es für eine chancengleiche Ausübung ihrer Handlungsfreiheit und Aktivbürgerschaft erforderlich ist, auch soziale Rechte zu[24].

Diese fünf Typen von Rechten fallen nicht vom Himmel – es sind Ansprüche, die als Voraussetzungen einer sozialen Praxis identifiziert werden, nämlich der, die gemeinsamen Angelegenheiten mit Mitteln des positiven Rechts legitim zu regeln. An einer solchen Praxis interessierte Bürger müssen sie sich daher gegenseitig einräumen. Es handelt sich ausdrücklich nicht um moralische Menschenrechte, die jedem von Natur aus zustehen: damit betont HabermasHabermas, Jürgen den Umstand, dass letztlich freigestellt ist, ob die Wahl der Mittel für die Konfliktbearbeitung innerhalb einer Population zugunsten der Rechtsform ausfällt[25]. Dieses voluntaristische Moment in der Aufnahme rechtlicher Beziehungen stützt die positivistische, nicht-naturrechtliche Position. Für jede Ordnung in Rechtsform sind die genannten Kategorien von Rechten dennoch verbindlich; sie sind so etwas wie grammatische Regeln einer Sprache. Wenn man sich mithilfe des »Rechtscodes« ausdrückt, um konfliktregulierende Normen zu formulieren, ist man auf die Berücksichtigung egalitärer subjektiver Ansprüche einer und eines jeden festgelegt[26]. Und obwohl juristische Rechte, wie gesagt, nicht aus der Moral abgeleitet werden, lässt sich mit der Idee eines Systems der Rechte jedes politische Gemeinwesen, das einen Anspruch darauf erhebt, überhaupt eine Rechtsordnung zu sein, einen Kernbereich der Menschenrechte aber nicht respektiert, von innen unter |16|Legitimationsdruck setzen[27] – dies gilt für politische und für nicht-politische Rechte gleichermaßen, und unabhängig von völkerrechtlichen Verpflichtungen, auf die wir im Schlussabschnitt eingehen werden. Die Komplementarität von Recht und DemokratieDemokratie in der wechselseitigen Verleihung von Rechten besteht mithin nicht nur darin, dass mit kommunikativen Rechten ausgestattete Personen an Rechtsetzungsprozessen uneingeschränkt teilnehmen können. Das System der Rechte stattet Personen gleichzeitig mit einem grundsätzlichen Schutz ihrer privaten Lebensentscheidungen aus, so dass sie sich dem starken Vergemeinschaftungsdruck, der politischen Prozessen anhaften kann, auch entziehen können. Im Gegensatz zu allen anderen Diskursen gibt es in rechtlich strukturierten einen ausdrücklichen Anspruch darauf, sich aus dem Diskurs zurückzuziehen[28]. Die für Rechtsverhältnisse grundlegende »kommunikative Freiheit« besitzt zwei Seiten: sie besteht ebenso sehr darin, Argumente in Diskursen geltend zu machen, wie solche Diskurse abzubrechen.[29]

Der Staat kommt in HabermasHabermas, Jürgen’ Konzeption erst dadurch ins Spiel, dass eine effektive Organisations- und Durchsetzungsgewalt des Rechts erforderlich wird – eine Serviceleistung für Recht und DemokratieDemokratie, die allein der Staat bisher anbietet. Die Staatsapparate folgen allerdings einer anderen Logik als praktische Diskurse: sie verständigen sich über administrative Macht, die ebenfalls in Rechtsform weitergegeben wird. Die Notwendigkeit, nicht nur Prozesse der Rechtsanwendung und -durchsetzung, sondern auch Rechtsetzungsprozesse staatlich zu institutionalisieren, bringt nun einerseits verschiedene Kompromittierungen der idealisierten Diskursprozedur mit sich: die Beschränkung auf einen kontingent-abgegrenzten demos, die Bewältigung von Zeitdruck für das Fällen bindender Entscheidungen, die Einführung des Mehrheitsprinzips, die Delegierung von rechtserzeugenden Diskursen an Parlamente usw.[30]. Dabei werden auf das Recht bezogene staatsbürgerliche Diskurse nicht vollständig institutionell absorbiert, sondern wandern zum Teil in die informelle politische Öffentlichkeit ab. Andererseits soll die administrative Macht der staatlichen Organe weiterhin ausschließlich von der »kommunikativen Macht«, die in demokratischer Rechtsetzung erzeugt wird, autorisiert werden. Die Autorisierungsbedürftigkeit |17|jeglichen staatlichen Handelns durch kommunikative Macht bringt auch ein neues Verständnis von Gewaltenteilung mit sich. Die Gesetzgebung und die ihr nachgeordneten Instanzen von Justiz und Verwaltung lassen sich »nach Kommunikationsformen und entsprechenden Potentialen von Gründen differenzieren«[31]: Im Gegensatz zur Gesetzgebung haben Verwaltung und Justiz keinen Zugriff auf das gesamte Spektrum von pragmatischen, ethischen und moralischen Gründen (das von ihnen ansonsten im Extremfall auch contra legem geltend gemacht werden könnte). Sie müssen daher »von der Gesetzgebung getrennt und an einer Selbstprogrammierung gehindert werden«[32]. Dass auch die Rechtsprechung über »die in Gesetzesnormen gebündelten Gründe nicht beliebig verfügen« kann, ist ein Aspekt der ursprünglich von Klaus Günther entwickelten Unterscheidung zwischen Normbegründungs- und Anwendungsdiskursen, die Richtern im Falle offenbar kollidierender Rechtsnormen nicht gestattet, diese Normen auf ihre praktische Vernünftigkeit zu überprüfen, sondern ihre Erörterungen im gegebenen Fall an der Frage ihrer Situationsangemessenheit ausrichtet[33]. Sie erlaubt die Differenzierung zwischen unparteilicher Anwendung und moralischer Beurteilung von Normen, zu der Richter kein Mandat haben. Derselbe Typ von »Sichtblende« (Ingeborg MausMaus, Ingeborg) gegenüber substantiellen Erwägungen von Ethik und Moral verhängt der Verwaltung einen Rückgriff auf eigenständige, von ihrer gesetzlichen Programmierung unabhängige, Legitimationsressourcen.

Charakteristisch für HabermasHabermas, Jürgen’ Konzeption der Rechtserzeugung ist sein Konzept einer »zweigleisigen« deliberativen Demokratie[34], die auf die parallele Aktivität institutionalisierter Gremien und informeller Öffentlichkeit(en) setzt. Die Kombination »starker«, entscheidungsbefugter, mit so genannten »schwachen« Öffentlichkeiten soll nicht nur Druck auf sich möglicherweise vermachtende parlamentarische Abläufe ausüben können[35]. Starke und schwache Öffentlichkeiten verfügen über verschiedene Qualitäten, so dass selbst unter idealen Rahmenbedingungen (überschaubare Bevölkerungszahl und Fläche, |18|direkt-demokratische Institutionen) sich eine arbeitsteilige politische Willens- und Entscheidungsbildung anbietet: Während starke Öffentlichkeiten unter Zeitdruck aktuelle Problemlösungen suchen müssen, kann »die« Öffentlichkeit, vom Handlungsdruck entlastet, sensibel auf neue Bedrohungen und Chancen reagieren. Da in ihr nicht um Entscheidungen gerungen wird, fällt den Beteiligten eine Distanzierung von ihren Interessen leichter[36]. Unter den realen Bedingungen komplexer Gesellschaften fällt es weitgehend schwachen Öffentlichkeiten zu, die Inklusion aller Bürger und aller Positionen und Argumente ins Gesetzgebungsverfahren sicherzustellen. In innerstaatlichen Zusammenhängen soll HabermasHabermas, Jürgen zufolge die Dynamik politischer Steuerung dennoch weitgehend beim Parlament und den es dominierenden Akteuren liegen – nur in außergewöhnlichen, etwa krisenhaften Situationen obliegt es der politischen Öffentlichkeit, die Initiative zu übernehmen[37]. Die Aufgabe einer Verfassungsgerichtsbarkeit sieht HabermasHabermas, Jürgen darin, die Kommunikationsvoraussetzungen zu schützen, auf die die Bürger in starken und schwachen Öffentlichkeiten in der Ausgestaltung des Systems der Rechte angewiesen sind. Die Kompetenz der Verfassungsrechtsprechung, Gesetze zu invalidieren, beschreibt er als institutionell ausgelagerte Form einer »Selbstkontrolle« des parlamentarischen Gesetzgebers[38]. Seine Überlegungen, eine solche reflexive Prüfungsebene in Form eines Parlamentsausschusses zu institutionalisieren, sowie Bemerkungen zur parlamentarischen Bestellung der Verfassungsrichter zeigen jedoch, dass die »pragmatische[n] und rechtspolitische[n] Gründe«[39], die für die Ausdifferenzierung einer Verfassungsgerichtsbarkeit geltend gemacht werden können, unter gewaltenteiliger Rücksicht nicht hinreichend in die DiskurstheorieDiskurstheorie integriert sind[40]Demokratie.

Mit der politisch-philosophischen DiskurstheorieDiskurstheorie des Rechts nimmt HabermasHabermas, Jürgen einen zweiten Anlauf, um dem Phänomen des modernen Rechts gerecht zu werden. In seiner stärker soziologisch interessierten Theorie des kommunikativen Handelnskommunikatives Handeln hatte er zwischen Recht als Organisationsmittel für mediengesteuerte gesellschaftliche Subsysteme und Recht als Institution unterschieden, d.h. zwischen Recht als anonymem Mechanismus, der mithilfe seiner Disposition über die Vergabe von Macht oder Geld eine gesellschaftssteuernde Funktion übernimmt, und einem noch über Legitimitätsforderungen lebensweltlich |19|angebundenen Recht[41]. HabermasHabermas, Jürgen geht also zunächst von einer zumindest deskriptiven Angemessenheit der systemtheoretischen Beschreibung eines Rechtssystems aus, das sich aufgrund funktionaler Erfordernisse gegenüber anderen gesellschaftlichen Bedürfnissen abschotten muss, um mit ihrer Hilfe einen pathologischen Phänomenbereich zu erschließen[42]. Seine These ist, dass mehr und mehr gesellschaftliche Bereiche, die bisher »kommunikativ«, d.h. über internalisierte Normen, die im interpersonalen Umgang jederzeit in Frage gestellt werden können, integriert wurden, durch Recht als System »kolonialisiert« werden. Insbesondere das Sozialrecht biete ein Beispiel dafür, dass sich das Rechtssystem in Handlungsbereiche wie Familie, Pflege, Kindererziehung, etc. ausdehnt und die dort herrschenden kommunikativen Handlungszusammenhänge ergänzt und schließlich überformt. Auf der Basis der Demokratietheorie in Faktizität und Geltung werden die Verhältnisse nun zumindest der Möglichkeit nach umgekehrt: insofern kommunikative Impulse in der Rechtserzeugung zur Geltung gebracht werden können, dient das Recht als »Transformator«, der Botschaften von der gesellschaftlichen Basis im politischen und im Wirtschaftssystem verständlich werden lassen und die vollständig abgekoppelte systemische Reproduktion solcher Bereiche verhindern können soll[43].

B. Aufklärung der Rechts- und Demokratietheorie: MausMaus, Ingeborg

Ingeborg MausMaus, Ingeborg’ Rekonstruktion des RechtspositivismusPositivismus antwortet auf die Frage, wie unter den Bedingungen der fortgeschrittenen Industriegesellschaft mit den Entwicklungen neuer trans- und supranationaler Regelungsebenen demokratische Selbstbestimmung und Freiheitssicherung der Individuen durch Rechtsstaatlichkeit überhaupt noch möglich sind. Dabei steht sie in enger Verbindung zum »radikalen« Flügel der Kritischen TheorieKritische Theorie, besonders Herbert MarcuseMarcuse, Herbert[44]. Mit Franz L. NeumannNeumann, Franz L.[45] verweist Maus darauf, dass »politische wie soziale Herrschaft sich am ungehemmtesten durch völlige EntformalisierungEntformalisierung des Rechts verwirklichen« kann[46].

Nach Maus ermöglicht RechtspositivismusPositivismus DemokratieDemokratie und Rechtsstaatlichkeit durch strengen Formalismus und Hierarchie des Rechts, während |20|anti-positivistische Methodenlehren die Spielräume der anwendenden Gewalten durch EntformalisierungEntformalisierung erweitern. Diesen Zusammenhang verdeutlicht sie am Beispiel des Nationalsozialismus, der seine ideologischen Ziele mittels Generalklauseln und unbestimmten Vorgaben zu erreichen suchte[47]. Dabei konnte er nahtlos an eine Methodenlehre anknüpfen, die bereits in der Weimarer Republik gegen den demokratischen Gesetzgeber entwickelt worden war und vor allem die Justiz mit Freiräumen ausstattete[48].

Tendenzen einer schleichenden Emanzipation des Rechts von der Gesetzgebung diagnostiziert MausMaus, Ingeborg allerdings ganz unabhängig vom politischen System. Sie belegt die Entfesselung der Justiz an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das aus den Einzelbestimmungen der Verfassung noch einmal ihr Sinnganzes als eine »objektive Wertordnung« gewinnt und so Grundrechte in abwägungsfähige Werte verwandelt. Auf diese Weise werde juridische Verfassungsinterpretation zu »positiver Verfassungsgebung«[49], die über Normenkontrollverfahren den Souverän nicht nur in seiner Funktion als einfachen Gesetzgeber, sondern auch in der Funktion als Verfassungsgeber unter Kuratel stellt, wenn nicht ersetzt. In der »vaterlosen Gesellschaft« der Bundesrepublik scheine dem Bundesverfassungsgericht nicht mehr nur die psychologische Rolle des Ersatzkaisers, sondern zugleich auch die des gesetz- und verfassunggebenden Kaiser-Ersatzes zugedacht[50]. Auf diese Weise werde der RechtsstaatRechtsstaat durch den Verfassungsstaat ersetzt und dieses Justizverständnis in letzter Konsequenz zur »Demokratieverhinderung«[51] MausMaus, Ingeborg setzt dem den formalen Rechtsbegriff des RechtspositivismusPositivismus und seine enge Auslegungslehre entgegen[52].

Dieser Beschreibung eines radikalen Funktionswandels der Justiz in der DemokratieDemokratie liegt die Annahme einer RefeudalisierungRefeudalisierung zugrunde, die sich in einer rechtssoziologischen und einer demokratietheoretischen Ausprägung zeigt. Rechtssoziologisch wird die »EntformalisierungEntformalisierung« des Rechts durch die Dynamisierung des Rechts in der Industriegesellschaft und ein immens gesteigertes Verwaltungshandeln erzeugt. Unter dem Dynamisierungsdruck einer rapiden technischen, wissenschaftlichen und ökonomischen Entwicklung werden in ansonsten präzise Rechtstexte unbestimmte Rechtsbegriffe, Generalklauseln und Zielformeln eingebaut, die Gesetze zu »Gesetzesattrappen« deformieren und so die Spielräume der Staatsapparate, ohne den »legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung« aufzugeben, in der konkreten Anwendungssituation erweitern[53]. |21|Nicht bereits die zunehmende Verrechtlichung führe zum Freiheitsverlust, sondern erst die Entrechtlichungstendenzen, die in die Verrechtlichung selbst eingebaut sind und jede demokratische Willensbildung unterlaufen[54]. Diese grundlegende Beschreibung der Entformalisierung und Refeudalisierung des Rechts in kapitalistischen Gesellschaften kommt aktuellen Diagnosen der Postdemokratie sehr nahe, die aus einer soziologischen Perspektive die Entleerung demokratischer Entscheidungsfindung beschreiben[55]. Am demokratischen Denken lässt sich die, diesen Tendenzen entgegenkommende, Dämonisierung der VolkssouveränitätVolkssouveränität ablesen, die verhindert, dass diese in ihrer Rolle als demokratischer »Gegenspieler der gewalthabenden Staatsapparate«[56] wahrgenommen wird. Dem entsprechend wird Volkssouveränität durch ein vordemokratisches Widerstandsrecht ersetzt[57].

Das Anliegen von MausMaus, Ingeborg’ Studie zu KantKant, Immanuel ist es, die historisch-systematische Basis einer Theorie der VolkssouveränitätVolkssouveränität (frei) zu legen. Kants radikaldemokratische Theorie unterliege, ebenso wie der RechtspositivismusPositivismus, noch immer dem Verdikt der obrigkeitsstaatlichen Anpassung. Als Grund dafür macht MausMaus, Ingeborg die fortgesetzte Bestimmung des demokratischen Gehalts einer Theorie an der Zuerkennung eines »Widerstandsrechts« aus[58]. Ein Widerstandsrecht lehnt KantKant, Immanuel als inkonsistente Idee ab. Er stützt sich stattdessen auf das radikalere Prinzip der Volkssouveränität, das es dem Volk jederzeit erlaubt, als pouvoir constituant aufzutreten und die Verfassung zu ändern oder zu erneuern[59]. Das Beharren auf einem Widerstandsrecht macht MausMaus, Ingeborg dagegen als Indiz für eine »Refeudalisierung« der Demokratietheorie geltend, die ihre Maßstäbe an der vormodernen Idee des rechtsförmigen Widerstands gewinne und damit auf die Idee des Herrschaftsvertrages zurückfalle, die die Aufklärung mit der nurmehr horizontalen Idee eines Gesellschaftsvertrags überwunden hatte[60]. Das Verhältnis zwischen dem Volk und den Inhabern staatlicher Herrschaft sieht sie mit KantKant, Immanuel als ein rein |22|faktisches, nicht durch vertragliche Beziehungen oder normative Gehorsamspflichten überlagertes an.

MausMaus, Ingeborg entwickelt einen Vorschlag zur Reaktualisierung der VolkssouveränitätVolkssouveränität durch Prozeduralisierung demokratischer Rechtsetzung, der die funktionale Differenzierung gesellschaftlicher Systeme zum Ausgangspunkt hat. Gleichzeitig wendet sich dieser Vorschlag institutionalisierter Basisdemokratie gegen die »defensive« Haltung von HabermasHabermas, Jürgen’ Theorie des kommunikativen Handelnskommunikatives Handeln, die die Systeme »resignativ« sich selbst überlasse[61] und fordert explizit, auch innerhalb der Systeme Zonen autonomer diskursiver Normbildungsprozesse zu errichten[62]. Zunächst sei es »notwendig, die Unbestimmtheit materiellen Rechts durch die Präzision des Verfahrensrechts zu kompensieren«[63]. In einem zweiten, entscheidenden Institutionalisierungsschritt sei dann eine Ebene »demokratischer Reflexivität« in der Normsetzung selbst einzurichten. Mit der Unterscheidung zwischen einer zentral vorgenommenen Setzung von Verfahrensrecht und einer davon getrennten dezentralen Rechtsetzung, könnten in »bereichs- und gruppenspezifischen Teilmengen des Rechts« gesellschaftlich autonome Rechtsetzungsprozesse verwirklicht werden[64]Maus, Ingeborg. Dabei wären Verfahrenspositionen gesetzlich so zuzuweisen, dass Minderheiten sich gegen Majorisierungen selbst schützen könnten[65]; in zentralen Bereichen müssten betroffene Minderheiten über »verfahrensförmige Vetopositionen« verfügen[66]. Die Besonderheit dieses Vorschlags dezentraler Gesetzgebung besteht darin, dass im Gegensatz zur spontanen Ausdifferenzierung von rechtsschöpfenden Diskursen, wie sie der systemtheoretische Rechtspluralismus aufgreift[67], »die betroffenen Konfliktparteien […] mit symmetrischen Verhandlungspositionen ausgestattet werden, die die Asymmetrien gesellschaftlicher Macht rechtlich kompensieren« sollen[68].

Aus der Perspektive der VolkssouveränitätVolkssouveränität formuliert MausMaus, Ingeborg auch ihre Kritik an den Rechtstheorien von John RawlsRawls, John und Jürgen HabermasHabermas, Jürgen. Der Kontraktualismus der Aufklärung unterscheidet sich MausMaus, Ingeborg zufolge vom Gebrauch des kontraktualistischen Urzustands in Rawls’ Eine Theorie der Gerechtigkeit dadurch, dass er allein eine Struktur egalitärer Normsetzung auszeichnet und sich nicht imstande sieht, wie RawlsRawls, John aus einer solchen Struktur auf »expertokratischem« |23|Weg verbindliche Prinzipien einer gerechten Sozialordnung abzuleiten[69]. Dennoch steht Maus’ Konzeption dem kontraktualistischen Verhandlungsmodus in RawlsRawls, John’ Urzustand in einer Hinsicht näher als der DiskurstheorieDiskurstheorie von HabermasHabermas, Jürgen. Sie hält eine im engen Sinn eigeninteressierte Orientierung der Teilnehmer in allen verfassungs- und gesetzgebenden Kontexten für hinreichend; sie setzt auf faire Verhandlungen, nicht auf praktische Diskurse. Zwar stimmen MausMaus, Ingeborg und Habermas darin überein, dass die Verfahrensbedingungen von Rechtsetzungsprozessen die Einnahme diskursiver Einstellungen durch die Beteiligten weitgehend simulieren oder ihr Fehlen kompensieren sollen[70]. Eine signifikante Unterscheidung zwischen deliberativer und strategischer Diskussion innerhalb dieser Kontexte ist aber mit Maus’ Ansatz unverträglich. Methodisch erscheint dies konsequent, da über die Einhaltung von Verfahrensbedingungen, nicht aber über die Einhaltung von diskursiven Begründungsverpflichtungen aus einer rechtspositivistischen Beobachterperspektive gewacht werden kann. Allerdings erfordert die Theorie der Volkssouveränität, dass auch prozedurale Regeln selbst letztlich von den in diesen Verfahren Inkludierten autonom hervorgebracht werden, und es ist schwer zu sehen, wie ein Verfahrensrecht setzender demos angesichts der sozialen Ungleichheit, die in modernen Gesellschaften die Akteure mit unterschiedlicher Verhandlungsmacht ausstattet, die anspruchsvollen egalitären Verfahrensbedingungen, die demokratische Rechtsetzung auszeichnen sollen, auf der Basis strategischer Verhandlungen zwischen unterschiedlich mächtigen Akteuren hervorbringen können soll.

Im Zentrum von MausMaus, Ingeborg’ Kritik an HabermasHabermas, Jürgen steht die Auffassung, dass das Diskursmodell insgesamt für die Erfassung der rechtsstaatlichen Machtsituation ungeeignet ist. Die diskurstheoretische Anlage bekomme nur horizontal-symmetrische Argumentationsverhältnisse in den Blick, während die Demokratietheorie der Aufklärung bei der vertikalen Asymmetrie von Gesetzgebung und sanktionsbewehrter Rechtsdurchsetzung ansetze. MausMaus, Ingeborg kritisiert die Tendenz zur Entsubjektivierung und Anonymisierung der VolkssouveränitätVolkssouveränität in die Kommunikationsverläufe einer politischen Öffentlichkeit, aber insbesondere ein Verschwimmen der antagonistischen Entgegensetzung von gesellschaftlicher Basis und staatlicher Gewalt[71]. Subjektive Menschenrechte treten bei Maus ebenso wie das Prinzip der Volkssouveränität in doppelter Gestalt auf: als im demokratischen Staat institutionalisierte Normen und als vernunftrechtliche Prinzipien. Damit sie jedoch nicht zu Ermächtigungsnormen staatlicher Selbstprogrammierung werden können, nimmt auch Maus’ Ansatz eine Zuweisung zulässiger Gründe |24|vor: einer Semantik überpositiver Freiheitsrechte sollen nur jene sich bedienen dürfen, die zugleich ihre Träger und befugten Interpreten sind.

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9783846353257
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