Kitabı oku: «Neue Theorien des Rechts», sayfa 6

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B. RechtskritikRechtskritik

Diese Annahmen zur funktionalen Differenzierung sind in unterschiedlichen Wellen für eine Kritik des Rechts fruchtbar gemacht worden. Die erste Welle der 1980er Jahre widmete sich unter dem Rubrum »reflexives Recht« insbesondere Steuerungsproblemen, die sich durch die Verrechtlichung der modernen Gesellschaft stellen (1.). Eine zweite Welle wendete sich seit den 1990er und 2000er Jahren transnationalen Rechtsphänomenen zu und diskutierte die Globalisierung des Rechts als Funktionssystem (2.). In jüngerer Zeit ist eine dritte Welle der RechtskritikRechtskritik zu beobachten, die auf eine Neuausrichtung i.S. einer Kritischen SystemtheorieSystemtheorie zielt (3.).

|57|I. Reflexives Recht

»Man schritt auf allen Gebieten zur Verrechtlichung«, so diagnostizierte ein Vertreter der kritischen Rechtsstaatslehre der frühen Frankfurter – Otto Kirchheimer – in den 1920er Jahren[219]Systemtheorie. Kirchheimer zeigte, wie das Recht in der modernen Gesellschaft zu einer großen »Rechtsmaschine« avanciert, zu einem allgegenwärtigen Mechanismus, der alle gesellschaftlichen Fragen in Rechtsfragen überführt[220]Systemtheorie. Kein soziales Feld mehr, von der Lohngestaltung für Arbeitnehmer_innen bis zum familiären Zusammenleben, das nicht in der Form des Rechts bearbeitet und zum Gegenstand gerichtlicher Entscheidung und begrifflicher Dogmatik würde.

Die erste Welle systemtheoretischer RechtskritikRechtskritik, die in den 1970er und 1980er Jahren einsetzte, aktualisierte diese Diagnose für die funktional ausdifferenzierte Gesellschaft des Wohlfahrtsstaates[221]. Damit reihte sie sich in die lebhaften Diskussionen der Rechts- und Sozialwissenschaften der damaligen Zeit ein: Einerseits fand ein Ausbau des Wohlfahrtsstaates statt. Es stellte sich die Frage, welche Rolle das Recht für den Ausbau von Staatsfunktionen und dezentralen Selbstverwaltungsstrukturen übernehmen sollte[222]. Andererseits diskutierten die Rechts- und Sozialwissenschaften in der Folge der Ereignisse des Jahres 1968, wie das Schlagwort von einer »Demokratisierung der Gesellschaft« auszubuchstabieren sei. Die SystemtheorieSystemtheorie des Rechts nutzte hier die Einsichten in die Selbstreferenz der Sozialsysteme für rechtspolitische Zwecke[223]. So identifizierte Gunther TeubnerTeubner, Gunther die Möglichkeit eines reflexiven Rechts, das sich sowohl den Steuerungsproblemen einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaften stellt als auch die eigenen Kolonisierungseffekte im Hinblick auf andere, schützenswerte Teilrationalitäten der Gesellschaft zurückdrängt[224].

|58|Der Verrechtlichungsbefund der kritischen Rechtsstaatslehre wird also um eine systemtheoretische Pointe erweitert. Demnach verbreitet sich das Recht in der Gesellschaft und die Koppelung mit anderen Sozialsystemen intensiviert sich. Das Recht ist aber nicht nur in der Staatsverfassung mit der Politik verkoppelt, sondern ebenso mit der Wirtschaft und dem Arbeitsleben (Wirtschafts- und Arbeitsverfassung), mit dem Wohlfahrtsstaat (Sozialverfassung) und mit der Wissenschaft (Wissenschaftsverfassung) – und so ist eine Vielfalt konstitutioneller Ko-Evolution zu beobachten, die weit über den Staat hinausreicht. Statt ein Steuerungszentrum auszuflaggen, dem sich die Vielfalt sozialer Systeme unterzuordnen hätte, besteht die Herausforderung darin, die wechselseitige Koppelung und die Autonomie der Sozialsysteme auf Dauer zu ermöglichen. Hier kommt das Recht ins Spiel. Es hält Verfahren bereit, mit denen die jeweiligen Paradoxien der Selbst- und Fremdreferenz angemessen entfaltet und durchgearbeitet werden können.

Dieser Zugriff grenzt sich von einem einseitigen, politikzentrierten Steuerungsanspruch ab. Denn in der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft neigt die Idee eines allumfassenden Steuerungszentrums dazu, die existierenden Differenzierungsmechanismen und die damit in Zusammenhang stehenden Autonomieräume zu zerstören. Deshalb sind teilsystemspezifische Reflexionsprozesse gefragt, die in je spezifischen Kontexten sicherstellen, dass die Produktivkräfte der funktionalen Differenzierung nicht in Destruktivkräfte umschlagen: »Reflexionsprozesse innerhalb gesellschaftlicher Teilsysteme müssen in hochdifferenzierten Gesellschaften an die Stelle gesamtgesellschaftlicher Integrationsmechanismen treten […].«[225] Steuerungsprobleme liegen nämlich vor allem dann vor, wenn sich die jeweiligen Sozialsysteme selbst überhöhen und sich an die Stelle der gesamten Gesellschaft setzen. Folglich ist eine Demokratisierung der Gesellschaft nur in nicht-vulgärer, kontextsensibler Form zu realisieren[226]. Insbesondere gilt es abzuklären, welche Leistungen und Funktionen das Recht für andere Prozesse sozialer Selbstorganisation erbringt[227]. Eine »Selbstlimitierung des Rechts« erscheint dort aussichtsreich, wo es mit seiner juridischen Eigenrationalität zerstörerische oder kolonisierende Effekte erzielt. Das Recht kann aber auch die gewünschte Demokratisierung abstützen, wenn es die »strukturellen Voraussetzungen für selbstregulatorische Prozesse« schafft[228].

LuhmannLuhmann, Niklas hatte dieser reflexiven Wende in der SystemtheorieSystemtheorie des Rechts scharf widersprochen[229]. Er kritisierte, dass die avisierte Kontextsteuerung nur schwache |59|Realisierungschancen hat und bringt die Geschlossenheit des Rechtssystems in Stellung. Im Bereich der Rechtserkenntnis gehe es nicht um eine weit gefasste, kontextuelle Adäquanz, die die sozialen Umwelten mit einbezieht, sondern nur um den internen Anschluss an die Rechtskommunikation. Folglich könne »über reflexives Recht (…) nicht hemmungslos soziales Wissen ins Recht einfließen«[230]. LuhmannLuhmann, Niklas bringt eine vergleichsweise geschlossenere Lesart der Selbstreferenz ins Spiel. Sie bescheinigt den reflexiven Demokratisierungsbestrebungen, entweder an der Geschlossenheit des Rechtssystems abzuprallen oder das Rechtssystem mit externen Anforderungen zu überlasten. Wer die modernen Sozialsysteme mit Anforderungen und Erwartungen überlädt, so LuhmannLuhmann, Niklass Argumentationsgang, bewirke letztlich eine Ent-Differenzierung und schränke die Freiheitsgrade der modernen Gesellschaft ein. An dieser ersten Welle der systemtheoretischen RechtskritikRechtskritik zeigt sich, wie das Wechselspiel aus Öffnung und Schließung bis in die rechtspolitische Diskussion hineinragt.

II. Transnationaler Konstitutionalismus

Eine zweite Welle der systemtheoretischen RechtskritikRechtskritik setzte in den 1990er und 2000er Jahren ein. Die Rechtswissenschaft hatte sich in dieser Zeit der inter- und transnationalen Verrechtlichung angenommen, die nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus stattgefunden hatte. Dies gilt für den Ausbau und die Konstitutionalisierung des Völkerrechts genauso wie für die Emergenz von neuartigen Rechtsregimen, etwa im Bereich des Wirtschaftsverkehrs (lex mercatoria), des Finanzrechts (lex financiaria) oder des Umweltrechts. Die SystemtheorieSystemtheorie des Rechts beobachtet in all diesen Fällen ein transnationales Recht, das aus der Globalisierung der Funktionssysteme hervorgeht[231]. Dabei löst sich das Recht in Teilen von seiner privilegierten Koppelung mit dem politischen System des Nationalstaats. Es dient anderen Funktionssystemen, und dort insbesondere der Weltwirtschaft, um normative Erwartungen zu stabilisieren. Schließlich sei das Recht, so die Annahme der Systemtheorie, durch seine Funktion zu bestimmen, so dass auch jenseits des staatlichen Gewaltmonopols oder zentralisierter Durchsetzungsmacht ein Recht jenseits des Staates zu identifizieren ist.

Die Vielfalt unterschiedlicher Regelungsbereiche mitsamt ihren teils überlappenden Kompetenzen wird als Ausdifferenzierung von Rechtsregimen fassbar[232]. Die unterschiedlichen Sozialbereiche und Funktionssysteme generieren ein je eigenes regimespezifisches Recht, das sie in vielen Fällen auf |60|Vertragsnormen und eigene Gerichtsbarkeiten oder Streitschlichtungsinstitutionen stützen. Diese Regimediagnose ist folgenreich für das Verhältnis von Recht und sozialen Konflikten. Die Widersprüche der Weltgesellschaft drücken sich in vielen Fällen in juridischen Regimekollisionen aus. So kollidiert beispielsweise das Recht des Freihandels, wie es in den 1990er und 2000er Jahren im Rahmen der WTO ausgebildet wurde, regelmäßig mit dem sozialen Recht des UN-Sozialpakts. Im Recht des Cyber-Space treffen die Grundrechte der Nutzer_innen auf das bestehende Vertragsrecht der Internetkonzerne[233]. Um einen Umgang mit diesen neuartigen Regimekollisionen zu finden, bietet sich weder ein Rückzug auf den Nationalstaat noch die Vereinheitlichung in einer politischen Weltgemeinschaft an; vielmehr erscheint ein transnationalisiertes Kollisionsrecht aussichtsreich, das die Konfliktlagen handhabbar macht und die Regime in ihre Schranken weist[234]. Die Ansatzpunkte erstrecken sich von der Verrechtlichung der nötigen Gegenmacht- und Kontrollmechanismen bis hin zu Berücksichtigungspflichten, die die Responsivität der Regime durch die »Herstellung wechselseitiger Reflexivität in den Rechtsfragmenten« sicherstellen[235].

Die Rechtsregime reichen in vielen Fällen über eine bloße Verrechtlichung hinaus. Die SystemtheorieSystemtheorie identifiziert jedenfalls nicht nur ein transnationales Recht, sondern durchaus schon Ansätze einer robusteren Konstitutionalisierung. Nicht nur der Rechtsbegriff, sondern auch die Tradition des Konstitutionalismus wird neu situiert, indem insbesondere die gewachsene Rolle eines gesellschaftlichen Konstitutionalismus deutlich wird[236]. Die VerfassungVerfassung der Weltgesellschaft verwirklicht sich »(…) nicht exklusiv in den Stellvertreter-Institutionen der internationalen Politik, sie kann aber auch nicht in einer alle gesellschaftlichen Bereiche übergreifenden Globalverfassung stattfinden, sondern sie entsteht inkrementell in der Konstitutionalisierung einer Vielheit von autonomen weltgesellschaftlichen Teilsystemen«[237]. Weder die politische Weltgemeinschaft noch die Nationalstaaten, sondern die Evolution der Regime selbst bringt inkrementell aus der jeweiligen Bereichslogik heraus höherrangige Normierungen hervor, die es plausibel machen, hier Verfassungsinstitutionen zu verorten. Dies ist der Fall, wenn höherrangige Beobachtungen eintreten, die die allgemeine Verfasstheit der Regime, ihre konstituierenden Dimensionen, ihre Grenzen zu den sozialen Umwelten zum Gegenstand haben – wenn also die Normierungen der |61|Normierungen geregelt werden. Sind diese sekundären Normierungen dauerhaft mit reflexiven Sozialprozessen verkoppelt, ist von einer Verfassungsbildung auszugehen[238]. Verträge und »einfaches Recht« avancieren zu verfassungsartigen Grundordnungen, wenn die rechtliche Urteils- und Entscheidungsfindung in Gerichtsbarkeiten oder die rechtssetzenden Kommunikationen eine solche konstituierende Reflexivität ausbilden.

Von diesem Standpunkt wird eine immanente Kritik des transnationalen Konstitutionalismus möglich. Die Verrechtlichung, die seit den 1990er Jahren einsetzte, stabilisierte in vielerlei Hinsicht die Eigenrationalität der jeweiligen Regime. Sie stützte mithin ihren Expansionsdrang ab – mit den bekannten Folgen einer zunehmenden Ökonomisierung, Verwissenschaftlichung und Militarisierung der (Welt-)Gesellschaft[239]. Eine angemessene Kritik kann sich deshalb nicht auf externe Maßstäbe oder Prinzipien stützen, die sie schematisch auf die Welt anwendet. Eher sind Gegenbewegungen zum Expansionsdrang der Systeme von innen her zu stärken und im Sinne einer hybriden Konstitutionalisierung auf Dauer zu stellen:

»Eine ›hybride Konstitutionalisierung‹ ist in dem Sinne gefragt, dass externe gesellschaftliche Kräfte, also neben staatlichen Machtmitteln, rechtliche Normierungen und ›zivilgesellschaftliche‹ Gegenmacht aus anderen Kontexten – Protestbewegungen, NGOs, Gewerkschaften – in der Weise so massiven Druck auf die expansionistischen Funktionssysteme ausüben, dass sie innere Selbstbeschränkungen aufbauen, die tatsächlich greifen.«[240]

Wie und wo sich diese Selbstbeschränkungen verkörpern, kann nur aus der Beobachtung der jeweiligen Koppelungsverhältnisse hervorgehen und nicht allgemein festgelegt werden. Als Einfallstor für die gewünschte Gegenmacht dienen beispielsweise die Menschenrechte und gesellschaftliche Protestbewegungen, genauso wie Kollisions- und wechselseitige Berücksichtigungsnormen durchaus zur Einhegung beitragen. Damit ist die systemtheoretische Diagnose anschlussfähig für eine Aktualisierung der sozialliberalen Traditionslinie im Bereich der Wirtschaftsverfassung, die auf eine Entflechtung ökonomischer Machtkonzentration zielt[241]; für die MarxMarx, Karl’sche Traditionslinie einer Selbstverwaltung des gesellschaftlichen Lebens[242]; genauso wie für Diskussionen um das Verhältnis von |62|Macht und Gegenmacht in der fragmentierten Weltgesellschaft[243]. In jedem dieser Kontexte insistiert die SystemtheorieSystemtheorie des Rechts jedoch auf der funktionalen Differenzierung der Sozialsysteme. Jeder Versuch, die VerfassungVerfassung der Weltgesellschaft von einem »god’s point of view« – sei es der Wirtschaft, der Politik oder einer wissenschaftsgetriebenen Technokratie – zu errichten, läuft Gefahr, die Weltgesellschaft zu vereinnahmen und so bestehende evolutionäre Errungenschaften zu unterlaufen.

III. Kritische SystemtheorieSystemtheorie

In jüngerer Zeit hat sich die SystemtheorieSystemtheorie des Rechts wieder stärker dem grundlegenden Verhältnis von Recht und Gesellschaft zugewendet und insbesondere den Dialog mit Ressourcen der Kritischen Theorie gesucht[244]. Noch in den 1970er Jahren hatten sich Systemtheorie und Kritische Theorie wechselseitig abgegrenzt[245]. Doch bei Lichte betrachtet, existierte schon immer ein unterschwelliger Dialog. Beide Theorietraditionen beobachten eine selbstreferentielle Schließung von Sozialsystemen und verfolgen eine immanente Kritik, die nicht äußere Ideale an das Recht heranträgt, sondern seine Verstrickung in die funktional ausdifferenzierte Gesellschaft analysiert[246]. Dementsprechend sind die jüngeren Beiträge davon gekennzeichnet, eine Analyse und Kritik des Rechts zu entfalten, die die Erkenntnisfortschritte der Systemtheorie aktualisiert.

Im Mittelpunkt steht ein weiteres Mal die Unterscheidung zwischen System und Umwelt. Während LuhmannLuhmann, Niklas noch die operative Geschlossenheit des Rechts so verstanden hatte, dass die sozialen Umwelten tatsächlich nur ein diffuses Negativkorrelat der Systeme darstellen, werden sie in den neueren Beiträgen deutlicher substantiiert. Andreas Fischer-Lescano hat vorgeschlagen, die Theorie der funktionalen Differenzierung des Rechts zu ergänzen. Die Ausdifferenzierung des Rechts beruhe nicht nur auf Geschlossenheit, so Fischer-Lescano, sondern auch auf wirksamen sozialen und juridischen Kräften[247]. Entgegen »vitalistischen« Annahmen gehen diese Kräfte dem Rechtssystem zeitlich nicht voraus oder |63|entziehen sich gar der Veränderbarkeit. Sie rufen aber Widerstände, Überschreitungen und Reibungen im Verhältnis von System und Umwelt hervor. Als Sozialsystem presst das Recht die oft arationale oder gar nicht sprachfähige »Pluralität lebendiger Kräfte« in ein enges Korsett[248]. Dazu zählen nicht zuletzt auch die natürlichen Umwelten und die Körperlichkeit der Menschen[249]. Im Recht gelten nur rechtliche Kommunikationen, es verfährt mit seinen eigenen Rationalitätsstandards, an denen die nicht-rechtlichen sozialen Kräfte regelmäßig scheitern. Dies kann sich gar zu einer strukturellen Gewalt des Rechts steigern, wenn die Selbstreferenz der Systeme die jeweils heterogenen Kräfte abweist[250].

Im Recht schwingt aber nicht nur die Gewalt der Inkommensurabilität, sondern auch eine befreiende Kraft mit. Da »nichts im Recht von der Erwartung ausgenommen« ist, »gerecht« zu sein, wirkt nicht nur die gewaltschwangere Kraft des bestehenden Rechts[251]. Der Anspruch auf konsistentes und gerechtes Entscheiden führt einen Stachel ein, eine Gegenkraft, die das Recht am Maßstab eines gerechten Rechts ausrichtet. Während bei LuhmannLuhmann, Niklas der Appell an die Gerechtigkeit noch das Instrument war, um konsistentes Entscheiden unter veränderten Umweltbedingungen weiter zu ermöglichen, wird die Gerechtigkeit hier zu einer subversiven Transzendenzformel[252]. Die Ausdifferenzierung des Rechtssystems enthält nicht nur eine repressive Kraft. Sie bringt auch eine emanzipative Kraft aus ihrem Inneren hervor, die es ermöglicht, die Gewaltverhältnisse vom Standpunkt eines gerechten Rechts aus zu überschreiten. Das Recht ist deshalb von innen her als »politisch« zu beschreiben – dies aber nicht als Fremdsteuerung durch die Rationalität des politischen Systems, sondern als interne Reflexionspolitik, die auf die Folgen und Bedingungen rechtlichen Entscheidens abstellt. Interpretationskämpfe in der rechtlichen Dogmatik, die Konkretisierung allgemeiner Rechtsnormen auf konkrete Fälle, die Kollisionslagen der Regime innerhalb des Rechts stellen das Spielfeld für unterschiedliche Rechtspolitiken bereit[253].

Das Blickfeld verlagert sich durch diese Einsichten in das Verhältnis von Gewalt, Gerechtigkeit und Eigenlogik zunehmend auf die Unterscheidung zwischen Recht und Nicht-Recht, zwischen Rechtsform und Gesellschaft. Da die sozialen Umwelten für das Recht unerreichbar bleiben, stellt sich die Frage, wie ein |64|mimetischer Umgang des Rechts mit dem Nicht-Recht denkbar werden kann[254]. Wie kann das Recht »ein Sensorium für die menschlichen und gesellschaftlichen Kräfte« aufbauen und »eine Spannung zwischen dionysischer Energie und apollinischer Form« auf Dauer stellen[255]? Die neuere Diskussion um eine Kritische SystemtheorieSystemtheorie erschließt in dieser Hinsicht auch Ressourcen der Ästhetik und der Urteils- und Entscheidungstheorie für rechtspolitische Fragen.

Durch diese Wende hin zum Verhältnis von Recht und Gesellschaft knüpft die Kritische SystemtheorieSystemtheorie an die Annahme eines sozialen Substrats an, das die kritische Rechtsstaatslehre der 1920er und 1930er Jahre bemühte, und aktualisiert es für die funktional ausdifferenzierte Weltgesellschaft[256]. Demnach evoluiert das Recht nicht nur selbstreferentiell und ungerichtet (und »funktioniert« in dieser Hinsicht), sondern es bezieht sich auf einen historisch gewachsenen Stand der funktionalen Differenzierung, der sich nicht einzig »logisch« (als Anderes, Negativkorrelat) erschließen lässt. Die Evolution findet stets als Ko-Evolution mit anderen Systemen statt. Nimmt man eine solche Analyseperspektive ein, treten Asymmetrien, ungleiche Entwicklung und historische Umstände hervor, die eine nur »logische« Anwendung der funktionalen Differenzierung übersteigen. Sie beleuchtet die Differenzierungsvorgänge in ihrer Geschichtlichkeit und geht der Kontinuität und dem Wandel in der »historischen Konsolidierung intersystemischer Asymmetrien« nach[257].

Adäquate Kommunikationsweisen bewähren sich also nicht nur im Hinblick auf den unproblematischen Anschluss an die jeweilige systemspezifische Selbstreferenz, sondern müssen einen angemessenen Umgang mit dem jeweiligen historischen Material finden. Dies ist folgenreich für den Modus der RechtskritikRechtskritik: Wird das Recht als begrenzt offenes System, als »poietisches Unsystem« verstanden[258], erscheint es weder aussichtsreich, externe Ideale an das Recht heranzutragen, noch die rechtliche Normativität als Königsnormativität zu adeln; vielmehr ist ein »Prozess fortschreitender Adäquanz« einzuleiten, der dem historisch |65|gewachsenen Stand der funktionalen Differenzierung gerecht wird[259]. So wird ein Kritikstil zwingend, der die bloße Verteidigung oder Zurückweisung des Rechts übersteigt und eine immanente Kritik in Gang setzt, in der sich Recht und Gesellschaft wechselseitig zu transformieren und zu befreien vermögen.

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