Kitabı oku: «Neue Theorien des Rechts», sayfa 8

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C. Wege aus dem Recht der bürgerlichen Gesellschaft

Die hier vorgestellten Kritiken des Rechts stellen die Legitimation moderner, liberaler Staaten infrage, wonach der liberale Rechtsstaat eine, oder sogar die einzige, Staatsform sei, die in der Lage ist, die Freiheit und Gleichheit der Menschen innerhalb einer Gesellschaft zu schützen. In allen drei Fällen ist die gegen das bürgerliche Recht in Anschlag gebrachte Kritik der Ausgangspunkt für die Suche nach einem Ausweg aus den beschriebenen rechtlichen (und den entsprechenden gesellschaftlichen) Verhältnissen. Unabhängig von den jeweiligen Schwerpunkten der Autoren stellt sich damit die Frage nach dem Verhältnis von Recht und gesellschaftlichem bzw. politischem Wandel.

Obwohl keiner der Autoren einen dezidiert sozialwissenschaftlichen Ansatz verfolgt, stellen alle Analysen den Zusammenhang zwischen der Herausbildung des bürgerlichen Rechts und den parallelen gesellschaftlichen Entwicklungen, nämlich der Entstehung kapitalistischer Produktionsverhältnisse her[300]Rechtskritik. In Benjamins Schriften finden sich zum Beispiel immer wieder Hinweise, dass seine Kritik nicht nur die rechtssetzende und rechtserhaltende Gewalt betrifft (die in allen Gesellschaftsformen wirken), sondern auch die spezifische Gewalt des bürgerlichen Rechts, die darin besteht, die strukturelle Gewalt der kapitalistischen Gesellschaft gleichzeitig zu ermöglichen und zu verdecken[301]Benjamin, Walter. Menkes Kritik der »Ermächtigung des Eigenen« durch die Form der subjektiven Rechtesubjektive Rechte basiert zu einem Großteil auf der Analyse der Rolle subjektiver Rechte zur Sicherung von Eigentum[302]. LoickLoick, Daniel wiederum bezieht sich ausführlich auf Marx, um die Trennungseffekte des bürgerlichen Rechts zu erfassen[303].

Die Suche nach Wegen aus dem bürgerlichen Recht wirft damit auch die Frage auf, ob ein neues Recht zwingend neue gesellschaftliche Verhältnisse mit sich bringen muss. Die geschichtsphilosophische sowie gesellschaftswissenschaftliche Debatte, vor deren Hintergrund alle drei Autoren schreiben (ohne explizit auf diese einzugehen), betrifft also die Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen gesellschaftlichen Wandels. Es gilt nicht nur zu überlegen, wie ein weniger |76|gewaltvolles (BenjaminBenjamin, Walter), ein nicht-ontologisch-verstelltes selbstreflexives Recht (MenkeMenke, Christoph) oder ein nicht-juridisches Recht (LoickLoick, Daniel) grundsätzlich aussehen könnte, sondern auch, wie wir zu diesem Recht gelangen und welche Rolle das Recht selber in diesem Prozess spielen kann. Dabei sind diese rechts- und sozialtheoretischen Fragen von unmittelbarer Bedeutung für die Rechtspraxis: Von ihrer Beantwortung hängt ab, ob und welche Rolle dem Recht (zum Beispiel in der Form strategisch geführter Prozesse) bei der Hervorbringung einer anderen Gesellschaft, und eines anderen Rechts, eingeräumt wird.

I. BenjaminBenjamin, Walter: die Entsetzung des RechtsEntsetzung des Rechts

Wie oben bereits angedeutet, ist Benjamins Denken von einer auf den ersten Blick eigenwilligen Mischung theoretischer Bezüge geprägt, die den Zugang zu seinen Texten erschweren. In dem Text zur Kritik der Gewalt tritt dies deutlich an der Stelle zu Tage, in der BenjaminBenjamin, Walter andeutet, wie der sich wiederholende Kreislauf von rechtssetzender und rechtserhaltender Gewalt unterbrochen werden kann. Denn für BenjaminBenjamin, Walter steht fest, dass erst durch eine Unterbrechung dieses Zirkels eine wirklich neue, nicht auf Gewalt basierende Gesellschaft gegründet werden kann. Er schreibt:

Auf der Durchbrechung dieses Umlaufs im Banne der mythischen Rechtsformen, auf der Entsetzung des RechtsEntsetzung des Rechts samt den Gewalten, auf die es angewiesen ist wie sie auf jenes, zuletzt also der Staatsgewalt, begründet sich eines neues geschichtliches Zeitalter[304].

Diese »Entsetzung des RechtsEntsetzung des Rechts« erfolgt durch die Intervention einer nicht zweckgebundenen, von BenjaminBenjamin, Walter »göttlich« genannten Gewalt, die er aber kaum näher bestimmt. Es ist dann auch diese Stelle des Textes, die in der BenjaminBenjamin, Walter-Rezeption zu regen Debatten darüber führt, wie wir uns die von BenjaminBenjamin, Walter verlangte Entsetzung des Rechts vorstellen können. Kontrovers wird dabei insbesondere die Frage diskutiert, ob BenjaminBenjamin, Walter für eine gewaltfreie Gesellschaft eine Abschaffung des Rechts verlangt, oder lediglich eine andere Art des Rechts.

So hat zum Beispiel Jacques DerridaDerrida, Jacques im Postscriptum zu dem eingangs schon erwähnten Aufsatz Gesetzeskraft Benjamins Figur der »Entsetzung des RechtsEntsetzung des Rechts« durch die Intervention einer »göttlichen Gewalt« als Abschaffung eines staatlichen Rechts gelesen und schreibt vor diesem Hintergrund:

Die Vorstellung, daß man den Holocaust als Entsühnung und unentzifferbare Signatur eines gerechten und gewaltsamen göttlichen Zorns deuten könnte, versetzt uns in Angst und Schrecken[305].

Weil für DerridaDerrida, Jacques der von BenjaminBenjamin, Walter skizzierte Ausweg aus dem Zyklus mythischer Gewalt nicht zu unterscheiden ist von gewaltvollen geschichtlichen Ereignissen |77|wie dem Holocaust, ist die Kritik der Gewalt für ihn nicht tragbar[306]. Anders wiederum die Lektüre der entsprechenden Stelle bei Christoph MenkeMenke, Christoph[307]. Er liest das Programm der »Entsetzung« des Rechts durch die göttliche Gewalt nicht als seine Suspendierung, sondern als Forderung nach einer Befreiung des Rechts von der Gewalt, nach einem Recht, das nicht länger gewaltvoll ist. Menkes Programm eines neuen Rechts, zu dem wir im nächsten Abschnitt kommen, ist auch der Versuch, Benjamins Formulierung der Entsetzung des RechtsEntsetzung des Rechts einen Ausdruck innerhalb des Rechts zu verleihen[308].

Eine dritte Interpretationslinie von Benjamins Kritik der Gewalt nimmt Benjamins Analyse der notwendigen Verquickung von Recht und GewaltRecht und Gewalt ernst, ohne dabei die geforderte Entsetzung des RechtsEntsetzung des Rechts durch das Einbrechen einer göttlichen Gewalt mit der Suspendierung des Rechtstaates im Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen. Autor*innen wie Cornelia Vismann[309], Bettine Menke[310], Werner Hamacher[311] oder Sami Khatib[312] lesen Benjamins Zur Kritik der Gewalt unter Berücksichtigung anderer Texte Benjamins (insbesondere Kapitalismus als Religion[313], Über den Begriff der Geschichte[314], Theologisch-politisches Fragment[315]), die das Problem einer kontinuierlichen Wiederholung von Gewalt in der Menschen-gemachten Geschichte (sowie Möglichkeiten diese zu unterbrechen) berühren. In dieser Lesart initiiert die göttliche Gewalt oder die Entsetzung des Rechts keine neue gesellschaftliche Ordnung, die chronologisch auf die gegenwärtigen Ordnung folgt. Vielmehr ist sie als eine kurzzeitige Unterbrechung der geschichtlichen Zeit, als ein vorübergehender Aufschub der Gewalt zu denken, in welcher »das morsche im Rechte« sichtbar wird. Werner Hamacher führt zur Beschreibung der Wirkungsweise der reinen, göttlichen Gewalt den Begriff des Afformativen ein[316]. Während ein performativer Akt etwas Neues einsetzt (und dabei |78|den Akt der Setzung leugnet), unterbricht das Afformative, ohne dabei etwas neu zu setzen. Nur in dieser Unterbrechung, die einen Blick auf die Gewalt des Rechts ermöglicht, könne mit BenjaminBenjamin, Walter die Hoffnung auf Gerechtigkeit bestehen:

Rein kann eine Politik und die ihr korrespondierende Gewalt nur heißen, wenn sie unvermischt mit Interessen der Erhaltung oder der Programmierung von Lebensformen, unvermischt mit positiven Rechtsinstituten, die Form der Gerechtigkeit manifestiert[317].

Eine politische oder rechtliche Strategie, die Benjamins Kritik der Gewalt zum Ausgang nimmt, kann vor dem Hintergrund dieser Lektüre nicht darauf abzielen die Gewalt des Rechts durch die Einsetzung einer neuen Ordnung oder die Hervorbringen gerechterer Urteile zu überwinden. Vielmehr müsste sie versuchen, die unterschiedlichen Formen, in denen das Recht auf Gewalt angewiesen ist, ans Licht zu bringen. Wenn, wie oben beschrieben, ein Aspekt der rechtlichen Gewalt für BenjaminBenjamin, Walter darin besteht, dass eine neue Ordnung als Recht eingesetzt wird, ohne dass ihre Berechtigung in letzter Instanz begründet werden kann, bestände eine Entsetzung dieser Ordnung im Aufzeigen ihrer Kontingenz mit dem Ziel dadurch neue Räume für politische Debatten zu eröffnen.

Die Probleme einer Strategie, die es sich alleine zur Aufgabe macht, die Kontingenz der bestehenden Ordnung sichtbar zu halten, und damit auf ihre Veränderung hinzuwirken, benennt u.a. Bettine Menke. Wenn, mit BenjaminBenjamin, Walter gedacht, jegliche Form der Rechtsanwendung gewaltvoll ist, sei es nicht länger möglich, notwendige Unterscheidung zwischen gerechteren und weniger gerechten politischen Ordnungen zu treffen[318]. Das emanzipatorische Moment der Rechtstheorie Benjamins bleibt auf die Re-Politisierung des Rechts beschränkt, durch die die Willkür der Grenzziehung zwischen sanktionierter und nicht sanktionierter Gewalt im liberalen Recht vorgeführt wird. Sie kann damit Raum für eine neue Ordnung öffnen, aber nicht zu ihrer Begründung herangezogen werden. Die Ansätze zur Entwicklung eines neuen Rechts bei Christoph MenkeMenke, Christoph und Daniel LoickLoick, Daniel gehen hier einen Schritt weiter, indem sie die versuchen, die Anforderungen an ein post-juridisches Rechtpostjuridisches Recht darzulegen.

II. MenkeMenke, Christoph: Das Recht der GegenrechteGegenrechte

Menkes Programm eines post-juridischen Rechts wird von ihm auf den Begriff eines neuen Rechts der GegenrechteGegenrechte zugespitzt. Ein richtiges Recht, so MenkeMenke, Christoph, dürfe den Blick auf den Prozess der Selbstreflexion nicht verstellen, sondern müsse ihn entfalten und dadurch das Nicht-Recht der Veränderbarkeit freigeben[319]. Ähnlich wie bei BenjaminBenjamin, Walter hängt die Gerechtigkeit der Rechtsordnung auch bei |79|MenkeMenke, Christoph am Moment ihrer Politisierung. Allerdings fasst er dieses Moment nicht lediglich als eine Unterbrechung auf, die auf die Kontingenz der gegenwärtigen Ordnung verweist[320]. Vielmehr müsse es darum gehen, eine neue Form der Rechte und damit eine gänzlich anders verfasste Ordnung anzustreben: »Die Politik der Erfindung neuer Rechte wäre der Beginn einer Politik der Formveränderung: eine (rechtsform-) transformative Politik«[321].

Eine solche transformative Politik soll durch das Institut der GegenrechteGegenrechte gewährleistet werden. MenkeMenke, Christoph entwickelt die Figur der Gegenrechte in einer Auseinandersetzung mit dem Motiv des Sklavenaufstandes bei Friedrich Nietzsche[322]. Es zeichne die Position des Herren aus, Recht setzten zu können, also zu entscheiden, was gut ist. Dem Sklaven fehle diese Urteilsfähigkeit. Er stehe für Passivität und Leiden. Der Aufstand der Sklaven ist nun das Bestreben der Unterdrückten, ihrem eigenen Recht Geltung zu verleihen. Dies könne, so MenkeMenke, Christoph, aber nicht dadurch geschehen, dass die Sklaven sich an die Stelle der Herren setzten, denn dann würden sie das Unterdrückungsverhältnis von Herren und Knecht aufrecht erhalten – ohne Sklave kein Herr. Eine Überwindung des Herrschaftsverhältnisses sei nur möglich, wenn die Position des Herren und des Sklaven zusammengebracht würden.

Dies sei das Ziel der GegenrechteGegenrechte. Wenn die subjektiven Rechtesubjektive Rechte der Rationalität des Herren entsprechen, und diese Rationalität nur durch die Gegenüberstellung mit dem passivistischen Sklaven aufrechterhalten werden kann, so müsse dieses dialektische Verhältnis im Recht zum Ausdruck kommen. Soll heißen: Jedes Subjekt ist zugleich Sklave und Herr. Das, was in den subjektiven Rechten als Grund vorausgesetzt wird, nämlich der rationale Eigenwille, wird in den Gegenrechten zu einem affektiven Moment, der den Urteilsprozess in Gang setzt, das Urteil aber nicht rational begründen kann[323]. Das affektive Moment ist also der nicht-rechtliche Impuls, der den Urteilsprozess anstößt und der – wenn der Positivismus des bürgerlichen Rechts nicht wiederholt werden solle – nicht naturalisiert werden darf. Noch einmal mit den Worten Menkes:

GegenrechteGegenrechte sind Ansprüche auf ein – vorübergehendes und wiederkehrendes – Moment in dem politischen Prozeß des Rechts: das Moment der sinnlichen Affektion in seiner dialektischen Vermittlung mit dem anderen Moment des begrifflichen Bestimmens[324].

Rechte, in der Form der GegenrechteGegenrechte, sind dann nicht länger Ausgangspunkt der rechtlichen Ordnung, sondern sekundär: Sie sollen als Gegenstück zu konstitutionalisierenden Rechten das Gelingen sozialer Praxis garantieren.[325] Während |80|letztere darauf abzielen, die Teilnahme eines jeden an den politischen Prozessen zu ermöglichen, befähigen die Gegenrechte zur Nichtteilnahme am Sozialen[326]. Indem die Gegenrechte dem Nicht-Recht im Recht Wirkung verleihen, ohne es dabei zu naturalisieren, tragen sie zur Politisierung, d.h. zur Veränderbarkeit, bei.

Zwar betont MenkeMenke, Christoph, dass diese »rechtsform-transformative Politik aus der bestehenden Ordnung heraus« entwickelt werden müsse, in der Ausarbeitung bleibt der Entwurf eines »neuen Rechts« allerdings so vage, dass die Leserin sich selber überlegen muss, wie genau dieses Recht der GegenrechteGegenrechte aussehen könnte. MenkeMenke, Christoph selbst merkt an, dass sein Programm des anderen Rechts der weiteren Präzisierung bedarf. Einige Autor*innen haben sich dieser Denkarbeit bereits angenommen und identifizieren Rechtspraktiken innerhalb der aktuellen Rechtsordnung, die als Institutionen des neuen Rechts begriffen werden könnten[327].

III. LoickLoick, Daniel: Exodus

Ein weiterer Konkretisierungsschritt des Menk’schen Programmes finden wir auch in Loicks Entwurf eines post-juridischen Rechts[328]. Wie oben beschrieben, betont auch LoickLoick, Daniel, dass post-juridische Politiken – also eine Politik, die die Gesellschaft nicht länger juridisch konditioniert – nicht durch die Abschaffung des Rechts, sondern nur durch seine radikale TransformationTransformation erreicht werden können[329]. Als Ankerpunkt dient ihm dabei das Marx’sche Diktum, wonach »der Mensch nicht wegen des Gesetzes, sondern das Gesetz wegen des Menschen« da sei[330]. Was aber bedeutet »menschlich« als Maßstab zur Bewertung eines guten Rechts?

Wie oben erläutert, setzt LoickLoick, Daniel die Sozialität des Menschen voraus. Der Mensch sei ein zoon politicon. Gegen das liberale Menschenbild, wonach der Mensch der Gesellschaft voraus gehe und letztere erst durch einen Gesellschaftsvertrag zustande komme, wendet Loick ein, dass der Mensch ohne Gemeinschaft gar nicht überlebensfähig sei. Ein Recht, das Menschen-gerecht ist, muss daher garantieren, dass Menschen ihre sozialen Praktiken mitgestalten können, statt lediglich deren Gegenstand zu sein[331]. Das heißt für LoickLoick, Daniel insbesondere, dass ein gerechtes Recht sich gegen den Ausschluss von Menschen aus der politischen Gemeinschaft wenden muss.

LoickLoick, Daniel bemüht die Figur des Exodus, also dem Auszug der jüdischen Gemeinschaft aus Ägypten, um eine Übergangsform hin zu post-juridischen |81|Gemeinschaften zu denken. Seine zentrale These lautet, dass jüdische Rechtspraktiken – in der Diaspora und ohne staatliche Dursetzungsmacht entwickelt – Aufschluss darüber geben können, wie ein post-juridisches Rechtpostjuridisches Recht aussehen könnte[332]. Denn das Jüdische Recht sei nicht nur irgendeine Quelle, sondern als das Andere des römisch-christlichen Rechts mit einer völlig anderen Rechtspraxis verbunden. Loick spielt dabei insbesondere auf zwei Aspekte des Jüdischen Rechts an, an denen sich ein post-juridisches Recht orientieren könne.

Erstens hebt er den rechtsinterpretativen Pluralismus des Jüdischen Rechts als Vorbild für ein menschliches Recht, das Sozialität und Differenz miteinander verbindet, hervor. Denn in der gemeinsamen Textinterpretation gelte es vor allem, unterschiedliche Lesarten einer Textstelle in den Dialog zu bringen. Gemeinschaft werde damit durch Dissens hergestellt, die Differenz – und nicht die Gleichheit der Individuen – wertgeschätzt[333]. Gleichzeitig, so LoickLoick, Daniel, sichere der notwendige Textbezug den Raum derer, die nicht an der Deliberation teilnähmen. Denn er verhindere, dass alleine die Standpunkte der Beteiligten zu einem Thema in die Entscheidungsfindung zu einer Rechtsfrage einfließen.

Das zweite Charakteristikum des jüdischen Rechts, das LoickLoick, Daniel für seinen Vorschlag eines post-juridischen fruchtbar machen möchte, ist, dass seine Exekution nicht auf einem staatlichen Durchsetzungsapparat, also auf Zwang, basiert. Nur ein solches Recht könne auf freiwillige Zustimmung, und damit auf Befolgung hoffen, das »ethisch attraktiv« sei.[334] Während das liberale Recht durch die Trennung von Recht und Moral dem Individuum eine private Moral zugestehe, dafür aber auf Zwang zur Durchsetzung der Rechtsordnung angewiesen sei, müsse ein post-juridisches Rechtpostjuridisches Recht rationale oder affektive Gründe für das Befolgen bieten[335].

Indem LoickLoick, Daniel das neue, post-juridische Recht als Exodus aus dem Recht der Nationalstaaten denkt, will er das Problem der Frage der Hervorbringung der neuen Rechtsordnung aus der alten umgehen, mit dem die »Reform« oder »Revolution« als Formen sozialen Wandels konfrontiert sind:

Das Potential, den Übergang hin zu postjuridischen Gemeinschaften als Exodus zu denken … liegt dann in der Möglichkeit der Konstruktion transversaler Sozialitäten, die keine nationalen Grenzen kennen. Es sind plurale diasporische Gemeinschaften, die sich durch den Auszug aus den konventionellen Nationalstaaten mit ihren exkludierenden Gewaltapparaten konstituiert haben, welche eine aterritoriale Kohabitation auf dem geteilten Planeten antizipieren und auf diese Weise das fundamentale Recht der Sozialität ins Werk setzen[336].

Wird dieser Vorschlag so verstanden, dass ein Wandel durch die Errichtung paralleler, transnationaler Netzwerke hervorgerufen werden soll, stellt sich die Frage ob ein solches post-juridisches Rechtpostjuridisches Recht auf den Nationalstaat als sein konstitutives |82|Anderes angewiesen ist, oder ob sie diesen langfristig ersetzen sollen. Sofern es um die Eröffnung von Räumen neuer Formen der Sozialität geht, könnten schon existierende Praktiken, z.B. Kooperativen und Kollektive, die mit eigenen Regeln der Entscheidungsfindung versuchen der juridisierden Wirkung der Rechtsform entgegen zu wirken, als Beispiele einer post-juridischen Rechtspraxis gedacht werden. Soll das bürgerliche Recht langfristig vom post-juridischen Rechtpostjuridisches Recht abgelöst werden, so tauchen allerdings die Fragen wieder auf, die sich auch schon bei MenkeMenke, Christoph gestellt haben: Wie kann das von LoickLoick, Daniel anvisierte Recht eine Rechtspraxis informieren, die nicht nur parallel zum nationalen, bürgerlichen Recht existiert, sondern dieses langfristig transformiert?

D. Fazit

Die hier vorgestellten Theorien hinterfragen den Anspruch des liberalen Rechtsstaates, als rechtlich-politische Ordnung die Freiheit und Gleichheit aller Menschen zu verwirklichen[337]. Mit der Suche nach einem post-juridischen Rechtpostjuridisches Recht schreiben die Autoren gegen die träge Kraft des Bestehenden sowie gegen die Begrenzung unseres Vorstellungsvermögens an. Jeder Versuch, eine neue, gerechtere Rechtsordnung zu denken, wird von Leser*innen leicht mit Skepsis begegnet: Können wir es uns leisten, wichtige Institutionen des demokratischen Rechtsstaats aufzugeben? Wäre die anvisierte Ordnung funktionsfähig? Inwiefern kann ein neues Recht, das sich wesentlich vom bürgerlichen Recht unterscheidet, überhaupt noch Recht genannt werden?

Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwiefern die hier vorgestellten Theorien eine rechtspolitische Strategie anleiten können. Insbesondere die an BenjaminBenjamin, Walter anschließende rechtstheoretische Debatte kann zwar für sich beanspruchen, eine wichtige Analyseperspektive auf das Verhältnis von Staat, Recht und GewaltRecht und Gewalt in modernen Gesellschaften zu eröffnen. Sie muss sich aber im Hinblick auf gesellschaftspolitische Kämpfe die Frage gefallen lassen, ob es ausreicht, Gerechtigkeit auf das Moment der Unterbrechung einer Ordnung zu reduzieren. Sie kann keine normative Orientierung bezüglich einer gerechten politischen Ordnung bieten, sondern lediglich Raum für gesellschaftspolitische Kämpfe öffnen.

Die Rechtstheorien von MenkeMenke, Christoph und LoickLoick, Daniel gehen hier einen Schritt weiter, und benennen die Konturen eines neuen Rechts, das beansprucht ein menschengerechteres Recht zu sein. Als philosophische Perspektive auf das Verhältnis von Recht und Gesellschaft, wird die Frage des Übergangs zu einem neuen Recht |83|jedoch losgelöst von den gegebenen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen diskutiert[338]. Die Übersetzung der theoretischen Einsichten in erfolgsversprechende politische und rechtliche Strategien ist erst noch zu leisten. Eine Möglichkeit aus den bestehenden Kritiken des JuridismusJuridismus des bürgerlichen Rechts Inspiration für rechtspolitische Strategien zu ziehen, ohne sich dabei von der Aufgabe der TransformationTransformation einer gesamten Gesellschaftsordnung entmutigen zu lassen, wäre stärker auf solche post-juridische Ansätze zurück zu greifen, die nicht an der politischen Ordnung sondern am Subjekt ansetzen. Ansatzpunkt könnten hier zum Beispiel die Arbeiten von Gilles Deleuze sein, der zu Überwindung der negativen Auswirkungen der kapitalistischen Rechtsordnung auf Strategien der Mikropolitik setzt[339].

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