Kitabı oku: «Perspektiven auf den Lernort Berufsfachschule (E-Book)», sayfa 5
Franz Eberle
Zur Kompetenzorientierung an der Berufsfachschule
Während die Kompetenzorientierung als Leitbegriff für Bildungsprozesse bei den Arbeiten um den Lehrplan 21 für die Volksschule und bei den Debatten über die Ausrichtung des Gymnasiums noch zu teilweise heftigen Diskussionen führte und immer noch führt, wurde sie in der Berufsbildung bereits ab den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts als Bildungsideal eingebracht und in der Berufsbildungspraxis mehrheitlich positiv aufgenommen. Weiter ist die Kompetenzorientierung ein zentrales Element des Leitbilds «Berufsbildung 2030». Allerdings wird der Begriff «Kompetenzen» immer noch verschieden verwendet, oft schlagwortartig, einengend und polarisierend. Im Beitrag erfolgt eine Klärung der verschiedenen Spielarten und Facetten des Kompetenzbegriffs.
Einleitung
«Lehr- und Bildungspläne sind heute meist auf Kompetenzen ausgerichtet, über die Lernende am Ende ihrer Ausbildung verfügen sollten» (Städeli et al., 2010, S. 9). Dieser Satz findet sich am Anfang des Einführungskapitels des Buchs «Kompetenzorientiert unterrichten» von Christoph Städeli, das er zusammen mit Andreas Grassi, Katy Rhiner und Willy Obrist vor bereits mehr als zehn Jahren publiziert hat.
Die Kompetenzorientierung als Leitbegriff für Bildungsprozesse führte bei den Arbeiten um den Lehrplan 21 für die Volksschule und den Debatten über die Ausrichtung des Gymnasiums zu teilweise heftigen Diskussionen (vgl. z. B. Herzog, 2015, und die Replik von Eberle, 2015). In der Berufsbildung wurde sie hingegen bereits ab den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts als explizites Bildungsideal eingebracht und in der Berufsbildungspraxis mehrheitlich positiv aufgenommen. Wesentlich dazu beigetragen haben unter anderem die Arbeiten des pädagogischen Anthropologen Heinrich Roth (1971), des Volkswirtschaftlers Dieter Mertens (1974) sowie der Berufs- und Wirtschaftspädagogen Gerhard P. Bunk (1990), Ute Laur-Ernst (1990) und Lothar Reetz (1990). Die im Gegensatz zur Gruppe der allgemeinbildenden Bildungsinstitutionen positive Resonanz in der Berufsbildung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass der Erwerb von Kompetenzen in Form von beruflicher Handlungskompetenz als Bildungsziel unbestritten ist. Zudem ist die häufig vorgenommene Verknüpfung von Kompetenzorientierung mit Bildungsstandards und der Messung von Kompetenzen im Berufsbildungswesen kulturell bereits verankert. Dazu trägt wohl bei, dass einerseits in der Berufswelt Qualifikationsverfahren üblich sind und andererseits das Schweizer Berufsbildungswesen wesentlich zentraler gesteuert wird als die Volksschule und die allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe II.
Bei einer Vielzahl der Akteurinnen und Akteure der allgemeinbildenden Schulen stösst hingegen, wie bereits erwähnt, die Kompetenzorientierung auf teilweise heftigen Widerstand. Argumente sind etwa, dass Kompetenzorientierung utilitaristisch sei und sich mit dem Ideal der «Zweckfreiheit von Bildung» nicht vereinbaren liesse, sie fälschlicherweise den Erwerb von Fachwissen für unwesentlich halte und dass die Messung von kompetenzorientierten Bildungsstandards zu sinn- und qualitätsreduzierender Operationalisierung führe. Zudem wird zuweilen die semantische Bedeutung der Handlung im Begriff «Handlungskompetenz» auf (berufs-)praktische Tätigkeiten eingeengt, was dem Ziel von Allgemeinbildung nur ungenügend gerecht werde. Bei dieser Kritik wird einerseits übersehen, dass eine weitere Sicht des Handlungsbegriffs – im Sinne der Förderung kognitiver Kompetenzen als geistige Handlungen anstelle von ausschliesslich reiner Wissensaneignung – einigen auch ausserhalb der Berufsbildung seit vielen Jahren unbestrittenen, grundlegenden Konzepten bereits implizit ist. So etwa der Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich von Benjamin S. Bloom (1976) von 1956. Zudem wurde die Notwendigkeit der ganzheitlichen Ausrichtung von Bildungsprozessen auf Handlungen gar bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Heinrich Pestalozzi (1979) mit der Trias «Kopf, Hand und Herz» vertreten. Andererseits verbergen sich hinter dem Streitbegriff «Kompetenzen» semantische Zuschreibungen, die nicht seiner ursprünglichen Definition entsprechen, wie beispielsweise die bereits genannte Vorstellung, dass Kompetenzen inhaltsbeliebig und das Gegenstück zu Fachwissen seien. Beteiligt an der Entstehung dieser Missverständnisse sind nicht zuletzt der extensive Gebrauch des Begriffs «Kompetenzen» im Sinne von überfachlichen Kompetenzen, wie etwa im aktuellen Leitbild «Berufsbildung 2030», wo es beispielsweise heisst (SBFI, 2017, S. 9): «Mit der zunehmenden digitalen Vernetzung und der damit verbundenen Demokratisierung des Wissens sowie der höheren Flexibilität der Arbeitsbeziehungen gewinnt transversales und kompetenzorientiertes Wissen gegenüber reinem Fachwissen an Bedeutung.» Im ganzen Bericht (hier) kommt der Begriff «Kompetenzen» 61 Mal vor.
Der Begriff der «Kompetenzen» wird also verschieden verwendet, oft auch schlagwortartig, einengend und polarisierend. Ziel dieses Beitrags ist es deshalb, eine Klärung der verschiedenen Spielarten und Facetten des Kompetenzbegriffs vorzunehmen und mit Kontextbeispielen anzureichern.
Grunddefinition von Kompetenzen
Es gibt eine Fülle von Publikationen unterschiedlicher Qualität sowie eine Flut von Vorschlägen vieler Autorinnen und Autoren für die inhaltliche Füllung des Kompetenzbegriffs. Ähnliche und überlappende Begriffe sind «Wissen», «Leistung», «Intelligenz», «Begabung», «Eignung», «Fähigkeit», «Fertigkeit», «Tüchtigkeit» oder «Lernen» (Nikolaus & Wilhelm, 2013, S. 24 f.).
Hartig und Klieme (2006, S. 128 f.) fassen die von Weinert (1999, zit. in Hartig & Klieme, 2006) dargelegten sechs Varianten von Kompetenzauffassung wie folgt zusammen:
1. «Kompetenzen als generelle kognitive Leistungsdispositionen, die Personen befähigen, sehr unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen,
2. Kompetenzen als kontextspezifische kognitive Leistungsdispositionen, die sich funktional auf bestimmte Klassen von Situationen und Anforderungen beziehen. Diese spezifischen Leistungsdispositionen lassen sich auch als Kenntnisse, Fertigkeiten oder Routinen charakterisieren,
3. Kompetenzen im Sinne der für die Bewältigung von anspruchsvollen Aufgaben nötigen motivationalen Orientierungen,
4. Handlungskompetenz als eine Integration der drei erstgenannten Konzepte, bezogen auf die Anforderungen eines spezifischen Handlungsfeldes wie z. B. eines Berufes,
5. Metakompetenzen als das Wissen, die Strategien oder die Motivationen, welche sowohl den Erwerb als auch die Anwendung spezifischer Kompetenzen erleichtern,
6. Schlüsselkompetenzen als Kompetenzen im unter 2. genannten funktionalen Sinn, die aber für einen relativ breiten Bereich von Situationen und Anforderungen relevant sind. Hierzu gehören z. B. muttersprachliche oder mathematische Kenntnisse.»
Hartig und Klieme schliessen im Weiteren für Fragen der Bildungsforschung die erste Variante aus. Mit Bezug auf Weinert (2001, zit. in Hartig & Klieme, 2006) begründen sie dies damit, dass basale kognitive Fähigkeiten eine inhaltliche Verwandtschaft zu gängigen Definitionen der Intelligenz aufweisen, damit zur Grundausstattung von Menschen gehören und nur begrenzt beeinflussbar sind. Variante 2 berücksichtigt nur den kognitiven Bereich und Variante 3 nur den motivational-affektiven. Variante 4 enthält die vorhin ausgeschiedene Variante 1 und berücksichtigt zu wenig Unspezifisches im Sinne von situationsübergreifenden und überfachlichen Kompetenzen. Die Varianten 5 und 6 vernachlässigen zu stark die Erkenntnisse der Kognitions- und Neuropsychologie, die schon längst belegen, dass es zur Lösung von Problemen immer auch Fachwissen braucht und deshalb Kompetenzen nicht inhaltsfrei sind oder inhaltsbeliebig erworben werden können, sondern der situative Kontext eine wesentliche Rolle spielt (vgl. Eberle, 1997). Weinert (2001, 27 f.) selbst definiert Kompetenzen als «die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können». In verschiedenen Forschungsarbeiten wird häufig an diese Definition angeknüpft, auch wenn sie nicht unumstritten ist (z. B. Hackl, 2014). So ist sie vor allem insofern missverständlich, als dass der explizite Hinweis auf Wissen als Bestandteil von Kompetenzen fehlt. Deshalb hält Reusser (2014, S. 326) nachdrücklich fest: «Kompetenzorientierung bedeutet keine Abkehr von einer fachlichen Wissensbildung und schon gar nicht von der Leitidee des verständnisorientierten und problemlösenden Lernens. Es geht im Gegenteil ganz zentral um fachliche Bildung, in deren Kontext auch fachübergreifende – methodische, soziale und personale – Kompetenzen kultiviert werden sollen.»
Im Kontext der Lehrplanpraxis hat sich neben dem Konzept von Weinert (2001) vor allem jenes von Roth durchgesetzt. Nach Roth (1971, S. 189) steht Kompetenzerwerb im Dienste der Mündigkeit, die als Kompetenz für verantwortliche Handlungsfähigkeit beschrieben wird. Sie umfasst Sachkompetenz (gegenstandsbezogene Fähigkeiten sowie Fach-/Berufswissen und darauf bezogene Fähigkeiten und Fertigkeiten), Selbstkompetenz (personenbezogene Fähigkeiten wie Motivation, Selbstwirksamkeit, Selbstreflexion, Selbstdisziplin usw.) sowie Sozialkompetenz (Kommunikationsfähigkeit, Fähigkeit zur Arbeit in Gruppen usw.). Der Begriff «Fähigkeiten» ist dabei breit gedacht, also nicht nur im Sinne kognitiver Leistungsdispositionen, sondern als umfassende Handlungsfähigkeit, die auch den affektiv-motivationalen Bereich einschliesst (Klieme & Hartig, 2007, S. 20). In vielen Anwendungen des Roth’schen Konzepts wird die Sachkompetenz weiter in Fachkompetenz und Methodenkompetenz aufgegliedert.
Seeber et al. (2010, S. 4) kommen für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik zu dem Schluss, dass sich in den verschiedenen Definitions- und Konzeptualisierungsansätzen zum Kompetenzbegriff neben allen Unterschieden auch Gemeinsamkeiten finden lassen. Dazu gehört unter anderem, dass sich Kompetenzen als kontextspezifische Leistungsdispositionen in bestimmten Domänen zeigen. Ähnlich dazu beschreiben Klieme und Hartig (2007, S. 21) in ihrer Analyse verschiedener Kompetenzkonzepte als zentrale «Bestandteile des Begriffsverständnisses, die immer wieder zu Tage treten», die folgenden: «Kompetenzen sind Dispositionen, die im Verlaufe von Bildungs- und Erziehungsprozessen erworben (erlernt) werden und die Bewältigung von unterschiedlichen Aufgaben bzw. Lebenssituationen ermöglichen. Sie umfassen Wissen und kognitive Fähigkeiten, Komponenten der Selbstregulation und sozial-kommunikative Fähigkeiten wie auch motivationale Orientierungen. […] Dieses erziehungswissenschaftliche Kompetenzkonzept ist mit dem psychologischen Konzept der Handlungskompetenz, wie es Aebli und vor allem Weinert ausgearbeitet haben, kompatibel.» Damit fallen Wissen und Können zusammen (Reusser, 2014, S. 327), die Roth’sche Trias von Sach-, Selbst- und Sozialkompetenz ist eingeschlossen.
Wegen ihrer Ganzheitlichkeit und gleichzeitigen Differenziertheit sowie ihrer breiten Fundierung in der wissenschaftlichen Literatur soll diese letzte Beschreibung des Kompetenzbegriffs von Klieme und Hartig (2007, S. 21) Grundlage für die weiteren Spezifizierungen beziehungsweise Verortungen von in der Diskussion um Lehrpläne und Unterricht immer wieder eingebrachten, sich teilweise überschneidenden Kompetenzfacetten sein. Dazu gehören die Begriffe «kognitive» und «nicht-kognitive Kompetenzen», «fachliche», «überfachliche» und «transversale Kompetenzen» sowie deren Verknüpfung in Kompetenzmodellen. Zudem erfolgt eine beispielhafte Anwendung dieser Kompetenzfacetten auf das Ziel des Erwerbs von Studierkompetenzen an Berufsmaturitätsschulen.
Kognitive und nicht-kognitive Kompetenzen
Kognitive Kompetenzen betreffen den Anteil von «geistigen» Denkprozessen im Hinblick auf die Bewältigung von Aufgaben, nicht-kognitive Kompetenzen den affektiv-motivationalen Anteil (Antrieb zum Denken und Handeln, Gefühle, moralisch-ethische Verpflichtungen usw.). Sachkompetenzen (Fach- und Methodenkompetenzen), Selbstkompetenzen und Sozialkompetenzen haben in der Regel kognitive und nicht-kognitive Anteile.
Fachkompetenzen und überfachliche Kompetenzen
Fachkompetenzen umfassen fachspezifisches Wissen und Können. Sie sind einer Fachwissenschaft oder einem Schulfach zugeordnet und können nicht ohne Weiteres in anderen Fächern genutzt werden. Fachkompetenzen können kognitiv oder nicht-kognitiv sein und grundsätzlich allen Bereichen der Roth’schen Trias entspringen, also fachbezogene Selbst- und Sozialkompetenzen enthalten.
Überfachliche (auch fachübergreifende oder fächerübergreifende) Kompetenzen können in mehreren Fächern genutzt werden, zum Beispiel in Form von gleichen Methoden in verschiedenen Fächern. In jüngster Zeit wird – in Anlehnung an die französischen und italienischen Begriffe «compétences transversales» und «competenze transversali» – auch häufig der Begriff «transversale Kompetenzen» verwendet (vgl. Scharnhorst & Kaiser, 2018, S. 5). Überfachliche Kompetenzen können zwar nicht einem bestimmten Fach zugeordnet werden, sie lassen sich aber nicht inhaltslos und kontextfrei erwerben. In der curricularen Struktur der fachwissenschaftlichen Gliederung der Unterrichtsfächer, wie sie für das Gymnasium typisch ist, werden sie in den einzelnen Fachwissenschaften erworben. Bei einer thematischen Gliederung, wie sie vor allem in der Berufsbildung vorkommt (z. B. Fach «Allgemeinbildung»), erfolgt bereits der Erwerb fachübergreifend. Sobald überfachliche Kompetenzen in einem Fach erworben wurden, können sie in anderen Fächern ohne viel Neulernen genutzt werden. Für einen maximalen Erwerb sollten solche Kompetenzen in allen Fächern gefördert werden. Auch überfachliche Kompetenzen können kognitiv oder nicht-kognitiv sein und allen Bereichen der Roth’schen Trias entspringen. Im Zentrum des Interesses stehen sowohl sachlich-generische Kompetenzen als auch vor allem «personale, soziale und methodische Fähigkeiten, die über viele Fächer und Lerngegenstände hinweg (d. h. transversal) für das Lernen und für die Anforderungsbewältigung zentral sind. Dazu gehören Fähigkeiten wie Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft, Ausdauer, Selbstwirksamkeit und Frustrationstoleranz (Affektkontrolle) ebenso wie Zeit- und Ressourcenmanagement, zielorientierte Planung, Kooperations- und Teamfähigkeit, die Fähigkeit zum Umgang mit Fehlern, die Nutzung von Lern- und Problemlösestrategien, Metakognition und Metainteraktion» (Reusser, 2014, S. 330 f.).
Kompetenzmodelle
Kompetenzmodelle sind theoretische Konstrukte der Struktur beziehungsweise Dimensionen von Kompetenzen (Kompetenzstrukturmodelle) und/oder der möglichen Ausprägungen beziehungsweise Niveaus von Kompetenzen bei Personen (Kompetenzniveaumodelle; vgl. Hartig & Klieme, 2006). Zudem gibt es ausserdem noch Kompetenzentwicklungsmodelle, welche die Genese von Kompetenzen über einen grösseren Zeitraum beschreiben. Im Idealfall sollten in einem Lehrplan die gemäss den übergeordneten Bildungszielen zu erreichenden Kompetenzen auf einem kohärenten Kompetenzstrukturmodell und einem dazugehörenden Kompetenzniveaumodell beruhen. Diese liefern die Grundlage für Art und Niveau der Kompetenzziele. In der Literatur und in bestehenden Lehrplänen finden sich zwar eine Vielzahl von Kompetenzbeschreibungen, aber nur wenige sind theoretisch stringent und empirisch nachgewiesen. So sind auch die im aktuellen Lehrplan für Berufsmaturitätsschulen (SBFI, 2012) aufgeführten überfachlichen Kompetenzen zwar zahl- und facettenreich, aber im Hinblick auf die Bildungsziele der Berufsmaturität nur teilweise stringent abgeleitet und in ihrem Verhältnis untereinander nicht sauber geklärt, weder theoretisch noch empirisch. Leider gibt es kaum theoretisch solide und empirisch geprüfte Kompetenzmodelle, die im Hinblick auf das Erreichen von Bildungszielen alle Facetten von Kompetenzen einbeziehen. Ziemlich weit entwickelt sind immerhin die Kompetenzmodelle für die Fächer Mathematik, Deutsch und Naturwissenschaften, welche als Grundlage der nationalen Bildungsstandards von «HarmoS» dienten und an denen sich auch der Lehrplan 21 orientiert. Als Hilfsmittel für die Identifizierung fachspezifischer Kompetenzfacetten im kognitiven Bereich kann die bereits in der Einleitung erwähnte allgemeine Gliederung des Anspruchsniveaus kognitiver Denkprozesse beziehungsweise die Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich von Bloom (1976) aus dem Jahre 1956 dienen. Sie wurde im Jahre 2001 aktualisiert und leicht revidiert (Anderson et al., 2001). Die kognitive Taxonomie ist ein Jahrhundertwurf der Pädagogischen Psychologie und wird auch in neueren Lehrplänen, teilweise immer noch mit der alten Begrifflichkeit, weiterhin verwendet. Die kognitive Taxonomie umfasst die folgenden Bereiche (Anderson et al., 2001, in Klammern die Begriffe von Bloom [1976]):
– Erinnern (Wissen),
– Verstehen (Verstehen),
– Anwenden (Anwendung),
– Analysieren (Analyse),
– Bewerten (Beurteilung),
– Erschaffen (Synthese).
Diese kognitive Taxonomie wird häufig für (fast) alle Schulfächer verwendet. Daraus entwickelte Lernziele besitzen ab der Taxonomiestufe «Anwenden» die Eigenschaften von Kompetenzzielen – «Erinnern» und «Verstehen» sind noch keine Kompetenzen. Werden diese Lernziele inhaltlich systematisch miteinander verbunden (kumulativer Aufbau des Wissens), kann daraus auch ein Kompetenzmodell entstehen.
Zwar wird auch in den anstehenden Arbeiten zur Reform verschiedener Sparten der Berufsbildung ein ideales Ergebnis der bildungszielbezogenen Bestimmung bestimmter Kompetenzen und allenfalls ganzer Kompetenzmodelle nicht erreichbar sein, aber die Formulierung von Kompetenzen zur Erreichung der Bildungsziele sollte sorgfältig unter Einbezug des Wissens über den Stand der Kompetenzforschung erfolgen.
Kompetenzen und Interdisziplinarität
Der Begriff der «Interdisziplinarität» wird häufig mit überfachlichen Kompetenzen in Verbindung gesetzt. Interdisziplinarität meint die Verbindung mehrerer Fachbereiche. Gemäss den US-amerikanischen Akademien der Wissenschaften geht es dabei in der Forschung um die Integration von Fachwissen aus mindestens zwei unterschiedlichen Disziplinen mit der Absicht, ein Phänomen grundlegend zu verstehen (vgl. Akademien der Wissenschaften, 2020). Interdisziplinärer Unterricht ist allerdings nicht gleichzusetzen mit interdisziplinärer Forschung, sondern ist häufig lediglich Lernen über interdisziplinäre Forschung und deren Ergebnisse. Zudem dient interdisziplinärer Unterricht dazu, Problemstellungen und Themen aus der Perspektive von mindestens zwei Unterrichtsfächern zu bearbeiten. Deshalb wird er häufig mit fächerübergreifendem Unterricht gleichgesetzt. Weil in der Berufsbildung Curricula nicht nur fachwissenschaftlich, sondern auch berufsfeld- und themenbezogen aufgebaut sind, können auch bereits einzelne Unterrichtsfächer interdisziplinär sein. Interdisziplinärer Unterricht kann alle Ausprägungen von Kompetenzen erfordern und fördern. Interdisziplinarität ist somit auch nicht gleichzusetzen mit überfachlichen Kompetenzen, sie erfordert insbesondere auch Fachkompetenzen.
Allgemeine Studierfähigkeit als allgemeine Studierkompetenz
Das Erreichen der Studierfähigkeit an Fachhochschulen ist ein Hauptziel der Berufsmaturitätsschulen (BMV, 2009). In einer umfassenderen Sicht lässt sich Studierfähigkeit für Fachhochschulen in Anlehnung an Hubers (2009) Definition für Universitäten umschreiben als Gesamtheit aller unabdingbaren Kompetenzen (Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften) zur erfolgreichen Bewältigung eines Fachhochschulstudiums. Kompetenzen also, die dazu befähigen, ein Fachhochschulstudium erfolgreich zu beginnen, durchzuführen und abzuschliessen. Studierfähigkeit kann sich auf ein einzelnes Studienfach beziehen, zum Beispiel Studierfähigkeit für «Wirtschaft und Dienstleistungen» oder Studierfähigkeit für «Chemie und Life Sciences». Es handelt sich dann um eine fachspezifische Studierfähigkeit. Sie kann aber auch als eine allgemeine Studierfähigkeit konzipiert sein, wie das bei der gymnasialen Maturität unbestritten ist. Weil das Fachhochschulstudium aber auch in einem berufs- und fachfremden Bereich aufgenommen werden kann, sollte die Berufsmaturitätsschule ebenso auf alle möglichen Studienbereiche vorbereiten. Im Idealfall führt also auch die Berufsmaturität, wie die gymnasiale Maturität, zu einer allgemeinen Studierfähigkeit.
In der Anwendung der obigen Grunddefinition von Kompetenzen besteht die allgemeine Studierfähigkeit aus Dispositionen, welche die erfolgreiche Bewältigung eines Studiums ermöglichen und somit das dazu benötigte Wissen und die erforderlichen kognitiven Fähigkeiten, Komponenten der Selbstregulation, sozial-kommunikativen Fähigkeiten sowie auch motivationalen Orientierungen umfassen. Diese Dispositionen müssen zum Beginn des Studiums bereits so weit im bisherigen Verlauf von Bildungs- und Erziehungsprozessen – vor allem an der Berufsmaturitätsschule – erworben (bzw. erlernt) sein, dass sie zumindest die erfolgreiche Aufnahme irgendeines Studiums ermöglichen und ausreichende Grundlage für die weiterhin erfolgreiche Bewältigung dieses Studiums (Durchführung und Abschluss) sind.
Eine allgemeine Studierfähigkeit ermöglicht die erfolgreiche Aufnahme eines Studiums in allen Studiengängen und ist deshalb weit mehr als eine studiengangspezifische Studierfähigkeit. Dazu sind Kompetenzen aus den folgenden drei, sich teilweise überlappenden Kompetenzgruppen notwendig:
1. Überfachliche kognitive und nicht-kognitive Kompetenzen. Sie sind basal für die allgemeine Studierfähigkeit, das heisst unabdingbar für die meisten Studiengänge. Dazu gehören gutes analytisches und schlussfolgerndes Denken, Lerntechniken, Prüfungstechniken, Arbeitstechniken zur Informationssuche und Ressourcennutzung, Fähigkeit zur Selbstorganisation, Leistungsstreben und Selbstdisziplin, Motivation und Interessen, sozialitätsbezogene Kompetenzen sowie viele weitere Kompetenzen (siehe z. B. Eberle et al., 2008, S. 55 ff.). Für ihre Förderung sind alle Unterrichtsfächer im Rahmen des Fachunterrichts zuständig. Ausserdem werden solche Kompetenzen beim interdisziplinären Arbeiten in den Fächern aller Unterrichtsbereiche (IDAF) und in der interdisziplinären Projektarbeit (IDPA) gefördert (vgl. SBFI, 2012).
2. Studienfachspezifisches Fachwissen und -können, das nur in einzelnen Studienfachbereichen vorausgesetzt wird, in der Regel aus Fachgebiet dieser Studienbereiche. Diese Fachkompetenzen werden nur in den einzelnen Ausrichtungen der Berufsmaturität und in den mit dem Fachhochschul-Fachbereich verwandten EFZ-Lehrgängen besonders gefördert, meist in den Schwerpunkt- und den Ergänzungsfächern. Um die ideale allgemeine Studierfähigkeit für Berufsmaturandinnen und -maturanden zu erreichen, müssten sie aber in allen Ausrichtungen der Berufsmaturität in jenem Ausmass gefördert werden, wie sie von den Fachhochschulen vorausgesetzt werden.
3. Fachwissen und -können, das von vielen Studienfächern vorausgesetzt wird. Es handelt sich um die basalen fachlichen Kompetenzen für Allgemeine Studierfähigkeit (BfKfAS). Dazu gehören insbesondere Wissen und Können aus der ersten Landessprache, Englisch und Mathematik sowie Informatik-Anwendungskompetenzen. Für deren Förderung sind primär die entsprechenden gleichnamigen Unterrichtsfächer zuständig. Aber auch die anderen Fächer sollten für die BfKfAS Förderverantwortung übernehmen, weil diese Kompetenzen ja bereits an der Berufsmaturitätsschule in vielen Fächern erforderlich sind. Auch die Informatikbildung muss in die anderen Fächer integriert werden, weil es dazu kein eigenes Fach gibt. Die BfKfAS sind unabdingbar (aber nicht hinreichend) für die erfolgreiche Aufnahme eines Studiums in vielen Studienfächern – in Abgrenzung zu Kategorie 2) – und können im Kern einem Unterrichtsfach zugeordnet werden – in Abgrenzung zu Kategorie 1).
Für die allgemeine Studierfähigkeit sind also allgemeine kognitive und nicht-kognitive Kompetenzen nicht ausreichend, denn sie umfasst auch viel von den Studiengängen vorausgesetztes Fachwissen und -können. Studierfähigkeit ist somit nicht eine ausschliesslich überfachliche Kompetenz oder «Studierintelligenz», wie das häufig fälschlicherweise angenommen wird (vgl. Eberle et al., 2015, S. 10 f.); «generisches Wissen» ist nicht ausreichend. Der Umfang des Fachwissens, das von einzelnen Studiengängen vorausgesetzt wird, variiert allerdings stark und könnte von den Berufsmaturitätsschulen auch immer wieder mit den Fachhochschulen neu ausgehandelt werden.
Aus der Beschreibung der zweiten Kompetenzgruppe der idealen allgemeinen Studierfähigkeit geht hervor, dass diese nur bei einer erheblichen Ausweitung der Unterrichtsfächer erreichbar wäre. Das ist aber bildungspolitisch unrealistisch. Zudem zeigt die Studie EVAMAR II (Eberle et al., 2008), dass das Ziel der (allerdings universitären) idealen allgemeinen Studierfähigkeit selbst im Gymnasium, in dem die Fächerbreite viel grösser und die Zahl der Unterrichtsstunden viel höher ist, nicht flächendeckend erreicht wird. Die Berufsmaturitätsschule muss sich deshalb auf die passende fachbereichsspezifische Studierfähigkeit fokussieren. Gleichzeitig aber muss sie den Boden dafür schaffen, dass Berufsmaturandinnen und -maturanden, die fachfremde Studienbereiche wählen, die ergänzend notwendigen Kompetenzen selbst erwerben können. Ich nenne dies «beschränkt-allgemeine Studierfähigkeit».