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Verknüpfung in der Forschungspraxis

In der Literatur zur qualitativen Forschung finden sich unterschiedliche Vorschläge zur praktischen Verknüpfung qualitativer mit quantitativen Methoden – in unterschiedlicher Reihenfolge oder parallel, mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung. So werden Barton und Lazarsfeld (1979) immer wieder als Beispiel dafür angeführt, wie qualitative Forschung auf Vorstudien für die eigentliche, d. h. quantitative Forschung reduziert wird (für eine Auseinandersetzung mit dieser Lesart vgl. Flick 2011, Kap. 5). Miles und Huberman (1994) haben verschiedene Designs zur sequenziellen und parallelen Verknüpfung von qualitativer und quantitativer Forschung vorgestellt.

Verknüpfung qualitativer und quantitativer Ergebnisse

Häufiger wird die Kombination beider Zugänge realisiert, indem Ergebnisse qualitativer und quantitativer Forschung verknüpft werden, die aus einem oder aus verschiedenen Projekten stammen, die wiederum parallel oder nacheinander durchgeführt wurden (vgl. Kluge/Kelle 2001). Ein Beispiel kann die Verknüpfung einer Umfrage mit einer Interviewstudie sein. Diese Kombination kann mit verschiedenen Zielen realisiert werden:

Erkenntnisse über den Gegenstand der Studie zu gewinnen, die umfassender sind als diejenigen, die der eine oder der andere Zugang erbracht hätten, oder die Ergebnisse beider Zugänge wechselseitig zu validieren.

Im Wesentlichen können drei Erträge durch diese Kombination erzielt werden (vgl. auch Kelle/Erzberger 2015, S. 304):

1) Qualitative und quantitative Ergebnisse konvergieren, das heißt, sie stimmen tendenziell überein und legen dieselben Schlussfolgerungen nahe.

2) Die Ergebnisse beider Zugänge fokussieren unterschiedliche Aspekte eines Gegenstandes (z. B. die subjektive Bedeutung einer Krankheit und ihre soziale Verteilung in der Bevölkerung). Damit verhalten sie sich komplementär zueinander, das heißt, sie ergänzen sich gegenseitig.

3) Qualitative und quantitative Ergebnisse divergieren, das heißt, sie widersprechen einander.

Wenn das Interesse an der Verbindung qualitativer und quantitativer Forschung darin begründet ist, mehr (breiteres, besseres, vollständigeres etc.) Wissen über den Forschungsgegenstand zu gewinnen, sind alle drei Erträge hilfreich. Im dritten (möglicherweise auch im zweiten) Fall wird eine theoretisch fundierte Interpretation oder Erklärung der Divergenzen und Widersprüche notwendig. Wenn beide Zugänge mit dem Ziel der Validierung von Ergebnissen miteinander kombiniert werden, sind der dritte und möglicherweise auch der zweite Fall Hinweise für die Grenzen dieser Validität. Dass dieser Ansatz der Validierung durch unterschiedliche Methoden nicht unproblematisch ist, wird ausführlicher in der Literatur zur Triangulation diskutiert (Flick 2011, 2018).

Praktische Probleme der Verknüpfung qualitativer und quantitativer Forschung

Verschiedene praktische Fragen sind mit der Verknüpfung qualitativer und quantitativer Methoden in einer Studie verbunden. Zunächst einmal stellt sich die Frage, auf welcher Ebene die Verbindung konkret ansetzt. Hier lassen sich zwei Alternativen unterscheiden: Eine Triangulation qualitativer und quantitativer Forschung kann am Einzelfall ansetzen. Dieselben Personen, die interviewt werden, gehören auch zu der Gruppe, die einen Fragebogen ausfüllt. Ihre Antworten auf die Fragen in beiden Methoden werden auch auf der Ebene des Einzelfalles miteinander verglichen, zusammengeführt und in der Auswertung aufeinander bezogen. Sampling-entscheidungen werden in zwei Schritten getroffen. Dieselben Fälle werden für beide Teile der Untersuchung ausgewählt, aber im zweiten Schritt wird entschieden, welche der Teilnehmer an der Umfrage für ein Interview herangezogen werden.

Die Verbindung kann jedoch auch zusätzlich oder ausschließlich auf der Ebene der Datensätze hergestellt werden. Die Antworten auf den Fragebögen werden in ihrer Häufigkeit und Verteilung über die ganze Stichprobe analysiert. Die Antworten in den Interviews werden interpretiert und verglichen, und es wird beispielsweise eine Typologie erstellt. Dann werden die Verteilung der Fragebogenantworten und die Typologie in Beziehung gesetzt und verglichen (vgl. Abb. 1).


Fazit

Die Kombination von qualitativer und quantitativer Forschung wird immer häufiger eingesetzt. Verschiedene methodische Fragen sind bislang noch nicht befriedigend gelöst. Bei einer Reihe von Ansätzen der Kombination tritt teilweise die Systematik auf der methodischen Ebene hinter eine Forschungs- oder Konzeptpragmatik zurück. Versuche der Integration beider Ansätze laufen häufig auf ein Nacheinander (mit unterschiedlichem Vorzeichen), Nebeneinander (mit unterschiedlichem Ausmaß der Unabhängigkeit beider Strategien) oder eine Über- bzw. Unterordnung (ebenfalls mit unterschiedlichem Vorzeichen) hinaus. Die Integration konzentriert sich meist auf die Ebene der Verknüpfung von Ergebnissen oder bleibt oft auf die Ebene des Forschungsdesigns begrenzt – die kombinierte Verwendung verschiedener Methoden mit unterschiedlichem Ausmaß der Bezugnahme aufeinander. Weiterhin bestehen die Unterschiede in den beiden Strategien hinsichtlich der angemessenen Designs und Formen der Bewertung von Vorgehen, Daten und Ergebnissen weiter. Die Frage, wie dem bei der Kombination beider Strategien Rechnung getragen werden kann, bleibt weiter zu diskutieren.

Abschließend lassen sich jedoch einige Leitfragen für die Einschätzung von Beispielen der Kombination qualitativer und quantitativer Forschung formulieren.

• Wird beiden Zugängen gleiches Gewicht eingeräumt (in der Planung des Projekts, in der Relevanz der Ergebnisse und in der Bewertung der Forschung beispielsweise)?

• Werden beide Zugänge lediglich getrennt angewendet, oder werden sie tatsächlich aufeinander bezogen? So werden in vielen Studien qualitative und quantitative Methoden eher unabhängig voneinander angewendet, und die Integration beider Teile beschränkt sich auf den Vergleich von deren Ergebnissen.

• Was ist die logische Beziehung von beiden? Werden die Methoden nur sequenziell verknüpft und wie? Oder werden sie tatsächlich integriert in einem Multi-Methoden-Design?

• Welche Kriterien werden zur Bewertung der Forschung insgesamt genutzt? Dominiert ein traditionelles Verständnis von Validierung, oder werden beide Arten der Forschung mit jeweils angemessenen Kriterien bewertet?

• Und schließlich: Wie wird mit den epistemologischen Inkompatibilitäten zwischen qualitativer Forschung und ihrem konstruktivistischen Wirklichkeitsverständnis und quantitativer Forschung, die häufig eher auf einem abbildtheoretischen Zugang zur Wirklichkeit basiert bei der Kombination von Methoden, Daten und/oder Ergebnissen umgegangen?

Literatur

Barton, Alan H./Lazarsfeld, Paul F. (1955/1979): Einige Funktionen von qualitativer Analyse in der Sozialforschung. In: Hopf, Christel/Weingarten, Elmar (Hrsg.): Qualitative Sozialforschung. Stuttgart, S. 41–89.

Becker, Howard S. (1996): The Epistemology of Qualitative Research. In: Jessor, Richard/Colby, A./Shweder, Richard A (Hrsg.): Ethnography and Human Development. Chicago, S. 53–72.

Berger, Peter L./Luckmann, Thomas (1969): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt a. M.

Bryman, Alan (1992): Quantitative and qualitative research: further reflections on their integration. In: Brannen, Julia (Hrsg.): Mixing Methods: Quantitative and Qualitative Research. Aldershot, S. 57–80.

Bryman, Alan (2001): Social Research Methods. Oxford.

Denzin, Norman K./Lincoln, Yvonna S. (Hrsg.) (2000): Handbook of Qualitative Research – Second Edition. Thousand Oaks/London.

Flick, Uwe (2011): Triangulation – Eine Einführung, 3. Auflage. Wiesbaden.

Flick, Uwe (2016): Qualitative Sozialforschung – Eine Einführung. Völlig überarbeitete Neuauflage, Reinbek.

Flick, Uwe (2017): Mantras and Myths: The Disenchantment of Mixed-Methods Research and Revisiting Triangulation as a Perspective. In: Qualitative Inquiry 23 (1): 46–58.

Flick, Uwe (2018): Triangulation. In: Denzin, Norman/Lincoln, Yvonna S. (Hrsg.): Handbook of Qualitative Research (5th edn). Thousand Oaks, CAS, S. 444–461.

Gergen, Ken J. (1994): Realities and Relationships. Soundings in Social Construction. Cambridge.

Glasersfeld, Ernst v. (1992): Aspekte des Konstruktivismus: Vico, Berkeley, Piaget. In: Rusch, Gebhard/Schmidt, Siegfried J. (Hrsg.): Konstruktivismus: Geschichte und Anwendung. Frankfurt a. M., S. 20–33.

Glasersfeld, Ernst v. (1996): Radikaler Konstruktivismus: Ideen, Ergebnisse, Probleme. Frankfurt a. M.

Hammersley, Martyn (1996): The Relationship between qualitative and quantitative research: paradigm loyalty versus methodological eclecticism. In: Richardson, John T.E. (Hrsg.): Handbook of Qualitative Research Methods for Psychology and the Social Sciences. Leicester, S. 159–174.

Jick, Thomas (1983): Mixing Qualitative and Quantitative Methods: Triangulation in Action. In: Maanen, John van (Hrsg.): Qualitative Methodology. London/Thousand Oaks/New Delhi, S. 135–148.

Kelle, Udo/Erzberger, Christian (2015): Quantitative und Qualitative Methoden – kein Gegensatz. In: Flick, Uwe/Kardorff, Ernst v./Steinke, Ines (Hrsg.): Qualitative Forschung – Ein Handbuch, 11. Auflage. Reinbek, S. 299–309.

Kluge, Susann (2001): Strategien zur Integration qualitativer und quantitativer Erhebungs- und Auswertungsverfahren. Ein methodischer und methodologischer Bericht aus dem Sonderforschungsbereich 186 »Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf«. In: Kluge, Susann/Kelle. Udo (Hrsg.): Methodeninnovation in der Lebenslaufforschung. Integration qualitativer und quantitativer Verfahren in der Lebenslauf- und Biographieforschung. Weinheim/München, S. 37–88.

Kluge, Susann/Kelle, Udo (Hrsg.) (2001): Methodeninnovation in der Lebenslaufforschung. Integration qualitativer und quantitativer Verfahren in der Lebenslauf- und Biographieforschung. Weinheim/München.

Knorr-Cetina, Karin (1984): Die Fabrikation von Erkenntnis. Frankfurt a. M.

Lincoln, Yvonna S./Guba, Egon G. (1985): Naturalistic Inquiry. London, Thousand Oaks, New Delhi.

Lüders, Christian/Reichertz, Jo (1986): Wissenschaftliche Praxis ist, wenn alles funktioniert und keiner weiß warum. Bemerkungen zur Entwicklung qualitativer Sozialforschung. In: Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau, 12, S. 90–102.

Miles, Matthew B./Huberman, A. Michael (1994): Qualitative Data Analysis: A Sourcebook of New Methods, 2. Auflage. Newbury Park.

Piaget, Jean (1937): La construction du réel chez l’enfant. Neuchâtel.

Schütz, Alfred (1971): Gesammelte Aufsätze, Bd. 1 – Das Problem der sozialen Wirklichkeit. Den Haag. (Original 1962: Collected papers, Bd. 1. The Problem of Social Reality. Den Haag).

Seipel, Christian/Rieker, Peter (2003): Integrative Sozialforschung. Weinheim.

Tashakkori, Abbas/Teddlie, Charles (2003): Major Issues and Controversies in the Use of Mixed Methods in Social and Behavioral Research. In: Dies. (Hrsg.): Handbook of Mixed Methods in Social & Behavioral Research. Thousand Oaks, S. 3–50.

Tashakkori, Abbas/Teddlie, Charles (Hrsg.) (2010): Handbook of Mixed Methods in Social & Behavioral Research (2nd edn.). Thousand Oaks.

Gütekriterien qualitativer Sozialforschung
JO REICHERTZ

Ausgehend von dem Befund, dass eine gegenüber der eigenen Praxis und den eigenen Methoden reflexive qualitative Sozialforschung um ihre nicht hintergehbare Perspektivenbindung weiß, werden die gängigen Muster der Rechtfertigung qualitativer Forschung mit dem Ziel untersucht, deren Nützlichkeit für eine Bestimmung von Gütestandards zu ermitteln. Abschließend werden einige Verfahren benannt, die geeignet sind, die Zuverlässigkeit, die Repräsentativität und auch die Validität qualitativer Sozialforschung zu begründen.

Was ist die Frage?

Wenn Sozialwissenschaftler sich in Ausübung ihres Berufes der sozialen Welt mit dem Ziel zuwenden, die Bedeutung von Texten, stillen Bildern, Wohnzimmereinrichtungen, Sportveranstaltungen, Heiratsbräuchen, Landschaftsparks oder Ähnlichem zu verstehen, dann müssen sie deren (gesellschaftliche) Bedeutung rekonstruieren. Für wissenschaftliche Rekonstruktion aller Art gilt nun, dass sie – wie auch alle alltäglichen Rekonstruktionen – nicht hintergehbar, vor allem perspektivengebundene, kommunikativ erarbeitete Konstruktionen sind (Keller/ Knoblauch/Reichertz 2012, Reichertz 2013b). Denn: Die Wissensproduktion für die Gesellschaft ist auch von der Gesellschaft organisiert (vgl. Berger/Luckmann 1977, Soeffner 2004; Reichertz 2016).

Eine reflexive Sozialforschung weiß um diesen Sachverhalt (Bourdieu/Wacquant 1996). Für sie gibt es keinen Durchblick auf die wirkliche Wirklichkeit, sondern alles, was ihr gegeben ist und was sie untersuchen kann, ist gesellschaftlich erbautes, gesellschaftlich verteiltes, aber auch geteiltes Wissen von Bedeutung. Auch wenn unterstellt wird, dass jenseits des gesellschaftlichen Wissens brute facts existieren, so ist es dem Wissenschaftler nicht möglich, auf sie zuzugreifen. Seine Deutung der Welt arbeitet sich an gesellschaftlich erbauten Deutungen ab, an ihnen, und vor allem: mit ihnen arbeitet er, um dann zu seiner Deutung zu gelangen.

Diese reflexive Wendung hat für die Wissenschaftler (also wissenschaftsintern) zweierlei Konsequenzen: zum einen Freisetzung, zum anderen Verunsicherung. Freisetzung deshalb, weil die Verabschiedung eines exklusiven Wegs zur Erkenntnis strukturell die Suche nach neuen Wegen und Prozeduren eröffnet und zugleich die Konzeptionierung neuer Methodologien ermöglicht. Diese Freisetzung hatte im Windschatten (ebenfalls wissenschaftsintern) zugleich aber auch eine tiefgreifende Verunsicherung zur Folge: Gemessen an dem Stand wissenssoziologisch informierter (Selbst-) Reflexion lassen sich nämlich keine verbindlichen Standards für die Erlangung von Validität mehr angeben: Denn jede Forschungsarbeit muss in dieser Perspektive mit der (weder zu leugnenden noch zu beseitigenden) Tatsache leben, selektiv und damit nur bezogen auf eine Perspektive gültig zu sein. Diese Verunsicherung findet auf Forscherseite ihren Ausdruck in der sprunghaften Zunahme von Anything-goes-Forschung und der deutlichen Bevorzugung der spritzigen Formulierung vor dem guten Argument.

Wissenschaftsextern hat die reflexiv gewordene Wissenssoziologie mit ihrer Erkenntnis wissenschaftlicher Perspektivengebundenheit, die übrigens meistens nur in Form eines kruden Wissenspluralismus (»Jede Erkenntnis ist gleich gut, deshalb auch beliebig!«) wahrgenommen wurde, ebenfalls eine tiefe Verunsicherung ausgelöst – mit dem paradoxen Ergebnis einer verstärkten Nachfrage nach Gültigkeit und dem Verlangen nach Forschungsevaluation. In dieser Situation stellt sich die Frage, wie einerseits wissenschaftsintern mit der Unsicherheit wissenschaftlicher Erkenntnis umgegangen wird (z. B. mithilfe von Methodendebatten) und wie andererseits extern die Gültigkeit wissenschaftlicher Aussagen gerechtfertigt werden kann.

Im Beitrag soll versucht werden – wohl wissend, dass die Frage nach der Gültigkeit wissenschaftlicher Ergebnisse eingebunden ist in einen sozialen Prozess der Wissenslegitimierung –, die Frage nach der Validität (→ Flick, S. 36 ff.) sozialwissenschaftlicher Rekonstruktionen dadurch anzugehen, den Diskurs über die Gültigkeit sozialwissenschaftlicher Erkenntnis nachzuzeichnen, um so gewisse Standards für die Bestimmung von Gütekriterien zu entwickeln. Es geht dabei jedoch nicht um eine Neuauflage der erkenntnistheoretischen Debatte, um die Möglichkeit von Erkenntnis und auch nicht um die Diskussion der gängigen Wahrheitstheorien, auch wenn im Weiteren immer wieder auf Erkenntnis- und Wahrheitstheorien Bezug genommen werden muss, um die Probleme bei der Entwicklung sozialwissenschaftlicher Gütekriterien sichtbar zu machen.

Typische Verfahren der Wissenslegitimierung in der Sozialforschung

Eine reflexiv gewordene Wissenssoziologie ist ein gutes Gegengift gegen gedankenlosen Empirismus, theorieloses Forschen und Messinstrumentengläubigkeit. Sie ist jedoch keinesfalls ein Vorwand oder gar eine theoretische Begründung für methodische und methodologische Beliebigkeit. Die Einsicht in den Konstruktionscharakter wissenschaftlicher Erkenntnis hat nur, wenn man zu kurz schließt, eine postmoderne Wissenschaft zur Folge, in der statt des besseren Arguments die Pointe punktet. Die Einsicht in die Perspektivität von Erkenntnis stellt nicht die Selbstaufklärung still, sondern hebt sie auf eine neue Stufe. Denn es ist keineswegs gesagt, dass mit der Unhintergehbarkeit der Perspektivität von Erkenntnis der Weg für wohl formulierte Beliebigkeit eröffnet ist. Diesseits dieser fruchtlosen Alternative von Alles-oder-Nichts erstreckt sich eine weite Region von Aussagen, die weder völlig gültig noch völlig ungültig sind, und die man durchaus als besser oder schlechter einordnen kann. Denn aus der Tatsache, dass man in Krankenhäusern keine völlig keimfreien Umgebungen herstellen kann, folgt gerade nicht, dass man Operationen genauso gut auch in Kloaken vornehmen kann (vgl. Geertz 1987, S. 42 f.).

Die verschiedenen Verfahren qualitativer Sozialforschung (vgl. Lüders/Reichertz 1986, Reichertz 2016), gleichgültig, ob sie quantitative oder qualitative Inhaltsanalyse, Dokumentarische Methode der Interpretation oder Grounded Theory, Narrations- oder Diskursanalyse, Objektive Hermeneutik oder hermeneutische Wissenssoziologie heißen (→ Wegener, S. 256 ff., Mayring/Hurst, S. 494 ff., → Lampert, S. 596 ff., → Diaz-Bone, S. 131 ff., → Hagedorn, S. 580 ff., → Reichertz, S. 66 ff.), sind mit dem Dilemma, um die eigene Perspektivengebundenheit zu wissen und gleichzeitig dem Gültigkeitsanspruch nicht abschwören zu wollen bzw. zu können, in unterschiedlicher Weise umgegangen. Betrachtet man die bisherige Geschichte der qualitativen Sozialforschung, so lassen sich drei Großstrategien unterscheiden, mit deren Hilfe man sich eine Absicherung bzw. Heiligung der Ergebnisse versprach:

• die Begründung durch persönliches Charisma,

• die Begründung durch Verfahren und

• die Begründung durch den innerwissenschaftlichen Diskurs.

Das Vertrauen auf persönliches Charisma

Die erste Großstrategie steht in der Tradition des Arguments, bestimmten Wissenschaftlern sei eine persönliche und außerordentliche Hellsichtigkeit zu eigen. Die Strategie besteht darin, dass (auch dann, wenn Daten analysiert werden) der entscheidende Erkenntnissprung, die Abduktion (vgl. Reichertz 2013a) beispielsweise, nicht als Ergebnis von Arbeitsprozessen betrachtet wird, sondern als genialischer Akt, der nur der jeweiligen Person möglich war. Hier liefert also ein (reklamiertes und oft auch inszeniertes) Charisma die Fundierung von Gültigkeit. Zugespitzt: Selbst-Charismatiker nenne ich solche Wissenschaftler, die zwar vorgeben, mit Daten zu arbeiten, ihre Forschungsergebnisse jedoch nicht mehr an eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit binden, sondern an eine persönliche, meist exklusive Gabe. Vertreter dieser Strategie findet man in allen Varianten qualitativer Sozialforschung. Allerdings neigen Forscher, die an die Objektivität ihrer Rekonstruktionen glauben, eher dazu, diese Strategie zu wählen.

Das Vertrauen in Verfahren

Die zweite Großstrategie versucht ihre Ergebnisse mithilfe von spezifischen Verfahren zu legitimieren. Es ist nicht mehr die Person des Forschers, die aufgrund eines göttlichen Geschenks die Gültigkeit verbürgt, sondern es sind die wissenschaftlich etablierten Methoden, die Gültigkeit hervorbringen und garantieren. Gefragt nach der Basis von Validität, wird als Antwort ein spezifisches Verfahren genannt. Allerdings finden sich innerhalb dieser Großstrategie die drei folgenden Varianten:

1) Rechtfertigung mithilfe der Methode der phänomenologischen Reduktion,

2) Rechtfertigung mithilfe des Verfahrens der Methodentriangulation und

3) Rechtfertigung mithilfe der Methode datengestützter Perspektivendekonstruktion.

Die Methode der phänomenologischen Reduktion (auch Epoché genannt) möchte zu den Sachen selbst dadurch vordringen, dass man bei der Welterkenntnis die eigenen Vorstellungen von Welt von allen sozialen Einkleidungen befreit und zugleich alle Vorstellungen von Welt ihrer historischen Deutung entledigt. Ziel ist, den sozialen Schleier wegzuziehen, in der Hoffnung, auf diese Weise der Dinge selbst ansichtig zu werden. Dieses Verfahren ist insbesondere von den Vordenkern der Wissenssoziologie sehr stark favorisiert worden. Eine Auseinandersetzung mit diesem Verfahren hat in den letzten Jahren zu der Erkenntnis geführt, dass man so nicht bei den Sachen selbst, sondern vor allem und einzig in der Sprache landet, dass man also die Perspektivität keineswegs verliert.

Die zweite Unterstrategie, die ich hier Methodentriangulation nennen möchte, versucht die Erkenntnis von der wissenschaftlichen Perspektivität produktiv zu nutzen, indem sie als Gütegarant eine als positiv deklarierte Multi-Perspektivität anstrebt (vgl. Flick 2004; → Treumann, S. 264 ff.). Qualitative Verfahren werden mit quantitativen ergänzt, die Feldstudie mit Interviews und Fragebogen, die Interaktionsanalyse mit Experiment und Beobachtung. Die Grundidee (bzw. die zugrunde gelegte Metapher) dieser Strategie ist der Geometrie entlehnt: Um einen nicht erreichbaren Punkt (Erkenntnis) zu bestimmen, peile ich diesen Punkt von zwei (oder mehr) bekannten Perspektiven (Methoden) aus an, bestimme das Verhältnis der bekannten Perspektiven zueinander und deren Winkel zum angepeilten Punkt und kann dann mithilfe trigonometrischer Berechnungen den unbekannten Punkt bestimmen. Bei der Methodentriangulation geht es also nicht darum, die Perspektivität zu leugnen, sondern sie zum Programm zu erheben. Dennoch sind auch hier die realistischen Hoffnungen nicht zu überhören: Unzweifelhaft ist nämlich diesen Forschern der Glaube zu eigen, dass auf diese Weise nicht nur andere Ergebnisse erzielt werden, sondern dass diese Art der Welterkundung besser und die so gewonnenen Aussagen valide sind.

Diese letzten realistischen Hoffnungen sollen vor allem mithilfe der dritten Unterstrategie getilgt werden – der Rechtfertigung der Gültigkeit von Aussagen aufgrund datengestützter Perspektivendekonstruktion. Damit ist nicht nur, aber insbesondere die Sequenzanalyse angesprochen. Allerdings muss hier auf die methodologische Rechtfertigung geachtet werden. Favorisiert man z. B. innerhalb der Objektiven Hermeneutik die Sequenzanalyse vor allem deshalb, weil sie sich vermeintlich den Sachen selbst anschmiegt (vgl. Oevermann u. a. 1979 und 200; Garz/Raven 2015, → Hagedorn, S. 580 ff.), dann zeigt sich darin eine recht beachtliche realistische Sicht von Wissenschaft. Eine reflexive Wissenssoziologie verwendet die Sequenzanalyse jedoch gerade nicht in der Hoffnung, so dem Gegenstand nahe zu kommen, weil die Sequenzanalyse den realen Prozess der Interaktion nachzeichnet. Das wäre ein grobes realistisches Missverständnis. Die Sequenzanalyse wird dagegen von Wissenssoziologen deshalb besonders gerne angewendet, weil sie ein ausgesprochen unpraktisches Verfahren ist. Die strikte Durchführung einer Sequenzanalyse (also der extensiven hermeneutischen Auslegung von Daten in ihrer Sequenzialität) kostet nicht nur immens viel Zeit, sondern sie zerstört im Prozess der systematischen und gesteigerten Sinnauslegung alle Selbstverständlichkeiten der eigenen Perspektivik und der eigenen Sprache. Strikte Sequenzanalysen führen dazu, dass alle geltenden oder für uns gültigen Vorurteile, Urteile, Meinungen und Ansichten in der Regel schnell zusammenbrechen. Die Sequenzanalyse dient also gerade nicht dazu, sich an den Gegenstand anzuschmiegen, sondern Sequenzanalyse ist nur ein Verfahren zur Zerstörung unserer gesamten sozialen Vorurteile – auch wenn dies nicht immer gelingt. Ist die Perspektivik mittels Sequenzanalyse einmal zerstört, entwirft der Forscher abduktiv Aussagen zu dem untersuchten Gegenstandsbereich (vgl. Peirce 1976; Reichertz 2013a).

Soweit erst einmal die zweite Großstrategie der Begründung von Gültigkeit über Verfahren. Die Betrachtung der drei Unterstrategien hat gezeigt, dass die jeweils zum Einsatz gebrachten Methoden sehr unterschiedliche realistische Einfärbungen aufweisen. Aus meiner Sicht ist vor allem eine richtig verstandene Sequenzanalyse eine besonders gut geeignete Methode datengestützter Perspektivendekonstruktion und damit für Wissenssoziologen interessant.

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