Kitabı oku: «Sagen reloaded», sayfa 2
Xaver Bayer
Die Legende vom Basilisken
A beast caged in the heart of a city …
Jim Morrison
Anfangs geisterten Meldungen durchs Netz, dass an unterschiedlichen Orten in der Inneren Stadt Leute – Spaziergänger, Jogger, ein Pizzalieferant, ein Müllmann und eine Polizistin – auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen seien. Sie wiesen schwere Verbrennungen auf, ihre Lungen waren zersetzt wie von Giftgas, der Tod musste sie in Sekundenschnelle ereilt haben. Nur einer von ihnen war vor seinem Verscheiden noch für eine kleine Zeitspanne ansprechbar, und was man seinen letzten Worten entnehmen konnte, war, dass er einem Ungeheuer begegnet sei.
Im Handumdrehen entstand das Gerücht, der berüchtigte und ausgerottet geglaubte Basilisk sei wieder aufgetaucht. Sein Versteck – so verbreitete es sich viral in Berufung auf uralte Chroniken – sei im Keller eines vor Hunderten von Jahren errichteten Hauses in der Innenstadt gelegen. Wo genau, ließ sich jedoch nicht eruieren. Selbst ernannte Basiliskenjäger zogen los, das Untier zu finden und zu erlegen, aber allem Anschein nach ohne Erfolg, denn die grausamen Todesfälle setzten sich fort.
Hier nun komme ich ins Spiel, denn ich ahnte, wo der Basilisk eventuell aufzuspüren wäre. Es hatte nämlich ein verstorbener Freund meiner Eltern, ein Galeriebesitzer, diesen einst erzählt, dass es in der Gasse – einer Sackgasse übrigens –, in der er wohnte und sich auch seine Galerie befand, ein Haus gab, in dessen Eingangsflur unter einem Gitter ein Brunnenschacht sei, in dem er einmal ein merkwürdiges Wesen erblickt habe. Da wohne er, der Basilisk, hatte er damals mit Zittern in der Stimme meinen Eltern verraten, die seiner Erzählung belustigt lauschten, war es ihnen ja kein Geheimnis, dass der Freund oft und viel trank. Mir jedenfalls war diese Geschichte über Jahrzehnte im Gedächtnis geblieben.
Also fasste ich mir eines Tages, als in den Medien erneut von einem bestialisch zugerichteten Opfer des Eidechsenkönigs berichtet wurde, ein Herz und machte mich auf den Weg aus meinem Randbezirk in die Innere Stadt, zur nämlichen Sackgasse, wo ich den Basilisken vermutete. Ich erkannte die Gegend, die ich seit rund zwanzig Jahren nicht betreten hatte, kaum wieder – wo früher kleine Läden gewesen waren, es eine urige Weinausschank und die Werkstatt eines Geigenbauers gegeben hatte, reihten sich nun Luxusboutique an Gourmettempel an Supermarktfiliale, und wo sich damals die Galerie des Freundes meiner Eltern befunden hatte, hatte ein auf High-End-Virtual-Reality-Equipment spezialisierter Store mit dem Namen Doors of Perception seine Pforten geöffnet. Doch das Haus war noch dasselbe. Ich zog meinen Schlüsselbund mit der freigeschalteten Begehkarte aus der Hosentasche, hielt sie vor den Sensor der Gegensprechanlage, ein Summen, schon war das Tor offen, und ich trat ein.
Sogleich erkannte ich den Hausflur wieder, und mein Blick fiel auf das schmiedeeiserne Gitter rechts am Boden, in einer Maueraussparung. Ich schaltete die Lampe meines Smartphones an und leuchtete damit durch das Gitter in die Tiefe, da hörte ich ein Rascheln, und tatsächlich sah ich, dass sich da unten etwas bewegte.
»Hab ich dich!«, rief ich und war nicht wenig verwundert, als ich eine Stimme aus dem Schacht hörte, die wie ein fragendes Echo »Hab ich dich?« sagte. Sie klang irgendwie müde und einigermaßen sanft, also ganz und gar nicht, wie man sich die Stimme eines mordenden Monsters vorstellt. Ich überlegte ein paar Atemzüge lang, wie ich der Bestie den Garaus machen sollte, um die Stadt und ihre Bewohner ein für allemal von ihr zu erlösen, dann schien mir klar, was zu tun war. Ich aktivierte die Spiegelfunktion der Kamera meines Smartphones, klappte das Schachtgitter hoch, kniete mich an den Rand und hielt das Telefon hinein, sodass das Ungetüm beim ersten Blick in die Höhe unweigerlich auf das Display schauen und beim Ansichtigwerden seines Spiegelbildes ob seiner eigenen Abscheulichkeit auf der Stelle verenden würde – so lautete schließlich die über Jahrhunderte überlieferte Anweisung zum Töten eines Basilisken.
»Schau!«, rief ich über den Schachtrand in die Tiefe, »schau mal kurz her!«
Doch anstatt des erwarteten Todesschreis hörte ich den Basilisken klagen:
»Ich kann nichts sehen!«
»Schau genau!«, lockte ich ihn.
»Ich kann nicht«, klagte er erneut.
»Konzentrier dich! Schau einfach auf mein Smartphone, du wirst dich wundern, was ich dir da zeige!«
»Es ist mir nicht möglich«, seufzte er.
»Aber wieso nicht?«
»Ich will ja schauen, aber ich habe Angst! Ich fürchte mich allein. Komm herunter, wir machen ein Selfie zusammen!« »Ich weiß nicht«, antwortete ich ausweichend, da ich eine Falle witterte, beugte mich aber tiefer über den Schachtrand. Es roch metallisch und wie nach Kabelbrand, und ich konnte einen Schemen erblicken, aber weiter hinunter traute ich mich nicht.
»Komm zu mir, nur für ein Selfie!«, flehte der Basilisk.
»Komm du doch rauf!«, entgegnete ich barsch, aber als Antwort vernahm ich bloß ein Winseln.
Bis zum Bauch hatte ich mich bereits in den Brunnenschacht gebeugt und hielt mein Smartphone mit der aktivierten Spiegelfunktion, so weit mein Arm reichte, in die Tiefe, in der Hoffnung, dass das Untier doch einmal einen Blick riskieren und dann zerplatzen würde.
Doch weil nichts dergleichen passierte, beschloss ich, meinen Plan zu ändern. Ich aktivierte die Filmfunktion, hielt das Handy in den Schacht und drückte auf Aufnahme. Als ich mir gleich darauf den kurzen Film ansah, war da nur so etwas wie eine dunkle, amorph-wabernde Masse in einer Art Nest aus Kehricht zu erkennen, dabei flackerte es aber so eigenartig, als wäre es ein altmodisches Hologramm mit Störeffekten.
Ich änderte nun meine Strategie und versuchte es auf die psychologische Tour:
»Wieso bringst du denn all die Menschen um?«, fragte ich den Basilisken, und nach einer Weile des Schweigens entgegnete er in einem eigenartig einnehmenden, weil vornehm zurückhaltenden Tonfall:
»Weil ich die Menschen so liebe! Sie sind so schön! Ich liebe sie alle! Auch dich liebe ich! Du bist so schön!«
Mein prompter Einwand, dass er mich ja gar nicht kenne und mich deshalb doch gar nicht lieben könne, schien ihn nicht zu beeindrucken, und er fuhr fort:
»Glaube mir! Ich würde alles für dich tun. Ich würde lügen für dich. Ich würde stehlen und töten für dich. Ich würde verwüsten, vergiften, brandschatzen, plündern für dich. Ich würde die Erde zum Beben bringen, Vulkane Feuer speien und brennenden Hagel vom Himmel fallen lassen. Ich würde alle Tiere und Pflanzen sterben lassen. Ich würde Luft und Boden vergiften. Ich würde ganze Länder verheeren und in Flammen aufgehen lassen. Ich würde unterjochen, versklaven, foltern und vergewaltigen für dich. Ich würde die Erde mit Bomben übersäen. Ich würde die Menschen das ABC der modernen Waffentechnik lehren. Ich würde Viren und Bakterien erschaffen und sie unter die Leute säen. Ich würde in ihre Genetik eindringen und sie zu Unmenschen machen. Ich würde alles tun, was in meiner Macht steht, und meine Macht würde wachsen. Und das alles würde ich tun, denn ich kann es tun, und all das würde ich für die Menschen tun, denn ich liebe sie, und ich würde es auch für dich tun, denn ich liebe dich!«
Der Basilisk hörte zu sprechen auf, es ertönten nur noch ein paar zufriedene Schmatzgeräusche, ein Geraschel, als würde er sich in seinem Nest zusammenrollen, und dann fing er verhalten an zu schnarchen.
Und ich, ich kniete immer noch da, kopfüber in den Schacht gebeugt, und überlegte, was ich denn jetzt tun sollte, als ich plötzlich hinter mir eine Frauenstimme vernahm, so unerwartet und nah, dass ich vor Schreck mein Smartphone in den Schacht fallen ließ:
»Mit wem sprechen Sie denn da?«
Ich schwieg und rührte mich nicht.
»Hallo«, fragte die Frau nochmals, »mit wem sprechen Sie da?«
Und abermals traute ich mich nicht zu antworten, da kam sogleich ein drittes Mal die Frage, diesmal in forschem Ton:
»Mit wem sprechen Sie da?!«
Und so entschloss ich mich, Rede und Antwort zu stehen, hob meinen Kopf aus dem Schacht, klappte das gusseiserne Gitter wieder herunter, und während ich sehr langsam aufstand, mich umdrehte und dabei die Gewissheit fühlte, diesem Schacht in diesem Haus in dieser Sackgasse ein für allemal den Rücken zu kehren, hörte ich eine Stimme, die wie meine eigene klang, sagen:
»Mit wem ich da spreche? Mit mir!«
Alexandra Bernhardt
ANO KATO
ΟΔΟΣΑΝΩΚΑΤΩΜΙΑΚΑΙΩΥΤΗ
Der Weg hinauf und hinab ist ein und derselbe.
Heraklit von Ephesos zugeschrieben
[Im Vertrauen]
… die nicht mehr auffindbare MALFATA ist eine Angelegenheit, die du dir nicht zu Herzen gehen lassen solltest. Unten ist nicht oben, wie du weißt, und Obrigkeit nicht Untrigkeit. Außerdem – und gleichwohl, möchte ich sagen – ist sich darum bereits gekümmert worden. Ein Untriger ist damit betraut worden; wir und insbesondere die haute iolée haben damit also nichts mehr zu schaffen. Und es ist noch immer für jedermann gesorgt worden …
kolcrom No 6079 // notat exkursion // Direktive K1138 // AV 101521-JOU
bin weisungsgemäß hinuntergestiegen (katadyomenos) · habe die route gegen nordost genommen (ich schöpfe, ich schöpfe) · bin den runen gefolgt (naudiz mannaz laguz) · bei der kreuzung frumentienmarkt=diagonale die abzweigung K35 genommen (westlicher richtung) · geruch unauffällig, dezibelbefund negativ (ich schöpfe, ich schöpfe) · habe hydronautik weisungsgemäß deaktiviert · auf höhe des museals erneut runen () · dezibelbefund positiv · abhörtest ergab klopfgeräusch in unterem normbereich (leitungen) · weiter hinab (K84) und tiefer gestiegen (ich schöpfe, ich schöpfe) · im bereich der stelen (unterhalb simulacra) grottenartige gewächse stalagmitengleich : weisungsgemäß übergangen · fortgeschritten, weiter hinab · dezibelbefund wie oben · innenperspektive unauffällig (ich schöpfe, ich schöpfe) · weisungsgemäß weiter dem versorgungstunnel gefolgt · K89, K91, K93 · fürder hinab leitende stollen (ohne auszeichnung) · dezibelbefund wie oben (ich schöpfe, ich schöpfe) · geruch nicht länger neutral, aber undefinierbar (troglodyomenos) · unterhalb kreuzung nordwestliches museal=spectaculum/rubrum erstmals wieder runen (not mann wasser) · keine kennung sonst, kein weiterer befund (dezibel null komma null) · geruch brackig, hygrometerausschlag im oberen normbereich · innenperspektive weisungsgemäß (ich schöpfe, ich schöpfe) · K101 vertikal klopfgeräusche : geruch diametral verschieden zu vorherigem befund (zersetzung) : hygrometerausschlag versus obere anomalie · optischer befund erneut runen () · innenperspektive schwebend bis entkoppelt · weisungsgemäß abbruch und rückzug (anadyomenos)
[Weisung]
… daß du nicht mehr hinausgehen sollest, des Abends, daß du nicht mehr Wäsche waschen sollest, am Kanal, am Marmorgrund, an der Magdalenen, daß du nicht hören sollest auf das Rufen und Singen und Raunen, nicht nachrennen sollest irgendwelchen Grillen und daß du nicht tragen sollest dein Haar offen, sondern verborgen unter einer Kappen rot …
[Brief an die Kommandatura]
Allgutem Herrn und oberstem Adlaten Giselher Ni
zugeeignet von seinem untertänigsten Diener
Abelardus Wong
Vindobona im wachsenden Paenultimum CCCXV T.N. In gutem Gewissen und zu strengem Gedeih: so ich gestrigen Tages mit meinem Cooperator parlierte, dazu doch allzu wenig Vernünftiges bei den neuen Unternehmungen der Gilde herausgesprungen, beeile ich mich heute, hochwertem allgutem Herrn kundzumachen, was sich abseits besagter Cooperatio kürzlichst zugetragen und berichtet sein muß. So hat dero hochwertem Herren strengstens geheim beauftragtes Subject Numero 6079 die in Frage stehende Mission unternommen, bewältigt und zum Abschlusse gebracht. Wie allguter Herr vermutet, ist infamerweise gestreuten Gerüchten und Unterstellungen recte et fortiter nicht zu trauen gewesen. Der Untergrund ist intakt, sämtliche Simulacra gründen wie je unkompromittiert, alle Befunde sind unauffällig soweit vermutet und gewünscht. Darüber hinausgehende Parameter bleiben auf dero höchstwertem Herren Wunsch unberücksichtigt und unbeschrieben. Von Nemesis oder gar Fluch kann somit nicht die Rede sein – und wenn allguter Herr mir erlauben zu sagen: 6079 hat sich eine gratificazione redlichst verdient.
In allzeit bescheidener Zier und hochwertestem Herrn
beständig tunlich wie untertänigst zugetan
Abelardus Wong
[Zur guten Nacht]
… Wie oben so unten, sagen sie, und du weißt, was sie damit meinen. Die sie aus den Simulacra holen, haben jedenfalls nichts zu lachen mehr und nichts zu erzählen. Ich habe ihre Gesichter gesehen, wie in Stein gehauen, weiß und hohl, die Augen unergründlich …
[Anschreiben, den vorliegenden Dokumenten und Notizen beigefügt]
Geschätzter Schwager!
In der Anlage übermittle ich Dir also die besagten Dokumente – oder vielmehr Fragmente – in photomechanischer Reproduktion, die ich im Nachlaß meiner Großtante aufgefunden habe. Vielleicht kannst Du mehr damit anfangen als ich. Frappiert hat mich neben dem kruden, ja obskuren Inhalt vor allem der materielle Zustand der Papiere, sind sie doch allesamt vom Zahn der Zeit gezeichnet, angegriffen, vergilbt und teils nur mehr schwer leserlich. Daß es authentische historische Notate sind, scheint mir allerdings ihr Inhalt zu widerlegen. Möglicherweise liegt uns hier das Werk eines – wenn auch zweifellos schöpferischen – Wahnsinnigen vor. Nur was Tante Hedwig damit gewollt haben könnte, vermag ich nicht zu erraten.
So oder so verbleibe ich gespannt auf Deine Expertise
mit gutem Gruß Dein Notker
gez. Nueva Ciudad, 8. III. 1921
Hannah Bründl
wir kennen das ende nicht, wir kennen nur das wasser
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»An dem zu verschiedenen Zeiten so wilden
Teufelsbach«
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das erzählende
- der franzose
das chorische
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davor:
SPRICH
SPRICH
HYDRO UND SCHATTEN
MITTELALTERLICHEN
UND
ZEITEN VERWACHSEN
ES SPÜLT DARÜBER
SPRICH VON FRÜHER
VON GABELUNG UND REITENDEN
PFADEN DER WÜSTUNG
NORDEN UND MEER UND MOOR
SCHELLEN AM ROCK
SCHÄTZEN VON KIEMEN
UND
VOM BEGINN DER GESCHICHTEN
ZEIGE DIE LEERSTELLEN
ABER SPRICH
//
//
es fließt
- das wird mich noch den hals kosten
es fließt ungeraten und höckern
es fließt, sage ich
es stolpert eher
es entgleist
es torkelt mehr als es fließt
- sie verfolgen mich, sie haben äxte
der lauf runzelt sich den baumknollen entlang
an der masse land
an den waldgräben
sucht auswege
über wurzeln und fels
was lagert am ende davon?
- so helft mir doch!
wir wissen es nicht
wir wissen nichts vom ende
wir waren noch nie am ende, das ist ein non sequitur
- ich bin am ende
wir waren noch nie
nie dort
wir kennen das ende nicht, wir kennen nur das wasser
- seid still! hier können sie nicht herein, hier bin ich sicher
wer sagt, dass es ein ende gibt?
- um gottes willen, hört auf zu sprechen!
//
//
- ich bin’s
- gestatten
- ich bin’s
- 1809 kam ich an diesen ort
- 1809 im gefolge des marschalls
- der in aspern tödlich verwundet wurde
- dem zuvor noch sein bein abgebunden wurde, so sagt man
- und der napoleon zum freund geworden war
- in seinem gefolge ritten wir über die donau
- im januar zuvor noch in saragossa
- im april in eggmühl
- kannten wir keine niederlage
- der frühling war mild und zähflüssig rann die nacht
- unsere bajonette hoch, die kompanie wie überschwang
- tagsüber zogen wir
- im corps des duc de montebello
- abends brandschatzten wir die dörfer
- man rieche es noch
- an welchem ort genau ich mich nun befinde
- das kann ich nicht sagen
- daran erinnere ich mich nicht
- darauf habe ich mich nicht konzentriert
- und so haben wir geplündert
- nur einen beutel dukaten habe ich mir erpresst
- nur einen beutel erspartes in einem bauernhaus
- aus dem backofen zog er ihn
- aus dem backofen, seinem letzten hort
- als wäre er dort geschützt
- als wäre er dort verborgen
- ich fühle mich heruntergekommen
- ich habe angst
- war so siegessicher
- mein gewehr
- meine uniform
- aber sie sind in der überzahl
- es sind nur einfache bauernsöhne, aber sie sind in der überzahl- und
sie sind blind vor rachlust
//
//
unterirdisch zieht das wasser die zuflüsse mit sich
schluckt
pfeiler und ecken
schluckt störungen
windet sich
wirbelt
es ist ein schmaler bach
- ich sehe sie nicht mehr, aber ich fühle mich hier nicht wohl. ich brauche ein versteck. muss mich bemerkbar machen! ich brauche doch hilfe, die werden mich totschlagen, wenn sie mich finden.
ein so schmaler bach, ein so zerdrückter
ein bach
- hilfe! hilfe, zu hilfe! helft mir doch!
ein bach, der niemanden groß interessiert hat
ein bach, der niemandem groß genutzt hat
er beherbergt keine moosigen ufer voll farnkraut keine wassermänner keinen nebel
der bietet keine verwunschenen überhänge der nährt nichts
- hilfe! hört ihr mich denn nicht? ich brauche einen unterschlupf zwischen menschen.
der bach ist schlammig
er ist braun vor dreck
er starrt unsicher aus dem wald
kümmerlich, möchte man sagen
banal
anspruchslos
quasi ein tümpel
- hallo, helft mir! sie sind hinter mir her!
- versteckt ihr mich?
- helft ihr mir?
es ist ein unscheinbarer bach
landläufig voll schleimiger kiesel es ist ein bach
//
//
der bach war nicht immer so. ich erinnere mich noch der bach wurde umgeleitet ich erinnere mich noch er speiste einen teich der bach wurde umgeleitet, deshalb ist er jetzt so besatz war damals reichlich mit karpfen, hecht, stör, amur und schleie im schatten die forellen der untergegangene bach »umgeleitet« amputiert wurde er
zur zeit der schneeschmelze schäumte der bach durch den waldgraben
hallo, und wie!
hallo!
der bach war wild, aber glasklar
hat das tal ausgegraben
hat sich seine bahn geschaffen
er hatte seinen namen verdient
er hatte leben in sich vereint
früher war hier mal widerspenstigkeit
jetzt nur noch morast
der bach wurde ja umgeleitet, um weniger schroff zu sein weniger eigensinnig
er wurde umgeleitet, um zur neuen stadt zu passen!
so sprechen wir
er sollte bloß zur stadt passen
dem bach war noch gar nicht aufgefallen, dass da jetzt
eine stadt war
das war so neu plötzlich
das war so
neu, das kannte er noch nicht
das war so
neu, das erschreckte ihn zuerst das war so
halt! ihr dürft hier nicht sentimental werden! halt, es ging ja immerhin um potamologie!
was soll das denn sein?
kann uns das jemand erklären?
es ging um wasserkreisläufe
um fließgewässer und gewässerpflege
aber diesen bach hier haben sie doch nicht gepflegt
den haben sie doch verkümmern lassen, den!
um raumschaffung, landgewinnung also
nutzbarmachung für wohnraum
profitgier?
das wohnen ist eines der grundbedürfnisse der menschen
es ging um verlandung mit spatenstich
bachläufe sind bald mal geändert, wie vokale im lautwan
del der sprache
der bach wie ein vokal
wofür würdet ihr neuen raum nutzen, wenn es welchen gäbe?
früher beinahe schon ein fluss
//
//
das verschattete wasser dröhnt herunter
- es scheint still, ich habe mich hier eingehöhlt
von süden herunter
es muss oberhalb entsprungen sein
einer quelle oberhalb entronnen sein
also muss das land abwärts führen also ist es das land, das schief hängt
- sind sie verschwunden? haben sie aufgegeben? ich traue mich nicht, die augen zu öffnen
das land hängt
bergab in den angeln
bergab
- oh gott, ich höre sie
- ich höre sie in der ferne
unmittelbar gegenüber nun das schloss teufelseck
das schloss engelseck
das schloss heißt jetzt engelseck
das schloss teufelseckengelseck also
das schloss wurde umbenannt
- sie finden mich nicht, wenn ich bete, wenn ich harre
das schloss wird begrenzt vom wasserkörper
wird enggeführt
der wasserkörper spreizt sich über das bachbett neben
dem schloss
er windet sich nicht mehr er ziert sich vor dem abgrund er ziert sich vor der brücke
die statue des heiligen nepomuk wacht darüber
nepomuk, den der könig von der karlsbrücke treten ließ
nepomuk, der ertrank
- ich kann nicht …
neben dem schloss steht die statue des heiligen nepomuk unterhalb stürzt sich der wasserkörper in die schlucht
- sie sind da
und er mündet
er mündet
er mündet im untergrund
//
//
danach:
IM PINETUM
FAST IM HINTERGEBIRGE
HINTER DEN SIEBEN BERGEN
DORT ENTSPRINGT ETWAS
AM GEMÄUER
AN DER SCHLUCHT ENTLANG
EINEM ORT, DER
URSPRÜNGLICH BLOSS LICHTUNG WAR
WILDBANN DER HERRSCHAFT STEYR
ETWAS ENTSPRINGT UND QUILLT
ÜBER DEN BODEN
DEN STAUB
VOM STADTBAU
VOM KRIEG
BEHERBERGT SCHLAMM
UND SPRICHT
VON FRÜHER