Kitabı oku: «Sprache und Kommunikation in der beruflichen Aus- und Weiterbildung», sayfa 16

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Die Perspektive der Lehrwerkspraxis

Ulrich Nill

1. Einleitung

Lehrwerke für den Deutschunterricht an beruflichen Schulen sind ein interessanter Gegenstand für eine Untersuchung, weil sie nicht nur die Unterrichtspraxis prägen, sondern auch widerspiegeln, welche Konzepte und Überzeugungen sich dort wiederfinden. Die Bücher sollen den Aufbau von Wissen und Können fördern, das den Schülerinnen und Schülern im Beruf und in ihrem übrigen Leben zugutekommt – eine wichtige Aufgabe, wenn man an die sich offenbar immer weiter öffnende Schere von steigenden sprachlich-kommunikativen Anforderungen in Beruf und Ausbildung einerseits und sinkenden sprachlich-kommunikativen Kompetenzen bei Berufsschülerinnen und Berufsschülern andererseits denkt (Efing 2013).

Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei die Berufsschule, also eine Schulart, die es in allen Bundesländern gibt und die sich von beruflichen Vollzeitschulen dadurch unterscheidet, dass sie neben der betrieblichen Ausbildung die zweite Säule des dualen Ausbildungskonzepts darstellt. Bei aller Heterogenität, die etwa auf die Verschiedenartigkeit der Ausbildungsberufe oder länder- oder betriebsspezifische Ausbildungsbedingungen zurückzuführen sind, gibt es bei Berufsschülerinnen und Berufsschülern auch wichtige Gemeinsamkeiten: Sie müssen sich erstmals in einem beruflichen Umfeld bewähren und sind mit Herausforderungen konfrontiert, die nicht mehr in erster Linie schulisch sind. Die kommunikativen Aspekte dieser neuen Lebenssituation zu reflektieren und die Schülerinnen und Schüler bei deren Bewältigung zu unterstützen, sind naheliegende Ziele des Deutschunterrichts. Weitere wichtige Rahmenbedingungen für den Deutschunterricht in der BerufsschuleDeutschunterrichtBerufsschule sind die heterogenen schulischen Vorgeschichten der Lernenden, die aber alle bereits viele Jahre Deutschunterricht in der Sekundarstufe I hatten, und eine extreme Zeitknappheit. Das Fach Deutsch wird z.B. an den Berufsschulen in Baden-Württemberg mit nur einer Wochenstunde unterrichtet.1 Daraus ergibt sich, dass eine Beschränkung auf das Wesentliche, d.h. eine klare didaktische Fokussierung erforderlich ist.

Es fragt sich, wie der Deutschunterricht an der Berufsschule2, auf den sich die hier untersuchten Lehrwerke beziehen, auf die spezifische Situation seiner Zielgruppe reagiert, also in welcher Weise und in welchem Ausmaß die berufliche Situation der Auszubildenden im Deutschunterricht berücksichtigt wird. Schon diese Frage berührt das Selbstverständnis von Deutschlehrerinnen und -lehrern an der Berufsschule und die Auffassungen von der Aufgabe und den Zielen des Fachs Deutsch. Dasselbe lässt sich von den weiteren Leitfragen sagen, die dieser Untersuchung zugrunde liegen: Wie sieht es mit der inhaltlichen Orientierung aus? Entspricht das, was beim Einsatz des jeweiligen Lehrwerks gelehrt und gelernt werden soll, dem state of the art in Sprachdidaktik, Bildungsforschung und Fachwissenschaft oder handelt es sich vielmehr um Inhalte und Verfahren, die ihre Legitimation vor allem aus einer schulischen Tradition und schulischen Praktiken beziehen? Dieser Frage wird am Beispiel des Themas Argumentation nachgegangen. Welche didaktischen Grundüberzeugungen werden erkennbar? Entspricht das Lernen dem, was wir heute über den Aufbau berufsweltbezogener kommunikativer Kompetenz (siehe Efing 2015a) wissen? Anders gefragt: Wie sollen die Schülerinnen und Schüler das „richtige Kommunizieren“ lernen?

Da viele LehrwerkeLehrwerke sich auf mehrere berufliche Schularten beziehen, die sich wie auch die Rahmenbedingungen wiederum von Bundesland zu Bundesland unterscheiden, ist die Situation auf dem Schulbuchmarkt ausgesprochen unübersichtlich. Bei den ausgewählten Lehrwerken handelt es sich um eine Stichprobe von ca. 20, bei der vor allem solche Bücher berücksichtigt wurden, die aktuell am Markt zu finden sind und eine gewisse Verbreitung haben. Darüber hinaus wurde darauf geachtet, dass die Produkte der großen Schulbuchverlage in ausgewogener Weise berücksichtigt wurden. Für das Textkorpus gilt dabei dasselbe wie für die Analysekriterien: Die Untersuchung ist exemplarisch und bleibt notwendigerweise lückenhaft.

2. BerufsorientierungBerufsorientierung oder AllgemeinbildungAllgemeinbildung: Welches Verständnis vom Deutschunterricht liegt den Lehrwerken zugrunde?

Wenn man berücksichtigt, dass die Situation der Berufsschülerinnen und Berufsschüler sich von der anderer Schülerinnen und Schüler grundlegend unterscheidet, ist es doch einigermaßen überraschend, dass viele der untersuchten Lehrwerke den Deutschbüchern anderer Schularten sehr ähneln und ein breites Feld von traditionellen Inhalten des Deutschunterrichts vor allem aus der Sekundarstufe I abdecken. Viele der untersuchten Bücher bieten ein „Gemischtwarenangebot“ und beziehen sich nicht speziell auf die Berufsschule oder gar auf einzelne Berufe, sondern allgemeiner auf berufliche Schulen, ohne ein Bundesland zu nennen. Dahinter steckt offenbar das verlegerische Kalkül, dass die Werke möglichst universell in verschiedenen Schularten und verschiedenen Bundesländern einsetzbar sein sollten, da sie durch ihr reichhaltiges inhaltliches Angebot verschiedene Lehrpläne abdecken. Alle Bücher räumen sowohl der Literatur als auch sprachsystematischen Aspekten (Grammatik, Rechtschreibung) viel Platz ein.

Zumindest bei der Auswahl der Materialien, z.B. den Themen der literarischen Texte, die behandelt, und der Beispiele, die in den verschiedenen Lernbereichen verwendet werden, versuchen die Autorinnen und Autoren an berufliche Erfahrungen anzuknüpfen. Das gelingt vor allem bei den Büchern, die sich dezidiert an eine bestimmte Berufsgruppe wenden, z.B. den Bänden zu Körperpflege, Hotel und Gastronomie, zu Ausbildungsberufen im Gesundheitswesen, in der Altenpflege etc. Dort können dann z.B. RechtschreibproblemeOrthografie (z.B. die Schreibweise von Komposita mit dem Grundwort Salat) mit beruflichen Situationen aus der Gastronomie in Verbindung gebracht werden (Feurig et al. 2016:120f.), eine Argumentationsübung kann sich auf ein Kundengespräch zu Haarpflegeprodukten im Friseursalon beziehen (Tully et al. 2012:54f.), Gesprächsführung kann im Zusammenhang mit schwierigen Patienten in der Arztpraxis thematisiert werden (Neuhaus 2016:64–69), Dokumentation und Bericht können sich auf konkrete Situationen in der Altenpflege beziehen (Kirks et al. 2012:100–106) usw.

Ein extremes Beispiel fehlender Berufsorientierung liefert Der Deutschlotse, ein Buch das dezidiert (auch) für Berufsschulen gedacht ist. Von mehr als 300 Seiten entfallen nach dem Inhaltsverzeichnis gerade einmal 11 auf „Berufsorientierte Kommunikationsformen“ (Frericks et al. 2011:43–53). Im fraglichen Kapitel geht es dann um Präsentieren und freies Reden vor der Klasse (!), um das Beschreiben von Gegenständen (z.B. der eigenen Armbanduhr) und Vorgängen (z.B. dem Binden eines Krawattenknotens!), um den Unfallbericht, um eine Telefonnotiz zu einer Situation aus der Arbeitswelt und um den Aufbau eines Protokolls von einer Gemeinderatssitzung. Der angebliche Bezug zur Berufswelt ist hier nicht mehr als ein Feigenblatt. Wesentlich mehr Raum gibt man den traditionellen Inhalten des Deutschunterrichts, vor allem der Auseinandersetzung mit Literatur, etwa der Lyrikanalyse (einschließlich Metrik) oder der Inhaltsangabe literarischer Prosatexte.

Deutschunterricht in der Berufsschule ist, wenn man von den Lehrwerken ausgeht, wohl in erster Linie Deutschunterricht, d.h. an die schulischen Traditionen des Fachs gebunden und dem pauschalen Anspruch auf Allgemeinbildung (dazu Efing 2013a) verpflichtet. Erst in zweiter Linie werden Antworten und Lösungen für die spezifische Situation der Berufsschülerinnen und Berufsschüler gesucht. Dieser Befund passt zu dem Unbehagen, mit dem sich Berufsschülerinnen und Berufsschüler in Interviews darüber äußern, dass ihre Lehrerinnen und Lehrer an der Berufsschule wenig über die berufliche Wirklichkeit in den Ausbildungsbetrieben wüssten (Wengel 2013:152).

3. Sprache und Kommunikation in den Lehrwerken – theoretischer Hintergrund

Wenn in den Lehrwerken der (mündliche oder schriftliche) Sprachgebrauch analysiert, bewertet, verbessert oder trainiert wird, verlangt dies implizite oder explizite theoretische Bezugspunkte, d.h. ein theoriegestütztes Verständnis vom fraglichen Gegenstand, von dessen Beschaffenheit und Funktion. Ein aufschlussreiches Beispiel für den Theoriebezug der Lehrwerke ist das Verständnis von ArgumentationArgumentation, das ihnen zugrunde liegt. Die wissenschaftlichen Grundlagen der Argumentation sind dabei gar nicht leicht zu bestimmen. Schließlich gibt es dazu unterschiedliche Auffassungen verschiedener Disziplinen: Rhetorik, Logik, Pragmatik, Textlinguistik etc.

In jedem der untersuchten Lehrwerke taucht das Thema Argumentation auf, und das in einer sehr ähnlichen Weise. Die Struktur einer ArgumentationArgumentationStruktur besteht demnach immer aus drei Teilen: aus These, Argument und Beispiel (z.B. Maier 2013:116–120, Hufnagl et al. 2013:120–123, Frericks et al. 2011:87–89, Ansel-Röhrleef et al. 2015:166–167). Diese Einsicht findet sich in jedem der untersuchten Bücher, wobei sich die verwendete Terminologie geringfügig unterscheidet. Terminologisch unscharf ist z.B. Das Deutschbuch für Berufsschulen, in dem der Begriff ArgumentArgument einerseits auf die gesamte Argumentation verweist („Wie man ein Argument aufbaut“), andererseits aber einen Teil dieser Argumentation benennt (Ansel-Röhrleef et al. 2015:166). Der Dreischritt wird in den Büchern zur Norm erhoben, die offenbar für jede Argumentation gilt, egal ob mündlich oder schriftlich, und die den Anspruch erhebt, sowohl bei der Analyse von Argumentationen als auch bei deren Produktion eine Hilfe zu sein. Vereinzelt finden sich Differenzierungen. So wird in deutsch.kompetent darauf hingewiesen, dass nicht alle Teile einer Argumentation explizit genannt werden müssen, sondern auch impliziert werden können, und es wird ausgeführt, dass die Argumentation an die Zielgruppe angepasst werden sollte (Maier 2013:116).

Die große Einigkeit der Schulbücher im Hinblick auf die Struktur von Argumentationen überrascht nicht nur wegen der fehlenden wissenschaftlichen Fundierung,1 sondern auch wegen der geringen Brauchbarkeit dieser Auffassung für die kommunikative Praxis. Dafür gibt es mehrere Gründe, die hier nur angerissen werden können: 1. Die Struktur des Argumentationsschemas lässt sich in authentischen Beispielen von Argumentationen allenfalls im Ausnahmefall einmal auffinden (Becker-Mrotzek et al. 2010:5). 2. Die in den Büchern verwendeten Kategorien sind oft nicht trennscharf. So ist es in der Praxis oft ausgesprochen schwierig zu entscheiden, ob es sich bei einer Äußerung um die These, das Argument oder das Beispiel handelt. 3. Es wird nicht berücksichtigt, dass nicht jede SprachhandlungSprachhandeln, bei der Begründungen vorkommen, eine Argumentation ist. Die Abgrenzung gegenüber verwandten Handlungsformen wie dem Informieren, dem Beschreiben oder dem Erklären (die für berufsbezogene Kommunikation ebenfalls sehr wichtig sind) gelingt nur über die Kategorie des Strittigen, die in den Büchern kaum verwendet wird. Man kann von einem „pragmatischen Kontinuum“ sprechen, das die verschiedenen Handlungsformen verbindet (Feilke 2005:49). 4. Die didaktisch vielversprechende pragmatische Fundierung von Argumentationen (Wohlrapp 2008, Hümmer 2014) ist nur möglich, wenn die Einbettung dieser Handlungen in einen situativen Kontext und damit ihre Funktion klar ist. Die Beispiele, die in den Lehrwerken verwendet werden, sind in vielen Fällen kontextfreie schulische Erörterungsfragen (z.B. „Burka-Verbot in Deutschland?“, Frericks et al. 2011:87). 5. Nur wenn der Handlungszusammenhang berücksichtigt wird, kann „die monologische Halbierung“ der Argumentation (Steinseifer 2014:200) vermieden werden und die Verbindung zwischen dem Referieren der fremden und der argumentativen Festigung der eigenen Position in einem „virtuellen Dialog“ (Steinseifer 2014:203f.) hergestellt werden.

Das Beispiel der Argumentation zeigt, dass sich die Autorinnen und Autoren nicht in erster Linie an der Fachwissenschaft oder der FachdidaktikFachdidaktik orientieren, sondern an der schulischen Tradition und/oder an den anderen Lehrwerken, und so das „didaktische Brauchtum“ (Efing 2013b:252) pflegen. Die Herkunft des Dreischritts von These, Argument und Beispiel dürfte die traditionelle Aufsatzlehre zur Erörterung sein. Was ursprünglich die Anleitung für die Produktion einer schulisch normierten Schreibform war, wird so zur ubiquitären Argumentationstheorie.

Der Eindruck, dass die Lehrwerke nicht immer den wissenschaftlichen state of the art widerspiegeln, entsteht immer wieder, auch an eher randständigen Themen. Da wird dann „die moderne Lernforschung“ für das längst überholte Konzept der Lerntypen verantwortlich gemacht (Ansel-Röhrleef et al. 2015:10), als Gegenbegriff zur „minderwertigen Trivialliteratur“ dient „Belletristik“ (Krohne et al. 2011:282f.), der für berufsbezogenen Sprachgebrauch so wichtige Aspekt des Registers bzw. der Varietät wird meist unter dem Begriff „Sprachebenen“ (z.B. Hufnagl et al. 2013:49) erfasst, die angestaubte „AIDA-Formel“ gilt als Schlüssel zum Verständnis von Werbewirkung (Maier 2013:24, Ansel-Röhrleef et al. 2015:273, hier auch noch im Zusammenhang mit Anti-AIDS-Werbung!), die jeder Alltagserfahrung widersprechende Auffassung, „dass der weitaus größte Anteil der Interaktionsmöglichkeiten in der menschlichen Kommunikation bei nonverbalen Ausdrucksmitteln liegt“ (Frericks et al. 2011:32), wird mit dem Hinweis auf „verschiedene Untersuchungen“ kolportiert usw. Neuere linguistische Einflüsse oder überhaupt linguistische Einflüsse sucht man dagegen meist vergeblich.

Während sprachwissenschaftliche Modelle in den Lehrwerken kaum eine Rolle spielen, sind einige psychologische TheorienKommunikationpsychologische Theorien gewissermaßen kanonisch, z.B. aktives Zuhören und der Gegensatz von Ich- und Du-Botschaften (Ansel-Röhrleef et al. 2015:20f., Maier 2013:82f., Hufnagl et al. 2013:54 und 67, Frericks et al. 2011:30f. und 37 usw.). In der Regel wird die Quelle des dahinter stehenden Verständnisses von Kommunikation nicht benannt. Es handelt sich um Auffassungen, die in den USA in der Mitte und der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden sind und die zunächst vor allem im psychotherapeutischen Zusammenhang standen (klientenzentrierte Gesprächsführung von Carl Rogers). Rogers‘ Ideen wurden von seinen Schülerinnen und Schülern weiterentwickelt und popularisiert, vor allem von Thomas Gordon, der in seinem Bestseller „Familienkonferenz“ (Gordon 2012) Rezepte zur Lösung von Konflikten (z.B. Ich-Botschaften)Ich-Botschaft lieferte. Marshall B. Rosenberg, ein anderer Schüler von Rogers, ist ebenfalls sehr einflussreich, und zwar mit einem weiteren Bestseller, der den suggestiven Titel „Gewaltfreie Kommunikation“Kommunikationgewaltfreie trägt. Auch der charismatische Rosenberg, dessen rigorose Dichotomie von gewalttätiger und gewaltfreier Kommunikation eher an eine Heilslehre als an Wissenschaft denken lässt, taucht in mehreren Lehrwerken auf, vor allem in denen mit sozialpädagogischer Ausrichtung (Langenmayer & ter Haar 2013:73–77, Seedorf 2015:89f.).

Ein weiterer wichtiger theoretischer Bezugspunkt für die Lehrwerke ist Paul Watzlawick et al. (2011). Allerdings hat man auch bei diesen Autoren den Eindruck, dass lediglich weitergegeben wird, was schon in anderen Schulbüchern steht. Das kann im Einzelfall auch falsch sein. Beispielsweise wird das bekannte nachrichtentechnische Sender-Empfänger-Kommunikationsmodell von Shannon/Weaver Paul Watzlawick zugeschrieben (Maier 2013:78, Maier 2016:24).

Sollte man aber auf der Grundlage der untersuchten Lehrwerke entscheiden, welche Theorie zur Kommunikation in der Geschichte der Menschheit die bedeutendste ist, so fiele die Entscheidung leicht: Friedemann Schulz von Thun taucht mit seinem Vier-Seiten-ModellVier-Seiten-Modell (oft als Vier-Ohren-Modell bezeichnet) in jedem der Bücher auf. Nicht immer ist dabei ersichtlich, welchen Nutzen das Modell den Lernenden bringt (dazu Antos 1996:122–130).

4. Förderung der kommunikativen Fähigkeiten – Ziele und Mittel

Während linguistische Theorien eigentlich immer deskriptiv sind, verlangt die Didaktik der Lehrwerke Präskription und Normen.1 „Richtig“ und „falsch“ oder zumindest „weniger gut“ und „besser“ bezieht sich bei den Lehrwerken nicht nur auf Sprachrichtigkeit, sondern auch auf strategischen SprachgebrauchSprachgebrauchstrategischer in der mündlichen und der schriftlichen Kommunikation, einen Aspekt, der gegenüber den Lehrwerken der Sekundarstufe I (Efing 2013:244f.) neu ist.2 So findet sich z.B. in komm.de der folgende Dialog.

Alexa: Am besten ist, du gehst in eine andere Gruppe. Das letzte Mal hast du bei uns nur herumgesessen, hast fast nichts gearbeitet und dann eine gute Note kassiert.

Birthe: Du bist nur nachtragend. Du weißt doch gar nicht, wie ich heute arbeite. Und was du über die letzte Gruppenarbeit sagst, siehst du nur durch deine Brille.

Alexa: Also, dann wirst du dieses Mal alles mitschreiben, unsere Ergebnisse in den PC eingeben und auch alleine vortragen.

Birte: Ich soll also eigentlich alles machen!? (Maier 2016:11)

Dieser Dialog gilt als fehlerhaft. Weshalb das so ist, kann man auf derselben Seite nachlesen.

Verhalten bei Kritik

 Beschränken Sie sich auf die aktuelle Situation, wenn Sie jemanden kritisieren. Vermeiden Sie Vorwürfe zu Vergangenem.

 Formulieren Sie Ihre Kritik als Ich-Botschaft, damit der andere sein Gesicht wahren und sich leichter wehren kann.

Beispiel:

Ich habe den Eindruck, dass du zu viel in kurzer Zeit erledigen möchtest.

 Suchen Sie bei strittigen Fragen nach Übereinstimmungen oder Möglichkeiten eines Kompromisses. (Maier 2016:11)

Alexa hat gegen alle drei Regeln verstoßen, das ist klar. Weniger klar ist, was die Schülerinnen und Schüler bei einem solchen Vorgehen gelernt und verstanden haben, inwiefern sich dieser Einzelfall auf andere Situationen übertragen lässt, was die Grundlage für diese Regeln ist. Darf ich generell keine Vorwürfe zu Vergangenem erheben, auch wenn mein Gesprächspartner gestern mein Fahrrad kaputt gemacht hat? Weshalb soll ich jede Kritik in jeder Situation als Ich-BotschaftIch-Botschaft formulieren? Muss ich wirklich immer nach den Möglichkeiten eines Kompromisses suchen, auch wenn ich daran gar kein Interesse habe?

Sprachliche Verhaltensweisen, die ihren Ursprung in der Psychotherapie haben, werden zum Ausgangspunkt für Handlungspräferenzen, diese werden dann zu einer allgemein gültigen NormNormierung erhoben und in ein Rezept für gutes Kommunizieren umgewandelt. Die Schülerinnen und Schüler können auf dieser Grundlage KommunikationsfehlerKommunikationsfehler entdecken, diese korrigieren oder selbst Äußerungen nach einem solchen Muster erstellen. Die Ergebnisse erinnern manchmal an eine Parodie. So finden sich in Das Deutschbuch für Berufsschulen (Cornelsen) zwei Dialoge. Bei Dialog 2 werden all die Ratschläge zum „aktiven Zuhören“Zuhören berücksichtigt, mit deren Hilfe man „dem Gesprächspartner Wertschätzung vermittelt“, nämlich Bestätigungslaute wie „aha, mhm“ zu verwenden, klärende Rückfragen zu stellen und Aussagen in eigenen Worten zusammenzufassen (Ansel-Röhrleef et al. 2015:20).

Dialog 1

Ömer: Ich komme in dem Betrieb einfach nicht klar!

Tim: Ach, du übertreibst bestimmt.

Ömer: Nein, wirklich, ich verstehe manches nicht.

Tim: Mach dir nichts draus! Ich verstehe auch nicht immer alles, wird schon, immer locker bleiben!

Ömer: Ich weiß nicht …

Dialog 2

Ömer: Ich komme in dem Betrieb einfach nicht klar!

Tim: Aha?

Ömer: Es ist immer so hektisch da, der Meister hat nie Zeit für mich!

Tim: Der Meister hat also nie Zeit für dich?

Ömer: Na ja, ‚nie‘ ist vielleicht übertrieben. Vielleicht sollte ich mehr auf günstige Zeitfenster achten!

Tim: Ja, das solltest du vielleicht tun. (Ansel-Röhrleef et al. 2015:20)

Der Kontext dieser Dialoge bleibt völlig offen, man weiß nicht, wie Ömer und Tim zueinander stehen, in welcher Situation sie sprechen, welche Interessen sie verfolgen. So muss man zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass jedes Gespräch in jeder Situation besser wird, wenn man in der hier demonstrierten Weise aktiv zuhörtZuhören – ein mehr als fragwürdiges Lernergebnis.

Die Vorliebe für Normierung lässt sich in den Büchern auch beim Umgang mit schriftlicher Kommunikation feststellen. Eigentlich liefert die neuere SchreibdidaktikSchreibdidaktik (z.B. Becker-Mrotzek & Böttcher 2012) Konzepte, die sich gut für berufsbezogenes Schreiben eignen. Statt den Umgang mit einer schulischen Aufsatzform zu lernen, sollen die Schülerinnen und Schüler die Funktion des Schreibens in der jeweiligen Situation zum Ausgangspunkt der Schreibplanung, der Formulierung und der Überarbeitung dieses Textes machen. Das Schreiben kann so als sinnvoll erlebt werden, weil es die Lösung eines konkreten Problems darstellt. Dieses Verständnis von Schreibdidaktik findet man in den Lehrwerken nur in Ansätzen. So werden etwa Methoden wie die Schreibkonferenz oder die Textlupe eingesetzt, in manchen Fällen wird das Schreiben durch eine konkrete Situation motiviert (z.B. Das Deutschbuch für Berufsschulen), teilweise sollen vorgegebenen Texte überarbeitet werden.

Bei Schreibaufgaben, die realen, d.h. auch beruflichen Anforderungen entsprechen, werden Schreibplanung und Schreibprozess dadurch gesteuert, dass sich die Schreibenden mit der konkreten Situation auseinandersetzen und sich überlegen, welche Ziele sie verfolgen, welche Interessen die Adressaten haben, welche Einwände und Widerstände eventuell berücksichtigt werden müssen. Daraus ergibt sich dann alles Weitere, z.B. Auswahl und Nutzung von Material, Aufbau und Umfang des Textes, geeignete Formulierungen usw. Der Schreibauftrag muss dabei so aussehen, dass sich die relevanten Faktoren aus ihm ableiten lassen.

Die untersuchten Lehrwerke gehen schreibdidaktisch allerdings meist einen anderen Weg. Geschrieben werden Texte, die entweder einen erkennbaren Bezug zur Lebens- und Berufsrealität haben können (z.B. Protokolle, Berichte, etwa von Unfällen, Geschäftsbriefe, etwa Reklamationen etc.), oder solche, die in dieser isolierten Form nur in der Schule vorkommen (Inhaltsangaben von literarischen Texten, Beschreibung von Schaubildern, Visualisierungen, kreatives Schreiben usw.). Das Vorgehen ist in beiden Fällen identisch: Dem Text, der verfasst werden soll, werden Merkmale zugewiesen, diese werden dann teilweise noch durch Mustertexte illustriert (z.B. Maier 2013 und 2016). Die Qualität der Schülertexte wird danach bemessen, ob und in welchem Maße diese der NormNormierung entsprechen. Man könnte diese Vorgehensweise als „Didaktik des goldenen Buchs“ bezeichnen, die von der Vorstellung ausgeht, dass es an einem geheimen Ort (Lehrerzimmer? Kultusministerium?) besagtes Buch gibt, das allgemein gültig festlegt, wie genau gute Texte aussehen müssen. Das Lernen besteht dann darin, dass den Lernenden dieses verborgene Wissen durch das Schulbuch und den Unterricht zugänglich gemacht wird. Schülerinnen und Schüler müssen dann nicht nach der konkreten Situation oder der Funktion ihrer Texte fragen, es genügt, wenn sie die in jeder Situation gültigen Rezepte aus dem goldenen Buch verwenden – eine recht bequeme Vorstellung, aber leider auch eine, die den Aufbau echter Schreibkompetenz nicht fördert, sondern behindert.3

Als kurzes Fazit lässt sich festhalten, dass nicht alle Lehrwerke die spezifische (vor allem berufliche) Situation der Berufsschülerinnen und Berufsschüler angemessen berücksichtigen, dass die Bücher vor allem auf ein breites, für die knappe Unterrichtszeit viel zu umfangreiches Angebot von „klassischen“ Inhalten des Deutschunterrichts aus der Sekundarstufe I setzen, aus dem die Lehrkräfte eine relativ beliebige Auswahl treffen sollen. Dabei ist die inhaltliche Orientierung, die festlegt, was gelernt werden soll und worauf das fragliche Wissen beruht, nicht in allen Fällen überzeugend, wie am Beispiel der Argumentation oder der Verwendung psychologischer Gesprächsstrategien gezeigt wurde. Ähnlich kritisch lassen sich auch die didaktischen Überzeugungen kommentieren, die in vielen Büchern erkennbar werden. Die so wichtige und dringend notwendige Förderung der kommunikativen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler beruhen oft auf einer „Didaktik des goldenen Buchs“, also auf fragwürdigen Normierungen und dem Vermitteln von starren Mustern, die reproduziert werden sollen, ohne dass der jeweilige Funktionszusammenhang von Texten und Äußerungen angemessen berücksichtigt würde.

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996 s. 45 illüstrasyon
ISBN:
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