Kitabı oku: «Sprachkritik und Sprachberatung in der Romania», sayfa 2

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1. Frankophoner Raum
Sprachstil – Sprachvariation – Sprachwandel? Jacques Olivier Grandjouan, Les linguicides (1971)

Philipp Burdy (Bamberg)

1 Einleitung

In den letzten Jahren hat der Germanist Jan Georg Schneider wiederholt die Forderung erhoben, die professionelle Linguistik dürfe den Diskurs über Sprachrichtigkeit nicht trivialisieren (vgl. Schneider 2005 und Schneider 2007). Aufgrund des Selbstverständnisses, eine rein deskriptive Wissenschaft zu sein, beschreibt man allenfalls laienlinguistische Sprachkritik aus der Außenperspektive, ohne jedoch zu den dort diskutierten Phänomenen Stellung zu nehmen (vgl. Schneider 2007, 18ff.). Häufig wird in der Publizistik genau das pauschal als ‘Sprachverfall’ angeprangert, was die Linguistik – übrigens oft ebenso pauschal – als ‘Sprachwandel’ ansieht. Im Sinne einer von Schneider befürworteten differenzierteren Auseinandersetzung mit den Monita der Sprachkritiker soll in den folgenden Ausführungen ein sprachkritischer Essai betrachtet werden, der bereits vor mehr als vierzig Jahren in Frankreich erschien: Jacques Olivier Grandjouan (1971): Les linguicides, Paris, Didier.

Der Text erfuhr eine geringe fachwissenschaftliche Rezeption zur Zeit seines Erscheinens, was typisch für die Gattung Sprachkritik ist. Bekannt sind mir lediglich zwei Kurzanzeigen, die eine von dem aus der französischen Lexikologie bekannten Louis Guilbert (1972), die andere von André Haudricourt (1973). Andererseits erlebte das Werk eine zweite Auflage (Grandjouan 1989) und wird auch in jüngerer Zeit vor allem in Arbeiten zur Diskursanalyse und zur Übersetzungswissenschaft gelegentlich zitiert.

Die Originalität des Buches von Jacques Olivier Grandjouan besteht darin, dass es ihm nicht um das gesprochene, sondern um das geschriebene Französisch geht und dass hier – im Gegensatz zu anderen sprachkritischen Pamphleten – kein Feldzug gegen Neologismen und Lehnwörter geführt wird. Der Ausdruck crise du français kommt an keiner Stelle im Buch vor. Der Vf. ist vielmehr ausgesprochener Befürworter von Wortneubildungen, was schon der Titel des Buches Les linguicides ‘die Sprachtöter’, gebildet nach dem Muster von tyrannicide, légicide usw., zeigt. Er ist erklärter Gegner sowohl des Purismus als auch des willenlosen Antipurismus und rechnet in seinem Buch mit beiden Gruppen rigoros ab. Thema des Ganzen ist eine Analyse des Stils vor allem der französischen Publizistik und die Identifizierung der sogenannten ‘Sprachtöter’, die das geschriebene Französisch von innen heraus zersetzen.1 Der Vf. spricht von contagion grammaticale und tripatouillage de notre langue (Grandjouan 1971, 19 und 25). Der Text ist in einem essai-artigen Stil mit vereinzelten Literaturverweisen gehalten; der Vf. selbst ist ausgebildeter Philologe und promovierter Psychologe und beherrscht zahlreiche Fremdsprachen. Er hat viele Jahre als Lehrer für Französisch als Fremdsprache in aller Welt und als Übersetzer bei den Vereinten Nationen gearbeitet. Ferner war er Verfechter innovativer pädagogischer Ansätze.

2 Les linguicides: Inhaltsüberblick

Sein Buch über die ‘Sprachtöter’ gliedert der Vf. in fünf Teile und bedient sich hierbei der Metapher der Sprache als erkranktem Organismus. Der einleitende Teil, der circa zehn Jahre vor dem übrigen Text entstanden ist, liefert allgemeine Bemerkungen zu Sprachwandel und Sprachgebrauch (Considérations préliminaires sur les mots d’emprunt, l’usage, l’impudence des auteurs et le désarroi du public). Der zweite Teil diagnostiziert die ‘Krankheit’ des Französischen (Le malade et la maladie), während sich der dritte Teil ausführlich mit den ‘Infektionsherden’ befasst (Foyers d’infection). Der vierte Teil identifiziert diejenigen Kreise, die der Vf. für die Krankheit verantwortlich macht (Les linguicides); ein kurzer Schlussteil zeigt ‘Heilungsansätze’ auf (Les remèdes).

Im Folgenden soll ein Überblick über den Inhalt der einzelnen Teile geliefert werden. Der einleitende erste Teil bietet zutreffende Beobachtungen zu Sprachwandel im Allgemeinen, zu lexikalischem Wandel und zum Begriff des usage. Der Vf. gibt sich hier als versierter und gut unterrichteter Linguist zu erkennen. Er bekennt sich zu notwendigen Neologismen, die er als oxygène du vocabulaire bezeichnet (4),2 und erteilt dem Purismus eine Absage: „Pour garder une langue pure, il n’y a qu’un moyen: la tuer et l’empailler“ (5). Andererseits lehnt er die willenlose Akzeptanz aller Neuerungen durch die Antipuristen gleichermaßen ab (vgl. 7). Der usage ist für den Vf. der Sprachgebrauch der Mehrheit, ganz gleich welchen Bildungsgrades, der bon usage sei dagegen nur theoretisch zu definieren: „Encore une fois, le système est théoriquement simple. Le bon usage est celui qui est commun à la langue littéraire et à la langue vulgaire, commun aux poètes et aux crocheteurs“ (13). Die sprachlichen Autoritäten haben sich verschoben: Nicht mehr Autoren und Chansonniers bringen neue Wendungen und Neologismen in Umlauf, sondern die Medien (vgl. 15). Der Vf. fragt sich daher, weshalb die französische Öffentlichkeit derart unkritisch den ebenso unbeholfenen wie prätentiösen Sprachgebrauch der Publizistik akzeptiere (vgl. 19). Überflüssige Entlehnungen seien hierbei nicht das Problem, sondern nur ein Symptom für den besorgniserregenden Zustand des Französischen. Hätte es sich nicht selbst verwundbar gemacht, würden diese nämlich gar nicht eindringen (vgl. 19). Schon hier wird klar, dass der Vf. es vor allem auf den Journalistenjargon abgesehen hat. Er formuliert zwei Leitfragen, die die folgenden Teile des Buches charakterisieren (vgl. 26): Woher rührt die sprachliche Sorglosigkeit der Publizistik? Und woher die Passivität und sprachliche Manipulierbarkeit der französischen Öffentlichkeit?

Der Vf. skizziert zunächst die qualités propres du français, die in ihrer Summe den génie de la langue française ausmachen, nämlich clarté, précision, sobriété, tenue und élégance (32). Dies sind Stereotype, die spätestens seit Rivarol im sprachkritischen Diskurs verankert sind. Gleichzeitig bilden diese für den Vf. die critères de santé des Französischen (32). Abweichungen hiervon seien folglich Symptome einer Krankheit. Gegenstand der Betrachtung ist dabei nur das geschriebene français commun de tout le monde, nicht aber die gesprochene Sprache, die vom Vf. nicht als krank angesehen wird. Auch das rein literarische oder rein technische Französisch seien weitaus weniger betroffen (vgl. 33). Im sich anschließenden Teil des Buches will nun der Vf. anhand einer Fülle von Beispielen, die aus publizistischen und administrativen Texten stammen, den Nachweis erbringen, dass sämtliche genannten Qualitäten des Französischen am pourrissement de la langue leiden. Die clarté sei in erster Linie durch die équivoque, also die Doppeldeutigkeit, bedroht:

Une crise de conscience douloureuse (39) ([Weshalb nicht:] Une douloureuse crise de conscience ?) (43)

Les états indépendants de l’Afrique (40)

Les usines privées de métallurgie (40)

„Stage destiné aux professeurs de français libanais“ – Pourquoi n’ont-ils pas écrit: les Libanais professeurs de français ? (44)

„Jeux interdits sur la plage“ ou „Stationnement dans le village interdit“ peuvent être de simples notices municipales ou le titre de récits scabreux et romanesques (45)

„Les territoires voisins de la Zambie et de la Tanzanie“ – Quant à la Zambie et à la Tanzanie, il est sûr qu’ils ont d’intéressants voisins, mais est-ce d’eux que le journal veut nous parler ? (46)

L’encouragement de l’industrie : L’encouragement que représente l’industrie ? L’encouragement donné à l’industrie ? L’encouragement donné par l’industrie ? (47)

„Retour à la Tchécoslovaquie de Beneš et de Masaryk“ – retour des cendres? On les lui rend ? (48)

„Le premier ministre tchécoslovaque des affaires étrangères d’après-guerre“ – on a probablement confié à un historien celles d’avant la guerre. (49)

Jean nous lira une lettre de Marie qu’il a reçue en Normandie la semaine dernière. (52)

Celui qu’elle veut épouser, c’est un ingénieur vivant en Californie et gagnant beaucoup d’argent. – Et comment s’appelle-t-il? – Ça je te le dirai quand elle l’aura trouvé. (59)

Die Art der Kommentierung der Beispiele erinnert an den Stil der Remarqueurs vergangener Jahrhunderte. Als Schöpfer solcher Unklarheiten identifiziert der Vf. u.a. Journalisten und Verwaltungsbeamte; der klassischen Sprache und dem gesprochenen Französisch seien derartige Lapsus dagegen fremd (vgl. 55 und 59). Den sich anschließenden Abschnitt über Verstöße gegen die précision leitet der Vf. mit folgenden Worten ein: „Au musée des horreurs de la sémantique, ces mots employés de travers occupent des rayons entiers, à côté de la salle des emprunts mal compris“ (66). Er gibt u.a. die folgenden Beispiele:

„La réussite de la mission dépend de la tenue de cette conférence.“ – Du style de la conférence? (76)

„Atterrissage sur le ventre d’un Tupolev 124.“ – Drôle d’endroit pour atterrir. (78)

Besonders interessant ist die Beobachtung, dass in der Sprache der Publizistik das complément circonstanciel mehr und mehr zum complément du nom wird:

„Leur réunion sur les rapports avec Bonn“ (79)

„La situation en Indonésie a empiré“ (80)

„Le film évoque un drame sous la terreur“ (80)

Das Französische scheint also ein neues Verfahren zur näheren Bestimmung von Nominalphrasen zu entwickeln (vgl. 97). Dazu kommt eine Tendenz, (Verbal-)Abstrakta mit Infinitiven zu verbinden, was der Vf. als rections inédites bezeichnet:

[Korrekt ist:] Une menace de contagion, un effort de clarté, une tentative d’assassinat

[Nicht aber:] Sa menace de dénoncer, son défi d’agir, son effort de nuire, son accusation de mentir, sa tentative de perdre (82)

L’expression la demande de répondre peut vouloir dire que A demande à B l’autorisation de répondre, que A voudrait que B réponde, que A demande à B de faire répondre C. Bel exemple de confusion. (82)

Méthode, procédé, technique, procédure ne sont-ils pas les synonymes modernes de moyen, façon, manière ? Allons vite, et disons : „la méthode d’aborder le problème“, „les procédés de raffiner l’huile brute“, „les techniques d’alimenter les masses“, „la procédure de révoquer les ordonnances“. (83)

Die sobriété des Französischen werde beeinträchtigt durch weitere Phänomene journalistischer und administrativer „Logorrhö“ (87):

„Les températures relevées au cours de la journée marquent une nette augmentation par rapport à la moyenne de celles de la journée précédente“ = Il a fait plus chaud aujourd’hui qu’hier. (87)

„Dans l’état actuel de mes informations et étant donné les circonstances, il m’est naturellement impossible de vous donner une réponse formelle dans un sens ou dans un autre“ = je n’en sais rien, expression qui appartient désormais à une langue oubliée. (87)

Der Vf. fragt sich ferner, weshalb man in Zeitungen und Magazinen häufig folgendes liest:

[établir une distinction statt distinguer; manifester un souhait statt souhaiter; selon lequel statt einfachem que; en considération du fait que statt parce que; parallèlement au fait que statt pendant que:] Une fois sur cent, peut-être, la tournure est utile. Le reste du temps, elle est à mettre au panier. (101)

Alles, was den Rede- bzw. Lesefluss verlangsamt und aufbläht, scheine Journalisten, Funktionären und Politikern willkommen zu sein (vgl. 103). Im Abschnitt zur tenue geht es vor allem um die Zersetzung typisch französischer idiomatischer Strukturen, der sogenannten Gallizismen. Der Vf. zitiert etwa folgende Fälle:

„Ses parents adoptifs la considèrent être leur fille“ [→ juger être oder considérer comme, aber nicht considérer être] (129)

„Les réfugiés estiment qu’on a fait trop bon cas de leurs intérêts.“ [→ trop peu de cas oder trop bon marché] (127)

„une solution acceptable pour toutes les parties“; „Ce style est hermétique à la plupart des lecteurs“ Tous ces adjectifs se suffisent à eux-mêmes, sans qu’un régime les accompagne (131f.)

[Korrekt ist:] Les prisonniers ont utilisé leurs draps pour glisser jusqu’à terre. [Aber nicht:] utiliser l’escalier roulant [utiliser ‘rendre utile’!] (113)

Ebenso oft lese man in Pressetexten etwa l’empereur iranien, le président chilien, was korrekt l’empereur d’Iran, le président du Chili heißen müsste, da es um deren Funktion und nicht um deren Herkunft gehe (135). In Fällen wie le sénateur Kennedy, le ministre Guichard sieht der Vf. schließlich einen Einfluss des Englischen (Senator Kennedy usw.); französisch wäre die Nachstellung: M. Labiche, député, M. Tartempion, sénateur (139).

Die abschließend behandelte gefährdete Qualität des Französischen ist die élégance, die quasi die Summe der zuvor genannten Vorzüge des Französischen darstelle. Der Vf. lehnt hier grundsätzlich archaisierende Wendungen ab, ferner kritisiert er den übermäßigen Gebrauch von soi: „L’augmentation constante de la production n’est pas en soi un avantage“ [richtig wäre en elle-même] (148), und kommentiert dies mit folgenden Worten: „Les auteurs montrent qu’ils ont été à l’école – et qu’ils y ont perdu leur temps“ (148). Ein weiteres behandeltes Phänomen ist die zunehmende Polysemie alteinheimischer französischer Wörter in journalistischen Texten, worin der Vf. eine Gefahr sieht, da genuin französische Strukturen allmählich zersetzt würden: „Quant à présenter, il devient verbe à tout faire: on ne dépose plus un projet de loi, on le présente, l’ambassadeur n’adresse plus ses rapports, il les présente“ (151). Schließlich zieht der Vf. am Ende der ersten Hälfte seines Buches folgendes Fazit: „La langue est en pleine crue ; boueuse, encombrée d’énormes débris et de charognes gonflées, c’est un fleuve qui a perdu ses rives“ (153).

In den nun folgenden Teilen seines Buches nimmt sich der Vf. die von ihm identifizierten Milieus, die er für die beschriebenen Defizite des geschriebenen Französisch verantwortlich macht, einzeln vor, nämlich die Schule, die Verwaltung, die Übersetzer, die Presse, die Reklame und die Puristen. Zunächst fasst er nochmals die Gründe dafür zusammen, dass diese linguicides einen derart starken Einfluss ausüben:

Les Français ignorent les ressources de leur langue ou n’osent pas les employer.

Les Français essaient de se créer de nouvelles ressources linguistiques pour remédier à cette pauvreté volontaire.

Les Français ont peur de parler et d’écrire comme leur penchant les y mènerait, et ils se forcent à parler bien pour être considérés.

Les Français ont de l’école et des puristes une peur paralysante, et ils sont sans défense devant les marchands de mots (159)

Es ist mithin offensichtlich, dass das Übel laut dem Vf. nicht von außen kommt. Die Schule gebe keine Hilfestellung bei der Vermeidung der von ihm angeprangerten sprachlichen Defizite, sondern korrigiere grundsätzlich das Französisch der Schüler und lehre aberwitzige Grundsätze wie die Vermeidung von Parataxen und Wiederholungen (vgl. 180ff.): „L’école fait la guerre au français vivant au nom d’un français qui n’a jamais existé“ (172). Eines dieser von der Schule propagierten ‘Sprachmonster’ sei das Partizip Präsens an der Stelle eines Relativsatzes, das nur die Schule, nicht aber die alte Sprache oder die Sprache der weniger Gebildeten kenne (vgl. 173ff.). Der Schulunterricht gehöre daher zu den „linguicides malgré eux“ (182). Als nächste linguicides werden Justiz und Verwaltung identifiziert, die geradezu aus Angst vor der alltäglichen Sprache den style adjutant produzieren, den juristisch-administrativen Jargon. Dieser sei letzten Endes eine Konsequenz der Ordonnance de Villers-Cotterêts: „La justice, la basoche, les notaires, les bureaux, et peu à peu les services de l’Etat ont façonné, conservé et embelli une langue aussi obscure que le latin défunt“ (185). Früher, so schreibt der Vf., amüsierte man sich über die unnatürliche Sprache des Dorfpolizisten, den sogenannten style garde champêtre, heute lache niemand mehr. Man habe genug damit zu tun zu verstehen, was das Amt schreibt (vgl. 196). – Bei seiner Kritik an den Übersetzern hat der Vf. nicht die literarischen Übersetzer im Auge, sondern alles, was unter traductions utilitaires fällt. Viele Texte des täglichen Gebrauchs sind nämlich Übersetzungen und die meisten von diesen seien durch hastige Arbeit, impropriétés, gaucheries und faux-amis geprägt (vgl. 200):

L’étrange langue des traducteurs ne leur appartient plus exclusivement. Les gaucheries, les longueurs et les faux-sens qu’on tolère chez eux passent sans filtrage dans la langue commune. (225)

Dass der Vf. die Sprache der Presse als eine der Hauptschuldigen für die fortschreitende innere Zersetzung des Französischen ansieht, wird dem Leser schon in der ersten Hälfte des Buches mehr als deutlich.3 Dies wiege umso schwerer, als der Publizistik eine hohe Verantwortung in der gegenwärtigen Gesellschaft zukomme: Zeitungen und Magazine, so der Vf., seien schließlich die „forme principale de la culture écrite“ (237). Der sich daraus ergebenden Verpflichtung werde die Presse allerdings alles andere als gerecht:

Le style journaliste n’est ni soutenu, ni familier, il est négligé. (238)

Chaque page de journal, et souvent chaque colonne, ont des travers propres dont la somme fait de la lecture des périodiques un empoisonnement lent, mais général. (236)

Am Rande geht der Vf. auch auf die gesprochene Sprache der Medien ein und kritisiert deren eigenartige Phonetik, etwa die Tendenz zur Sonorisierung von [s] und [k] vor Konsonant, also législatif [leʒizlatif], optimisme [ɔptimizm], technique [tɛgnik], oder aber die Aussprache fremder Eigennamen, die bei jedem Rundfunksprecher anders, aber bei praktisch keinem korrekt sei. H.J. Wolf beobachtete etwa zur gleichen Zeit die Aussprache von Bruxelles mit [ks], die man selbst in belgischen Medien hört (vgl. Wolf 21991, 170). Auch in der Sprache der Reklame diagnostiziert der Vf. Einflüsse des Angloamerikanischen, etwa in Wendungen wie buvez français, voyagez français, die wohl Ausdrücke wie Buy British kopieren (vgl. 256). Außerdem werde in der Werbebranche jedes Wort, jede Wendung, die sprachlich betrachtet ein schlechtes Gewissen hervorrufen, in Anführungszeichen gesetzt:

Les guillemets sont l’antichambre et le purgatoire des sottises et des plates horreurs dont fourmillera demain le français de tous les jours. (126)

Den Abschluss der Identifizierung der linguicides bildet eine Abrechnung mit dem Purismus. Der Vf. plädiert für die Aktivierung ungenutzter Ressourcen des Französischen, nicht dagegen für eine Wiederbelebung von Archaismen. Daher wirft er den Puristen Folgendes vor:

Inventer enfin, c’est créer, et les puristes ne redoutent rien tant que la procréation. Ce sont les grands avorteurs. (267)

Die Reihe sprachlicher Abtreibungen und Sterilisierungen seit dem 17. Jahrhundert führe dazu, dass das Französische heute wie Schneewittchen im Glassarg liege, das man von außen betrachten, aber nicht aufwecken wolle (vgl. 272). Amüsant zu lesen ist die nun folgende persönliche Abrechnung des Vf. mit prominenten französischen Sprachkritikern (vgl. 273f.), nämlich „Robert-la-Pudeur“, also Robert Le Bidois, „René-la-Haine“, also René Étiemble, und „Marcel-sans-Gêne“, also Marcel Cohen. Étiemble wirft der Vf. sprachgeschichtliche Ignoranz vor, Cohen vergleicht er mit einem inspecteur Michelin. Für ihn leiden Puristen wie Antipuristen an Hypertrophie der Urteilsfähigkeit. Alle praktizieren ein jugement moral, das heißt, irgendein Sprachgebrauch ist entweder gut oder schlecht, doch sie weigern sich anzuerkennen, dass das Französische an einer maladie sociale leide (vgl. 282). Im Anhang liefert der Vf. schließlich eine synoptische Darstellung der von ihm analysierten Sprachphänomene.

Nach dieser fast 300 Seiten starken Anklage ist der Leser neugierig zu erfahren, wie der Vf. die Heilungschancen beurteilt. Seine These ist die folgende: Mehr Freiheit dort, wo Einschüchterung herrscht, gemeint sind die Schule und die Puristen, und mehr Feingefühl dort, wo Missbrauch herrscht, gemeint ist die Publizistik:

Ma thèse est donc qu’en mettant la liberté là où il y avait la contrainte et en essayant de mettre de la décence là où il n’y avait que des abus, on rendra à la langue commune la vigueur qu’il lui faut pour résister aux attaques futures des linguicides, même assagis. (295)

Der Vf. zieht eine gewisse sprachliche Anarchie der aktuellen Situation vor, denn die Bevormundung durch Schule und Puristen mache die Sprecher anfällig für die Nachahmung vermeintlicher Autoritäten wie Presse und Verwaltung (vgl. 296). Karikaturesk erscheint hingegen, was dem Vf. zur Eindämmung sprachlichen Missbrauchs konkret vorschwebt. So müssten innerhalb der Zeitungsredaktionen Geldbußen für sprachliche Nachlässigkeit eingeführt werden und in der Werbebranche der Gebrauch von alles entschuldigenden Anführungszeichen verboten werden (vgl. 300f.). Ernster zu nehmen ist dagegen die Forderung nach einem Umdenken im Schulwesen (vgl. 303ff.). Bereits der Grundschüler solle dazu ermuntert werden, sich spontan und frei auszudrücken, und zwar mündlich wie schriftlich, anstatt dass man ihn durch orthographische und schulgrammatische Unterweisung kommunikativ verunsichere und lähme. Es geht dem Vf. letztlich um eine Wiederbelebung des natürlichen, klaren Sprechens. Daraus ergebe sich das klare Schreiben von selbst (vgl. 314).

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