Kitabı oku: «Sprachkritik und Sprachberatung in der Romania», sayfa 3

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3 Kritik

Was ist nun von diesem Pamphlet im Ganzen zu halten? Jacques Olivier Grandjouan ist durchaus ein Linguist und verfügt über exzellente sprachhistorische Kenntnisse. Er zitiert Du Bellay, dessen Vorliebe für Wortneubildungen er teilt. Seine Glossen erinnern an den Stil Malherbes, ein fingierter Dialog mit einem Puristen gemahnt ebenfalls an prominente Vorbilder in der Sprachgeschichte. Die linguistischen Analysen des Vf. sind in der Sache stets nachvollziehbar. Dennoch wählt er für sein Buch den Essai-Stil und rechnet sich selbst nicht der Gruppe der Sprachwissenschaftler zu, wodurch der Text in der Mitte zwischen Laienlinguistik und wissenschaftlicher Prosa anzusiedeln ist. Der Vf. argumentiert aus seinem untrüglichen Sprachgefühl heraus – was er übrigens den Puristen vorwirft – und verzichtet auf sprachhistorische Nachweise seiner Monita. Mal verwendet er phonetische Transkriptionen, mal nicht. Mal verwendet er konventionelle linguistische Termini, dann bezeichnet er Verbalabstrakta als maçdar (78 u.ö.), also mit einem Terminus aus der arabischen Grammatik. Der Vf. beherrscht zahlreiche Fremdsprachen, darunter Arabisch und exotische Sprachen, und scheint eine enorme Übersetzungspraxis zu besitzen. Zweifellos kennt er alle Finessen des genuin französischen Wortschatzes. Auffällig ist, dass der Vf. an mehreren Stellen die Beeinträchtigung der Normaussprache durch phonetische Merkmale des Midi kritisiert. Sein Familienname Grandjouan deutet hingegen darauf hin, dass er selbst aus Südfrankreich stammt. Es handelt sich hierbei um eine Art linguistischer Selbstgeißelung, die man ansonsten vor allem aus Belgien kennt.

Was kann man dem Vf. vorwerfen? Er ist zweifellos ein besserer Beobachter des Sprachgebrauchs als ein Entwickler konstruktiver Ideen zur Verbesserung des Ist-Zustandes des Französischen, die ihm vorschwebt. Die ihm eigene Metaphorik macht die Lektüre oft amüsant, doch die zentrale, das ganze Buch durchziehende Metapher der Sprache als kranker Organismus ist weder neu noch originell,4 ebensowenig der Rückgriff auf das Konzept des génie de la langue française. Die dem Vf. vorschwebende Instanz eines nationalen Sprachschiedsrichters erinnert stark an ihn selbst: „… un philologue compétant auquel la langue du temps sera aussi familière que la langue d’autrefois. J’aimerais penser qu’il saura aussi une ou deux langues étrangères et qu’il sera un peu linguiste“ (298). Was bleibt, ist die brillante Analyse der Sprache der französischen Presse und Publizistik. Der Linguist André Haudricourt lobte das Buch in seiner Kurzanzeige als eine der besten Einführungen in die Sozio- und Ethnolinguistik, was der Vf. gar nicht angestrebt hatte. Vielmehr handelt es sich um eine auch heute noch über weite Strecken äußerst lesenswerte Abhandlung über französische Stilistik: Dem Leser wird zum einen der Ist-Zustand der französischen Mediensprache bewusst gemacht, zum anderen erhält er Fingerzeige auf nachzuahmenden und zu vermeidenden Sprachgebrauch. Dass etwa Doppeldeutigkeiten (équivoques), falsch gebrauchte Phraseologismen, unnötige locutions verbales und vermeintliche Synonyme5 auch die französische Mediensprache von heute kennzeichnen, wird niemand in Abrede stellen.

4 Variation oder Wandel?

Die Hypothese des Vf., dass der Sprachgebrauch der Publizistik schleichend das français commun beeinflusst, scheint vierzig Jahre später im world wide web in einigen Fällen ihre Bestätigung zu finden, jedoch nicht grundsätzlich. Ich gebe nur einige wenige Beispiele: Das vom Vf. kritisierte capacité d’achat (22) liefert rund 325 000 Google-Treffer, das als korrekt erachtete pouvoir d’achat hingegen 7 340 000 Treffer. TLFi und GR verzeichnen capacité d’achat nicht. Ein ähnliches Bild liefert coût de la vie, nach englisch cost of living gebildet und vom Vf. abgelehnt (225), gegenüber prix de la vie: 12 800 000 Google-Treffern für die kritisierte Form stehen 39 900 000 Treffer für die korrekte Form gegenüber. Der GR (s.v. vie) und der TLFi (ss.vv. vie, coût) verzeichnen beide Varianten. Anders liegen die Dinge im Fall von niveau de vie vs. train de vie: Das vom Vf. getadelte niveau de vie (310) hat im Internet die andere Variante bereits überrundet (55 100 000 gegenüber 25 000 000 Treffern). Der GR und der TLFi liefern beide Varianten (ss.vv. niveau, train). Die vom Vf. kritisierte Verwendung von escalade in der Bedeutung ‘Eskalation’ ist im GR und im TLFi verbucht, die Zitate stammen jedoch tatsächlich zum größten Teil aus Presse und Publizistik (Le Monde, Le Figaro u.a.). Ein weiterer kritisierter mauvais usage scheint tatsächlich auf dem Vormarsch zu sein: Der Vf. spricht mit Blick auf les Caraïbes von einer „entité mystérieuse“, denn: „Passez vos vacances aux Caraïbes c’est comme si on nous disait : Passez vos vacances aux Avernes“ (136). Auch GRnpr (1, 545) und Lexis (2009, 271) teilen mit, dass mit Caraïbes ein Volk benannt werde, das einst die Kleinen Antillen besiedelte bzw. mit caraïbe die Sprache dieses Volkes. Ein anderes Bild liefert der entsprechende Wikipedia-Artikel Caraïbes: „Les Caraïbes […] sont une région du globe correspondant au bassin versant de la mer des Caraïbes“.6 Auch entsprechende Google-Suchen belegen, dass der vom Vf. bemängelte Usus, mit Caraïbes eine geographische Region zu benennen, inzwischen gang und gäbe ist: vacances aux Caraïbes liefert 12 900 Google-Treffer, voyage aux Caraïbes 13 400 Treffer und croisière aux Caraïbes 15 200 Treffer. Die entsprechenden Varianten vacances, voyage aux Antilles liegen mit 44 600 bzw. 24 700 Treffern noch vorn, nicht jedoch croisière aux Antilles (13 700 Treffer).

Auf der Grundlage der hier erörterten Sprachdaten lässt sich exemplifizieren, was K. Hunnius unlängst anhand von Beispielen aus dem Bereich der französischen Morphosyntax gezeigt hat: Variation ohne Wandel stellt ein reales Szenarium in der Sprachgeschichte dar (vgl. Hunnius 2015, 602f.). Zumindest für den hier betrachteten, zugegebenermaßen kleinen Ausschnitt aus der französischen Sprachgeschichte (des 20. Jahrhunderts) zeigen die Beispiele, dass in den fünfziger und sechziger Jahren genauso wie zu Beginn des 21. Jahrhunderts Variation zu beobachten ist; in einigen Fällen mag diese Variation auf künftigen Wandel hindeuten, vollzogen ist dieser in keinem Fall: Hierfür müsste sich erst ein Statuswechsel abzeichnen, der eine in der Vergangenheit als korrekt erachtete Variante stigmatisiert (vgl. Hunnius 2015, 603). Diese Feststellung gilt nicht nur für die soeben erörterten Beispiele, sondern lässt sich auf sämtliche in dem Buch thematisierten Belege für nachlässigen Sprachgebrauch, denen der Vf. den seines Erachtens korrekten gegenüberstellt, ausdehnen: In keinem einzigen Fall kann davon die Rede sein, dass J.O. Grandjouan in seinem Werk Les linguicides einen usage propagiere, der heutzutage nachweislich in irgendeiner Form proskribiert wäre. Also kein Wandel, sondern Fortbestehen der Variation.

Literaturverzeichnis

GR = Robert, Paul/Rey, Alain (eds.) (2011): Le Grand Robert de la langue française, version numérique, http://gr.bvdep.com.

Grandjouan, Jacques Olivier (1971): Les linguicides, Paris, Didier.

Grandjouan, Jacques Olivier (1989): Les linguicides, Aix-en-Provence, Martorana.

GRnpr = Robert, Paul et al. (eds.) (1986): Le Grand Robert des noms propres. Dictionnaire universel alphabétique et analogique des noms propres, Paris, Le Robert.

Guilbert, Louis (1972): [Rez. zu „J.O. Grandjouan, Les linguicides, Paris: Didier 1971“], in: Bulletin de la Société de Linguistique de Paris, vol. 67, Nr. 2, 169–171.

Haudricourt, André G. (1973): [Rez. zu „J.O. Grandjouan, Les linguicides, Paris: Didier 1971“], in: L’Homme, vol. 13, Nr. 1, 260–261.

Hunnius, Klaus (2015): „Sprachgeschichte und Sprachvariation. Zur Imperfektverwendung in der Protasis des französischen Bedingungssatzes“, in: Zeitschrift für romanische Philologie, vol. 131, Nr. 3, 587–604.

Lexis = Haboury, Frédéric (ed.) (2009): Le Lexis. Le dictionnaire érudit de la langue française, Paris, Larousse.

Schneider, Jan Georg (2005): „Was ist ein sprachlicher Fehler? Anmerkungen zu populärer Sprachkritik am Beispiel der Kolumnensammlung von Bastian Sick“, in: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur, vol. 2, 154–177.

Schneider, Jan Georg (2007): „Sprache als kranker Organismus. Linguistische Anmerkungen zum Spiegel-Titel ‚Rettet dem Deutsch!‘“, in: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur, vol. 1, 1–23.

TLFi = Trésor de la langue française informatisé, Paris/Nancy, CNRS/ATILF, http://atilf.atilf.fr/tlf.htm.

Wolf, Heinz Jürgen (1979/21991): Französische Sprachgeschichte, Heidelberg, Quelle & Meyer.

Sprachpflegerische Welten im Internet:

Sprachnormierungskriterien in Deutschland und Frankreich aus argumentationsanalytischer Perspektive

Vera Neusius (Saarbrücken)

1 Einleitung und Zielsetzung

Die in der heutigen Zeit immer weiter fortschreitende und sich diversifizierende mediale Praxis, darunter insbesondere internetbasierte Kommunikationsformen, fordert gerade im Rahmen einer Angewandten Linguistik die Erweiterung verschiedener sprachwissenschaftlicher Forschungsbereiche. Die Sprachpflege und Sprachkritik als einer dieser Bereiche steht sowohl in Deutschland als auch in Frankreich in einer langen Forschungstradition und sieht sich im gegenwärtigen Zeitalter globaler kommunikativer Prozesse mit neuen Entwicklungen konfrontiert: Der Wirkungsbereich metasprachlicher Diskurse hat sich auf neue Bereiche wie das Internet ausgeweitet und die Diskussion über Sprache und Sprachbewusstsein deckt nunmehr neben Wissenschaft und Politik einen immer größer werdenden Teil der Öffentlichkeit ab. Dass dabei „[j]e nach Akteur und Aktionsebene […] unterschiedliche Aspekte im Vordergrund [stehen]“ und „die Grenzen zwischen ihnen […] mitunter verschwommen [erscheinen]“ (Polzin-Haumann/Osthus 2011, 13) erschweren eine aus wissenschaftlicher Perspektive vollständige Erfassung sprachpflegerischer Diskurse, weshalb eine ihrer Komplexität angemessene, terminologisch und methodisch interdisziplinär angelegte Herangehensweise anzuwenden ist. Vor diesem Hintergrund strebt der Beitrag eine kontrastive Untersuchung aus diskurslinguistischer Perspektive an, die laienlinguistische Online-Kommunikation als sprachnormativen Teildiskurs in Deutschland und Frankreich fokussiert. Dabei soll zunächst exemplarisch geprüft werden, ob in Foren und sozialen Netzwerken verbalisierte Einstellungen zu Sprache und ihren Sprechern bereits historisch gewachsenen Normierungskriterien zugeordnet werden können. Im Anschluss sollen im Rahmen argumentationsanalytischer Überlegungen zentrale argumentative Strukturen der Diskursteilnehmer herausgearbeitet werden, um die innere Struktur laienlinguistischer Sprachthematisierungen genauer zu durchleuchten.

2 Sprachpflege und Laienlinguistik in öffentlichen Diskursräumen

Hoberg (1997, 55) definiert den Kommunikationsbereich Öffentlichkeit als „[…] alles, was nicht Linguistik ist und was >Publizität< beanspruchen kann“. Diese auf der einen Seite zunächst sehr offen anmutende Begriffsbestimmung impliziert auf der anderen Seite ein Verständnis von Öffentlichkeit als klar abgestecktem, geschlossenen Raum, in dem die äußeren Akteurspositionen „>Experte< und >Laie< […] zwei Pole auf einem Kontinuum sind“ (Spitzmüller 2005, 71). Wie aber der Übergang zwischen Experten und Laien nicht als absolut, sondern graduell zu verstehen ist (vgl. Stegu 2008, 84), so ist auch deren Wirkungsbereich Öffentlichkeit als offener und vernetzter Bereich zu verstehen, der gerade durch die Verwendung massenmedialer Formen wie des Internets seine Heterogenität und fließende Grenzen erhält. Dennoch erlauben die sich in metasprachlichen Kontexten manifestierenden Unterschiede zwischen Laien- und Expertentum – letzteres oftmals vertreten durch wissenschaftliche Sektoren, hier konkret die Sprachwissenschaft – eine Einordnung der sogenannten Laien-Linguistik in Form eines gesonderten diskursiven Feldes, das einen festen Platz in der Öffentlichkeit für sich beansprucht. Antos (1996, 34) sieht diese Unterschiede darin begründet, dass „Wissenschaften einen methodischen, d.h. systematischen Wissensgewinn anstreben.“ Laienlinguistische Theorien im Sinne subjektiver und intersubjektiver Alltagstheorien hingegen weichen, wenn auch mit Sicherheit nicht alle, von diesem Prinzip ab. Dies sei nicht nur einer geringeren Präsenz von Parametern wie Explizitheit, Falsifikation und Kohärenz bei der Beschreibung sprachlicher Handlungen geschuldet (vgl. ibid.), sondern vor allem dem ihr eigenen, relativ hohen Grad an sprachnormativer Präskription (vgl. id., 19). Jedoch soll es in diesem Beitrag nicht darum gehen, eine allgemein gültige definitorische Abgrenzung zwischen Linguistik und Laienlinguistik zu ziehen oder den Zuständigkeitsbereich der Laienlinguistik zu diskutieren (vgl. dazu weiterführend Brekle 1989; Niedzielski/Preston 2000; Paveau 2008; Preston 2008). Vielmehr soll im Kontext der Online-Kommunikation die folgende Definition nach Paveau/Achard-Bayle (2008, 5) angeführt werden:

Le terme linguistique populaire est un calque d’une série de dénominations anglo-saxonnes basées sur folk, dans lesquelles folk est traduit en français par populaire, spontané, naïf, profane ou ordinaire […]. On parle aussi de linguistique de sens commun et l’on rencontre également l’expression linguistique des profanes, dont L. Rosier [(Rosier 2004, 70)] signale la présence désormais massive sur l’internet : „On peut […] ajouter ce qu’on nomme “la linguistique des profanes”, particulièrement visible sur l’internet, notamment dans le cadre des forums de discussion […]“.

Im Rahmen dieser begrifflichen Grundlage soll es im Folgenden in erster Linie darum gehen, die Beschaffenheit metasprachlicher, (un)bewusster Wissensbestände und Wahrnehmungsprozesse auf der Grundlage expliziter Äußerungen zu rekonstruieren. Dabei steht weniger die Frage im Vordergrund, ob metasprachlich konstruierte Normen im sprachpflegerischen Diskurs deskriptiv oder präskriptiv veranlagt sind, sondern ob in einer sprachpflegerischen Tradition verankerte, „historisch gewachsene Orientierungs- und Handlungsrahmen“ (Spitzmüller 2005, 56) das Entstehen solcher Normen „à part des ‚professionnels de la normeʻ“ (Osthus 2003, 139) bedingen. Allerdings leiden, wie der Begriff Diskurs selbst, auch im Diskurs verankerte und durch ihn konstruierte Dachkonzepte wie Mentalität, Identität und Spracheinstellung unter terminologischer Unschärfe (vgl. Spitzmüller, 57), weshalb diese für die vorliegende Fragestellung kurz eingeordnet werden sollen:

Für diskurslinguistische Fragestellungen ist nach Wengeler (vgl. 2003, 61)1 – entgegen der alltagssprachlichen Auffassung von Mentalität im Deutschen – seine historiographische Verwendung zu bevorzugen, die auf dem Begriffsverständnis der französischen mentalité beruht:

[Es] fällt auf, daß es bei dem französischen Begriff entschieden auf die Gruppe ankommt (auf die collectivité), statt wie im Deutschen, gleichermaßen auf das Individuum; das Individuum hat eine mentalité bloß insofern, als es teilhat an der kollektiven mentalité (Hermanns 2012, 11).

Darüber hinaus ist neben der Bedeutung des Kollektivs weiterhin vor allem die historische und handlungsrelevante Komponente von Mentalitäten hervorzuheben, denn „[h]istorische Mentalität ist das Ensemble der Weisen und Inhalte des Denkens und Empfindens, das für ein bestimmtes Kollektiv in einer bestimmten Zeit prägend ist. Mentalitäten manifestieren sich in Handlungen“ (Dinzelbacher 1995, XXI) und zeichnen sich weiterhin dadurch aus, dass sie vor allem „assoziativ“ sind, d.h. nicht „kausallogisch“ reflektiert werden. Auch wenn man sich ihrer Existenz nicht bewusst sein muss, stellen sie ein kollektives Dispositiv für menschliches Denken und Handeln dar, wobei natürlich stets zwischen „Mentalität als kognitiver Dimension und Handlung“ zu unterscheiden ist (vgl. Spitzmüller 2005, 58). Zwar ist es Ziel jeder diskurslinguistischen Untersuchung, aus Handlungen kollektive Mentalitäten abzuleiten, dennoch „[handeln] Individuen […] innerhalb einer Mentalität selbstverständlich auch unterschiedlich“ und nicht jede Handlung ist einer bestimmten Mentalität zugeordnet, sondern der Kontext der einzelnen Handlung ist stets in die Interpretation mit einzubeziehen (ibid.). Aus der Historizität der Mentalität resultiert ferner ihr synchroner „Schnittmengen“-Charakter (id., 60), der sich aus verschiedenen zeitlichen Ebenen zusammensetzen kann und in die Erscheinungsformen der epochalen „Totalmentalitäten“, die von mehr oder weniger allen Diskursteilnehmern geteilt werden, der „Makromentalitäten“ eines diskursspezifischen Kollektivs oder der „Mikromentalitäten“, die sich innerhalb eines Kollektivs manifestieren, differenziert werden kann (vgl. ibid.).

Mit dem Konzept der kollektiven Mentalität verwachsen ist der in der Forschung ebenfalls diskutierte Begriff der kollektiven Identität, der jedoch gerade für metasprachlich und sprachnormativ handelnde Akteure von nicht minderer Bedeutung ist. Für den sprachpflegerischen Diskurs scheint vor allem die von Assmann (62007, 134) beschriebene kollektive Identität im Sinne einer „reflexiv gewordene[n] gesellschaftliche[n] Zugehörigkeit“ zutreffend, da sie eine bewusste Abgrenzung einer Gruppe von anderen Gruppen und deren Einstellungen impliziert:

Unter einer kollektiven oder Wir-Identität verstehen wir das Bild, das eine Gruppe von sich aus aufbaut und mit dem sich die Mitglieder identifizieren. Kollektive Identität ist eine Frage der Identifikation seitens der beteiligten Individuen. Es gibt sie nicht an sich, sondern immer nur in dem Maße, wie sich bestimmte Individuen zu ihr bekennen (id., 132, Hervorhebungen i.O.).

Für die laienlinguistische Sprachpflege – sofern man davon ausgehen kann, dass das Attribut ,laienlinguistisch‘ für dieses Akteurskollektiv überhaupt zutreffend ist – sowie auch und gerade für den Bereich der institutionalisierten Sprachpflege, auf den hier nicht intensiver Bezug genommen werden soll, ist festzuhalten, dass sich die ihr bewusst durch sich selbst zugeschriebene kollektive Identität maßgeblich von anderen Mentalitäten unterscheidet, da sie sich nicht im Sinne eines 'natürlichen' sozio-historischen Automatismus aus den jeweils geltenden gesellschaftlich-kulturellen Orientierungsschemata auf die Akteure im Diskurs überträgt, sondern die Akteure ihre Identität – wenn auch im Rahmen mentalitätsgeschichtlicher Impulse und Traditionen – im Diskurs bewusst konstruieren. Dieses entworfene Selbstbild wird mit dem primären Ziel der kollektiven Abgrenzung vom Anderen beharrlich propagiert und diktiert dadurch gleichzeitig einen bestimmten modus operandi. Es handelt sich um die Verzahnung einer aktiven, bewussten Identitätskonstruktion mit einer passiven, unbewussten Beeinflussung durch mentale Muster und Repräsentationen in einem „Wechselspiel von […] Identitäten und Alteritäten“ (Spitzmüller 2005, 65, Hervorhebungen i.O.). Wie unter anderem zu zeigen sein wird, nimmt dabei im sprachpflegerischen Diskurs oftmals die diskursive Verknüpfung von nationaler Identität und der jeweiligen (Mutter-) bzw. (Landes-) Sprache einen zentralen Platz ein.2

An letzter Stelle steht die kurze Einordnung des Konzepts Spracheinstellungen,3 die sich im Hinblick auf metasprachliche und normative Diskurse natürlich vor allem auf die Sprache selbst, ihre Verwendung, ihre Entwicklung und ihre Sprecher beziehen, wobei sich diese Bereiche im Diskurs überschneiden können (vgl. Spitzmüller 2005, 69). Bei metasprachlichem Handeln werden in sprachpflegerischen oder gar puristischen Kontexten Einstellungen häufig in ihrer affektiven Komponente sichtbar, die Giles präzisiert als „definite attitudes […] towards speakers representing different speech styles“ (1987, 585) und Stickel (1999, 17) wie folgt ergänzt:

[Spracheinstellungen sind] wertende Dispositionen, die einzelne Menschen oder soziale Gruppen gegenüber sprachlichen Erscheinungen haben. Spracheinstellungen sind besonders Haltungen gegenüber Sprachen, Sprachvarietäten oder Sprachverhalten anderer Individuen und Gruppen, oft mit wertender Berücksichtigung der jeweils eigenen Sprache. Wie andere Einstellungen gelten Spracheinstellungen als erlernt, relativ beständig, wenn auch veränderbar.

Spitzmüller betont die enge Verknüpfung zwischen Mentalität, Identität und Einstellungen in metasprachlichen Diskursen (vgl. 2005, 70) und verweist in diesem Zusammenhang auf eine Definition nach Hermanns, der zufolge „[e]ine Mentalität […] die Gesamtheit aller usuellen Einstellungen in einer sozialen Gruppe [ist].“ Kollektive Identität wiederum „basiert zu großen Teilen auf der Überzeugung, Einstellungen anderer Individuen zu teilen“ (2002, 80f.).

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