Kitabı oku: «Strafrecht Besonderer Teil», sayfa 16

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c) Qualifikationen

291In den Abs. 3 und 4 sind Qualifikationen des Grundtatbestandes geregelt. Dabei ist umstritten, ob es sich bei Abs. 3 Nr. 1 (Freiheitsberaubung über eine Woche) um eine Tatbestands- oder eine Erfolgsqualifikation handelt. Bei ersterer müsste die lange Dauer der Freiheitsentziehung vom Vorsatz des Täters umfasst sein, während bei einer Erfolgsqualifikation gem. § 18 StGB nur Fahrlässigkeit hinsichtlich der besonders schweren Folge (hier: die Dauer der Freiheitsentziehung) erforderlich ist. Die Rechtsprechung und ein Teil der Literatur behandeln die Nr. 1 zu Recht als Erfolgsqualifikation: »Der Wortlaut läßt nicht erkennen, daß der Gesetzgeber zwischen den […] angeführten besonderen Merkmalen einen Unterschied machen und sie einmal als Tatbestandsmerkmal, das andere Mal als schwere Folgen behandeln wollte.«[535]

292Wie üblich ist für das Vorliegen der Erfolgsqualifikation ein deliktsspezifischer Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen der Tat und der besonders schweren Folge erforderlich. Dieser ist auch dann gegeben, wenn das Opfer nicht während der Freiheitsentziehung, sondern auf der Flucht ums Leben kommt: »Der Tod ist also auch dann durch die Freiheitsentziehung verursacht, wenn das Opfer unmittelbar bei dem Versuch, ihr zu entrinnen, tödliche Verletzungen erleidet. Denn ohne die Freiheitsberaubung wäre auch in diesem Falle der Tod nicht eingetreten.«[536]

|128|d) Konkurrenzen

293Bei den Konkurrenzen ist das Verhältnis des § 239 StGB zu § 240 StGB oft problematisch. Folgendes sollte man sich dazu merken: § 239 ist spezieller und verdrängt die Nötigung im Wege der Gesetzeskonkurrenz (Spezialität), »wenn der Zweck der Freiheitsberaubung sich darin erschöpft, das Opfer an der freien Bestimmung seines Aufenthaltsortes zu hindern«.[537] Wird also die Freiheitsberaubung mit Nötigungsmitteln verwirklicht, kommt nur § 239 StGB zur Anwendung. Ist anders herum die Freiheitsberaubung ausschließlich Mittel, um jemanden zu nötigen, verhält es sich umgekehrt und der § 240 StGB verdrängt den § 239 StGB.[538]

294Ist die Freiheitsberaubung zwar Mittel, um einen anderen Tatbestand (z.B. § 240 StGB) zu verwirklichen, geht aber in ihrer Dauer oder Intensität über das dafür erforderlich Maß hinaus, liegt Tateinheit vor.[539] Andernfalls käme das spezifische Unrecht der Freiheitsberaubung, das nicht gänzlich in dem anderen Tatbestand enthalten ist, im Schuldspruch nicht zum Ausdruck.

295Da es sich bei der Freiheitsberaubung um ein Dauerdelikt handelt, kann § 239 StGB gegenüber anderen, währenddessen verwirklichten Tatbeständen, die zueinander eigentlich im Verhältnis der Tatmehrheit stehen, eine sog. Klammerwirkung entfalten.[540] Sperrt der Täter beispielsweise sein Opfer über einen längeren Zeitraum ein und beschimpft und schlägt es in dieser Zeit mehrmals, werden die Taten gem. § 185 und § 223 StGB durch die Freiheitsberaubung zur Tateinheit verklammert. Nach der Rechtsprechung des BGH muss jedoch eine wesentliche Einschränkung beachtet werden: »Voraussetzung für die sog. Klammerwirkung ist, dass zwischen wenigstens einem der an sich selbständigen Delikte und dem sie verbindenden, sich über einen gewissen Zeitraum hinziehenden (Dauer-)Delikt zumindest annähernde Wertgleichheit besteht.«[541] § 239 StGB kann also beispielsweise nicht zwei Tötungsdelikte verklammern.

4. Nachstellung (§ 238 StGB)
a) Einleitung / Rechtsgut

296Der § 238 StGB stellt ein Phänomen unter Strafe, das als »Stalking« bekannt ist. Darunter wird ein Bündel von Verhaltensweisen verstanden, die jeweils für sich genommen unterhalb der Schwelle »klassischer« Straftatbestände (Beleidigung, Bedrohung, Nötigung, Körperverletzung etc.) bleiben[542], in der Summe jedoch |129|für die Betroffenen eine erhebliche Belastung darstellen.[543] Der Gesetzgeber entschied sich 2007, diese Strafbarkeitslücke durch die Einführung des § 238 StGB zu schließen.[544] In der Literatur wurde die Gesetzesänderung kritisiert, weil der Tatbestand des § 238 wegen seiner Unbestimmtheit verfassungsrechtlich problematisch sei.[545]

297Worin das geschützte Rechtsgut des § 238 StGB besteht, ist schwer zu bestimmen, da die Norm dadurch geprägt ist, dass die Tathandlungen gerade keines der »gängigen« Rechtsgüter (z.B. körperliche Unversehrtheit oder Ehre) verletzen. Da der Gesetzgeber die Nachstellung bei den Straftaten gegen die persönliche Freiheit eingeordnet hat, wird gemeinhin davon ausgegangen, dass Schutzgut die Freiheit der Lebensgestaltung ist.[546]

b) Tatbestand

298Bei der Eingrenzung des Tatbestandes kommt den Merkmalen der Beharrlichkeit und der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers eine besondere Bedeutung zu, da anhand derer eine Unterscheidung zwischen bloßen Belästigungen einerseits und strafwürdigen Verhaltensweisen andererseits möglich wird. Zudem ist zu berücksichtigen, dass das Merkmal »unbefugt« nicht erst bei den Rechtfertigungsgründen zu prüfen ist[547], sondern bereits auf Tatbestandsebene. Wenn das Opfer explizit oder konkludent sein Einverständnis erklärt, ist schon der Tatbestand des § 238 Abs. 1 StGB nicht erfüllt.[548]

|130|Tab. 10: Prüfungsaufbau § 238 StGB


aa) Nachstellen im Sinne des Abs. 1

299Die Tathandlung des § 238 StGB ist das »Nachstellen«. Dieser Begriff taucht im StGB bereits bei der Jagdwilderei (§ 292 Abs. 1 Nr. 1 StGB) auf. Während dort jede Handlung erfasst wird, mit welcher der Täter nach seiner Vorstellung unmittelbar zum Fangen, Erlegen oder Sich-Zueignen des Wildes ansetzt,[549] konkretisiert § 238 Abs. 1 StGB den Begriff des »Nachstellens« durch eine Aufzählung von Begehungsvarianten. Der BGH definiert die Tathandlung des § 238 StGB als »das unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmte Drohungen. Der Begriff des Nachstellens umschreibt Handlungen, die darauf ausgerichtet sind, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherung an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen und dadurch seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen«[550].

300Praktisch relevant sind vor allem die NRn. 1 bis 3 des Abs. 1, da sie auf Verhaltensweisen Bezug nehmen, die bis zur Einführung des § 238 StGB nicht strafbar waren. Die Nr. 1 soll die »physische Annäherungen an das Opfer wie |131|das Auflauern, Verfolgen, Vor-dem-Haus-Stehen und sonstige häufige Präsenz in der Nähe der Wohnung oder Arbeitsstelle des Opfers erfassen«.[551] Das Aufsuchen der räumlichen Nähe muss dabei gezielt erfolgen, es reicht also nicht, wenn die Begegnung rein zufällig geschieht.[552] Die Nr. 2 »erfasst Nachstellungen durch unerwünschte Anrufe, E-Mails, SMS, Briefe, schriftliche Botschaften an der Windschutzscheibe oder Ähnliches und mittelbare Kontaktaufnahmen über Dritte«.[553] Die Nr. 3 bezieht sich auf Fälle, in denen der Täter unter dem Namen des Opfers beispielsweise im Internet Waren bestellt und sie an die Adresse des Opfers liefern lässt oder Kontaktanzeigen in der Zeitung aufgibt, aufgrund derer sich dann Dritte bei dem Opfer melden. Die Nr. 5 fungiert als Auffangtatbestand und umfasst »vergleichbare Handlungen«. Unter anderem aufgrund dieser offenen Formulierung wurde die mangelnde Bestimmtheit des Tatbestandes des § 238 StGB kritisiert.[554] Wie die Rechtsprechung die Nr. 5 ausfüllen wird und ob eine verfassungskonforme Eingrenzung gelingt, bleibt weiter abzuwarten.[555] In der Klausurbearbeitung ist es ratsam, an das Merkmal der Vergleichbarkeit strenge Anforderungen zu stellen, um zu gewährleisten, dass nicht weniger belastende Verhaltensweisen als diejenigen der NRn. 1 bis 4 über den Umweg der Nr. 5 Eingang in den Tatbestand finden.

bb) Beharrlich

301Das Kriterium der Beharrlichkeit »dient einerseits dazu, den Tatbestand einzuschränken; andererseits soll es die Deliktstypik des ›Stalking‹ zum Ausdruck bringen und einzelne, für sich genommen vom Gesetzgeber als sozialadäquat angesehene Handlungen […] von unerwünschtem ›Stalking‹ abgrenzen«.[556] Beharrlich handelt deshalb nicht schon derjenige, der sein Tun bloß wiederholt. »Vielmehr bezeichnet das Tatbestandsmerkmal eine in der Tatbegehung zum Ausdruck kommende besondere Hartnäckigkeit und eine gesteigerte Gleichgültigkeit des Täters gegenüber dem gesetzlichen Verbot, die zugleich die Gefahr weiterer Begehung indiziert. Eine wiederholte Begehung ist danach zwar immer Voraussetzung, genügt aber für sich allein nicht […]. Erforderlich ist vielmehr, dass aus Missachtung des entgegenstehenden Willens oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers mit der Absicht gehandelt wird, sich auch in Zukunft immer wieder entsprechend zu verhalten.«[557] Beharrlich handelt daher nur derjenige, der dem Opfer unter bewusster Missachtung |132|von dessen Willen wiederholt nachstellt und dies auch in Zukunft zu tun beabsichtigt. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, dass immer die gleiche Begehungsform (NRn. 1 bis 5) gewählt wird. Gerade das Nachstellen auf mehreren Wegen kann die besondere Beharrlichkeit ausmachen.[558] Der Begriff der Beharrlichkeit verbindet demnach subjektive und objektive Elemente.[559]

cc) Schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung

302§ 238 StGB ist ein Erfolgsdelikt[560], der Versuch ist nicht strafbar. Es ist daher für die Strafbarkeit immer der Erfolgseintritt, also eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers erforderlich. Darunter fallen »gravierende und ernst zu nehmende Folgen, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende und zumutbare Modifikationen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen […]. Nicht ausreichend sind daher weniger gewichtige Maßnahmen der Eigenvorsorge, wie beispielsweise die Benutzung eines Anrufbeantworters und die Einrichtung einer so genannten Fangschaltung zum Zwecke der Beweissicherung. Weitergehende Schutzvorkehrungen des Opfers, wie etwa das Verlassen der Wohnung nur noch in Begleitung Dritter, ein Wechsel des Arbeitsplatzes oder der Wohnung und das Verdunkeln der Fenster der Wohnung sind dagegen als schwerwiegend anzusehen […].«[561] Es kommt also für die Beurteilung, ob eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung vorliegt, nicht darauf an, wie die betroffene Person dies subjektiv empfindet, sondern es wird ein objektiver Maßstab angelegt.[562] Außerdem muss feststehen, dass die Veränderung der Lebensgestaltung tatsächlich auf der Nachstellung beruht.[563]

c) Erfolgsqualifikationen

303In den Abs. 2 und 3 sind Erfolgsqualifikationen[564] geregelt. Besteht hinsichtlich ihrer Verwirklichung dringender Tatverdacht und Wiederholungsgefahr, kann der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren gem. § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO in sog. »Deeskalationshaft« genommen werden.[565]

|133|d) Konkurrenzen

304Einigkeit besteht darüber, dass eine Vielzahl von Verhaltensweisen, die erst in der Summe die Beharrlichkeitsschwelle erreichen, als eine Handlung gem. § 52 StGB zu behandeln sind.[566] Häufig werden mit den einschlägigen Tathandlungen neben § 238 StGB jedoch auch weitere Tatbestände, wie etwa die §§ 185ff. StGB oder § 241 StGB, verwirklicht. Fraglich ist dann, ob der § 238 StGB Klammerwirkung entfaltet, so dass dennoch nur eine Handlung gem. § 52 StGB vorliegt. Ist also in einem Fall, in dem der Täter über einen längeren Zeitraum Verhaltensweisen im Sinne des § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB an den Tag gelegt hat, wobei ganz zu Beginn und ganz zum Ende des Zeitraums auch zwei nach § 241 StGB tatbestandliche Bedrohungen dabei waren, eine einheitliche Strafe zu bilden? Der BGH ist in seiner ersten Grundsatzentscheidung zu § 238 StGB davon ausgegangen, dass zwar kein Dauerdelikt vorliegt, wegen des Merkmals der Beharrlichkeit aber dennoch von einer tatbestandlichen Handlungseinheit (also einer materiellen Tat) auszugehen ist, wenn die einzelnen Handlungen »einen ausreichenden räumlichen und zeitlichen Zusammenhang aufweisen und von einem fortbestehenden einheitlichen Willen des Täters getragen sind.«[567] § 238 StGB hat auf mitverwirklichte Delikte deshalb nach der Ansicht des BGH Klammerwirkung.[568] In der Literatur wird dagegen eingewandt, dass es sich bei § 238 StGB ja gerade nicht um ein Dauerdelikt handele, weshalb eine Verklammerung nicht möglich sei.[569]

5. Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme (§§ 239a, 239b StGB)
a) Einleitung / Rechtsgut

305Die §§ 239a und 239b StGB regeln in erster Linie die gemeinhin als Entführung und Erpressung bezeichneten Fallkonstellationen.[570] Der objektive Tatbestand der §§ 239a, 239b StGB ist identisch strukturiert und erfordert, dass der Täter einen anderen Menschen entführt, sich seiner bemächtigt oder eine Entführungs- oder Bemächtigungslage ausnutzt. Dieses Verhalten muss spezifischen Zwecken dienen: Bei § 239a StGB muss der Täter in der Absicht handeln, die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorgen eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung (§§ 253, 255 StGB, nach Ansicht der Rechtsprechung auch § 249 StGB, vgl. Rn. 310) auszunutzen[571], bei § 239b StGB muss er mit seinem Tun eine qualifizierte Nötigung zu einem beliebigen Tun oder Unterlassen bezwecken. Wesentliche Unterschiede bestehen also darin, dass es |134|nur bei § 239a StGB um eine rechtswidrige Bereicherung geht und dass bei der Erpressung keine qualifizierten Nötigungsmittel, sondern »nur« eine Drohung für die Erfüllung des Tatbestandes ausreichen.[572]

306Schutzgut der Normen ist die persönliche Freiheit des Opfers und des Dritten.[573] § 239a StGB schützt wegen der angestrebten Erpressung mittelbar auch noch das Vermögen.[574]

b) Tatbestand

307Die §§ 239a und 239b StGB enthalten zwei unterschiedliche Begehungsvarianten, den Entführungs/Sich-Bemächtigungstatbestand einerseits und den Ausnutzungstatbestand andererseits.[575] Beim Entführungs- und Sichbemächtigungstatbestand[576] hat der Täter bereits beim Entführen oder Sich-Bemächtigen die Absicht, darauf aufbauend eine Erpressung/qualifizierte Nötigung zu begehen. Die Tat ist hier bereits mit der von dieser Absicht getragenen Schaffung der Entführungs- oder Sichbemächtigungslage vollendet.[577] Es ist also nicht erforderlich – aber für die Tatbestandserfüllung auch nicht hinderlich – wenn die Erpressung bzw. die qualifizierte Nötigung noch nicht stattgefunden hat.[578] Die Merkmale des § 253 StGB bzw. die qualifizierte Nötigung werden nur im subjektiven Tatbestand geprüft.

308Der Ausnutzungstatbestand ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass der Täter zunächst aus anderen Beweggründen jemanden entführt oder sich seiner bemächtigt und sich dann im Laufe des Geschehens dazu entschließt, diese Lage zu einer Erpressung (bei § 239a StGB) bzw. zu einer qualifizierten Nötigung (bei § 239b StGB) auszunutzen. Die bezweckte Tat muss dann nicht nur anhand des Vorstellungsbildes des Täters geprüft werden, sondern nach der h. M. objektiv mindestens in das Versuchsstadium eingetreten sein, da das »Ausnutzen« hier objektives Tatbestandsmerkmal ist.[579] Der objektive Tatbestand ist also zweiaktig.[580]

aa) Entführungs- und Sichbemächtigungstatbestand gem. § 239a Abs. 1 Alt. 1 StGB, § 239b Abs. 1 Alt. 1 StGB

309(1) Objektiver Tatbestand: Das Merkmal des Entführens setzt sich aus der Beherrschung des Opfers und einer Ortsveränderung gegen seinen Willen zusammen.[581] »Nicht jede Aufenthaltsveränderung, die die Widerstands- und |135|Verteidigungsmöglichkeiten [des Opfers] herabsetzt, erfüllt den Tatbestand. Erst wenn der Täter [das Opfer] durch die Aufenthaltsveränderung so in seine Gewalt bringt, daß [es] seinem ungehemmten Einfluß preisgegeben ist, liegt eine Entführung im Sinne des Gesetzes vor.«[582] Ein Sich-Bemächtigen ist gegeben, »wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt, wobei weder eine Ortsveränderung erforderlich ist, noch der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein muss«.[583] »Dies ist auch in der Weise möglich, dass das Opfer – selbst über eine größere Distanz – mit einer scheinbar echten Schusswaffe bedroht und derart in Schach gehalten wird, dass es an einer freien Bestimmung über sich selbst gehindert ist […].«[584] Die beiden Begehungsvarianten Entführen und Sich-Bemächtigen überschneiden sich oft. Ist eine Entführung gegeben, hat der Täter sich stets auch des Opfers bemächtigt.[585]

310(2) Subjektiver Tatbestand: Hinsichtlich des Entführens oder Sich-Bemächtigens muss der Täter mindestens bedingt vorsätzlich handeln.[586] Zusätzlich muss er von Beginn an die Absicht verfolgen, die Sorge des Opfers oder Dritter (z.B. Angehörige oder Regierungen) zu einer Erpressung gem. § 253 StGB (bei § 239a StGB) oder einer qualifizierten Nötigung (bei § 239b StGB) auszunutzen. Im subjektiven Tatbestand sind bei § 239a StGB daher alle Merkmale des § 253 StGB zu prüfen, insbesondere auch die Absicht einer rechtswidrigen Bereicherung. Sieht man § 249 StGB als lex specialis des § 255 StGB an (Ansicht der Rspr., vgl. Rn. 955), wird der Tatbestand des § 239a StGB auch dann erfüllt, wenn der Täter einen Raub gem. § 249 StGB bezweckt.[587] Bei § 239b StGB werden subjektiv die Merkmale des § 240 StGB geprüft, wobei allerdings eine qualifizierte Drohung mit dem Tod, einer schweren Körperverletzung des Opfers oder dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer erforderlich ist.

311|136|Tab. 11: Prüfungsaufbau §§ 239a Abs. 1 Var. 1, 239b Abs. 1 Var. 1 StGB


312(3) Zwei-Personen-Verhältnisse: Die §§ 239a und 239b StGB sind auch dann einschlägig, wenn Geisel und Nötigungs- bzw. Erpressungsopfer identisch sind, also die Sorge der Geisel um ihr eigenes Wohl ausgenutzt wird.[588] Dieser weite Anwendungsbereich der Normen führt insbesondere im Zusammenhang mit der Variante des Sich-Bemächtigens zu Problemen: Fast jede »normale« räuberische Erpressung stellt dann auch einen erpresserischen Menschenraub dar, wenn das Nötigungsmittel zugleich ein Sich-Bemächtigen darstellt.[589] Bedroht der Täter sein Opfer beispielsweise mit einer Schusswaffe, um es zur Herausgabe von Wertgegenständen zu bewegen, könnte sowohl eine räuberische |137|Erpressung, als auch ein erpresserischer Menschenraub vorliegen. Diese beiden Normen unterscheiden sich beim Strafrahmen jedoch erheblich: Bei § 255 StGB ist die Mindeststrafe ein Jahr Freiheitsstrafe, bei § 239a StGB hingegen fünf Jahre (das relativiert sich freilich, wenn auch § 250 StGB zur Anwendung kommt). Der Tatbestand der §§ 239a, 239b StGB ist daher in Hinblick auf sich überschneidende Anwendungsbereiche mit anderen Nötigungselemente enthaltenden Delikten wie § 177, §§ 249ff., §§ 253ff. StGB restriktiv auszulegen. Der BGH hat für § 239a StGB formuliert: »Der Täter muss durch eine Entführung oder in sonstiger Weise die physische Herrschaftsgewalt über das Opfer gewinnen, dadurch eine stabile Bemächtigungslage schaffen und entweder von vornherein beabsichtigen, diese Lage zu einer Erpressung auszunutzen, oder die zu anderen Zwecken hergestellte Verfügungsgewalt über das Opfer zu einer Erpressung ausnutzen. Dabei muss der stabilisierten Bemächtigungslage mit Blick auf die erstrebte Erpressung eine eigenständige Bedeutung zukommen. Damit ist – insbesondere in Abgrenzung zu den Raubdelikten – indes lediglich gemeint, dass sich über die in jeder mit Gewalt oder Drohungen verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weitergehende Drucksituation auf das Opfer gerade auch aus der stabilen Bemächtigungslage ergeben muss. Der erforderliche funktionale Zusammenhang liegt insbesondere dann nicht vor, wenn sich der Täter des Opfers durch Nötigungsmittel bemächtigt, die zugleich unmittelbar der beabsichtigten Erpressung dienen, wenn also Bemächtigungs- und Nötigungsmittel zusammenfallen […].«[590] Es bedarf also bei Zwei-Personen-Konstellationen einer durch die Entführung oder das Sich-Bemächtigen hervorgerufenen stabilisierten Beherrschungslage[591], die in einem funktionalen Zusammenhang zu der Erpressung oder qualifizierten Nötigung steht und nicht mit ihr identisch ist.[592]

313Ein Fall, der dem BGH zur Entscheidung vorlag, macht diese Differenzierung anschaulich: Angeklagte waren zwei Männer, die kurz nach Ladenschluss einen Verbrauchermarkt überfallen hatten. Ihr Ziel war der Tresor im Büro. Nachdem eine Verkäuferin angab, nicht zu wissen, wo der Tresorschlüssel ist, sperrten sie sie und eine Kollegin in der Toilette ein und durchsuchten das Büro – erfolglos. Daraufhin zerrten sie die Verkäuferin aus der Toilette in das Büro und drohten, sie umzubringen, wenn sie nicht verrate wo der Schlüssel ist. Letztendlich flohen die Täter ohne Beute. Das Landgericht hatte diesen Vorgang »nur« als gemeinschaftlich begangenen versuchten schweren Raub eingeordnet und eine Verurteilung nach § 239a StGB abgelehnt. Die Herausgabe des Tresorschlüssels habe nicht durch die eigenständige Wirkung einer stabilisierten Bemächtigungssituation durchgesetzt werden sollen. Die Angeklagten |138|hätten, als sie die Verkäuferin einsperrten, um im Büro ungestört nach dem Schlüssel suchen zu können, keine erpresserischen Ziele verfolgt. Als sie sie später unter Gewaltanwendung aus dem Toilettenvorraum in das Büro gebracht und dort unter Todesdrohung nochmals nach dem Schlüssel befragt hätten, hätten sie keinen neuen Tatentschluss gefasst gehabt. Sie hätten lediglich ihren von vorneherein auf Raub bzw. räuberische Erpressung gerichteten Tatplan fortgesetzt, nachdem ihre vorausgegangenen Versuche, in den Besitz des Schlüssels zu gelangen, gescheitert seien. Außerdem dürfte ihnen nicht bewusst gewesen sein, die Schwelle zum erpresserischen Menschenraub zu überschreiten. Der BGH, der das Urteil auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin aufhob, stimmte dem Landgericht noch insoweit zu, als dass auch er das Einsperren in der Toilette nicht als stabilisierte Bemächtigungslage wertete: »Durch die bis dahin erfolgten Gewaltanwendungen hatten die Angeklagten zwar eine andauernde physische Herrschaft über ihre Opfer erlangt. Sie forderten jedoch bereits im unmittelbaren, engen Zusammenhang mit dem gewaltsamen Sichbemächtigen die Herausgabe des Tresorschlüssels. Eine stabile Bemächtigungslage als Basis einer weiteren Erpressung bestand deshalb noch nicht«[593]. Es liege aber angesichts der Feststellungen des Landgerichts nahe, anzunehmen, dass »sich die Angeklagten wegen eines vollendeten erpresserischen Menschenraubes in der Form der 2. Alt. des § 239a I StGB strafbar gemacht haben, als sie – um in den Besitz des Tresorschlüssels zu gelangen – die unter Schlägen in das Büro gebrachte Verkäuferin H mit dem Tode bedrohten. Zu diesem Zeitpunkt bestand bereits über einen längeren Zeitraum als Basis für eine Erpressung eine stabile Bemächtigungslage, in der die Geschädigte – unabhängig von der Gewaltanwendung beim Sichbemächtigen – dem ungehemmten Einfluss der beiden Angeklagten wegen deren physischen Übermacht und der fortwirkenden Einschüchterung als Folge der vorangegangenen Misshandlungen ausgesetzt war. Unter diesen Umständen drängt es sich auf, dass die Angeklagten bei ihrer mit der Todesdrohung verbundenen Forderung nach Herausgabe des Tresorschlüssels auch die durch die Bemächtigungslage entstandene besondere Drucksituation der bedrohten Frau ausnutzten, um diese zu veranlassen, aus Sorge um ihr Wohl ihrem Begehren nachzukommen«.[594] Es komme entgegen der Annahme der Strafkammer nicht auf einen Vorsatzwechsel an. »Entscheidend ist demgegenüber, dass [die Angeklagtem] die von ihnen geschaffene Bemächtigungslage tatsächlich für die Fortsetzung ihres erpresserischen Vorhabens ausnutzten.«[595]

314Hat man es in der Fallbearbeitung mit einem Sachverhalt mit Zwei-Personen-Verhältnis zu tun, ist die Frage der stabilisierten Beherrschungslage im subjektiven Tatbestand anzusprechen.[596]

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