Kitabı oku: «Strafrecht Besonderer Teil», sayfa 15

Yazı tipi:

c) Subjektiver Tatbestand

270Grundsätzlich bedarf es bei § 240 StGB mindestens eines Eventualvorsatzes hinsichtlich der Merkmale des objektiven Tatbestandes.[484] Allerdings wird in weiten Teilen der Literatur und mittlerweile auch in der Rechtsprechung zu Recht verlangt, dass in Hinblick auf das Ziel der Nötigung Absicht vorliegen muss.[485] Das OLG Düsseldorf hat dies anhand eines Falles aus dem Straßenverkehr entwickelt: Diejenigen Autofahrer, die andere bewusst ausbremsen und dabei gerade zum Ziel haben, den anderen Verkehrsteilnehmer zum Bremsen zu bewegen, würden sich unstreitig wegen Nötigung strafbar machen. »Auf den ›bloß‹ rücksichtslosen Überholer trifft das in aller Regel nicht zu. Sein Ziel ist, schneller voranzukommen. Dass dies auf Kosten anderer geschieht, ist nur die in Kauf genommene Folge seiner Fahrweise. Ein Schuldspruch wegen Nötigung scheidet in einem solchen Fall aus […].«[486]

271|119|Droht der Täter mit einem empfindlichen Übel, auf dessen Eintritt er – entgegen der Vorstellung des Opfers – gar keinen Einfluss hat, muss von seinem Vorsatz umfasst sein, dass dem Opfer die Drohung ernstlich erscheint. Dass (nur) der Täter weiß, dass er seine Drohung gar nicht wahr machen kann oder will, beeinträchtigt den Vorsatz dann nicht.[487]

272Auch die Umstände, die zur Verwerflichkeit der tatbestandlichen Handlung und damit zur Rechtswidrigkeit gem. Abs. 2 führen, müssen vom Vorsatz umfasst sein.[488] Fehlt diesbezüglich der Vorsatz, liegt entweder ein Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB) oder ein Erlaubnistatbestandsirrtum (§ 16 StGB analog) vor, je nachdem, ob man das Verwerflichkeitserfordernis als Tatbestandsergänzung oder als Teil der Rechtswidrigkeitsprüfung ansieht (vgl. dazu unten Rn. 274).

d) Rechtswidrigkeit
aa) Einführung

273Bei den meisten Delikten wird die Rechtswidrigkeit durch die Verwirklichung des Tatbestandes indiziert und entfällt nur im Ausnahmefall. Bei § 240 StGB muss die Rechtswidrigkeit hingegen positiv festgestellt werden.[489] »Diese Ausnahme vom allgemeinen Verbrechensaufbau ist geboten, weil angesichts der Weite der Tatbestandsbeschreibung in Abs. 1 andernfalls zahlreiche im täglichen Umgang der Bürger miteinander als sozial-adäquat empfundene Verhaltensweisen erfaßt würden, ohne daß eine die Rechtswidrigkeit ausschließende Gegennorm dem entgegenstünde.«[490] Das gem. § 240 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßige Verhalten ist also nur dann rechtswidrig, wenn dem Täter keine allgemeinen Rechtfertigungsgründe[491] zur Seite stehen und wenn das Verhalten gem. § 240 Abs. 2 StGBverwerflich ist.[492] Letzteres ist der Fall, wenn es »nach allgemeinem Urteil sittlich in so hohem Maße mißbilligenswert erscheint, daß es sich als strafwürdiges Unrecht darstellt«.[493]

274Es ist umstritten, ob das Verwerflichkeitserfordernis eine Tatbestandsergänzung darstellt[494], ein Deliktsmerkmal eigener Art[495] oder Bestandteil der Rechtswidrigkeitsprüfung ist[496]. Für ersteres spricht, dass andernfalls |120|eine Vielzahl alltäglicher, sozial akzeptierter Verhaltensweisen zumindest tatbestandlich eine Strafnorm erfüllen würden.[497] Im Ergebnis hat die unterschiedliche Einstufung keine praktischen Konsequenzen.[498] Weitgehend einheitlich beantwortet wird hingegen die Frage, ob im Rahmen des Prüfungspunktes Rechtswidrigkeit das Nichtvorliegen von Rechtfertigungsgründen oder die Verwerflichkeit der Nötigung als erstes festzustellen ist: Da eine Nötigung nie gleichzeitig gerechtfertigt und verwerflich sein kann, sollten die allgemeinen Rechtfertigungsgründe angesprochen werden, bevor man die Verwerflichkeit prüft.[499]

bb) Verwerflichkeit

275»Für die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der Nötigung kommt es darauf an, ob das Mittel der Willensbeeinflussung im Hinblick auf den erstrebten Zweck als anstößig anzusehen ist. […] Das rechtlich Verwerfliche ist also nicht einseitig in dem angewandten Mittel oder in dem angestrebten Zweck, sondern in der Beziehung beider zueinander zu suchen. Die Verquickung des Mittels der Gewalt oder der Drohung mit dem durch die Nötigung angestrebten Zweck muß nach allgemeinem Urt. sittlich zu mißbilligen sein.«[500]

276Auch wenn es demnach nicht darauf ankommt, die Verwerflichkeit von Nötigungszweck und -mittel isoliert festzustellen, ist es im Rahmen der gutachterlichen Prüfung sinnvoll, sich diese Ebenen zunächst getrennt voneinander anzuschauen, um dann in einem dritten Schritt die Zweck-Mittel-Relation zu prüfen. Neben der größeren Übersichtlichkeit ist der Vorteil eines solchen (gedanklichen) Vorgehens, dass deutlich wird, wann die Verwerflichkeit der Relation von Zweck und Mittel unproblematisch ist (wenn beispielsweise beide für sich genommen bereits als verwerflich angesehen werden können) und in welchen Fällen es ausführlicherer Begründung bedarf (etwa wenn Nötigungsziel ein rechtlich gebotenes Verhalten ist oder mit einem erlaubten Tun gedroht wird).

277Definiert wird Verwerflichkeit in der Rechtsprechung gemeinhin als »in erhöhtem Maße sittlich zu missbilligen«[501]. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es nicht um eine moralische Bewertung geht, sondern darum, ob das Verhalten sozialwidrig ist.[502]

278(1) Verwerflichkeit des Nötigungszwecks: Beim Nötigungszweck stellt sich die Frage, ob hier nur die Nah- oder auch die Fernziele des Täters von Bedeutung |121|sind. Praktisch relevant ist diese Unterscheidung insbesondere bei den oben bereits beschriebenen Sitzblockade-Fällen: Das Nahziel der Blockierer besteht darin, den Auto- oder Schienenverkehr oder die Zufahrt zu einem Gelände zu verhindern. Dies geschieht aber aus einer übergeordneten politischen Motivation (Fernziel), etwa als Ausdruck des Protests gegen die zunehmende zivile oder militärische Nutzung von Atomenergie und die damit verbundenen Risiken für Menschen und Natur. Als der 1. Senat des BVerfG Ende der 1980er über diese Frage zu entscheiden hatte, kam es zu einer Patt-Situation. Vier Richter des achtköpfigen Senats waren der Ansicht, die Tatgerichte müssten die Fernziele in ihre rechtliche Würdigung miteinbeziehen. Gerichte könnten sich dem »nicht mit der Begründung entziehen, sie dürften keine Meinungen bewerten«.[503] Es ginge gar nicht darum, zu bewerten, was richtig oder falsch ist, sondern darum, die Gemeinwohlorientierung derartiger Aktionen angemessen zu berücksichtigen: »Hier werden die der Verwerflichkeitsklausel inhärenten Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des schuldangemessenen Strafens verletzt, wenn der Richter die Augen vor dem wesentlichen Unterschied zwischen eigennützigem und gemeinwohlorientiertem Handeln verschließt.«[504] Die andere Hälfte des Senats war hingegen der Ansicht, dass sich Fachgerichte, die Fernziele nicht in die Bewertung der Verwerflichkeit miteinbeziehen, innerhalb des Rahmens der verfassungskonformen Normauslegung bewegten, weshalb eine Intervention des Bundesverfassungsgerichts untunlich sei.[505] Da gem. § 15 Abs. 4 S. 3BVerfGG bei Stimmengleichheit innerhalb eines Senats ein Verstoß gegen das Grundgesetz nicht festgestellt werden kann, blieb die Frage im Ergebnis offen.

279Zwei Jahre später entschied dann der BGH, dass Fernziele in die Beurteilung nach § 240 Abs. 2 StGBnicht einzubeziehen sind. Seine Begründung setzt auf verschiedenen Ebenen an. Zunächst sei systematisch zu berücksichtigen, dass es Aufgabe des § 240 Abs. 2 StGB sei, »zu bewirken, daß die Verbindung von Nötigungsmittel und angestrebter Verhaltensweise nur unter der einschränkenden Voraussetzung der Verwerflichkeit strafbar ist, wobei der Begriff ›verwerflich‹ zugleich einen Wertungsmaßstab festlegt. Aus dieser Funktion der Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB ergibt sich, daß der darin genannte ›angestrebte Zweck‹ nichts anderes sein kann als das in Abs. 1 genannte – das Ziel der Zwangsausübung bildende – Handeln, Dulden oder Unterlassen.« Der Abs. 2 würde andernfalls »seinen Sinn verfehlen, die in Abs. 1 aufgeführten Merkmale zueinander in Beziehung zu setzen«.[506] Doch nicht nur die Struktur des § 240 StGB selbst, sondern auch »allgemeine rechtssystematische Gesichtspunkte« sprechen aus Sicht des BGH gegen die Einbeziehung subjektiver Fernziele. »Die Verwerflichkeitsklausel des Abs. 2 soll […] nicht etwa einen eigenständigen – die Einheitlichkeit des allgemeinen Verbrechensaufbaus |122|sprengenden – Rechtswidrigkeitsbegriff schaffen. […] Bei der Frage, auf welche Umstände der in § 240 Abs. 2 StGB vorgeschriebene Maßstab anzuwenden ist, sind deshalb zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen die für die Bestimmung der Rechtswidrigkeit allgemein geltenden Grundsätze zu beachten. Für den Ausschluß der Rechtswidrigkeit durch Rechtfertigungsgründe knüpft das Gesetz, wie die §§ 32ff. StGB zeigen, an objektive Kriterien an.«[507] Dieser objektive Maßstab müsse auch bei der Bewertung der Verwerflichkeit gelten, da sonst »unkalkulierbare Rückwirkungen auf das Strafrechtssystem im Ganzen« provoziert würden.[508] Schließlich sei außerdem noch zu bedenken, dass »sich brauchbare objektivierbare Bewertungsmaßstäbe für solche Fernziele nicht aufstellen lassen. Da die politische Überzeugung der Blockierer keiner inhaltlichen Kontrolle durch den Richter unterzogen werden darf, müßten andere Kriterien gefunden werden, an denen das Ziel zu messen ist.« Dies sei aber praktisch kaum machbar. »Die Beurteilung, ob die Täter sich in billigenswerter Weise für die Lösung einer die Öffentlichkeit wesentlich interessierenden Frage eingesetzt haben oder ob eine militante Minderheit zu Unrecht den Mangel an Argumenten für einen Irrweg durch Anwendung verwerflichen Zwanges auszugleichen versucht hat, hinge damit letztlich doch von der nicht kalkulierbaren politischen Einstellung des zuständigen Richters zu der im Einzelfall erhobenen Forderung ab.«[509]

280Dem BGH ist insoweit zuzustimmen, dass eine inhaltliche Prüfung der Fernziele von Blockierern dogmatisch einen Fremdkörper im System des StGB darstellen würde. Wenn man allerdings aus guten Gründen eine Einbeziehung der Fernziele bei der Verwerflichkeitsprüfung ablehnt, bleibt das Problem, dass bei den Blockiererfällen der dahinter liegende gesellschaftliche Konflikt mit – zudem einseitig eingesetzten – Mitteln des Strafrechts nicht gelöst werden kann und sollte. Dem kann nur durch eine restriktive Auslegung des strafrechtlichen Gewaltbegriffs abgeholfen werden.

281(2) Verwerflichkeit des Nötigungsmittels: Das Vorliegen von Gewalt als Nötigungsmittel indiziert noch keine Verwerflichkeit. Zwar erscheint es auf den ersten Blick plausibel, dass jemand, der einen anderen mit Gewalt zu einem bestimmten Verhalten zwingt, auch immer verwerflich handelt. »Die Annahme einer solchen Indizwirkung erscheint aber nur dann vertretbar, wenn Gewalt im Sinne der früheren Rechtsprechung des RG ausgeübt und damit ein Delikt begangen wird, das in aller Regel als rechtswidrig gelten kann. Wird der Gewaltbegriff hingegen ›entmaterialisiert‹ und bis hin zu psychischen Zwangswirkungen erstreckt, dann fehlt jeder innere Grund dafür, bei der Anwendung der Strafnorm die gesetzlich als Korrektiv vorgesehene Verwerflichkeitsklausel außer acht zu lassen. Gerade im Falle einer solchen Erweiterung ist eine Abwägung |123|unter Berücksichtigung aller Umstände ebenso unerläßlich wie bei der Drohungsalternative.«[510] Auch wenn man also in der Prüfung des objektiven Tatbestandes das Nötigungsmittel Gewalt bejaht hat, muss man sich im Rahmen der Rechtswidrigkeitsprüfung mit der Verwerflichkeit auseinandersetzen. Im Zusammenhang mit Demonstrationen muss man etwa die Grundrechte aus Art 8 und 5GG ausreichend würdigen und die Intensität der Störung Dritter, die Dauer dieser Störung, die Ausweichmöglichkeiten der Gestörten etc. einbeziehen.[511]

282Bei der Verwerflichkeit der Drohungsvariante sind besonders die Fälle problematisch, bei denen mit einem legalen Verhalten gedroht wird, etwa der (berechtigten) Erstattung einer Strafanzeige.[512] Es stellt zwar ein empfindliches Übel dar, einer Strafverfolgung ausgesetzt zu werden. Dieses Übel muss der zu Recht Beschuldigte aber hinnehmen. Es kann daher auch grundsätzlich nicht verwerflich sein, die (berechtigte) Anzeigeerstattung in Aussicht zu stellen. Eine Ausnahme gibt es allerdings, wenn der Zweck der Androhung und der Gegenstand der Strafanzeige auseinanderfallen, der Drohende sich also sein Wissen über den anzuzeigenden Sachverhalt zunutze macht, um einen Anderen zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen. »In erster Linie kommt es darauf an, ob der Sachverhalt, aus dem sich das Recht zur Strafanzeige herleitet, mit dem durch die Drohung verfolgten Zweck in innerer Beziehung steht. Die willkürliche Verknüpfung eines Vorganges, aus dem die Berechtigung zu einer Strafanzeige erwächst, mit einem Anspruch, der auf einem ganz anderen Lebensvorgang beruht, ist regelmäßig als verwerflich anzusehen […]. Wer mit der Anzeige eines Sittlichkeitsverbrechens droht, um von dem Beschuldigten die Rückzahlung eines Darlehens zu erreichen, dessen Gewährung unabhängig von dem strafbaren Verhalten erfolgt ist, handelt regelmäßig rechtswidrig. Anders ist es gewöhnlich, wenn die Drohung mit der Anzeige eines solchen Verbrechens etwa den Zweck verfolgt, den auf Grund des Verbrechens […] begründeten Schadensersatzanspruch durchzusetzen.«[513] In den Fällen der Drohung mit einer berechtigten Strafanzeige kann also erst die Relation von Zweck und Mittel die Verwerflichkeit begründen. Dies gilt auch in Fällen, in denen sowohl die berechtigte Strafanzeige, mit der gedroht wird, als auch das Ziel – z.B. die Zurücknahme eines Darlehens – jeweils für sich genommen nicht verwerflich sind.

|124|e) Irrtümer

283Bei den Irrtumsregelungen gilt es im Zusammenhang mit § 240 StGB zu beachten, dass die Zweigliedrigkeit der Rechtswidrigkeitsprüfung dazu führt, dass nicht nur das irrtümliche Annehmen von Tatsachen, die einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund (z.B. Notwehr) begründen würden, einen Erlaubnistatbestandsirrtum darstellt. Ein solcher liegt nämlich auch dann vor, wenn der Täter sich Umstände vorstellt, die bei ihrem tatsächlichen Vorliegen die Verwerflichkeit entfallen lassen würden.[514] Rechtsfolge ist nach der h. M. das Wegfallen der Vorsatzschuld[515] und damit Straffreiheit. Stuft man das Erfordernis der Verwerflichkeit als Ergänzung des objektiven Tatbestandes ein, führt das Fehlen der Kenntnis über die Umstände, die die Verwerflichkeit begründen, zu einem Tatbestandsirrtum. Es fehlt dann am Vorsatz.[516]

284Demgegenüber stellen Irrtümer des Täters darüber, ob sein Verhalten als verwerflich einzustufen ist, einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB dar[517], der nur dann die Schuld entfallen lässt, wenn er unvermeidbar gewesen ist.[518]

f) Konkurrenzen

285Von den §§ 177, 239, 249, 253 StGB wird § 240 StGB normalerweise im Wege der Gesetzeskonkurrenz (Spezialität) verdrängt.[519] Dies gilt nicht, wenn der Täter neben dem tatbestandsspezifischen Zweck (Freiheitsberaubung, Nötigung zu sexueller Handlung etc.) noch einen weiteren Zweck verfolgt, zu dessen Erreichung er das Nötigungsmittel einsetzt. Dann erfasst § 240 StGB einen zusätzlichen, eigenständigen Unrechtsgehalt und steht in Idealkonkurrenz (Tateinheit) zu dem spezielleren Delikt.[520] Zum Verhältnis zu § 113 StGB vgl. unten Rn. 320, 333.

3. Freiheitsberaubung (§ 239 StGB)
a) Einleitung / Rechtsgut

286Freiheit im Sinne des § 239 StGB ist (nur) die Fortbewegungsfreiheit, also die Möglichkeit, sich selbstbestimmt von einem Ort wegzubewegen.[521] Umstritten ist allerdings, welche Anforderungen an den Willen zur Fortbewegung zu stellen sind. Muss sich das Opfer einer Freiheitsberaubung tatsächlich gerade wegbewegen wollen, oder reicht bereits der potenzielle Wille? Und wie steht es |125|mit Personen, die zur Tatzeit gar keinen Fortbewegungswillen bilden können, etwa Schlafende oder Bewusstlose?[522]

287Nach der überwiegenden Auffassung muss das Tatobjekt bei § 239 StGB entweder tatsächlich oder potenziell den Willen zu Fortbewegung haben.[523] So lassen sich z.B. auch schlafende Personen unter den Tatbestand subsumieren und auch der folgende Fall stellt eine vollendete Freiheitsberaubung dar: Ein Bewohner einer Wohngemeinschaft ist wütend auf seine Mitbewohnerin, weil diese mal wieder sehr laut Musik hört. In seinem Ärger verlässt er die Wohnung, nimmt den Wohnungsschlüssel seiner Mitbewohnerin mit und schließt die Wohnungstür von außen ab. Die Mitbewohnerin merkt davon wegen der lauten Musik und weil sie die Wohnung gar nicht verlassen will, nichts. Nach einer halben Stunde ist die Wut verraucht und der Mitbewohner kehrt mit schlechtem Gewissen zurück. Die Mitbewohnerin hat derweil genau das getan, was sie wollte – in der Wohnung bleiben und Musik hören. Hält man den Mitbewohner wegen des potenziell entgegenstehenden Willens der Mitbewohnerin dennoch wegen einer vollendeten Tat nach § 239 StGB für strafbar, knüpft die Strafe letztlich an die von ihm geschaffene Gefahr einer Freiheitsberaubung an, denn selbstverständlich hätte die Mitbewohnerin jederzeit die Wohnung verlassen wollen können und wäre dann daran gehindert gewesen. § 239 StGB ist jedoch kein Gefährdungs-, sondern ein Erfolgsdelikt. Stellt man allerdings ausschließlich auf den tatsächlichen und nicht auf den potenziellen oder mutmaßlichen[524]Fortbewegungswillen ab, ergeben sich erhebliche Strafbarkeitslücken: Es »wäre z.B. der Kranke oder Ruhebedürftige, der zwar aufstehen könnte, aber wegen seines Zustandes lieber liegen bleiben möchte, durch die Strafdrohung des § 239 StGB nicht geschützt«.[525] Der potenzielle Fortbewegungswille ist daher jedenfalls dann vom Schutzbereich des § 239 StGB umfasst, wenn der Betroffene weiß, dass er eingesperrt ist, sich aber nicht bewegen möchte. Bemerkt er hingegen von dem Eingesperrtsein nichts – z.B. weil er laut Musik hört, schläft oder bewusstlos ist –, ist er auch nicht in seiner Freiheit beschränkt.[526] Nähme man hier, wie es die überwiegende Zahl der Stimmen in der Literatur tut, eine Strafbarkeit (wegen Vollendung) an, würde man den |126|Anwendungsbereich des § 239 StGB in unzulässiger Weise in das Versuchsstadium vorverlagern.[527]

b) Tatbestand

288Tathandlung ist das Einsperren oder anderweitige Rauben der Freiheit eines anderen Menschen. »Jemanden einsperren heißt […], eine Person durch äußere Vorrichtungen hindern, aus dem Raume, in welchem sie verweilt, sich willkürlich zu entfernen […].«[528] Dabei ist unerheblich, ob die Einsperrung unüberwindlich ist. »Es genügt, dass die Benutzung der zum regelmäßigen Ausgang bestimmten Vorrichtungen für den Zurückgehaltenen ausgeschlossen erscheint.«[529] Unter die zweite Begehungsvariante fällt jedes Mittel, »das geeignet ist, einem anderen die Fortbewegungsfreiheit zu nehmen, insbesondere ihm, sei es auch nur vorübergehend, die Möglichkeit zu nehmen, einen Raum zu verlassen.«[530] Ein solches tatbestandsmäßiges Verhalten ist beispielsweise gegeben, wenn ein Autofahrer seinen Mitfahrer durch schnelles Fahren daran hindert, aus dem Fahrzeug auszusteigen,[531] sowie wenn jemand festgehalten oder gefesselt wird[532].

289In zeitlicher Hinsicht ist zu bedenken, dass es zwar keine feste Mindestgrenze für die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung gibt.[533] »Andererseits stellt nicht jedes auch nur kurzzeitige Festhalten des Gegners im Verlauf einer körperlichen Auseinandersetzung, das […] zu einer zeitlich nur unerheblichen Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit führt, eine Freiheitsberaubung im Sinne des § 239 StGB dar.«[534] Es bedarf also einer genauen Würdigung des jeweiligen Einzelfalles, um zu entscheiden, ob die zeitliche Erheblichkeitsschwelle bereits überschritten wurde.

290|127|Tab. 9: Prüfungsaufbau § 239 StGB


₺837,57