Kitabı oku: «Vom Träumen und Aufwachen», sayfa 3

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Populismus und Mauerfall – Anmerkungen zur Auflösung einer unheilsamen Verbindung

Albrecht Mahr

Als Erstes möchte ich zwei zentrale Tatsachen hervorheben, die unsere ganze Aufmerksamkeit brauchen.

Populismus stellt eine ernste Gefahr dar, gegenwärtig vor allem in zwei seiner Ausprägungen: als rechtsextreme Splittergruppen und als Antisemitismus.

Rechtsextreme Splittergruppen nehmen überall zu. Sie bestehen lokal jeweils aus wenigen Personen, die über das Internet mit vielen anderen Gruppen verbunden sind, die einander aufstacheln und z. B. Prämien für erfolgreiche Morde ausstellen. Gegenwärtig ist die AWD (»Atomwaffen-Division«) mit ihren typischen Totenkopf-Masken als die radikalste und gefährlichste zu nennen, eine aus den USA stammenden Gruppe, die Töten und Vernichten mit allen Mitteln zum Ziel hat. In den USA gehen wahrscheinlich fünf Morde auf ihr Konto.5

Der Antisemitismus wächst in Deutschland. Nach einer repräsentativen Studie des Jüdischen Weltkongresses in Deutschland (Zeit 24.10.2019) sind 27 % der Deutschen antisemitisch eingestellt, Tendenz steigend. Antisemitische Parolen auf Hauswänden, Pöbeleien oder körperliche Attacken gegen Juden auf offener Straße nehmen zu. Uns allen wünsche ich die Entschlossenheit und den Mut, dagegen aufzustehen!

Einleitung

Bei der Formulierung meines Themas, »Populismus und Mauerfall«, vor ein paar Monaten meinte ich, dass ich biografisch zu solchen Anmerkungen vielleicht etwas qualifiziert sei, weil meine Mutter in Chemnitz aufgewachsen ist und ich damit ein »halber Sachse« bin und weil ich seit vielen Jahren hier in Naumburg bei Beate Jaquet in Aufstellungsseminaren arbeite … Aber ich war bei der Vorbereitung dann alsbald perplex und betroffen davon, wie wenig ich von Mauerfall und Nachwendezeit de facto wusste!

Ich bin in Göttingen aufgewachsen, 30 km von der »Zonengrenze«, wo wir, meine Eltern und ich, glaube ich, nur einmal hinfuhren – wie an einen etwas exotischen und eigentlich unwichtigen Ort. 1989 lebten wir, meine Frau und unsere kleinen Kinder in Würzburg, wir hatten aus Überzeugung keinen Fernseher, und die Belange der DDR hatten für uns so gut wie keine Bedeutung. Ein Anruf meiner in Westberlin lebenden Schwester klärte mich dann auf, wir hörten von den bewegenden Momenten nach der Maueröffnung, jedoch auch in der Folgezeit entwickelte sich kein besonderes Interesse am wiedervereinigten Deutschland, das für uns halt ein Stück größer geworden war durch Übernahme der DDR in die BRD. Bei unserer Haushaltshilfe, die 1989 noch über Ungarn aus der DDR kam, waren wir ungläubig-überrascht, dass ihr erster Besuch in einem Westsupermarkt sie in eine Art von Schockstarre versetzt hatte, sodass sie nach wenigen Minuten völlig überwältigt aus dem Markt fliehen musste.

Meine Aufstellungsarbeit bei Beate Jaquet hier in Naumburg (später auch in Suhl, Dresden und Leipzig) habe ich immer sehr gerne gemacht, es wurden natürlich viele Fakten des Lebens in der DDR angesprochen und gut bearbeitet – aber merkwürdigerweise hat sie eine auch bei mir wirksame kollektive Ebene des Nicht-ganz-Beteiligtseins für lange Zeit unberührt gelassen.

Es gab für uns eine Art von eisernem Bewusstseinsvorhang, auf dessen östlicher Seite so etwas wie »Dunkeldeutschland« ein graues Dasein fristete. Grau schienen sogar die Ostlandschaften bei Zug oder Autoreisen nach Westberlin. Und »die da drüben« hatten mit der sowjetischen Besatzung, ihrem neuen totalitären Regime, der gegenseitigen Bespitzelung etc. eben Pech gegenüber dem ungleich besseren Los von Westdeutschland. Das war halt so und löste auch Schuldgefühle aus, die aber bei den allermeisten im Westen keine Handlungsimpulse weckten, was sich auch nach der Wende nicht wesentlich änderte.

In diesem westdeutschen Desinteresse sieht Irene Misselwitz in ihrem Tagungsbeitrag einen Grund für die besonderen Erfolge der AfD im Osten, die sich dort als »Kümmererpartei« anbiete und die Ostbelange scheinbar wirklich ernst nehme.

Die von vielen Westdeutschen geteilte Indifferenz hat sich bei mir in den letzten Monaten sehr verändert, was auch durch die Ausrichtung auf diese Tagung »30 Jahre Mauerfall« angestoßen wurde. Ich bin dabei, zu anderen Empfindungen zurückzukommen oder erstmals dorthin zu gelangen: eine einfache Verbindung vom Herzen aus, Anteilnahme und Zuneigung.

Zum Thema: Populismus und Mauerfall

Ich möchte vier Bereiche ansprechen:

1)Was ist Populismus?

2)Der Mauerfall und seine Folgen als ein »Brandbeschleuniger« für Populismus.

3)Die noch immer kontroverse Bedeutung der Treuhandanstalt für die Nachwendezeit.

4)Und schließlich die zentrale Rolle einer »frohen Botschaft« (so lautet ein Buchtitel), die auf der Tatsache beruht, dass sich die Welt über die vergangenen Jahrzehnte in fast allen Lebensbereichen nachweislich überaus positiv entwickelt hat.6

Populismus

Populismus ist definiert durch eine vierfache Idee von Gesellschaft, nämlich:

1)die Unterscheidung zwischen der Fiktion von einem »wahren Volk« (»populus«) einserseits – und »den korrupten Eliten sowie den anderen« andererseits. Also: auf der einen Seite wir/ das einfache Volk/die anständigen Bürger – auf der anderen Seite die Politiker/die Eliten/die anderen, die Ausländer, die Migranten

2)die Idee von gesellschaftlicher Homogenität, von weitgehender Übereinstimmung innerhalb dieses »Volkes« und damit die Annahme eines allgemeinen, identischen Volkswillens innerhalb dieses Wir

3)die Behauptung, dass wir am Abgrund stehen und in beängstigenden Gefahren leben, wie Migration, Islamisierung oder der »Umvolkung« des Westens

4)die Idee: Wir, das Volk, sind das Opfer dieser Entwicklungen, die von den Eliten sowohl hervorgerufen als auch geleugnet werden und die nicht benannt werden dürfen.

Daraus ergeben sich die vier konstituierenden, typischen Elemente des Populismus:7

1)Antiestablishment

2)die exklusive Souveränität hinsichtlich des Wir, unseres Volkes: Nur unsere Stimme ist wahr, nur unsere Überzeugungen sind gültig.

3)Und damit: Antipluralismus, d. h. gegen die grundsätzliche Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit unterschiedlicher Interessen und Weltanschauungen.

4)Betonung des Opferstatus, der Gegenwehr dringend nötig und legitim macht.

Wenn wir diese knappen Kriterien etwas ausführen, lässt sich Folgendes sagen:

Populisten – und wir alle haben solche Neigungen in uns – möchten das sichere Gefühl haben, zu einer großen, gleichgesinnten Gruppe zu gehören, zu Uns, zum Volk, dessen Mitglieder das Gleiche für wahr und richtig halten und die alles, was unwahr, falsch und schädlich ist, bei »denen da oben«, den Eliten oder den anderen, den Fremden, festmachen.

Wir Populisten sind in vieler Hinsicht die Opfer dieser vom wirklichen Volk abgehobenen Eliten, die schuld daran sind, dass Migranten und Asyltouristen auf unsere Kosten bevorzugt werden und dass unsere Bedürfnisse und Wünsche, unsere nationale Würde, unser Volkswille verkannt und in unüberschaubaren und unverständlichen europäischen und globalen Töpfen untergerührt werden.

Wir Populisten wollen endlich wieder auf unsere deutsche Geschichte stolz sein können und diesen krankhaften deutschen Schuldkult ad acta legen – in diesem Sinn ist mit dem Zurechtstutzen der Nazi-Zeit auf einen »Vogelschiss der Geschichte« (Gauland 2018)8 ein guter Anfang gemacht.

Wir Populisten wollen einfache, klare Worte und Erklärungen von unseren »Führern« – oder, besser noch: von unserem »Führer« –, die aus unserer Mitte heraus für uns eintreten, die wissen, wo’s langgeht und nicht lange fackeln. Wir wollen kein intellektuelles Geschwurbel, sondern wir wollen hören, was Sache ist und was jeder sofort versteht.

Wir Populisten wollen also eine Führungsfigur, am besten einen Mann, der eine solche Dynamik in seinem Auftreten hat, dass wir wissen: Der hat den Durchblick und die Unbeirrbarkeit eines zu höheren Aufgaben Berufenen, der eigene, womöglich abweichende Denkanstrengungen unnötig macht.

Wir Populisten wollen freiweg und impulsiv sprechen, so wie wir fühlen, und dabei gewalttätige, obszöne oder hasserfüllte Ausdrücke gebrauchen können, die von den elitären Medien, von der Lügenpresse unerwünscht sind.9

Die Kontraktion auf populistische Neigungen wird immer hervorgerufen und befördert durch die Unsicherheit äußerer Lebensbedingungen, besonders wenn sie begleitet sind von kollektiven Gefühlen der Überforderung, Enttäuschung, Kränkung oder Demütigung, wie gegenwärtig bei den Folgen des Mauerfalls oder der Globalisierung.

Letztere, die Globalisierung also, ist ein mächtiger Auslöser für Populismus: Internationale Handelsbeziehungen, enorme weltweite Informationsfülle über Medien aller Art, Konsumgüter aus allen Ländern der Welt, rasch zunehmende internationale Kontakte durch stark vereinfachtes, verbilligtes Reisen und die erlebte Auflösung von Landesgrenzen etc. – diese Öffnungs- und Entgrenzungserfahrungen lösen immer auch ihr Gegenteil aus: Kontraktion auf Nahes, Vertrautes, Eigenes bis hin zu Ablehnung oder Bekämpfung des und der Anderen und Fremden.

Was den Mauerfall und die Nachwendezeit als Auslöser bzw. Brandverstärker von populistischen Haltungen betrifft, so sind sie an Dramatik nicht zu überbieten: massenhafter und oft dauerhafter Verlust von Arbeitsplätzen unter radikaler Privatisierung und Deindustrialisierung im Osten, Anpassung nahezu aller Lebensbereiche im Osten an westliche Verhältnisse – also eine Anpassung mit der ausschließlichen Richtung von Ost nach West.

Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung 1.11.2019) fasst kurz zusammen: »Die DDR-Wirtschaft wurde liquidiert und von der Treuhand exekutiert.« Im Grundgesetz wäre ein Zusammenführen beider deutscher Staaten unter einer neuen Verfassung vorgesehen gewesen, u. a. mit den Grundgesetzartikeln 23 und 146.10 Damit hätte man die Erfahrungen der DDR-Deutschen in ein überarbeitetes Grundgesetz einbringen können. Freilich wurde diese Möglichkeit einer gemeinsamen neuen Verfassung auch von ostdeutschen Kritikern abgelehnt und auch sie wurde erst einmal als Übernahme durch die Bundesrepublik erlebt. Mit Bezug auf den Grundgesetz-Artikel 23 gab es z. B. den Ostslogan »Kein Anschluss unter dieser Nummer«.

Und so geschah die Wiedervereinigung mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und Dynamik – und in summa änderte sich für die Ostdeutschen fast alles, für die Westdeutschen fast nichts.

Vielen Ostdeutschen ging es so, wie Egon Bahr die Abwicklung der Nationalen Volksarmee NVA beschrieb (Süddeutsche Zeitung 1.11.2019). Es wurde »übernommen, verschrottet, eingeschmolzen, abgewickelt, aufgelöst, übergeben. Insofern passierte der NVA nichts anderes als dem Land und seinen Menschen insgesamt.«

Am letzten Tag der DDR, so Bahr, verweigerte die westdeutsche Seite der ostdeutschen den symbolischen Akt der Würde, die alte Fahne einzuholen und die neue zu hissen. Die bundesdeutsche Politik beantwortete den Mut der Demonstranten, aufzubegehren, und den Mut der DDR-Machthaber und der Volkspolizei, nicht auf sie zu schießen – mit Demütigung.

Das ist nützlich für Populisten. Sie wenden sich an frustrierte, gekränkte und gedemütigte Menschen, präsentieren sich selbst als ebenso geschädigt, wollen sich das ihnen genommene Land zurückholen, identifizieren vermeintlich schuldige Minderheiten, »Ausländer« und »die da oben, die Eliten« als die Verursacher und verkaufen den Ausdruck von Hass, übler Pöbelei und primitiven Entwertungen als die wiedererkämpfte Redefreiheit.

Und mit 23,4 % bei den Landtagswahlen in Thüringen (Oktober 2019) für die AfD und ihren rechtsextremen Flügelmann Björn Höcke (auch er bekanntlich ein Westimport) trifft all das auf eine beklemmende Resonanz.

»Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer«, Bild Nr. 43 der Sammlung »Los Caprichos« (= Launen), 1797 – dieses Schwarz-Weiß-Bild von Francisco de Goya kommt mir dann in den Sinn. Sie erinnern sich vielleicht: ein eingeschlafener Mann, um den herum unheimliche vogel- und fledermausartige Wesen in den Nachthimmel aufsteigen.

Wir sind mit dieser Tagung »30 Jahre Mauerfall« also aufgerufen, aufzuwachen und die gefährliche Verbindung von Mauerfall und Populismus sowie die dadurch eingetrübte Vernunft zu klären.

Zu diesem Zweck nun noch zwei Anmerkungen.

Die erste betrifft die Bedeutung der Treuhandanstalt. Und die zweite beschreibt die enorme Bedeutung der Tatsache, dass fast alle Entwicklungslinien der Welt in den letzten Jahrzehnten steil nach oben, ins Positive, weisen.

Die Treuhand

Die Treuhandanstalt war eine noch in der Spätphase der DDR unter dem damaligen Ministerratsvorsitzenden Hans Modrow gegründete Institution des öffentlichen Rechts mit der Aufgabe, die bisherige DDR-Planwirtschaft in die soziale Marktwirtschaft der BRD zu überführen. Sie war von Anfang 1990 bis Ende 1995 tätig, im letzten Jahr unter dem umständlichen Namen »Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben«.

Ein Gutteil der Treuhandtätigkeit ist in der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt, und erst seit Ende der 1990er-Jahre beginnt eine langsame und längst fällige Aufarbeitung der Treuhandarbeit. Parallel zu dieser weitgehenden Unbekanntheit der Treuhandaktivitäten besteht nicht nur im Osten eine überwiegend negative Einschätzung der Treuhand, was sich z. B. in Buchtiteln wie den folgenden äußert:

•Dirk Laabs (2012): Der deutsche Goldrausch: Die wahre Geschichte der Treuhand

•Dietmar Grosser (2013): Treuhand in Thüringen: Wie Thüringen nach der Wende ausverkauft wurde

•Otto Köhler et al. (2011): Die große Enteignung: Wie die Treuhand eine Volkswirtschaft liquidierte

•Klaus Behling (2016): Die Treuhand: Wie eine Behörde ein ganzes Land abschaffte

•Klaus Huhn (2009): Raubzug Ost: Wie die Treuhand die DDR plünderte

In der Tat ist die Geschichte der Treuhand auch mit Vorfällen von Korruption, Veruntreuung und betrügerischer Bereicherung verbunden (oder auch mit groben Fehleinschätzungen der Entwicklungsmöglichkeiten einzelner Betriebe und mit entsprechenden Fehlentscheidungen). So entstand von der Treuhand das Bild eines negativen Gründungsmythos der Wiedervereinigung mit entsprechenden negativen Überzeugungen wie »Die wollen dich doch sowieso alle über den Tisch ziehen«, was natürlich auch auf erlebten Erfahrungen beruhte, wie dem betrügerischen Verkauf wertloser Versicherungen oder eigentlich schrottreifer Autos. Was wiederum Wasser auf die Mühlen der AfD mit ihrer eigenen Opfermythologie bedeutet.

Aber es bestand in der Treuhand doch ein sehr großes und ernsthaftes Bemühen bei Vorsitzenden wie Detlev Rohwedder oder Birgit Breuel, das der Treuhand überantwortete DDR-Staatsvermögen tatsächlich »zu treuen Händen« zu verwalten.

Es gibt gegenwärtig noch viel zu wenig genaueres Wissen zum Thema, und die Aktenlage besteht aus mehr als zusammen 45 km an Länge ausmachenden Schriftstücken oder an die 100 000 Akten, die zu sichten sind!11

Die sächsische Integrations- und Gleichstellungsministerin Petra Köpping hat in ihrem lesenswerten, 2018 erschienenen Buch Integriert doch erst mal uns – Eine Streitschrift für den Osten eine bedenkenswerte Idee formuliert. Sie schlägt die Bildung einer gesamtdeutschen »Kommission zur Aufarbeitung des Unrechts der frühen Nachwendezeit« (Köpping 2018, S. 155 ff.), also eine Art Wahrheitsund Versöhnungskommission, vor, in der auch die Treuhandakten und viele weitere Zeugnisse zu Mauerfall und der Folgezeit aufgearbeitet werden mit dem Ziel, die Geschichte der Nachwendezeit in eine gemeinsame Version zu fassen.12

Petra Köpping schließt die Einrichtung eines staatlich finanzierten Gerechtigkeitsfonds ein, durch den wendebedingte Ungerechtigkeiten wie drohende Altersarmut durch den Verlust der zu DDR-Zeiten erworbenen Rentenansprüche anerkannt und wenigstens etwas ausgeglichen werden.

Nach all den skizzierten Herausforderungen und Problemen – zum Schluss: Was können wir tun? Und vor allem: Was möchten wir tun?

Meine Antwort: die enorm positiven Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in fast allen Lebensbereichen und allen Regionen der Welt anerkennen.

Walter Wüllenweber, Politikwissenschaftler und Journalist beim Stern, hat diese positiven Entwicklungen in seinem 2018 erschienenen Buch unter dem Titel zusammengefasst: Die frohe Botschaft – mit dem Untertitel: Es steht nicht gut um die Menschheit – aber besser als jemals zuvor (Wüllenweber 2018).

Dort heißt es:

»Die vergangenen Jahrzehnte waren die beste Phase in der Geschichte des Homo sapiens. Noch nie waren die Menschen (global gesehen) so gesund, so gebildet, so reich, so frei und so sicher vor Gewalt wie heute. Fast alle Entwicklungskurven zeigen steil nach oben. Doch in den Köpfen hat sich das gegenteilige Bild festgesetzt: Gewalt und Elend nehmen zu, alles verschlechtert sich, die Welt steht am Abgrund.

Diese apokalyptische Botschaft ist die Mutter aller Fake News und die Basis für den Siegeszug der Populisten. Um Herausforderungen wie den Klimawandel oder die Migration zu bewältigen, müssen die Gesellschaften die Lehren nicht nur aus ihren Fehlern ziehen, sondern vor allem auch aus ihren Erfolgen. Darum ist es kein Wohlfühl-Programm, die nachgewiesenen Verbesserungen in allen Bereichen des Lebens zu erkennen und zu würdigen. Die frohe Botschaft ist die politischste Botschaft unserer Zeit.«

Und weiter:

»Die weit verbreitete Weltsicht, alles verschlechtert sich, ist offenbar auch bei politisch interessierten, lesenden Altbaubewohnern die dominante Haltung. Gerade in diesem Milieu – und wir hier können uns dem durchaus zurechnen – gehört der ›Immerschlimmerismus‹ zum kulturellen Selbstverständnis … Seit den 70er-Jahren gilt in dem Teil der Gesellschaft, der sich für aufgeklärt hält, jeder Warner prinzipiell als klug und weitsichtig. Wer […] auf Verbesserungen hinweist, ist naiv oder uninformiert. Dieses Buch jedoch vertritt den Standpunkt: Das prägende Merkmal unserer Zeit ist nicht der Niedergang, sondern die weltweite Aufwärtsentwicklung in einem historisch einmaligen Ausmaß. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse könnten in dieser Frage eindeutiger nicht sein.«

Dieses Buch lege ich Ihnen ans Herz – weil es faktenbasiert und äußerst sorgfältig recherchiert ist. Und weil es in der extrem komplexen Nachwendezeit vor allem dem gefährlich aufkommenden Populismus die mächtigste Gegenposition entgegenhält, die es nun einmal gibt: Tatsachen. Und zwar äußerst erfreuliche Tatsachen.

Dazu nur ein paar Kapitelüberschriften – Sie können bei sich nebenbei beobachten, wie immer wieder ein »Ja, aber …« auftauchen mag:

•Der mehr als 70-jährige Frieden nach dem 2. Weltkrieg

•Noch nie so umweltbewusst: Das Wasser wird sauberer, das Ozonloch schließt sich, die Luft wird sauber, das Essen wird gesünder etc.

•Abnahme von Gewaltkriminalität – und zwar besonders dort, wo viele Zuwanderer leben!

•Der Analphabetismus stirbt aus

•Das erfolgreichste Mittel gegen Armut ist: die Globalisierung

Und sehr vieles mehr.

Wüllenweber unterstreicht ausdrücklich, dass ein äußerst negativer Sachverhalt bisher noch unangetastet bleibt: die ständige Umverteilung von Vermögen und Erträgen nach oben – sodass immer weniger Personen immer mehr besitzen. Allein das reichste 1 % der Weltbevölkerung besitzt mehr als die restlichen 99 %, Tendenz steigend zugunsten der Reichen – oft genug mit üblen Methoden wie Land Grabbing (= sich über unübersichtliche Investorenketten riesige Landflächen aneignen) oder Water Grabbing (notorisches Beispiel: Nestlé).

Diese inakzeptablen Ungerechtigkeiten sollten gewiss einer der Faktoren sein, die uns davon abhalten, uns einfach nur auf die genannten positiven Entwicklungen zu beschränken.

Es gibt aber noch weitere Gründe, die unsere Anerkennung der positiven Wirklichkeiten einschränken.

Ich will hier nur einen dieser Gründe nennen: den Pessimismusreflex. Er besteht darin, dass wir inmitten der besten aller bisherigen Welten leben und gleichzeitig negativen bis apokalyptischen Vorstellungen von der Weltlage anhängen, verbunden mit solchen »Weisheiten« wie: Pessimisten sind Hellseher, die schwarzsehen – oder: Ein Pessimist ist ein Optimist, der nachgedacht hat.

Ein Grund für dieses Phänomen ist eine aus unserem weit zurückliegenden Stammesleben in kleinen Gruppen (von maximal etwa 150 Mitgliedern) herrührende Angst- und Alarmbereitschaft gegenüber allgegenwärtigen lebensbedrohlichen Gefahren. Diese uralten neurophysiologischen Bahnungen gehören zu unserer Natur und benötigen heute unseren Verstand und unser Bewusstsein, um als unzeitgemäß erkannt und entmachtet zu werden. Sonst, siehe Francisco Goya, schläft unsere Vernunft in alten Reflexmustern, und wir gebären immer aufs Neue die Monster ständiger Angstbereitschaft, kurz den Populismus.

Wir wissen ja auch, dass die eigentlich sensationellen Nachrichten guter Entwicklungen uns nicht weiter anmachen – »Heute keine Unfälle auf der B 19« verkauft sich nicht, sondern »blood sells«, wie es Journalisten formulieren, also Katastrophen und dramatische Missstände aller Art – dies aus unserem stammesgeschichtlichen Erbe des Lebens in kleinen Überlebensgemeinschaften, wo wir ständig in Angstbereitschaft und auf dem Sprung sein mussten.

Diese Zeiten sind vorbei, und wir sind eingeladen, nicht in einer Art Retro-Illusion zu leben, wozu Populisten auffordern, als habe es Evolution nie gegeben.

Und, noch einmal, das mächtigste Mittel dafür sind die Fakten und die Freude daran, sie zu kennen und zu verbreiten.

Eben habe ich frisch aus der Druckerei Norbert Pötzls Buch Der Treuhand-Komplex (Pötzl 2019) bekommen, das zurzeit wohl beste Buch über Treuhand und Wende.

Am Schluss erwähnt Pötzl den Verein »Ost-West-Forum Gut Gödelitz«, dessen Beschreibung ich an Sie weitergebe als eines der wesentlichen Anliegen auch dieser Tagung:

»Im Gutshaus Gödelitz (Nähe Dresden) erzählen sich regelmäßig seit 1994 jeweils eine Handvoll Ost- und Westdeutsche ein Wochenende lang gegenseitig ihre Lebensgeschichten. Wolfgang Thierse (aus Ostdeutschland stammender Ex-Bundestagspräsident u. v. m.) und der niedersächsische, aus Mecklenburg stammende Politologe Peter von Oertzen haben die Anregung zu dieser Dialogform gegeben. Die Gesprächsteilnehmer, insgesamt waren es bereits mehr als 3000, hören einander zu, lassen ausreden, niemand wird beurteilt oder kritisiert. Damit sollen vor allem die tief gehenden Vorurteilsstrukturen aufgebrochen werden, die die Beziehungen zwischen Ost und Westdeutschen belasten.«

Diese Tagung war gewiss ein eigenes, wertvolles Ost-West-Forum Naumburg – vielen Dank und alles Gute!

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