Kitabı oku: «Was bildet ihr uns ein?», sayfa 2
Einleitung
Bettina Malter und Ali Hotait
Profi-Hürdenläufer zu werden, ist der Traumberuf eines jeden Kindes1. Zumindest müsste er das sein, wenn man sich die Hindernisse anschaut, die das deutsche Bildungssystem für sie bereit hält. Sei es, die Grundschule mit guten Noten zu bestehen, um auf ein Gymnasium gehen zu können, nach der Schule einen Ausbildungsplatz zu bekommen oder überhaupt gesund das Ziel zu erreichen. Hürdenläufer taucht jedoch nicht in der Top-10-Liste der beliebtesten Ausbildungsberufe auf. Jugendliche wollen lieber Erzieher, Koch oder Mechatroniker werden. Andere träumen davon BWL, Medizin oder Germanistik zu studieren. Um das zu erreichen, müssen jedoch alle den Hürdenmarathon bewältigen. Das Problem: Wer die falschen Voraussetzungen mitbringt oder einen Fehltritt macht, muss entweder steinige Umwege hinnehmen oder wird gar disqualifiziert.
Den Hürdenmarathon, zu dem uns unser Bildungssystem zwingt, zeichnen wir in diesem Buch nach. Dabei stellen wir die verschiedensten Hindernisse dar, denn Hürde ist nicht gleich Hürde. So gibt es die, mit denen alle zu kämpfen haben, die, die sich nur für bestimmte Kinder, Jugendliche und Studierende stellen, und wiederum solche, die direkt mit der Gesellschaft zusammenhängen. Zudem zeigen wir auch institutionelle Hürden auf. In der Wissenschaftssprache nennt man dies institutionelle Diskriminierung. Diese meint Diskriminierungen, die innerhalb einer Institution wie der Schule stattfinden. Es handelt sich dabei meist um „etablierte Strukturen, eingeschliffene Gewohnheiten […] und bewehrte [Handlungsgrundsetze]“2. Darüber wird in Deutschland leider nur selten gesprochen. 3grundsetze]“
Das wollen wir ändern. Dieses Buch ist aus der Idee entstanden, eine Debatte in Deutschland über unser Bildungssystem anzustoßen. Denn alle jungen Autoren dieses Buches sind sich einig: Es muss sich etwas verändern!
Vielen ist nicht bekannt, dass es in unserer Bildungslandschaft Hürden gibt. Oft herrscht das Bild vor, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied sein könnte, allein weil die Bildung in Deutschland kostenlos ist. Dass dies leider nicht so einfach ist, werden die einzelnen Kapitel zeigen.
Dieses Buch gibt analysierende und auch persönliche Einblicke in die Bildungsläufe einer Generation. Alle Autoren sind zwischen 19 und Anfang 30 und zeigen Hürden auf, die sie selbst erlebt haben oder die sie besonders problematisch finden. So wechseln sich analysierende Kapitel mit kurzen Selbstporträts ab. Diese sollen die zentrale Frage des Buches widerspiegeln: Was macht das Bildungssystem mit den Menschen, die darin lernen?
So ist das Buch wie ein Hürdenlauf aufgebaut und daher beginnen wir mit der frühkindlichen Bildung und zeigen, welchen Problemen sich schon Kinder stellen müssen. Für viele werden bereits die Wahl des Kindergartens oder die Einschulung zum Fehlstart. Häufig spielt hier der sogenannte sozioökonomische Hintergrund eines Kindes eine große Rolle, also aus welchen sozialen und finanziellen Verhältnissen es kommt.
Im darauffolgenden Abschnitt geht es vor allem um die Selektion nach der Grundschule und was dies für Jungen und Mädchen bedeutet. Seit der PISA-Studie ist klar, dass der Bildungserfolg eines Kindes maßgeblich von der Bildung der Eltern abhängt. Die Lauf bahnen sind vorgezeichnet und es ist schwer aus diesen auszubrechen, wie wir zeigen werden. Das Dramatische hierbei ist, dass diese Ungerechtigkeit bekannt ist und dennoch stark an der Dreigliedrigkeit, also an der Trennung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium festgehalten wird. Wir sollen aus der Vergangenheit lernen, um die Zukunft besser zu gestalten, wird schon im Geschichtsunterricht gelehrt. Für das Bildungssystem gilt dies aber offenbar nicht. Denn hier klammert sich die Politik und die Gesellschaft an die veralteten Strukturen, die ihren Ursprung im Kaiserreich haben. Entscheidend für die Organisation der Schule war das Jahr 1787. In dem Jahr wurde das sogenannte Oberschulkollegium gegründet, durch das die Schulen in Preußen zum ersten Mal zentral verwaltet wurden.4 Der erste Leiter dieser Behörde beschrieb in einem Plan seine Vorstellung, wie das preußische Schulwesen organisiert werden sollte. Für ihn war klar, „daß der Bauer anders als der künftige […] Bürger, und dieser wiederum anders als der künftige Gelehrte […] unterrichtet werden muß. Folglich ergeben sich drei Abteilungen aller Schulen des Staates; nämlich: 1) Bauer- 2) Bürger- und 3) Gelehrte Schulen.“ 5
Dieses Denken versteckt sich auch in der heutigen Dreigliedrigkeit unseres Schulsystems und erschwert dadurch den Bildungsaufstieg eines Kindes ungemein. Inzwischen hat sich diese Dreigliedrigkeit ausgeweitet. So gibt es beispielsweise noch Förderschulen und Gesamtschulen, weswegen wir im Buch immer von einer Mehrgliedrigkeit sprechen werden.
Der Aufstieg durch Bildung wird dann im folgenden Abschnitt thematisiert, in dem sich die Jugendlichen schon mitten im Hürdenmarathon befinden. Welche Pläne haben Jugendliche nach der Schule? Welche Hürden gibt es, eine gute Ausbildung zu finden? Und wie funktioniert es eigentlich, ohne Abitur zu studieren? Für dieses Buch haben wir Interviews mit Schülern geführt, die kurz vor ihrem Schulabschluss stehen und die wir nach ihren Zukunftsvisionen und Plänen gefragt haben. Durch diese Studie wird deutlich, wie stark die Schüler selbst die für sie vorgezeichneten Laufbahnen verinnerlicht haben und ihnen oft andere Optionen gar nicht bekannt sind.
Um die Hürdenelite, also um Probleme wehrend und nach dem Studium, geht es im darauffolgenden Abschnitt. Hier werden weitere Hürden, wie der Übergang vom Bachelor zum Master oder die Möglichkeit als Fachhochschulabsolvent zu promovieren, beleuchtet. Ein besonderes Augenmerk wird auf das Thema Depression gelegt, da in den vergangenen Jahren verstärkt auch Studierende betroffen sind.
Die nächste Abschnittsüberschrift Staffellauf statt Hürdenlauf spiegelt die Vision wider, die wir für das Bildungssystem haben. Es soll also ein Lauf sein, in dem Jugendliche keine Hürden überwinden, sondern gemeinsam mit Eltern, Lehrern und anderen Begleitern ihren Weg gestalten. Visionen finden sich immer in den einzelnen Kapiteln wieder, wobei es auch Kapitel gibt, die hauptsächlich Vorschläge diskutieren.
Abschließend werden die derzeitigen Debatten um Bildung ausführlich analysiert und es wird dargelegt, welchen Herausforderungen man sich stellen muss, wenn man solch eine Debatte gestalten will.
Dieses Buch soll darauf hinweisen, wie problematisch unser derzeitiges Bildungssystem ist und dass es keiner kleinen Reförmchen bedarf, sondern einer grundlegenden Veränderung – einer Revolution. Wir sind eine Gesellschaft, die sich als Wissensgesellschaft definiert. Bildung hat also einen hohen Stellenwert und ermöglicht darüber hinaus den sozialen Aufstieg. Um so entscheidender ist es, dass jetzt endlich entsprechende Schritte folgen, die Hürden abzuschaffen.
Wir hoffen, Sie hierdurch anzuregen, das derzeitige System zu überdenken, in Frage zu stellen und darüber zu diskutieren.
Kommt Zeit, kommt Kind – warum sich frühkindliche Bildung wandelt
Maria B. Jung und Daniela Militzer
Wie konnte aus unserer Generation und all jenen vor uns nur etwas werden?
Sprachkurse, Kunstkurse, Tanzkurse, musikalische Frühförderung, Kinderturnen, Schwimmkurse, Yoga, psychisches und physisches Training, Kinderuni: Ein so reichhaltiges Angebot gab es für uns nicht. Heute stehen Eltern jedoch vor einer nahezu unüberschaubaren Menge unterschiedlichster Förderprogramme für ihre Sprösslinge. Und allesamt nehmen für sich in Anspruch, den Kindern lebensrelevante Kompetenzen zu vermitteln. Die Veranstalter richten sich gezielt an Kinder von null bis sechs Jahren. Ist das übertrieben?
Für viele Eltern offenbar nicht, denn sonst gebe es diese Fülle an Angeboten nicht. Denn wie heißt es so schön: Wo es keine Nachfrage gibt, da ist kein Markt. Kinder sollen heutzutage schnellstmöglich all das Lernen, was für ein Leben in unserer Gesellschaft erforderlich ist. Hierzu gehört offenbar, dass sie möglichst früh mehrere Sprachen sprechen und gleichzeitig mathematische, musikalische sowie sportliche Fähigkeiten entwickeln. Normales, gesundes Entfalten wird vorausgesetzt. Doch was genau braucht eigentlich ein Kind für seine Entwicklung?
Die Welt der Ratgeber
Geht man in eine Buchhandlung, um sich ein Buch zur Kindererziehung zu besorgen, ist man schnell überfordert mit der Fülle an Ratgebern, Erfahrungsberichten und Fachbüchern: Kinderjahre, Das kompetente Kind, Kindersprechstunde, Was dein Kind dir sagen will, Schwierige Kinder glücklicher machen. Allein die Titel machen die unterschiedlichen Herangehensweisen der Pädagogen, Psychologen, Ärzte und weiterer Fachleute deutlich, und es wird schnell klar: Eltern können eigentlich nur alles falsch machen.
Dennoch, bei der Frage, was das Wichtigste für ein Kind ist, sind sich die meisten Autoren einig. Als erstes müssen die elementarsten Bedürfnisse wie Hunger und Pflege befriedigt werden.6 Hierbei muss es Verlässlichkeit und Sicherheit durch die Eltern und andere Betreuungspersonen erfahren. Denn liebevolle Beziehungen dienen dem Kind als sichere Basis, um seine Umwelt zu erkunden. So versichert es sich beispielsweise, ob seine Mutter noch da ist und es wahrnimmt, wenn es an ein Spielzeug gelangen will und sich deswegen etwas entfernt.
Doch schon längst kommt es nicht mehr nur auf die Grundbedürfnisse des Kindes an – die unzähligen Förderprogramme sind der beste Beweis. Eltern haben schon früh die Bildungsbiografie ihrer Zöglinge im Blick. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass in den letzten Jahrzehnten Studien gezeigt haben, dass Kinder vor dem sechsten Lebensjahr unglaublich wissbegierig sind und sich enorm entwickeln.7 In keinem Alter lernt das Kind so viel wie in dieser Entwicklungsphase seines Lebens. Damit rückte die frühkindliche Bildung stark ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Denn in der frühen Kindheit liegen bislang viele Entwicklungschancen brach und die sollen zukünftig genutzt werden.
Dies kann aber nur gelingen, wenn das Kind in einem fördernden Umfeld aufwächst. Die Familie dient dabei als erste Lebens- und Erfahrungsumwelt. Die Bedingungen, die es dort vorfindet, und welche Kompetenzen es durch sie erwirbt, beeinflussen es maßgeblich.8 Zu den familiären Bedingungen zählen vor allem das Einkommen, die Bildung und die Herkunft der Eltern – die zudem häufig wiederum voneinander abhängig sind. So werden einem Kind, das beispielsweise in einer Familie mit einem niedrigen Einkommen und wenig Spielangebot aufwächst, demnach schlechtere Voraussetzungen für seinen Bildungsweg bescheinigt. Was ist also mit Kindern deren Eltern keine vielversprechenden Bedingungen bieten können oder wollen?
In der Fachsprache werden sie Risikokinder9 genannt. Aufgrund ihres Umfelds, in das sie hinein geboren werden, gelten sie als entwicklungsgefährdet. Gesundheitliche oder familiäre Belastungen spielen meist schon vor der Geburt eine Rolle. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich schlechter entwickeln als andere Gleichaltrige. Grundsätzlich sind sie genauso fähig, alles zu erreichen. Allerdings haben sie schlechtere Ausgangsbedingungen und um die auszugleichen, bedarf es im derzeitigen Bildungssystem eines langen Hürdenlaufes, an dem dennoch viele scheitern. Einige Kinder entwickeln jedoch eine Widerstandsfähigkeit, wodurch sie in der Lage sind, mit Problemen umzugehen und Widerstände zu bewältigen. Aufgrund dessen gibt es Kinder, die trotz hohen Barrikaden das Bildungssystem erfolgreich durchlaufen.
Hierfür ist es wichtig, die Lebenswelt des Kindes so zu gestalten, dass es seine eigenen Widerstandskräfte ausbauen kann. Lebensumfelder wie die Familie und der Kindergarten müssen daher dem Kind Raum geben, damit es sich entwickeln kann. So dienen diese Erfahrungen dann als Rückhalt.10 Frühe außerfamiliäre Betreuung kann Kindern diese vielfältig unterstützende Erfahrungswelt ermöglichen. Dies sollte optimalerweise dazu führen, dass vorhandene Benachteiligungen ausgeglichen werden oder sich sogar zu Stärken des Kindes entwickeln können. Da Kinder beispielsweise in unterschiedlichen Gegenden aufwachsen, entspricht dieses Ziel jedoch in unserer Gesellschaft, insbesondere in Großstädten, häufig einer Utopie. Die Sorge, dass das eigene Kind durch sozial benachteiligte Kinder selbst nicht ausreichend gefördert wird, ist groß. So kommt es, dass lieber ein höherer Kindergartenbeitrag bezahlt wird, um das Kind nicht in eine öffentliche Einrichtung geben zu müssen. Umgekehrt führt das vereinzelt dazu, dass die öffentlichen Einrichtungen versuchen, bildungsorientierte Eltern durch eine strikte Trennung der Kinder in unterschiedliche Gruppen zu halten. Natürlich wird das nicht offiziell so dargestellt, aber dennoch entspricht es der Praxis. Schnell kommt einem hierbei das Lied von Franz Josef Degenhardt aus dem Jahr 1965 in den Sinn: „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder“ – das ist auch heute noch aktuell. Dass Kindern damit kein Gefallen getan wird, ist offensichtlich. Es sei denn, man ist bestrebt, dass in unserer Gesellschaft Kinder von vornherein wissen, in welche Schicht sie gehören und dass sie diese auch nicht verlassen sollen. Kindern muss es aber ermöglicht werden, von klein auf zu erleben, dass sie alle unterschiedlich aufwachsen und dass dies nicht grundsätzlich ein Nachteil sein muss. Im Gegensatz zu Erwachsenen ist es Kindern egal, wo der beste Freund herkommt oder ob die Eltern ein eigenes Haus haben. Kinderaugen haben noch nicht den wertenden Blick und betrachten ihre Spielkameraden anders. Es kommt also nicht darauf an, Kinder voneinander zu trennen, sondern sie vielmehr zusammen aufwachsen zu lassen. Kindertageseinrichtungen können hierfür ein Ort der gemeinsamen Bildung und Betreuung sein.
Kindheit wird Bildungszeit
Innerhalb der ersten Lebensjahre wird das elterliche Umfeld um die Kita erweitert.11 Wann genau Kinderkrippe oder Kindergarten zum Lebensumfeld des Kindes hinzukommen, hängt von seinen Eltern ab. Sind diese beispielsweise berufstätig, nehmen sie vielleicht früh eine Betreuung für ihr Kind in Anspruch. Bereits acht Wochen nach der Geburt ist das in Deutschland möglich. Im Jahr 2011 wurde im Schnitt jedes vierte Kind unter drei Jahren betreut. 12 Im bundesdeutschen Vergleich sind die Quoten allerdings sehr unterschiedlich. Einerseits liegt dies an mangelnden Plätzen, andererseits aber auch an unterschiedlichen Einstellungen. Wehrend es in den neuen Bundesländern gesellschaftlich anerkannter ist, Kinder früh in eine institutionelle Betreuung zu geben, ist es in den alten immer noch ein Streitpunkt. Hier werden Eltern schnell als „Rabeneltern“ abgestempelt, wenn sie ihre Kinder früh außerfamiliär betreuen lassen.
Ob ein Kind früher oder später in den Kindergarten geht, kann seine Entwicklung allerdings beeinflussen. Da die Bildungschancen eines Kindes in Deutschland noch immer stark von seiner Herkunft abhängen und davon, welche sozialen und kulturellen Welten die Bezugspersonen dem Kind eröffnen können, ist gerade für Familien aus bildungsfernen Schichten der Besuch des Kindergartens entscheidend. Dem Kind werden dadurch vielfältige Lerngelegenheiten geboten. Doch auch Kinder aus bildungsnahen Familien profitieren von dem großen Bildungsangebot und werden nicht durch vermeintlich schwächere Kinder in ihrer Entfaltung gehemmt, wie oft befürchtet wird. Zudem konnten Studien zeigen, dass der Kindergartenbesuch einen langfristig spürbaren Effekt auf die Bildung von Kindern haben kann.13
Durch dieses entdeckte Potential hat sich der Blick auf Kindertageseinrichtungen maßgeblich gewandelt und wirkt sich auch auf die Tagesstätten aus. Schon längst hat eine Kindertageseinrichtung den Status einer Aufbewahrungsanstalt verloren und man spricht von Bildungsorten. Spätestens seit der PISA-Studie14 wird die Phase vor dem Schuleintritt auch als Bildungszeit gesehen. Dass Schüler in Deutschland im internationalen Vergleich schlechter abschnitten, soll damit ausgeglichen werden, dass man mit der Bildung schon vor der Schule beginnt. Und so ist die Liste an Programmen, Maßnahmen und Angeboten, um Kitas zu Bildungsorten umzugestalten, lang. Und der Blick richtet sich immer mehr auf das „Produkt“, das am Ende der Kindergartenzeit herauskommen soll.
Dies hat zur Folge, dass die Qualität eines Kindergartens verstärkt an der erfolgreichen Anpassungsleistung von Kindern an das System Schule gemessen wird. Anders gesagt: Kitas werden mitverantwortlich für den späteren schulischen Erfolg gemacht. So gehört es nun verstärkt zu ihren Aufgaben, die Kinder auf die schulischen Anforderungen vorzubereiten. So müssen sie beispielsweise schulische Vorläuferkompetenzen vermitteln. Dazu gehört es, durch Reimen, Hören, Lauschen einen bewussten Sprachgebrauch zu entfalten und sich in mathematischem und naturwissenschaftlichem Denken zu üben. Sozial-emotionale Fähigkeiten wie Selbstsicherheit, Disziplin und Verantwortung auszubilden, gehört ebenfalls zum Aufgabenspektrum. Auch motorische Fertigkeiten wie Springen, Laufen, Schreiben müssen ausgebaut werden. Ein langer Aufgabenkatalog, der, auch wenn er auf spielerische Weise vermittelt wird, den Druck und die Erwartungen gegenüber den Kindern erhöht. An sich handelt es sich bei den genannten Vorläuferkompetenzen um ganz natürliche Entwicklungsschritte eines Kindes. Nun aber von einem Aufgabenkatalog zu sprechen zeigt, welche Haltung gegenüber dem Kind eingenommen wird: Nicht das Kind steht im Vordergrund, sondern die künftigen Anforderungen der Schule.
Ist es für ein Kind aber wirklich so wichtig, dass es den Stift so hält, wie es vorgesehen ist? Oder reicht es nicht aus, dass es eine eigene Form gefunden hat zu schreiben? Es hat wenig Sinn, Jungen und Mädchen nur anhand eines Aufgabenkatalogs zu betrachten. Viel wichtiger ist es, jedes Kind einzeln für sich zu betrachten, also einen individuellen Blick zu haben, denn so kann Sorge getragen werden, dass frühkindliche Bildung nicht zum Fehlstart eines Kindes wird. Damit das erfolgreich funktioniert, braucht es gute Kindergerten und qualifiziertes Fachpersonal.
Die bessere Fachkraft – ausgebildet oder studiert?
Neben einem kindgerechten Umfeld muss also auch dafür gesorgt werden, dass die pädagogischen Fachkräfte erkennen können, welche Bedürfnisse, Interessen oder Schwierigkeiten ein Kind hat. Dafür braucht es jedoch entsprechende Rahmenbedingungen, etwa ausreichend Zeit, um individuell auf Kinder einzugehen. Entscheidend ist aber auch, wie Fachkräfte geschult sind. Da die Anforderungen an pädagogische Fachkräfte gestiegen sind, ist in den letzten zehn Jahren eine Debatte um die Professionalisierung in der frühen Bildung entstanden. Hierbei wurde vor allem gefordert, die Ausbildung anzupassen.
Die derzeitige Erzieherausbildung basierte auf Inhalten, die eine Berufstätigkeit mit Kindern von null bis 18 Jahren vorsieht. Verglichen mit anderen Ländern war Deutschland bisher das einzige Land in Europa, in dem Mitarbeiter im frühkindlichen Bereich keine Hochschulausbildung absolvieren mussten. Seit dem Wintersemester 2004/2005 hat sich aber der Studiengang Frühpädagogik etabliert. Inzwischen gibt es in Deutschland etwa 60 Bachelor-Studiengänge mit teilweise sehr unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Durch die derzeitige Entwicklung von Masterstudiengängen ist davon auszugehen, dass sich die Zahl der Studiengänge weiter erhöht.15 Das ist Chance und Fluch zugleich. Einerseits erhalten die Bildungseinrichtungen dadurch vielseitige Fachkräfte, andererseits ist die Vielfalt für die Praxis unübersichtlich und verwirrend für Arbeitgeber und Studieninteressierte.16
Mit Blick auf die Bedürfnisse des einzelnen Kindes erscheint die Diskussion um die Aus- und Fortbildung der Fachkräfte sinnvoll. Dennoch wird sie abstrakt und fernab vom Kind geführt. Man fragt sich, wie das einzelne Kind davon profitieren kann, wenn es von einer studierten Fachkraft betreut wird statt von einer Kinderpflegerin oder Erzieherin. Ist es nicht viel wichtiger, dass die betreuende Person in der Lage ist, auf die individuellen Probleme eines Kindes einzugehen?
Nimmt man das Beispiel der Körperpflege des Kindes, so ist eine Kinderpflegerin oder Erzieherin hier häufig erfahrener als eine akademisch ausgebildete Fachkraft. Geht es allerdings um das Erkennen von Entwicklungsverzögerungen des Kindes, so hat eine akademische Fachkraft gelernt, fachlich fundiert diese gegenüber den Eltern anzusprechen, zu benennen und mögliche Hilfen anzubieten. Es darf bei der Professionalisierung der Ausbildung also nicht darum gehen, den bisherigen Erzieherberuf abzuschaffen. Denn die unterschiedlich ausgebildeten Fachkräfte können sich im Sinne des Kindes gut ergänzen und gegenseitig fördern.
Auch wenn die Diskussion um die Professionalisierung dringend notwendig ist, so darf der Kindergartenalltag vor lauter Veränderungen nicht vergessen werden. Dies kann gelingen, wenn alle Fachkräfte gemeinsam kindorientiert zusammenarbeiten. Dafür muss allerdings die gegenseitige Skepsis unter dem pädagogischen Personal ausgeräumt werden, um Vorteile, die durch die inhaltlich unterschiedliche Schwerpunktsetzung entstehen, in der Praxis nicht verpuffen zu lassen.