Kitabı oku: «100.000 Tacken», sayfa 2

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„Naja“, meint Steffi, „wir könnten natürlich auch den Kredit für unser eigenes Haus hier in Leckede damit abbezahlen.“

Ja, da hat sie natürlich recht. Das könnte man machen. Aber es ist eigentlich nicht das, was ich mir als soeben erstandener Großinvestor vorstelle. Und außerdem denke ich auch jetzt, vielleicht erstmalig wieder, an die Worte meines Vaters mit dem erhobenen Zeigefinger. An später denken!, Vorsorgen! und so was. Die Familie absichern! Tja, das könnte ich jetzt machen.

Und darum sage ich: „Aaach, nein, Steffi, der Kredit läuft doch von ganz alleine, und es dauert ja auch nur noch ein paar Jährchen, dann sind wir ihn schon los. Nein. Wir IN-VES-TIE-REN!“, posaune ich in staunende Gesichter und ich finde auch, dass es sich aus meinem Munde noch etwas seltsam anhört. Ungewohnt. Egal. Geld verändert eben Menschen.

Aber das Darlehen für unser schönes Bauernhaus hier in Leckede, das wir vor einigen Jahren aufnehmen mussten, läuft wirklich ganz gut von alleine. Ich verdiene in der Redaktion des Sauerlandbeobachters zwar keine Unsummen, aber immerhin bin ich der Redaktionsleiter dieses kleinen kostenlosen Anzeigenblattes, und wir kommen ganz gut zurecht. Der Kredit bekommt monatlich, was er braucht, und wir müssen nicht sparen. Das Onkel-Günter-Geld könnte also tatsächlich IN-VES-TIERT werden. Zum Beispiel eben in Betongold!

Es macht eigentlich doch auch richtig Spaß, über so etwas überhaupt mal nachdenken zu können. Endlich mal zu denen zu gehören, die unbedingt ihr Geld unterbringen müssen. Wohin damit, Onkel Dagobert? Vorsicht, die Panzerknacker graben schon wieder einen Tunnel!

Max ist das alles egal, er verzieht sich nach oben in sein Zimmer und hört wahrscheinlich wieder eine dieser schrecklichen Metall-Musikgruppen, und ich sitze mit Steffi allein in der Küche, um das Wort „Betongold“ noch mal gründlich von allen Seiten zu beleuchten.

„Naja“, meint sie dann nachdenklich und zieht einen Mundwinkel nach oben, was ihr außerordentlich gut steht. Sieht irgendwie frech aus. Sie ist die frechste … nein, nein, natürlich die schönste Frau der Welt, besonders mit hochgezogenem Mundwinkel. „Schlecht hört sich das ja nicht an.“

„Genau. Sieh mal, Steffi, wir kaufen ein schönes Haus und vermieten es an nette Menschen, die uns gerne und sogar monatlich dafür Geld bezahlen, in so einem schönen Haus wohnen zu dürfen. Wir sind nett zu ihnen, sie sind nett zu uns. Das ist doch toll. Und solange das Haus steht, bekommen wir Miete. Geld, ein Leben lang. Kohle ohne Ende. Die Familie ist abgesichert für alle Zeiten! Wer weiß denn, was später mal kommt?“

Sie sieht mich strinrunzelnd an und vielleicht überlegt sie, ob sie nicht versehentlich doch einen ganz anderen Mann geheiratet hat, denn so was hat sie eigentlich noch nie von mir gehört. Ich ja selbst auch nicht. Aber ich bin trotzdem sehr stolz, diesen ganzen Sachverhalt auf so eine hübsche, plausible und einfache Formel gebracht zu haben, weil ich auch wirklich meine, dass es eine ziemlich gute Idee ist, so ein Mietshaus zu kaufen.

„Tjaaa …“, sagt Steffi nur, „vielleicht hast du ja recht.“

Natürlich habe ich recht. Warum machen es denn viele andere auch so, die es nun wirklich wissen müssen? Donald Trump … oder Günther Jauch zum Beispiel. Der hat eine ganze Menge Mietshäuser, wie man liest, und scheint doch trotzdem, oder gerade deswegen, ziemlich gut drauf zu sein. Immobilien! Das ist doch das Zauberwort der Wohlhabenden, das man sich hinter vorgehaltener Hand und auf Dinnerpartys und Vernissagen zuflüstert. Beton bleibt!

Natürlich hatte es uns noch nie jemand zugeraunt, denn bisher gab es keinerlei überflüssiges Geld unterzubringen. Wir waren immer froh, dass es für alles gereicht hat. Aber jetzt, wo wir doch reich sind, sieht die Sache ja schon ganz anders aus.

Hunderttausend Tacken! Boah ey!

Der graue Kasten

In den folgenden aufregenden Tagen studieren wir eifrig und wann immer sich die Gelegenheit bietet, die Immobilienangebote in der Gegend. Auch im Redaktionsbüro kann ich es mir, trotz einer ganzen Menge Arbeit, nicht verkneifen, ab und zu mal den Immoscout aufzumachen und nachzusehen, ob unser Haus denn schon dabei wäre. Große Häuser gibt es da, kleine, langweilige, auch ganz schreckliche Betonklötze sind darunter. Nein, nein, so soll unser Haus niemals aussehen.

Schön soll es sein. Ganz einfach.

„Solide Kapitalanlage“, „gute Rendite“, „Entwicklungspotenzial“, „voll vermietet“ und „provisionsfrei“ sind Worte aus dem neuen geheimnisvollen Vokabularium, mit dem ich mich in diesen Tagen beschäftige. Oh, ist das ein aufregender, alles verschlingender Dschungel unbekannter Begriffe und Abkürzungen, durch den man sich da pflügen muss, um endlich wieder das Tageslicht des willigen Anlegers zu sehen.

„Sollten wir nicht erst mal zu Herrn Beckebanz gehen und fragen, ob wir von der Sparkasse auch noch Geld bekommen?“, fragt Steffi und da hat sie natürlich recht. Für unsere hunderttausend Tacken bekommt man nur ganz, ganz kleine Mietshäuser … oder eben gar keine. Auf jeden Fall nicht solche, die wir uns vorgestellt haben.

„Ach, das klappt schon“, sage ich, obwohl ich es nicht genau weiß. Die Häuser, die wir uns da jetzt nur mal so ansehen, kosten alle über zweihunderttausend Tacken, also sogar mehr als das Doppelte. „Herr Beckebanz macht das bestimmt.“

Und obwohl Steffi dann Bedenken anmeldet, ob es denn auch wirklich richtig sei, sich noch weiter in Schulden zu stürzen, tue ich das leicht überheblich als pure Schwarzmalerei ab und schaue sie nur tadelnd an. So, als wolle sie mir den Spaß verderben.

„Steffi, du tust ja gerade so, als ob es noch Schuldentürme mit Ratten, Kälte, Dunkelheit und Gestank gäbe, in die man uns wirft, bis wir verhungern, wenn wir das Geld nicht auftreiben können. Also wirklich!“

Ich weiß nicht, ob ich mit diesem Bild ihre Sorgen tatsächlich zerstreuen kann. Vielleicht eher nicht.

Trotz Steffis Bedenken haben wir uns dann doch einige Häuser tatsächlich auch mal in echt angesehen. Nur von außen erst mal. Aber da war leider nichts dabei. So wie auch meine Oma früher immer sagte, wenn sie enttäuscht das Fernsehen ausschaltete, weil ihr keine der Sendungen gefiel oder sie einfach nichts verstanden hat. Nüscht dabei!, sagte sie dann immer, legte kopfschüttelnd die neumodische Fernbedienung auf das kleine Tischchen neben ihrem Fernsehsessel und schlief meistens ein, oder wir spielten zusammen Mau-Mau.

Die Häuser, die wir uns angesehen hatten, lagen entweder in Gegenden, wo wir uns fast selbst nicht hintrauten, weil sie so dunkel und trostlos waren, dass wir uns auch nicht vorstellen konnten, dass da jemand wohnen will. Naja, dann macht’s ja keinen Sinn mit einem Wohn-Haus. Wir waren ziemlich enttäuscht vom Angebot, suchten aber trotzdem munter weiter.

Dann, nach ein paar Wochen hatten wir es plötzlich gefunden, unser Haus. Wir fanden es eigentlich fast gleichzeitig. Ich im Büro am Computer und Steffi beim Zahnarzt im Sauerlandbeobachter, also der Zeitung, für die ich jeden Tag schreibe. Ich selbst habe es da gar nicht gesehen, denn für die Anzeigen ist bei uns in der Redaktion Anke Niggeloh, meine liebe Kollegin, zuständig.

Schön sieht es aus, und das soll es ja auch. Es muss sich irgendwie hinter all den anderen Häuseranzeigen versteckt haben, aber das brauchte dieses schöne Haus nun wirklich nicht. Steffi und ich hatten uns sofort und unabhängig voneinander in genau dieses Haus verliebt. Es ist ein Jugendstilhaus mit Stuckornamenten, kleinen Erkern und Friesen und einem Türmchen in der Mitte. Ganz toll. Ein Eckhaus mit Restaurationsbetrieb im Erdgeschoss, solider Rendite und voll vermietet. Ja, genau das wollten wir doch.

Für Nichtverliebte ist es vielleicht nur ein grauer, alter Kasten an der Ecke einer etwas betagten Häuserzeile in einem der hinteren Viertel von Arnsberg.

Das mussten wir sehen! Sofort. Und der Preis war sogar als Schnäppchen ausgewiesen. Runtergesetzt! Trotzdem würde leider unser Onkel-Günter-Geld nicht ganz ausreichen, um es zu bezahlen, es kostete sogar mehr als doppelt so viel. Aber wir wollten es erst mal ansehen. Unverbindlich. Kucken kost’ ja nix!

Herr Dunkeloh von der ortsansässigen Immobilienfirma Dunkeloh und Wöbkemeier vereinbarte sehr bereitwillig und umgehend einen Termin und heute fahren wir mit roten Wangen und schwitzigen Händen nach Arnsberg – zu unserem Haus.

Die Vorfreude auf das Haus ist fast größer als die auf das in vier Wochen anstehende Weihnachstfest, als wir dann endlich in der Ruhrstraße in Arnsberg parken können. Mit leichter Verspätung, direkt vor unserem Haus.

Herr Dunkeloh wartet schon und eilt uns mit einem verheißungsvollen Lächeln und in einem grauen, etwas zu engen Anzug entgegen. Er verbeugt sich galant vor Steffi, schleimt ein wenig herum und drückt mir dann gütig seine Karte in die Hand. Ja, danke. Er scheint auch etwas nervös zu sein. Warum nur?

Unter dem Arm trägt er eine Aktenmappe wie die schwarzen Sparkassenmänner aus meinem Traum. Auch sein Lächeln erinnert stark an Gebrauchtwagenverkäufer oder auch Drogendealer.

„Komm Se rein, sehn Se sich ärss ma alles ganz unverbindlich an, woll! So’n Schritt will ja gut überleecht sein!“, singsangt er, lächelt versuchsweise und geht forsch voran. „Leider könn’ we nich inne Wohnungen rein, woll, weil vonne Mieters … äh … einklich keiner zuhause is’, woll. Sorry. Abba Se könn’ mir vertraun. Die Wohnung’n sin alle sehr schön und großzügich, ja? Alle sehr gut geschnitt’n. Wunderbar zu vermiet’n. Dat is’ reinstes Betongold, glaum Se mir.“

Großzügig. Gut zu vermieten. Gut geschnitten. Betongold. Na siehste, blinzle ich Steffi zu. Sag ich’s doch!

Steffi und ich starren das graue Gebäude erst mal noch eine Weile von außen an, bevor wir dem gesprächigen Herrn Makler folgen.

Es ist wirklich sehr schön, das kann man nicht anders sagen. Ein Jugendstil-Eckhaus aus dem Jahr 1896, wie Herr Dunkeloh nach einem Blick in seine Aktenmappe aufgeregt zu berichten weiß. Es gefällt uns. Wir mögen alte Häuser. Sie haben Geschichte, sie sind stolz und erfahren und haben eben eine Menge mitgemacht. Denen kann so schnell nichts mehr passieren. Steffi sieht das genauso.

Sie nickt mir zu und das heißt eigentlich: haben wollen. Das hieß es auch vor einigen Jahren, als wir unser Haus in Leckede zum ersten Mal gesehen haben. Wir sahen uns an und hatten dasselbe gute Gefühl. Jawoll, das ist es! Wir wollen es beide.

„Unser“ Haus hier in Arnsberg ist grau und groß. Ziemlich groß sogar, wenn man so direkt davor steht. Zu groß? Wir wissen es noch nicht. Aber wir haben keine Angst vor ihm.

Nun ja, es ist auch ziemlich grau, aber nicht mehr überall so ganz grau, wenn man genauer hinsieht. An manchen Stellen blättert das edle Grau schon ein wenig ab und müsste mal erneuert werden. Und die Dachrinnen … naja, und auch der Stuck ist an einigen Stellen nicht mehr ganz vollständig …

Herr Dunkeloh bemerkt unsere leicht irritierten Blicke und geht sofort auf Makler-Verteidigungskurs.

„Dat sin nur Kleinichkeit’n, woll, verährtes Ehepaar Knippschild.“ Wieso er uns jetzt verährt, wo er uns doch gar nicht kennt? Aber egal. „Dat hat Ihn’ ’n guter Handwärksbetrieb in paar Tage gemacht, woll. Ich kann Ihn’n da einige ämpfehl’n. Dat is’ nur äußerlich, woll. De Substanz is’ gut!“

Diesen Satz werden wir noch des Öfteren zu hören bekommen, es scheint also wichtig zu sein, dat de Substanz ehm gut is’. Das wissen wir dann schon mal. Na, schauen wir uns doch mal alles an.

Wir bemerken noch anerkennend die schönen alten Fenster mit echten Holzsprossen, die sehr gut zum Haus passen. Holz. Kein Plastik, kein Alu. Man müsste sie halt auch mal streichen. Na gut. Kann man alles machen.

Ein kunstvoller, weißer Stuckengel ziert den Bereich an der Ecke des Hauses über dem Eingang des griechischen Grillrestaurants, das hier seine … naja, zugegeben, etwas fettige Heimat hat. Vom Engel sieht man nur den halben Kopf, weil das Schild des Restaurants, also eher des Imbisses Takis Orakel den schönen Engel leider verdeckt. Schade.

Dieses Takis Orakel verbreitet ansonsten einen recht intensiven, aber eigentlich ganz leckeren Frittenöldunst über den gesamten Eingangsbereich. Und als ich nachdenklich die dicken Schwaden so betrachte, die aus dem Inneren dieser mediterranen Imbisshöhle wabern, stelle ich mir nur ganz kurz und etwas erschrocken vor, wie das ganze Stadtviertel mit einem leichten Fettfilm überzogen wird, Autos nicht mehr glänzen, Brillen beschlagen und alte Leute auf dem Bürgersteig vor dieser Spezialitätenrestauration auf dem schmierigen Bürgersteig ausrutschen, sich das Genick oder den Oberschenkelhals brechen … ach, man soll nicht immer alles so schwarz sehen.

Der Geruch des Etablissements jedenfalls verbreitet sich über die ganze Straße, wahrscheinlich, um hungrige Kunden anzulocken, sodass Herr Dunkeloh uns auch jetzt eifrig zum Hauseingang treibt, als er bemerkt, dass wir nur noch ganz vorsichtig und flach die Atemluft durch die Nase einziehen, um unsere Lungen nicht übermäßig mit den Rückständen der Pommes-Frites und Gyros-Herstellung des Hauses Takis zu belasten. Wir lächeln ihm dennoch mutig und voller Zuversicht zu.

Der Eingang zu den Wohnungen befindet sich an der Seite. Na, dann gehen wir doch endlich mal rein.

Aus dem übergroßen Schlüsselbund, den Herr Dunkeloh jetzt aus seiner Mappe zieht, gleich den richtigen herauszufinden, erweist sich schon mal als nicht ganz einfach. Wer weiß, wann er überhaupt das letzte Mal hier war, um den Kasten gutgläubigen Interessenten aufzuschließen.

Kurz flammt in mir wieder ein kleiner, schneller und böser Gedanke auf, dass wir möglicherweise seit langer Zeit die einzigen sind, die sich überhaupt für diese Hütte interessieren … Ach, was. Schnell wische ich diesen unsinnigen Gedanken wieder weg. Das kann ja gar nicht sein. Bei so einem prachtvollen Objekt werden die Interessenten Schlange stehen. Wir sollten also nicht zu lange überlegen.

Nach einer Weile des Suchens und Ausprobierens hat Herr Dunkeloh den richtigen Schlüssel dann gefunden und schließt mit einem ermunternden Nicken erwartungsvoll auf. Ein klebrig glänzender Schweißfilm überzieht bereits seine blasse Stirn.

Wir folgen ihm gespannt und voller Erwartung durch die leicht quietschende Haustür in das Dunkel des Flurs und ich stoße mir das Schienbein an einem sportlichen Kinderwagen, der da vor sich hin wartet, weil Herr Dunkeloh nicht gleich den Schalter für das Flurlicht findet.

„Ah, verdammt, wer hat denn hier …!“, will ich gerade losfluchen, schon so, wie ein richtig böser, grantiger Tyrann von Hausbesitzer, als Herr Dunkeloh mich mit dem so dahingemurmelten Wort „Bewegungsmälder“ beruhigen will. Was? Ach so. Ich weiß schon, er meint, man könnte so einen Sensor einbauen, der dann direkt das Flurlicht anschaltet, wenn einer zur Haustür reinkommt. Ja, das wäre sehr vernünftig. Gute Idee.

Ich sehe mich ganz kurz in einem grellenGedankenblitz schon als neuer Master of Grauer Kasten Gesetze entwerfen und gebieterisch Pamphlete über Kinderwagenstellverbote an die Treppenhauswände nageln, wie einst Martin Luther, der sicher nichts gegen Kinderwagen hatte, aber ja auch Missstände beseitigen und die Welt ein wenig verbessern wollte. Will ich auch. Wenigstens in unserem Treppenhaus.

Ach, es ist ja nur ein Kinderwagen. Leute, wir haben Kinder im Haus! Das ist doch wunderbar!

Das Flurlicht brennt endlich, aber nicht auf allen Etagen, was Herrn Dunkeloh jetzt schon fast einen Punktabzug einbringen könnte. Aber wir wollen uns unser Haus ja nicht durch solche Kleinigkeiten vermiesen lassen.

Es ist schön, und das soll es auch bleiben. Basta! Wir wollen es haben! Oder, Steffi? Ja, du willst es doch auch! Das sehe ich doch.

„Ach, dat müsste dann au ma gemacht wärd’n“, sagt Dunkeloh entschuldigend und wir winken nur generös ab. Ist ja weiter nichts.

Interessiert, voller keimender Vorfreude und auch schon mit so etwas wie Besitzerstolz schauen wir uns in unserem Haus um, und da geht das Flurlicht nach einer geschätzten halben Minute auch schon wieder aus. Als ich das Licht wieder einschalten will, verwechsle ich den Lichtschalter mit einer Klingel und ich höre nur von drinnen eine weibliche Stimme: „Haust du ab, du Arsch. Stinks du wieder Ouzo un Takis! Komms du ssuruck, wenn nüschtern!“

„Oh, ich dachte, hier ist niemand zuhause“, drehe ich mich verwundert zu Herrn Dunkeloh um. „Aber wenn man die Dame richtig versteht, dann erwartet sie wohl auch noch kurzfristig ihren Gatten zurück.“

„Ja, ich … äh … dachte au, datte Frau Göktürk nich zuhause is’“, stammelt Herr Dunkeloh fast so, als hätte er gehofft, sie wäre nicht zuhause. Etwas unsicher lächelt er uns zittrig an. „Na, dann könn’n we ja vielleicht doch ma kurz inne … äh … Wohnung kuck’n.“

„Hallo, Frau Göktürk, hier Härr Dunkeloh von Dunkeloh und Wöbkemeier, ja?“, ruft Herr Dunkeloh gegen die immer noch geschlossene Tür, die sich aber dann plötzlich einen kleinen Spalt öffnet. „Ich hier … mit neue Besitzer von Haus!“

„Wat willssu, Dünkelöh?“, fragt eine tiefe rauhe Stimme, die bedrohlich durch den kleinen Spalt knurrt. Türken haben eben überall Ös und Üs in ihrer Sprache, jetzt also auch Herr Dünkelöh. Hinter der Tür scheint alles böse und dunkel. Nein, dünkel.

„Wir vielleicht ma schnell kuck’n könn’n … in Wohnung, Frau Göktürk?! Besichtigung?! Neue Besitzer?! Haus verkaufen?!“ Er spricht nicht nur wie ein Idiot, er spricht auch ganz laut.

„Was spreschst du wie mit Ausländer, Dünkelöh, binnisch dreissehn Jahre Deutschland. Versteh isch gutt. Kommstu rein mit deine Leute.“

Und dann öffnet sich die Tür ganz und wir dürfen Frau Göktürk in voller Gänze bestaunen. Sie sieht aus wie … naja, eigentlich wie Winnetous Mutter, wenn ich sagen soll, was mir als Erstes durch den Kopf geht, als sie da so vor uns steht und böse lächelt. Dichtes, struppiges, schwarzes Haar, zu Zöpfen geflochten, umrahmt ihr kantiges, fast männliches und übertrieben gebräuntes Antlitz. Sie sieht aus, als wollte sie gleich zu einem Kostümfest aufbrechen – mit Indianerperücke und Kriegsbemalung. Nur den Tomahawk müsste sie noch eben aus der Küche holen, man weiß ja nie, und dann kann’s schon losgehen.

„Wass loss? Komme rein!“, befiehlt Frau Winnetou und wir gehorchen artig, um nicht direkt am Marterpfahl zu landen.

Und so tauchen wir ein in eine olfaktorische Wunderwelt aus Knoblauchküche, Aschenbecher, Fischresten und Kinderwindeln. Stark verbrannt riecht es auch.

Mir fällt der Kinderwagen unten im Flur ein. Ein kleiner, hoffnungslos rotzverschmierter Junge sieht uns ängstlich an und beginnt dann fürchterlich zu brüllen. Ärgerlich ruft Frau Göktürk nach hinten in eins der Zimmer: „Gönül, kommsstu? Deine kleine Bruder muss Schnauze halten. Sons weckt de Adnan. Habbisch Besuch.“

Ein etwa vierzehnjähriges weibliches Schlurfgespenst erscheint lustlos und ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft kaugummikauend in einer der Türen, schenkt uns einen angeödeten Blick und zerrt dann das kleine brüllende Ungetüm in das Zimmer. Hinter der Tür hört man einen deutlichen Klatsch und das Brüllen verstummt augenblicklich, um sich dann aber wieder mindestens mit doppelter Lautstärke sirenenartig fortzusetzen. Man hat nur Luft geholt und neuen Anlauf genommen.

Ich sehe Steffi an und zucke mit den Achseln. Soll man sich schon dazwischenwerfen? Darf man sich überhaupt in die Erziehung anderer Familien einmischen? Wie erzieht der Türke? Vielleicht in grundlegenden Dingen etwas anders als wir. Keine Ahnung. Und um internationale Verwicklungen oder einen blutigen Indianerkrieg zu vermeiden, folgen wir also erst mal Herrn Dünkelöh ins Wöhnzimmer.

Außer einem gigantischen Monstrum von Flachbildfernseher, der eine dieser äußerst beliebten, recht lehrreichen und besonders lebensechten Nachmittagssendungen zeigt, in denen ganz schlechte Schauspieler so tun, als würden sie sich hassen und schon bald oder auch augenblicklich gegenseitig umbringen, kann man erst mal nicht viel erkennen, weil die Fenster des Zimmers mit blickdichten Wolldecken verhängt sind. Man ist also lieber privat bei den Göktürks. Kann ich verstehen.

Als sich unsere Augen an das flimmernde Halbdunkel gewöhnt haben, tauchen langsam und schemenhaft eine gemusterte bläuliche, nur ganz leicht abgeschabte und etwas bräunlich verkrustete Sitzgruppe für mindestens zwanzig Personen und ein Glastisch auf, der leider nicht mehr lange halten wird, weil er einen großen, langen Sprung hat. Trotzdem steht eine Menge leerer Flaschen darauf. Und noch hält er ja.

Die Sitzgelegenheiten sind über und über mit allerlei lustigen bunten Sachen und etwas Müll belegt, was nun mal zu einem lebendigen Haushalt gehört. Natürlich. Das ist ja bei uns auch nicht viel anders, denke ich. Steffi scheint leicht anderer Meinung zu sein, doch sie lächelt Frau Göktürk trotzdem freundlich zu.

„Wollen setzen?“, röhrt Winnetous Mutter, aber wir lehnen alle erschrocken und dankend ab. Nein, nein, das geht zu weit, wir wollen ja nur kurz mal …

Dann bekommen wir noch einen ebenfalls sehr schönen, aber auch fast gänzlich abgedunkelten Raum zu sehen, der das Schlafzimmer der Familienchefs darstellen soll und ein weiteres Zimmer, das auch dem Zweck des Schlafens dient, das wir aber gar nicht sehen können, weil Adnan – fumffe Monat – darin schläft. Und wir wollen ja nicht riskieren … natürlich. Das Bad ist leider gerade besetzt, weil der Nachbar, Herr Bolschakow, sein eigenes zur Zeit nicht benutzen kann, da irgendwas mit dem Abfluss nicht stimmt. Wir wollen es aber auch nicht sehen, schon gar nicht, nachdem Herr Bolschakow es benutzt hat. Ist sicher auch nicht nötig. Ist halt ein Bad.

Und dann geht es wieder zurück in den Flur und wir erkennen im Vorbeigehen aus den Augenwinkeln in der Küche in einer Ecke ein offenes Feuer, über dem ein großer Topf hängt, in dem es kräftig brodelt. Lagerfeuer. Ich denke, hier wird sicherlich gerade ein schmackhaftes, typisch türkisches oder auch indianisches Gericht zubereitet.

Nun ja, etwas ungewöhnlich vielleicht, da die Küche doch sicher auch über einen funktionierenden Herd verfügt, auf dem man Wasser zum Brodeln bringen könnte, aber vielleicht kennen wir uns ja nur nicht gut genug mit der fremdländischen Kochkunst aus und man will sich da ja nicht gleich einmischen. Es ist sicher eine ganz besondere Köstlichkeit, die die Familie an ihre ferne Heimat erinnert, die sich auch nur so zubereiten lässt und die heute Abend bei einer politischen Diskussionssendung oder einem Tierfilm vor dem Riesenfernseher verspeist wird. Aber vielleicht habe ich das auch nicht richtig gesehen mit dem Feuer. Wahrscheinlich.

Ach, ist das schön. Familie, Kinder, gemeinsam kochen …

Herr Dunkeloh schließt mit weit aufgerissenen Augen in Lichtgeschwindigkeit die Küchentür und raunt Frau Göktürk sehr aufgebracht etwas zu. Ich höre nur so was wie „… verrückt geword’n?“ und „… abfackeln?“, und Frau Göktürk sagt nur: „Mach immer so!“ – und damit ist die Sache erledigt.

So. Vielen Dank, liebe Frau Göktürk. Wir haben ja alles gesehen. Sehr schön geschnitten, Ihre Wohnung übrigens. Vergessen Sie Ihren Tomahawk nicht, bevor Sie das Haus verlassen!

Als wir die Toilette der Göktürk-Wohnung passieren, dringt durch die fest verschlossene Tür eine geheimnisvolle, fremde Melodie. Es ist etwas Russisches, und wenn ich mich nicht täusche, heißt dieses Lied, das der Herr Bolschakow da voller Sehnsucht nach seinem schönen weiten Land vor sich hinsummt, „Die Wolgaschiffer“.

Ich glaube ja. Na, macht ja auch irgendwie Sinn.

Dann stehen wir wieder im Treppenhaus, und ein etwas desolat, aber ansonsten recht sympathisch aussehender, leicht dicklicher Mann wankt an uns vorbei. Sicher Herr Göktürk. Die Familie ist also bald wieder vereint. Wir grüßen freundlich, aber er stiert uns nur hohl an und kratzt sich im Schritt.

Herr Dunkeloh schwitzt schon wieder und wirkt etwas hilflos.

„Tach, Härr Göktürk!“

Ich weiß gar nicht, warum er so nervös ist. Läuft doch alles. Das Haus gefällt uns, oder? Steffi?

„Die Leute sind sähr nett, müss’n Se wissen, verährtes Ehepaar Knippschild. Die Göktürks. Sähr kulltiviert, woll. Vier Kinder. Sähr ruhich und freundlich. Zahl’n immer pünktlich, woll … Se müsst’n halt ma wieder aufräum‘ und … naja … manche ham es eb’n nich so mitte Ordnung. Se wiss’n schon.“

Ja, ja, natürlich. Bei uns ist auch nicht immer alles aufgeräumt.

„Abba de Substanz is’ gut.“

Na bitte, da haben wir es doch wieder. Und es beruhigt auch tatsächlich, das zu hören und zu wissen. Die Substanz ist gut!

Gegenüber können wir die Wohnung leider gerade nicht betreten, weil ja der Nachbar, Herr Bolschakow, momentan auf dem Klo von Frau Göktürk sitzt und sonst - laut Herrn Dunkeloh - keiner zuhause ist. Okay, macht ja nichts. Wenn die Substanz gut ist.

Dann geht es eine Etage höher. Die Raufaser des Treppenhauses ist in grellem Grün gehalten, fast Neongrün, was uns nach einer Weile eigentlich doch sehr gut gefällt, wenn man es sich richtig überlegt und die Augen sich erst mal daran gewöhnt haben. So freundlich irgendwie. Frisch, oder, Steffi? Man hört schon jetzt von oben die Geräusche einer größeren Menschenansammlung mit Marschmusik und von unten Herrn Göktürk, wie er an die Tür seiner Wohnung poltert und Frau Winnetou noch mal den Spruch von eben sagt: „Haust du ab, du Arsch. Stinks du wieder Ouzo un Takis! Komms du ssuruck, wenn nüschtern!“

An der Tür, vor der wir nun stehen, steht auf einem handschriftlichen, ehemals sorgfältig mit Tesafilm angebrachten Zettel Panagopou … Der Rest ist abgerissen.

„Panagopoulos“, sagt Herr Dunkeloh hastig, aber schon merklich geschwächt. „Dat sin de Betreiber von dem griechischen Restaurang da unt’n, woll. Die sin getz da unt’n. Die sin gar nich da, verstehen Se?“, sagt er noch und schüttelt heftig den Kopf, um es sich selbst glaubwürdig zu bestätigen. „Wir könn‘ da getz nich rein. Leider, woll.“ Aber er scheint ganz froh darüber zu sein.

„Na, macht ja nichts“, sage ich, „die Substanz …“

„… is’ einwandfrei“, ergänzt Herr Dunkeloh dankbar meinen angefangenen Satz. „Auch genauso schön geschnitt’n, wie die Wohnung vonne Göktürks. Is’ ja genau drübber, woll.“

„Ja, ja.“

Da öffnet sich die Tür der Wohnung gegenüber, die im unteren Bereich ein paar schwarze Brandstellen zu haben scheint, und ein weiß geripptes Unterhemd, über einen passablen Bauch gespannt, zeigt sich. Der dazugehörige kurzrasierte Kopf mit ebenso kurzem Schnauzbart ist jetzt auch da und bollert: „Wat mach’n Se da? Da is‘ keiner!“

Aus dem Hintergrund erklingt mit reichlich Volumen schmissige Militärmusik. Der Herr ist also ein Musikfreund, wie schön.

„Ah, Härr Horstkötter!“, dreht Herr Dunkeloh sich zu der Erscheinung um, und es sieht nicht so aus, als ob er sich über Herrn Horstkötters Anwesenheit wirklich freut. Er wischt sich nur einmal ganz kurz ein paar weitere Schweißtropfen von der Stirn und stöhnt. Er scheint es wirklich schwer zu haben heute, der Arme, obwohl es gar nicht warm ist.

„Ich bin hier mitte neue Besitzer, Härr Horstkötter. Sie wiss’n ja, dat Haus wird verkauft, woll …“, erklärt er vage in Richtung schwitzendes Feinripphemd.

Herr Horstkötter sieht uns abschätzend an und es ist offensichtlich, dass er uns nicht zuzutrauen scheint, als neue Besitzer über dieses Haus und besonders über ihn zu herrschen.

„Guten Tag, Herr Horstkötter!“, grüßen wir freundlich und sagen: „Knippschild!“

„Tach!“

Na gut, ich weiß natürlich auch nicht, wie man so ein Mehrfamilienhaus denn nun eigentlich besitzen soll und was es bedeutet, Herr in einem dermaßen großen, von vielen fremden und fremdländischen Leuten bewohnten Haus zu sein. Wie macht Günther Jauch das eigentlich? Wie kann man diese Menschen denn nun wirklich beherrschen und führen? Und muss man das eigentlich, oder kann man sie auch einfach so sich selbst überlassen? Ich habe da keinerlei Erfahrungen. Das muss ich zugeben.

„Hier muss wat passier’n!“, sagt Herr Horstkötter dann ohne Übergang und meint anscheinend, dass das schon reicht. „Hör’n Se sich dat ma an!“, sagt er und zeigt nach oben. „Die arabisch’n Terrorist’n, ja?“

Damit meint er wohl den Lärm aus der Etage über uns.

„Und was muss passieren?“, frage ich ihn, weil ich wirklich nicht genau weiß, was er meint. Dinge, die jetzt von Grund auf geändert werden müssten, haben wir bisher doch noch gar nicht entdeckt. Und, nun ja, aus einer der oberen Wohnungen kommt eine ganze Menge Lärm. Das stört vielleicht ein wenig, ist aber sicher nur sporadisch. Aber sonst?

„Un der Schinese macht au nur Mist da ob’n!“

„Ja, wie …?“, fragt Herr Dunkeloh.

„Der kocht Hunde da ob’n!“

„Härr Horstkötter, ganz ob’n, dat is‘ Herr Nguyen, der kommt aus Vietnam und kocht ganz sicher keine Hunde, woll!“

„Ja, dann isses eben so’n Vietkong. Mir doch egal. Aber wenn der jeden Tach hier Hunde kocht …!

„Der KOCHT keine Hunde, Härr Horstkötter!“

„Woher woll’n Se dat denn wissen? Ich hör se doch immer bellen. Vorher.“

Herr Dunkeloh wischt sich schon wieder Schweiß von der Stirn, lächelt uns etwas bröselig zu und versucht, mit einem angedeuteten Kopfschütteln Herrn Horstkötters Anschuldigungen zu widerlegen.

„Der Neger war auch dabei!“, fährt Horstkötter ungerührt fort und unterdrückt sehr nachlässig einen Rülpser.

„Dat sacht man nich, Herr Horstkötter!“

„Aber wenn’s doch stimmt. Ich hab ’ne ja selbs gesehn, den schwatt’n Kerl, wie er zu dem Vietkong rübber is‘.“

Neger sacht man nich“, wiederholt Dunkeloh unbeirrt.

„Aber er is‘ doch einer.“

Dunkeloh schaut kurz zu uns rüber und wir verstehen schon. Er will wissen, ob wir neben den Einblicken in Herrn Horstkötters Ansichten über seine ausländischen Mitbewohner auch noch Einblicke in seine Wohnung haben wollen.

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