Kitabı oku: «Steine des Schreckens», sayfa 2
Jelato fragte seine Frau: „Wir sollten jetzt! Was meinst du? Ein paar Bilder von dem toten Fisch machen wir noch und dann geht es in die Ferienwohnung und später zum Essen in die Stadt. Gut?“
Sie war mehr als einverstanden. Schliesslich hatten auch sie sich einen guten Hunger angelaufen. Auch das gehört zu Ferien dazu. Man ist den ganzen Tag draussen an der frischen Luft und bewegt sich und als Folge entwickelt man einen guten Hunger – selbst das einfachste Essen schmeckt in den Ferien gut. Das Sprichwort stimmt: Hunger ist der beste Koch.
Jelato und seine Frau erhoben sich also von der Bank und zogen ihre Jacken zurecht. Sie wühlte einen Fotoapparat aus ihrem kleinen Rucksack hervor und gab ihn Jelato.
Dann hängte sie den Rucksack wie ein Stadtmensch über ihre linke Schulter. Er runzelte die Stirn und schaute kritisch, sagte aber kein Wort. Nur keine sinnlose Diskussion jetzt. Den Rucksack auf diese Art zu tragen, das konnte er nicht nachvollziehen. Das ergibt doch mit dem dann zur Seite verlagerten Schwerpunkt insgesamt eine labile Gleichgewichtslage. Den Kindern erklärt man, wie sie den Schulranzen zu tragen haben. Abweichungen davon können zu Haltungsschäden führen, sagt man ihnen.
In den Bergen werden Menschen mit dieser Art des einschultrigen Rucksacktragens sicher nicht alt. Die Darwinsche Auslese und der sarkastische Darwin-Award fielen ihm dazu ein, ein Preis, der naturgemäss üblicherweise nur posthum zu erlangen ist, zum Beispiel durch Absturz wegen falschem Tragen von Rucksäcken.
Bedingung für diesen Preis ist allgemein das möglichst dümmliche, vor allem aber definitive Ausscheiden aus dem menschlichen Genpool. Bewerben für diesen Preis kann man sich zu Lebzeiten ausschliesslich durch eine dumme Tat mit den entsprechenden Folgen. Je dümmer die Tat ist, umso höher steigt man im Ranking. Für Interessenten: schon Beerdigte werden für die Preisverleihung nicht wieder ausgebuddelt und die Tat muss schon ausserordentlich sein -ausserordentlich dumm. Ein ganz berühmtes Beispiel für sowas Saudummes ist, wie könnte es anders sein, ein Anwalt, der in einem Hochhaus im 24ten Stock seinen Gästen die Stabilität der eingebauten Fenster vorführen wollte und sich dagegen warf. And the winner is …
Der Hund verfolgte aufmerksam jede Bewegung. Sicherlich vermutete er irgendwas Essbares im Rucksack und war schon voller Erwartung. Sein Schwanzwedeln war verräterisch. Der hatte da sicher schon lange was gerochen. Dafür sind diese Tiere ja bekannt. Tatsächlich hatte Jelatos Frau in einer kleinen Plastiktüte ein paar Hundeleckerli dabei und fragte: „Darf er?“
„Ja, machen Sie nur.“
Sie warf dem Hund ein Leckerli hin, aber aus Respekt vor dem Hund warf sie es nicht auf ihn zu, sondern rücksichtsvoll neben ihn. Wie schnell das träge Tier doch zuschnappte! Eben noch scheintot und jetzt plötzlich quicklebendig.
„Wie ein Mensch! Die Faulen sind beim Essen plötzlich ganz schnell!“
„Eher wie ein Krokodil.“
Sie lachten.
„Wissen Sie, unsere Nachbarn haben auch einen Hund. Der holt sich immer sein Hundeguzzli ab, wenn er mich sieht. Deswegen habe ich immer einen kleinen Vorrat dabei. Habe ich ganz vergessen vor der Abfahrt aus der Tasche zu nehmen. Jetzt war es doch für was gut. Einen schönen Tag noch.“
„Danke ebenfalls, und da Sie noch länger auf der Insel sind, werden wir uns bestimmt nochmal über den Weg laufen.“ „Das wäre gut möglich. Auf Wiedersehen.“
Jelato und seine Frau gingen los in Richtung der mysteriösen Fundstelle.
Der Hund sah wehmütig seiner verschwindenden Futterquelle nach und machte sich in seinem Hundekopf sicher so klassische Hundegedanken: wieso gehen die einfach weg? Da wäre doch noch mehr möglich gewesen! Ich hab‘s gerochen! Sie kamen an die besagte Bank und erkannten sofort, dass das, was andere eine Sauerei nennen würden, wirklich arrangiert war. Eine arrangierte Sauerei sozusagen. Absichtlich und auch offensichtlich. Das Fischszenario war nicht einfach so zurück gelassen worden. Da steckte ein Gedanke dahinter, eine Absicht. Das sollte gesehen werden. Das sollte auffallen. Aber warum? Doch ein Kunstwerk?
„Wir sollten das nicht überbewerten“, meinte seine Frau und schoss nach und nach trotzdem ungefähr 15 oder 16 Fotos.
„Hey, mach doch nicht so viele Fotos.“
„Ist doch egal, ich kann ja wieder ein paar löschen.“
Das ist so ein Standardspruch im digitalen Fotozeitalter mit der zur Verfügung stehenden unglaublichen Speicherkapazität.
Früher war ein Film teuer und hatte nur wenige Bilder. 24er- oder 36er-Filme waren sehr beliebt, in verschiedenen Empfindlichkeiten und als Kunstlicht- oder Tageslicht-Variante erhältlich, je nachdem, was man brauchte, und wer geschickt im Einlegen war, der konnte noch ein oder zwei Bilder mehr heraus holen. Dann wurde der fertige Film zum Entwickeln ins Fotolabor gegeben und nach 14 Tagen war es dann endlich soweit, die Bilder waren fertig. Das kostete immer viel Geld, auch wenn aus Mitleid etwa drei Abzüge nicht berechnet wurden, weil ganz offensichtlich falsch belichtet oder zu verwackelt.
Ein Foto war also mühsam und teuer, und deshalb wurde genau überlegt, ob ein Motiv knipsenswert wäre, und wenn ja, mit welcher Verschlusszeit und mit welcher Blende. Ein Belichtungsmesser war damals noch teuer und nur selten eingebaut. Undenkbar heute. Richtig scharf stellen war auch eine Kunst für sich, trotz Fresnel-Einstellhilfe. Die Fachdiskussion, ob es Tiefenschärfe heisst oder Schärfentiefe, ist bis heute nicht entschieden.
Aber heutzutage bedeutet Fotografieren was ganz Anderes. Man hält einfach drauf und los geht es. Es wird automatisch belichtet, es wird automatisch scharf gestellt, es wird automatisch mit Datum und Uhrzeit gespeichert, es fehlt wirklich nur noch die automatische Motivklingel, die ein Signal gibt, wenn irgendwo ein interessantes Motiv zum Knipsen ist. Der einzige begrenzende Faktor ist – der Akku.
„Ich muss den Akku wieder ans Netz hängen“, sagte sie beim Einsetzen des Ersatzakkus und gemeinsam prüften sie die Bilder im kleinen Monitor am Apparat. Sie fanden die Bilder ok und gingen weiter.
„Wenn das Kunst sein soll, dann weiss ich auch nicht.“
Danach sagte er einen Satz, der ihn sofort als bekennenden Kunstbanausen outete: „Das ist höchstens Wulst. Kunst kommt von Können, Wulst kommt von Wollen.“
„Egal was es jetzt tatsächlich darstellt. Das Leben ist hier so ruhig, dass ein toter Fisch den aufregendsten Teil des Tages bildet, DAS Ereignis des Tages, ich glaube es ja nicht.“
„So stellt man sich doch Urlaub vor.“
„Eigentlich schon.“
„Im Urlaub vergeht die Zeit doch wie im Fluge. Wenn jetzt noch jeden Tag richtig was los wäre, dann würde die Urlaubszeit ja noch schneller rum sein. Das willst du doch auch nicht – oder ist dir langweilig?“
„Nein, sicher nicht!“
Sie setzten ihren Weg vorbei an ein paar Windrädern in Richtung Ferienwohnung fort.
Jelato fiel auf, dass diese Energieerzeuger im Wind alle in der gleichen Uhrzeigerrichtung drehten. Er grinste über das ganze Gesicht und fing an, sinnleere, aber doch interessante Gedanken zu entwickeln.
„Normal wären doch rechtsdrehende und gleichviele linksdrehende Windmühlen. Hier scheint jemand das ökologische Windmühlengleichgewicht zugunsten einer bevorzugten Drehrichtung zu verändern – das sieht nach einer menschlichen Manipulation aus. Ein menschlicher Eingriff in das globale Windmühlengleichgewicht.“
„Deine Sorgen möchte ich mal haben! Du machst dir aber auch über den letzten Mist Gedanken. Ob das mal besser wird?“
„Das Gehirn hat eben auch Urlaub und will spielen. Ausserdem ist das kein Mist. Hier geht Diversität verloren, eine ganze Gattung andersrum drehender Windmühlen wird verdrängt, bis es am Schluss nur noch eine Sorte gibt. Bei unseren Planeten ist das auch so, die umkreisen die Sonne auch nur in einer Richtung. Das wär doch viel spannender, wenn da zwischendrin ein Planet eine gegensätzliche Umlaufbahn hätte.“
„Stimmt eigentlich. So gesehen. Es gibt auch für die ganze Galaxie eine Drehrichtung.“
„So weit müssen wir gar nicht gehen. Weisst du, auch die Bohnen wachsen immer so rum um die Stange“, sagte er und machte eine typische Wendeltreppen-Geste mit der Hand.
„Ist es nicht gerade anders rum?“, sagte sie und machte exakt die gegensätzliche Bewegung mit der Hand.
„Wir müssen das mal klären. Das ist doch wichtig, in welcher Richtung die Bohnen um die Stange wachsen.“
„Ich glaube, wir sollten abends nicht so viel trinken“, sprach‘s und weiter ging es in Richtung der Ferienwohnung in dem umgebauten Nebengebäude eines früheren Bauernhofes. Es waren vom Strand aus nur ein paar hundert Meter und kurze Zeit später erzählten sie dem zufällig im Garten arbeitenden Vermieter von dem geheimnisvollen Fisch-Vorkommnis.
Der konnte damit aber auch nichts anfangen. Die Problematik des Leerfischens der Meere war ihm zwar klar, aber von einer Kunstaktion war ihm nichts bekannt. Es war auch keine Protestaktion oder sowas angekündigt.
Normalerweise wird ja bei solchen Events oder Happenings jeweils vorher zufällig die lokale Presse informiert, damit auch genügend Publikum anwesend ist. Die Informationen zu sowas sickern oft als gezielte Indiskretion durch, damit es noch interessanter wird.
Surrealistische Performance oder so wird dann gemunkelt und schlussendlich lässt sich irgendein dümmlich in die Kamera grinsender Lokalpolitiker oder Tourismusdirektor mit dem sehr ernst wirkenden Künstler mit Bart und ungebändigtem Haar im Wollpullover und mit Wollmütze ablichten. Der Künstler würde deshalb so ernst dreinschauen, weil er damit die Bedeutungsschwere seines Werkes unterstreicht. Nein, sowas war es hier also nicht.
Der Vermieter hatte eine weitere Deutung des Fisch-Rätsels: „Ein Fisch ist doch auch ein Symbol für die Zugehörigkeit zur christlichen Glaubensgemeinde. Der reiche Petrus war doch Mit-Erbe eines familieneigenen Fischereibetriebes, wenn ich mich nicht irre, ohne Fangquotenregelung übrigens. Handelt es sich eventuell um ein religiöses Ritual?“
„Ob wir das je erfahren werden?“
Der weitere Tag verlief, wie sie es geplant hatten – ganz ruhig.
Sie konnten ja nicht ahnen, dass sie gerade den Anfang einer absolut mysteriösen und brutalen Entwicklung erlebt hatten. Schon bald sollten sie ein ähnliches Erlebnis haben.
Burg auf Fehmarn:
Medieninformation der Polizei vom 5. September
Entdeckung – Toter Fisch illegal entsorgt?
Bereits einige Tage zurück liegt eine Entdeckung, die Strandwanderer am Samstag letzter Woche machten.
Die betreffenden Personen waren auf dem Weg zu ihrer Ferienwohnung, als sie auf dem asphaltierten Deichweg von Presen in Richtung Puttgarden einen toten Fisch fanden. Bei dem toten Fisch handelt es sich nach Auskunft eines Experten um einen sogenannten Koi von beachtlichem Wert.
Diese Fische kommen in keinem dortigen Gewässer vor, sondern sind ganz sicher aus privater Zucht. Deshalb besteht die Vermutung, dass das tote Tier von einem Züchter oder Teichbesitzer illegal entsorgt wurde.
In unmittelbarer Nähe des Fisches lag ein Stein in Form eines Fisches. Offensichtlich ist das tote Tier zusammen mit dem Stein zur Fundstelle transportiert und dort abgelegt worden.
Die Polizei sucht Personen, die Angaben zu dem Vorgang machen können.
Der tote Hund

Einen genauen Plan für diesen Tag hatten sie nicht. Brauchten sie auch nicht. Schliesslich waren sie ja in den Ferien. Das ist eben das Gute an Ferien, dass der Tagesablauf nicht verplant ist. Jelato meinte immer, es müsse doch möglich sein, sich mal wie ein Blatt im Wind zu verhalten und einfach mal abwarten und schauen, wo man landet. Wegen seiner naturwissenschaftlichen Ausbildung nannte er das manchmal auch anders: wir lassen uns mal von der Brownschen Molekularbewegung regellos herumtreiben.
Andererseits war ihm bewusst, dass ein strukturierter Tagesablauf jeder Form von Verwahrlosung vorbeugt. Sonst ist als Ergebnis nachher der kostbare Ferientag verbummelt und man hat nichts Richtiges unternommen.
Also gingen sie wie am Vortag am Strand entlang spazieren, das ist immer eine gute Lösung. Deswegen waren sie ja eigentlich auch hier. Spazierengehen am Strand, das war es.
Und wie schon gesagt: auf’s Wasser schauen. Und Muscheln sammeln.
Verlaufen kann man sich auf einer Insel kaum. Wenn man genügend lange geht, kommt man irgendwann zum Ausgangspunkt zurück. Gilt aber nur für kleine Eilande. Für sowas ist Fehmarn dann aber doch wieder zu gross und so hatten sie sich zur Sicherheit wenigstens eine Wanderkarte eingesteckt. Guter Gedanke und trotzdem falsch.
Die Wanderkarte konnten sie heute nämlich überhaupt nicht gebrauchen. Wieso denn nicht? Das ist doch immer gut. Vorschlag zum Selbstversuch: studieren Sie doch mal eine Wanderkarte bei so einem Wind! Selbst mit zwei Händen fest gehalten flattert die wild herum, die richtige Seite kippt dauernd weg, und sie droht trotz plastifizierter Ausgabe und somit erhöhter Stabilität beinahe zu zerreissen. Da hilft es auch wenig, wenn zwei zusätzlich helfende Hände bei der Zähmung der Wanderkarte mitmachen.
Die Wolken jagten wie ein Schnellzug durch den Himmel, ab und zu kam vollkommen überraschend die Sonne kurz durch, dann rasten wieder die Wolken vorbei. Es war ungemütlich. Ein lästiger Wind war das hier – fast schon Sturm. Speziell heute war der Wind richtig unangenehm, weil die Sonne immer nur ganz kurz und nie so prall schien. Bei knalligem Sonnenschein ist der Wind ja nützlich, aber nicht heute. Es war zeitweise sogar total bewölkt. Es sah auch bedrohlich nach Regen aus.
„Nix mit Sonneninsel heute.“
„Die Sonneninsel ist kaputt, funktioniert heute nicht. Die sollten besser werben mit dem Ausdruck Windinsel. Ich vermute mindestens Beaufort sieben, da schau, siehst du den weissen Schaum auf dem Wasser?“
„Ich würde am liebsten rückwärtsgehen, damit ich den Wind nicht so ins Gesicht kriege.“
„Das ist nicht dein Ernst. Sollen wir wirklich rückwärtsgehen?“
„Nein, sicher nicht. Das habe ich nur so gesagt. Da fallen wir bloss auf die Nase oder stossen mit anderen Wind-Wanderern zusammen! Aber so blöd das ist, ich muss doch meine Sonnenbrille aufsetzen, meine Augen tränen sonst zu viel in dem Wind und es hat auch Sandkörner in der Luft.“
„Das ist gut für den Teint. Die Haut wird sandgestrahlt und ist nachher wie neu. Porentief rein, nicht nur oberflächlich sauber.“
Jeder Atemzug war Arbeit.
„Ich kriege kaum noch Luft.“
„Mach es doch wie die Motorradfahrer und binde dir einen Schal vor den Mund.“
„Der Luftwiderstand ist unglaublich. Das ist mühsam!“
„Man kommt kaum vorwärts.“
„Die Fehmarnsundbrücke ist jetzt sicher wieder für Gespanne mit Wohnwagen und für leere LKW gesperrt!“
„Hoffentlich auch, sonst werden die einfach von der Brücke gepustet und weg sind sie.“
Sie kämpften weiter tapfer gegen den Wind an. Sie stützten sich gegenseitig und kamen sich mit ihrer schrägen und breitbeinigen Gangart vor wie alte sturmerprobte Seebären auf einem schwankenden Schiff.
Die Luft tat gut. Sauber gewaschen durch den nächtlichen Regen, der letzte Staub war nun weggeblasen vom Wind und kleinste salzhaltige Tröpfchen von Meereswasser in der Luft sorgten für den Zustand, den ein paar Personengruppen besonders schätzen. Das sind zum Beispiel alle Windmühlenbetreiber, Segler und Kitesurfer, Drachensteigenlasser und nicht zu vergessen – unsere lieben Allergiker, eine jährlich wachsende Pollen-Fangemeinde. Wer das halbe Jahr mit gequollenen Froschaugen und roter verschleimter Nase herumläuft, der schätzt diese Phasen, wo die Pollen irgendwo sind, nur nicht in der Luft, oder wenn doch, dann weit weg. Für Leute mit Heuschnupfen ist so ein Wetter ein wahrer Quell der Freude.
Sie hatten aber beide keinen Heuschnupfen – und wieso heisst das Heuschnupfen, wenn zum Beispiel die Haselnuss schuld ist? Sie zählten auch zu keiner der anderen Gruppen. Also war der Wind zunächst mal nur eines, nämlich lästig. Aber das ist ja immer auch abhängig von der Richtung. Wenn man mit dem Wind geht, ist es ok, man wird nur etwas schneller als sonst. Das kann bis zu einer bestimmten Windstärke sogar Spass machen. Wenn man gegen den Wind geht, dann nervt es. Bei Frauen hängt das alles auch noch von der Haarlänge ab und ob frau bestimmte Bändigungstechniken beherrscht oder technische Hilfsmittel einsetzt wie Stirnband, Wollmütze, Schal.
Radfahrer kennen noch ein ganz spezielles Wind-Phänomen nur zu gut. Wenn man gegen den Wind fährt, dann freut man sich auf die Rückfahrt mit der dann zu erwartenden Windunterstützung. Da geht dann aber die Post ab. Denkste. Erfahrene Radfahrer fallen darauf nicht rein.
Egal wie man fährt auf der Insel, man hat immer Gegenwind. Physikalisch eigentlich unmöglich, ist es aber psychologischer Alltag. Es gibt scheinbar so etwas wie eine ‚gefühlte bevorzugte Windrichtung‘, und das heisst konkret und immer: der Wind kommt von vorne, egal in welche Richtung man fährt. Da wird dann auch der eleganteste Pedaleur schnell zum breitbeinigen Stampfer und jeder Meter muss der Strasse abgekämpft werden. Kommen noch ein paar Regentröpfchen dazu, dann machen diese Drahtesel-Freunde einen überaus glücklichen Eindruck. Am schlimmsten fand Jelato diejenigen Esel auf den Drahteseln, die bei Wind noch die Idee hatten, einen Schirm aufzuspannen. Die haben doch tatsächlich so nebenbei eine neue Sportart erfunden – Kite-Radfahren. Aber Vorsicht – das ist eine Hochrisikosportart.
Sie blieben öfters stehen und schauten auf’s Wasser, hinaus auf das weite Meer, das heute aufgewühlt war. Ein faszinierendes Naturschauspiel. Gelegentlich schien die Sonne durch ein Wolkenloch auf‘s Meer und diese helle Stelle auf dem Wasser bewegte sich dann rasend schnell vorwärts und durch die feinen Tröpfchen in der Luft konnten sie sogar den Verlauf der Sonnenstrahlen gut sehen, wie ein Spot-Light bei einem Konzert mit durch Nebelmaschinen verpesteter Luft. Es gab ab und zu sogar so etwas wie einen Regenbogen, aber nie für lange.
Sie genossen die Vorstellung und bemerkten, dass sie sich bei ihrer Unterhaltung fast anschreien mussten. Der Wind blies ihre Worte einfach weg. Für Fremde sah das sicher aus wie ein handfester Ehekrach. Aber wir können beruhigt sein, es war eine ganz normale Unterhaltung.
„Kannst du dich noch an die Berichterstattung von der letzten Krise in Nordafrika erinnern?“, schrie er sie an.
„Was meinst du genau?“
„Da wurden doch viele Menschen mit grossen Fliegern evakuiert. Damit der Bericht authentisch wirkt, haben sie den Reporter vor so eine startbereite Maschine mit laufenden Triebwerken gestellt und dieser Dummling hat dann zwei Minuten lang seine Reportage ins Mikrofon geschrien! Man hat kaum was verstanden.“
„Ach ja, das war eine Glanzleistung. Sie machen ja bei uns auch immer den Wetterbericht vom Dach des Senders aus und es fliegt dann ein Flieger drüber oder unten fährt ein Krankenwagen mit Alarm.“
„Und hier ist es jetzt mit diesem Wind so ähnlich“, schrie er weiter.
„Beim letzten grossen Sturm wäre so eine Reporterin beinahe weggespült worden wie auf der Toilette. Die hat tatsächlich gemeint, sie müsste das aufgepeitschte Wasser mit auf dem Bild haben und hat sich an die Kai-Mauer gestellt. Dann kamen auch erwartungsgemäss schöne grosse Wellen und sie hatte ein Problem.“
Kaum hatte Jelato über die sensationslüsterne und quotengierige Journalistin abgelästert, da musste er mit einer blitzartigen Bewegung seine Kappe retten. Die war schon halb vom Kopf und wäre wohl ziemlich weit geflogen.
„Reflexe sind noch ok.“
„Die wär weg gewesen, die hättest du nicht mehr eingekriegt.“
So kämpften sie sich weiter vorwärts und weil sie dabei den Kopf immer etwas nach unten gebeugt hatten, bemerkten sie erst recht spät, dass es auf ihrem Weg auf dem Deich nicht mehr weiter ging. Es war abgesperrt worden. Die Polizei hatte rot-weisses Plastikband an einem Holztor, welches Weideabschnitte auf dem Deich voneinander trennen sollte, angebracht. Das Band flatterte wie wild im Wind, die Enden hingen nicht nach unten, sondern wurden vom Wind waagerecht in der Luft gehalten und ungefähr 100 m weiter hinten auf dem Deich sahen sie zahlreiche Leute, die mit irgendwas beschäftigt waren. Sie konnten weiter nichts erkennen. Sie beschlossen daher, das Plastikband zu respektieren und nicht oben auf dem Deich weiter zu wandern, sondern den bequemen und windsicheren Radweg auf der Landseite zu benutzen.
So ein Deich hat ja oft drei Wege. Da ist zum einen der Deichweg, das könnte gut der an der Wasserseite sein. Dann hat es den Deichverteidigungsweg, das wird wohl oben der sein auf der Deichkrone. Und auf der anderen, der wasserabgewandten Seite, das ist sicher ein Feldwirtschaftsweg, der heisst jetzt aber Radweg. Man müsste das mal nachlesen, wie das genau ist mit den drei Wegen. Es könnte auch andersrum sein. Jelato würde bald mal im Internet nachschauen.
Sie entschieden sich also für diesen Radweg, der vielleicht auch der Deichverteidigungsweg war, mit Sicherheit aber ein Feldweg ist. So konnten sie die gesperrte Stelle umgehen und kamen aber doch bis auf 20 m heran. Sie trafen auf ein paar Leute, die dem Treiben da oben zuschauten, was denn so läuft. Man muss doch informiert sein.
Man nennt diese Leute heute gerne Schaulustige oder Gaffer, es sei denn sie können nützliche Angaben machen, dann sind es plötzlich nicht mehr Gaffer, sondern gute Beobachter, aufmerksame Spaziergänger oder gar wichtige Zeugen. Man beurteilt die Leute also nach ihrer Nützlichkeit und Verfügbarkeit. Das machen sonst nur Chefs und Zuhälter und Priester – und eben die Polizei in ihren Meldungen bei irgendwelchen Unfällen und Ereignissen.
Jelato fragte einen dieser Mitmenschen am Zaun, was los sei.
Und siehe da, es war ein Zeuge, kein Gaffer. „Dort liegt ein toter Hund. Habe ich vor ungefähr einer Stunde gefunden.“
„Ach was? Nein! Und deswegen so ein Aufwand? Haben die nichts Besseres zu tun? Wenn dass das grösste Problem auf der Insel ist, dann geht es hier aber allen gut.“
„Nein, nein. Das scheint schon ernster zu sein. Das arme Tier wurde irgendwie vorher misshandelt und schliesslich wahrscheinlich totgebissen.“
„Ja, dann ist es klar. In so einem Fall wird ermittelt wie bei Tötungsdelikten bei Menschen. Die Kriminaltechnik sichert am Tatort alle möglichen Spuren und die Pathologie sucht die Todesursache.“
„Sind Sie vom Fach?“
„Ja, aber im Urlaub.“
„Schade, dass ich den Hund von hier aus nicht sehen kann. Ich kenne fast alle Hunde von Presen und Umgebung und könnte denen sagen, ob er von hier ist.“
„Das kriegen die schon raus. Die meisten Tiere haben heute einen Chip unter der Haut und sind damit gut zu identifizieren.“
„Womöglich auch DNA-Analyse?“
„Auch DNA-Analyse.“
„Tsss, das ist der Fortschritt heutzutage.“
„Hilft aber weiter.“
„Wissen Sie, mir ist da noch was ganz Merkwürdiges aufgefallen.“
„Was denn?“
„Da lag anscheinend so ein Stein bei dem Kadaver. Dieser Stein hatte die Form eines Tierskelettes, vor allem ein Schädel liess sich gut erkennen, sagen selbst die Polizisten.“
„Wenn das kein Zufall ist, dann würde es ja bedeuten, dass hier eine ganz gezielte Tötung eines Hundes stattgefunden hat, ein Ritualmord an einem Hund sozusagen.“
„So sieht es aus.“
„Na ja, wir gehen mal weiter. Hier wird nichts Spektakuläres mehr passieren. Das ist jetzt mühsame Detailarbeit der zuständigen Leute. Das braucht seine Zeit.“
„Ich muss noch dableiben. Ich habe schliesslich das Tier gefunden, also eigentlich hat mein Hund den Kadaver gefunden. Ich habe ihn schnell wegziehen müssen und dann die Polizei verständigt. Die haben nachher noch ein paar Fragen. Vielleicht kann ich den toten Hund auch genauer anschauen. Der lag in einer Decke und ich habe nur den Kopf ein bisschen gesehen. Ich habe extra nichts angefasst.“
„Das ist auch gut so. Also dann, Auf Wiedersehen.“
„Auf Wiedersehen.“
Sie gingen zurück zur Ferienwohnung und trafen wie praktisch immer in den letzten Tagen ihren Vermieter bei der Arbeit auf dem Hof. Sie erzählten ihm, was sich auf dem Deich ereignet hatte.
„Ein toter Hund?“ fragte er zurück und machte dabei einen ganz nervösen Eindruck. Er schaute sich sorgenvoll um. Er suchte was.
„Wir haben einen Hund, einen alten Dackel, haben Sie ja sicher schon gesehen. Das wird doch nicht unser Axel sein? AXEL! AXEL! Wo steckt der Kerl wieder? AXEL! Verflucht!“
Seine Frau erschien aus der Scheune und sagte: „Was schreist du denn so rum? Du machst ja noch die Ponys verrückt!“
„Was ist denn mit dem Axel? Wo steckt der?“
„Was soll schon sein? Die Kinder sind mit ihm weg. Die sollten eigentlich bald wieder da sein. Was ist denn los?“ Er berichtete die Neuigkeit vom toten Hund am Deich und wie er so sprach, da erschienen die Kinder mitsamt Axel und alle waren wohlauf.
„Ein Glück! Unser Hund ist es jedenfalls nicht.“
Jelato bückte sich zu dem Dackel und sagte: „Soso, Axel heisst du. Axel, komm mal her, alter Bärentöter.“
Der kleine Hund kam müde langsam zu ihm und bellte, aber nur einmal, zur Begrüssung sozusagen. Seine Besitzerin rief: „Axel, tu doch nicht so blöd!“
Jelato fragte die Kinder: „Ihr seid wohl weit mit ihm gelaufen, dass er so müde ist? Ihr dürft natürlich nicht vergessen, dass der ganz kurze Beine hat und vielmehr Schritte machen muss als ihr.“
„Nein, das ist nicht wegen den kurzen Beinen. Der Axel ist schon alt und mag nicht mehr so weit. Da bleibt er irgendwann einfach stehen wie ein störrischer Esel.“
„Wie alt ist er denn?“
„14 Jahre.“
„Oh, ein hohes Alter für einen Hund! Und der fliegt nicht weg bei dem Wind?“
„Nein! Der ist ja ganz flach!“
„Also so gesehen ist der Dackel tatsächlich der einzig wahre Windhund, weil er bei Sturm aufgrund seiner flachen Konstruktion und dem niedrigen Schwerpunkt nicht wegfliegt – interessanter Gedanke. Ein tiefer gelegter aerodynamisch optimierter Hund, getunt sozusagen. Und ihr, habt ihr Steine in den Taschen vom Anorak, damit ihr nicht wegfliegt?“
Sie lachten nur. „Eigentlich wollten wir heute Drachen fliegen lassen. Aber der Papa hat es nicht erlaubt.“
„Da hat er auch ganz recht. Bei dem Wind reisst euch entweder die Schnur oder ihr fliegt mit weg. Da geht es euch dann wie dem fliegenden Robert im Struwwelpeter.“
„Was ist mit dem passiert?“
„Der ist bei starkem Wind mit seinem Regenschirm einfach weggeflogen.
Wo der Wind sie hingetragen,
Ja! das weiss kein Mensch zu sagen!“
Seine Frau kramte in der Zwischenzeit ein Hundeguzzli hervor und Axel war anschliessend mit der Welt weitaus zufriedener als vorher. Als die Kinder wieder weg waren, sprachen sie weiter über den toten Hund am Deich.
„Die bekommen schon raus, wem der Hund gehört, glauben Sie mir.“
„Ja hoffentlich auch. Saukerle, die sowas machen. Sagen Sie, haben Hunde heute eigentlich auch generell einen Chip? Bei uns hat jede Kuh und jedes Pferd einen Chip irgendwo unter der Haut, aber der Axel hat keinen.“
„Ja, das weiss ich jetzt auch nicht so genau. Das könnte tatsächlich vom Besitzer abhängen, ob er das machen lässt oder nicht. Oder es gilt nur für neue Hunde. Für bestimmte potenziell gefährliche Hunde ist das sicher Pflicht. Aber die Polizei wird es als interne Information nicht bekannt geben bis zum Abschluss des Falles.“
„Sie haben mir doch auch das mit dem toten Fisch erzählt. Ich habe das so nebenbei mal unserem Sheriff gesteckt. Die Polizei ist also im Bilde. Wenn es da einen Zusammenhang geben sollte, dann kommt das raus.“
„Weshalb meinen Sie, dass es einen Zusammenhang zwischen dem toten Fisch und dem toten Hund gibt?“
„Na wegen den Steinen.“
„Ja, das wäre naheliegend, der Gedanke drängt sich auf. Elementary, Watson.“
„Häh?“
„Nie Sherlock Holmes gelesen? Das hat er immer zum Dr. Watson gesagt. Elementary, Watson.“
„Nee, habe ich nie gelesen. Aber ein paar Filme im Fernsehen habe ich gesehen.“
Jelato und seine Frau gingen in die Ferienwohnung. Sie setzten sich einen guten Kaffee auf und ein paar Stücke vom feinen Kuchen vom Vortag waren auch noch vorhanden. Ein gemütliches Käffchen ohne Wind – ein Genuss.
Er bemerkte so nebenbei, dass hier auf der Insel bei vielen Häusern die Fenster nach aussen zu öffnen sind. Das fand er jetzt speziell sinnvoll. Wenn also richtiger Sturm herrscht, dann werden die Fenster somit fester zugedrückt.
„Bei uns gehen alle Fenster nach innen auf“, sagte er zu seiner Frau. „Bei Sturm werden sie ein wenig aufgedrückt und verlieren so an Dichtigkeit, und hier werden sie bei Sturm fest zugedrückt und werden noch dichter als vorher. Die Alten haben sich da schon was dabei gedacht.“
„Dafür ist es bei uns praktischer die Fenster zu öffnen, wenn man ein Insektengitter aussen dran hat.“
„Auch wieder wahr.“
Der heisse Kaffee tat gut. Er verstand jetzt auch die Leute besser, die sich da noch was rein tun – bei so einem Wetter muss das ganz einfach erlaubt sein.
Die Erlebnisse der letzten Zeit gingen ihm aber nicht aus dem Kopf.
„Frau, hier passieren doch merkwürdige Sachen auf der Insel. Zuerst der tote Fisch, jetzt der tote Hund, und scheinbar auch hier wieder ein komischer Stein im Spiel. Komisch, komisch. Sicher kein Zufall. Unser Vermieter hat den Braten gerochen und das gleich als Verdacht geäussert. Das wäre aber dann ober-komisch.“
„Sooo komisch find ich das nun auch wieder nicht. Da dreht doch jemand ganz offensichtlich durch. Das ist doch krank. Ein krankhafter Hass auf Tiere womöglich?“
„Wenn es ein und derselbe Täter ist, dann kann das der Anfang von irgendwas sein. So etwas hat nicht die Tendenz, von selber aufzuhören. Das ist wirklich bedenklich. Hoffentlich nehmen die das genügend ernst hier. Da steigert sich vielleicht einer in was rein.“