Kitabı oku: «Carl Schmitts Gegenrevolution», sayfa 10
2. Stierkampf als Passion
Schmitts Interesse an der spanisch-lusitanischen Welt hatte lebenslange familiäre Bezüge. Seine jüngere Schwester Auguste war nach ihrem Lehrerexamen im Oktober 1911 für über zwei Jahre als Hauslehrerin nach Portugal gezogen. Der junge Carl, bereits promoviert und seit 1910 als Rechtsreferendar in Düsseldorf lebend, schrieb ihr im Auftrag der Familie aufmunternde Briefe gegen das Heimweh. Seine Briefe nach Portugal sind ediert: Schmitt erzählt von der Familie zu Hause, gibt Literatur- und Kunstempfehlungen, bemüht sich also um die ästhetische Bildung der Schwester und warnt immer wieder vor erotischen Verführungen und Abenteuern. Er meint: „Die Deutschen sind um nichts besser, wohl aber unhöflicher als die Portugiesen.“ (JB 117) „Was das Wichtigste, den Kavalier angeht, so kannst Du nicht vorsichtig genug sein.“ (JB 123) „Traue den portugiesischen Windhunden nicht. Lass es nur nicht zum Anfang kommen.“ (JB 148)
Spanien tritt in den Briefen an die Schwester als erotische Phantasie und Verheißung in Schmitts Leben. Er erwähnt seine Carita Dorotić, die legendäre Hochstaplerin und spätere Ehefrau, nämlich erstmals als „spanische Tänzerin“. Am 19. Mai 1912 berichtet oder gesteht Carl seiner Schwester:
„Ich habe jetzt eine entzückende Freundschaft mit einer spanischen Tänzerin, die auch Dir gefallen würde. Sie kann schlecht Deutsch und weiß sich in Deutschland brillant zu helfen. […] Sie ißt mit mir auf meinem Zimmer, hinterher lese ich ihr was vor. Es ist übrigens nichts, weswegen Du moralisch entrüstet sein müsstest.“ (JB 151)
Es ist kaum zu übersehen, dass erotische Phantasien und Identitätsbetrug in der Liebespassion und Ehe mit Cari eine zentrale Rolle spielen und Carl sich Cari zunächst als spanische Tänzerin erträumt. Er glaubt anfangs wirklich, dass sie Spanierin sei, wie er ja insgesamt über zehn Jahre braucht, um ganz zu realisieren, was dem Geheimrat und Mentor Hugo am Zehnhoff in Düsseldorf sofort klar war: dass er eine Halbweltdame liebte, die sich vor der Prostitution – vielleicht: aus der Gelegenheitsprostitution – in die Ehe rettete.
Die erotische Identifikation Spaniens hält an. Nachdem Cari Carl einen (phallischen) „Goldfüllfederhalter“ schenkte, soll Auguste unbedingt einen spanischen Shawl besorgen. Mehrfach schreibt er im August 1912: „Hast Du Dich um einen Shawl, einen Stierkampfmantel und spanische Tänze bekümmert?“ (JB 159) Schmitt imaginiert Cari also weiter als Spanierin und inszeniert seine erotische Passion als Stierkampf. In seiner geschichtsphilosophischen Satire Die Buribunken158 erörtert er später die Gestalt des Don Juan als erotischen Freibeuter und Prototyp des modernen Menschen. Schmitt macht sich hier auch über sein eigenes Liebesleben und dessen literarische Verwertung zur Leistungsschau im Tagebuch lustig und kritisiert die moralische Unverantwortlichkeit und Bindungslosigkeit des Don Juan. Er fordert den existentiellen Ernst in der Liebe zurück, unterscheidet also zwischen Affäre und Passion, wenn ihm der Stierkampf ein positives Modell der Geschlechterbeziehungen bleibt. Schon 1923 notiert er ins Tagebuch:
„Der Grundaffekt meines Lebens: Das Leben ist ein Kampf, gewiss, aber ein Kampf in einer Arena vor Zuschauern, besonders vor weiblichen Zuschauern, die Trophäen bereit halten; das Gefühl des Torero, des Gladiators. / Die andere Auffassung vom Leben als Kampf: Der Kampf des Raubritters, des Freibeuters, des Piraten, des Landsknechts.“ (TB 1921/24, 482)
Als Picaro sah Schmitt sich nach 1945 immer wieder und bezog sich dabei gerne auch auf Quevedo. Spanien ist für Schmitt aber nicht nur das Land der katholischen Gegenrevolution und Reconquista, sondern auch der erotischen Passion, des Machismo und eines Geschlechterverhältnisses, das Schmitt bejahte. Es sei hier nicht weiter thematisiert, dass er selbst seine erotischen Eroberungen gerne jenseits bürgerlicher Räume machte und sich im Bereich der käuflichen Liebe austobte, wo die weiblichen Trophäen wohlfeil waren. Die Passion für Spanien bleibt bei Schmitt jedenfalls eng mit dem Stierkampf verbunden. Mehrfach reiste er nach Spanien, nach 1945 auch als politische Wahlheimat. Seine ersten Spanienreisen waren Vortragseinladungen. Nachdem Schmitts einzige Tochter Anima im Dezember 1957 dann nach Spanien (Santiago) geheiratet hatte, fuhr er fast alljährlich für lange Aufenthalte nach Spanien, solange es gesundheitlich ging. Vermutlich besuchte er dabei häufiger auch Stierkämpfe. Von seiner ersten Corrida berichtet er am 21. Oktober 1929 seiner Frau:
„Ein Stiergefecht ist – wenn es mit guten Stieren und guten Stierkämpfern gemacht wird – ein aufregendes, in seiner Art heroisches Schauspiel: Sie hätten wahrscheinlich zuerst Mitleid mit den herrlichen, prachtvollen Stieren, die getötet werden, aber der Mut, den die Torreros zeigen, ist zu groß, als dass man nicht begeistert würde. Oft steht der Toreador eine Viertelstunde vor dem mächtigen, wütenden Tier, entgeht den großen und spitzen Hörnern immer nur im letzten Augenblick und nur um einige Millimeter, es ist wirklich ein Kampf zwischen Mensch und Tier, und das hebt den Vorgang über allen Sport und gibt ihm furchtbare Realität.“ (CSDS 104)
Einen Tag später, am 22. Oktober, heißt es ähnlich an Rudolf Smend:
„Die Hauptsache (vielleicht noch mehr als der Escorial) sind die Stiergefechte. Mit guten Stieren und guten Matadoren ist das die größte, großartigste Sensation, die es heute gibt. Unter freiem Himmel, mit zehntausend akklamierenden Zuschauern, ein Kampf zwischen Mensch und Tier, mit dem ganzen Risiko eines wirklichen Kampfes, bei dem der Mensch seine Ruhe der Wut des gereizten, mächtigen Tieres entgegenstellt, das ist unerhört groß und ein Volk, das sich durch keinen humanitären Schmus daran hindern lässt, hat noch den Instinkt der Realität.“ (CSRS 81f)
Wo Schmitt seiner Frau gegenüber vom „Mitleid“ spricht,159 lehnt er „humanitären Schmus“ gegenüber Smend deutlicher ab und spricht vom politischen „Instinkt“ der spanischen Nation. Eine Unterscheidung von Humanität und moralistischem Humanitarismus findet sich auch in seinen Bezugnahmen auf Cortés. Sicher hielt Schmitt über den Stierkampf 1951 im privaten Kreis einen Vortrag.160 Umso bedeutsamer ist es, dass er in seinen vielleicht wichtigsten frühen Bemerkungen Hitler mit dem blindwütigen und geblendeten Stier in der Arena vergleicht. In sein Tagebuch notiert er am 6. April 1933: Mit dem Taxi „zu Popitz zum Presseempfang, sah Hitler und Goebbels. Sah beide genau. Große Aufregung. Hitler wie der Stier in der Arena. Erschüttert von diesem Blick. Papen war freundlich.“ (TB 1930/34, 279) 1971 beschrieb Schmitt auf der Grundlage seines Tagebuches diesen ersten „Blick ins Dritte Reich“ näher und schilderte Hitlers Kampf um sein Publikum nun als ein Scheitern.
„Und ich saß da etwa in der dritten, vierten Reihe und einige Meter von dem Pult des Redners entfernt, also vom Führer. Da erschien also der Führer, und es war die erste Rede [als souveräner Diktator nach dem Ermächtigungsgesetz]. Die Militärs saßen da mit einem eisernen Gesicht und wollten mal hören, was er da sagt. Es war imposant, das zu sehen: Da saß nun die berühmte Wehrmacht und die preußische Armee, nun noch die Marine dabei, das ist ein etwas anderer Typ, aber egal. Es war in gewissem Sinne das genaue Gegenteil dieses Massenpublikums, an das Hitler gewöhnt war […] Sitzen eisern da, applaudieren auch nicht und hören sich das an, na ja, in dieser Art von Rationalität, Exaktheit usw. Und nach ungefähr zwanzig Minuten, halbe Stunde: Er landete einfach nicht, es sprang kein Funke, nichts. Da wurde er ganz sentimental“. (CSiG, 104)
1971 erläutert Schmitt dazu den Blick des Stiers:
„Sie sind alle im Dunkeln gewesen, kommen aus dem Dunkeln in eine Arena, wo ein Gebrüll ist, nicht wahr. Und dann: Haben Sie mal nahe genug gesehen den Blick des Stieres? So, da steht schon einer, da stehen schon die Matadores, die Picaderos usw. Und da im Hintergrund … und der Toreador, der ihn also mit seinem roten Tuch und seinem fabelhaften Degen … Der Blick des Stieres in einem solchen Moment: Der weiß nicht, wo er ist, er weiß einfach, er sah – er musste es natürlich wissen (so viel Instinkt hat jedes Lebewesen, nicht wahr), es ist hier, es ist einfach, da war dieser Blick, wo alles [drin] ist, auch die Bereitschaft, sich zu wehren, Bereitschaft, ihn zu töten – ist alles drin. Das war das.“ (CSiG 106)
Schmitt wechselt bei diesem Stiervergleich die Perspektive: Der Torero ist nur noch Publikum und der Stier keine attraktive Tänzerin mehr, sondern eine gefährliche Bestie, fast ein Behemoth. Schmitt liebte Spanien nicht nur als Land der katholischen Gegenrevolution, sondern auch als Land der Passion und des Stierkampfes.
3. Nationalmythen
Bevor Schmitt zu Donoso Cortés als Identifikationsfigur fand, reflektierte er auf Spanien mit Ausführungen zu Don Quijote und auch Don Juan. Als seine Schwester gerade in Portugal war, 1912, publizierte er einen kleinen Artikel Don Quijote und das Publikum,161 der die rezeptionsästhetische Auffassung des „Publikums“, des „mythenbildenden Subjekts“, von allen einseitigen und gelehrten „Deutungen“ unterscheidet, insbesondere denen der Romantik, und die Größe des Romans darin erblickt, dass auch sein Autor diesen „Boden des normalen Menschenverstandes“ bewahrte. Bei aller Verstiegenheit ist Don Quijote letztlich ein „wahrer“, „guter und edler Mensch“, schreibt Schmitt. „Das weiß das Publikum.“ Diese These nimmt er in der Politischen Romantik wieder auf. Gegen die romantische Auffassung betont er hier, dass Don Quijote ein letzter Ritter blieb, „ein romantischer Politiker, kein politischer Romantiker“ (PR 207). Nicht er, sondern seine soziale Welt hatte sich gewandelt und war untergegangen. In den Buribunken unterscheidet Schmitt Don Juan dann vom modernen Menschen seit Leporello, der das Register der Leistungsschau, literarischen „Selbst-Historisierung“162 und säkularen Selbst-Verewigung führt. Jahrzehnte später kommt Schmitt in Hamlet und Hekuba dann noch einmal auf Don Quijote zurück. Dort meint er am Ende:
„Bekanntlich hat der europäische Geist sich seit der Renaissance entmythisiert und entmythologisiert. Trotzdem hat die europäische Dichtung drei große symbolhafte Figuren geschaffen: Don Quijote, Hamlet und Faust. Von ihnen ist jedenfalls einer, Hamlet, bereits zum Mythos geworden. Alle drei sind merkwürdigerweise Bücherleser und insofern Intellektuelle, wenn man so sagen will. Achten wir nur einmal auf ihren Ursprung und ihre Herkunft: Don Quijote ist Spanier und rein katholisch; Faust ist Deutscher und Protestant; Hamlet steht zwischen beiden mitten in der Spaltung, die das Schicksal Europas bestimmt hat.“ (HH 54)
Schmitt thematisiert Spanien also im Frühwerk in literarischen Typen und Mythen, als Land der Liebe und Passion, einer feudalen, leicht antiquierten und fast untergegangenen Ritterlichkeit und des Katholizismus.
4. Die Donoso Cortés-Identifikation
Kehren wir damit zu Donoso Cortés zurück. Durch die zahlreichen Brief- und Tagebucheditionen können wir Schmitts Umgang mit dem Autor heute einigermaßen genau nachvollziehen. Vor 1921 findet sich keine Erwähnung. In der Politischen Romantik ist er noch nicht erwähnt, erst im Vorwort von 1924. In den juristischen Hauptwerken findet sich sein Name auch nicht: weder in der Verfassungslehre noch im Hüter der Verfassung oder den Verfassungsrechtlichen Aufsätzen. Im Essay Römischer Katholizismus und politische Form, im Begriff des Politischen wie im Nomos der Erde kommt er nur beiläufig vor, ohne dass ihm zentrale systematische Einsichten exklusiv zugerechnet würden. In der Anfang 1921 erschienenen großen Monographie Die Diktatur wird Cortés lediglich in Fußnoten dreimal erwähnt. Die erste Erwähnung (D 139, vgl. 147, 195) verweist auf eine kleine Ausgabe der Rede über die Diktatur, die 1920 in München erschien.163 Wahrscheinlich lernte Schmitt Donoso Cortés also erstmals 1920 durch genau diese Ausgabe kennen. Sehr plötzlich erscheint er 1922 dann in den letzten beiden Kapiteln der Programmschrift Politische Theologie exponiert als Referenzautor. Damals hatte Schmitt seinen Essay Römischer Katholizismus und politische Form zwar noch nicht publiziert, sein Verhältnis zur Katholischen Kirche war aber durch Eheskandal und Scheidungsabsicht bereits belastet. Schmitts „politischer“ Essay ließ sich bei Erscheinen als Parallelaktion zur Aktualisierung von Donoso Cortés verstehen; starke theologische Begründungen und eine katholische Apologie analog 1853 hat Schmitt aber niemals gegeben.
Im dritten, titelgebenden Kapitel der Programmschrift Politische Theologie wird Donoso Cortés zunächst für die „politische Verwertung“ theologischer Begriffe in der Linie der „katholischen Staatsphilosophen der Gegenrevolution“ genannt (PT 54), um dann im vierten Kapitel als Hauptvertreter hervorzutreten. Schmitt schreibt:
„[A]n die Stelle des monarchistischen tritt der demokratische Legitimitätsgedanke. Es ist daher ein Vorgang von unermeßlicher Bedeutung, daß einer der größten Repräsentanten dezisionistischen Denkens und ein katholischer Staatsphilosoph, der sich mit großartigem Radikalismus des metaphysischen Kerns aller Politik bewußt war, Donoso Cortés im Anblick der Revolution von 1848 zu der Erkenntnis kam, daß die Epoche des Royalismus zu Ende ist. Es gibt keinen Royalismus mehr, weil es keine Könige mehr gibt. Es gibt daher auch keine Legitimität im überlieferten Sinne. Demnach bleibt für ihn nur ein Resultat: die Diktatur.“ (PT 65f)
Schmitt identifiziert mit Cortés also vor allem den Bruch mit dem Royalismus und der dynastischen Legitimität, die politisch-theologische „Verwertung“ des „Dezisionismus“ sowie die Option für Diktatur und Gegenrevolution. Er nimmt damit auch zum Systemwechsel vom Kaiserreich zur Weimarer Republik Stellung; er akzeptiert das Ende der Monarchien und markiert einen revolutionären Bruch und argumentativen Strategiewechsel im deutschen Konservatismus und Rechtsintellektualismus. Er stellt damals weitere Cortés-Studien in Aussicht, nennt aber auch einen Vorbehalt, wenn er schreibt:
„Eine ausführlichere Darlegung dieses Dezisionismus und eine eingehende Würdigung von Donoso Cortés gibt es noch nicht. Hier kann nur darauf hingewiesen werden, daß die theologische Art des Spaniers ganz in der Linie mittelalterlichen Denkens bleibt, dessen Struktur juristisch ist.“ (PT 66)
Nach der ersten Entdeckung für die Gegenrevolution beschäftigte sich Schmitt 1921 also erstmals eingehender mit dem Autor. Bei der Arbeit an der Erinnerungsgabe für Max Weber, die er vielleicht noch in München vor seinem Wechsel nach Greifswald abschloss, fasste er den Plan weiterer Donoso-Studien und starker strategischer Referenznahmen in der kleinen Parallele von 1848. Die „eingehende Würdigung“ dieses gegenrevolutionären Dezisionismus führte er 1922/1923 dann zunächst in zwei starken Bezugnahmen aus: im letzten Kapitel der Politischen Theologie sowie in der Parlamentarismus-Broschüre. Ansonsten scheint die Auseinandersetzung eher marginal. Donoso Cortés wird jenseits der einschlägigen Publikationen fast nie erwähnt und fast alle Erwähnungen sind rein formal, ohne dass besondere Einsichten zugeschrieben oder Überlegungen angeschlossen würden. Auch in einigen wichtigen Briefwechseln (u.a. Feuchtwanger, Huber, Forsthoff) spielt er fast keine Rolle.
Schmitts 1950 publiziertes Donoso Cortés-Büchlein enthält vier Aufsätze und eine Einleitung. Zwei der Aufsätze richteten sich vor 1933 an ein katholisches Publikum; sie erschienen im Hochland sowie einer Festschrift für den Hochland-Herausgeber Karl Muth; zwei der Texte wurden als Vorträge in Spanien gehalten und waren auch eine Referenz an das dortige Publikum. Auffällig ist, dass Cortés in der Politischen Romantik noch keine Rolle spielt, während de Maistre und Bonald dort häufiger erwähnt sind und Schmitts Disjunktion von katholisierender Romantik und Gegenrevolution sich bereits abzeichnet. Während die Politische Romantik die Lage des deutschen Konservatismus nach 1815 erörtert, gehört Cortés für Schmitt in die europäische Konstellation von 1848.
Es wird selten beachtet, dass Schmitt sich nach seinen knappen und systematischen Bezugnahmen auf Hobbes’ Dezisionismus in der Politischen Theologie erst nach 1933 wieder zu Hobbes äußerte und erst das Leviathan-Buch von 1938 eine geschlossene Studie bringt. Zu Machiavelli hat er sich sogar niemals ausführlich geäußert. Schmitt setzte seine Cortés-Identifikation in den 1920er Jahren gleichsam an die Stelle von Hobbes, weil er die Konstellation von 1848 aus der Perspektive eines katholischen Gegenrevolutionärs beleuchten wollte. Er richtete sich dabei zunächst an die innerkatholische Diskussion und setzte Cortés gegen den romantischen und dynastischen Katholizismus eines Adam Müller. Seine Cortés-Aufsätze werden in den 1920er Jahren gleichsam zur positiven Antwort auf Adam Müller. Sie treten dabei an die Stelle früher Hobbes-Aufsätze, auf die Schmitt verzichtet, obgleich er sich für Hobbes systematisch stärker interessiert.
Die meisten Notizen in den Tagebüchern der 1920er Jahre registrieren nur die Niederschrift der Aufsätze, ohne inhaltlich aufschlussreich zu sein. Wir wissen deshalb heute, dass Schmitt seinen Aufsatz über die Staatsphilosophie der Gegenrevolution im Frühsommer 1922 abschloss und den Festschriftbeitrag für Muth im September 1926 schrieb, als er bereits auf einen Abschied aus dem katholischen Milieu Bonns und Wechsel nach Berlin hoffte. Für die Abfassung des Vortrags von 1929 und die erste Spanienreise gibt es keine erhaltenen Tagebucheintragungen. Es ist aber gut erkennbar, dass die Auseinandersetzung pragmatisch auf die jeweiligen Publikationen konzentriert war. Anders als Hobbes oder Hegel war Cortés für Schmitt kein systematisch interessanter Klassiker, den er ständig las. Er zählte nicht zu den ersten Autoren, von denen er lernte, findet sich die Option für Hobbes und einen juristischen „Dezisionismus“ doch schon früher; er gehörte zum Kreis der Autoren, die Schmitt mehr kanon- und zitationspolitisch zur Profilierung einer bestimmten Perspektive auf eine verfassungspolitische Konstellation einsetzte: Donoso Cortés ist für Schmitt der exzentrische Gegenrevolutionär, Apologet des Staatsstreichs und Anwalt einer anderen, religiös gebundenen und entscheidungsstarken „Legitimität“ um 1848. Was dabei 1922 noch als Parallelaktion zum folgenden Katholizismus-Essay erschien, wechselte nach dem Bruch mit dem Mehrheitskatholizismus Ende der 1920er Jahre die Farbe. Die Sammlung von 1950 erschien dann als neuerliches katholisches Bekenntnis über das nationalsozialistische Credo hinweg.
Wenn der Befund lautet, dass Schmitt Cortés strategisch in sein Werk einfügte, ohne ihm besondere Einsichten zu verdanken, so gilt das nicht für die erste Entdeckung. Genau können wir sie nicht datieren. Schmitt hatte nach seiner Satire Die Buribunken sein Tagebuch einige Zeit eingestellt. Wahrscheinlich sind im Zusammenhang mit seiner Ehekrise auch Aufzeichnungen verloren oder vernichtet worden. Erst nach der Trennung von Cari und dem Wechsel nach Greifswald setzt das Tagebuch im August 1921 wieder ein. Damals notiert Schmitt in Berlin: „Etwas am Cortés geschrieben.“ (TB 1921/24, 4) Wenige Tage später lernt er in Berlin seine irisch-australische Geliebte Kathleen Murray kennen. Sein Interesse an Cortés verbindet sich nun mit der Passion für die glühende Katholikin und mit Berlin. Im November notiert er: „Eben las ich, dass Cortés [wie Carl und Kathleen] in der [katholischen] Hedwigskirche betete.“ (TB 1921/24, 17) In diesem Greifswalder Wintersemester versinkt Schmitt in seiner Liebespassion, skizziert seine Novelle Der treue Zigeuner,164 organisiert Murrays Promotion, seinen Wechsel nach Bonn und schreibt den Aufsatz über Cortés dann einige Wochen nach der Verabschiedung Murrays nach Australien im Juni 1922 unter Zeitdruck zu Ende. Eine solche Unterbrechung der Niederschrift war für Schmitt ansonsten eher ungewöhnlich. Wichtig ist auch, dass er seinen Beitrag Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution offenbar von Anfang an auf Cortés als Zentrum ausrichtete.
Für diese erste Cortés-Studie findet sich eine interessante briefliche Bemerkung Franz Bleis, des eng befreundeten, bedeutenden Publizisten. Blei erkundigt sich am 28. Oktober 1921 beiläufig: „Was macht Ihr Donoso? Ich streichle manchmal mein Talleyrand-Buch“.165 Bleis Buch Talleyrand und der Zynismus wird erst 1929 erscheinen und Schmitt „in Freundschaft und Verehrung“ gewidmet sein. Blei ist damals mit Schmitt offenbar über die Lage des Konservatismus im engen Gespräch und betrachtet seinen Talleyrand als Pendant zu den Cortés-Studien. Vielleicht erwog Schmitt also in Fortsetzung der Politischen Romantik schon 1921 ein Cortés-Büchlein oder -Buch. Stattdessen schrieb er aber an Murrays Dissertation über Taine und die französische Romantik mit. 1920 erschien in München die erwähnte Edition der Reden von Donoso Cortés. Es ist gut möglich, dass Schmitt sie durch Blei erhielt und so auf Cortés aufmerksam wurde. Seine frühen „katholischen“ Publikationen sind eng mit Blei verbunden. 1926, nach dem Bruch mit der Amtskirche, schlägt Blei166 sogar eine koautorschaftliche pseudonyme Satire auf die gegenwärtige Kirche vor. Schmitts Verhältnis zur Amtskirche und zum vorherrschenden Zentrum-Katholizismus ist stets sehr vorbehaltlich. Die Verbindung mit Blei steht für diesen strategischen, häretischen, satirisch-literarischen Umgang mit der Anstaltskirche. Die Identifikation mit Cortés dient auch der „laientheologischen“ Markierung dieser Distanz.
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