Kitabı oku: «Carl Schmitts Gegenrevolution», sayfa 9
4. Schmitts Sicht des Anarchismus
Mauthner erlebte Kriegsende und Rätediktatur nicht in München, sondern zurückgezogen in Meersburg am Bodensee. Für Landauer und Schmitt wurde die Münchner Revolution dagegen in sehr unterschiedlicher Weise zum Schicksal. Für Landauer endete der Ernstfall revolutionärer Bewährung seiner radikalsozialistischen Utopie tödlich. Seine Beteiligung an der Revolution war höchst unglücklich und keineswegs zwingend. Von Anfang an stand er als Anarchist zwischen den Lagern. Für Schmitt wurde die Revolution zur prägenden Grenzerfahrung der Fragilität des Rechtsstaats, zum verfassungsgeschichtlichen Fanal der Extension des Exekutivstaates und Beweis für die Notwendigkeit einer extensiven Auslegung des Staatsnotrechts. Den Anarchismus unterschied er dabei klar vom organisierten Sozialismus und Marxismus.
Schmitts wichtigste Äußerungen zum Anarchismus finden sich innerhalb der Politischen Theologie im Kapitel Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution, dann in der Geistesgeschichtlichen Lage des heutigen Parlamentarismus und im Katholizismus-Essay. In der Politischen Theologie beschreibt er 1922 eine Entwicklung der Gegenrevolution „von der Legitimität zur Diktatur“ und positioniert sich in der Linie der „Gegenrevolution“ als Antwort auf die anarchistische Linie. Schmitt schreibt: „Alle anarchistischen Lehren, von Babeuf bis Bakunin, Kropotkin und Otto Groß, drehen sich um das Axiom le peuple est bon et le magistrat corruptible.“ (PT 71) Er meint auch:
„Der marxistische Sozialismus hält die Frage nach der Natur des Menschen deshalb für nebensächlich und überflüssig, weil er glaubt, mit den ökonomischen und sozialen Bedingungen auch den Menschen zu ändern. Dagegen ist für die bewußt atheistischen Anarchisten der Mensch entschieden gut und alles Böse die Folge theologischen Denkens und seiner Derivate, zu denen alle Vorstellungen von Autorität, Staat und Obrigkeit gehören.“ (PT 72f)
„Erst Bakunin gibt dem Kampf gegen die Theologie die ganze Konsequenz eines absoluten Naturalismus. […] Wenn heute Anarchisten in der auf väterlicher Gewalt und Monogamie beruhenden Familie den eigentlichen Naturzustand sehen und die Rückkehr zum Matriarchat, dem angeblich paradiesischen Urzustande, predigen, so äußert sich darin ein stärkeres Bewußtsein der tiefsten Zusammenhänge als in jenem Lachen von Proudhon.“ (PT 81f)
Donoso Cortés erblickte in Proudhon seinen Feind. Während Landauer Proudhon und Kropotkin gegenüber Bakunin bevorzugte, sieht Schmitt Bakunin als konsequentesten Vertreter an.142 Er spricht von einem Gegensatz von „Autorität und Anarchie“ und beendet seine Programmschrift Politische Theologie mit den Sätzen:
„Jede Prätention einer Entscheidung muß für den Anarchisten böse sein, weil das Richtige sich von selbst ergibt, wenn man die Immanenz des Lebens nicht mit solchen Prätentionen stört. Freilich, diese radikale Antithese zwingt ihn, sich selbst entschieden gegen die Dezision zu entscheiden; und bei dem größten Anarchisten des 19. Jahrhunderts, Bakunin, ergibt sich die seltsame Paradoxie, daß er theoretisch der Theologe des Anti-Theologischen und in der Praxis der Diktator einer Anti-Diktatur werden mußte.“ (PT 84)
Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus skizziert eine Geschichte dialektischer Selbstaufhebung rationalistischer Theorien in den politischen Irrationalismus. Die „metaphysische Evidenz des Marxismus“ setzt Schmitt hier mitsamt dem Liberalismus als abgelebten Rationalismus bei. Den Irrationalismus bejaht er dagegen als eine Quelle der Vitalität, Kreativität, Handlungsfähigkeit und „direkten Aktion“. Im Studium „irrationalistischer Theorien unmittelbarer Gewaltanwendung“ möchte er verstehen, warum der Marxismus gerade „auf russischem Boden“ siegreich war und der marxistische Rationalismus dort „zur Gewaltanwendung“ schritt (GLP 77). Schmitt erklärt es sich durch eine Verbindung von Marxismus und Anarchismus:
„Obwohl die bolschewistische Regierung aus politischen Gründen die Anarchisten unterdrückte, enthält der Komplex, in dem sich die bolschewistische Argumentation tatsächlich bewegt, ausgesprochen anarcho-syndikalistische Gedankengänge“ (GLP 77).
Schmitt führt aus:
„Die Analogie der beiden Vorstellungen von Gott und Staat drängte sich bei Proudhon unter dem Einfluß der Restaurationsphilosophie auf. Er gab ihr eine revolutionäre, antistaatliche und antitheologische Wendung, die Bakunin zur letzten Konsequenz geführt hat.“ (GLP 79)
Schmitt bezeichnet Proudhon und Bakunin als „Väter des Syndikalismus“; er parallelisiert Sorels Lehre mit der 1848–Konstellation und blendet in der kleinen Parallele von 1848 eine genaue Beschreibung der aktuellen Fronten nach 1918 ab. Erst durch die anarchistische Rezeption wurde die marxistische „Konstruktion des Bourgeois“ als mythisches Feindbild „nach dem Osten weitergetragen“.
„Auf russischem Boden vereinigten sich alle Energien, die dieses Bild geschaffen hatten. Beide, der Russe wie der Proletarier, sahen jetzt im Bourgeois die Inkarnation alles dessen, was wie ein tödlicher Mechanismus ihre Art Leben zu knechten suchte. Das Bild war von Westen nach Osten gewandert.“ (GLP 87)
Gegen den Bolschewismus setzt Schmitt 1923 auf Mussolini und den Nationalismus als „Grundlage einer neuen Autorität“. Auf Bakunin kommt er damals in seinem Katholizismus-Essay ausführlicher zu sprechen. Er profiliert die Gegensätze Bakunin-Manzini und Bakunin-Marx/ Engels und stellt den Irrationalismus erneut als Erfolgsrezept heraus: Bakunin habe den Rationalismus von Marx und Engels überwunden und „gerade im Lumpenproletariat den Träger der kommenden Dinge“ (RK 63) erkannt. Schmitt verbindet also seine Wahrnehmung der Revolutionsaktivisten mit Russland. Er zeichnet das „mongolische Gesicht des Bolschewismus“ (GLP 89) und bedient sich stereotyper Unterscheidungen von Europa und Asien. Anfang der 1920er Jahre gibt er seiner ambivalenten Wahrnehmung des russischen Anarchismus und Bolschewismus dabei noch keinen offensiv antisemitischen Akzent. Später codiert er die Politische Theologie der Revolution auch antisemitisch. Stets betrachtete er Bakunin aber als konsequentesten Vertreter, der den Konnex von Gott und Staat so deutlich sah wie sonst nur Donoso Cortés und die staatstheoretischen Antipoden Kelsen und Schmitt.
Max Weber hatte die „charismatische Herrschaft“ als „revolutionäre“ Kraft charakterisiert. Zwar sah Weber die propagandistische Mache und flüchtige Kraft des revolutionären Charismas; er sah, wie leicht sich Charisma veralltäglicht und andere Interessen in seinem Schatten wirken. Weber wollte Revolutionsführern wie Eisner und Toller aber dennoch seinen moralischen Respekt nicht gänzlich versagen. Schmitt sah das skeptischer und zynischer. Er abstrahierte als Jurist von den Gesinnungen und betrachtete nur die destabilisierenden Folgen. Auch las er die subjektiven Intentionen und Selbstverständnisse der Akteure hinter deren Rücken religiös. Die Politische Theologie des Anarchismus und Bolschewismus lehnte er strikt ab. Anders als Weber hatte er keinerlei Sympathien für anarchistische Gesinnungsethiker und Utopisten. Nach 1945 kokettierte er aber gelegentlich mit dem Anarchismus und berief sich dabei auch auf Max Stirner:
„Seinen letzten Antrieb hat er in einem Brief ausgesprochen, in dem er sagt: Dann werden wir wieder wie die Tiere des Waldes und die Blumen des Feldes. Das ist die wahre Sehnsucht dieses Ich-Verrückten. Das ist das neue Paradies. Das ist die Natur und das Naturrecht, die Aufhebung der Selbstentfremdung und die Selbstentäußerung in einer problemlosen Leibhaftigkeit. Das adamitische Glück des Gartens der Lüste, den Hieronymus Bosch in weißer Nacktheit auf eine Tafel geworfen hat. […] Der Pan erwacht und tritt nun auf im erdbewussten Kreis. Max ist einer der ersten Panisken, die später das Feld der deutschen Literatur und die Paradiese ihrer Entproblematisierungen bevölkert haben. […] Dieses arme Ich kann sich nur noch mit seinem eigenen Echo vermählen, und in dieser unfruchtbaren, genießerischen Ehe ist es nicht mehr vereinsamt, sondern längst organisatorisch vereinnahmt. Die Planung hat es längst vereinnahmt. Der Plan erscheint, und Pan hört auf zu schmunzeln. Der Pan versinkt, der Plan tritt auf den Plan.“ (ECS 82f)
Landauer gehörte zu den „Panisken“, die am diktatorischen Revolutionsplan tragisch scheiterten. Doch auch Mauthner gehörte mit seiner pessimistischen Betrachtung des Menschen als krankes Tier in diese Fraktion. Abschließend lässt sich festhalten: Schmitt äußerte sich trotz seiner Erfahrungen zu den Akteuren der Revolution buchstäblich kaum; er maskierte seine Überlegungen in der „kleinen Parallele“ von 1848, konzentrierte sich dabei auf Bakunin und die „Politische Theologie“ des Anarchismus und betonte die polemische und paradoxe Lage, dass „der Theologe des Anti-Theologischen“ in der Praxis der „Diktator einer Anti-Diktatur“ wurde. Die „Theologie des Anti-Theologischen“ kennzeichnete er dabei im Kern durch das „Axiom vom guten Menschen“ und „naturalistische“ Matriarchats-Mythen vom „Naturzustand“. Bei Landauer findet sich der von Schmitt mit Proudhon, Bakunin und Sorel betonte scharfe Bruch des Anarchismus mit dem „rationalistischen“ Marxismus sowie die polemische Wendung gegen „Gott und Staat“. Schmitt schätzte am Anarchismus das sichere Wissen um den Konnex von Theologie und Politik. Landauer sah einen Zusammenhang zwischen Sprachkritik und Gemeinschaftsmystik, Theorie und Praxis. Dabei betrachtete er sein „theoretisches“ Werk als eine enthusiastische Form der Aktion. Seine Rhetorik und Oratorik stand unter dem Primat der sozialistischen Emphase. Diesen Primat der Praxis in der irrationalistischen Theorie des Anarchismus sah Schmitt deutlich. Seine Politische Theologie des Anarchismus trifft Landauer in vielen Aspekten. Dessen agrarkommunistische Utopie fällt zwar aus dem Kreis der politischen Bewegungen heraus, die für Schmitt relevant waren; Landauer wurde in München aber nicht als Ökokommunist wirksam. Schmitts Apologie charismatischer Herrschaft war zwar im Effekt ähnlich destruktiv. Sein Bild vom Anarchismus traf Landauer aber doch ziemlich genau.
VI. Cortés-Maske im Spanienmythos
1. Exzentrische Autorenmaske: Juan Donoso Cortés (1809–1853)
Schmitt hat seine gegenrevolutionäre Positionierung in der Weimarer Republik hinter geistesgeschichtlichen Spiegelungen und Masken versteckt, weil er sich als Jurist und Professor des Öffentlichen nicht allzu offensiv in der tagespolitischen Publizistik exponieren wollte. Anders als einige seiner Schüler tummelte er sich nicht offen oder pseudonym in den nationalistischen Blättern seiner Zeit, auch wenn seine Zugehörigkeit zum rechtsintellektuellen Lager grundsätzlich bekannt war. Wer seinen Referenzkanon mit den heute üblichen Verdächtigen abgleicht, wird für die Weimarer Autoren nicht sonderlich fündig werden. Schmitt äußerte sich über die zeitgenössischen Vertreter des „linken“ wie des „rechten“ Spektrums: die Anarchisten, Sozialisten und Bolschewisten, Nationalisten, Antisemiten oder Faschisten aller Schattierungen und Fehlfarben nicht ausführlich. Eine breite Analyse seiner Stellung „im Kontext“ des nationalistischen Lagers hat insbesondere Stefan Breuer143 entwickelt.
Schmitts gegenrevolutionäre Stellung wurde durch seine Münchner Jahre und Erfahrungen im Weltkrieg und beim Übergang zur Weimarer Republik geprägt. 1922 positionierte er sich erstmals offen in den Linien der „Gegenrevolution“,144 zu einem Zeitpunkt, als seine Option für die „politische Form“ der Katholischen Kirche infolge seines Ehe- und Scheidungsskandals bereits wankte. Die Schrift Politische Romantik hatte damals bereits eine einfache Zugehörigkeit im Lager des deutschen Konservatismus und auch Nationalismus ausgeschlossen, sodass Schmitt als Autor umstritten war. Er verstand sich stets als Außenseiter und suchte deshalb mit Juan Donoso Cortés eine exzentrische Maske jenseits der deutschen Verhältnisse und Diskursformationen. Ältere Vertreter wie de Maistre oder Bonald hat er nach 1925 kaum je erwähnt; andere gar nicht. Er verschwieg in seinen Schriften aber auch seine extensive Lektüre jüngerer Autoren der katholischen, nationalistischen und auch antisemitischen Gegenrevolution: von Barrès, Maurras, Bernanos und anderen, über die er mit Kennern wie Ernst Robert Curtius,145 Waldemar Gurian146 und später Ernst Jünger im Gespräch stand. Donoso Cortés ist auch ein Stellvertreter für diese Autoren.
Der spanische Jurist, Politiker und Diplomat Juan Donoso Cortés (1809–1853)147 ist kein weltweit bekannter und intensiv rezipierter „Klassiker“ der politischen Ideengeschichte; er spiegelt die europäische Konstellation und Krisenlage von 1848/49 aber in einer markanten nationalen, politischen und konfessionellen Facette. Die spanische Geschichte des 19. Jahrhunderts ist in Deutschland meist wenig bekannt. Am Beginn der Weimarer Republik, als Schmitt sich auf Donoso bezog, lag Spanien jenseits der Pyrenäen noch in weiter Ferne. Habsburger und Bourbonen regierten es lange in der Neuzeit, Revolution und Gegenrevolution führten Anfang des 19. Jahrhunderts zu starken Erschütterungen und zur partiellen Besetzung durch französische Truppen. Napoleon installierte einen Bruder als König (1808–1813), wogegen sich ein blutiger Volksaufstand und Bürgerkrieg erhob, den Goya in einigen Szenen ikonisch spiegelte. Spanien verlor seine südamerikanischen Kolonien, das Parlament, die Cortes Generales, gab Spanien damals in napoleonischer Zeit eine erste moderne und liberale Verfassung. Nach dem Sturz Napoleons kehrte der alte König Ferdinand VII. wieder zurück und erkämpfte eine Restauration der absoluten Monarchie. Nach dessen Tod 1833 kam es zu einem erbitterten Erbfolgestreit, der verfassungspolitisch nicht zuletzt das liberale Erbe betraf und Spanien noch Jahrzehnte in heftige Unruhen und Bürgerkriegslagen führte (sog. „Carlistenkriege“). Maria Christina, als vierte Gattin Ferdinands seit 1829 Königin, kämpfte hier lange mit der liberalen Bewegung und Unterstützung von Militärs gegen die Herrschaftsansprüche von Ferdinands Bruder Carlos für die Thronfolge ihrer minderjährigen Tochter. Diese Königin Isabella II. (1830–1904) wurde 1843 für mündig erklärt und regierte bis 1868.
Juan Donoso Cortés wurde 1809 als Sohn eines Rechtsanwalts und Großgrundbesitzers im Südwesten Spaniens, in der Provinz Badajoz, in diese Wirren hineingeboren. Er studierte in Sevilla Jurisprudenz und erhielt 1829 eine Professur für Ästhetik und Literatur in Cáceres. 1833 wechselte er nach Madrid in die Justizverwaltung über. Er engagierte sich für die liberale Bewegung und Partei der moderados und wurde 1837 Abgeordneter im Parlament. Als Maria Christiana, die Königinmutter, 1840 abdanken musste und ein anderer, Espartero, die Regentschaft für die damals noch unmündige Isabella übernahm, folgte er der Königinmutter und einstigen Königin als Sekretär ins Pariser Exil. Als Isabella II. dann 1843 die Regentschaft übernahm, wurde er einer der Berater und Sekretär der Königin. Die europäischen Revolutionen von 1848/49 erlebte er einige Zeit auch als Gesandter in Berlin. Unter dem Eindruck der Ereignisse revidierte er nun seine früheren liberalen Überzeugungen. Als Abgeordneter plädierte er für eine „Diktatur des Säbels“ und verfasste im Frühjahr 1850 dann in wenigen Monaten seinen Ensayo, mit dem er sich gegen Liberalismus und Sozialismus zum umfassenden Ordnungsmodell des Katholizismus bekehrte und bekannte. Bald danach ging er als Botschafter erneut nach Paris, wo er den Staatsstreich Louis Napoleons emphatisch begrüßte und dem Bürgerkönig auch persönlich näherkam. Zunächst hoffte er, Louis Napoleon könne ein Friedenskaiser und neuer Augustus werden. Zuletzt fürchtete er aber, dass er seinem Onkel Bonaparte nacheifern und Europa in neue Kriege verwickeln könnte. Am 3. April 1853 verstarb er, 43-jährig, in Paris.
Donoso Cortés war also ein spanischer Jurist. Diplomat und Spitzenpolitiker, der die damaligen Verfasssungskämpfe aus der Nähe zur liberalen Bewegung wie zum spanischen Königshaus erlebte und gegen die 1848er-Revolution zunehmend antiliberal für Katholizismus und Monarchie plädierte. Schmitt rezipierte Cortés nicht umfassend als „Klassiker“, sondern situierte ihn im Kontext der Zeit. So äußerte er sich mehr über dessen Parlamentsreden als über dessen grundlegendes Hauptwerk, den Ensayo sobre el catolicismo, el liberalismo y el socialismo, considerado en sus principios fundamentales von 1851. Donoso Cortés schrieb als Diplomat und Gegner der revolutionären Bewegung für eine europäische Öffentlichkeit. Im Parlament sprach er davon, dass die Diktatur unter besonderen Umständen „eine rechtmäßige Regierung“148 sein könne und die „Diktatur des Säbels“149 einer sozialistischen Revolution vorzuziehen sei. Das Christentum sei im Volksglauben zwar eigentlich bereits am „Nullpunkt“150 angelangt, eine wirkliche Rettung könne aber nur von der Religion, von Kirche und Papst ausgehen: „Nur der Katholizismus, nur dessen Lehre ist der strikte, ist der absolute Gegensatz zum Geiste der Revolution und des Sozialismus.“151 In seinen Reden und Briefen zog Donoso damals bereits eine Linie „von Adam, dem ersten Rebellen, bis zu Proudhon, dem letzten Rebellen“,152 und er sah den traditionalen und „positiven“ Konnex von Gott und König durch die zeitgenössischen Tendenzen zu Atheismus und Demokratie erschüttert. Mit dem Ensayo erklärte er dann seine dogmatische Rückwendung zum Katholizismus.
Die literarische Form des Ensayo zielte über die politische Rede und religiöse Predigt hinaus auf das Bekenntnis und die intime Beichte. Der Essay gliedert sich in drei Bücher. Das erste, Vom Katholizismus überschrieben, erläutert dabei die dogmatische Voraussetzung und Antwort auf den Problembefund: Donoso meint, dass der Sozialismus geradezu zwingend aus dem Liberalismus folgte und dass die positiven Intuitionen und Einsichten des Liberalismus wie des Sozialismus eigentlich bereits in der vorgängigen „wahren“ Synthese des Katholizismus enthalten waren. Politisch geht er also vom zeitgenössischen Sozialismus aus, den er im Werk Proudhons „personifiziert“ findet, und stellt ein Bekenntnis zum Katholizismus wie zur katholischen Kirche voran, das er ohne nähere Auseinandersetzung mit der Theologie- oder Kirchengeschichte auf eine „dogmatische“ Kritik des „freien Willens“ und der „Solidarität“ beschränkt. Donoso verwirft den „freien Willen“, das Aufklärungscredo von der Autonomie des Menschen; er meint, dass der menschliche Autonomieanspruch ohne den Beistand des Glaubens nur zu Atheismus und Revolution führte. Diese „Negation“ der katholischen „Wahrheit“ beginne eigentlich bereits mit dem Protestantismus.
Ohne historische Differenzierung zeichnet Donoso eine abschüssige Linie von der Reformation zur Revolution. Er verwirft die ganze Legitimität der Neuzeit seit dem reformatorischen Bruch mit dem Katholizismus. Man könnte den Essay einen Anti-Proudhon nennen, der Proudhon als personifizierten Antichristen stellt: „Niemals hat irgendein Mensch so schwer gesündigt wider den heiligen Geist“,153 schreibt Donoso allen Ernstes und nennt Proudhon einen „Dämon“. Er eröffnet seinen Essay mit den folgenden Sätzen:
„Monsieur Proudhon hat in seinen Bekenntnissen eines Revolutionärs die denkwürdigen Worte niedergeschrieben: ‚Es ist auffallend, daß wir im Hintergrund unserer Politik stets auf die Theologie stoßen.‘ Nichts ist hier auffallend außer der Überraschung des Monsieur Proudhon. Die Theologie, die das gleiche ist wie die Wissenschaft von Gott, ist der Ozean, der alle Welt umfaßt und in sich birgt, so wie Gott der Ozean ist, der alle Dinge in sich begreift und enthält.“154
Diese eröffnenden Sätze signalisieren bereits das ganze Beweisziel, den Katholizismus als Inbegriff der „Wahrheit“ zu betrachten und Proudhons Theologie des „Atheismus“ als eine rationalistische Verengung und Verblendung zu kritisieren. Donoso führt im ersten Buch des Ensayo dafür zunächst aus, dass schon die Antike politische Fragen stets auch als religionspolitische Herausforderungen verstanden habe. Er schließt daran ein Hohelied auf den Katholizismus an: Donoso konstatiert, dass Proudhon die Entstehung des Guten aus dem Bösen nicht erklären könne, während der Katholizismus das Böse als akzidentiellen und irrtümlichen Missbrauch der menschlichen Wahlfreiheit betrachtet. Gott ist gut, der Mensch aber bedarf der göttlichen Gnade des Glaubens, um das Gute zu verstehen und danach zu handeln. Donoso rekapituliert dafür den biblischen Mythos vom „Sündenfall“. Anders als Liberalismus und Sozialismus betrachtet er „das Böse“ nicht nur als politischen Systemfehler oder gesellschaftliches Versagen, sondern umfassender noch als eine metaphysische Verirrung und Orientierungskrise, und gelangt zu folgender Verhältnisbestimmung seiner drei erörterten Systeme oder Ideenkreise:
„Der ist Katholik, der Gott die konstituierende und die tatsächliche Souveränität zuerkennt; der ist Deist, der Ihm die tatsächliche abspricht und Ihm die konstituierende zuerkennt; der ist Atheist, der Ihm jegliche Souveränität abspricht, denn er spricht ihm die Existenz ab. Da dies so ist, kann die liberale Schule, insofern sie deistisch ist, nicht die tatsächliche Souveränität der Vernunft verkünden, ohne nicht gleichzeitig die konstituierende Souveränität Gottes zu verkünden, in der die erste, die immer eine delegierte ist, ihren Anfang und Ursprung hat. Hingegen ist die Theorie von der konstituierenden Souveränität des Volkes eine atheistische Theorie, die nur so weit in der liberalen Schule angelegt ist wie der Atheismus im Deismus: in der Eigenschaft einer fernen, wenn auch unvermeidlichen Konsequenz. Von hier nehmen die beiden großen Parteien der liberalen Schule ihren Ausgang: die demokratische und die liberale im engeren Sinne; die zweite mehr zaghaft, die erste mehr konsequent.“155
Donoso zielt auf den Nachweis, dass die sozialistische Logik in widersprüchlicher Form eigentlich ursprünglich katholische Einsichten vertrete und naturgemäß „ihrem Wesen nach theologisch“ argumentiert. So meint er:
„Der Katholizismus, menschlich betrachtet, ist deshalb so groß, weil er der Inbegriff aller möglichen Affirmationen ist; der Liberalismus und der Sozialismus sind deshalb so schwach, weil sie verschiedene der katholischen Affirmationen und verschiedene der rationalistischen Negationen in sich vereinen und weil sie, anstatt Schulen zu sein, die im Widerspruch zum Katholizismus stehen, nichts anderes sind als zwei abweichende Schulen.“156
Liberalismus und Sozialismus sind demnach eigentlich gar keine eigenständigen Systeme, sondern häretische Schulen des Katholizismus. Donoso konzentriert seine Auseinandersetzung auf Proudhon und nennt aus der sozialistischen Schule beiläufig noch Saint-Simon, Fourier oder Babeuf. Sein zentrales Argument besteht im Hinweis auf die reduktive Verkürzung der katholischen Wahrheit durch die „rationalistische“ Verleugnung des Glaubens. Das spitzt er auf eine Dämonisierung Proudhons zu:
„Solange Monsieur Proudhon seine Sache nicht mit größerem Mannesmut verficht, solange ermächtigt er mich, daß ich ihn anklage vor den zukünftigen Rationalisten als einen des latenten Katholizismus und des verkappten Moderantismus Verdächtigen. Die Sozialisten, die sich nicht gerne Erben des Katholizismus nennen lassen, bezeichnen sich selbst als seine Antithese. Doch der Katholizismus ist keine These, und weil er keine ist, kann er nicht bekämpft werden durch eine Antithese; er ist eine Synthese, die alles umfaßt, alles enthält und alles erklärt und die nicht überwunden, ja, nicht einmal bekämpft werden kann, es sei denn durch eine Synthese der gleichen Gattung, die auf ihre Art und Weise alle Dinge umfaßt, enthält und erklärt. In der katholischen Synthese finden all die Thesen und all die Antithesen der Menschheit ihren geräumigen Platz.“157
Donosos konfessionelles Hauptwerk ist der Ironie nicht entgangen, dass jede dogmatische Verwerfung diverser Häresien als starke Rationalisierung und Systematisierung ihrerseits unter Häresieverdacht gerät. So wurde seine dogmatische Apologie bald gerade in katholischen Kreisen scholastisch kritisiert und verworfen. Was den Ensayo heute noch lesenswert macht, ist der Rückgang hinter die Politik auf theologische Voraussetzungen sowie die idealtypisch argumentierende Zuspitzung auf die interne Widerlegung Proudhons. Man mag zweifeln, ob Proudhon 1851 wirklich der stärkste Explikator der atheistischen Voraussetzungen des Sozialismus war; schon Schmitt zweifelte daran und verwies über Proudhon hinaus auf Bakunin (DC 37). Es bedarf auch kaum weiterer Erwähnung, dass Donosos „dogmatische“ Argumentation überaus abstrakt und problematisch ist. Die fehlenden scholastischen Belege sind ebenso bedenklich wie die polemische Linie von der Reformation zur Revolution. Donoso argumentiert 1851 im „theologischen“ Paradigma ohne Rekurs auf philosophische Metaphysik oder den gerade einsetzenden Umbruch zur Naturalisierung des Weltbildes. Sein Rückgang auf den Katholizismus als substantielle „Synthese“ und „Wahrheit“ des Liberalismus wie des Sozialismus steht Mitte des 19. Jahrhunderts für eine Rekonfessionalisierung der Verfassungsfragen und einen Übergang zum weltanschaulichen „Kulturkampf“. Donoso Cortés prägte einen neuen Typus des publizistischen Engagements. Mit der Durchsetzung des Darwinismus wandelte sich die politische Semantik dann aber und der Katholizismus fand neue Fronten und Gegner. Die dogmatischen Voraussetzungen von Donosos engagiertem Essay wurden deshalb auch dem katholischen Diskurs immer fremder. Was brachte Schmitt also dazu, sich diese exzentrische Autorenmaske zu wählen?