Kitabı oku: «Die UNO», sayfa 4

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2.4 Völkerrecht

Den gesetzestreuen, zumindest Polizei und Justiz achtenden Bürgern eines Rechtsstaates ist es schwer verständlich, dass es ein weltweit geltendes Recht geben soll – ohne Polizei und Justiz, also ohne Staat als politischen Rahmen, der die rechtmäßige Ordnung sichert und Rechtsverletzungen ahndet. Im Deutschen schafft die altehrwürdige Bezeichnung „Völkerrecht“ noch weitere Missverständnisse; das englische „international law“ drückt deutlicher aus, worum es geht: um das Recht zwischen den Staaten, nicht um Recht unter Völkern oder gar Rechte der Völker. Wenn es also um zwischenstaatliches Recht geht, ist immer sogleich über die wichtigste Eigenschaft eines Staates zu reden: seine Souveränität.

Das Konzept der Souveränität ist die Grundlage des modernen Staates und aus ihm folgt das maßgebliche Prinzip des Verhältnisses der Staaten untereinander: Anarchie ohne vorgegebene Regeln. Paradoxerweise gilt ein Friedensvertrag als Beginn dieses Zustandes zwischen den Staaten: Im Vertrag des Westfälischen Friedens von 1648 zum Ende des Dreißigjährigen Krieges ist erstmals völkerrechtlich greifbar, dass der souveräne Nationalstaat der entscheidende Akteur aller Politik sein wird: Im modernen internationalen System handeln nun uneingeschränkt nach innen und nach außen unabhängige, souveräne und gleichberechtigte Staaten – ohne übergeordnete geistliche oder weltliche Machtinstanz.

Das sog. Westfälische Staaten-System

Der Vertrag des Westfälischer Friedens von 1648 zum Ende des Dreißigjährigen Krieges erkannte nur noch Staaten als die oberste – eben „souveräne“ – Macht auf ihrem Territorium an, was nach den Religionskriegen kirchliche Einflüsse eindämmte. Das Abstraktum „Staat“ wurde noch nicht genannt, aber gemeint waren als neue Träger der Souveränität eben nicht mehr autorisierte Personen und Personenverbände als Herrscher, sondern die territoriale Herrschaft selbst – die „Völker“ waren dabei nicht angesprochen. Die Deckungsgleichheit von Territorium, Staat, Volk und auch des religiösen Bekenntnisses wird in der Folge als Idealfall angenommen; die Durchsetzung des Prinzips „cuius regio, eius religio“ („Wessen Herrschaft, dessen Religion“) war damals ein friedensschaffender zivilisatorischer Fortschritt: Der Verzicht auf die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates entschärfte eine häufige Kriegsursache.

Das Westfälische Staaten-System ist begründet durch das Souveränitätsprinzip und das Territorialprinzip; das Legalitätsprinzip machte es zu einem funktionierenden inter-nationalen Regelwerk: Ungeachtet seiner Größe, Bevölkerung, militärischen Macht oder Wirtschaftskraft ist jeder souveräne Staat gegenüber allen anderen souveränen Staaten absolut gleichberechtigt; völkerrechtliche und vertragliche Regelungen gelten nur auf der Basis von Freiwilligkeit und Kündbarkeit nach Maßgabe der eigenen Interessen; Kriegsführung als ultimatives Mittel zur Wahrung der eigenen Souveränität bleibt legitim.

Der Gedanke der Souveränität wurde eng mit dem modernen Staatsbegriff verwoben und ständig als Kampfbegriff eingesetzt, aber als regulatives Konzept allerdings praktisch nie vollständig umgesetzt. Einige Hegemonialmächte mögen in ihren stärksten Zeiten ihre Souveränität tatsächlich voll ausgenutzt haben, meist aber waren pragmatisch Rücksichtnahme auf andere Staaten und die Duldung von Einflussnahme von außen angebracht; immer wurde versucht, die Souveränitätsrechte konkurrierender oder gegnerischer Staaten faktisch zu untergraben. Eine Balance zu finden, war immer riskant und meist wenig verlässlich, denn in der Logik eines anarchischen Staatensystems ohne vorgegebene Verhaltensregeln provoziert Konflikt, wer seine Möglichkeiten ausschöpft; wer dem Konflikt ausweicht, wird ausgenutzt.

Während die Staaten-Souveränität im 19. Jh. noch fast als absolut gesehen wurde, haben konkurrierende Ansprüche und Normen sie im 20. Jh. immer mehr bedrängt; im Rahmen von Völkerbund und dann der UNO wurde Souveränität in Verbindung gesetzt mit der Mitgliedschaft in der internationalen Gemeinschaft, d.h. dass das Recht eines Staates durch seine Verpflichtung dieser gegenüber bedingt ist; dieser Gedanke wurde weiterentwickelt bis zum aktuellen Postulat einer Schutzverantwortung (siehe 8.1.3).

Als dogmatisiertes Prinzip schafft Souveränität logischerweise für zwischenstaatliche Zusammenarbeit endlose Probleme, weil es nicht nur aktive Einmischung von außen ungeachtet der Begründung ausschließt, sondern schon öffentliche Kritik der Entscheidungen eines souveränen Staates oder den Versuch der argumentativen Einflussnahme darauf delikat oder sogar konterproduktiv machen kann. Schon die Gründung der UNO war geprägt durch den Widerspruch zwischen Souveränität und der Einsicht, eine kooperative Staatenorganisation sollte ihre Mitglieder – gegebenenfalls auch massiv – beeinflussen können (siehe 3.2); der Anspruch auf Einmischung ist ja nicht erst bei Krieg und Völkermord relevant, sondern bei allen Problemen aufgrund eines grenzüberschreitenden oder globalen Zusammenhangs von Ursache und Wirkung.

Einige Völkerrechtler postulieren, dass eine Art Verfassung der internationalen Gemeinschaft im Entstehen sei, die den Staaten abverlangt, vorrangige und vom Willen einzelner Staaten unabhängige Normen zu beachten, und ihnen letztlich als verbleibende Souveränität lediglich ein gewisses Maß an Autonomie garantiert. Das würde aber verlangen, dass die Staaten ihre Souveränitäts-Rechte wenigstens teilweise abgeben an die neu entstehende souveräne Struktur supranationalen Charakters, die im wörtlichen Sinn höherrangiger sein müsste als eine bloße internationale Organisation, die supranationale Kompetenzen allenfalls ausnahmsweise ausüben könnte. Die einzigen empirisch beobachtbaren Fälle supranationaler Kompetenz sind die vielgeschmähte Europäische Union (EU) – als einmaliger regionaler Sonderfall – und der Sicherheitsrat der UNO aufgrund seiner weitreichenden Rechte in bestimmten sicherheitsgefährdenden Situationen (siehe 6.1.2 und 8.1.2) – eine sehr spezifische und ebenfalls einmalige Regelung. Beschränkungen der Souveränität gibt es bislang nur für internationale Kooperation, nicht zugunsten der Bildung einer überstaatlichen Machtinstanz; insbesondere sind supranationale Kompetenzen für die UNO sachfremdes Wunschdenken. Und ein Weltstaat ist – dem Himmel sei Dank – nicht in Sicht.

Schlechte Political-Science-Fiction: Der „Weltstaat“

In krisengeschüttelten Köpfen spukt immer wieder ein wunderliches Gespenst: der „Weltstaat“. Auch ernstzunehmende Geister (wie Albert Einstein) haben von dieser utopischen Spinnerei geträumt. Der Gedanke ist gespenstisch, weil der Weltstaat schon ein Zombie sein muss bevor er je leben konnte. Der anspruchsvollen Idee eines die ganze Welt regierenden Zentralstaates, der mit Weltethik und Weltgesetzen, Weltpolizei und Weltgerichten weltweit Frieden und Gerechtigkeit schafft, genügten weder die alten Weltreiche noch die katholische („alles umfassende“) Kirche und erst recht nicht zwischenstaatliche „Weltorganisationen“ wie der Völkerbund oder heute „die UNO“; keine politische Kraft ist vorstellbar, die einen Weltstaat errichten und seine Macht sichern könnte.

Der Weltstaat und seine Regierung sind unmöglich und unerwünscht – vor allem wären sie ungeeignet für die Lösung globaler Probleme: Ein globaler Staat über allen Völkern und Kulturen wäre notwendig zentralistisch und bürokratisch, nach demokratisch-partizipatorischen Standards nicht kontrollierbar; nicht mal aus technokratischer Sicht würde er problemspezifisch genug funktionieren. Zwar gelten bekennende Anhänger der Allmachts-Phantasien vom Weltstaat als skurrile Außenseiter, aber als leitende Idee oder Denkreflex wirkt der Weltstaatsgedanke hintergründig: „die UNO“ wurde schon von vielen Zeitgenossen ihrer Gründung und von überzeugten Unterstützern als Weltstaats-Ersatz missverstanden.

Wo es keinen „Weltstaat“ gibt, gibt es auch kein „Weltrecht“ in seinem Rahmen und Namen; was bleibt ist ein zwischenstaatliches Recht, das nicht über den Staaten steht, aber unter ihnen Ordnung vorgeben und Verbindlichkeit herstellen kann – soweit diese das als Einzelne zulassen, aber auch als Kollektiv umsetzen. Dahinter bleibt die philosophische Frage offen, ob die universale Gültigkeit menschheitsübergreifender Rechtsnormen mit globalem Anspruch anzunehmen oder gar zwingend zu begründen ist.

Das „Völkerrecht“ ist also keine einfache Materie: Wie es entsteht, wer es trägt und wen es verpflichtet bzw. „bindet“, was seine Grundsätze sind – und wie und von wem es durchgesetzt werden kann – sind schwierige Fragen.

Quellen des Völkerrechts/internationalen Rechts sind

 hauptsächlich und vorrangig Internationale Verträge – der wichtigste ist die Charta der Vereinten Nationen (siehe 4),

 aus der Praxis entstandenes Gewohnheitsrecht,

 allgemeine Rechtsgrundsätze,

 richterliche Entscheidungen von international zuständigen Gerichtshöfen

 und qualifizierte Lehrmeinungen.

Quellen des Völkerrechts/internationalen Rechts nach dem Statut des Internationalen Gerichtshofes (IGH) Art. 38 Abs. 1

„Der Gerichtshof, dessen Aufgabe es ist, die ihm unterbreiteten Streitigkeiten nach dem Völkerrecht zu entscheiden, wendet an

 internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den streitenden Staaten ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind;

 das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung;

 die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze;

 […] richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen.“

Rechtssubjekte des Völkerrechts /internationalen Rechtes – also Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten – sind

 in erster Linie (souveräne) Staaten,

 eingeschränkt Internationale Organisationen,

 selten auch Individuen.

Tragende Prinzipien des Völkerrechts /internationalen Rechtes sind

 Souveränität und zugleich Interventionsverbot: Seine innere politische Ordnung ist von jedem Staat unabhängig selbst zu bestimmen und er hat somit die uneingeschränkte Gebietshoheit und Personalhoheit; es gibt also kein Recht zu Eingriffen in einen Staat seitens eines anderen oder mehrerer anderer Staaten – auch nicht aller anderen zusammen – daher gilt das Interventionsverbot, das die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten eines souveränen Staates garantiert.

 Gleichheit: Für alle souveränen Staaten gilt logischerweise (pars in parem non habet imperium) ungeachtet ihrer Größe, Lage, Macht, Geschichte u.a. gleiches Recht, z.B. im Prinzip „Ein Staat = eine Stimme“ bei Abstimmungen in internationalen Organisationen (allerdings nicht in allen, was begründet sein muss).

 Reziprozität: Was für Staat A gegenüber Staat B gilt, gilt gleichermaßen auch für Staat B gegenüber Staat A; jeder Staat ist somit rechtlich sowohl Urheber wie Adressat.

 Gewaltverbot: Die Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates ist verboten; wie das Interventionsverbot ergibt dies sich schon aus dem Souveränitätsprinzip, dazu kommt der Ausschluss von Gewalt als legitimem Mittel der Außenpolitik; das Recht auf Selbstverteidigung ist aber gegeben.

 Grundsatz von „Treu und Glauben“: Die Staaten sind zur Einhaltung des Völkerrechts verpflichtet, d.h. Verträge müssen eingehalten werden (pacta sunt servanda), einseitige Versprechen sind verbindlich, Rechtsmissbrauch ist verboten u.ä.

Instrumente zur Durchsetzung des Völkerrechts/internationalen Rechtes sind

 Internationale Gerichte (wie IGH, EGMR oder spezielle Schiedsstellen wie die der WTO),

 Internationale Organisationen, in erster Linie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (siehe 6.1.2).

Bislang schützt das Völkerrecht in erster Linie die souveränen Staaten: Gewaltverbot und Interventionsverbot garantieren den Bestand jeden Staates; nur er kann seine innere Ordnung bestimmen und nur er hat das legitime Gewaltmonopol auf seinem Territorium; in seinem auswärtigen Handeln ist er allerdings eingeschränkt.

Das Problem einer Rechtsordnung ohne eigenen Rechtsstaat bleibt: Welche/wessen Macht darf und kann Gerichtsurteile oder Beschlüsse des Sicherheitsrates umsetzen? Da es keine den Staaten übergeordnete Instanz gibt, die internationales Recht faktisch durchsetzen könnte, gilt es leider oft nur kontrafaktisch – aber: Außer illegitimer Ausübung von Gewalt bleibt als Option nur mühselige internationale Kooperation.

Literaturverweis zu 2.4.: Völkerrecht

Alvarez 2018; de Serpa Soares 2015; Dörr 2016; Fassbender 2000; Fassbender/Siehr 2012; Herdegen 2019; Hobe 2014; Nußberger 2009; Ruffert/Walter 2009; Simma 1991; Tomuschat/Walter 2018; Vitzthum/Proelß 2016

3. Entstehung und Entwicklung der Organisation der „Vereinten Nationen“

Zwischen Staaten gibt es schon seit längerem Abstimmung von und Zusammenarbeit bei Regelungen sowie dazu dienende Institutionen – was wir heute internationale Kooperation und Organisation nennen. Die ersten funktionsspezifischen internationalen Organisationen erzwang der technisch-industrielle Fortschritt, wenn technische oder logistische Fragen über Staatsgrenzen hinweg abgestimmt und organisiert werden mussten, so für die Rheinschifffahrt schon 1815, dann für die Telegraphie 1865, in der Meteorologie 1873, für Post 1874 und Eisenbahn 1922; aber auch die internationale Arbeitsorganisation wurde als erste fachpolitische schon 1919 gegründet.

Universale internationale Organisationen mit nicht spezifisch eingegrenzten, sondern weitreichendem oder umfassenden politischen Anspruch wurden aus Krieg und Zerstörung geschaffen – um den Frieden zu wahren. Alle internationalen Organisationen und besonders das schwer durchschaubare Geflecht der heutigen Vereinten Nationen (UNO) sind nur aus der geschichtlichen Situation zur Zeit ihrer Entstehung heraus zu verstehen:

 Nach der Französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen ordnete der Wiener Kongress die Staatenwelt;

 der Völkerbund wurde aus dem Ersten Weltkrieg entwickelt als Versuch, wenigstens eine friedenswahrende Instanz den bisher zum Frieden unfähigen Nationalstaaten entgegenzusetzen;

 die Vereinten Nationen (UNO) wurden mitten im Zweiten Weltkrieg erarbeitet, ausgehandelt und noch vor dessen Ende gegründet – ungefiltert aufgrund der Erfahrungen dieses mörderischsten aller Kriege, der schon vor dem ersten Einsatz der Atombombe die Gefahr der Zerstörung der menschlichen Zivilisation ahnen ließ.

Die UNO hatte zudem die zwei schlimmsten Massenmörder der Weltgeschichte als „Paten“ ihrer Entstehung aus dem Zweiten Weltkrieg – Hitler als Feind jeder Zivilisation und zu besiegender Kriegstreiber, Stalin als notwendiger Alliierter im Krieg und als Kooperationspartner für eine Friedensordnung danach. Das ist kein Makel für die UNO, aber markierte von vorne herein, wie schwierig ihre Arbeit sein würde.

Internationale Organisationen als „gefrorene Entscheidungen“ (Keohane 1988, S. 384) oder „Geschichte verschlüsselt in Regeln“ (March/Olson 1984, S. 741) zu sehen, erleichtert sehr, sie angemessen einzuschätzen.

3.1 Internationale Organisation vor dem Zweiten Weltkrieg

So alt wie die Menschheit ist der Krieg – eben so alt ist der Traum vom Frieden in der Welt. Diesen Traum zu verwirklichen könnte nur gelingen, wenn

 als minimaler Konsens Grundsätze einer universalen Friedensethik gültig wären

und zugleich oder wenigstens alternativ

 Friedenssicherung auch „realpolitisch“ verlässlich durchgesetzt werden könnte

sei es durch eine dauerhaft übergeordnete imperiale Macht, sei es durch ein verbindliches Regelsystem, das alle potentiellen Friedensstörer zum Wohlverhalten verpflichtet.

Konzepte und Vorschläge zur Sicherung von Frieden in Antike und Mittelalter hatten wenig Erfolg: Die Militärbündnisse der griechischen Stadtstaaten und das römische Imperium suchten den Krieg mit Kriegsbereitschaft zu kontrollieren („si vis pacem para bellum“); das mittelalterliche Reich unter der Führung von Papst und/oder Kaiser sollte auch als Garant von Frieden zumindest innerhalb der Christenheit verstanden werden, war es aber selten.

Manche Ideen waren aber originell und wohl überlegt: Der Mönch Engelbert von Admont hatte im frühen 14. Jh. schon das Konzept eines ausgleichenden „Weltstaates“ mit einer Eintracht erzwingenden einheitlichen „Weltregierung“; auch der Dichter Dante Alighieri dachte zu dieser Zeit über eine Gerechtigkeit schaffende Weltmonarchie nach; 1462 entwarf der böhmische König Georg von Podiebrad einen recht konkreten und anspruchsvollen Staatenbundplan, wonach eine europäische Friedenskonferenz ein Schiedsgericht zur Streitschlichtung einrichten und mit einer gemeinsamen Armee Frieden schaffen sollte.

In der Neuzeit wurden differenziertere Optionen durchdacht, denn mit der Etablierung der Nationalstaaten als exklusive Träger der unteilbaren Souveränität im modernen Staatensystem – historisch am Ende des Dreißigjährigen Krieges im Vertragswerk des „Westfälischen Friedens“ von 1648 zu greifen (siehe 2.4) – mussten sich alle Überlegungen zu einer Friedensordnung am neuen Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten orientieren: Nicht mehr denkbar waren nun alle zentralisierten und hierarchischen Herrschaftsformen, die eigenständige Regelungskompetenz statt der und über den nationalstaatlichen Regierungen hätten, also kein Reich/Imperium/Weltstaat mit einer zentralen supra-nationalen Zentralinstanz/Weltregierung – wohl aber freiwillige Staaten-Bünde und zwischen–staatliche = inter–nationale Institutionen.

Die unterschiedlichsten Überlegungen und Vorschläge für eine Organisation der internationalen Gemeinschaft wurden angeboten von Praktikern wie dem französischen König Heinrich IV. oder dem Herzog von Sully, doch vor allem durch Gelehrte: Hugo Grotius, Eméric Crucé, William Penn, Charles Irénée Castel (Abbé de Saint-Pierre), Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kant, Jeremy Bentham. Einige skizzierten schon recht konkret Struktur und Funktionsweise der späteren internationalen Organisationen, Castel entwickelte gar schon den Gedanken eines Rechtes auf Einmischung in die Souveränität; der Jurist Hugo Grotius klärte erstmals die Grundsätze des internationalen Rechts („De jure belli et pacis“/„Über das Kriegs- und Friedensrecht“, 1652); der Philosoph Immanuel Kant gab eine Argumentations-Vorlage zu den Möglichkeiten internationaler Organisation („Zum ewigen Frieden“, 1795), mit der heute noch gerne gearbeitet wird.

Intellektuell angeregt von diesen friedenstheoretischen Werken, religiös und idealistisch vom Friedenswunsch inspiriert, aber auch ökonomisch gegen die Kosten von Krieg motiviert, entstanden seit dem 19. Jh. in den USA und Großbritannien und später in ganz Europa die unterschiedlichsten Friedensgesellschaften.

Abrüstung, internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Kodifizierung und Weiterentwicklung des Völkerrechts u.v.m. wurden auf diversen internationalen Friedenskongressen diskutiert und propagiert. Als weltfremd und naiv geschmäht hatten die Friedensbewegten gegen den in den meisten Ländern nationalistischen und militaristischen Zeitgeist überraschend großen Erfolg bis in die Tagesordnungen der internationalen Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907; der Kampf gegen das Wettrüsten ging verloren, aber wenigstens humanitäre Regeln für die Kriegführung konnten durchgesetzt werden.

Noch älter als der Völkerbund von 1919 und viel älter als die UNO von 1945 sind einzelne funktionsspezifische internationale Organisationen. Die naturwissenschaftlich-technische Entwicklung zwang schon im 19. Jahrhundert die sich rasch industrialisierenden Nationalstaaten zu internationaler Kooperation, damit Fortschritte auch organisatorisch umgesetzt werden konnten. Dazu gab es unterschiedliche Wege der Entwicklung und dann der Kooperation mit den jüngeren universalen Organisationen Völkerbund und Vereinte Nationen.

Das Wetter – selbst im klassischen Zeitalter der Nationalstaaten naturgemäß ein übernationales Phänomen – regte die Meteorologie schon 1873 an, die Leiter der einzelnen Wetterdienste in einer internationalen nichtstaatlichen Organisation zusammenarbeiten zu lassen, die erst gut sieben Jahrzehnte später zur einer zwischenstaatlichen „Sonderorganisation“ der UNO (siehe 5.3) wurde. Auch die altehrwürdige internationale Postorganisation von 1874 wurde ebenso erst nach fast gleich langer Zeit durch Kooperationsverträge als Regierungsorganisation eine Sonderorganisation der UNO. Dagegen kam der grenzüberfahrende Zugverkehr überraschenderweise lange ohne eine fachspezifische internationale Organisation aus, bis dann 1922 ein internationaler Verband der Bahnen und Unternehmen, nicht der Staaten, gegründet wurde, der nie eine formelle Bindung zum UN-System einging. Neben den klassischen frühen Organisationen gab es einige internationale Gruppen und Zusammenschlüsse, meist auf Initiative von Wissenschaftlern und technischen Experten, aus denen sich mit der Zeit formelle internationale Organisationen entwickeln konnten – so z.B. 1945 die Welternährungsorganisation FAO aus dem „Internationalen Landwirtschaftsinstitut“ von 1905.


Die frühen internationalen Organisationen erfüllten meist unpolitische Aufgaben der grenzüberschreitenden Abstimmung und Zusammenarbeit, indem sie die nationalen Verwaltungen koordinierten und die Einhaltung der Verpflichtungen ihrer Mitglieder überwachten – allein schon diese sachbezogene internationale Praxis konnte von politischer Bedeutung sein. Der Ständige Schiedsgerichtshof (Permanent Court of Arbitration) zur Beilegung internationaler Streitigkeiten (Den Haag) hätte eine Sonderstellung gehabt; er war von der ersten Haager Friedenskonferenz von 1899 geschaffen worden, wurde dann allerdings wenig genutzt. Erst die Erschütterung der europäischen Staatenwelt durch den Ersten Weltkrieg politisierte die internationale Kooperation.

Denn die Erfahrung des Ersten Weltkrieges als epochale Katastrophe machte die Idee der internationalen Friedensorganisation realistisch. Die USA hatten 1917 mit ihrer entscheidenden Beteiligung am Krieg die weltpolitische Führungsrolle übernommen, was die meisten Europäer erst viel später bemerkten; ein elementares Kriegsziel von Präsident Woodrow Wilson (als letzter seiner „14 Punkte“ 1918) war die Gründung eines Völkerbundes als „eine allgemeine Vereinigung der Nationen […] zum Zwecke gegenseitiger Garantieleistungen für die politische Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der großen wie der kleinen Staaten.“

Der Völkerbund (League of Nations) war die erste internationale Organisation mit universalem Anspruch: Möglichst alle Staaten sollten neben der Hauptaufgabe der Friedenswahrung auch tendenziell das ganze Spektrum internationaler Probleme bearbeiten. Er war ein wesentliches und konstruktives Element der Nachkriegsordnung von 1919, wie sie auf der Pariser Friedenskonferenz als Versailler Vertrag ausverhandelt wurde. Die neuartige internationale Staaten-Organisation hatte 42 Gründungsmitglieder; ihr Sitz wurde Genf.

Gemäß der sachlich logischen Grundstruktur internationaler Organisationen, die fast allen gemeinsam ist, waren die Organe des Völkerbundes:

 eine Versammlung aller seiner Mitgliedstaaten als Diskussionsforum und Entscheidungsgremium, die aber nicht ständig tagt: die Bundesversammlung, die nie mehr als 57 Staaten gleichzeitig umfasste;

 ein Exekutiv-Ausschuss, der ständig bzw. auf kurzfristige Einladung tagt, leistet die eigentliche politische Arbeit, weil er wegen seiner geringen Mitgliederzahl ein arbeitsfähiges Gremium ist: der Völkerbundrat mit 4-5 ständigen und 4-11 nicht-ständigen Mitgliedern;

 zur Erledigung von Verwaltungsaufgaben und zur Koordination der Arbeit ein ständiges Sekretariat mit nur der internationalen Organisation verpflichteten Mitarbeitern unter Leitung eines Generalsekretärs;

 verschiedenartige Nebenorgane für besondere Aufgaben (Ständige Mandatskommission, Abrüstungsausschuss);

 ein Gerichtshof als Schiedsstelle für Streitigkeiten unter den Mitgliedern: der Ständige Internationale Gerichtshof (Den Haag), dem Völkerbund seit 1920 zugeordnet aber formal autonom.

Als wichtigste Aufgabe sollte der Völkerbund Frieden durch allgemeine Abrüstung gewährleisten. Durch den internationalen Vertrag der Völkerbundssatzung waren seine Mitglieder zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten verpflichtet, hatten aber auch die Pflicht zum gegenseitigen Beistand bei Verstössen dagegen, um Aggressoren abzuschrecken im Sinne des Konzepts der kollektiven Sicherheit (siehe 4 und 8.1); die gegenseitige Schutzverpflichtung sollte es den Staaten überhaupt erst möglich machen, das Risiko von Abrüstung einzugehen. Generell sollte die Organisation Konflikte im internationalen Verhalten mildern oder gar ausräumen.

Weil aber einige wichtige Staaten nie oder zeitweise nicht Mitglieder des Völkerbundes waren, wurden Universalität und damit politische Verbindlichkeit nie erreicht. Das besiegte und gedemütigte Deutschland wurde mühsam erst 1926 aufgenommen und trat mit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1934 wieder aus. Russland, durch die Revolution von 1917 lange mit sich selbst beschäftigt, trat erst 1934 bei. Katastrophal aber war, dass sich in den USA ungeachtet des Engagements der Wilson-Regierung politisch wieder die isolationistische Doktrin durchsetzen konnte, sich nicht in Streitigkeiten europäischer Mächte hineinziehen zu lassen; 1920 lehnte der amerikanische Senat den Versailler Friedensvertrag und damit den Eintritt der USA in den Völkerbund ab. Somit standen als liberal verfasste Großmächte nur Großbritannien und Frankreich gegen die erstarkenden totalitären Kräfte in Europa.

Zu einer angemessenen Einschätzung der historischen Leistung des Völkerbundes sind angemessene Kriterien nötig; die ihm vorgegebenen Bedingungen und die ihm von den Staaten zugestandenen Rechte sind realistisch einzuschätzen, um nicht leichtfertig der gängigen Rede von seinem „Scheitern“ zu folgen – denn der Völkerbund hatte schlicht nicht das ausreichende Instrumentarium, um seine Aufgaben erfüllen zu können: Er hatte generell zu wenig Kompetenzen; er hatte keine eigenen Streitkräfte und auch nicht die Autorität, Aufgaben an Streitkräfte der Mitgliedstaaten zu delegieren; er hatte faktisch keinerlei Sanktionsmacht gegen Staaten, auch wenn sie massiv gegen die Völkerbundssatzung verstießen.

In dieser Satzung fehlte ein wichtiges Element, das in der Charta der UNO dann zu finden ist und gerne harsch kritisiert wird: Vorrechte für Großmächte. Weil diese institutionell keinen besonderen Einfluss hatten, konnte der Völkerbund als politische Organisation so wenig Druck auf seine Mitgliedstaaten aufbauen. Denn Beschlüsse konnten im Völkerbundsrat nur einstimmig gefällt werden, also nur mit Zustimmung aller (vier bis fünf) ständigen (Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Deutschland 1926-1933 bzw. UdSSR 1934-1939) wie aller (vier bis elf) nicht-ständigen Mitglieder; nur direkt an einem Konflikt beteiligte Parteien hatten bei Abstimmungen dazu kein Stimmrecht. Da zumindest alle Mitglieder des Völkerbundsrates gleichermaßen jeden Beschluss verhindern konnten, hatten die Großmächte nicht das Privileg, die Kooperation zu verweigern – und also wenig Anreiz zur Mitarbeit. Ohnehin waren die Kompetenzen des Völkerbundsrats gegenüber der Versammlung nicht klar abgegrenzt oder er gar vorrangig berechtigt.

Der Völkerbund konnte folglich zwar in kleineren Konflikten erfolgreich vermitteln, aber wenn interessierte Mitgliedsregierungen die Kooperation verweigerten wie 1931 Japan (Mandschurei) und 1936/37 Italien (Abessinien), war sein Mechanismus unzureichend. Dies diskreditierte ihn selbst; er stellte seine Arbeit mit dem Zweiten Weltkrieg praktisch ein und wurde im April 1946 formal aufgelöst. Immerhin war sein kurzer Auftritt der erste Versuch, durch eine Staaten-Organisation verlässlich und dauerhaft internationale Sicherheit zu schaffen. Bisher sollte das Gleichgewicht der Mächte mit bilateraler Geheimdiplomatie austariert werden, was oft genug misslang; nun wäre in multilateralen Verhandlungen das Prinzip der kollektiven Sicherheit durch gegenseitige Kooperation durchzusetzen gewesen, was im ersten Anlauf aber auch noch nicht gelang. Zu erinnern ist daran, dass zur Zeit des Völkerbundes Krieg noch als ein taugliches Instrument der internationalen Politik galt und auch völkerrechtlich durchaus legitim war – egal ob Verteidigungs- oder Angriffskrieg, sofern er nur formell erklärt war. Die Staaten waren durch die Völkerbunds-Satzung lediglich an ein relatives Kriegsverbot gebunden: Nach einem ihnen nicht genehmen Schiedsspruch durch den Internationalen Gerichtshof sollten sie nicht vor Ablauf einer Frist von drei Monaten einen Krieg beginnen.

Mit dem Vorwurf des „Scheiterns“ dem Völkerbund die Verantwortung dafür zuzuschieben, dass zu seiner Zeit Krieg nicht gebannt und verhindert werden konnte, ist irreführend, denn die Unfähigkeit zum Frieden war in Gesellschaft, Politik und Militär seiner Mitgliedstaaten zu finden: Wie jede internationale Organisation konnte auch der Völkerbund nur so erfolgreich sein wie seine Mitglieder es zuließen. Zumal seiner vorrangigen Aufgabe einer allgemeinen Abrüstung boten die Staaten keine Chance zur Verwirklichung. Dennoch war der Völkerbund als Vorläufer der heutigen UNO ein lehrreiches Moment der unendlichen Geschichte der Zivilisierung der internationalen Politik.

Literaturverweis zu 3.1.: Internationale Organisation vor dem Zweiten Weltkrieg

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