Es war ein Unglück für Heinrich IV., dass er seinen Vater mit sechs Jahren verlor, dass seine Mutter ihn, wie es scheint, nicht liebte, dass man ihn mit einer ungeliebten Frau verheiratete und bei ihr auszuharren zwang; aber alles das, wie auch der wechselnde Einfluss des barschen Anno von Köln und des verwöhnenden Adalbert von Bremen auf den Knaben, hätte auf einen anderen ganz anders wirken können. Es war augenscheinlich etwas Zersetzendes in seine Seele eingeboren, was den Keim der Größe sich nicht rein entfalten ließ. Es gibt eine merkwürdige Sage vom Grafen Wiprecht von Groitzsch, einem Kriegshelden, der in Heinrichs Schlachten kämpfte und ihm namentlich zu seinem letzten Siege über Rom verhalf. Als einst in Verona Wiprecht der tapferste aller Recken genannt wurde, gebot der König ihn herbeizurufen, er wolle ihn auf die Probe stellen. Wiprecht kam und wurde in einen Hof geführt, wo den Ahnungslosen ein Löwe anfiel, den der König vorher dorthin hatte bringen lassen. Der Held erschrak nicht, sondern packte das Tier und zwang es, sich zu seinen Füßen niederzulegen; dann fragte er den König, warum er ihn gerufen und was das alles zu bedeuten habe. Da der König schließlich gestand, dass er seine Mannhaftigkeit habe prüfen wollen, wurde Wiprecht zornig und sagte: »Ich habe als erster die Alpen überschritten, ich habe die Ehren und Siege erstritten, konnte der Anblick meiner Taten dir nicht genügen? Du hast mich zu eitler Augenweide einem wilden Getier preisgegeben; nun will ich dir nicht länger dienen.« Da fing der König an, sich zu fürchten, bereute, was er getan hatte und ruhte nicht, bis der Graf wieder versöhnt war. Wie Heinrichs Charakter in dieser Sage sich darstellt, so war er vielleicht wirklich: Mangel an Respekt vor den Menschen, Schwanken zwischen Übermut und Furcht, Unfähigkeit, die Grenze zwischen Zurückhaltung und Vertraulichkeit zu beobachten, mögen ihm manchen Anhänger entfremdet haben. Eine edle Gabe jedoch wog viele Fehler auf, dass er im Leben lernte, dass er Schwächen überwand und seine Kraft an Widerständen stählte.
Als Gregor VII. im Jahre 1076 den jungen Kaiser mit dem Banne bedrohte, hatte dieser die aufständischen Sachsen unterworfen und befand sich in gehobener Siegerstimmung; auf einer Synode in Worms vereinigten sich die Bischöfe, mit Ausnahme der sächsischen, mit ihm, um den Papst abzusetzen. Sie warfen dem Papst ruchlose Neuerungen vor, durch die er Zwietracht in der Kirche gesät habe; er habe sich eine völlig neue und unrechtmäßige Gewalt angemaßt, indem er die Gerechtsame, die der gesamten Bruderschaft der Bischöfe zukämen, an sich gerissen habe. Durch eine unter Nikolaus II. gehaltene Synode sei, von ihm selbst veranlasst, festgesetzt, dass nur der als Papst anzuerkennen sei, der von den Kardinälen mit Zustimmung des Volkes und Bestätigung des Königs gewählt sei. Es wurde unterstellt, dass er, da die letztere gar nicht nachgesucht sei, nicht Papst sein könne. In einem besonderen Briefe betonte der König zunächst die Anmaßungen des Papstes gegenüber den Bischöfen, dann erst, dass der Papst dem König gedroht habe, ihn der königlichen Gewalt zu berauben, »als ob die Königs- oder Kaiserkrone in deiner und nicht in Gottes Hand läge.« Er schloss den Brief mit dem pathetischen Zuruf: »Steige herab, steige herab und verlasse den angemaßten Stuhl des heiligen Petrus.« Gregors Antwort war der Bannstrahl und die Auflösung des Treueides, mit dem die Untertanen an den König gebunden waren. Heinrich lud nun die Bischöfe nochmals zu einer Synode durch ein Rundschreiben, in dem er sagte, Gregor habe sich das Königtum und Priestertum zugleich angemaßt und dadurch Gottes Ordnung verachtet, die nicht auf einem, sondern auf zwei Prinzipien, Königtum und Priestertum, beruhe.
Inzwischen hatten sich bereits die Verhältnisse gegen den König gewendet: nicht nur, dass die Sachsen sich von Neuem empörten, die Schwaben schlossen sich ihnen an, ja Herzog Rudolf von Schwaben ließ sich von den Heinrich feindlichen Fürsten bewegen, als Gegenkönig aufzutreten. Unter diesen Umständen fielen auch die Bischöfe, die eben noch mit dem König zusammen den Papst abgesetzt hatten, vom König ab und erklärten dem Papst ihre Unterwerfung. Die abtrünnigen Fürsten forderten Gregor auf, als Schiedsrichter über die Alpen nach Augsburg zu kommen; den König erklärten sie für abgesetzt, wenn er nicht binnen Jahresfrist vom Banne befreit sei.
Von allen verlassen, außerstande, das Glück der Waffen zu versuchen, fasste Heinrich den kühnen Entschluss, über die Alpen zu gehen und den Papst zur Zurücknahme des Bannes zu bewegen, um dadurch zu verhindern, dass der Abfall der Fürsten durch den Papst bündig gemacht werde. Es war mitten im Winter und die Kälte so groß, dass der Rhein vom November bis zum April zugefroren war; der Übergang über den Jupiterberg, wie der Mont Cenis im Mittelalter genannt wurde, immer schwierig, war so ein Wagnis und ein Schrecken. Aber der König erreichte sein Ziel und überraschte den Papst, der, auf dem Wege nach Deutschland, als er die Nachricht von Heinrichs Ankunft vernahm, ungewiss, was sein Feind vorhabe, sich auf die feste Burg Canossa zurückgezogen hatte. Die zahlreichen Gegner Gregors in Italien hofften, der König komme, um den Papst abzusetzen; aber das glaubte er auf eine gelegenere Zeit verschieben zu müssen; im Augenblick konnte er seinem Feinde eine Niederlage nur beibringen, indem er sich ihm unterwarf. Die Voraussetzungen des Christentums waren so, dass der Papst einem reuigen Sünder die Lossprechung vom Banne nicht versagen konnte. Man sah ihm nicht ins Herz; es war die Kehrseite der kirchlichen Äußerlichkeit, dass die festgesetzten äußeren Zeichen der Reue als solche gelten gelassen werden mussten. Indem Heinrich als Büßer erschien, zwang er den Papst, ihn wieder in den Schoß der Kirche aufzunehmen. Den Papst tröstete über das ertrotzte Zugeständnis der innere Vorbehalt, dass der König zwar vom Banne befreit, aber nicht als König wieder eingesetzt sei, während der König zufrieden war, die augenblickliche Gefahr beseitigt zu haben. Nachdem Gregor die Lösung vom Banne ausgesprochen hatte, gaben sich Papst und König den Friedenskuss.
Eine furchtbare Pause starrte zwischen den Gewitterschlägen des Riesenkampfes. König und Papst, der germanische und der römische Weltherrscher, standen sich Auge in Auge gegenüber, die Brust voll Hass und Rache, aber gelähmt durch das Bewusstsein, untrennbar miteinander verbunden zu sein. Sie waren nicht zwei Herrscher, von denen jeder des anderen Reich besitzen, von denen jeder den anderen vernichten möchte, sie waren unlöslich miteinander verwachsen und ineinander verbissen, und immer wieder kamen Augenblicke, wo ihnen das klar wurde. Der Papst begründete seinen weltlichen Besitz auf Schenkungen der Kaiser, die Kaiser empfingen ihre Krone in Rom durch den Papst, die Völker sahen zu ihnen beiden als zur Spitze der Christenheit auf; sie waren aufeinander angewiesen und konnten höchstens durch einen Personenwechsel vorübergehend zu gewinnen hoffen. Beide waren mächtig, wenn auch auf verschiedene Weise: dem Papst gehörte nur eine kleine Provinz, aber er herrschte über die religiösen Gefühle und Gedanken aller Christen, und sein Thron stand auf den Trümmern der alten Weltstadt Rom; der König war der Anführer der deutschen Ritter, die an die Stelle römischer Legionen getreten waren, aber ihm gehörte nur, was er sich durch eigene Kraft unterwarf. Beide konnten sich gegeneinander ihrer Macht nur soweit bedienen, als sie nicht sich selbst dadurch verletzten.
Heinrich, der seine hohe Gestalt und sein blondes Haupt vor dem hässlichen kleinen Mönchspapst gebeugt hatte, blieb im Herzen unbeugsam. Während der Papst im geheimen die Krönung des Gegenkönigs betrieb, trat er als rechtmäßiger König auf und hoffte auf einen Waffensieg über die Gegner. Rudolf fiel in der Schlacht und wurde in Merseburg begraben; schon vorher hatte Heinrich einen treuen Anhänger, den Grafen Friedrich von Büren, zum Herzog von Schwaben erhoben und dem bis dahin in bescheidenen Verhältnissen lebenden jungen Mann seine Tochter Agnes zur Frau gegeben. Nachdem Gregor den König von Neuem exkommuniziert hatte, erklärte Heinrich auf einer Synode in Brixen mit mehreren Bischöfen in maßloser Sprache und unter ungeheuren Beschuldigungen Gregor für abgesetzt und Bischof Wibert von Ravenna zum Papst. Dann zog er nach Italien, erkämpfte sich den Einzug in Rom, wo ein Teil der Bevölkerung ihm anhing, und ließ sich von Wibert zum Kaiser krönen. Gregor wäre verloren gewesen, hätte er sich nicht den Beistand der Normannen gesichert gehabt, die in Unteritalien nach Verdrängung der Griechen und Sarazenen ein Reich gebildet und vom Papst zu Lehen genommen hatten. Wie einst die Päpste bei den Franken Schutz gegen die Langobarden gesucht hatten, so suchten sie jetzt gegen die zu Nachbarn gewordenen Deutschen Schutz bei den neu eingedrungenen Barbaren, die ihre Eroberung gern durch die Anerkennung von seiten einer rechtmäßigen Macht stützten. Obwohl Heinrich bedeutende Erfolge errungen hatte, ging in Deutschland und in Italien der Kampf weiter. Die großen grundsätzlichen Gegensätze, die ausgesprochen waren, zogen wie weithin sichtbare Fahnen Anhänger an sich und zwangen jeden, Partei zu nehmen. Streitschriften wurden gewechselt, die zwar lateinisch verfasst waren, deren Inhalt sich aber doch auch unter den Laien verbreitete.
Die italienischen Bischöfe waren dem Kaiser im Allgemeinen anhänglicher als die deutschen. Viele von ihnen waren Deutsche, allein der scharfsinnigste und folgerichtigste unter ihnen, Benzo von Alba, scheint ein Süditaliener, vielleicht griechischer Abkunft gewesen zu sein. Er brachte die Ansichten der älteren Bischöfe, die nicht daran zweifelten, dass der König das recht habe, die Bischöfe einzusetzen, in eine zusammenhängende Theorie. Da die Bischöfe vom Könige weltliche Lehen empfingen, schuldeten sie ihm Gehorsam, begleiteten sie ihn doch auch wie andere Vasallen auf seinen Feldzügen als Anführer der Kriegsleute, die sie ihm zu stellen hätten. Da nun alle Bischöfe einander gleich seien, sagte Benzo, stehe auch der Papst unter dem Kaiser, und wenn er den Papst nicht einsetze, so dürfe doch wenigstens ohne seine Zustimmung kein Papst konsekriert werden. Über dem Kaiser stehe nur Gott, verglichen mit dem Kaiser wären alle Könige der Erde nur kleine Provinzkönige. Damit diese mystische Königsmacht eine irdisch sichere Grundlage bekomme, machte Benzo den merkwürdigen Vorschlag, eine allgemeine Steuer zu erheben, die den Kaiser in den Stand setzen würde, Beamte anzustellen und Söldner zu unterhalten, sodass er von seinen Lehensleuten unabhängig würde. Das Beispiel für eine solche Einrichtung fand er in Unteritalien, wo ähnliche Einrichtungen aus der römischen Zeit sich erhalten hatten. Kaum hätte ein derartiger Vorschlag in Deutschland unter Deutschen gemacht werden können, die jede Auflage von Steuern als einen unerträglichen Angriff auf die Rechte des freien Mannes betrachteten. Vielleicht erklärt sich auch daraus, dass die Idee des zentralisierten Staates sich in Italien erhalten hatte, die Anhänglichkeit der italienischen Bischöfe an den Kaiser.
Einer der namhaftesten Verfechter des Kaiserrechtes in Deutschland, Walram von Naumburg, suchte auch dem Papst gerecht zu werden. Einigkeit zwischen Kaiser und Papst müsse herrschen, sagte er, da beide über das Reich gesetzt wären, in die weltliche Herrschaft aber habe der Papst sich nicht zu mischen. Der Kaiser sei unabsetzbar, dem Papst bestritt er das Recht, die Untertanen vom Treueid zu lösen und dadurch eine Spaltung herbeizuführen. Die Bestimmung des Papstes, der Nachfolger Christi zu sein, wurde herangezogen, um ihm das Entzünden von Kriegen zum Vorwurf zu machen.
Die Anhänger des Papstes beriefen sich auf das Recht des Volkes, den König zu wählen, was das Recht, ihn abzusetzen, in sich schließe. Der Chorherr Manegold von Lautenbach beleuchtete das Vernunftgemäße dieses Rechtes, indem er darauf hinwies, dass jeder Verständige einen Schweinehirten, der die Herde nicht hütete, sondern verkommen ließe, mit Schimpf und Schande davonjagen würde; wie viel mehr müsse man mit einem untauglichen König aufräumen. Gerade für das Königreich dürfe man nicht einen beliebigen Tyrannen oder Schuft bestellen, sondern einen, der durch Adel und inneren Wert hervorrage. Durch Tyrannei breche der König den Vertrag, der für seine Einsetzung maßgebend gewesen sei, das Volk sei ihm keine Treue mehr schuldig.
Tyrannei und Willkür warfen andere Bischöfe dem Papst vor, wenn auch die meisten nicht so weit gingen, den Primat des Papstes zu leugnen. Sie hielten es aber für eine unerhörte Neuerung, dass der Papst sich in die bischöflichen Diözesanrechte einmischen und sie wie Knechte ein- und absetzen wolle, wie sie überhaupt Gregors Theorie, dass der Papst durch sein Amt heilig und unfehlbar werde, ablehnten. In einer von Heinrichs Schlachten kämpften sechzehn Bischöfe auf seiner Seite.
Das Seltsame und Entscheidende ist nun aber, dass auch die treuen Anhänger des Kaisers vor ihrem Tode den Frieden mit der Kirche suchten, soweit sie sich nicht schon früher bekehrt hatten. Gerade über die Deutschen hatte die Kirche mehr Macht als der Staat. Wohl war auch die Person des Königs in mystische Vorstellungen eingetaucht und über die Ebene des Irdischen erhoben; aber sein Walten verknüpfte sich doch nicht so mit dem Seelenleben der Menschen wie das der Kirche, die das Kind taufte, dem Erwachsenen das Abendmahl, dem Sterbenden die letzte Wegzehrung reichte und mit ihm betete. Alle Gedanken und Gefühle, die über das Irdische und Alltägliche hinweg der ewigen Heimat zustrebten, waren mit der Kirche verbunden; die blieb unangetastet, was für Vorwürfe auch gegen die Pfaffen erhoben werden mochten. Dachte doch der Kaiser selbst niemals daran, das Papsttum als solches anzugreifen, war er doch vielmehr immer geneigt, wo sich die Möglichkeit der Versöhnung zeigte, die Hand dazu zu bieten, und nie war er zu stolz, um sich vor dem römischen Bischof wie vor Gott in den Staub zu werfen. Obwohl die Kaiser sich im einzelnen Falle das Recht nahmen, den Papst abzusetzen, stritten sie ihm grundsätzlich nie das Recht ab, von ihnen die Ehrfurcht zu verlangen, die der Sohn dem Vater schuldig ist.
Der Tod Gregors VII., der fern von Rom im Schutz der Normannen starb, bedeutete für Heinrich IV. keine Erleichterung; denn Gregors Nachfolger traten in seinen Ideenkreis ein, und die Bischofseinsetzung blieb eine unlösbare Streitfrage. Dass es der Kurie gelang, die beiden Söhne des Königs, Konrad und Heinrich, nacheinander gegen den alternden Vater aufzuhetzen, offenbart die Zerrüttung des salischen Hauses, das seinem Ende zuging. Von seinem Sohne bekämpft und entthront starb der erst 55jährige Kaiser in Lüttich, vom dortigen Bischof und dem Herzog von Lothringen mit Liebe aufgenommen.
Als Heinrich IV. im Jahre 1073 vor den Sachsen fliehen musste, als der Papst ihn gebannt, der Erzbischof von Mainz ihn abgesetzt hatte, als er krank und verlassen in Ladenburg sich aufhielt, kamen Bürger von Worms zu ihm, um ihn feierlich in ihre Stadt einzuholen. Sie kamen in Wehr und Waffen, um ihm zu zeigen, dass eine Mannschaft vorhanden sei, die es mit vielen Feinden aufnehmen könne. Hatten sie doch schon die bischöflichen Krieger aus der Stadt verjagt und hätten sie doch auch den Bischof selbst gefangengenommen, wenn er nicht entflohen wäre. Sie gelobten dem Kaiser Treue, sie besteuerten sich selbst, um die Kriegskosten zu decken; ohne sein Zutun gewann er eine ummauerte Stadt als Zufluchtsort, ein zuverlässiges Heer, das Gut und Blut für ihn zu opfern bereit war.
Dieselbe Stimmung wie in Worms herrschte in Köln, der Stadt des Erzbischofs Anno, der eine Zeit lang während der Minderjährigkeit Heinrichs das Reich regiert und den königlichen Knaben allzu rücksichtslos bevormundet hatte. Jenseits der alten Römermauer im Osten der Stadt, in der Richtung auf den Rhein, war in Köln der Markt entstanden; denn zur Beförderung der Güter benutzte man wo möglich die Wasserstraßen, und namentlich der Fernverkehr musste sich in der Nähe des Stromes abspielen. Dort war seit alters die Judenstraße. Zwischen ihr und der Kirche und dem Kloster Groß-Sankt-Martin befand sich der Alte Markt, auf dem Lebensmittel und gewerbliche Erzeugnisse zum Verkauf ausgestellt waren, und wo die Handwerker wohnten; weiter südlich gegen Sankt Maria im Kapitol erstreckte sich die größere Hälfte des Marktes, den die stattlichen Häuser der reichen Kaufleute umgaben. Während der erste Dom bis ins neunte Jahrhundert im Westen der alten Römerstadt gestanden hatte, befand sich nun, im elften, ein neuer in ihrer nordöstlichen Ecke, nicht weit vom Markt, daneben eine königliche Pfalz und die erzbischöflichen Wohngebäude. Am Osterfeste des Jahres 1074 hatte der Erzbischof Besuch von seinem Freunde, dem Bischof von Münster. Als dieser heimzufahren wünschte, schickte Anno Diener in die Rheinvorstadt mit dem Auftrage, das Schiff eines Kaufmannes zu diesem Zwecke bereitzumachen. Das Recht, Schiffe der Kaufleute für ihre persönlichen Zwecke zu beschlagnahmen, stand den Stadtherren in der Regel zu, und es ist möglich, dass man einem beliebten Herrn, der in freundlicherweise um ein Schiff gebeten hätte, willfährig entgegengekommen wäre; wahrscheinlich aber ist, dass das Recht zu den bestehenden Verhältnissen nicht mehr passte, dass es lange nicht in Anspruch genommen war, dass Annos Betonung der Herrschaft überhaupt unwillig ertragen wurde und dass es viele gab, die gern einen Anlass ergriffen, sich dem Erzbischof zu widersetzen. Der Sohn des Kaufmanns, dessen Schiff Anno benutzen wollte, weigerte sich, es den Dienern zu überlassen, heftige Worte wurden gewechselt, Streit entstand, und der entrüstete Erzbischof drohte mit strenger Strafe, wodurch er das Selbstbewusstsein der Kaufleute noch mehr reizte. Zweierlei zeigte sich: dass der Unwille gegen den Stadtherrn die ganze Bevölkerung beherrschte und dass die reichen Kaufleute einen bedeutenden Einfluss auf sie ausübten, denn es gelang dem Kaufmannssohn und seinen Gefährten rasch, einen Aufstand gegen den Erzbischof zu erregen. Eine wütende Masse stürmte gegen den erzbischöflichen Hof und in die Kirche, ein Mann, den man für den Erzbischof hielt, wurde erschlagen. Zufällig hatte dieser kürzlich einem Geistlichen, dessen Haus an die Stadtmauer stieß, erlaubt, eine Tür darin anzubringen; durch diese entkam er. Auf dem Lande hatte er Vasallen und Anhänger, die bereit waren, ihn zurückzuführen und die aufrührerische Stadt zu züchtigen. Wenn es den Kaufleuten leicht gewesen war, einen Aufstand herbeizuführen, so trauten sie sich doch nicht zu, dem heranrückenden Heer zu widerstehen; sie unterwarfen sich und baten um Gnade. Ein Geschichtsschreiber der Zeit berichtet, 600 Kaufleute hätten aus Furcht vor der Rache des Beleidigten die Stadt verlassen. Ist die Zahl auch zu hoch gegriffen, so waren es doch sicher viele, die flüchteten, und dass sie den Erzbischof richtig beurteilt hatten, zeigte die Folge. Anno strafte härter, als man es mit der christlichen Milde eines Bischofs verträglich hielt: der Sohn des Kaufmanns und andere Rädelsführer wurden geblendet, Geldstrafen wurden verhängt, die Güter der Entflohenen wurden eingezogen. Indessen bedeutete die Verödung der Stadt durch die Abwesenheit ihrer reichsten Bewohner, die Stockung von Handel und Verkehr, für den Stadtherrn einen so empfindlichen Verlust, dass er schon nach einem Jahre die Entflohenen zurückrief und ihnen ihre Güter wiedergab. Der Kaiser, den sie nach ihrer Flucht aufgefordert hatten, die Stadt zu besetzen, war nicht darauf eingegangen, so folgten sie dem Rufe des Erzbischofs.
So bedürftig der Kaiser auch der Hilfe war, dachte er doch kaum auch nur einen Augenblick ernstlich daran, die Partei der flüchtigen Bürger zu ergreifen. Die Bürger waren nicht eins mit der Stadt, eher war es der Bischof; es war nicht geraten, aufrührerische Untertanen gegen mächtige Kirchenfürsten zu unterstützen, auf denen seit hundert Jahren die Macht des Königs hauptsächlich beruht hatte. Im Laufe eines Menschenalters aber gewann die Stadt als Gesamtheit der Bürger mehr und mehr Gestalt. Die Richerzechheit, die vereinigten reichen Kaufleute, die Schöffen, die Urteilfinder des erzbischöflichen Hochgerichts und die hohen Beamten des Erzbischofs näherten sich einander, und die Handwerker, die Gewerbetreibenden und Ackerbürger, die in der westlichen Stadt saßen, fühlten sich zu ihnen gehörig. Mehr gemeinsame Interessen wirkten sich aus zwischen den Bewohnern derselben Stadt als zwischen ihnen und dem Erzbischof, der oft abwesend war, der Dienste verlangte, und der besonders dann als gegensätzliche Macht erschien, wenn er sich gegen den Kaiser, die höchste Macht, wendete. Zwischen der Gemeinde, nämlich den Handwerkern und den Ackerbürgern, und den Kaufleuten, den erzbischöflichen Beamten und dem erzbischöflichen Dienstadel bildete sich ein Vertrauensverhältnis, in der Art, dass die Großen, die Reichen und Angesehenen, die man zusammenfassend die Geschlechter nannte, als Vertreter der Gemeinde und Träger des allgemeinen Willens angesehen wurden, wobei Voraussetzung war, dass sie in wichtigen Fällen die Willensmeinung der Gemeinde einholten. Es gab eine Bürgerschaft, die sich als Stadt fühlte, die auch ohne den Erzbischof als Ganzes, als die Stadt handelte.
Als im Jahre 1104 der Sohn Heinrichs IV., Heinrich, gegen seinen Vater ausgespielt und von den Fürsten zum König gewählt wurde, begab sich Heinrich IV. an den Rhein, wo er Anhänger hatte. Unter anderen Vorwürfen wurde auch der gegen ihn erhoben, dass er den Adel zurückgesetzt und Leute von niedriger Lebensstellung zu höchsten Ehren erhoben habe. Eine grundsätzliche Bevorzugung der Städte oder abhängiger Schichten lässt sich kaum bei Heinrich IV. nachweisen; aber die Bestrebungen des Gottesfriedens, die er in seinen letzten Regierungsjahren förderte, kamen allerdings den Bürgern und Bauern zugute, während der Adel die Friedenserrichtung als einen Eingriff in sein Fehderecht ansah. In Mainz, dessen Bischof zum neuen König übergangen war, wurde der alte Kaiser mit Jubel empfangen, die Bürgerschaft erklärte sich bereit, für ihn zu kämpfen. Dem Kaiser jedoch, den der nochmalige Abfall eines Sohnes schwer verwundet hatte, gab die Unternehmungslust der Städte keinen Aufschwung. Mit gebrochenen Schwingen schleppte sich der alte Adler, der in unzähligen Kämpfen und Stürzen nie ermattet war, jammervoll am Boden hin. Der Tod sickerte durch seinen Körper, wenn es auch niemand sah und er selbst es nicht wusste. Die Hilfe, die der Herzog von Nieder-Lothringen, der Bischof von Lüttich und die Städte am Rhein ihm stürmisch anboten, wehrte er müde ab; er wollte auf die Krone verzichten, er wollte keine Schlacht mit seinem Sohne, er glaubte nicht mehr an die Möglichkeit des Sieges. Allzu vertrauend ließ er sich von seinem Sohn zu einer Zusammenkunft bereden und wurde gefangengenommen. Nachdem es ihm geglückt war, zu fliehen, ging er nach Köln, wo die Geschlechter voll Teilnahme ihn wieder vergeblich zur Aufnahme des Kampfes zu ermutigen suchten; anstatt dessen folgte er einer Einladung des Bischofs von Lüttich. Unwillig mussten die Kölner erleben, dass der Gegenkönig, vom Erzbischof gerufen, in die Stadt einzog. Da begab es sich, dass der Herzog von Nieder-Lothringen und der Bischof von Lüttich über das Heer des Gegenkönigs einen Sieg erfochten und dass der an Erfolge nicht gewöhnte Kaiser noch einmal Mut schöpfte. Als sich Heinrich V. von Aachen aus, wohin er sich begeben hatte, nach Köln wandte, um dort Ostern zu feiern, verschloss ihm die Stadt, nun die Stadt der Bürger, die selbstständige, selbstherrliche, dem alten Kaiser treu, die Tore. Aber inmitten dieses herrlichen Aufschwungs den Rhein entlang blieb Heinrich IV. müde und hoffnungslos; er sah, dass das Glück sich ihm zuwendete, aber sein Herz blieb schwer. Soweit gab er seinen Freunden nach, dass er nach Köln ging, sich mit der Bürgerschaft verbündete, die Befestigung leitete. Dem Gegenkönig, der im Sommer mit einem Heere anrückte, gelang es weder in die Stadt einzudringen, noch ihr den Strom zu sperren, noch sie an Ausfällen zu hindern; er brach die Belagerung ab. Die Stadt der Bürger hatte sich erprobt, und als der unglückliche Kaiser starb, setzte sie, obwohl ganz ohne Haupt, ein stolzes Glied des Reiches, dem König, der nun als der rechtmäßige galt, immer noch Widerstand entgegen. So viel Achtung flößten die Herren von Köln Heinrich V. ein, dass er, als die Stadt dem Falle nah war, sie nicht bestrafte, sondern sie mit einer Geldzahlung Frieden und Versöhnung erkaufen ließ.