Kitabı oku: «Blank Generation», sayfa 4

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Kapitel Sieben

Es war ein sonniger, warmer Spätnachmittag im April 2013. Ich unternahm einen Spaziergang. Zwei Blocks von meinem Apartment, an der Eleventh Street zwischen First und Second Avenue, sah ich ein Paar Sportsschuhe im Schaufenster von Tokyo Joe, ein kleines, von Japanern geführtes Unternehmen für gebrauchte Kleidung, das sich auf Haute Couture spezialisiert hat. Ich brauchte neue Schuhe, und diese sahen toll und ungetragen aus. Sie waren knöchelfrei und fußbetont, auf das cremefarbene Wildleder war ein komplexes Netzmuster aus schwarzem und tomatenrotem Leder aufgenäht, und sie kamen aus Italien. Sie passten mir perfekt und kosteten nur achtundfünfzig Dollar, während man sonst das Fünffache dafür blechen muss. Ich bezahlte und sagte, ich würde sie in ein bis zwei Stunden auf dem Nachhauseweg abholen.

Ich hatte vor, Richtung West Village zu schlendern. Viele Leute waren draußen und genossen das Wetter. Im Washington Square Park waren die hohen, rauen, aber behutsam knospenden Bäume auf eine transvestitenhafte Weise schön, ansonsten war der Park vor allem Beton und festgetretener Dreck. Der große Brunnen auf dem Hauptplatz war ohne Wasser. Wie so oft in den letzten Jahren, hatten ihn langweilige, angestrengt lustige Straßenmusikanten in Beschlag genommen, die von vielen Touristen mit selbstgefälligem Gelächter und Applaus angespornt wurden.

Als ich mit siebzehn nach New York kam, war der Park bekannt als Ort, wo Drogen zu bekommen waren. Vagabundierende Jugendliche mit Akustikgitarren hingen herum und hofften, dass etwas passiert. Es ist immer noch so, nur sind es heute Skateboardkids oder Gagtänzer statt Folksänger. Filmregisseur Harmony Korine und seine Skatepunks aus Privatschulen, einschließlich Chloë Sevigny, begannen ihre Filmkarriere, nachdem sie in den neunziger Jahren dort entdeckt worden waren.

Ich zog weiter zu der Straße, wo meine Großmutter gewohnt hatte. Sie starb vor ein paar Jahrzehnten, aber als ich ein Kind war und während meiner ersten Jahre in New York, wohnte sie in der Barrow Street 72. Für mich wird das West Village – früher hieß es Greenwich Village – vor allem der Ort ihres Apartments sein, und es ist immer noch mein Lieblingsviertel in Manhattan. Es gibt dort inzwischen manche Touristenfalle, aber selbst die Massenattraktionen sind relativ harmlos – eher »Künstler«-Cafés, Schachclubs, Musik- und Gitarrenläden, Sexshops und Leder- und Denim-Boutiquen als etwa der kitschige Disney-Store, Fastfood-Ketten und die Wucherläden für elektronische Geräte mit der Touristen anlockenden Aufschrift »Totalausverkauf wegen Umzug!« im Norden von Manhattan.

Das Herzstück von West Village ist immer noch ein ruhiges Gewirr baumgesäumter, enger, alter Straßen, einige noch mit Kopfsteinpflaster. Die Mietshäuser, Apartmentgebäude aus Sandstein mit ihren gusseisernen Treppengeländern und die kleinen Stadthäuser, einige sogar aus Holz, gehören zu den ältesten in der Stadt, und die meisten sind nur drei oder vier Stockwerke hoch, was den Himmel groß erscheinen lässt. Von der Straße aus kann man durch die schweren Schiebefenster dieser Häuser sehen, dass die Zimmer hohe Decken, hölzerne Wanddekorationen und viele Bücherregale haben. In jedem Block gibt es einige verblichene Ladenfronten, dahinter eine kleine Fleischerei oder einen Waschsalon oder Buchladen, eine Konditorei oder ein kleines Theater, ein Cabaret oder ein außergewöhnliches Restaurant. Man kennt die Geschichten von Fremden, die sich in diesen Waschsalons ineinander verliebt haben, besonders wenn es regnet.

Meine Großmutter wohnte an der nordöstlichen Ecke von Barrow und Hudson in einem von vier sechsstöckigen Gebäuden, die einen Hof mit Garten umschließen. Der raue Sandstein dieser Häuser ist rotbraun, durchädert mit rußigem Schwarz, was eher an triste Reihenhäuser im industriellen England als an den typischen amerikanischen Sandstein erinnert, aber für mich bedeutete dieser Ort Geborgenheit.

Ihr Apartment war winzig, kleiner als das, in dem ich seit 1975 wohne. Da war sie schon einige Jahre tot. Es hatte eine Küche, ein Wohnzimmer, ein Bad und ein Schlafzimmer. Die Zimmer bekamen durch die alten Flügelfenster viel Licht, hatten alle Holzparkett, an den Wänden waren Drucke und in den Regalen einige Bücher, und im Schwarzweißfernseher lief die Serie Million Dollar Movie. Ein Speiseaufzug in der Küche wurde dazu benutzt, nach einem festgelegten Terminplan Müll in den Keller zu befördern.

Die wenigen Male, da wir sie in meiner Kindheit besuchten, konnte ich nicht schlafen, weil ich nicht an den Verkehrslärm gewöhnt war, der selbst noch im fünften Stock zu hören war. Ich lag im Bett übermüdet, aber auch glücklich, Teil der gewaltigen Aktivität der Stadt, der Maschinerie der Nacht zu sein, einer Nacht, die ganz anders als in Kentucky war.

Als ich ein junger Teenager war, hatten die Klamotten in den Läden an der West Fourth Street alle die Farben Aubergine, Creme und Hellbraun – waagerecht gestreifte T-Shirts, dicke Ledergürtel mit großen Messingschnallen, Cordjeans, Stiefel, Arbeitshemden, Sakkos aus Leder und Wildleder oder Arbeitsjacken. Es war das, was die Beatniks und Folkies trugen. Bei einem Besuch kaufte ich mir eine Levis Wildledercowboyjacke. Selbst als Teenager trachtete ich immer noch ein wenig danach, Cowboy zu sein.

Großmutters Apartment war für mich wie Supermans Telefonzelle. Wenn ich es betrat, wurde ich ein anderer Mensch oder vielmehr der Mensch, der ich zu sein glaubte, nicht derjenige, der ich in alltäglicher Gesellschaft war. Ich wurde nicht nur ein Bürger von Gotham City, sondern auch mächtig und interessant, weil Großmutter mich so behandelte.

Während der ersten Monate, da ich in New York lebte, ging ich alle ein bis zwei Wochen zum Abendessen zu ihr. Danach sah ich sie seltener, und die letzte Male, da ich sie besuchte, einige Jahre nach meiner Ankunft in der Stadt, war sie kaum noch fähig, sich um sich selbst zu kümmern. Ich hatte nicht die Reife, um zu wissen, wie ich damit umgehen sollte. Ich war ängstlich und verwirrt. Ihr Gedächtnis ließ nach, das Apartment wimmelte von Kakerlaken, und sie furzte dauernd, während sie herumlief. Sie war konfus, aber schalt sich selbst. Irgendwann nahmen Tante Phyllis und Onkel Dick sie bei sich auf, und ein oder zwei Jahre später, als sie ständige Betreuung benötigte, brachten sie sie in ein Pflegeheim.

Vierzig Jahre später, als ich vom Washington Square einige Blocks weiter westlich Richtung Village spazierte, fühlte ich mich von Großmutters Haus angezogen. Ihre Straße hatte sich kaum geändert. Sie war so ruhig wie früher. Den Eingang zu dem Komplex bildete nun ein hoher gusseiserner Torbogen, unter dem ein schmaler Schieferweg zwischen zwei der Gebäude in den Innenhof führte. Der Hof war klein und geradezu intim – vielleicht fünfzig Schritt breit und etwa fünfzehn Schritt quer. Er war symmetrisch aufgeteilt in sieben Blumenbeete, ihre Formen wurden durch die sich kreuzenden Wege gebildet, die die vier Eingänge der Gebäude in den Ecken des rechteckigen Hofs miteinander verbanden. In dem runden Beet in der Mitte thronte auf einem Sockel eine leere, große Steinurne. Jenseits davon, am hinteren Ende der Anlage, direkt gegenüber dem Weg zur Straße standen zwei niedrige Kirschbäume. Der Erdefeu in jedem Blumenbeet umringte eine Ansammlung von Tulpen, die in Tuschkastenfarben blühten. Sie waren überall, wohin ich auch schaute. Die Blumen hatten die unbewusste Freigebigkeit, die einen verstehen lässt, warum Frauen mit Blumen verglichen werden. Dankbarkeit überkam mich für die pure Großzügigkeit der Blumen, nicht unähnlich dem Gefühl, das die Brüste im Pullover einer vorbeigehenden, unbekannten Frau in mir hervorriefen. Ich schaute auf die Kirschbäume; auch sie blühten. Ihre verdrehten dunklen Zweige waren kaum unter dem überschäumenden Rosa zu sehen, das mich auch dazu brachte, jemandem danken zu wollen. Ich neigte meinen Kopf nach hinten. Ganz weit oben schwebte ein Ballon am Himmel. Und dann tauchte ein weiterer auf und dann noch einer, sechs oder sieben tauchten in leuchtenden Farben auf, die sich mit den Tulpen reimten. Ich dachte an meine Großmutter und ihre selbstlose Liebe. So etwas Ungewöhnliches gab es also, und wieder fühlte ich dankbar, nicht nur das Objekt dieser Liebe gewesen zu sein, sondern auch, dass Menschen so rein sein können. Für einen Moment verschwand meine eigene Unbedeutendheit.

Kapitel Acht

Das erste Human Be-In im Central Park fand Ende März 1967 statt. »Be-In« lässt mich an »donut« denken. Die DNS der Menschheit als alte Krapfen. Ich ging zur Sheep Meadow, um mir einen Eindruck zu verschaffen. Leute standen herum und beäugten sich. Manche trugen kleine Glocken an ihren Kleidern. Ich sah bemalte Gesichter, Blumen überall, Pot wurde geraucht. Jugendliche winkten mit den Armen und sangen. Die Sheep Meadow ist eine große Wiese, und Tausende hielten sich dort auf. Drogen waren ein Thema, und man hörte Gesänge über Liebe. Die meisten dort waren merkwürdig angezogen – eine lockere Perlenkette hier, ein Gänseblümchen im Haar dort –, aber das traf ja gewöhnlich auch auf die Band Velvet Underground zu.

Wie das Flaggenschwenken von George Bush nach den Angriffen auf das World Trade Center war das Be-In abstoßender wegen seiner dogmatischen Unterstellung einer Einheit aller Beteiligten als wegen seiner dubiosen Grundidee. Für Bushs Amerika war die Tugend des selbstgerechten Patriotismus diese fragwürdige Idee, und die Hippies glaubten an die Praktikabilität universeller Freundlichkeit und Großzügigkeit. Die Menschen, die sich durch diese ungeprüften Annahmen miteinander verbanden, kamen mir idiotisch vor. Allerdings konnte ich auch nichts tun gegen meine Unfähigkeit, mich anzupassen.

Ich war verwirrt und irritiert. Menschenmassen nervten mich, und ich wusste, dass ich große Schwächen hatte, sah aber keine Möglichkeit, sie zu überwinden. Immerhin war ein Hochgefühl spürbar durch die große Anzahl von Leuten. Dieses Gefühl versprach ernsthafte Konsequenzen, bevor diese Generation alt wurde. Frühling lag in der Luft.

Ich erinnere mich, damals einen jungen Typen gesehen zu haben, der lange blonde Haare, einen Schnurrbart und ein kantiges Kinn hatte. Er war gutaussehend und scheinbar reich und selbstbewusst. Zusammen mit einem Freund hielt er sich in der Galerie des Gotham Book Mart auf. Vielleicht war es Dennis Hopper. Zumindest ähnelte er ihm. Vielleicht half er dabei, das Woodstock Festival zu organisieren. Er trug eine Westernjacke aus Wildleder mit sehr langen Fransen, auch auf der Rückseite beider Ärmel, und wenn er gestikulierte, machte das Leder diese psychedelischen Spuren in der Luft. Ich beneidete ihn um diese Jacke, die ihm die lässige Würde eines Cowboys verlieh. Ich wünschte, es gäbe eine Welt, in der ich sie tragen könnte. Lieber noch würde mich im elisabethanischen Stil kleiden, wenn man mich ließe.

Anfang Juni 1967, zwei Monate nach dem Be-In, kam Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band raus. Ich musste so tun, als ob ich das Album mochte, weil es mir von diesem Mädchen vorgespielt wurde, das ich in dem Büro kennenlernte, wohin mich eine Zeitarbeitsfirma geschickt hatte. Sie hatte auch Marihuana und ich wollte sie gerne ficken. Meine Mimik, Redeweise und Gesten waren die unscheinbare Fassade an einem riesigen Warenhaus der Hoffnung auf einen Fick. Sie war klein und kess, hatte eine süße Nasenspitze und unverhältnismäßig große Nasenlöcher, die eine »Nasenkorrektur« verrieten. Sie hatte eine schöne Haut – porenlos, weiß und glatt. Ich war ein bartloses siebzehnjähriges Strichmännchen, alles nur Haut und Knochen, mit zerzaustem Haar, das langsam über die Ohren wuchs, und einer altmodischen runden T. S. Eliot Schildpattbrille, Arbeitshemd, Jeans und hatte wenig Ansehen außer dem der verlorenen Jugend. Ich sah aus wie ein Dichter, hatte tiefliegende Augen und dicke Lippen, und ich rauchte Lucky Strike. Nan war etwa fünf Jahre älter als ich.

Sie wohnte in einem renovierten Apartment in der Second Avenue nahe Fifth Street, ein einziges Zimmer mit Kerzen und Batikkissen. Ich hing ganz von ihrer angedeuteten Bereitschaft ab, mit mir Gras zu rauchen. Die Beatles-Platte war am Tag zuvor herausgekommen. Sie spielte sie auf einer tragbaren Stereoanlage. Ich wuchs mit den Beatles auf. Sie waren aufregend, als ich in die achte Klasse ging. Damals war es taufrischer, sehr begrenzter, netter Rock’n’Roll. Die neue Scheibe war peinlich. Die Band präsentierte sich augenzwinkernd in einer Music Hall-Aufmachung mit viel dramatischer Orchestrierung, um uns die sozialen Probleme zu erklären. Die als Event inszenierte Veröffentlichung des Albums war als Folge der unglaublichen Popularität der Beatles wie die Verleihung der Academy Awards im Fernsehen, glamourös, aber langweilig. Ich fühlte mich weniger davon enttäuscht als ausgeschlossen.

Ich zeigte mich Nan zuliebe beeindruckt, wie man es bei einer Fremden tun würde, die einem eine persönliche Anekdote erzählt, besonders wenn sie einen sehr kurzen Rock trägt. Ich sage nicht, dass nicht auch ich langweilig war. Ich war’s. Bedeutete das aber, ich müsste auf Geschlechtsverkehr verzichten? Nein!

Wir rollten einen Joint, zündeten ein paar Kerzen an und machten das Licht aus. Ich kriegte Nan rum, aber es war harte Arbeit bis ich endlich meinen Schwanz in ihr hatte. Während des Geschlechtsakts verhielt sie sich, als würde sie sich ihm widersetzen. Sie kämpfte nicht, weigerte sich nur mitzumachen. Aber ich war auch nicht gerade ein wilder Lüstling. Ich wagte es immer noch nicht, meine Zunge zwischen die Beine eines Mädchens zu bringen, zumindest nicht mit Geschick (wahr ist allerdings, dass eine junge Frau wie Nan damals wahrscheinlich davon so peinlich berührt gewesen wäre, dass es sie abgetörnt und sie mich weggestoßen hätte).

In jener Zeit pflegten Mädchen ihre Schamhaare nicht. Das galt als sexy – ein animalisches Zeichen der Individualität in Kontrast zu dem ansonsten sorgfältig gepflegten Aussehen eines Mädchens. Nans Muschi wurde feucht, aber nicht triefend nass. Sie war glitschig wie eine quietschende Gummiente. Natürlich ejakulierte ich innerhalb von Sekunden, nachdem ich meinen Ständer in sie hineingezwängt hatte. Danach hieß es, sich mühsam irgendetwas auszudenken, worüber wir reden konnten, und zu versuchen, entspannt zu erscheinen, während mein Hirn rotierte wie die Räder eines Autos im Schlamm.

Gegen Ende 1967 hatte ich ein Apartment in der Sixth Street, östlich der Second Avenue. Es war ein dunkles Zimmer, und ich war dort häufig allein. Die Einsamkeit war unangenehm, aber ich kam zu der Überzeugung, sie sei unvermeidlich, nicht nur weil sie nie wegging, sondern weil es eine Unmenge Literatur darüber und über die Entfremdung gab, die damit einherging.

Zu dieser Zeit arbeitete ich im Stadtzentrum bei Gotham Book Mart. Das war die berühmteste und, was ihren Lagerbestand anging, beste literarische Buchhandlung in New York, wahrscheinlich auf der ganzen Welt, und als Literaturort wohl nur mit Shakespeare & Company in Paris zu vergleichen. Sie hatte ein riesiges Sortiment an vergriffenen Büchern. Seit Jahrzehnten hatte die Geschäftsführung dafür gesorgt, dass unverkaufte obskure und anspruchsvolle Lyrik und Prosawerke aus jedem Jahr aufgehoben und gelagert wurden, ebenso Filmliteratur und alle anderen Druckerzeugnisse der Hochkultur; vieles davon kam aus esoterischen kleinen Verlagen. Das ganze dreistöckige Gebäude in der Forty-Seventh Street war ein Lagerraum. Zwischen den Schildern der Diamantenhändler des Viertels fiel das kleine bemalte gusseiserene Schild der Buchhandlung mit den drei Fischern in einem Ruderboot auf, die Leinen im Wasser, ein Fang bog jede der drei Ruten, darüber die Zeile »Wise men fish here« (»Kluge Menschen fischen hier«). Miss Frances Steloff, die Besitzerin, die den Laden 1920 eröffnet hatte, war fast noch jeden Tag dort.

Der Laden war chaotisch. Die bis zur Decke reichenden Regale, die an allen Wänden standen, die hüfthohen Regalreihen und Ausstellungstische in den Räumen waren alle selbstgezimmert aus gebrauchtem Holz, das tiefblau gestrichen war. Bücher, Papiere und Broschüren lagen in Stapeln auf jeder verfügbaren Oberfläche. Die Wandregale waren »doppelbepackt« – was bedeutete, dass es noch eine Reihe von Büchern hinter der sichtbaren gab. Mr. Lyman, der gestresste Geschäftsführer, der stets ein weißes Hemd, Krawatte und gebügelte Hosen trug, war ein aufrechter, dünner Mann mit einer schwarzgeränderten Brille auf dem angespannten Gesicht, das sich unter dem ständigen Druck leicht rötete. Er war wie eine Figur aus einem viktorianischen Roman – es schien, als wäre der Laden seine ganze Welt. Oder als wäre er ein Berufssoldat, der seinen ganzen Stolz und seine Würde von seiner Hingabe an den Dienst erhielt wie ein leicht weiblicher und nervöser James Stewart in einem Kavalleriefilm von John Ford. Es war ein ernstes Unternehmen, und alle, die dort arbeiteten, verstanden sich als ergebene Diener der Schriftsteller und der literarischen Öffentlichkeit.

Ich kam dort zu derselben Zeit hin wie Andy Brown, der von der alten Miss Steloff unter den Bewerbern ausgewählt worden war, die den Laden von ihr kaufen wollten. Eines seiner ersten Vorhaben war ein Bestandsverzeichnis, und ich sollte dabei helfen, Aberhunderte von alten literarischen Zeitschriften zu katalogisieren, viele in kompletten Jahrgängen, die einen großen Raum im zweiten Stock füllten. Ich verbrachte Tag für Tag dort oben allein, hockte vor den Regalen und hielt in meinen Händen so bedeutende Artefakte wie T.S. Eliots illustres Criterion (»es muss gesagt werden«), Harriet Monroes Poetry aus den zehner und zwanziger Jahren, da sie Gedichte aus dem Kreis um Ezra Pound veröffentlichte (Pegasus Chicago), Eugene und Maria Jolas’ Pariser Journal Transition, wo viele frühe Modernisten und Surrealisten erschienen, Prinzessin Caetanis Botteghe Oscure (Druckerei Renaissance), eine hinreißende, elegante Zeitschrift aus Rom, Wyndham Lewis’ britisches Magazin Blast (Lewis mit seinem Haar in Flammen), Margaret Andersons The Little Review, Charles Henry Fords View, wo alle um 1940 in New York lebenden europäischen Dadaisten/Surrealisten wie Breton, Man Ray und Max Ernst veröffentlichten (leidenschaftlicher Narzissmus im bohemienhaften Stil), Ashberys, Kochs, Schuylers und Mathews Locus Solus (Schwärmerei für geistreiches Wortschach), Diane DiPrimas und LeRoi Jones’ The Floating Bear (ein Bär, der nicht ertrinken kann, weil er eine Kritzelei ist) … Die lange Reihe der Pappbehälter schien die verschiedenen Lager all der bejahenden Gefühle des Jahrhunderts zu enthalten. (Mein absolut liebstes Literaturmagazin, auch wenn ich es erst einige Jahre später entdeckte – das großartigste Literaturmagazin des zwanzigsten Jahrhunderts – war ein billiger, schlecht gemachter DIN A4-Matrizenabzug, der zwischen 1963 bis 1966 in der Lower East Side erschien mit dem schlichten Titel C, herausgegeben von Ted Berrigan. Man konnte aus seinen dreizehn Ausgaben alles im Universum Lohnenswerte extrapolieren und sich dabei prima amüsieren.)

Bei Gotham traf ich einen Typen, der meinem Genesis: Grasp-Mitherausgeber und mir riet, nach Santa Fe in New Mexico zu ziehen, wo das Leben und auch die Druckkosten billiger waren, außerdem sei es dort schön und ruhig. Wir waren neugierig auf die Wüste, und uns beunruhigte auch die Frage, wie wir uns die Druckkosten des Magazins in New York leisten sollten. Also entschieden wir, es zu versuchen. Um Geld zu sparen, überführten wir einen Wagen, den ich betrunken in Illinois zu Schrott fuhr. (Ich rief seinen Besitzer in Texas an, um ihn zu informieren. Er schrie mich nicht an, sondern flüsterte nur mit eisiger Stimme: »Oh no«.) Für die restliche Strecke nahmen wir einen Bus.

Das Leben in Santa Fe war ein anhaltendes Gefühl, das sich einstellt, wenn du morgens aufwachst und noch nicht wirklich aus dem Bett und den Tag angehen willst, aber nur noch ein wenig dösen kannst – was tatsächlich anstrengender ist als das Wachsein. Du bist nicht mehr in der Lage, wieder ganz in den Schlaf zu fallen, und schiebst den Moment, aus dem Bett zu steigen, allzu lange auf bis zur völligen Dumpfheit, als hätte sich dein Hirn in Kalk verwandelt.

Die Stadt war ein Provinznest. Schlimmer noch war der Haufen mittelmäßiger Künstler und ihre Heuchelei, das korrupte weltliche Streben zugunsten des unverdorbenen Santa Fe aufgegeben zu haben. Es gab dort niemanden, mit dem man sprechen konnte. Wir bekamen für 50 Dollar im Monat ein geräumiges, aber ungeheiztes Lehmhaus mit Flachdach, das sich an einem Abhang am Stadtrand befand. Ein gewalttätiger Chicano, ein Alkoholiker und Vietnam-Veteran, wohnte in einem Haus unten am Hügel, und er kam fast jeden Tag zu uns, um zu trinken und wirres Zeug zu reden. Ich mochte ihn, aber er war nur in kleinen Dosen zu genießen. Der Weg zum Stadtzentrum für den Lebensmitteleinkauf war lang und öde.

Der beste Moment war die Ablehnung eines Gedichts von Allen Ginsberg für das Magazin, das er uns auf unsere mitleiderregende Bitte um Texte hin geschickt hatte. Es erfüllte nicht unsere Standards handwerklicher Kunstfertigkeit. Er schrieb ein paar kalte wütende Sätze zurück. Wir wussten wirklich nicht, was wir taten.

Ich fand eine hübsche Freundin, ein antriebsloses Teenage-Marlon-Brando-Girl aus Santa Fe. Sie redete wenig, war mürrisch und rebellisch und trug einen schwarzen Rollkragenpulli und Jeans. Ihre Eltern arbeiteten an dem kleinen örtlichen College, St. John’s. Wie gewöhnlich war der Sex angespannt und klaustrophobisch, als wäre er ein Raum, der wie in einem Juwelenraubfilm nachts von infraroten Alarmstrahlen durchkreuzt wird. Alles schien Unsicherheit und Reue auszulösen. Und der gesellige Teil davor und danach war auch nicht entspannter. (Dies ist alles im Nachhinein gesagt. Wie die Einsamkeit schien der schwierige Sex damals ganz normal zu sein. Weiß Gott! Ich gierte danach.)

Wir waren etwa zwei Monate in Santa Fe, als Gianninis Einberufungsbehörde ihn kontaktierte und er nach New Jersey zurückkehren musste. Das reichte, um festzustellen, dass das Experiment zu Ende war. Er flog nach Hause, und ich fuhr kurz danach per Anhalter zurück nach New York. Zu jener Zeit war das Trampen noch üblich. Auf den großen Highways war es verboten, aber es gab genug andere vielbefahrene Straßen, wo man den Daumen rausstrecken konnte, und auch an den Highwayauffahrten war es leicht. Irgendwo im Mittleren Westen nahm mich ein Farmer mit zu sich nach Hause an den lärmigen großen Esstisch seiner Familie, der wie in einem Cowboyfilm mit dampfendem, frischem Gemüse, Butter, Brot, Eistee und Brathähnchen beladen war. Ich blieb eine Nacht dort und schlief auf einer Couch im Wohnzimmer.

Zwei Tage später wurde ich abends an einer Landstraße, wo kein Auto hielt, in einem heftigen Unwetter klitschnass. Ich kam dennoch wohlbehalten nach New York zurück, und das war das einzige Mal, dass ich je versuchte, irgendwo anders zu leben.

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