Kitabı oku: «Freud und das Vermächtnis des Moses», sayfa 2
Die Erzählhandlung
Yerushalmi hat in seiner Studie Freuds Moses ein brillant formuliertes Résumé der Erzählhandlung des Freudschen Buches gegeben. Zur Orientierung meines eigenen Ansatzes sei diese Zusammenfassung hier zunächst wiedergegeben:
„Der Monotheismus, sagt Freud, ist nicht jüdischer Herkunft, sondern eine ägyptische Entdeckung. Der Pharao Amenhotep IV erhob ihn zur Staatsreligion, und zwar in Form einer ausschließlichen Anbetung der Sonnenmacht, Aton, und nannte sich hinfort Ikhnaton [bzw. Echnaton]. Charakteristisch für die Aton-Religion war nach Freud der bedingungslose Glaube an einen einzigen Gott, die Ablehnung von Anthropomorphismus, Magie und Zauberei und die absolute Leugnung eines Lebens nach dem Tode. Nach Ikhnatons Tod jedoch wurde seine große Häresie schleunigst aufgehoben, und die Ägypter kehrten zu ihren alten Göttern zurück. Moses war kein Hebräer, sondern ein ägyptischer Priester oder Adeliger und leidenschaftlicher Monotheist. Um die Aton-Religion vor dem Untergang zu bewahren, stellte er sich an die Spitze eines unterdrückten semitischen Stammes, der damals in Ägypten lebte, führte diesen aus der Sklaverei und schuf ein neues Volk. Diesem gab er eine noch vergeistigtere, bildlose Form der monotheistischen Religion. Außerdem führte Moses, um sein Volk von anderen zu unterscheiden, den ägyptischen Brauch der Beschneidung ein. Doch die stumpfe Masse ehemaliger Sklaven war den hohen Anforderungen des neuen Glaubens nicht gewachsen. Der Mob revoltierte, brachte Moses um und verdrängte die Erinnerung an diesen Mord. Danach schmiedeten die Israeliten ein Kompromißbündnis mit verwandten semitischen Stämmen im Midian, deren wilde vulkanische Gottheit namens Jahve jetzt der Gott ihres Volkes wurde. Schließlich verschmolz der Gott Moses’ mit Jahve, und die Taten Moses’ wurden einem midianitischen Priester zugeschrieben, der ebenfalls Moses hieß. Im Lauf der Jahrhunderte jedoch erlangte die unterschwellige Tradition des wahren Glaubens und ihres Gründers genügend Kraft, um siegreich emporzusteigen. Von da an wurden Jahve die universellen und spirituellen Eigenschaften des Gottes Moses’ zugeschrieben, obwohl die Erinnerung an Moses’ Ermordung bei den Juden verdrängt blieb und erst mit dem Aufkommen des Christentums in verkappter Form wiederauftauchte.“9
Auf den ersten (und durchaus auch noch auf den zweiten oder dritten) Blick erscheint diese Erzählung als zu phantastisch, als daß man sie im Ernst für eine historische Darstellung halten könnte. Man glaubt, ein Produkt reiner Phantasie und Einbildungskraft vor sich zu haben, das jeder Fundierung durch historische Tatsachen entbehrt. Und man fragt sich ernsthaft, ob das Interessante an diesem Konstrukt vielleicht einzig und allein die Frage ist, was Freud dazu bewegt haben mochte, eine solch schockierende Geschichte zu erfinden und mit ihr seine – von Nazi-Deutschland bedrohten und verfolgten – jüdischen Mitbürger vor den Kopf zu stoßen.
Wenn auch das aus Yerushalmis Buch Zitierte zweifellos den reinen Handlungsinhalt der Geschichte wiedergibt, die Freud erzählt, so ist es dennoch nicht die Art und Weise, in der er sie erzählt. Wir haben aber genau zu verfolgen, wie und in welchem Kontext Freud die Geschichte erzählt. Zumal die ersten beiden Abhandlungen, die Freuds Buch versammelt, „Moses, ein Ägypter“ und „Wenn Moses ein Ägypter war…“, ursprünglich in der psychoanalytischen Zeitschrift Imago erschienen – zu einem Zeitpunkt, als Freud noch in Wien lebte. Die dritte, längste und wichtigste Abhandlung „Moses, sein Volk und die monotheistische Religion“, wurde erst nach Freuds Ankunft in England veröffentlicht.
Die These: Moses war ein Ägypter
„Moses, ein Ägypter“, diese kurze und nüchterne Abhandlung (acht Druckseiten in der Erstausgabe) konzentriert sich ganz auf die Frage nach der ägyptischen Herkunft Moses’. Hier ist das Problem des Monotheismus noch nicht thematisch, wenngleich Freud sagt, der Mann Moses sei „dem jüdischen Volke Befreier, Gesetzgeber und Religionsstifter“10 gewesen. Um seine These zu untermauern, zitiert Freud zunächst jene Autoritäten (in erster Linie James H. Breasted), für die an dem ägyptischen Ursprung des Namens „Moses“ kein Zweifel besteht. Zum Problem der Etymologie des Namens bemerkt Freud: „Nun sollte man erwarten, daß irgendeiner der vielen, die den Namen Moses als ägyptisch erkannt haben, auch den Schluß gezogen oder wenigstens die Möglichkeit erwogen hätte, daß der Träger des ägyptischen Namens selbst ein Ägypter gewesen sei.“11 Dieser Hinweis ist allerdings zu dürftig, als daß er eine schwerwiegende historische These zu stützen vermöchte, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß die Juden während ihrer wechselvollen Geschichte immer wieder Namen angenommen haben, die jeweils den Regionen entstammten, in denen sie lebten. Hinzu kommt: Es ist die ägyptische Prinzessin, die, der biblischen Erzählung zufolge (und die ist nun einmal Primärquelle unseres Wissens über Moses), den Säugling findet und aufzieht. Es ist also nur logisch, daß ein Kind am ägyptischen Königshof einen ägyptischen Namen bekommen würde. Es stellt sich also die Frage, ob Freud tatsächlich neue Argumente für seine kontroverse These zu bieten hat. Er jedenfalls ist sich dessen sicher, schränkt aber zuvor ein, daß sein Beitrag „eine Anwendung der Psychoanalyse zum Inhalt“ habe und das aufgrund dieser Anwendung entwickelte „Argument […] gewiß nur auf jene Minderheit von Lesern Eindruck machen [wird], die mit analytischem Denken vertraut ist und dessen Ergebnisse zu schätzen weiß.“12
Freud eröffnet seine Diskussion mit einem Rekurs auf Otto Ranks 1909 veröffentlichtes Buch Der Mythus von der Geburt der Helden, von dem Freud sagt, es sei „damals noch unter meinem Einfluß, auf meine Anregung“13 hin entstanden. Rank lenke unsere Aufmerksamkeit auf die „verblüffende Ähnlichkeit“14 in der Erzählstruktur der Sagen und Dichtungen, denen eine Glorifizierung der Geburt der jeweiligen Volkshelden, Religionsstifter, Herrscherdynastien und des Ursprungs der Weltreiche und -städte gemein sei. Ranks Untersuchungen, so Freud, führen uns die Quelle und Absicht dieser Mythen vor Augen. „Ein Held ist, wer sich mutig gegen seinen Vater erhoben und ihn am Ende siegreich überwunden hat.“15 Aus dieser verallgemeinerten Struktur der Sagen isoliert Freud eine bestimmte Anzahl wiederkehrender Wesenszüge: Die Herkunft des Helden, der als ein Kind aus aristokratischer Familie vorgestellt wird; die Schwierigkeiten, die seiner Geburt vorausgingen; die Verstoßung, Aussetzung oder Tötung des (männlichen) Kindes durch den Vater; die Rettung des Kindes durch Tiere oder einfache Leute; die Abenteuer des heranwachsenden Kindes; die Erkenntnis über seine wahre Herkunft und die Identität der leiblichen Eltern; die Rache, die es an dem Vater nimmt; und zuletzt sein Aufstieg zu Ruhm und Größe. Aus psychoanalytischer Sicht weisen solche Sagen die generelle Struktur eines „Familienromans“ auf. Sie ist die „Quelle der ganzen Dichtung“16.
Was hat dies nun mit der Behauptung zu tun, Moses sei ein Ägypter gewesen? Freud selber lenkt unser Augenmerk auf einen ganz offensichtlichen Widerspruch zwischen der beschriebenen „Logik“ des Verstoßungsmythos und dem biblischen Bericht über Moses’ Geburt. Nach der allgemeinen Erzählstruktur der Verstoßungsmythen oder „Aussetzungssagen“ ist die „wahre“ Familie des Helden adelig oder gehobenen Standes; die Eltern, die ihn vor dem Tode retten, sind hingegen einfache Leute. Moses aber, das Kind jüdischer Sklaven in Ägypten, wird von einer ägyptischen Prinzessin gerettet und so zum Mitglied einer vornehmen ägyptischen Familie. Wie erklärt sich diese Abweichung? Freud nennt ein eher schwaches Argument: „Es steht uns […] wirklich frei anzunehmen, daß irgendein später, ungeschickter Bearbeiter des Sagenstoffes sich veranlaßt fand, etwas der klassischen, den Helden auszeichnenden Aussetzungssage Ähnliches bei seinem Helden Moses unterzubringen, was wegen der besonderen Verhältnisse des Falles zu ihm nicht passen konnte.“17 Freud scheint dies selbst zu bemerken, wenn er sagt: „Mit diesem unbefriedigenden und überdies unsicheren Ergebnis müßte sich unsere Untersuchung begnügen und hätte auch nichts zur Beantwortung der Frage geleistet, ob Moses ein Ägypter war.“18
Doch er beläßt es nicht bei diesem „unsicheren Ergebnis“: „Aber es gibt zur Würdigung der Aussetzungssage noch einen anderen, vielleicht hoffnungsvolleren Zugang.“19 Denn der analytischen Interpretation zufolge sind beide Familien, die vornehme und die niedere, in Wahrheit ein- und dieselbe. Handelt der Mythos von historischen Personen, so gilt: „Die eine Familie ist die reale, in der die Person, der große Mann, wirklich geboren wurde und aufgewachsen ist; die andere ist fiktiv, vom Mythus in der Verfolgung seiner Absichten erdichtet. In der Regel fällt die reale Familie mit der niedrigen, die erdichtete mit der vornehmen zusammen.“20 Folgte man streng dem Gang der Argumentation Freuds, dann stünde sein Schema in Übereinstimmung mit dem tatsächlichen Verlauf der biblischen Erzählung. Die wahren Eltern des Moses wären einfache Juden. Doch Freud macht eine eigentümliche und hochspekulative Wendung, indem er sagt,
„daß die erste Familie, die, aus der das Kind ausgesetzt wird, in allen Fällen, die sich verwerten lassen [Freud geht weder genauer auf diese „Fälle“ ein, noch klärt er die Kriterien der angesprochenen „Verwertung“ auf], die erfundene ist, die spätere aber, in der es aufgenommen wird und aufwächst, die wirkliche. Haben wir den Mut, diesen Satz als eine Allgemeinheit anzuerkennen, der wir auch die Mosessage unterwerfen, so erkennen wir mit einem Male klar: Moses ist ein – wahrscheinlich vornehmer – Ägypter, der durch die Sage zum Juden gemacht werden soll. Und das wäre unser Resultat!“21
Man ist unschlüssig, ob man diese Argumentation ernst nehmen kann – und sei es auch nur als eine Art Anwendung der Psychoanalyse. Ein ungeneigter Leser würde vielleicht sogar von einer reductio ad absurdum sprechen. Freud baut jedenfalls auf jeder Stufe seines Begründungszusammenhangs Formen unbewiesenen und spekulativen Argumentierens ein. Am Ende seiner kurzen Abhandlung wirft Freud eine Frage auf, die seinen Lesern in der Tat auf der Zunge liegt: „Wenn nicht mehr Sicherheit zu erreichen war, warum habe ich diese Untersuchung überhaupt zur Kenntnis der Öffentlichkeit gebracht?“ In der Tat: warum eigentlich? Freud gibt auch auf diese Frage nur Andeutungen, keine expliziten Hinweise auf das, was er später schließlich darlegen würde:
„Läßt man sich nämlich von den beiden hier angeführten Argumenten fortreißen und versucht, Ernst zu machen mit der Annahme, daß Moses ein vornehmer Ägypter war, so ergeben sich sehr interessante und weitreichende Perspektiven. Mit Hilfe gewisser, nicht weit abliegender Annahmen glaubt man die Motive zu verstehen, die Moses bei seinem ungewöhnlichen Schritt geleitet haben, und in engem Zusammenhang damit erfaßt man die mögliche Begründung von zahlreichen Charakteren und Besonderheiten der Gesetzgebung und der Religion, die er dem Volke der Juden gegeben hat, und wird selbst zu bedeutsamen Ansichten über die Entstehung der monotheistischen Religionen im allgemeinen angeregt.“22
Mit solch vagen Andeutungen weckt Freud eine Neugier, deren Befriedigung seine Abhandlung dem Leser zugleich verweigert. Und psychologische Wahrscheinlichkeiten reichen ohnehin nicht aus, um so weitreichende historische Annahmen zu beweisen, zumal die objektiven Befunde über die geschichtliche Periode, in der Moses lebte, dürftig sind. Daher bemerkt Freud im letzten Satz seiner Abhandlung, daß ein „objektiver Nachweis“ für das „Ägyptertum Moses’“ sich kaum würde finden lassen, „und darum soll die Mitteilung aller weiteren Schlüsse aus der Einsicht, daß Moses ein Ägypter war, besser unterbleiben.“23 Freuds Leser hatten deshalb Monate auf eine Fortsetzung zu warten, die genauer auf die Hinweise eingeht, die in der ersten, kurzen Abhandlung nur angerissen wurden. Und es ist insofern alles andere als Zufall, daß das Wichtigste an dem elliptischen Titel, den der Fortsetzungsaufsatz trug, „Wenn Moses ein Ägypter war…“, die Auslassungszeichen sind.
Vor aller weiteren Textanalyse möchte ich noch einmal nach dem Motiv fragen, das Freud dazu bewegt haben mag, eine solch knappe und wenig schlüssige Abhandlung zu veröffentlichen. Die Studie scheint weder für die historische Forschung signifikante Neuerkenntnisse zu bieten, noch Wesentliches zum Verständnis der Psychoanalyse beizutragen. Freuds anfängliches Unbehagen an einer Veröffentlichung seiner Thesen kann aber auch nicht allein mit dem Mangel an „objektiven Nachweisen“ für seine Überlegungen zu tun haben. Mir scheint die abwartende Haltung in bezug auf die erste Abhandlung vielmehr eine Art Strategie gewesen zu sein, um einen ungefähren Eindruck von der Rezeption und Aufnahme ihrer Thesen und den möglichen Folgen zu erhalten. In gewisser Weise scheint Freud (der wußte, welche Texte er noch zurückhielt) erst einmal behutsam die „Wassertemperatur“ geprüft zu haben.
Die Ellipse: Wenn Moses ein Ägypter war…
Erst die zweite Abhandlung, „Wenn Moses ein Ägypter war…“, entwickelt den ganzen dramatischen Gang der historischen Handlung. Die Abhandlung liest sich wie die Inhaltsangabe einer „historischen Erzählung“, die ihren dramatischen Höhepunkt mit der Schilderung der Ermordung Moses’ durch eben die Semiten, die er aus Ägypten geführt hatte, erreicht. Ungeachtet der verstörenden (und für einen streng religiösen Juden oder Christen blasphemischen) Thesen, die er aufstellt, leitet Freud die zweite Abhandlung mit einer Darlegung seiner Bedenken vor der Veröffentlichung seiner Ergebnisse ein. „Je bedeutsamer die so gewonnenen [d.h. auf psychologischen Wahrscheinlichkeiten ruhenden] Einsichten sind, desto stärker verspüre man die Warnung, sie nicht ohne sichere Begründung dem kritischen Angriff der Umwelt auszusetzen, gleichsam wie ein ehernes Bild auf tönernen Füßen.“24 Es sollte den Leser stutzig machen, wenn Freud (in einer Formulierung, auf die wir noch zurückkommen werden) sagt: „Aber es ist wiederum nicht das Ganze und nicht das wichtigste Stück des Ganzen.“25
Blickt man auf das Erscheinungsdatum der Abhandlung, 1937, so dürfte die Form, in der Freud seine historische Rekonstruktion präsentiert, wohl kaum die Empörung und das Entsetzen seiner jüdischen Mitbürger verhindert haben. Der erste Absatz der Abhandlung enthält bereits eine abfällige Bemerkung über die „Talmudisten“, „die es befriedigt, ihren Scharfsinn spielen zu lassen, gleichgültig dagegen, wie fremd der Wirklichkeit ihre Behauptung sein mag.“26 Freud scheint gleichsam die Vorwürfe an seine Adresse vorwegzunehmen und sich gegen mögliche Angriffe zu verteidigen. Am Beginn seiner genaueren Darstellung der These über die ägyptische Abstammung Moses’ charakterisiert Freud die Semiten (also die Juden im Ägypten der Zeit Moses’) näher so:
„Aber was einen vornehmen Ägypter – vielleicht Prinz, Priester, hoher Beamter – bewegen sollte, sich an die Spitze eines Haufens von eingewanderten, kulturell rückständigen Fremdlingen zu stellen und mit ihnen das Land zu verlassen, das ist nicht leicht zu erraten.“27
Es gehört zu den erstaunlichsten Zügen der zweiten Abhandlung „Wenn Moses ein Ägypter war…“, daß sie offenbar als eine „rein historische Studie“28 über das gelesen werden will, was tatsächlich geschehen sein könnte. Freud zieht hier keinerlei explizite Verbindung zur Psychoanalyse. Im Gegenteil: Er vermeidet sichtlich jeden Versuch einer psychoanalytischen Interpretation – und zwar selbst dort, wo eine solche sich ganz offensichtlich anbietet (etwa gelegentlich der Ausführungen zum Beschneidungsritus). Ich vermute, daß die zeitgenössischen Leser – gesetzt, die Abhandlung wäre anonym erschienen – durchaus auch zu dem Schluß hätten kommen können, daß sie es hier mit einem etwas verschrobenen Autor zu tun haben, der die fesselnde Geschichte eines ägyptischen Adeligen, Moses, erfindet, dessen Versuch, den „wilden Semiten“ eine übernommene monotheistische Religion aufzuzwingen, damit endet, daß diese „das Schicksal in ihre Hand [nahmen] und […] den Tyrannen aus dem Wege [räumten]“29. Die Werke ausgewählter Historiker, Bibelforscher und Alttestamentler zieht Freud rein unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit für seine These heran. Für dieses Vorgehen gilt offenbar ähnliches wie für die willkürliche Auswahl der Bibelstellen, die er vorsorglich in einer Fußnote rechtfertigt:
„Wenn wir mit der biblischen Tradition so selbstherrlich und willkürlich verfahren, sie zur Bestätigung heranziehen, wo sie uns taugt, und sie unbedenklich verwerfen, wo sie uns widerspricht, so wissen wir sehr wohl, daß wir uns dadurch ernster methodischer Kritik aussetzen und die Beweiskraft unserer Ausführungen abschwächen. Aber es ist die einzige Art, wie man ein Material behandeln kann, von dem man mit Bestimmtheit weiß, daß seine Zuverlässigkeit durch den Einfluß entstellender Tendenzen schwer geschädigt worden ist. Eine gewisse Rechtfertigung hofft man später zu erwerben, wenn man jenen geheimen Motiven auf die Spur kommt. Sicherheit ist ja überhaupt nicht zu erreichen, und übrigens dürfen wir sagen, daß alle anderen Autoren ebenso verfahren sind.“30
Ein Hinweis auf die Frage, warum Freud – der in der ersten Abhandlung noch behauptet, sein Beitrag sei allein eine „Anwendung der Psychoanalyse“ – nun den psychoanalytischen Ansatz beiseite schiebt und seine zweite Abhandlung in den Mantel einer historischen Studie hüllt, deren Ziel die Aufhellung einer Begebenheit des vierzehnten vorchristlichen Jahrhunderts ist, finden wir indessen nur im Rückgang auf die erste Abhandlung. Freuds wichtigstes Argument zur Begründung seiner These beruhte zunächst auf seiner psychoanalytischen Interpretation des Mythos von der Verstoßung des Volkshelden. Freud glaubt Fragmente dieses Mythos in den Sagen über Sargon von Akkad, Moses, Cyrus, Romulus, Ödipus, Karna, Paris, Telephos, Perseus, Herakles, Gilgamesch, Amphion und Zethos wiederzuerkennen. Man beachte, daß diese Liste in erster Linie mythologische Figuren anführt. Für Freud aber ist der Ägypter Moses eine Figur der Geschichte, eine reale Person, die in einer näher zu bestimmenden historischen Epoche lebte; eine Person, die den Monotheismus von dem ägyptischen Pharao Echnaton übernahm und die, um die Aton-Religion zu bewahren, sie den in Ägypten lebenden Semiten aufzwang. Ohne eine Konstruktion dieser „historischen“ Fakten hätte Freud aber wiederum keinerlei Basis für die psychoanalytische Interpretation, die er dann zur Erklärung dieser „Fakten“ anbietet.
Blickt man auf den letzten Absatz von „Moses, ein Ägypter“ zurück, so wird man sehen, daß Freud die Notwendigkeit einer solchen historischen Evidenz bereits angedeutet hatte:
„Wenn man das Ägyptertum Moses’ als den einen historischen Anhalt gelten läßt, so bedarf man zum mindesten noch eines zweiten festen Punktes, um die Fülle der auftauchenden Möglichkeiten gegen die Kritik zu schützen, sie seien Erzeugnis der Phantasie und zu weit von der Wirklichkeit entfernt.“31
Auch zu Beginn der Abhandlung diskutiert Freud bereits die Berücksichtigung der grundlegenden „historischen“ Fakten über Moses:
„Man behauptet mit gutem Recht, daß die spätere Geschichte des Volkes Israel unverständlich wäre, wenn man diese Voraussetzung [also daß Moses tatsächlich gelebt und der Auszug aus Ägypten tatsächlich stattgefunden habe] nicht zugeben würde.“32
Obwohl also Freud wiederholt bekräftigt, wir hätten keine sicheren Beweise für den Exodus und die tatsächlichen Begebenheiten in Ägypten, scheint er doch keinerlei ernste Zweifel daran zu haben, daß sie tatsächlich stattfanden. Hier gerät Freuds Konstruktion auf dem Weg von den Voraussetzungen zu den Schlüssen, die er zieht, auf eine schiefe Bahn. Dazu zählt auch der letzte Satz der ersten Abhandlung, in dem Freud nicht mehr von seiner „Annahme“ oder „Vermutung“ spricht, sondern von der „Einsicht, daß Moses ein Ägypter war“33. Im ersten Absatz der zweiten Abhandlung nun, in dem Freud sein „neues Material“34 für die These vom „Ägyptertum Moses’“ noch einmal rekapituliert, sagt er: „ich habe hinzugefügt, daß die Deutung des an Moses geknüpften Aussetzungsmythus zum Schluß nötige, er sei ein Ägypter gewesen, den das Bedürfnis eines Volkes zum Juden machen wollte.“35
Je genauer man die Details der Freudschen Erzählung studiert, desto abenteuerlicher scheint sie zu werden. Wir finden alle möglichen Formen argumentativer Lücken, Sprünge, wir finden zweifelhafte Voraussetzungen und kühne Spekulationen. Ein Beispiel: Dem biblischen Text ist sehr wenig über die Herkunft der Leviten zu entnehmen, wenngleich sie eine wichtige Rolle in der Exodus-Geschichte (und für die jüdische Geschichte im ganzen) spielen. Freud erkennt deshalb an, daß „zu den größten Rätseln der jüdischen Vorzeit […] die Herkunft der Leviten“, eines jener „zwölf Stämme Israels“, gehöre.36 Freud glaubt jedoch, dieses Rätsel lösen zu können. Er schlägt vor:
„Es ist nicht glaubhaft, daß ein großer Herr wie der Ägypter Moses sich unbegleitet zu dem ihm fremden Volk begab. Er brachte gewiß sein Gefolge mit, seine nächsten Anhänger, seine Schreiber, sein Gesinde. Das waren ursprünglich die Leviten. Die Behauptung der Tradition, Moses war ein Levit, scheint eine durchsichtige Entstellung des Sachverhalts: Die Leviten waren die Leute des Moses. Diese Lösung wird durch die […] Tatsache gestützt, daß einzig unter den Leviten später noch ägyptische Namen auftauchen.“37
Wenn es also im Buch Exodus heißt, Moses sei vom Sinai herabgestiegen und habe sein Volk das Goldene Kalb anbeten sehen, woraufhin die Söhne Levi, auf Moses’ Geheiß, „dreitausend Männer“ erschlugen, dann sollen diese Söhne Levi also in Wirklichkeit Moses’ ägyptische Entourage gewesen sein! (Und dies, obwohl – Freuds historischer Rekonstruktion zufolge – Moses niemals am Sinai gewesen sei und auch Aaron nie gelebt habe.)
Legt man Freuds Behauptung, in Wirklichkeit habe der ägyptische Moses seinen Monotheismus den etwas einfältigen Semiten aufgezwungen, zugrunde, so muß man sich allerdings fragen, was von Freuds Verweis auf die biblischen Patriarchen: Abraham, Isaak und Jakob zu halten ist. Werfen wir einen Blick auf seine verschlungenen Erklärungen:
Kadesch, die Wüstenoase, soll der Ort gewesen sein, an dem die Semiten, nach Ermordung ihres ägyptischen Anführers Moses, sich mit Stämmen vereinigten, die einem anderen Gott, dem midianitischen Jahve huldigten: „ein roher, engherziger Lokalgott, gewalttätig und blutrünstig“38. Es war nun notwendig geworden, diesen Gott zu glorifizieren, einen Kompromiß herbeizuführen, um Jahve – jenen grimmigen, dämonischen Gott – dem monotheistischen Gott, den die Ägypter anbeteten, „anzupassen“. Also wurden, in der Absicht, einen solchen Kompromiß zu finden, „die Sagen von den Urvätern des Volkes, Abraham, Isaak und Jakob, herangezogen. Jahve versichert, daß er schon der Gott der Väter gewesen sei; freilich, muß er selbst zugestehen, hätten sie ihn nicht unter diesem Namen verehrt.“39 Dies folgte der „neuen Tendenz“ der Verehrung und Vermischung des vulkanischen Gottes, Jahve, mit dem monotheistischen Gott des Ägypters Moses.
Wir verstehen jetzt besser den Sinn der Bemerkung, die Freud ganz zu Beginn seiner ersten Abhandlung hervorgehoben hatte: „Der Mann Moses, der dem jüdischen Volke Befreier, Gesetzgeber und Religionsstifter war, gehört so entlegenen Zeiten an, daß man die Vorfrage nicht umgehen kann, ob er eine historische Persönlichkeit oder eine Schöpfung der Sage ist.“40 Es ist nicht Gott oder etwa Abraham, Isaak oder Jakob, der die Religion des jüdischen Volkes stiftete. Es ist der Mann Moses, der sie begründete. Es ist kein Gott (weder der monotheistische Gott des Moses noch der dämonische Gott der Midianiten, Jahve), der das jüdische Volk erwählte. Es ist Moses, der die Juden auserwählte, die Anhänger des monotheistischen Gottes Aton zu werden. „Moses hatte sich zu den Juden herabgelassen, sie zu seinem Volk gemacht; sie waren sein ‚auserwähltes Volk‘.“41 Was Freud nicht sagt, ist, welcher Religion die in Ägypten lebenden jüdischen Semiten anhingen, bevor sie von Moses für seinen Monotheismus ausersehen wurden; er sagt nur, daß es in keinem Fall eine monotheistische Religion gewesen sei.
In seiner Zusammenfassung der Erzählhandlung schreibt Yerushalmi, daß Moses den Semiten „eine noch vergeistigtere, bildlose Form der monotheistischen Religion [gab]. Außerdem führte Moses, um sein Volk von anderen zu unterscheiden, den ägyptischen Brauch der Beschneidung ein.“42 Dieser eher flüchtige Verweis auf den ägyptischen Brauch der Beschneidung wird aber kaum der zentralen Funktion gerecht, die er in dem Aufsatz „Wenn Moses ein Ägypter war…“ einnimmt. Aufgrund seiner Beweiskraft wertet Freud den Beschneidungsritus als ein „Leitfossil“, das „uns wiederholt […] die wichtigsten Dienste geleistet hat“43. Führt man sich die psychoanalytische(n) Interpretation(en) der Beschneidung und die Nähe des Beschneidungsvorgangs zur Kastration vor Augen – wie dies die meisten der Leser des Freudschen Aufsatzes getan haben dürften –, so wird man vermuten, hier endlich den Auftakt zu einer psychoanalytischen Deutung der historischen Rekonstruktion vor sich zu haben. Doch wir werden abermals enttäuscht. Von Kastration ist in Freuds Abhandlung nirgendwo die Rede. Freud beschränkt sich ganz auf die bewußten Gründe, die Moses dazu bewegten, den „rückständigen“ Semiten einen Beschneidungsritus zu geben. Beschneidung, so Freud, war allgemein als ägyptische Sitte bekannt. Um sicher zu gehen, daß die auserwählten Semiten sich den Ägyptern nicht unterlegen fühlen würden, führte Moses den Beschneidungsritus ein.
„Man weiß, in welcher Weise sich die Menschen, Völker wie Einzelne, zu diesem uralten, kaum mehr verstandenen Brauch verhalten. Denjenigen, die ihn nicht üben, erscheint er sehr befremdlich, und sie grausen sich ein wenig davor – die anderen aber, die die Beschneidung angenommen haben, sind stolz darauf. Sie fühlen sich durch sie erhöht, wie geadelt, und schauen verächtlich auf die anderen herab, die ihnen als unrein gelten. […] Es ist glaublich, daß Moses, der als Ägypter selbst beschnitten war, diese Einstellung teilte. Die Juden, mit denen er das Vaterland verließ, sollten ihm ein besserer Ersatz für die Ägypter sein, die er im Lande zurückließ. Auf keinen Fall durften sie hinter diesen zurückstehen. Ein ‚geheiligtes Volk‘ wollte er aus ihnen machen, wie noch ausdrücklich im biblischen Text gesagt wird, und als Zeichen solcher Weihe führte er auch bei ihnen die Sitte ein, die sie den Ägyptern mindestens gleichstellte. Auch konnte es ihm nur willkommen sein, wenn sie durch ein solches Zeichen isoliert und von der Vermischung mit den Fremdvölkern abgehalten wurden, zu denen ihre Wanderung sie führen sollte, ähnlich wie die Ägypter selbst sich von allen Fremden abgesondert hatten.“44
In diesem Fall zieht Freud den biblischen Text zur Untermauerung seiner Hypothese über die Einführung der Beschneidung heran. Denn er interpretiert auf diese Weise den Satz aus Exodus 19:6, der von den Israeliten als einem „heiligen Volk“ spricht. Wenn Freud so argumentiert, muß er sich allerdings fragen lassen, wie es dann um die traditionelle Interpretation der Beschneidung als einem Zeichen des Bundes zwischen Gott und Abraham, dem gleichsam fleischgewordenen Siegel des Bundes zwischen Gott und dem jüdischen Volk, steht. Diese traditionelle Deutung blendet Freud systematisch aus.
„Moses hat den Juden nicht nur eine neue Religion gegeben; man kann auch mit gleicher Bestimmtheit behaupten, daß er die Sitte der Beschneidung bei ihnen eingeführt hat. Diese Tatsache hat eine entscheidende Bedeutung für unser Problem und ist kaum je gewürdigt worden. Der biblische Bericht widerspricht ihr zwar mehrfach, er führt einerseits die Beschneidung in die Urväterzeit zurück als Zeichen des Bundes zwischen Gott und Abraham, andererseits erzählt er an einer ganz besonders dunklen Stelle, daß Gott Moses zürnte, weil er den geheiligten Gebrauch vernachlässigt hatte, daß er ihn darum töten wollte und das Moses’ Ehefrau, eine Midianiterin, den bedrohten Mann durch rasche Ausführung der Operation vor Gottes Zorn rettete. Aber dies sind Entstellungen, die uns nicht irremachen dürfen; wir werden später Einsicht in ihre Motive gewinnen. Es bleibt bestehen, daß es auf die Frage, woher die Sitte der Beschneidung zu den Juden kam, nur eine Antwort gibt: aus Ägypten.“45
Freuds vielleicht originellste Einsicht in die Problematik besteht aber in dem Kunstgriff, in der Analyse der Eigenart der Beschneidungssitte einen weiteren Beweis der ägyptischen Herkunft Moses’ zu liefern. Freuds Argument:
„Herodot, der ‚Vater der Geschichte‘ teilt uns mit, daß die Sitte der Beschneidung in Ägypten seit langen Zeiten heimisch war, und seine Angaben sind durch die Befunde an Mumien, ja durch Darstellungen an den Wänden von Gräbern bestätigt worden. Kein anderes Volk des östlichen Mittelmeeres hat, soviel wir wissen, diese Sitte geübt; von den Semiten, Babyloniern, Sumerern ist es sicher anzunehmen, daß sie unbeschnitten waren. Von den Einwohnern Kanaans sagt es die biblische Geschichte selbst; es ist die Voraussetzung für den Ausgang des Abenteuers der Tochter Jakobs mit dem Prinzen von Sichem. Die Möglichkeit, daß die in Ägypten weilenden Juden die Sitte der Beschneidung auf anderem Wege angenommen haben als im Zusammenhange mit der Religionsstiftung Moses’, dürfen wir als völlig haltlos abweisen. Nun halten wir fest, daß die Beschneidung als allgemeine Volkssitte in Ägypten geübt wurde, und nehmen für einen Augenblick die gebräuchliche Annahme hinzu, daß Moses ein Jude war, der seine Volksgenossen vom ägyptischen Frondienst befreien, sie zur Entwicklung einer selbständigen und selbstbewußten nationalen Existenz außer Landes führen wollte – wie es ja wirklich geschah –, welchen Sinn konnte es haben, daß er ihnen zur gleichen Zeit eine beschwerliche Sitte aufdrängte, die sie gewissermaßen selbst zu Ägyptern machte, die ihre Erinnerung an Ägypten immer wachhalten mußte, während sein Streben doch nur aufs Gegenteil gerichtet sein konnte, daß sein Volke sich dem Lande der Knechtschaft entfremden und die Sehnsucht nach den ‚Fleischtöpfen Ägyptens‘ überwinden sollte? Nein, die Tatsache, von der wir ausgingen, und die Annahme, die wir an sie anfügten, sind so unvereinbar miteinander, daß man den Mut zu einer Schlußfolge findet: Wenn Moses den Juden nicht nur eine neue Religion, sondern auch das Gebot der Beschneidung gab, so war er kein Jude, sondern ein Ägypter, und dann war die mosaische Religion wahrscheinlich eine ägyptische, und zwar wegen des Gegensatzes zur Volksreligion die Religion des Aton, mit der die spätere jüdische Religion auch in einigen bemerkenswerten Punkten übereinstimmt.“46