Kitabı oku: «Freud und das Vermächtnis des Moses», sayfa 3

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Wir mögen ein Unbehagen an der laxen Art und Weise spüren, mit der Freud sich der hebräischen Bibel dort bedient, wo sie seine Argumentation stützt, aber als störend beiseite schiebt, wo sie seine Annahmen durchkreuzt. Und in der Tat setzt sich Freud ernsthaften methodologischen Einwänden aus, wenn er, nicht ohne Selbstbewußtsein, behauptet: „Den biblischen Bericht über Moses und den Auszug kann kein Historiker für anderes halten als für fromme Dichtung, die eine entlegene Tradition im Dienste ihrer eigenen Tendenzen umgearbeitet hat.“47 Freud legt die Kriterien für seinen selektiven Blick auf die biblische Erzählung und die Auswahl der Stellen, die er als Zeugen der historischen Wahrheit erachtet, und solcher, die er für Entstellungen hält, nirgendwo wirklich offen. Man kann sich daher auch des Eindrucks nicht erwehren, Freud habe, überzeugt von der Richtigkeit seiner Deutung, die Bibel noch einmal selektiv auf die Passagen durchgesehen, die seinen Ansatz stützen. Mehrfach behauptet er in der zweiten Abhandlung, daß der fromme Schriftsteller in seiner Überlieferung und Redaktionierung der biblischen Erzählung „eigenen Tendenzen“ folge. Daß er selbst sich diesem Verdacht aussetzt, scheint Freud, seiner Pose des interesselosen, allein die historischen Fakten ermittelnden Historikers zum Trotz, offenbar nicht einzuleuchten.

Ich glaube, wir können nicht rechtfertigen, aber doch verstehen, warum Freud auf diese Weise vorgeht. Nehmen wir an, Freud hätte Recht mit seinen Vermutungen über den Auszug der Juden aus Ägypten und auch über das Schicksal Moses’. Sollten die Semiten ihn tatsächlich ermordet haben, so macht es ja durchaus Sinn, daß die Schriftsteller, die den Pentateuch-Text niederschrieben und redaktionierten, dies haben verschweigen wollen. Sie hätten entsprechend versucht, alle Spuren der Tat in der biblischen Erzählung zu verwischen.48 Uns leuchtet demnach auch der Sinn von Freuds berühmter Analogie zwischen Mord und Textentstellung ein:

„Es ist bei der Entstellung eines Textes ähnlich wie bei einem Mord. Die Schwierigkeit liegt nicht in der Ausführung der Tat, sondern in der Beseitigung ihrer Spuren. Man möchte dem Worte ‚Entstellung‘ den Doppelsinn verleihen, auf den es Anspruch hat, obwohl es heute keinen Gebrauch davon macht. Es sollte nicht nur bedeuten: in seiner Erscheinung verändern, sondern auch: an eine andere Stelle bringen, anderswohin verschieben. Somit dürfen wir in vielen Fällen von Textentstellung darauf rechnen, das Unterdrückte und Verleugnete doch irgendwo versteckt zu finden, wenn auch abgeändert und aus dem Zusammenhang gerissen. Es wird nur nicht immer leicht sein, es zu erkennen.“49

Freud zieht die Analogie von Mord und Textentstellung zur Charakterisierung der (angeblichen) Beseitigung des Textes über die Ermordung Moses’ heran. Haben die frommen biblischen Schriftsteller den Mord an Moses verheimlichen wollen, so ist es nun die Aufgabe des (psychoanalytisch-) detektivischen Historikers, diejenigen Spuren des Mordes, die noch nicht vollkommen verwischt wurden, lesbar zu machen.

Wir können diese Analogie freilich auch auf Freuds eigenen Text anwenden – ein Text, der selber „fast in allen Teilen auffällige Lücken, störende Wiederholungen, greifbare Widersprüche“50 aufweist. Was aber wurde dann hier entstellt und beseitigt? Was könnte Freud „in seiner Erscheinung verändert“ und „an eine andere Stelle“ gebracht haben? Wir haben jedenfalls allen Grund anzunehmen, daß es solche Entstellungen gibt. Erinnern wir uns etwa der Eingangspassage von Freuds Abhandlung: „Aber es ist wiederum nicht das Ganze und nicht das wichtigste Stück des Ganzen.“51 Was also ist das Ganze, und: Lassen sich in dieser Abhandlung Spuren des wichtigsten Stücks des Ganzen entdecken?

Man wird diese Fragen angemessen sicher nicht ohne die Betrachtung der dritten und wichtigsten Abhandlung, „Moses, sein Volk und die monotheistische Religion“, beantworten können. Ich möchte trotzdem einen Schritt zurückgehen und noch einmal die beiden ersten Abhandlungen heranziehen – Abhandlungen, die zu einem Zeitpunkt publiziert wurden, als Freud noch in Wien lebte und die allgegenwärtige Bedrohung der europäischen Juden (und der Disziplin der Psychoanalyse) allerorts spüren konnte.

Lassen wir also noch einmal unsere Zweifel und Vorbehalte beiseite und nehmen an, Freuds Behandlung des Themas sei mehr oder weniger historisch korrekt. Zu welchen Erkenntnissen ist Freud bisher gelangt? Hier seine prägnante Zusammenfassung:

„Hiermit wäre ich zum Abschluß meiner Arbeit gelangt, die ja nur der einzigen Absicht dienen sollte, die Gestalt eines ägyptischen Moses in den Zusammenhang der jüdischen Geschichte einzufügen. Um unser Ergebnis in der kürzesten Formel auszudrücken: Zu den bekannten Zweiheiten dieser Geschichte – zwei Volksmassen, die zur Bildung der Nation zusammentreten, zwei Reiche, in die diese Nation zerfällt, zwei Gottesnamen in den Quellenschriften der Bibel – fügen wir zwei neue hinzu: Zwei Religionsstiftungen, die erste durch die andere verdrängt und später doch siegreich hinter ihr zum Vorschein gekommen, zwei Religionsstifter, die beide mit dem gleichen Namen Moses benannt werden und deren Persönlichkeiten wir voneinander zu sondern haben. Und alle diese Zweiheiten sind notwendige Folgen der ersten, der Tatsache, daß der eine Bestandteil des Volkes ein traumatisch zu wertendes Erlebnis gehabt hatte, das dem anderen fern geblieben war. Darüber hinaus gäbe es noch sehr viel zu erörtern, zu erklären und zu behaupten. Erst dann ließe sich eigentlich das Interesse an unserer rein historischen Studie rechtfertigen. Worin die eigentliche Natur einer Tradition besteht und worauf ihre besondere Macht beruht, wie unmöglich es ist, den persönlichen Einfluß einzelner großer Männer auf die Weltgeschichte zu leugnen, welchen Frevel an der großartigen Mannigfaltigkeit des Menschenlebens man begeht, wenn man nur Motive aus materiellen Bedürfnissen anerkennen will, aus welchen Quellen manche, besonders die religiösen Ideen die Kraft schöpfen, mit der sie Menschen wie Völker unterjochen – all dies am Spezialfall der jüdischen Geschichte zu studieren wäre eine verlockende Aufgabe. Eine solche Fortsetzung meiner Arbeit würde den Anschluß finden an Ausführungen, die ich vor 25 Jahren in Totem und Tabu [1912-13] niedergelegt habe. Aber ich traue mir nicht mehr die Kraft zu, dies zu leisten.“52

Abermals eine eloquente, eine bewegende, aber ausweichende Schlußfolgerung. Freud erwähnt die Ermordung Moses’ nicht explizit. Er nennt sie nur implizit: Ein Teil des Volkes habe „ein traumatisch zu wertendes Erlebnis“ gehabt. Man könnte fast von einer Parallele zwischen Freud und dem biblischen Moses sprechen – Moses führt die Israeliten in das gelobte Land, betritt es aber nicht mehr. Und der Schlußabsatz ist voller Versprechen – Versprechen, die der alternde, dem Ende seines Lebens sich nähernde Freud vielleicht niemals einzulösen vermocht hätte. Bis hierher hat uns Freud eine schlüssige Geschichte erzählt, aber ihre Bedeutung, insbesondere ihr psychoanalytischer Gehalt, ist damit noch nicht zum Vorschein gekommen. Freud verweist darauf, es sei noch „viel zu erörtern“, in dessen Licht sich erst „das Interesse an unserer rein historischen Studie rechtfertigen“ ließe.

Rufen wir uns auch das Ende der ersten Abhandlung noch einmal ins Gedächtnis zurück. Freud schrieb dort, daß, wenn wir „Ernst […] machen mit der Annahme, daß Moses ein vornehmer Ägypter war“, sich „sehr interessante und weitreichende Perspektiven“ ergäben. Es ließe sich auf dieser Basis eine „mögliche Begründung von zahlreichen Charakteren und Besonderheiten der Gesetzgebung und der Religion, die er dem Volke der Juden gegeben hat“, erfassen, und wir würden außerdem „selbst zu bedeutsamen Ansichten über die Entstehung der monotheistischen Religionen im allgemeinen angeregt“53 – ein Versprechen, das Freud zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs eingelöst hat. Was also haben diese angeblich historischen Ereignisse aus der Mitte des vierzehnten vorchristlichen Jahrhunderts mit dem jüdischen Volk heute zu tun? Und was heißt dies für die These, die ich meinen Untersuchungen vorangestellt hatte: daß wir in Der Mann Moses und die monotheistische Religion Freuds Antwort auf die Frage nach dem Wesen des (bzw. seines) Judentums finden? Wenn wir auch erst mit einer genauen Untersuchung der dritten Abhandlung diesen Antworten näherkommen werden, so glaube ich doch, daß sich bereits Spuren der von Freud vorgeschlagenen Lösung abzeichnen.

Moses’ Monotheismus: Erste Hinweise

Um zeigen zu können, daß wir wesentliche Andeutungen auf Freuds zentrale These bereits erhalten haben, möchte ich eine grundlegende Frage an seine historische Darstellung richten, die ich bislang noch nicht genauer ausgeführt habe. Sollten die ägyptischen Semiten tatsächlich Moses ermordet haben, was waren ihre Motive? Schlicht gefragt: Warum haben die Juden Moses getötet? Um dies zu beantworten, sollten wir zunächst Freuds Verständnis jener monotheistischen Religion untersuchen, die die Juden sich aufgebürdet hatten. Die gesamte zweite (und ausdrücklicher noch die dritte) Abhandlung durchzieht eine subtile, aber äußerst aufschlußreiche Aufwertung der „geistigen“ Bedeutung des Monotheismus gegenüber den „primitiveren“ Formen des Polytheismus.54 Wenden wir uns deshalb einigen Details in Freuds historischer Darstellung der Ursprünge der Aton-Religion in Ägypten und ihren Beziehungen zum jüdischen Monotheismus zu.

Die „auf Moses zurückgeführte[…] jüdische[…] Religion“ ist „ein großartig starrer Monotheismus; es gibt nur einen Gott, er ist einzig, allmächtig, unnahbar; man verträgt seinen Anblick nicht, darf sich kein Bild von ihm machen, nicht einmal seinen Namen aussprechen.“55 Freud stellt dies zunächst so dar, als stünde diese Charakterisierung seiner Behauptung vom ägyptischen Ursprung der jüdischen Religion vollkommen entgegen. In der Zeit vor Echnaton war die ägyptische Religion ein ungebrochener und „primitiver“ Polytheismus. Der Unterschied von mosaischer Religion und ägyptischem Polytheismus zeigt sich als der „schärfste[…] Gegensatz“56.

„In der ägyptischen Religion eine kaum übersehbare Schar von Gottheiten verschiedener Würdigkeit und Herkunft, einige Personifikationen von großen Naturmächten wie Himmel und Erde, Sonne und Mond, auch einmal eine Abstraktion wie die Maat (Wahrheit, Gerechtigkeit) oder eine Fratze wie der zwerghafte Bes, die meisten aber Lokalgötter aus der Zeit, da das Land in zahlreiche Gaue zerfallen war, tiergestaltig, als hätten sie die Entwicklung aus den alten Totemtieren noch nicht überwunden, unscharf voneinander unterschieden, kaum daß einzelnen besondere Funktionen zugewiesen sind.“57

Demgegenüber verdammt die mosaische Religion Magie und Zauberei auf das Strengste. Sie erläßt „das rauhe Verbot […] irgendein lebendes oder gedachtes Wesen in einem Bildnis darzustellen“, während im ägyptischen Polytheismus „jede Art von Magie und Zauberwesen […] aufs üppigste wuchern“. Die Ägypter treibt eine „unersättliche Lust […], ihre Götter in Ton, Stein und Erz zu verkörpern“. „Die altjüdische Religion“, so Freud weiter, habe „auf die Unsterblichkeit voll verzichtet; der Möglichkeit einer Fortsetzung der Existenz nach dem Tode wird nirgends und niemals Erwähnung getan.“ Ganz anders der ägyptische Polytheismus: „Kein anderes Volk des Altertums hat soviel getan, um den Tod zu verleugnen […], und dementsprechend war der Totengott Osiris, der Beherrscher dieser anderen Welt, der populärste und unbestrittenste aller ägyptischen Götter.“58

Freud stellt den Gegensatz von jüdischem Monotheismus und ägyptischem Polytheismus deshalb so stark in den Vordergrund, weil er hervorheben will, welche Fakten seiner Hypothese vom ägyptischen Ursprung des jüdischen Monotheismus zunächst ganz offensichtlich entgegenzustehen scheinen. Aber die Pointierung dieses „prinzipiellen Gegensatzes“59 dient noch einer anderen Absicht. Freud möchte den revolutionären Charakter des vom jungen Pharao Amenhotep IV (der seinen Namen in Echnaton änderte)60 während „der glorreichen 18ten Dynastie“ begonnenen Vorhabens herausstellen:

„Dieser König unternahm es, seinen Ägyptern eine neue Religion aufzudrängen, die ihren jahrtausendealten Traditionen und all ihren vertrauten Lebensgewohnheiten zuwiderlief. Es war ein strenger Monotheismus, der erste Versuch dieser Art in der Weltgeschichte, soweit unsere Kenntnis reicht, und mit dem Glauben an einen einzigen Gott wurde wie unvermeidlich die religiöse Intoleranz geboren, die dem Altertum vorher – und noch lange nachher – fremd geblieben.“61

Mit fast marxistischem Gestus bringt Freud diese Entwicklung mit der Ausbreitung des ägyptischen Reiches in Verbindung.

„Dieser Imperialismus spiegelte sich nun in der Religion als Universalismus und Monotheismus. Da die Fürsorge des Pharao jetzt außer Ägypten auch Nubien und Syrien umfaßte, mußte auch die Gottheit ihre nationale Beschränkung aufgeben, und wie der Pharao der einzige und unumschränkte Herrscher der dem Ägypter bekannten Welt war, so mußte wohl auch die neue Gottheit der Ägypter werden.“62

Freud fährt fort, Echnaton habe während seiner siebzehnjährigen Herrschaft (1375 bis 1358 v.Chr.)63 „etwas Neues hinzugebracht, wodurch die Lehre vom universellen Gott erst zum Monotheismus wurde, das Moment der Ausschließlichkeit.“64 Sogar die radikale Verwandlung des Sonnenkults von On schreibt Freud dem Wirken Echnatons zu:

„Amenhotep hat seinen Anschluß an den Sonnenkult von On niemals verleugnet. In zwei Hymnen an den Aton, die uns durch die Inschriften in den Felsgräbern erhalten geblieben sind und wahrscheinlich von ihm selbst gedichtet wurden, preist er die Sonne als Schöpfer und Erhalter alles Lebenden in und außerhalb Ägyptens mit einer Inbrunst, wie sie erst viele Jahrhunderte später in den Psalmen zu Ehren des jüdischen Gottes Jahve wiederkehrt. Er begnügte sich aber nicht mit der erstaunlichen Vorwegnahme der wissenschaftlichen Erkenntnis von der Wirkung der Sonnenstrahlung. Es ist kein Zweifel, daß er einen Schritt weiter ging, daß er die Sonne nicht als materielles Objekt verehrte, sondern als Symbol eines göttlichen Wesens, dessen Energie sich in den Strahlen kundgab.“65

Die Anstrengungen, die Echnaton unternahm, um den traditionellen ägyptischen Polytheismus zu beseitigen und an seine Stelle einen rigorosen, ausschließlichen, intoleranten Monotheismus zu setzen, riefen jedoch am Ende „eine Stimmung fanatischer Rachsucht bei der unterdrückten Priesterschaft und beim unbefriedigten Volk hervor“66. Echnatons Tod folgte eine Periode gewalttätiger Reaktion und Anarchie. Die Amun-Priester, von Echnaton unterdrückt, übten Rache. Der ägyptische Polytheismus wurde wiedereingesetzt. Alle Spuren der Aton-Religion, des Monotheismus Echnatons, sollten beseitigt werden. Die Kampagne hätte Erfolg gehabt, wäre da nicht jener Anhänger der Aton-Religion namens Moses gewesen. Moses durfte nicht hoffen, weiter in Ägypten leben zu können. Er mußte sich ein neues Volk „auserwählen“ und es aus Ägypten führen, um das Überleben der Aton-Religion zu sichern. Echnaton „hatte sich seinem Volk entfremdet und hatte sein Weltreich zerbröckeln lassen. Moses’ energischer Natur entsprach der Plan, ein neues Reich zu gründen, ein neues Volk zu finden, dem er die von Ägypten verschmähte Religion zur Verehrung schenken wollte.“67

Freuds Darstellung liefert hier den Hintergrund für die Antwort auf die Frage, warum die Juden Moses ermordeten: „Der jüdische Monotheismus benimmt sich in manchen Punkten noch schroffer als der ägyptische, z.B. wenn er bildliche Darstellungen überhaupt verbietet. Der wesentlichste Unterschied zeigt sich […] darin, daß die jüdische Religion völlig von der Sonnenverehrung abgeht, an die sich die ägyptische noch angelehnt hatte.“68

Paradoxerweise versucht Freud seine Argumentation aber gerade hier, wo sie deutlich von der biblischen Darstellung abweicht, mit dem biblischen Text zu untermauern. An mehreren Stellen, nicht allein in der berühmten Geschichte vom Goldenen Kalb, berichtet die Bibel von „Meutereien“ des jüdischen Volkes in der Wüste. Es gibt zahlreiche Passagen, die von der Klage der Israeliten und ihrem Versuch, gegen Moses zu rebellieren, zeugen. Sie sehnen sich nach den „Fleischtöpfen Ägyptens“ zurück. Was drückt sich in ihrem Wunsch nach Rückkehr aus? Freuds Deutung zufolge ist es der Wunsch nach Befreiung von den harten Geboten und Pflichten des Monotheismus, der sich an den Wunsch zur Rückkehr zum ägyptischen Polytheismus bindet.69 So wie die Amun-Priester an Echnaton Rache zu nehmen suchten, so planten auch die Juden, die, zum Auszug aus Ägypten gezwungen, einen neuen, strengen, rauhen und exklusiven Monotheismus mit unerbittlichen ethischen Standards annehmen mußten, Rache an Moses zu nehmen. Mit einem entscheidenden Unterschied: In Ägypten setzte die Reaktion nach Echnatons Tod ein. Die Juden dagegen warteten Moses’ Tod nicht ab; sie ermordeten ihn. Wenngleich Freud auf diesen zentralen Punkt seiner Theorie nur sehr behutsam zusteuert, so ist er doch bereits recht kühn im Umgang mit den Schlußfolgerungen, die er aus ihm zieht.

„Im Jahre 1922 hat dann Ed. Sellin eine Entdeckung gemacht, die unser Problem entscheidend beeinflußt. Er fand beim Propheten Hosea (zweite Hälfte des achten Jahrhunderts) die unverkennbaren Anzeichen einer Tradition, die zum Inhalt hat, daß der Religionsstifter Moses in einem Aufstand seines widerspenstigen und halsstarrigen Volkes ein gewaltsames Ende fand. Gleichzeitig wurde die von ihm eingesetzte Religion abgeworfen. Diese Tradition ist aber nicht auf Hosea beschränkt, sie kehrt bei den meisten späteren Propheten wieder, ja, sie ist nach Sellin die Grundlage aller späteren messianischen Erwartungen geworden. Am Ausgang des babylonischen Exils entwickelte sich im jüdischen Volke die Hoffnung, der so schmählich Gemordete werde von den Toten wiederkommen und sein reuiges Volk, vielleicht dieses nicht allein, in das Reich einer dauernden Seligkeit führen.“70

Freud war zweifellos hellhörig für Angriffe und Einwände, die ihn der Spekulation und Erfindung von Phantasiegeschichten bezichtigen. Er spricht sich deshalb gleichsam im voraus die Kompetenz zur Beurteilung der Richtigkeit von Sellins Deutung der biblischen Textpassagen ab, erkennt aber an, daß Sellins Hypothese ihm erlaube, „unsere Fäden weiterzuspinnen, ohne glaubwürdigen Ergebnissen der historischen Forschung zu widersprechen.“71 Wir sehen hier also erneut jene schiefe Bahn, die bei Freud schon des öfteren von bloßen Vermutungen zu bindenden Schlußfolgerungen führte. Zu Beginn des siebten (und letzten) Abschnitts der Abhandlung „Wenn Moses ein Ägypter war…“ notiert Freud:

„Unter all den Begebenheiten der Vorzeit, die die späteren Dichter, Priester und Geschichtsschreiber zu bearbeiten unternahmen, hob sich eine heraus, deren Unterdrückung durch die nächstliegenden und besten menschlichen Motive geboten war. Es war die Ermordung des großen Führers und Befreiers Moses, die Sellin aus Andeutungen bei den Propheten erraten hat. Man kann die Aufstellung Sellins nicht phantastisch heißen, sie ist wahrscheinlich genug. Moses, aus der Schule Ikhnatons stammend, bediente sich auch keiner anderen Methoden als der König, er befahl, drängte dem Volke seinen Glauben auf. Vielleicht war die Lehre des Moses noch schroffer als die seines Meisters, er brauchte die Anlehnung an den Sonnengott nicht festzuhalten, die Schule von On hatte für sein Fremdvolk keine Bedeutung. Moses wie Ikhnaton fanden dasselbe Schicksal, das aller aufgeklärten Despoten wartet. Das Judenvolk des Moses war ebensowenig imstande, eine so hoch vergeistigte Religion zu ertragen, in ihren Darbietungen eine Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu finden, wie die Ägypter der 18ten Dynastie. In beiden Fällen geschah dasselbe, die Bevormundeten und Verkürzten erhoben sich und warfen die Last der ihnen auferlegten Religion ab. Aber während die zahmen Ägypter damit warteten, bis das Schicksal die geheiligte Person des Pharao beseitigt hatte, nahmen die wilden Semiten das Schicksal in ihre Hand und räumten den Tyrannen aus dem Wege.“72

Ich habe bereits gesagt, daß die gesamte zweite Abhandlung von der impliziten Aufwertung des jüdischen Monotheismus bestimmt ist. Dies scheint zwar durch die Adjektive, die Freud zu seiner Charakterisierung benutzt: „streng“, „schroff“, „intolerant“, „ausschließlich“ Lügen gestraft zu werden. Doch in Freuds Sprachschatz sind diese Ausdrücke nicht notwendig pejorative Formulierungen. In ihnen kommen vielmehr die rigorosen „geistigen“ Anforderungen und Pflichten zum Ausdruck, die der Monotheismus uns auferlegt – Anforderungen und Pflichten, die den rigorosen intellektuellen Ansprüchen der Psychoanalyse gleichen.

Freuds Lob der mosaischen Lehre, sein eigener Stolz auf die prophetische Tradition, läßt sich aus einer Passage her-auslesen, die am Ende der zweiten Abhandlung „Wenn Moses ein Ägypter war…“ steht – eine Passage, die auch die elliptische Formulierung des Titels zu erklären hilft. Hier klingt auch in Freuds eigener Prosa eine biblische Kadenz an:

„Da erhoben sich aus der Mitte des Volkes in einer nicht mehr abreißenden Reihe Männer, nicht durch ihre Herkunft mit Moses verbunden, aber von der großen und mächtigen Tradition erfaßt, die allmählich im Dunkeln angewachsen war, und diese Männer, die Propheten, waren es, die unermüdlich die alte mosaische Lehre verkündeten, die Gottheit verschmähe Opfer und Zeremoniell, sie fordere nur Glauben und ein Leben in Wahrheit und Gerechtigkeit (‚Maat‘). Die Bemühungen der Propheten hatten dauernden Erfolg; die Lehren, mit denen sie den alten Glauben wiederherstellten, wurden zum bleibenden Inhalt der jüdischen Religion. Es ist Ehre genug für das jüdische Volk, daß es eine solche Tradition erhalten und Männer hervorbringen konnte, die ihr eine Stimme liehen, auch wenn die Anregung dazu von außen, von einem großen fremden Mann gekommen war.“73

Es ist diese aufgeklärte mosaische Lehre, diese geistige Lehre, die Magie, Zauberei und die Sehnsucht nach leblosen Bildern verabscheut; es ist diese Lehre, die „nur Glauben und ein Leben in Wahrheit und Gerechtigkeit“ fordert, die am Ende triumphieren konnte. Es ist diese Tradition, die von den Propheten gepredigt wurde – eine, die das jüdische Volk (den Juden Freud eingeschlossen) ehren und auf die es stolz sein kann. Und es ist diese Tradition, mit der sich Freud, der „gottlose Jude“, identifiziert. Wir werden, sobald wir unsere Analyse der dritten Abhandlung von Der Mann Moses abgeschlossen haben, genau sehen, daß es dies ist, was Freud in seiner „Eigenart als jüdisch“ empfinden läßt. Freilich ist diese Auffassung des mosaischen Ideals und des jüdischen Monotheismus als einer Tradition, die solch hohe und unerbittliche Anforderungen an ein Leben in Wahrheit und Gerechtigkeit ohne Rückfall in jede Form von Idolatrie stellt, in den beiden ersten Abhandlungen bereits angedeutet.