Der Triumph

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Ritchie Pogorzelski

Der Triumph

Siegesfeiern im antiken Rom.

Ihre Dokumentation auf Ehrenbögen in Farbe


Im besonderen Gedenken an meinen Bruder Bernd Stemmeler. Ihm ist dieser Band gewidmet.

Inhalt

Cover

Titel

Widmung

Einleitung

Der Einsatz von Farbe in der Kunst

Die Farbigkeit antiker Skulpturen und Reliefs

Wiederentdeckung der farbigen Antike

Neue Untersuchungsmethoden und die technischen Hilfsmittel

Die Rekonstruktion oder die Wahl der richtigen Farbe

Der römische Triumph

Die Herkunft

Beschreibungen von Triumphzügen

Der Triumph des Titus Quinctius Flamininus über Makedonien und König Philipp V., 194 v. Chr. bei Titus Livius 34, 52, 2–12

Der Triumph des Lucius Aemilius Paullus über Makedonien und König Perseus, 30. November 167 v. Chr., Diodoros 31, 7, 9–12, 28

Der Triumph des Lucullus über Asia, 63 v. Chr.

Der Triumphator

- Exkurs: Der Kranz der Teilnehmer

Die Entwicklung

Die späte Republik – Der Triumph des Pompeius über Asia, 28.–29. September 61 v. Chr.

Der Triumph Caesars über Gallien, Ägypten, Pontus und Afrika, 46 v. Chr., sowie über Hispania, 45 v. Chr.

Die Kaiserzeit

Organisation

Der Weg des Triumphzugs

Porta triumphalis – Circus Maximus

Forum Romanum – Kapitol

Das Opfer

Die Kriegsbeute

Außerordentliche Feiern

triumphus in Monte Albano

Die ovatio

– Exkurs: Der triumphus in Monte Albano und die ovatio des Marcus Claudius Marcellus de Syracusaneis, 211 v. Chr.

Der Seetriumph

Die ornamenta triumphalia

Triumphähnliche Prozessionen

Der Ehrenbogen/Triumphbogen

Der Augustusbogen in Susa – ein Zeichen der frühen Romanisierung und Urbanisierung

- Exkurs: Der Triumph des Octavianus über Dalmatien, Actium und Ägypten, 13.–15. August 29 v. Chr.

Der Stadtgründungsbogen in Orange

- Exkurs: Der Silberbecher von Boscoreale

- Exkurs: Der Triumph des Tiberius über Pannonien und Dalmatien, 23. Oktober 12 v. Chr.

- Exkurs: Der Triumph des Claudius über Britannien im Jahr 44 v. Chr.

Der Titusbogen in Rom

Technische Daten

Der Fries zwischen Attika und Archivolte an der Ostseite und die pompa triumphalis

Die großen Durchgangsreliefs

- Exkurs: Der Flaviertriumph, 71 v. Chr.

Der Traiansbogen in Benevent

Das Bildprogramm

Kleiner Triumphzugfries

Die Reliefs im Durchgang des Bogens

Die Reliefs auf der Landseite

Die Reliefs auf der Stadtseite

Ein Bogen des Hadrian?

Der Bogen des Marcus Aurelius in Rom

Der Septimius-Severus-Bogen in Rom

Architektur

Inschrift

Der Reliefschmuck

Die großen Tafelbilder

- Exkurs: Hintergrundgeschichte der Panele

Der künstlerische Stil und die Triumphalmalerei

Der Septimius-Severus-Bogen in Leptis Magna

Die Valle Medici- und Valle Capranica-Reliefs

Der Galeriusbogen in Thessaloniki

Das Bildprogramm

Pylon A

Pylon B

Der Konstantinsbogen in Rom

Technische Daten

Die Inschrift

Die Postamentreliefs

Die Büsten der Seitendurchgänge

Das umlaufende Relief

Architektonische Elemente älterer Monumente

Schlussbetrachtung - Pietät und politische Propaganda

Glossar

Literatur

Abbildungsnachweis

Impressum

Weitere Titel


Titusbogen auf dem Forum Romanum.

Einleitung

„Ohne Farben bleibt uns die antike Skulptur unverständlich.“

 

(Prof. Dr. Demetrios Pandermalis, Direktor des Akropolis Museums Athen)

Hollywood hat mit Filmen wie „Quo Vadis“ unser Bild eines römischen Triumphs bis heute geprägt. Die Szene, in der der Feldherr bekleidet mit einem goldenen Panzer, begleitet von seinem gesamten Heer an Kaiser Nero vorüberzieht, hat sich als eine der filmischen Höhepunkte in das Gedächtnis der Historienfilm-Begeisterten eingespielt. Zu den prägenden Bildern triumphaler militärischer Aufmärsche darf man wohl auch diejenigen im Dritten Reich, im heutigen Russland und in China rechnen. Man muss dabei kaum die Geschichte bemühen, um zu wissen, dass es sich dabei um die Demonstration politischer Macht auf der Grundlage militärischer Überlegenheit, mithin verbrämte Siegesfeiern, handeln soll.

Darstellungen von Triumphszenen waren in der Antike symbolgeladen und sollten für jeden Betrachter sofort erkennbar sein. Kaum ein Monument wurde derart zum Trägermedium triumphaler Siegessymbolik wie der römische Ehrenbogen. Das führte sogar zur fälschlichen Übertragung des Begriffes „Triumphbogen“ auf alle römischen Bögen – auch wenn diese nicht mit einem Triumph verbunden waren.

Bögen wurden schließlich zu allen Zeiten der Geschichte insbesondere in imperialistischen Regimen als triumphale Siegesmonumente inszeniert. Diese Triumphbögen fanden ihre reinste Ausprägung noch einmal im „Arc de Triomphe“ in Paris, den Napoleon nach der Schlacht von Austerlitz zur Verherrlichung seiner Siege 1806 in Auftrag gegeben hatte und der noch heute das zentrale politische Symbolmonument Frankreichs ist.

Nichts hat die Zeiten so überlebt, wie die Bedeutung des römischen Triumphes, der das religiöse und politische Leben der Römer über 1.000 Jahre begleitet hatte. Seine Geschichte und Bedeutung wurde vielfach beschrieben und wird immer wieder neu beleuchtet (es sei hier auf die Literatur im Anhang verwiesen). Vieles wird vermutet und möglicherweise bleibt uns das ein oder andere für immer verborgen. In seinem Kern jedoch blieb der Triumph stets eine religiöse Feier, die im Verlaufe der Kaiserzeit mit politisch-militärischer Signifikanz überzogen wurde. In jedem Fall war der Triumph immer ein glückverheißendes Fest für das gesamte römische Imperium.

Der vorliegende Band beschäftigt sich mit dem Thema „Triumph“ und seiner Darstellung auf römischen Ehrenbögen. Die wichtigsten Ehrenbögen werden in chronologischer Reihenfolge mit ihren Reliefs vorgestellt und die entsprechenden Darstellungen erläutert und interpretiert. Gelegentlich wird dabei auch seine Herkunft und seine Entwicklung bis in die Spätantike gestreift. Das breite Spektrum antiker Zeugnisse zum römischen Triumph wie literarische Quellen, archäologische Funde und Inschriften fließen in die Betrachtung ein. Doch erst die farbenprächtigen Bildrekonstruktionen des Autors ermöglichen einen neuen Blick auf den Detailreichtum römischer Triumphalszenen und damit so manche Neuinterpretation ihrer Aussagen.

Für Ratschläge und Kritik beim Entstehen dieses Bandes danke ich Frau Dr. Annette Nünnerich-Asmus vom Nünnerich-Asmus Verlag in Mainz, Herrn Prof. Thomas Fischer vom archäologischen Institut der Universität in Köln, Herrn Dr. Ernst Künzl und meinen Freunden Achim Schröder aus Bonn und Jürgen Neumann aus Bochum. Auch Herrn Andreas Pangerl gebührt Dank, dessen Internet-Seite (www.romancoins.info) wie immer eine große Hilfe war. Besonderen Dank aber schulde ich meiner Frau Angela Davey, Make-up Artist und Malerin – ohne jeden Zweifel die wundervollste Frau, der ich je begegnet bin.

Der Einsatz von Farbe in der Kunst

Die Anwendung von Farbe finden wir seit Beginn menschlicher Kunstäußerungen. Durch Farbe konnte man Gegenstände oder Menschen innerhalb ihres Umfeldes als etwas „Außergewöhnliches“ kenntlich machen, ihnen eine bildliche Aussage geben. Die Vermittlung einer bestimmten Bildsymbolik war von Beginn an auch mit einer deutlichen Farbzuweisung verbunden.

Schon in der sumerischen Kultur waren bestimmte Farben dem Kosmos und den Planeten zugewiesen worden. So waren die sumerisch- babylonischen Tempeltürme (Zikkurats) mit den sieben kosmischen, planetarischen Farben geschmückt. Gold versinnbildlichte die Sonne, Silber den Mond, Dunkelrot den Jupiter, Weißgelb die Venus, Hellrot den Mars, Blau den Merkur und Schwarz den Saturn. Bemalung wies also eine bestimmte Bedeutung zu. Doch benutzte man Farben vor allem auch, um Figuren einen dynamischen bzw. lebendigeren Ausdruck zu verleihen, mithin sie natürlicher bzw. veristischer erscheinen zu lassen. Denn Farbe spricht die Sinne an. In der Folge können durch Farben bestimmte sympathische oder unsympathische Empfindungen hervorgerufen werden.

Die Farbigkeit antiker Skulpturen und Reliefs

Die ursprüngliche Vielfarbigkeit (Polychromie) von Baudenkmälern sowie von Statuen des klassischen Griechenlands und des römischen Altertums war seit dem 18. Jh. bekannt. Im 19. Jh. wurde über Art und Umfang der Farbfassungen heftig gestritten, und auch später beschäftigten sich die Fachleute immer wieder mit dieser Frage. Erst neuere Forschungen erweitern ständig unsere Kenntnisse und in Sonderausstellungen, wie beispielsweise unter dem Titel „Bunte Götter“, werden die Ergebnisse mit großer Resonanz gezeigt.

Sämtliche Völker der Antike, ob Babylonier, Assyrer, Sumerer, Perser oder Ägypter gestalteten ihre Tempel und Paläste, ihre Götter- und Menschenbildnisse in kräftigen Farben. Schon in archaischer Zeit gab es in Griechenland Tempelbauten mit farbigen Terrakottadekorationen. Seit dem 6. Jh. v. Chr. wurden Gebälk, Giebel, Triglyphen, Kapitelle sowie die Akrotere auf dem Dach der steinernen Tempel mit kräftigen Farben wie Rot, Blau und Gelb bemalt. Die unifarbigen Giebelfelder dieser Gebäude dienten als Hintergründe für polychrome Figurengruppen. Seit dem Hellenismus kamen auch Pastelltöne wie Hellblau und Rosa hinzu, um die einzelnen Formen zu unterstreichen. Die Farbpalette reichte von Zartrosa über Dunkelrot bis hin zu leuchtenden Farben wie Gelb. Die Vergoldung von Figuren war selbstverständlich üblich – ein Luxus, dem man v. a. in römischer Zeit gerne frönte. Hinzu kam, dass man den Götterstatuen zusätzlich besondere Gewänder anlegte. Die antike Literatur beschreibt diese oft als mit Purpur verziert. Obwohl die römische Kunst eigene Vorbilder in den farbigen Bau- und Bildwerken der etruskischen Kunst hatte, schöpfte sie auch aus griechischen Vorlagen. Sogar auf den Außenputz von Gebäuden trug man in Malerei ein Netzmauerwerk auf, um so dem Bau den Anschein eines Hausteinwerkes zu geben. Auch Marmorsockel, Gesimse usw. über Fenstern und Portalen wurden bemalt, wobei zur Verlebendigung der Architektur zusätzlich verschiedenfarbige und unterschiedliche Baumaterialen verwendet wurden. Den Tempel des Iuppiter auf dem Kapitol zierten entsprechend seiner Bedeutung sogar vergoldete Dachziegel, selbst die Kapitelle und Basen der Säulen glänzten in der Farbe des Goldes. Das berühmte Pantheon in Rom war einst mit vergoldeten Platten bedeckt und die innere Kassettendecke farbig bemalt.

Wie die Bauwerke dieser Epoche wurden auch die Skulpturen mit kräftigen Farben bemalt. Selbst Hell-Dunkel-Abstufungen innerhalb einer Farbe wurden eingesetzt, um die Formen zu unterstreichen und beispielsweise den Faltenwurf der Kleidung authentischer zu gestalten. Mit getönten Wachsschichten wurden Hautpartien bestrichen, um diese lebendiger erscheinen zu lassen. Der Augapfel antiker Figuren konnte nicht nur gemalt, sondern auch aus Emaille oder Edelsteinen geschaffen sein. Die kleinen Vertiefungen in den Augäpfeln antiker Marmorfiguren zeugen heute noch von einst eingefügten Materialien. Selbst Augenwimpern konnten künstlich eingesetzt sein. Gerade die Ausgrabungen in Pompeji und Herkulaneum belegen die Farbigkeit römischer Bauwerke und Skulpturen. Selbst die Farben für Metall konnten dargestellt werden. Um den Glanz des Metalls in die farbige Skulptur einzubinden, wurden Blattvergoldungen und Auflagen von silberfarbenen Zinnfolien angewendet. Der Metallglanz stellt einen Kontrast zur Farbfassung der Figuren her und rundet deren Wertigkeit ab. Welch einen Eindruck müssen die antiken Reliefs und Skulpturen einstmals geboten haben?

Aus einer Anekdote, die Plinius der Ältere überliefert, lässt sich die Bedeutung der Farbe für die antike Skulptur ablesen. So fragte man den berühmten Bildhauer Praxiteles, welche seiner Marmorstatuen ihm am besten gefallen würden. „Diejenigen, an die Nikias (ein damals berühmter Maler) Hand angelegt hat“, soll der Meister geantwortet haben. Auch folgendes Zitat aus der antiken Literatur belegt, dass Statuen bemalt waren:

„Mein Leben und mein Schicksal sind ein Grauen. Daran trägt (…) meine Schönheit Schuld. Könnt’ ich die nur vertauschen gegen hässliche Gestalt so hässlich wie ein Marmorbild mit abgewischten Farben.“

(Aus der Tragödie „Helena“ des griechischen Dramatikers Euripides, 485‐406 v. Chr.)

Was hier für die griechische und römische Antike gesagt worden ist, lässt sich auch für Werke anderer und älterer Kulturen sagen. Erst die Farbigkeit verhilft dem künstlerischen Werk zu seiner eigentlichen Wirkung und gewünschten Lebenskraft. Der Bildhauer musste seine Arbeit mit der folgenden Farbfassung abstimmen. Die farbige Gestaltung erfolgte nach einem Gesamtkonzept. Sie diente der Hervorhebung bildhauerisch ausgeführter Details oder ergänzte diese, wo eine plastische Gestaltung schwer möglich war. Die Farbe erhöhte das Verständnis einer Reliefszene um ein Vielfaches. Elemente, die der Bildhauer in flachen Reliefs nur schwer voneinander absetzen konnte, ließen sich durch die unterschiedliche Farbe ganz deutlich voneinander trennen. Gerade bei Körpern hintereinander gestaffelter Figuren verhalf die Farbe die Reihen zu verdeutlichen. Zwischen Bildhauer und Reliefmaler muss also eine detaillierte Absprache stattgefunden haben. Die Arbeitsabläufe waren genauestens aufeinander abgestimmt.

Wiederentdeckung der farbigen Antike

Die Traditionen der klassischen Antike waren in den „dunklen Jahrhunderten“ des Mittelalters fast völlig verloren gegangen. Sie wurden in der Renaissance wieder aufgegriffen, als man daranging, die Kultur aus dem Geist der Antike zu erneuern. Man orientierte sich an dem, was an Kunst des klassischen Altertums noch vorhanden war. Allerdings verzichtete man auf den Gebrauch von Farbe im Bereich der Skulptur. Michelangelo oder Donatello waren diesbezüglich keine Ausnahmen. Ihre Skulpturen behielten den unveränderten Ton des verwendeten Materials – gelegentlich Bronze, meist Marmor. Warum Leonardo, Rafael und Michelangelo – von den Größen zweiten Ranges ganz zu schweigen – der Tradition zum Trotz niemals auf den Gedanken kamen, ein Bildwerk farbig zu fassen, obwohl sie gleichzeitig Maler und Bildhauer waren und die Technik sowie die Wirkung beider Künste in gleichem Maße kannten und beherrschten, bleibt ein Rätsel und ist vielleicht mit den Sehgewohnheiten ihrer Zeit zu erklären.

Der deutsche Archäologe und Kunstschriftsteller Johann Joachim Winkelmann idealisierte rund dreihundert Jahre später die griechische und römische Klassik unter dem Schlagwort „edle Einfalt, stille Größe“, erklärte sie zum alleinigen Maßstab für künstlerische Vollkommenheit und prägte damit ganz wesentlich den deutschen Klassizismus. Vernunft und Einfachheit sollten den dominierenden Einfluss der Religion und den Formenreichtum des Barock ablösen. Weiß galt ab sofort als ästhetische Entsprechung dieser Ziele. In seinem Werk, der „Geschichte der Kunst des Altertums“ von 1764, schrieb Winckelmann:

„Da nun die weiße Farbe diejenige ist, welche die mehresten Lichtstrahlen zurückschicket, … so wird auch ein schöner Körper desto schöner sein, je weißer er ist.“

Mit diesem Satz definierte Winckelmann kraft seiner Autorität das klassizistische Schönheitsideal. Er erhob damit den rein weißen Marmor zur ästhetischen Norm für die Kunst der klassischen Antike, die als Maßstab für die Kunst schlechthin galt. Canova, Thorvaldsen und deren Kollegen nahmen sich daran ein Beispiel. Hatte nicht schon Michelangelo seinen David aus diesem reinsten und wertvollsten Material geschaffen, das einem Bildhauer zur Verfügung steht?

Auch Winckelmann wusste offenbar von den Farbspuren auf antiken Kunstwerken. Als bedauerliche Ausnahme beklagte er „die barbarische Sitte des Bemalens von Marmor und Stein“. Dieser Standpunkt wurde noch lange vertreten und so wurden farbige antike Skulpturen entweder als primitive Frühformen abgetan oder der etruskischen Kunst zugerechnet. Winkelmann und der Klassizismus vertraten im Gefolge der Renaissancekünstler die Theorie einer „weißen Antike“. Diese Vorstellung einer farblosen Antike bzw. Architektur entsprach und entspricht den ästhetischen Vorstellungen sowie dem Erkenntnisideal einer intellektuellen Bildungsschicht. Das führte zu einer Bevorzugung von klaren Formen und der farblosen Zeichnung. Die Ansichten Winkelmanns beeinflussten für lange Zeit den Blick auf die Antike Kunst, tun dies sogar bis heute.

 

Aber selbst die Aussage Winckelmanns konnte nicht verhindern, dass die Idealisierung des strahlend weißen Marmors als ein Traumgebilde entlarvt wurde. Zu eindeutig waren die Farbspuren auf den neu entdeckten Kunstwerken in Griechenland und Italien. So kam es 1811 zu einem Widerstreit, als die Giebelfiguren des Aphaia-Tempels von Aigina aufgefunden wurden. Diese waren mit deutlichen Farbresten behaftet. Ein Jahr später erwarb der Bildhauer, Maler und Kunstagent des Bayernkönigs Ludwigs I., Johann Martin von Wagner, diese Stücke für die königliche Sammlung in München. Wagner bewertete die Farbigkeit antiker Kunstwerke völlig anders als Winckelmann und erregte damit großes Aufsehen. Er schrieb:

„Wir wundern uns über diesen scheinbar bizarren Geschmack und beurtheilen ihn als eine barbarische Sitte. … Hätten wir vorerst unsere Augen rein und vorurtheilsfrey, und das Glück zugleich, einen dieser griechischen Tempel in seiner ursprünglichen Vollkommenheit zu sehen, ich wette, wir würden unser voreiliges Urtheil gern wieder zurücknehmen.“

Jetzt begann im Mittelmeerraum die Zeit intensiver archäologischer Aktivitäten und immer wieder verwiesen Kunstwissenschaftler und Architekten auf das Phänomen der Polychromie. Literarische Quellen und neuere, nach Farbspuren untersuchte Funde belegten nicht nur die Farbigkeit der Bauten, sondern auch eine Bemalung antiker Figuren. Der französische Architekt und Archäologe Jakob Ignaz Hittorff gab 1830 sein Werk „De l’architecture polychrome chez les grecs“ heraus und verwies auf die Farbigkeit der griechischen Bauten. Gottfried Semper bereiste zwischen 1830 und 1833 Griechenland und Italien, um die Bauten der Antike zu studieren. 1834 veröffentlichte er die Schrift „Vorläufige Bemerkungen über die bemalte Architektur und Plastik bei den Alten“ und 1836 die reich illustrierte und vom Autor zum Teil handkolorierte Schrift „Die Anwendung der Farben in der Architectur und Plastik – dorisch-griechische Kunst“. Als die Statue des Augustus 1868 in Prima Porta entdeckt wurde, besaß sie Spuren der Bemalung, die deutlich besser sichtbar waren als heute. Unter den Personen, die bei der Entdeckung zugegen waren, war auch Arnold Böcklin, ein Maler, der stark vom Gedankengut des Klassizismus geprägt war. Als er diese Statue so farbig sah, so ganz anders als die Statuen aus weißem Marmor, war das für ihn ein Schock! Zeitgenossen berichten über seine heftige Reaktion: „Der Klassizismus, wie ich ihn kennengelernt habe, ist falsch und unzutreffend.“

Der Schock von Böcklin steckt auch heute noch in uns allen, wenn wir antike Statuen betrachten und uns vorstellen sollen, dass sie bemalt waren. Wir sind zu sehr daran gewöhnt, antike Statuen in strahlendem Weiß zu sehen. Diese Gewohnheit hat sich über Jahrhunderte verfestigt. Dieses Weiß der Statuen wird von uns mit der Klassik an sich gleichgesetzt. Wir müssen einerseits bedenken, dass die Statuen im Laufe der Zeit ihre Farben verloren haben. Andererseits sind wir durch unsere Sehgewohnheiten geprägt, die unsere Wahrnehmung der Antike geformt haben: Wir können die griechischen und römischen Statuen nicht ohne die europäischen Statuen, die von Michelangelo bis Canova oder Thorvaldsen den Stil und damit die Wahrnehmung der Marmorfigur in reinem Weiß geprägt haben, betrachten. Das Weiß einer Statue wie der Pietá des Michelangelo oder der Statuen von Bernini stellen für uns einen unumgänglichen Filter dar. Diese großen Meister haben ein immer transparenteres und stärkeres Weiß gesucht. Und das, um der klassischen Antike möglichst nahe zu kommen. Dabei sind nur die wenigsten Statuen der Antike aus einem reinen weißen Stein. Die Mehrheit wurde aus einem Stein gemeißelt, der natürliche „Unreinheiten“ aufweist. Der Archäologe und Direktor der Münchner Glyptothek, Adolf Furtwängler, untersuchte abermals die in seinem Hause aufbewahrten Giebelfiguren des Aphaiatempels. Er ließ sogar eine farbige Rekonstruktion der Westfassade des Tempels in verkleinertem Maßstab anfertigen. 1906 schrieb er in einer grundlegenden Publikation:

„Wie unendlich wichtig aber die Farbe am antiken Tempel und seinem plastischen Schmuck ist, das empfindet wohl ein jeder, wenn er von dem rekonstruierten farbigen Bilde zu dem farblosen zurückkehrt. Man hat ja keinen Begriff von der leuchtenden, frohen Schönheit altgriechischer Kunst, wenn man ihren Farbenschmuck nicht kennt.“

An der Tatsache der Farbigkeit antiker Kunst konnte kein ernsthafter Zweifel mehr bestehen, wohl aber an ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild. Daraus entstand eine Front mit drei Lagern unterschiedlicher Ansichten. Verschiedene ästhetische Urteile, Meinungen zur Wahrnehmung, historische Versionen und eine Neuinterpretation der antiken Schriftquellen, die von den Farben berichten, kreuzen sich hier. Eine beständige Entdeckung neuer Details in den antiken Quellen, meist nur fragmentarisch vorhandene Farbspuren und ungeeignete Untersuchungsmethoden ließen viel Raum für unterschiedliche Interpretationen. So entstand der „Polychromiestreit“, der während des gesamten 19. Jhs. anhielt und bis zum Zweiten Weltkrieg andauerte. Neben den Anhängern der „weißen Antike“ bzw. „bunten Antike“ gab es auch die, die eine mittlere Position einnahmen. Möglich war dies auch deshalb, weil die im Altertum verwendeten Farben eine unterschiedliche Dauerhaftigkeit besaßen. Hellere Farben wie Gelb gingen schneller verloren als Mineralfarben wie Rot oder Blau, die Jahrhunderte überdauerten. Obwohl man alle Grundfarben an antiken Skulpturen beobachten konnte, war man bemüht, das Bunte gegen eine Zweifarbigkeit von Rot und Blau auszutauschen. Dieser Polychromiestreit erreichte allerdings das breite Publikum kaum. Durch die beiden Weltkriege und die Orientierung auf die Ästhetik der Moderne, die allgemeine Abkehr von Ornament und Dekor, nahm auch das Interesse der Archäologen und Kunsthistoriker an diesem Thema spürbar ab. Es geriet nahezu in Vergessenheit. Im wissenschaftlichen Diskurs von Kunstgeschichte und Archäologie spielte die Polychromie kaum mehr eine Rolle. Die Nachkriegsgeneration der Archäologen zog sich auf eine formalästhetische Betrachtung der antiken Kunst zurück. So wurden weitere Generationen von marmorweißen Denkmälern geprägt, wie sie die Museen weltweit präsentieren. Doch in der Antike hatte die Farbe eine besondere Bedeutung. Sie wurde mit den vier Elementen gleichgesetzt: das Feuer, das Wasser, die Erde und die Luft, aus denen die Welt erschaffen wurde. So war auch die Erscheinung der klassischen Antike farbig. Hier müssen wir daran erinnern, dass für die Kunst damals die Nachahmung der Natur essentiell war. Und die Natur war immer farbig.