Kitabı oku: «Die Kunst und Philosophie der Osteopathie», sayfa 2
ABWEICHENDE FORMATIERUNGEN
Bezüglich der englischen Originalausgabe wurden einige Umstrukturierungen vorgenommen, um den Inhalt des Buches einerseits übersichtlicher zu gestalten und andererseits den deutschen Sprachgewohnheiten anzupassen. Dies betraf u. a. die Reduzierung der ursprünglich über 1.200 Begriffe in einfachen Anführungszeichen, aber auch die Implementierung eines Abkürzungsverzeichnisses und die Ergänzung des Originaltextes mit Anmerkungen der Übersetzerin, des Lektors und des Herausgebers. Außerdem wurden die Quellenhinweise am Ende der einzelnen Kapitel gesammelt ebenfalls ans Ende des Haupttextes gestellt.
VIER ANMERKUNGEN
Karl Popper12 hat einmal ganz richtig festgestellt, dass eine Theorie umso mehr Wert hat, je mehr Möglichkeiten sie zur vernünftig begründeten Überprüfung bzw. Kritik bietet.13 In diesem Sinn möchte ich betonen, dass es bei der nachfolgenden Kritik nicht darum geht, den Inhalt des vorliegenden Buchs oder seinen Autor zu diskreditieren; vielmehr bietet es neben vielen brillanten und tiefgreifenden Überlegungen zur Osteopathie auch und gerade aufgrund seiner Angreifbarkeit in bestimmten Punkten die unschätzbare Möglichkeit zur selbstkritischen Weiterentwicklung der Osteopathie. Zudem können die nachfolgenden Anmerkungen 1 und 2 nahezu auf die gesamte osteopathische und die Anmerkungen 3 und 4 auf die naturheilkundliche Literatur übertragen werden.
1. Osteopathie und Medizin
Lever schätzt die Osteopathie, wie übrigens die meisten Osteopathen, als Alternative zur orthodoxen Medizin, zumindest aber als Komplementärmedizin ein. Tatsächlich könnte man bei oberflächlicher Ausdeutung von Stills Texten annehmen, dass er die Osteopathie als Gegenmodell zur regulären Medizin ansah, da er die Methoden der ‚heroischen’ Medizin jener Zeit an vielen Stellen kritisiert. Bei vertiefter Textanalyse erkennt man aber, dass Still die Osteopathie stets als integralen Bestandteil der Medizin ansah, wobei er die Philosophie der Osteopathie als Erweiterung (nicht: Ergänzung, d. h. komplementär) des ausschließlich pathogenetischen Denkens um den weit umfassenderen salutogenetischen Aspekt betrachtete. Deutlich zum Ausdruck kommt dies in der Gründungssatzung seiner American School of Osteopathy aus dem Jahr 1892. Dort steht zu den Zielen der Schule:
„Unsere gegenwärtigen Methoden der Chirurgie, der Geburtshilfe und der Bekämpfung von Krankheiten im Allgemeinen zu verbessern.“ 14
Still hatte demnach stets zum Ziel, dass seine Osteopathie fester Bestandteil der Medizin sein sollte und hoffte darauf, dass dies von der regulären Medizin irgendwann anerkannt werden würde. Eine Ausdeutung von Stills Klassischer Osteopathie als Alternativ- oder Komplementärmedizin ist damit aus medizinhistorischer Sicht falsch.
2. Osteopathie – eine neue Medizinphilosophie
Lever behauptet, Still habe eine neue Medizinphilosophie entdeckt. Abgesehen davon, dass die Ausführungen im vorigen Punkt dies bereits widerlegen, wurde sein auf dem Fundament des Vitalismus errichtetes und grundlegend salutogenetisch ausgerichtetes Gedankengebäude bereits in den Hippokratischen Schriften ausführlich beschrieben und diente seit jeher als Grundlage sämtlicher nachfolgender naturheilkundlicher Ansätze; man denke nur an die Homöopathie. Still gebührt allerdings die medizinhistorische Ehre, den salutogenetischen Grundgedanken erstmals mit konkreten funktionellen, anatomisch-physiologischen Argumenten untermauert und damit die vitalistische Medizin der Wissenschaft zugänglicher gemacht zu haben. So stützen zahlreiche Forschungsergebnisse z. B. aus den Bereichen Neurophysiologie, der Immunologie und der Faszienforschung nicht nur Stills Ansatz der Klassischen Osteopathie, sondern zugleich den gesamten naturheilkundlichen Grundgedanken.
3. Osteopathie und Wissenschaft
Im gesamten naturheilkundlichen Bereich, so auch in der Osteopathie und auch in diesem Buch, ist eine mehr oder weniger starke wissenschaftsskeptische Tendenz zu erkennen. Tatsächlich ist die moderne medizinische Forschung aus verschiedenen Gründen auch kritisch zu sehen, allen voran aufgrund der rein berufs- und marktpolitisch motivierten Reduzierung der evidence based medicine (EBM) auf randomisierte Doppelblindstudien (RCTs). Tatsächlich besteht die EBM aber aus drei gleichrangigen Teilen:
Externe Evidenz (mit RCT als einem möglichen Studiendesign)
Therapeutische Erfahrung
Patientenerwartung
Medizinische Wissenschaft, die auf allen drei Säulen ruht, ist demnach absolut begrüßenswert und sollte gerade innerhalb der Osteopathie massiv forciert werden. Viele andere wissenschaftliche Disziplinen, die man inzwischen unter dem Begriff Biowissenschaften subsummieren könnte (Soziologie, Neurowissenschaften, Psychologie etc.), und auf die sich Lever auch in diesem Buch bezieht, bieten darüber hinaus eine Fülle von Ergebnissen, die den naturheilkundlichen, respektive salutogenetischen Ansatz unterstützen. Eine pauschale Wissenschaftsskepsis ist daher innerhalb der Osteopathie nicht nur unangebracht, sondern geradezu entwicklungshemmend.
4. Osteopathie und Quantenphysik
Wie inzwischen im komplementärmedizinischen Bereich üblich, wird die Quantenphysik auch bei Lever als Erklärungsmodell für subjektive Behandlungsphänomene benannt. Hierbei wird v. a. auf das quantenphysikalische Kernparadigma der Unschärfe Bezug genommen, welches besagt, dass ein Objekt erst durch die Beobachtung in Materie oder Welle zerfällt. Oder/und man beruft sich auf die Quantenverschränkung, die besagt, dass zwei Teilchen unabhängig von ihrer Entfernung als Gesamtsystem synchron agieren, ohne dass eine Ursache-Wirkung-Verbindung zwischen ihnen besteht. Diese beiden Prinzipien werden nun dahingehend interpretiert, dass der mentale Zustand des Therapeuten einen entsprechend synchronisierenden Einfluss auf die Determinierung des Gesundheitszustandes beim Patienten haben soll. Dieser Ansatz ist aus folgenden Gründen zweifelhaft:
Es gibt innerhalb der gesamten quantenphysikalischen Forschung bis heute keinerlei Hinweis darauf, dass mentale Zustände/Prozesse bei der Determinierung bzw. Verschränkung einen Einfluss haben.
Unabhängig von der Art der Einflussnahme auf das Objekt bleibt ihr Ergebnis immer zufällig. Selbst wenn es einen mentalen Zugang geben sollte, wäre das Ergebnis damit letztlich zufällig und eine Synchronisation ausgeschlossen. Wären Patient und Therapeut (und ggf. auch eine höhere allumfassende Instanz) ein Gesamtsystem im Verschränkungskontext, müssten die Synchronisationen automatisch und stetig erfolgen, d. h. ein bestimmter mentaler Zustand wäre dazu nicht nötig.
Im salutogenetisch-vitalistischen Ansatz wird davon ausgegangen, dass man therapeutisch lediglich für die Rahmenbedingungen verantwortlich ist und keinen direkten Einfluss auf die Heilmechanismen hat. Der Synchronisationsgedanke impliziert aber eine zumeist unterbewusst motivierte hierarchische Beeinflussung im Sinne einer Korrektur, d. h. eines Gesundmachens, und ist damit ebenso pathogenetisch einzuordnen wie etwa die chiropraktische Manipulation. Etwas salopp könnte man sagen, dass viele energetisch orientierten Behandler es gerne ‚energetisch knacken‘ hören.
Auch wenn Bezugnahmen auf die Quantenphysik (zumeist ohne ausreichende Kenntnisse der Quantenphysik) falsch sein mögen, so bieten sie eine gute Angriffsfläche zur Kritik und Weiterentwicklung im Sinne Poppers. Zudem wird dadurch auch ein helles Schlaglicht auf die Bedeutungder inneren Haltung, d. h. das Ethos des Therapeuten in Bezug auf das Behandlungsergebnis geworfen, ein Aspekt, der seit der Antike ein aus ethischer Sicht doch arg verkümmertes Dasein geführt hat. Der narzisstisch geprägte heldenhafte Heiler – sei er nun orthodox, alternativ oder komplementär orientiert – verweigert sich aus psychologisch verständlichen Gründen naturgemäß gerne einer kritischen Überprüfung.
DER GROSSE WERT DIESES BUCHS
Der große Wert von Die Kunst und Philosophie der Osteopathie liegt m. E. nicht nur in den vielen höchst interessanten Überlegungen zur Osteopathie sowie in seiner ebenso kritischen wie mutigen Analyse und vor allem offenen Benennung der Spaltung innerhalb der osteopathischen Szene. Lever bietet darüber hinaus eine ganze Menge sehr fundierter Informationen zu einem der wohl entscheidendsten und bis heute unterschätztesten Aspekte innerhalb der Osteopathie: der Subjektivität. Sein Buch ist in diesem Zusammenhang bisher der mit Abstand umfassendste Versuch, die so schwer zu fassende und dennoch überragende Rolle subjektiver Wahrnehmungen und Erfahrungen gerade im Bereich der Osteopathie zu beschreiben. All dies erfolgt, während er das ganze Buch hindurch beständig um die wohl wichtigste Frage innerhalb der Osteopathie kreist: Was in der Patienten-Therapeuten-Interaktion bewirkt eigentlich genau die Heilung? Sich nicht nur einfach mit einem Wer heilt hat recht zufriedenzugeben, sondern den Dingen immer weiter auf den Grund gehen zu wollen, den Drang in sich zu spüren, die Geheimnisse des Lebens zu erforschen, im Kontext des Universums immer ein Nicht-Wissender im sokratischen Sinn zu bleiben und den Mut zu besitzen, sich ohne Rücksicht auf Rang und Namen v. a. seine eigenen Gedanken zu machen und sich damit öffentlich der Diskussion zu stellen; all dies sind Charaktereigenschaften Andrew Taylor Stills gewesen, ohne die es die Osteopathie, ja sogar die gesamte moderne Manualmedizin in ihrer heutigen Form niemals geben würde. Und es ist eben dieses Ethos, welches das enorme Potenzial der Osteopathie nicht nur am Leben erhält, sondern auch ihre Weiterentwicklung sichert. Lever und sein Buch stehen ganz in dieser Tradition und allein dafür gebührt ihm – gerade im Angesicht zunehmender Technisierung und Objektivierung der Osteopathie – allerhöchste Anerkennung.
ZUM SCHLUSS
DO bedeutete für die Gründerväter Still, Littlejohn und Sutherland nicht Doktor der Osteopathie oder Diplom-Osteopath, sondern stand als Abkürzung für Dig On! (Grabe weiter!). Der damit gemeinte Wissensdurst, das begeisternde und positiv skeptisch geprägte Interesse an allen Aspekten des Daseins, war nach Ansicht der Gründerväter essenziell für das Verständnis und folgerichtig auch für das Praktizieren der Osteopathie. Seien Sie also ganz Osteopath im klassischen Sinn und freuen Sie sich auf jenes spannende Wissen, das in diesem Buch auf Sie wartet. Nehmen Sie sich Zeit, lassen sie sich inspirieren und seien Sie möglichst vorurteilsfrei; dann wird Sie die Lektüre auf eine genussvolle Reise durch das osteopathische Universum des 21. Jahrhunderts entführen.
VIEL FREUDE BEI DER LEKTÜRE!
Christian Hartmann
Pähl, Juni 2014
EINLEITUNG
Vor einigen Jahren, ich war gerade Student im ersten Ausbildungsjahr, sprach ein begeisternder Dozent in einer lockeren Einführung in die Physiologie äußerst humorvoll über allerlei körperliche Funktionen. Dozenten, damals wie heute, ziehen Aufmerksamkeit mehr aufgrund ihrer Ausdrucksform und ihrer Art der Übermittlung auf sich als durch die vermittelten Inhalte selbst. Er sprach einprägsam über den Praxisalltag, eine Reihe von Situationen, in welchen es notwendig sei, ein Interesse an alles und allem zu haben was Patienten möglicherweise mitteilen möchten. Dies war eine meiner frühesten Lehrstunden, was Empathie angeht, und er schmückte diese mit typischer Mimik und Gestik aus, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen: die notwendige Faszination für Golf, Zügebeobachten, Maurern usf. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass der von Patienten kommende Enthusiasmus ansteckend sein könne, allerdings war ich mir sicher, dass es Grenzen für mich gab, z. B. wenn es ums Jagen oder Briefmarkensammeln ging.
Einige Zeit später wollte tatsächlich ein Patient seine Passion für Briefmarken mit mir teilen. Die Verführung begann, als er Briefmarken als kleine Fenster zur Geschichte beschrieb, und wieder einmal hing ich an der Angel und alles hörte sich gut an. Ich bin mir nach all den vielen klinischen Jahren immer noch nicht sicher, ob ich bezüglich des Maurerns wirklich getestet wurde, aber ich gehe einmal davon aus, dafür offen zu sein, sollte es jemals notwendig werden.
Vor rund 40 Jahren hörte ich aufgrund meiner Passion für virtuose Klaviermusik ein Interview mit dem großen Vladimir Horowitz. (Musik und Klavier sind mir als Obsession geblieben.) Damals sagte Horowitz, dass sich der Künstler außer für Musik auch für viele andere Dinge interessieren müsse, um ein wirklich ausgezeichneter Pianist zu werden. Ich glaube allerdings nicht, dass er dabei Maurern oder Briefmarkensammeln im Hinterkopf hatte, sondern sich wohl eher auf Malen, Theater, Tanz, Geschichte und Kunst im Allgemeinen bezog.
Zwei Dinge ergeben sich aus dieser Vorrede: Erstens, dass man nicht selten unerwarteterweise den Wert einer Sache zu schätzen lernt; einen Reichtum in etwas findet, was man ansonsten als unbedeutend beurteilt, ignoriert oder gar aufgrund von Missverständnis oder Fehlinterpretation gänzlich ablehnt. Und zweitens, dass jedes Interessengebiet durch Einverleibung oder Einbeziehung scheinbar nichtverwandter Materie bereichert werden kann. Diese kann auf bemerkenswerte Weise der Veranschaulichung und Erweiterung dienen, auf eine Weise, die nicht nur wichtig, sondern sogar unerlässlich für das Streben nach Exzellenz auf diesem Gebiet ist. Meiner Ansicht nach trifft beides auf die Osteopathie zu und auch wenn dies kein Lehrbuch für Osteopathie ist, für mich fängt hier alles an. Einfach gesagt, Theorie und Praxis erlangen unermesslichen Reichtum durch ein breites Interesse und ebensolches Verständnis. Und ich behaupte, dass sich die Praxis der Osteopathie bezüglich zweier bedeutender Gesichtspunkte in einer Krise befindet. Da sind einerseits ein unvollständiges Verständnis und damit eine mangelhafte Implementierung des holistischen Prinzips. Und andererseits die irgendwie schwierige Einverleibung dessen, was ich als subjektives Element in der Praxis bezeichne, bzw. dessen theoretische Basis zu erfassen und entsprechend aufzubereiten. Ich beabsichtige in diesem Buch beide Themen sorgfältig aufzuarbeiten und werde zudem versuchen, Ihnen die Bedeutung des erweiterten Aspektes der Menschlichkeit innerhalb der Kunst der Osteopathie näherzubringen.
RAUM UND KITT
Ob wir nun Konzepte, Ideen oder Objekte selbst betrachten, es sind immer auch die Räume zwischen ihnen, ihre Nebeneinanderstellung oder ihre Schnittstellen, ihre Interaktion, die ihre Eigenschaften als Ganzes beinhalten. Auch wenn diese schwer definierbar sind, so liefern erst sie jenen Kitt, der den Dingen eine Komplexität, Tiefe und Bedeutung verleiht. Es gibt viele Dinge im Leben, deren Wert sich erst durch den Kitt, d. h. in ihren Schnittstellen erschließt. Misslingt uns der Blick dorthin und ziehen wir die Teile dem Ganzen vor, bleiben uns lediglich Ideen, Konzepte, Theorien oder Statements, die sehr begrenzt, bedeutungslos oder schlichtweg falsch sind. Viele Bereiche menschlicher Entdeckungen wurden aufgrund dieser fehlerhaften Beobachtung abgelehnt oder ignoriert, wodurch Dinge von unschätzbarem Wert dem Müllhaufen geschmähter Heterodoxien übergeben wurden. Diese mutigen Bemühungen wurden sehr häufig durch Kulturen, Traditionen und Folklore hervorgebracht, wobei sie manchmal auch als ‚neue’ Paradigmen auftauchen, wie z. B. Systemtheorie, Holismus und einige der Erkenntnisse der Quantentheorie. Wir werden den Einfluss dieser These auf unser besonderes Gebiet in den folgenden Kapiteln betrachten.
Osteopathie ist seit nunmehr gut 40 Jahren mein Beruf, meine Obsession. Sie wurde durch viele nicht-osteopathische und nicht-medizinische Alltagserfahrungen bereichert und vervollkommnet. Ebenso war sie ein Fenster zu einer erweiterten Welt des Verstehens und Erforschens, welches viele philosophische Abschweifungen, spirituelle Reflexionen und Fragen hervorbrachte. So manches Mal bekamen meine ehemaligen Studenten glasige Augen, wenn ich mal wieder anfing entsprechende Streifzüge zum Besten zu geben, wohlwissend, dass ihre Geister von relevanteren Begebenheiten geplagt wurden, z. B. dem Neurologie-Examen am nächsten Tag oder was auch immer. Dennoch fanden immer zwei oder drei Studenten Gefallen daran mich auf meiner Reise zu begleiten. Diese Anteilnahme erzeugte einige der genussreichsten Momente meiner gesamten Lehrlaufbahn. Seitdem ich einige dieser Gedanken zum Ausdruck brachte, fand so manch einer Befriedigung in der Kristallisierung, Erforschung und Verdeutlichung der Dinge. Und so fühle ich mich nun auch berechtigt meine Gedanken in diesem Buch weiterzugeben.
Ein großer Teil dessen, was ich auf den folgenden Seiten zum Ausdruck bringen werde, spiegelt meine eigenen persönlichen Prozesse, Perspektiven und Erfahrungen wider. Dabei erhebe ich nicht den Anspruch, irgendwelche aufsehenerregenden Neuigkeiten zu präsentieren, denn im Grunde wurde bereits alles gesagt; wir hüllen lediglich alte Ideen in neue Kleider. Und doch kommt es hin und wieder zur Geburt radikal neuer Ansichten. Sie entspringen wahrlich kreativen Köpfen. Diese Arbeit gehört, wenn überhaupt, zur ersten Kategorie, d. h. in die Abteilung ‚neue Kleider’. Ich bin seit langem dankbar für das, was ich nur als mein Glück beschreiben kann, nämlich die Freude an der praktischen Arbeit als Osteopath, was sie mich lehrte und was sie mir offenbarte. Häufig schwelgte ich in den Grenzbereichen, die sich mir auftaten. Ich wollte nicht nur die Art und Weise aufzeigen, in der die Kunst der Osteopathie ihre vitalen wissenschaftlichen Fundamente überwindet, sondern ebenso all die Aspekte zelebrieren, die uns zu Menschen machen und sie mit diesem Buch jedem vielschichtig interessierten, offenen und hungrigen Geist verfügbar machen.
Einige meiner Ausflüge führen dabei in fremde Regionen, intellektuelle Abstraktionen, philosophische Verwicklungen, Fragen ohne Antworten, irdische und spirituelle Streifzüge. Sie werden als Teil der Nahrung des Lebens und der Gedanken über das Leben zumindest einige verwundern bzw. erstaunen. Allem voran aber wollte ich eine Alternative zu einer geradezu erstickenden Tendenz unserer Zeit präsentieren. Diese Tendenz besteht darin, ausschließlich solchen Praktiken eine Gültigkeitsgarantie zuzugestehen, die sich auf faktische Beweise reduzieren lassen. Durch die Elimination der subjektiven Welt aber schneiden wir diese Welt entzwei.
Es war mein Anliegen, einen Blick auf jene Gebiete der Naturwissenschaft zu richten, in denen Versuche unternommen wurden ebenso aus dem Mainstream auszubrechen, wie dies die Osteopathie in Bezug auf die Medizin der 1870 er tat. Dort findet sich häufig die aufregende Welt jener Außenseiter, die die Grenzen durch reine Kraft, Entschlossenheit und Inspiration ihrer forschenden Geister verschieben. Derlei ernst gemeinte Erkundungen geben unserer osteopathischen Disziplin eine Klarheit, mit der vieles von dem beleuchtet werden kann, was wir zwar gut gemacht haben, ohne aber eigentlich zu wissen warum. Wie Karen Armstrong in Bezug auf Einsteins Relativitätstheorie hervorhebt:
„In den Naturwissenschaften, wie auch in der Theologie, können Menschen Fortschritt durch unbewiesene Ideen erlangen. Sie sind praktisch anwendbar, selbst wenn sie nicht (noch nicht) empirisch belegt sind.“ 15
Ich hoffe, Osteopathen werden an einigen dieser Dinge Interesse finden. Vieles davon wird einem möglicherweise bekannt vorkommen oder man wird damit nicht einverstanden sein. Osteopathen – wie weithin bekannt – sind selten mit irgendetwas einverstanden! (Es wird sicherlich einige Gegner geben, die einen vollkommen anderen Blick auf unsere Arbeit haben und sich kaum die Zeit nehmen, um einen gewissenhaften Blick auf die Ideen in diesem Buch zu werfen.) Aber auch Nicht-Osteopathen, egal ob sie nun als Patienten Kontakt zur Osteopathie hatten oder ob sie Berufe mit anderen Überzeugungen ausüben, könnten hier etwas für sich finden. Letztendlich habe ich das Gefühl, dass die Suche in unserem Leben immer mehr ist als irgendein scharf umschriebenes Forschungsgebiet, sei es innerhalb einer Profession, einer Karriere, einem Hobby oder ob man einem spirituellen oder religiösen Ruf folgt.
Die Kunst der Osteopathie – nicht nur ihre Konzepte, Theorien oder Techniken – ist einer von vielen Wegen, gespickt mit Schildern, Verzierungen, Einsichten und verlockenden Sackgassen, die nicht selten in Richtung von etwas Größerem und Mysteriösem, kaum Vorstellbaren deuten; etwas, dem wir als menschliche Wesen jedoch niemals widerstehen können. Und mag es auch viele Wege geben, die Kunst der Osteopathie bleibt einer jener, auf dem man mit dem arbeitet, was uns erst menschlich macht. Und es war eben dieser Pfad, der zufällig meinen Weg kreuzte.
Osteopathie lebt von ihrem inneren Informationsgehalt. Und einmal entfacht, beleuchtet sie in Bezug auf den Menschen ungemein viel. Anstatt lediglich ein einfaches Lehr- oder Handbuch zu produzieren, ist es vielmehr mein Anliegen, diese Erfahrung mit Ihnen zu teilen. In diesem Zusammenhang wollte ich dem Binären, dem Auswahlkästchen, der an Vorgaben orientierten Annäherung an alles, was zunehmend die im Gesundheitswesen angesiedelten Berufe (wie übrigens auch die meisten anderen Berufe) durchdringt, etwas entgegenhalten. Anerkennung und Konformität wurden um den Preis der Fragmentation erkauft. Und dies trifft auch auf Berufe zu, die den holistischen Anspruch für sich proklamieren.
Die osteopathische Praxis ist wie viele Dinge im Leben ein nahtloses Ganzes, eine integrierte Erfahrung. Sie auf einzelne Teile herunterzubrechen würde bedeuten, eine Verzerrung zu riskieren. Dennoch bedarf es notwendigerweise eines gewissen Maßes an Analyse, um ihre Qualitäten besser zu vermitteln. Aber selbst Analysen, die den Prinzipien des Holismus und der Idee der Vernetzung unterworfen sind, bergen die Gefahr der Zerteilung von Wahrheit und Erfahrung und erzeugen parallel zum Gefühl der Vernetzung jenes unangenehme Gefühl von Getrenntheit bzw. Spezialisierung. Schlussendlich will ich dem Leser mit diesem Buch eine Hilfe anbieten, damit die einzelnen Fragmente wieder nützlich und sinnvoll miteinander verbunden werden können. Dadurch wären wir letztlich in der Lage, das Mentale im Körper und den Körper im Mentalen und das Geistige in beidem zu sehen.
Man kann sagen, Osteopathie existiert wahrhaftig nur dann, wenn sie gelebt wird. Sie bleibt so lange abstrakt, bis sie sich in unserem Menschsein verwurzelt bzw. bis dieses Menschsein sich in ihren Vertretern verwurzelt. Es verhält sich wie bei der Musik. Sie mag auf Theorie, Technik und Kontext basieren; doch ab einem gewissen Punkt muss die Interpretation in etwas Größeres transformiert werden. Egal ob es die Musik ist, die zu uns spricht, oder die Behandlung, die einen durchdringt und heilt: In seiner besten Arbeit bringt jeder Therapeut etwas Einzigartiges ein, einen ganz bestimmten Ausdruck seiner eigenen Individualität. Und genau darin liegt meiner Auffassung nach die Stärke der Osteopathie. Nur aus diesem Grund war ich immer bemüht, einige jener Qualitäten, die uns letztlich zu dem machen, wer und was wir sind, zu erforschen. Insofern wurde auch dieses Buch zwar aus einer gewissen persönlichen Perspektive heraus geschrieben, aber dennoch vertraue ich darauf, dass es genügend Resonanz bei anderen Menschen erzeugt, um damit mehr zu sein als nur ein sich selbst genügendes Übungsstück!
Je nachdem, ob die Leser zu unserer Berufsgruppe gehören oder nicht, wird ihr Interesse an der Sache von unterschiedlicher Natur sein. Obwohl ich mich bemüht habe nicht allzu osteopathie-technisch zu schreiben, mögen Nicht-Osteopathen die Abschnitte über technische Aspekte vorzugsweise nur überfliegen. Der Rest wird sie dafür entschädigen.