Kitabı oku: «Die Kunst und Philosophie der Osteopathie», sayfa 3
NATURWISSENSCHAFTEN VS. GEISTIGES16
Insbesondere in den späteren Kapiteln könnten einige vielleicht zu der Auffassung gelangen, dass dieses Buch sich selbst ins Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen den Naturwissenschaften und dem Geistigen stellt. Das ist aber nicht meine Absicht. Wenn überhaupt, so will es lediglich die Spaltung zwischen Szientismus und Philosophie beleuchten (reine Naturwissenschaft und Philosophie waren früher einmal durchaus miteinander verbunden), bzw. zwischen dem einerseits häufig engstirnigen Versuch, etwas als Faktum festzunageln, und andererseits den aus den Reisen in das Unbekannte geborenen tiefschürfenden Spekulationen. Hierbei sei angemerkt, dass Letzteres beiden Bereichen geläufig ist, also sowohl der ‚guten’ Naturwissenschaft als auch der Philosophie. Liegt hier überhaupt eine Dichotomie vor, so bezieht sich diese demnach auf das Bekannte und das Unbekannte. Eine der Botschaften dieses Buches ist, das für den Erfolg der Osteopathie beide Aspekte eine Rolle spielen – und zwar in gleichem Maß, aber auf unterschiedliche Art und Weise.
Vielen dürfte bekannt sein, dass die Naturwissenschaft und ihre Vertreter sich selbst an der Schwelle zu diesem Unbekannten verorten. Darin besteht letztlich ja auch ihre Aufgabe und dadurch gehören sie zu den kreativsten Geistern überhaupt. Die eigentlichen Probleme finden sich daher wohl eher in der Kultur der Naturwissenschaften (Szientismus) und ihrer engstirnigen Begrenzung durch Geister, für die nur Anerkennung findet, was bereits bewiesen wurde. Durch die rigide Anwendung dieser Denkausrichtung wurde die Heilkunst bedroht. Infolge der profunden Veränderungen innerhalb der Naturwissenschaften selbst, durch ihren enormen Paradigmenwechsel, verändert sich dieses Bild nun merklich. Für dessen Einzug ins allgemeine und medizinische Gedankengut bedarf es allerdings einiger Zeit, denn es handelt sich um einen schwierigen Prozess. Arthur Koestler schrieb, wenn Paradigmen zusammenbrächen, entsprängen aus diesem Chaos die Revolutionen in Naturwissenschaft und Wissen.17 Aus einem solchen Chaos entsteht jedoch viel Unsicherheit, was umgekehrt dazu führt, dass einige sehr negative und zerstörerische Debatten hervorgebracht werden. Aber diese Positionen trugen nur sehr wenig zur Weisheit oder Wahrheitsfindung bei. Obwohl der Empirismus zur Richtgröße wissenschaftlicher Methoden geworden ist, war er, seit Aristoteles18, verbunden mit einem auf der Erfahrung über die Sinne beruhenden Wissen, einer Verschmelzung sowohl der objektiven wie auch der subjektiven Vermögen.19
Was die besagte Dichotomie zwischen Naturwissenschaften und Geistigem betrifft (bzw. all jene, die auf ihr bestehen), so existiert diese – wenn überhaupt – nur in Bezug auf das Streben nach einem Verständnis der äußeren Realität. Die innere Welt in ihrer ganzen Tiefe ist eine Welt der subjektiven Erfahrung. Und hier kann uns die naturwissenschaftliche Analyse allenfalls begleitend unterstützen. Im Großen und Ganzen treibt die Menschen letztlich nicht ein Bedürfnis nach dem Wissen um Realitäten an; ihr Leben wird durch andere Impulse in Gang gehalten. Wie schon Wittgenstein20 feststellte: „Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.“21
In seinem Buch Body Myths beschreibt der medizinische Anthropologe Cecil Helman: „In allen Gesellschaften leben die Menschen ein Leben in einem Meer aus Metaphern und Mythen, gesammelt aus unzähligen Quellen.“22Ananda Coomaraswamy23 schrieb, dass „Mythen die direkteste Annäherung an die absolute Wahrheit, die in dieser Welt ausgesagt werden kann, verkörpern.“24Die ‚Schöpfung‘ der Osteopathie beinhaltet in diesem Sinn die Destillation einiger großer Wahrheiten. Allerdings, und dies habe ich bereits mehrfach angedeutet, entziehen sich einige, wenn nicht sogar alle Wahrheiten einer vollständigen Analyse durch Beschreibung und Sprache. Wörter entstellen durch ihre damit in uns verbundenen dekontextualisierenden Vorstellungen und dies mag der Grund dafür gewesen sein, dass Einstein einmal bemerkte: „Ich denke häufig in Musik.“ Da ich allerdings nicht nach solchem Genie trachte und da ich weder malen noch dichten oder Streichquartette komponieren kann, muss dieses Werk ausreichen.
London, März 2013
Robert Lever, DO
Teil 1
Prinzipien
1. OSTEOPATHIE: EIN ÜBERBLICK
„Heilen, würde Papa mir sagen, ist keine Wissenschaft, sondern die intuitive Kunst die Natur zu umwerben.“ 25
In unserer beruflichen Position verbringen wir Osteopathen viel Zeit damit den Patienten bei der Suche nach Antworten zu helfen: Antworten, die einem bei Schmerzen oder anderen Symptomen, Erkrankungen und Leiden helfen sollen. Manchmal handelt es sich um ein rein palliatives Vorgehen, manchmal ist es auch Teil einer Suche nach besserer Gesundheit. Manchmal dient es als Weg, um ein tieferes Ringen anzusprechen, oder als Versuch, den Dingen eine tiefere Bedeutung oder einen Beweggrund zu geben. Und vielleicht hilft dies den Patienten ihre Probleme besser in den Griff zu bekommen, oder sogar ihr gesamtes Schicksal! Während die Suche nach Bedeutung und Kontrolle vielleicht die treibende Kraft hinter allen Bemühungen im Zusammenhang mit der Frage ist, was es ausmacht Mensch zu sein, ist das osteopathische Denken von struktureller Balance und Integrität und allem, was dies ermöglicht, geprägt. Und das Bemerkenswerteste bei diesem Denken ist das, was all diese Balance und Integration tatsächlich möglich macht, und das Potential zur Veränderung menschlicher Funktion und Erfahrung auf so vielen Ebenen. Ich hoffe aufrichtig, dass dieses Buch mithilft aufzuzeigen, warum all dies möglich ist, warum es auch in der täglichen Praxis geschieht, und vielleicht hilft es auch einen Teil jenes Prozesses zu beleuchten, der uns ermöglicht, es geschehen zu lassen.
HINTERGRUND
Osteopathie oder osteopathische Medizin, wie sie manchmal genannt wird, ist eines der vielen Fenster zu einer erweiterten Bedeutungswelt. Ob ihr Ziel die Befreiung von Schmerzen oder ein Weg zu verbesserter Gesundheit ist, ein Mittel zur besseren Bewältigung einer Situation oder das Finden eines ziel- oder absichtsgerichteten Gefühls, jenes kostbare und endlose Streben, oder ob ihr Ziel dabei einfach einfach nur ist, Menschen zu helfen mit größerem Wohlbefinden in ihrer Haut zu leben; in jedem Fall ist Osteopathie als solche eine Form der Interpretation, d. h. einer von vielen Ansätzen, die sich der Verbesserung der Dinge verschrieben haben. Allerdings hat sie es über die Jahre auch geschafft, sich eine ganze Reihe stereotyper und falscher Vorstellungen anzueignen. Dies gilt in Bezug auf das, was Osteopathie eigentlich ist, was sie behauptet zu bewirken. Stellt sie ihr Potential ehrlich dar, wird sie häufig als anmaßend, überambitioniert und sogar arrogant wahrgenommen. Einer der Gründe hierfür liegt darin, dass ihre Methoden und ihre theoretischen Grundlagen im gleichen Kontext wie eine hochentwickelte medizinische Erfahrung und Technologie, die allerdings in einem völlig anderen kulturellen Kontext steht, betrachtet wird. Osteopathie und die reguläre Medizin mögen vielleicht annähernd gleiche Ziele haben – Heilung herbeizuführen –, aber in ihren Konzepten sind sie so unterschiedlich wie Malen und Musik. Osteopathie entstand ursprünglich einerseits als geradezu revolutionäre Reaktion und andererseits als Alternative zur regulären Medizin. Aber vor allem war es eine neue Art des Sehens; ein Konzept von Gesundheit und Krankheit, das nach einer neuen Art und Weise der Behandlung von Patienten rief. In der Tat, ihre Methoden hatten sich der Lokalisierung, der Verbesserung und dem Ausdruck von Gesundheit im Patienten verschrieben, statt sich mit Krankheit per se zu konfrontieren.
Falsche Konzepte
Werfen wir erst einmal einen Blick auf die Missverständnisse bezüglich der Osteopathie und dann auf deren Entwicklung in den 130 Jahren ihrer Geschichte. Da sitzt man neben einem Fremden bei einem dieser grauenvollen Ereignisse, die als Dinnerparty bekannt sind. Und natürlicherweise und ziemlich schnell kommt man zum Thema Berufe. Jeder von uns wird schon einmal eine dieser gängigen Erwiderungen gehört haben: „Was ist das?“ (wobei dies in den letzten 30 Jahren zunehmend seltener geworden ist); oder „Oh, das ist was mit Knochen, oder?“; oder „Oh, das hat was mit dem Rücken zu tun“; oder der durch Boulevardzeitungen Gebildete erinnert sich freudig an Stephen Ward – Osteopath der Society – und den berüchtigten Profumo-Skandal Anfang der 1960 er26 und stellt sich nun vor, wie wir ein gleichermaßen schillerndes, ja geradezu skandalöses Leben führen. Oder vielleicht startet jemand mit einer Beschreibung seiner mit dem Rücken in Zusammenhang stehenden Schmerzen, die zu einer sofortigen Konsultation einladen. So manch ein Kollege wird den Überdruss solcher Situationen umgehen, indem er sie abrupt mit den Worten beendet: „Ehrlich gesagt, ich verkaufe Löffel!“ Gehen wir einmal davon aus, dass Dinge wie diese nicht ohne Grund geschehen. Woher kommt es, dass die Allgemeinheit insofern sie noch keine unmittelbare Erfahrung mit Osteopathie gemacht hat, so wenig über osteopathische Medizin weiß? Warum wurde Andrew Taylor Stills Vision so wenig erklärt bzw. verstanden?
Tatsächlich reicht diese Frage ziemlich tief und beinhaltet nicht nur die Feststellung, dass jede Gesellschaft und Kultur mit der Integration neuer Ideen so ihre Probleme hat, sondern sie beleuchtet auch den persönlichen Widerstand, sich gegenüber neuen Sichtweisen zu öffnen. Als Dr. Still in den 1870 ern die Osteopathie begründete, war er bereits ein praktizierender Arzt. Aus Gründen, die vielen in diesem Berufsstand bekannt sind (siehe unten), schlug er das Konzept der Osteopathie als eine Alternative, nicht als eine Erweiterung der herkömmlichen medizinischen Praxis vor. Nun, in dem Maße in dem wir der medizinischen Wissenschaft in ihrer konventionellen Gestalt bedürfen, sie entsprechend lehren und sie in den gesamten Bereich der Patientenbetreuung integrieren, in dem Maße muss die eigentliche Praxis der Osteopathie gegenüber den herkömmlichen Methoden nahezu vollständig zurücktreten, um ihre diagnostische und therapeutische Anwendung auf ein vollkommen anderes Paradigma aufbauen zu können.
Man sagt, wenn eine neue Idee zu viele logische Schritte beinhalte, die nicht in den Kanon des etablierten Wissens passen, so werde sie lediglich am Rande der Wahrnehmung existieren, dort, wo sie bestenfalls als ‚schrullig’ unorthodox verbleibt, oder im schlimmsten Fall ganz in Vergessenheit gerät. Alfred Pischinger27 zum Beispiel, ein Pionier in der Erforschung der Bedeutung der extrazellulären Matrix und ihrer Rolle bei der Verursachung von Krankheiten, lieferte einen wertvollen Beitrag zum wahreren Verständnis von Krankheiten. Seine Arbeit war jedoch zu radikal, um im Mainstream Einzug zu halten. Sie wurde zum größten Teil ignoriert oder gar vergessen. Vor nicht allzu langer Zeit wurde sie jedoch, als man ihre Relevanz realisierte, wiederbelebt, insbesondere innerhalb jener Disziplinen, die ihren Fokus auf die Disposition von Erkrankungen richten, anstatt auf die Konfrontation mit ihnen. Später werden wir uns das noch genauer ansehen.
Unterdessen lehnt eine Kultur des Kritisierens tagtäglich jegliche der sogenannten alternativen Ansätze ab, völlig blind gegenüber deren Komplexität. So sehen ihre Vertreter es als Übergriff auf ein in Wahrheit unvollständiges und manchmal sogar fehlerhaftes orthodoxes medizinisches Konzept an, deren Anhänger von ihrer Unfehlbarkeit überzeugt sind. Nimmt man nun noch das Gewicht der allgemeinen Überzeugungen dazu, erscheint die Hoffnung auf Integration alternativer Prinzipien so aussichtslos wie die Hoffnung auf einen sinnvollen Dialog bei einer erbitterten Scheidung. Aber ich denke häufig, dass auch die sprachgewandten und intelligenten Kritiker aus den Reihen der alternativen Methoden selbst eines Tages ihre eigene Hybris zügeln und sich bereiterklären sollten, auch einmal über ihre eigenen, hübsch zusammengezimmerten Kisten voller Konzepte hinauszublicken. Aufrichtig und konstruktiv kritisch zu sein bedeutet zunächst einmal das Loslassen von Gewissheiten und es dem Wissen zu erlauben, den Weg in Richtung des Unbekannten zu weisen, anstatt bloß immer wieder zu betonen, was ohnehin schon längst bewiesen ist.
PARADIGMEN
Thomas Kuhn erläutert in seinem zeitlosen Text Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen über die den Paradigmenwechsel – ein vom ihm geprägter Begriff – einleitende Krise, dass zu allen Zeiten die bedeutendsten Fortschritte in den Naturwissenschaften und im Wissen eher geschahen, als dass sie sich entwickelt hätten. Es kann gut sein, dass für dieses Geschehen eine Evolution der Gedanken vonnöten ist. Aber erst wenn es zu einem kreativen Sprung kommt, werden Innovationen tatsächlich geboren. Dies kann das Ergebnis von Inspiration, Intuition, göttlicher Intervention, purer Genialität oder eines Zusammenspiels all dessen sein. Es geschieht mehr, als dass es sich entwickelt, und es ist häufig ein Nebenprodukt einer methodischen Suche nach etwas ganz anderem. Die Art und Weise, wie Neuerungen Widerstand erfahren, gefürchtet und abgelehnt werden, ist geradezu vorprogrammiert, wobei ich allerdings befürchte, dass politisches oder kommerzielles Kalkül das Getriebe der etablierten Akzeptanz ölen. (In diesem Kontext hat wohl niemand, zumindest in absehbarer Zukunft, etwas bei der Integration der Osteopathie in das Gesundheitswesen zu gewinnen.)
Noch viel schlimmer für die Osteopathie ist aber, wie sie als Berufsstand auf die Ächtung reagierte, nämlich indem sie mit dem Establishment verhandelte und versuchte sich ein vermeintlich anständiges Äußeres zu verpassen. Ausschließlich im Glauben an Anerkennung muss sie letztlich mit dem konventionellen Modell konform gehen. Es ist traurige Wahrheit, dass dies zu einer Spaltung des Berufsstandes geführt hat. Und umso seltsamer erscheint dieser Prozess, wenn man bedenkt, wie vollkommen dabei die Tatsache ignoriert wurde, dass sich die medizinische Wissenschaft zur gleichen Zeit in sich selbst veränderte, wohingegen in unseren Reihen einige immer noch an längst veralteten Ansichten festhalten. Manche der neuen Ansichten stammen aus der modernen Physik und liefern aufregende Grundlagen für unsere osteopathischen Methoden. Das Problem ist nur, dass diese Innovationen der Naturwissenschaft wahre Herausforderungen sind und selbst ihre Befürworter haben in den eigenen Kreisen ähnliche Anerkennungsprobleme. Eines muss jedoch laut gesagt werden: Wenn neues Wissen bedeutet hätte, bereits Bekanntes nur aufzubauschen und bis ins Kleinste zu vervollkommnen, dann wäre es zu keinen Veränderungen in der Geschichte der Zivilisation gekommen.
Hätten Künstler und Musiker nicht immer wieder gegen die Meinungen und den Geschmack des Establishments verstoßen (was viele der ganz Großen getan haben), ihre Kunst wäre an Verblödung zugrunde gegangen. Ganz aus modischen Launen heraus haben viele von ihnen neuen Boden beschritten, um ihre Kunst weiterzuentwickeln. Schmähung und Spott wichen dabei nur langsam Bewunderung und Verehrung. Sehen wir uns nur einmal all die öffentlichen Reaktionen auf Manet, Turner, van Gogh, Skrjabin und Strawinski an. Es verging viel Zeit bevor ihr Einfluss und ihre zentrale Rolle in der Entwicklung in ihrem Bereich anerkannt, respektiert und gefeiert wurden. Das Betreten neuen Bodens, so lebenswichtig dies für den Fortschritt auch sein mag, zieht die radikale Restrukturierung des Altbekannten mit sich. Und dessen Lakaien und Anhänger fühlen sich durch Veränderungen aufs Äußerste bedroht und entrüsten sich naturgemäß.
Ich werde hier nicht allzu sehr auf die Geschichte der Osteopathie eingehen; andere haben dieses bereits bewundernswert in Angriff genommen. Viele von uns sind damit ohnehin sehr vertraut und andere haben nur ein begrenztes Interessen daran. Und doch gibt es einige Aspekte, die manch einen im Zusammenhang mit der Geschichte beschäftigen. Da ist zum Beispiel dass Missverständnis, Osteopathie sei irgendwie aus östlichen Kulturen abgeleitet worden; eine Ansicht die viele unserer Patienten geäußert haben. Einige, aber sicherlich nicht alle Behandler wurden durch viele östliche philosophische und spirituelle Ideen beeinflusst. Nichtsdestoweniger wurde die Osteopathie in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Missouri, geboren und nur durch ihren Geburtshelfer, den in Virginia geborenen Landarzt Andrew Taylor Still (1828 – 1917), erblickte sie das Licht der Welt. Stills Vater war ein Methodistenprediger in einer überwiegend landwirtschaftlich geprägten Gegend. In den 1850 ern lebte und arbeitete er unter den Shawnee-Indianern. Und auch wenn viele unterschiedliche kulturelle Einflüsse Stills Ideen mitgeformt haben mögen, so handelt es sich bei der Osteopathie dennoch primär um ein amerikanisches Importgut.
STILL UND DIE ANFÄNGE
Es besteht kein Zweifel daran, dass Still seine Version der Medizin als eine radikale Alternative zur Medizin seiner Zeit ansah. Viele Patienten und ihre Familien kommen nun aus genau dem gleichen Grund zu uns. Stills Beweggründe waren sehr persönlicher Art: Nachdem er drei Kinder an spinaler Meningitis verloren hatte, filterte diese Erfahrung sein nahezu besessenes Nachdenken über den Körper und die natürliche Ordnung der Dinge. Heute wird dieses Filtrat als funktionelle Anatomie bezeichnet. Still war zudem ein sehr spiritueller Mensch, wobei er offensichtlich wenig für organisierte Religion übrig hatte. Seine spirituelle Ader bereicherte seine philosophische Annäherung an das menschliche Befinden und führte ihn zur These des vitalistischen Prinzips, als Ausdruck eines Potentials an Gesundheit und Wiederherstellungskraft innerhalb des Körpers, wobei es nur innerhalb bestimmter Bedingungen wirken könne. Die dynamische Tendenz im Vitalismus bezeichnete er als Biogen28, und das besagte Potential basiere auf dem Prinzip einer Einheit von Funktion (Integration), den biochemischen Mechanismen der Selbstregulation und der wichtigsten Voraussetzung, einer gesunden physikalisch-mechanischen Anpassung. Die Idee, dass die ausgeglichene komplexe Integration der Körperstrukturen – allen voran der Faszien – unmittelbar in Verbindung mit Gesundheit, Heilung und Selbstinstandsetzung stehe, war geboren. Und mit ihr zugleich der Versuch einer manuellen Behandlung, die darauf abzielte, eben jene Rahmenbedingungen zu verbessern. All das zusammen bezeichnete Still schließlich als Osteopathie.
Nun, wie komplex die Kunst dieser Arbeit auch sein mag und egal wie schwer es ist, die notwendigen Fähigkeiten zur Diagnostik und Palpation und die entsprechenden Techniken zu erlangen, diese Gedanken erscheinen manchmal sehr banal angesichts des hochentwickelten medizinischen Standes, der uns im konventionellen Bereich ja so vertraut ist. Aber so war es stets. Stills Idee war bahnbrechend. Und auch wenn er einige seiner Ideen von Pionieren anderer Gebiete ableitete, so war es doch seine Inspiration, die sie zu einer medizinischen Disziplin bzw. einem medizinischen System zusammenfügte. Er plädierte für ein leidenschaftliches Interesse an der Anatomie und hob die Beziehung zwischen Struktur und Funktion hervor. Dies bildete die Basis eines Systems, das nun seit 130 Jahren praktiziert wird. Die Orthodoxen seiner Zeit konnten es einfach nicht annehmen und, ehrlich gesagt, viele würden sagen, sie haben es auch seither nicht getan. Wie es sich damit auch verhielt, wir sind noch immer hier und auch wenn viele aus diesem Berufsstand den Druck der Missbilligung durch das medizinische Establishment gefühlt und sich schließlich ein bequemes Plätzchen darin gesucht haben, um den Preis der erheblichen Gefährdung der ursprünglichen Prinzipien, so gibt es dennoch auch immer noch jene anderen, die Stills Wahrheit so eindringlich wie eh und je sehen, auf der ihre Arbeit beruht und die weiterhin nach naturwissenschaftlichen Entwicklungen Ausschau halten, welche ihre Arbeit und Stills Geschenk gleichermaßen untermauern.
Einige von uns mögen enttäuscht sein, da ich zögere die Osteopathie theoretisch oder methodisch der konventionellen Medizin anzupassen. Aber eine solche Anpassung – sei es nun aus Gründen politischer Vorteilsnahme oder aufgrund der gewichtigen und unbestreitbaren Erfolge der regulären Medizin – wäre unaufrichtig. Osteopathie war schon immer eine eigenständige Disziplin, deren Raison d’être29 auf eigenen Stärken beruhte. Ohne diese Stärken und aufgrund von Kompromissen, die uns zu einem Anhängsel des strukturellen Endes der Medizin werden ließen, würden wir langsam unsere Rolle verlieren und mit unserer einzigartigen Stimme aufhören zu existieren. Einige sind der Meinung, die Gefahr sei schon näher als man allgemein glaubt. Darüber hinaus hat die ambivalente Beziehung zwischen Osteopathie und Mainstream auf internationaler Ebene die unterschiedlichsten Formen angenommen. In einigen Ländern ist die Osteopathie illegal, in anderen wiederum zwar erlaubt, darf aber nur von Ärzten ausgeübt werden; in wieder anderen Ländern existiert sie als unabhängiger Berufsstand, wie zum Beispiel in England, und in den USA, dem Geburtsland der Osteopathie, hat sie eine eine paradoxe politische Mutation durchgemacht, bis sie die heutige Gestalt einer allopathischen Medizin angenommen hat. Nur eine kleine Minorität verblieb und ist weiterhin auf dem Pfad.
Als Theresa Cisler eine Sammlung leidenschaftlicher Schriften einer der osteopathischen Größen, Robert Fulford30, unter dem Titel Are We On The Path? zusammenstellte und herausgab, wurde deutlich, dass wir in vieler Hinsicht eben nicht mehr auf dem Pfad sind. Eine wirkliche Herausforderung für uns. Der Kampf des Berufsstandes um seine wahrhaftige Positionierung in Bezug auf seine Prinzipien mag zum Teil konzeptuell und intellektuell erscheinen, aber er war auch immer politischer Natur und durchaus angebracht. Und wie bereits erwähnt, geschah dies auf unterschiedlichste Art und Weise zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Ländern.
Stills Sprache, seine geradezu poetischen Redewendungen, sein relativ naives medizinisches Verständnis im Vergleich zum heutigen Wissen macht es selbst für einige aus unseren Reihen schwer, seine Position zu akzeptieren. Aber gerade im Zusammenhang mit so vielen innovativen Ideen, so vielen inspirierenden Wahrheiten, offenbart sich die Unzulänglichkeit der Sprache überhaupt. Wie häufig bedienen wir uns in den sogenannten holistischen Gedankenkonzepten dem nicht näher definierten Begriff von Einheit bzw. Ganzheit. Tatsächlich fehlen uns die passenden Wörter und daher flüchten wir uns in Metaphern. Studieren wir Still, sollten wir das stets im Hinterkopf behalten. Dies gilt ebenso für die anderen frühen Pioniere, wie William Garner Sutherland, dem wir im fünften Kapitel dieses Buches wiedertreffen werden.
An dieser Stelle möchte ich noch auf eine weitere allgemeine Tendenz hinweisen: jene arrogante Haltung, welche dem historischen Material bestenfalls einen unbedeutenden, wenn nicht sogar zweifelhaften Status beimisst, es im schlimmsten Fall jedoch als einen Haufen Müll ansieht. Anstatt neues Material lediglich als Ergebnis einer anderen Perspektive zu betrachten, sehen wir es als etwas, dass alles, was zuvor da war, überflüssig macht. Auch wenn dies zuweilen zutreffen mag, so ist es doch nicht immer der Fall. Es gibt in Bezug auf unseren Beruf eine Tendenz ausgezeichnete Konzepte im Namen des Fortschritts abzulehnen, um so mit einem Paradigma besser konform gehen zu können, welches eigentlich rundum besser zu einer anderen Disziplin passt.