Kitabı oku: «James Bond 15: Colonel Sun», sayfa 2
Diese Gedanken wirbelten durch Bonds Kopf, während er fast schon automatisch die zahlreichen kleinen Bewegungen eines guten Autofahrers ausführte, natürlich einschließlich eines gelegentlichen Blicks in den Rückspiegel. Der Zephyr tauchte nicht ein einziges Mal darin auf. Bond hätte ihm auch keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, wenn es doch der Fall gewesen wäre. Er hatte ihn noch nie zuvor gesehen und hätte ihn selbst dann nicht erkannt, wenn der Fahrer den Wagen auf eine Höhe mit seinem gebracht hätte. Obwohl er seit sechs Wochen unter strenger Beobachtung stand, war Bond nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Wenn er sich nicht auf einem Auftrag im Ausland befindet, rechnet ein Geheimagent nicht damit, beobachtet zu werden. Es ist auch sehr viel einfacher, einen Mann zu beschatten, der einen regelmäßigen Tagesablauf sowie eine feste Wohnung und Arbeitsstelle hat. Daher war es zum Beispiel nicht nötig gewesen, irgendeinen Wachposten in der Nähe von Bonds Wohnung an der King’s Road aufzustellen oder ihm auf seinem Weg zwischen dort und dem Hauptquartier des Secret Service im Regent’s Park zu folgen. Noch wichtiger war, dass die Operation, die ihn betraf, für ihre Planer höchste Priorität hatte. Das bedeutete, dass ihnen ein großzügiges Budget zur Verfügung stand, was wiederum zur Folge hatte, dass eine ungewöhnlich große Anzahl von Agenten angeheuert werden konnte. Und das bedeutete, dass die Beobachter und Beschatter oft ausgetauscht werden konnten, bevor ihre wiederholte Anwesenheit dem fast schon unterbewussten Frühwarnsystem auffallen konnte, das sich im Laufe der vielen Jahre beim Secret Service in Bonds Verstand entwickelt hatte.
Der Bentley glitt über die Windsor-Bagshot Road. Auf der linken Seite erschienen die vertrauten Orientierungspunkte: der Squirrel Pub, die Stallungen des Arabergestüts, die Lurex-Garn-Fabrik (ein häufiges Ziel von Ms Empörung). Und nun tauchte auf der rechten Seite die bescheidene steinerne Einfahrt des Achterdecks auf, zuerst der kurze, gut gepflegte Kiesweg und dann das Haus selbst. Dabei handelte es sich um ein einfaches Rechteck aus Bath Stone, der durch die Verwitterung einen leicht grünlichen Grauton angenommen hatte und in der Abendsonne leuchtete. Teile des Hauses lagen im Schatten der dichten Plantage aus Kiefern, Birken, Weißbirken und jungen Eichen, die auf drei Seiten des Gebäudes wuchsen. Eine uralte Glyzinie wand sich bis zu dem winzigen Balkon im ersten Stock, hinter dem Ms Schlafzimmer lag, und darüber hinaus nach oben. Als er die Autotür zuschlug und auf den niedrigen Säulengang zumarschierte, hatte Bond den Eindruck, dass sich hinter den Glastüren zum Balkon flüchtig etwas bewegte. Das war zweifellos Mrs Hammond, die das Bett machte.
Unter Bonds Hand erklang in der Stille der scharfe Schlag der hängenden Messingglocke, die einst zu einem längst ausrangierten Kriegsschiff gehört hatte. Erneut folgte Stille, die nicht einmal von einem leisen Rascheln des Winds in den Baumwipfeln durchbrochen wurde. Bond stellte sich vor, wie Mrs Hammond noch immer im ersten Stock beschäftigt war und Hammond selbst gerade eine Flasche von Ms algerischem Lieblingswein – dem so treffend benannten »Infuriator« – aus dem Keller holte. Die Eingangstür des Achterdecks war zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang nie verriegelt. Sie gab unter Bonds Berührung sofort nach.
Jedes Haus hat sein eigenes, normalerweise nicht wahrnehmbares Hintergrundgeräusch, das aus fernen Stimmen, Schritten, Küchengeräuschen und all den gedämpften Lauten menschlicher Wesen besteht, die ihren Geschäften nachgehen. James Bond hatte kaum die Schwelle überschritten, als ihn seine gut ausgebildeten Sinne auf die vollkommene Abwesenheit dieser Klangkulisse aufmerksam machten. Plötzlich war er angespannt und schob die massive spanische Mahagonitür zum Arbeitszimmer auf, in dem M normalerweise seine Besucher empfing.
Der leere Raum starrte Bond düster an. Wie immer befand sich alles fein säuberlich an seinem Platz. Die Rahmen der Schiffsgemälde hingen absolut waagerecht, die Aquarellutensilien waren auf dem Maltisch am Fenster ausgebreitet, als würden sie zur Inspektion bereitliegen. Alles wirkte seltsam künstlich und entrückt, als wäre der Raum Teil eines Museums, in dem die Möbel und Gegenstände irgendeiner historischen Persönlichkeit so erhalten und ausgestellt wurden, wie sie zu ihren Lebzeiten in Gebrauch gewesen waren.
Bevor Bond mehr tun konnte, als sich kurz umzuschauen, zu lauschen und sich zu fragen, was los war, wurde die Esszimmertür auf der anderen Seite des Flurs, die einen Spalt offen gestanden hatte, ruckartig aufgestoßen, und ein Mann trat heraus. Er richtete eine langläufige Automatikwaffe auf Bonds Knie und sagte mit klarer Stimme: »Bleiben Sie, wo Sie sind, Bond. Und machen Sie keine plötzlichen Bewegungen. Wenn Sie es doch tun, werde ich Sie sehr schmerzhaft verstümmeln.«
IN DEN WALD
Im Laufe seiner Karriere war James Bond buchstäblich Dutzende Male auf diese Art und Weise festgehalten und bedroht worden – und oft, genau wie jetzt, von einem völlig Fremden. Der erste Schritt für erfolgreiche Gegenmaßnahmen bestand darin, ein wenig Zeit zu schinden und zu analysieren, welche Informationen umgehend zur Verfügung standen.
Bond schob jegliche Spekulation über das Ziel seines Gegners und die Frage, was mit M und den Hammonds geschehen sein mochte, als nutzlos beiseite. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Waffe des Feindes. Er erkannte sofort, dass es sich um eine mit einem Schalldämpfer ausgestattete Luger 9 mm handelte. Die Auswirkung einer Kugel mit diesem Kaliber, die fast dreißig Gramm wog und sich mit Schallgeschwindigkeit bewegte, war enorm. Wenn ihn eine solche Kugel aus der momentanen Entfernung traf, selbst wenn sie nur einen Arm oder ein Bein erwischte, würde er zu Boden geschleudert werden und als Folge des Schocks vermutlich das Bewusstsein verlieren. Wenn sie ihn irgendwo in der Nähe des Knies traf, auf das die Waffe in diesem Augenblick gerichtet war, würde er mit großer Wahrscheinlichkeit nie wieder laufen können. Alles in allem war es die Waffenausrüstung eines Profis.
Der Mann selbst hatte ein dünnes, knochiges Gesicht und einen schmalen Mund. Er trug einen leichten dunkelblauen Anzug und ordentlich polierte Schuhe. Man hätte ihn für einen vielversprechenden angehenden Geschäftsführer in der Werbebranche oder beim Fernsehen halten können, der bei den Frauen Eindruck schinden wollte. An seinem Aussehen fiel Bond besonders auf, dass er so groß wie er selbst, aber schmaler gebaut war. Also würde er sich vielleicht in einem direkten Kampf als angreifbar erweisen, falls sich eine derartige Situation herbeiführen ließ. Was Bond beunruhigte, war die Knappheit und Stärke der Worte, die sein Gegenüber benutzt hatte, sowie der geschäftsmäßige Ton, in dem er sie ausgesprochen hatte. Er war frei von ordinären Drohungen oder Triumph gewesen, und vor allem hatte darin nicht der kleinste Hauch dieser gekünstelten Lässigkeit gelegen, die ihn als Amateur und damit als potenziellen Einbrecher gekennzeichnet hätte. Dies war der Beweis, dass er wusste, wie man die Waffe benutzte, und es auch ohne zu zögern tun würde, wenn er es für ratsam hielt.
Das alles raste innerhalb von etwa drei Sekunden durch Bonds Verstand. Bevor diese Zeit abgelaufen war, hörte er, wie ein Auto in die Einfahrt einbog, und verspürte einen Hauch von Hoffnung. Doch der Mann mit der Luger drehte nicht einmal den Kopf. Der Neuankömmling würde Bonds Chancen zweifellos verschlechtern und nicht verbessern. Nun erklangen schnelle Schritte auf dem Kies, und ein weiterer Mann betrat das Haus durch die Vordertür. Er würdigte Bond, der lediglich einen flüchtigen Eindruck verwaschener blauer Augen erhaschte, kaum eines Blickes. Der Mann strich sein kurzes schwarzes Haar zurück und zog hinter seiner rechten Hüfte eine Waffe hervor, bei der es sich ebenfalls um eine Luger zu handeln schien. Dann schlich er nach draußen, ließ seinen Begleiter zurück und postierte sich am Fuß der Treppe. Seine Bewegungen ließen das Ganze wie eine bestens geplante und einstudierte Übung wirken.
»Raus hier und langsam nach oben«, sagte der erste Mann im gleichen Tonfall wie zuvor.
Es ist an sich schon schwierig, in Gegenwart bewaffneter Feinde aus einem Raum im Erdgeschoss zu entkommen, doch die Situation wird nahezu aussichtslos, wenn sie in ein oberes Stockwerk verlagert wird und es am Treppenabsatz oder im Flur eine Wache gibt.
Bond war sich dessen sofort bewusst, befolgte aber einfach die Anweisung und setzte sich in Bewegung. Nachdem er drei Meter weit gegangen war, wich der Mann mit dem schmalen Gesicht zurück, um den Abstand zwischen ihnen aufrechtzuerhalten. Der zweite Mann stand auf dem Treppenabsatz, hielt die Luger mit festem Griff vor seinem Bauch und zielte auf Bonds Beine. Ja, diese beiden Männer waren zweifellos Profis.
Bond schaute sich in der unpassenden Normalität der Eingangshalle des Achterdecks um – die glänzenden Täfelungen aus Kiefernholz, das Model von Ms letztem Schiff, dem Schlachtkreuzer Repulse, im Maßstab 1:144, Ms altmodischer Ulster, der achtlos über den ebenso altmodischen Kleiderständer geworfen worden war. Diese Sache war wirklich übel. Übel in jeder Hinsicht, vor allem weil er keine Waffe hatte. Britische Agenten tragen in ihrem eigenen Land außerhalb des Dienstes keine Waffen. Übel war auch, dass die Bereitschaft zu verstümmeln, womöglich sogar zu töten, in Friedenszeiten nicht üblich war – es sei denn, es stand etwas schrecklich Wichtiges auf dem Spiel. Und nicht zu wissen, wie dieser wichtige Einsatz aussehen mochte, kam einem unerträglichen Durstgefühl gleich.
James Bonds Füße traten automatisch auf die mit abgenutztem, altem olivgrünem Axminster-Teppich bezogenen Treppenstufen. Die beiden bewaffneten Männer gingen im gleichen sicheren Abstand jeweils vor und hinter ihm. Trotz ihrer eindeutigen Kompetenz waren sie ganz offensichtlich Angestellte, Unteroffiziere, die für jemanden arbeiteten. Der befehlshabende Offizier dieser Operation, worum auch immer es dabei gehen mochte, würde sich zweifellos jeden Moment zu erkennen geben.
»Rein da.«
Dieses Mal hatte der zweite Mann gesprochen. Der andere wartete auf der Treppe. Bond überquerte die Schwelle zu Ms Schlafzimmer, diesem hohen, luftigen Raum mit den Brokatvorhängen, die von den geschlossenen Balkontüren zurückgezogen worden waren, und stand plötzlich M persönlich gegenüber.
Ein entsetztes Keuchen entrang sich Bonds Kehle.
M saß auf einem Chippendale-Stuhl mit hoher Lehne neben seinem eigenen Bett. Seine Schultern waren zusammengesackt, als wäre er um zehn Jahre gealtert, und seine Hände hingen schlaff zwischen seinen Knien. Nach einem Moment schaute er langsam auf und seine Augen richteten sich auf Bond. In seinem Blick lag kein Erkennen, er war vollkommen ausdruckslos. Die übliche eisige Klarheit war aus seinen Augen verschwunden. Aus seinem offenen Mund drang ein seltsamer Laut, vielleicht eine Äußerung der Verwunderung oder eine Frage oder eine Warnung, vielleicht auch alles gleichzeitig.
Adrenalin wird von den Nebennieren produziert, zwei kleinen Ausbuchtungen, die sich an der Oberseite der Nieren befinden. Wegen der Umstände, die seine Ausschüttung in den Blutkreislauf und seine Auswirkungen auf den Körper bedingen, wird es manchmal auch als Droge der Furcht, des Kampfes und der Flucht bezeichnet. Bei Ms Anblick verfielen Bonds Nebennieren in ihre ursprüngliche Aufgabe, pumpten ihr Hormon in seinen Blutstrom und beschleunigten damit seine Atmung, um sein Blut mit Sauerstoff anzureichern. Außerdem beschleunigten sie seinen Herzschlag, um die Blutversorgung der Muskeln zu verbessern, verschlossen die kleineren Blutgefäße in der Nähe der Haut, um den Blutverlust im Fall einer Verletzung so gering wie möglich zu halten, und sorgten sogar dafür, dass sich die Haare auf seiner Kopfhaut minimal aufrichteten, was ein Überbleibsel aus der Zeit war, in der die primitiven Vorfahren der Menschen für ihre Feinde bedrohlicher ausgesehen hatten, indem sie ihre haarigen Körper aufgerichtet und sich aufgeplustert hatten. Und während Bond noch immer entsetzt auf M starrte, wurde er plötzlich aus unerfindlichen Gründen, womöglich durch das Adrenalin selbst, von einem seltsamen Hochgefühl erfüllt. Er wusste sofort, dass er nicht weich geworden war, dass er im Ernstfall noch immer dieselbe effiziente Kampfmaschine war wie eh und je.
Eine Stimme sprach. Es war eine neutrale Stimme mit einem neutralen Akzent, und sie benutzte den gleichen praktischen, emotionslosen Tonfall wie die vorherigen Stimmen. Sie sagte streng, aber ohne Eile: »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Bond. Ihrem Vorgesetzten wurde kein Leid angetan. Er wurde lediglich unter Drogen gesetzt, um ihn gefügig zu machen. Sobald die Wirkung nachlässt, wird er wieder ganz er selbst sein. Sie werden jetzt eine Injektion mit der gleichen Droge erhalten. Wenn Sie sich wehren, hat mein Kollege hier Anweisung, Ihnen ins Knie zu schießen. Wie Sie wissen, würde Sie das umgehend vollkommen hilflos machen. Die Injektion ist schmerzlos. Halten Sie die Füße still und lassen Sie Ihre Hose herunter.«
Der Sprecher war ein bulliger Mann Mitte vierzig. Er war blass, hatte eine Hakennase, fast keine Haare mehr und wirkte auf den ersten Blick genauso unauffällig wie seine Untergebenen. Ein zweiter Blick hätte allerdings gezeigt, dass mit seinen Augen etwas nicht stimmte, oder besser gesagt mit den Augenlidern, die eine Nummer zu groß zu sein schienen. Ihr Besitzer war sich dieser Tatsache eindeutig bewusst, denn er hob und senkte sie unablässig, während er sprach. Anstatt affektiert zu wirken, hatte diese Angewohnheit etwas seltsam Verstörendes an sich. Wenn Bonds Verstand für derartige Überlegungen offen gewesen wäre, hätte ihn dieser Anblick vielleicht an einen Mann der deutschen Agentengruppe »Schwarzer Stein« aus John Buchans Spionageroman Die neununddreißig Stufen erinnert. Dieser Mann konnte seine Augen wie ein Falke bedecken und hatte in Bonds Jugend seine Tagträume heimgesucht. Doch Bonds Gedanken rasten in eine praktischere Richtung.
Er hatte sich vollkommen unbewusst die Positionen seiner Feinde eingeprägt: Ein bewaffneter Mann stand ihm gegenüber, ein weiterer befand sich irgendwo auf dem Absatz oder der Treppe und bewachte die Tür, und der Mann, der gesprochen hatte, stand mit dem Rücken zu ihm an den Glastüren, die auf den Balkon hinausführten. Ein vierter Mann, irgendein Arzt, der körperlich eher schwächlich wirkte und daher zu vernachlässigen war, stand mit einer Spritze in der Hand am Fußende des Betts. So viel dazu. Nun verlangten zwei Probleme nach einer Lösung, und Bond wusste, dass sie entscheidend waren, ohne den Grund dafür zu verstehen: Wo lag der Trugschluss in dem, was der Mann an den Balkontüren gerade gesagt hatte? Und was war die winzige, unwichtige Tatsache in Bezug auf diese Glastüren, die keinem der vier Männer bewusst war und die Bond sehr wohl kannte, sodass er sie nutzen konnte? Wenn er sich nur daran erinnern könnte.
»Bewegung.«
Die Augenlider schlossen sich gebieterisch und öffneten sich dann wieder. Die Stimme war kein bisschen lauter geworden.
Bond wartete.
»Sie werden dadurch nichts erreichen. Sie haben fünf Sekunden, um meiner Anweisung Folge zu leisten. Sollten Sie es nach Ablauf dieser Frist nicht tun, werden Sie kampfunfähig gemacht und erhalten die Injektion, sobald es uns passt.«
Bond verschwendete seine Aufmerksamkeit nicht auf die verstreichenden Sekunden. Bevor die Zeit abgelaufen war, hatte er die Lösung für das erste seiner beiden Probleme gefunden. Er hatte festgestellt, dass in dem Vorhaben, das man ihm erläutert hatte, ein Widerspruch lag. Es war sinnlos, einem bereits hilflosen Mann eine Injektion zu verabreichen, die ihn hilflos machen sollte. Warum verstümmelten sie ihn also nicht direkt, was in Anbetracht der Umstände schneller gehen und kein Risiko beinhalten würde, und vergaßen die Sache mit der Injektion, die sich bereits als mühselig erwiesen hatte? Sie wollten ihn also nicht nur hilflos haben, sondern hilflos und unverletzt. Die Chancen, dass die Drohung mit der Schusswaffe nur ein Bluff war, standen gut. Wenn das nicht der Fall war, wenn es noch einen zusätzlichen Faktor gab, den Bond nicht bemerkt hatte, würde die Strafe dafür schrecklich sein. Doch es gab keine Alternative.
Die Stimme hatte mit dem Zählen aufgehört, und Bond hatte sich nicht bewegt. In der Stille gab M einen weiteren leisen unverständlichen Laut von sich. Dann …
»Ergreift ihn.«
Bonds Arme wurden von hinten gepackt und auf seinen Rücken verdreht – er hatte nicht gehört, wie der Mann mit dem schmalen Gesicht den Raum betreten und sich ihm genähert hatte. Bevor der Nelson-Griff vollständig ausgeführt war, hatte Bond mit den Fersen nach hinten ausgetreten und etwas getroffen. Einen Arm konnte er befreien. Doch er wurde sofort von dem zweiten Mann geschnappt.
Bei dem darauffolgenden Gerangel herrschten trotz der Tatsache, dass nun zwei gegen einen kämpften, fast ausgeglichene Bedingungen, denn Bond schöpfte Kraft aus dem Wissen, dass er mit seiner Vermutung richtiggelegen und damit den ersten Punkt gewonnen hatte. Hinzu kam noch die erfreuliche Wiedererlangung des Vertrauens in seine Kampffähigkeiten. Und er hatte Möglichkeiten, sie zu verletzen, die ihnen nicht erlaubt waren. Doch er musste sich einem Mann stellen, dessen Körperbau seinem ähnelte, und einem weiteren, der zwar schmaler war, aber ein Talent dafür besaß, die schmerzhaftesten Nervengriffe anzuwenden. Zu allem Überfluss hatte er jedes Mal, wenn Bond sich aus einem losgerissen hatte, schon den nächsten parat.
Ein Ellbogenstoß, der seine Leistengegend knapp verfehlte, ließ Bonds Oberkörper nach vorne sacken. Bevor er sich erholen konnte, hatten sich zehn Finger, die sich wie Stahlbolzen anfühlten, in die Nervenknoten an seinem Halsansatz gebohrt. Seine Oberarmmuskeln schienen sich in dünne Ströme aus kaltem Schlamm zu verwandeln. Wieder versuchte er, seine Ferse nach oben zu bringen, doch dieses Mal wurden seine Beine von vorne gepackt und festgehalten. Ein Zerren, ein Hieven und Bond landete unsanft auf dem Fußboden. Er lag mit dem Gesicht nach unten da, während einer der Männer auf seinen Schultern kniete und der andere den unteren Bereich seines Körpers bewegungsunfähig machte. Er verhielt sich ganz ruhig, wehrte sich nicht unnötig und dachte über die Balkontüren nach, falls er sie je erreichen konnte, die Balkontüren …
»Die Spritze.«
Bond spürte, wie der dritte Mann, der Arzt, plötzlich über ihm stand, und sammelte seine Kräfte für eine enorme Anstrengung. In der nächsten Minute bewies er, wie schwierig es sogar für zwei starke, fähige und entschlossene Männer ist, einen dritten gleich starken Mann in einer vollkommen hilflosen Position zu halten, wenn sie ihm gegenüber keine richtige Gewalt anwenden dürfen, die ihn womöglich verletzen könnte. Bond nutzte diese Minute. Während er sich bemühte und schwitzte und einzig und allein das Ziel verfolgte, keinen wichtigen Teil seines Körpers der Spritze auszusetzen, wobei er am Rande mitbekam, dass sich zwischen dem Mann mit den zu großen Augenlidern und dem Arzt eine Art Diskussion abspielte, erinnerte er sich endlich an das, was ihm vorher nicht eingefallen war. Die Balkontüren konnten zwar geschlossen, aber nicht verriegelt werden. Der Haken war defekt. Hammond hatte es vergangene Woche erwähnt, und M hatte reizbar wie immer erwidert, dass er verdammt sein wolle, wenn er zuließe, dass irgendein Handwerker im Zimmer ein Durcheinander veranstaltete – es könne noch ein paar Wochen warten, bis M zu seinem jährlichen Lachsangelurlaub auf dem Test aufbrechen würde. Also würde ein heftiger Stoß an der Stelle, an der die Türen aufeinandertrafen …
Vielleicht hatte das Triumphgefühl darüber, dass er sich während der Unterhaltung – der Bond nicht bewusst gelauscht hatte – an diese wichtige Kleinigkeit erinnert hatte, dazu geführt, dass er sich für einen kurzen Augenblick entspannte. Vielleicht hatte einer der beiden Männer, die ihn festhielten, eine zusätzliche Kraftreserve gefunden. Auf jeden Fall wurde Bonds Handgelenk gepackt, und kurz darauf spürte er das Stechen der Nadel in seinem linken Unterarm. Er vertrieb die aufwallende Verzweiflung und die Abscheu, fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis das Zeug wirkte, ließ sich versuchsweise schlaff zusammensacken, stellte fest, dass der Druck auf seinen Körper leicht, aber deutlich nachließ, und setzte sich in Bewegung.
In diesem winzigen Sekundenbruchteil gelang es ihm, sich teilweise dem Griff seiner Gegner zu entwinden. Er bog seinen Rücken durch und trat mit beiden Füßen um sich. Der Mann mit dem schmalen Gesicht schrie. Blut sprudelte aus seiner Nase. Er ging schwerfällig zu Boden. Der andere Mann hieb auf Bonds Nacken ein, doch es war zu spät. Bonds Ellbogen erwischte ihn fast genau an der Luftröhre. Der Mann mit den zu großen Augenlidern schwang einen Fuß, als Bond vom Boden hochkam, doch auch er war nicht schnell genug. Sein Eingreifen bewirkte lediglich, dass Bonds Weg zu den Balkontüren nun frei war. Die beiden Türhälften flogen mit wundervoller Bereitwilligkeit auf, als seine Schulter sie rammte. Er legte eine Hand auf das niedrige Steingeländer, sprang darüber, landete in einer perfekt ausbalancierten Haltung auf allen vieren auf der Erde, rappelte sich auf und rannte auf die nächstgelegenen Bäume zu.
Die ersten vereinzelten Kiefern verschafften ihm nur wenig Deckung, egal wie schnell er lief. Doch nun wurden sie zahlreicher. Hinzukamen Brombeersträucher und wild wachsende Rhododendronbüsche, die das Vorwärtskommen erschwerten. Es war sehr wichtig, dass er jetzt nicht stürzte. Und er durfte auch nicht langsamer werden. Warum? Er musste ihnen entkommen. Wem? Den Männern. Dem Mann mit den Falkenaugen. Dem Mann, der M etwas Schreckliches angetan hatte. Er musste M retten. Er musste umkehren und M retten. Nein. Weiter. Konnte er M retten, indem er davonlief? Ja. Weiter. Wohin? Weit weg. Immer weiter. Wie weit? Weit …
Bond war nun tatsächlich kaum mehr als eine Maschine. Schon bald hatte er alles vergessen, bis auf die Notwendigkeit, den nächsten Schritt zu machen und den nächsten und den nächsten. Als nichts mehr von seinem Verstand übrig war, rannte sein Körper noch etwa eine Minute lang weiter, so schnell wie zuvor, aber ohne jeglichen Sinn für Richtung. Danach verlangsamte er und blieb schließlich stehen. Er stand eine weitere Minute lang einfach nur da, keuchte mit offenem Mund und ließ die Arme schlaff herunterhängen. Seine Augen waren offen, aber sie sahen nichts. Dann machte James Bonds Körper angetrieben von einem letzten Funken Intelligenz oder Willenskraft ein Dutzend weitere Schritte, sackte zu Boden und legte sich der Länge nach ausgestreckt auf eine Stelle mit langem rauem Gras zwischen zwei Zwergpappeln, wo er für jeden, der in mehr als fünf Metern Entfernung daran vorbeiging, nahezu unsichtbar war.
Allerdings kam ihm niemand so nah. Die Verfolgung war von Anfang an hoffnungslos gewesen. Der Mann mit dem schmalen Gesicht, dessen Nase heftig blutete, war fast noch rechtzeitig – aber eben doch nicht schnell genug – vom Balkon gesprungen und um die Ecke des Hauses herumgelaufen, um Bond zwischen den Kiefern verschwinden zu sehen, aber es dauerte weitere zehn oder zwölf Sekunden, bis sein Kollege und der Mann mit den zu großen Augenlidern zu ihm stießen. Letzterer war offenbar nicht daran gewöhnt, von Balkonen zu springen, und musste die Treppe nehmen. Hätte der Mann mit dem schmalen Gesicht für eine Organisation gearbeitet, die Eigeninitiative förderte, wäre er ohne zu zögern in Richtung des Waldrands gelaufen und hätte gelauscht, um in der Lage zu sein, eine effektive Verfolgung aufzunehmen. Doch da das nicht der Fall war, befand sich Bond gerade so außer Hörweite, als das Trio die ersten Bäume erreichte. Sie bewegten sich für eine Weile in die offensichtliche und tatsächlich richtige Richtung, aber sie standen unter Zeitdruck. Es dauerte nicht lange, bis der Anführer auf seine Uhr schaute und den Befehl zum Anhalten gab.
»Zurück.«
Bevor sie sich abwandten, hob der Sprecher die Augenlider und starrte den Mann mit dem schmalen Gesicht mit einer seltsamen Entschlossenheit an. Der Mann wurde blass. Dann machten sich die drei auf den Rückweg. Die letzte ironische Tatsache an diesem Tag voller ironischer Tatsachen bestand darin, dass sie nur noch sechzig oder siebzig Meter weiter hätten gehen müssen, um genau die Stelle zu erreichen, an der Bond lag.
Mehr Zeit verstrich. Die Schatten im Wald wurden länger und vergingen schließlich im schummrigen Licht der Abenddämmerung. Das Summen der Insekten wurde zu einem Murmeln. Einmal sang eine Amsel. Abgesehen davon erklang kein Geräusch. Wenn Bond in der Lage gewesen wäre, sein Gehör bis an seine Grenzen zu strapazieren, hätte er vielleicht den fernen Schrei wahrgenommen, der abrupt verstummte, und dann, ein wenig später, ein Auto, das angelassen wurde und davonfuhr. Aber er hörte nichts. Er war nichts.
Der Raum war klein, aber es war trotzdem unmöglich zu bestimmen, was sich darin befand oder wo er war, und es schien auch vollkommen sinnlos zu sein, es zu versuchen. Diese Männer – es waren vermutlich zwei oder drei – sprachen wieder, erst einer, dann ein anderer. Ihre Stimmen klangen gedämpft, was an den langen, verhedderten Streifen aus grauem Stoff lag, die undeutlich und an den Rändern verschwommen vor ihnen in der Luft hingen. Diese grauen Streifen machten es auch schwer, ihre Gesichter zu erkennen. Oder erschwerten sie nur den Wunsch, ihre Gesichter zu sehen? Was befand sich wirklich dort? Spielte es eine Rolle? Dort war etwas, etwas wie ein Buch oder ein Mann oder ein Geheimnis oder ein Telefon, das bestätigte, dass es eine Rolle spielte. Das war vor langer Zeit gewesen, vor Hunderten umrundeter Ecken, Tausende langsamer, beschwerlicher Schritte zurück, doch es beharrte darauf, dass man niemals aufgeben durfte. Versuchen. Der Wille, zu versuchen. Versuchen, es versuchen zu wollen. Versuchen wollen zu …
Ein weiterer Mann, viel näher. Sein Gesicht war ganz nah. Er machte etwas mit seinem Auge. Er hielt sein Handgelenk. Er machte noch mehr mit seinem Auge. Ein Schnauben. Ein Gespräch. Sie gingen davon. Sie kehrten zurück. Und taten wieder etwas – was? Sie zogen und halfen ihm vom Stuhl hoch. Etwas mit einer Jacke. Etwas mit Hemdsärmeln. Ein kurzer Schmerz. Vorbei. Wieder zurück auf dem Stuhl.
»Nun, Doktor?«
»Er hat eine erhebliche Dosis irgendeiner Droge erhalten. Zu diesem Zeitpunkt ist es mir noch nicht möglich, sie genauer zu benennen. Könnte Scopolamin sein. Ich habe ihm etwas verabreicht, das ihm dabei helfen sollte, wieder zu sich zu kommen.«
»Also ist er ein Drogenabhängiger?«
»Schon möglich. Aber ich bezweifle es. Wir werden einfach abwarten müssen. Wie ist er hier gelandet?«
»Ein Autofahrer brachte ihn vor etwa einer halben Stunde her. Er sagte, er habe ihn auf einer Straße in der Nähe eines Eingangs zum Great Park gefunden, wo er ziellos umhergeirrt sei. Natürlich dachten wir zuerst, er wäre betrunken.«
»Die Auswirkungen sind ähnlich. Die ruhige Art von Trunkenheit. Ich kann mir keine bessere Methode vorstellen, um einen Mann gefügig zu machen. Wissen Sie, Sergeant, an dieser Sache, worum auch immer es dabei gehen mag, ist irgendetwas faul. Wer ist unser Freund?«
»Er heißt Bond, James Bond. Er hat eine Geschäftsadresse in London, irgendwo am Regent’s Park. Ich habe dort angerufen, um möglicherweise etwas über ihn herauszufinden, und man sagte mir, ich solle ihn festhalten und niemanden außer einem Arzt zu ihm lassen. Sie würden umgehend einen ihrer Leute herschicken. Der Inspector sollte auch bald hier sein. Er hat sich etwa zwei Minuten vor der Ankunft dieses Burschen auf den Weg zu einem Einsatz gemacht. Eine Massenkarambolage auf der M4. Wird eine ganz schön anstrengende Nacht werden.«
»Allerdings … Ah, ich glaube, jetzt dürfte er langsam wieder ansprechbar sein … Mr Bond? Mr Bond, Sie sind in Sicherheit und in wenigen Minuten werden Sie wieder ganz Sie selbst sein. Mein Name ist Doktor Allison und diese Herren von der Polizei sind Sergeant Hassett und Constable Wragg. Sie sind lediglich zu Ihrem Schutz hier. Sie befinden sich in einer Polizeiwache, aber Sie haben nichts Falsches getan. Sie müssen sich nur ein wenig ausruhen.«
James Bond hob langsam den Blick. Die verhedderten grauen Streifen, die seine Sicht und sein Hörvermögen beeinträchtigt hatten, waren verschwunden. Er sah ein sehr englisches Gesicht mit einer neugierigen spitzen Nase und zuverlässigen dunklen Augen, die in diesem Moment verwirrt und besorgt wirkten. Im Hintergrund waren zwei massiv aussehende Männer in dunkelblauen Uniformen sowie ein abgenutzter Schreibtisch mit einem Telefon darauf, Aktenschränke, Wandkarten, Grafiken und ein Poster, das einen Polizeiball ankündigte: alles alltägliche Dinge, die er wiedererkannte.
Bond schluckte und räusperte sich. Es war sehr wichtig, dass er das, was er zu berichten hatte, korrekt wiedergab, vor allem weil er immer noch nicht ganz sicher war, was das alles bedeutete oder warum er es diesen Leuten mitteilen musste.
»Legen Sie für eine Weile die Füße hoch, Mr Bond. Bringen Sie diesen Stuhl her, Wragg, ja? Könnten Sie uns eine Tasse Tee organisieren?«
Also dann, ganz langsam, Wort für Wort.
»Ich brauche«, begann Bond mit belegter Stimme, »ich brauche ein Auto. Und vier Männer. Bewaffnet. Sie müssen mit mir kommen. So schnell wie möglich.«
»Der arme Bursche ist immer noch ganz durcheinander«, sagte der Sergeant.
Der Arzt runzelte die Stirn. »Das bezweifle ich. Verwirrung ist in einem solchen Fall normal, aber kein richtiges Fantasieren.« Er lehnte sich vor und legte seine Hände fest auf Bonds Schultern. »Sie müssen uns mehr erzählen, Mr Bond. Wir hören Ihnen alle zu. Wir versuchen, Sie zu verstehen.«