Kitabı oku: «Tonka», sayfa 4
Kapitel 6
Denn am Morgen eines einzigen Tages war alles in ein Dornengerank verwandelt worden.
Es waren schon einige Jahre vergangen, seit sie gemeinsam lebten, als Tonka sich eines Tages schwanger fühlte, aber es war nicht ein beliebiger Tag, sondern der Himmel hatte dafür einen Tag ausgesucht, von dem zurückgerechnet die Empfängnis eigentlich in eine Zeit der Abwesenheit und Reisen fiel, und Tonka wollte ihren Zustand erst bemerkt haben, als sein Beginn schon nicht mehr so genau festzustellen war.
In solcher Lage gibt es Gedanken, die jedem durch den Kopf fliegen; weit und breit war jedoch kein Mann, der ernsthaft hätte in Zusammenhang gebracht werden können.
Einige Wochen später trat das Schicksal noch deutlicher auf: Tonka erkrankte. Es war eine Krankheit, die entweder vom Kind ins Blut der Mutter getragen wird oder ohne diesen Umweg vom Vater; es war eine entsetzliche, schwere, schleichende Krankheit, aber ob sie den näheren oder weiteren Weg genommen hatte, das Merkwürdige war: die erforderliche Zeit stimmte in beiden Fällen nicht genau. Auch war er ja nach menschlichem Ermessen nicht krank, und es verstrickte ihn also entweder ein mystischer Vorgang mit Tonka oder sie hatte gemeine irdische Schuld auf sich geladen. Es gab freilich auch andere natürliche Möglichkeiten – theoretische, platonische, wie man sagt –, aber praktisch war ihre Wahrscheinlichkeit so gut wie Null; praktisch war die Wahrscheinlichkeit, daß er weder der Vater von Tonkas Kind noch der Urheber ihrer Krankheit war, gleich der Gewißheit.
Man verweile einen Augenblick, um zu verstehen, wie schwer er es begriff. Praktisch! Kommst du zu einem Kaufmann und eröffnest nicht eine Aussicht, die bald seine Begehrlichkeit reizt, sondern hältst ihm eine lange Rede über die Zeiten und das, was ein reicher Mann eigentlich tun müßte, so weiß er, du bist gekommen, um ihm sein Geld zu stehlen. Er wird sich nie irren darin, obgleich du ja auch gekommen sein könntest, um ihm Belehrung zu schenken. Ebenso ist ein Richter nicht einen Augenblick im Zweifel, wenn ihm der Angeklagte erzählt, daß er das bei ihm gefundene Beweisstück von einem »unbekannten Mann« erhalten habe. Und doch wäre einmal ja auch das möglich. Aber Handel und Wandel ruhen darauf, daß man nicht mit allen Möglichkeiten zu rechnen braucht, weil die äußersten praktisch nicht vorkommen. Theoretisch hingegen? Der alte Arzt, zu dem er Tonka anfangs gebracht hatte, nachdem er allein bei ihm zurückgeblieben war, hatte die Achseln gezuckt: Möglich? Gewiß unmöglich nicht – er hatte gute, hilflose Augen, aber er schien sagen zu wollen: Halten wir uns nicht dabei auf, es liegt unter der für menschliches Ermessen nötigen Wahrscheinlichkeit. Auch ein Gelehrter ist ein Mensch, und ehe er etwas annimmt, das medizinisch ganz unwahrscheinlich ist, nimmt er lieber einen menschlichen Fehler als Ursache an; in der Natur sind die Ausnahmen selten.
Es war also das nächste eine Art medizinische Prozeßsucht. Er wurde Gast bei vielen Ärzten. Der zweite Arzt schloß ebenso wie der erste, und der dritte wie der zweite. Er feilschte. Er trachtete Auffassungen medizinischer Schulen gegeneinander auszuspielen. Die Herren hörten ihm schweigend zu oder auch liebevoll lächelnd wie einem Narren und unverbesserlichen Dummkopf. Und natürlich wußte er selbst, während er redete, er hätte ebensogut fragen können: ist eine jungfräuliche Zeugung möglich? Und man hätte ihm nur zu antworten vermocht: sie war noch nie da. Nicht einmal ein Gesetz hätte man angeben können, das sie ausschloß; bloß: sie war noch nie da. Und doch wäre er ein unverbesserlicher Hahnrei, wollte er sich das einbilden!
Vielleicht hatte ihm das auch einer ins Gesicht gesagt, mit dem er sprach, oder es war ihm doch nur selbst durch den Kopf gefahren, es hätte ihm jedenfalls selbst einfallen können. Aber gerade weil man nicht einen Kragenknopf schließen könnte, wollte man zuvor alle möglichen Fingerkombinationen durchdenken, stand während der ganzen Zeit neben der Gewißheit seines Verstandes eine andere Unmittelbarkeit: Tonkas Gesicht. Man geht zwischen Kornfeldern, man fühlt die Luft, die Schwalben fliegen, in der Ferne die Türme der Stadt, Mädchen mit Liedern … man ist fern aller Wahrheit, man ist in einer Welt, die den Begriff Wahrheit nicht kennt. Tonka war in die Nähe tiefer Märchen gerückt. Das war die Welt des Gesalbten, der Jungfrau und Pontius Pilatus, und die Ärzte sagten, daß Tonka geschont und gepflegt werden müßte, sollte sie ihren Zustand überdauern.
Kapitel 7
Er versuchte natürlich trotzdem von Zeit zu Zeit, Tonka das Geständnis zu entreißen; dazu war er ja ein Mann und kein Narr. Aber sie ging damals in ein großes häßliches Geschäft, das in einem Arbeiterviertel lag; morgens mußte sie um sieben Uhr dort sein und abends verließ sie es – oft wegen einiger Pfennige, die ein verspäteter Kunde hineintrug – nicht vor halb zehn; sie sah die Sonne nicht, nachts schliefen sie getrennt, und man ließ ihnen keine Zeit für ihre Seele. Sie mußten selbst für dieses dürftige Leben bangen, wenn man die Schwangerschaft merkte, denn sie waren damals schon in Geldverlegenheit geraten; er hatte die Mittel für seine Studien verbraucht und Geld zu verdienen war er nicht imstande; es ist das am Anfang einer wissenschaftlichen Laufbahn besonders schwer, und er war der Lösung seiner Aufgabe, ohne sie schon erreicht zu haben, so nahe gekommen, daß er aller Kraft für das letzte Erreichen bedurfte. Tonka war bei diesem Leben ohne Licht und voll Sorgen hingewelkt und sie verblühte natürlich nicht schön wie manche Frauen, die Berauschendes ausströmen, wenn sie verfallen, sondern sie welkte unscheinbar wie ein kleines Küchenkraut, das gilbt und häßlich wird, sobald die Frische seines Grüns verloren ist. Ihre Wangen blaßten und fielen ein, dadurch sprang die Nase groß aus dem Gesicht, der Mund erschien breit und sogar die Ohren standen etwas weg; auch der Körper magerte ab, und wo früher biegsame Fülle des Fleisches gewesen war, blickte jetzt ein ländlicher Knochenbau durch. Er, dessen wohlerzogenes Gesicht dem Kummer besser widerstand und dessen Vorrat an guten Kleidern länger vorhielt, merkte, wenn er mit ihr ausging, den erstaunten Blick manches Vorübereilenden. Und weil er nicht ohne Eitelkeit war, brachte es ihn gegen Tonka auf, daß er ihr keine schönen Kleider kaufen konnte; er war wegen ihrer Dürftigkeit, an der er die Schuld trug, böse auf sie, aber wahrhaftig, er hätte ihr, wenn er gekonnt hätte, zuvor schöne wolkige Umstandskleider geschenkt und sie dann erst zur Rede gestellt wegen ihrer Untreue. Sobald er versuchte, ihr das Geständnis zu entreißen, leugnete Tonka. Sie wußte nicht, wie es gekommen war. Wenn er um ihrer alten Freundschaft willen bat, ihn doch nicht zu belügen, trat ein gequälter Zug in ihr Gesicht, und wenn er heftig wurde, sagte sie bloß, sie lüge nicht, und was sollte man da noch tun? Hätte er sie prügeln und beschimpfen sollen oder sie in ihrer furchtbaren Lage verlassen? Er schlief nicht mehr bei ihr, aber auf die Folter gelegt, hätte sie nichts bekannt, schon deshalb nicht, weil sie kein Wort über die Lippen brachte, seit sie sein Mißtrauen merkte, und dieser törichte Eigensinn war, seit seine Einsamkeit nicht mehr durch Liebreiz gemildert wurde, erst recht entwaffnend. Er mußte zäh und lauernd sein.
Er hatte sich entschlossen, seine Mutter um Geldhilfe zu bitten. Aber der Vater lag seit langem zwischen Leben und Sterben, und alles verfügbare Geld war dadurch gebunden; er konnte es nicht prüfen, wenn er auch wußte, daß seine Mutter sich vor der Möglichkeit ängstigte, er könnte mit der Zeit Tonka heiraten wollen. Ja, sie ängstigte sich schon davor, daß andere Heiraten niemals zustandekommen würden, weil Tonka dazwischen war; und als alles sich dehnte, die Studien, der Erfolg, die Krankheit des Vaters und die Sorgen im Haushalt, war näher oder ferner daran Tonka schuld, die nicht bloß als die erste Ursache unseliger Verkettungen empfunden wurde, sondern geradezu als ein böses Zeichen, das Unglück vorbedeutete, indem zum erstenmal durch sie der gewöhnliche Ablauf des Lebens gestört worden war. In Briefen und bei Besuchen im Elternhaus war diese unklare Überzeugung durchgebrochen, die im Grunde aus nichts bestand als der Ahnung eines Familienmakels, weil der Sohn »von so einem Mädchen« sich tiefer binden ließ, als es sonst bei jungen Männern üblich ist. Hyazinth mußte warnen, und als der Junge, betroffen von diesem uneingestandenen Aberglauben und an seine eigenen unvernünftigen, schmerzlichen Erlebnisse erinnert, heftig ablehnte, war Tonka ein »pflichtvergessenes Mädchen« genannt worden, das den Frieden einer Familie nicht achtete, und linkische Anspielungen auf »sinnliche Künste«, mit denen sie ihn »in Banden halte«, kamen mit der ganzen Lebensunerfahrenheit der anständigen Mütter zutage. – Sie hatten auch jetzt durch die Antwort geblickt, die er erhielt, als ob jeder Pfennig, solange er ihn mit Tonka verband, nur seinem Unglück dienen würde. Da entschloß er sich, noch einmal zu schreiben und sich als Vater von Tonkas Kind zu bekennen.
Als Antwort kam seine Mutter selbst.
Sie kam, »um die Verhältnisse zu ordnen«.
Sie betrat nicht seine Wohnung, als müßte sie fürchten, dort auf Unerträgliches zu stoßen, und beschied ihn ins Hotel. Eine leichte Verlegenheit hatte sie mit Pflichtbewußtsein abgeschüttelt und sprach von der großen Sorge, die er ihnen bereite, von der Gefahr für das Leiden seines Vaters und von Fesseln fürs Leben; ungeschickt durchtrieben zog sie alle Bälge des Gemüts, aber ein Ton der Nachsicht, der dabei nicht von den Worten wich, bewahrte ihr die mißtrauische Neugierde ihres von der durchschauten Herzenslist gelangweilten Zuhörers. »Denn«, sagte sie, »es könnte dieser Unglücksfall ja geradezu noch zum Glück ausschlagen, und man wäre dann« – sagte sie – »mit dem Schreck davongekommen: es gelte nur, die Zukunft vor der Wiederkehr solcher Ereignisse zu schützen!« Sie habe deshalb den Vater trotz aller Schwierigkeiten bewogen, eine gewisse Summe zu opfern. Man werde damit, eröffnete sie wie eine große Güte, das Mädchen samt den Ansprüchen des Kindes abfinden.
Zu ihrer eigenen Überraschung fragte ihr Sohn ruhig nach der Höhe des Angebots, hörte es sich an, schüttelte dann noch ruhiger den Kopf und sagte bloß: »Es geht nicht.«
Von Hoffnung befeuert, erwiderte sie: »Es muß gehen! Sei nicht verblendet; viele junge Leute machen ähnliche Dummheiten, aber sie lassen es sich gesagt sein. Es ist gerade jetzt eine gute Gelegenheit, dich frei zu machen, lasse sie nicht aus falschem Ehrgefühl ungenützt, du schuldest es dir und uns!«
»Wieso eine gute Gelegenheit?«
»Gewiß. Das Mädchen wird vernünftiger sein als du; es wird wissen, daß man solche Verhältnisse immer löst, wenn ein Kind da ist.«
Da verschob er die Antwort auf den nächsten Tag. Es hatte etwas in ihm gezündet.
Seine Mutter, die Ärzte mit dem Lächeln der Vernunft, das glatte Laufen der Untergrundbahn am Weg zu Tonka, der Schutzmann mit den festen, das Chaos regelnden Gebärden, der donnernde Wasserfall der Stadt: das war alles eins; er stand in dem einsamen Hohlraum darunter – unbenetzt, aber abgeschnitten.
Er fragte Tonka, ob sie es tun würde.
Tonka sagte: Ja. Fürchterlich zweideutig war dieses Ja. So vernünftig, wie die Mutter es vorausgesagt hatte, aber um den Mund, der es sprach, zuckte die Verwirrung.
Da sagte er seiner Mutter ungefragt am nächsten Tag ins Gesicht, daß er vielleicht gar nicht der Vater von Tonkas Kind sei, daß Tonka krank sei, aber daß er sich trotzdem eher selbst für krank und den Vater halten wolle, als Tonka verlassen.
Es lächelte seine Mutter machtlos vor so viel Verblendung, sah ihn zärtlich an und ging. Er wußte, sie hatte nun den großen Schwung erhalten, ihr Fleisch und Blut vor dem Makel zu schützen, und ein mächtiger Feind war ihm verbündet.